Titel als PDF - Fakultät für Sozialwissenschaft - Ruhr
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DISKUSSIONSPAPIERE AUS DER FAKULTÄT FÜR SOZIALWISSENSCHAFT RUHR-UNIVERSITÄT BOCHUM SOZIALE STADTENTWICKLUNG IN WULFEN-BARKENBERG – EINE SOZIALWISSENSCHAFTLICHE ANALYSE von Silvia Bader Diskussionspapier Nr. 04 – 3 März 2004 Korrespondenzanschrift: Silvia Bader Hildegardstr. 42 44809 Bochum Die Diskussionspapiere aus der Fakultät für Sozialwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum werden von der Fakultät für Sozialwissenschaft herausgegeben. Die inhaltliche Verantwortung für die Beiträge liegt bei den Autoren und nicht bei der Fakultät. Die Papiere können bei den jeweiligen Autoren angefordert werden. Die Liste aller Papiere finden Sie auf den Internet Seiten der Fakultät unter http://www.ruhr-uni-bochum.de/sowi/ Rubrik „Forschung“ ISSN 0943 – 6790 2 SOZIALE STADTENTWICKLUNG IN WULFEN-BARKENBERG – EINE SOZIALWISSENSCHAFTLICHE ANALYSE 2 Inhalt 1 EINLEITUNG..............................................................................................3 2 SEGREGIERTE ARMUT IN DER STADT ...............................................6 3 STRATEGIEN GEGEN ARMUT UND SOZIALE AUSGRENZUNG IN DER STADT: SOZIALE STADTENTWICKLUNG..............................................8 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 ENTWICKLUNG UND WIDERSPRÜCHE .....................................................................8 STRUKTURMERKMALE UND ZIELE .........................................................................9 DIE INNOVATION: STADTTEILMANAGEMENT .......................................................10 AKTEURE ..............................................................................................................11 DAS BEISPIEL: STADTTEILE MIT BESONDEREM ERNEUERUNGSBEDARF ..............13 4 WULFEN-BARKENBERG: NEUE STADT AM RANDE DES RUHRGEBIETS ....................................................................................................14 4.1 4.2 4.3 4.4 ENTSTEHUNG DER NEUEN STADT ........................................................................15 STÄDTEBAULICHES GRUNDKONZEPT ...................................................................15 WEITERE ENTWICKLUNG: DIE 80ER JAHRE ..........................................................17 AKTUELLE ENTWICKLUNGEN IM LICHTE DER STATISTIK ....................................17 4.4.1 4.4.2 Sozialstruktur .....................................................................................17 Infrastrukturelle Versorgung..............................................................22 5 BARKENBERG: WIE SEHEN DIE EXPERTINNEN DEN STADTTEIL? ........................................................................................................23 5.1 5.2 METHODISCHE VORGEHENSWEISE UND PROBLEME ............................................23 AUSWERTUNG DER EXPERTENINTERVIEWS .........................................................25 5.2.1 5.2.2 Ausgangbedingungen im Stadtteil: Probleme und Potenziale ...........25 Strategien zur Bewältigung von Armut: Projekte und Akteure .........28 5.2.2.1 Bürgertreff Dimker Allee e.V.................................................28 5.2.2.2 Pater Pauly und seine Hütten................................................30 5.2.2.3 Die Wulfen-Konferenz: Instanz der Vernetzung?..................31 5.2.2.4 Die zentralen Akteure............................................................32 5.2.2.5 Weitere Projekte und Akteure................................................33 5.2.2.6 Bürgerbeteiligung..................................................................34 5.2.2.7 Bewertung: Grenzen und Chancen........................................35 5.2.3 Stadtpolitik .........................................................................................35 5.2.3.1 Zur Entstehung benachteiligter Quartiere ............................35 5.2.3.2 Aktuelle Stadtpolitik ..............................................................36 5.2.3.3 Stadtteil mit besonderem Erneuerungsbedarf? .....................37 6 ERGEBNISSE UND AUSBLICK.............................................................39 7 LITERATURVERZEICHNIS ...................................................................44 8 ANHANG ..................................................................................................48 8.1 8.2 INTERVIEWTE EXPERTINNEN................................................................................48 STADTTEILPLAN: RUNDWEG DURCH BARKENBERG .............................................49 1 Einleitung Über Barkenberg brauchen Sie nichts zu schreiben. Hier ist eh alles kaputt.1 Die „Traumstadt [..] inmitten herrlicher, unberührter Landschaft wird die übliche Schlafstadt vieler Stadterweiterungen ablösen“ (Entwicklungsgesellschaft Wulfen mbH 1968: 7,10), heißt es 1968 in dem Katalog zur Städtebau- und Wohnausstellung der Neuen Stadt Wulfen. Die „Schaffung neuer Arbeitsplätze“ (ebd.: 9) im nördlichen Ruhrgebiet veranlasste das Land Nordrhein-Westfalen zur Gründung einer neuen Stadt, um einer „Zersiedlung der Landschaft“ (ebd.: 8) entgegenzuwirken. „Ein Paradies für Autos und Fußgänger“ (ebd.: 11) und eine „lebendige, pulsierende Stadt“ (ebd.: 16) mit „hervorragende[n] Wohnverhältnisse[n]“ (ebd.: 9), in der 50.000 Menschen leben sollten, das waren in den 1960er Jahren die Vorstellungen über die Entwicklung Barkenbergs. Aber alles kam anders. Um einen Einblick in den Ort zu bekommen, schlage ich an dieser Stelle einen Rundgang vor. Dieser beginnt am Wulfener Markt, welches das Verbindungsstück zwischen dem alten und dem neuen Wulfen werden sollte.2 Der Marktplatz verdeutlicht den Versuch, eine Stadt entstehen zu lassen. Die Funktionsmischung von Wohnen, öffentlichen Einrichtungen, privaten Dienstleistungen und Freizeitangeboten sollte hier verwirklicht werden. Eine integrierte Gesamtschule mit öffentlicher Bibliothek, ein Hallenbad und das Gemeinschaftshaus befinden sich hier. Dem angrenzenden Einkaufszentrum gelingt es aber heute kaum alle Läden zu vermieten, da es für eine Kleinstadt mit 11.000 EinwohnerInnen3 völlig überdimensioniert ist; angeboten werden in erster Linie Pfennigartikel. Vom Marktplatz aus geht man Richtung Osten durch die Wohngebiete Am Wall und Kampstraße, die von drei-viergeschossigem Wohnungsbau geprägt sind. Sie entstanden Anfang der 70er Jahre. Weiter Richtung Nordosten durchquert man die Siedlungen Barkenberger Allee und Himmelsberg und gelangt schließlich zur Dimker Allee. Hier stehen Hochhäuser mit bis zu acht Stockwerken, diese ersten Siedlungen Barkenbergs spiegeln das städtebauliche Leitbild der 60er Jahre Urbanität durch Dichte wider. Dieser Bereich bestätigt all die Vorurteile über Großsiedlungen aus dieser Zeit. An den Balkonen blättert der Putz ab und auf den Mülltonnen vor den Häusern türmt sich Sperrmüll. Die fehlenden Klingel- und Briefkastenschilder lassen einen enormen Leerstand erahnen. Viele der dunklen Durchgänge zwischen den Häusern sind von Kameras überwacht. Man durchquert das Nebenzentrum, welches inmitten dieser hohen Gebäude angesiedelt ist. Männer stehen biertrinkend vor der Pommesbude. Überall spielen Kinder, so viele wie man in den großen Ruhrgebietsstädten nie zu Gesicht bekommt. In Hütten auf der Wiese hängen Jugendliche rum. Die beiden Teile des Nebenzentrums, die durch eine Straße getrennt sind, verbindet eine Brücke, denn Straßen braucht man in Barkenberg nicht zu überqueren. Entweder Brücken oder Unterführungen ermöglichen es, den ganzen Ortsteil zu durchstreifen, ohne je einem fahrendem Auto zu begegnen. Nun überquert man Richtung Osten den Wittenberger Damm, die große Umgehungsstraße. Hieran verdeutlicht sich das Vorhaben, eine Mittelstadt zu bauen. Die vierspurige Straße ist für den Ort viel zu groß und wird zweckentfremdet von Jugendlichen als Rennstrecke benutzt. 1 Das sagte mir ein Junge auf dem Schulhof der Gesamtschule, als ich ihm von meinem Vorhaben erzählte, eine Diplomarbeit über Barkenberg zu schreiben. 2 Ich beschreibe einen Rundgang von ca. 7km der Entwicklungsgesellschaft Wulfen mbH, der etwa Mitte der 80er Jahre erstellt wurde (vgl. Stadtteilplan im Anhang, Kap. 8.3). 3 In der vorliegenden Arbeit wird – im Zuge feministischer Sprachkritik – bei geschlechtlich nicht eindeutig zuordbaren Personengruppen das sog. Binnen-I verwendet. Abstrakte Begriffe wie Akteur oder Handlanger und zusammengesetzte Wörter wie Bürgerbeteiligung, Mieterfluktuation oder Experteninterview werden – der besseren Lesbarkeit geschuldet – in der männlichen Sprachweise benutzt. 4 Durch die Einfamilienhausgebiete Buchenhöfe, Am Gecksbach und Braunfelder Allee schlendert man gen Norden. Hier scheint die Welt noch in Ordnung zu sein. Wenn man erneut den Wittenberger Damm kreuzt, gelangt man zum Habiflex. In diesem Experimentierbau sind die Wände verstellbar, so dass man die Wohnungsaufteilung flexibel gestalten kann. Kaum eine der etwa 50 Wohnungen ist bewohnt, die Tiefgarage unter dem Bau ist abgesunken und die Fenster verrostet; im Volksmund wird der Habiflex auch Tropfsteinhöhle genannt. Der Weg zum Napoleonsweg führt wieder am Geschosswohnungsbau der Dimker Allee vorbei, danach passiert man die Gemeindezentren der katholischen und evangelischen Kirche. Der Napoleonsweg verbindet Barkenberg mit der Hohen Mark. Durch die Umwidmung der Allee in einen Fuß- und Radweg konnte der alte Baumbestand erhalten bleiben. Der Weg über den Napoleonsweg führt an der Finnstadt, einem südeuropäisch-anmutenden Häuserkomplex mit Eigentumswohnungen, vorbei. Man umrundet nun den künstlich angelegten See. Das Altenheim am Rande des Sees erinnert an die bereits 1987 abgerissene Metastadt, auf deren Grundriss gebaut wurde. Der Abriss der Metastadt symbolisierte für viele der Abriss Barkenbergs. An einer großen Sportanlage vorbei gelangt man dem Bach folgend zum Baugebiet Zentrum-West. Nach einer kleinen Runde durch die Ein- und Mehrfamilienhaussiedlung gelangt man wieder zum Ausgangspunkt des Rundgangs, dem Wulfener Markt. Der Rundgang zeigt Barkenberg als einen Stadtteil mit deutlichen Problemvierteln, aber auch als einen ruhigen Stadtteil im Grünen, dessen autofreies Fuß- und Radwegenetz beeindruckt. Vor allem der innere Kern Barkenbergs, in dem der Geschosswohnungsbau der 60er Jahre gelegen ist, gilt als Viertel, indem sich benachteiligte Bevölkerungsgruppen konzentrieren. Dies zu prüfen, bildet die Grundlage der vorliegenden Arbeit. Darauf aufbauend soll untersucht werden, welche Strategien und Handlungsansätze es gibt, diese Segregationsprozesse benachteiligter Bevölkerungsgruppen aufzuhalten. Anhand der Theorien zur Sozialen Stadtentwicklung4 soll überprüft werden, inwieweit diese für Barkenberg ihre Gültigkeit besitzen. In Barkenberg ist kein offizielles Förderprogramm5 implementiert, was die Stadtteilstudie besonders spannend macht. Häufig wird entsprechenden Programmen eine Alibifunktion unterstellt. Man tue nur in wenigen ausgewählten Modellstadtteilen etwas gegen Armut und soziale Ausgrenzung. (vgl. Alisch 2002: 99; Strohmeier 2002: 59) Daher ist es interessant zu schauen, ob und welche Aspekte der integrierten Handlungsansätze auch in Stadtteilen, die nicht gesondert gefördert werden, umgesetzt werden. Bisher sind in der Regel nur Stadteile, die Teil eines Stadtteilprogramms sind, hinsichtlich ihrer Handlungsansätze, bestimmte Segregationsprozesse aufzuhalten, untersucht worden.6 Da es sich um die erste Stadtteilstudie Barkenbergs handelt, die sich mit diesem Thema beschäftigt, bleibt die Analyse hauptsächlich auf der deskriptiven Ebene. Die Wirkungen solcher Ansätze werden nicht untersucht. Aus diesem Grund beschränkt sich diese Studie auch zum großem Teil auf die Stadtteilebene. Aus dieser Fragestellung ergibt sich die Struktur der Arbeit. Im ersten Kapitel wird ein Überblick über die Hintergründe der Entstehung von Armut und ihrer sozialräumlichen Konzentration in einigen Großstadtvierteln gegeben.7 4 Soziale Stadtentwicklung hat die ökonomische, soziale und städtebauliche Aufwertung benachteiligter Stadtteile zum Ziel, hierbei wird mit integrierten Handlungsansätzen gearbeitet. In Kap. 3 beschäftige ich mich ausführlich mit diesem Politikfeld. 5 Wie z.B. das Programm „Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf“ in NRW. 6 An dieser Stelle ist beispielsweise die Umsetzungsanalyse des integrierten Handlungsprogramms für Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf der ILS zu nennen (vgl. ILS 2001). 7 In dieser gekürzten Fassung meiner Diplomarbeit wird auf eine ausführliche Analyse der gesamtgesellschaftlichen Ursachen für die Entstehung von Armut und ihrer sozialräumlichen Konzentration in benachteiligten Stadtvierteln verzichtet. 5 Städte werden gezwungen, sich mit den Auswirkungen von Armut und sozialer Ausgrenzung auseinander zu setzen. In den 90er Jahren wurden in vielen Regionen Deutschlands Stadtteilprogramme eingeführt, die nicht mehr nur die städtebauliche Erneuerung zum Ziel hatten, sondern versuchen, die Lebenssituation der dort lebenden Menschen nachhaltig und umfassend zu verbessern bzw. zu stabilisieren. Im dritten Kapitel werden diese integrierten Konzepte vorgestellt und diskutiert. Dem Dorstener Untersuchungsstadtteil Barkenberg ist das vierte Kapitel gewidmet. Die Darstellung der Entstehung und Entwicklung Barkenbergs berücksichtigt sowohl die planerischen Besonderheiten als auch den historischen Kontext. Das Ausbleiben der Nordwanderung des Bergbaus war der wesentliche Grund für das Scheitern des Projekts der Neuen Stadt Wulfen, welches die Eingemeindung Wulfens 1975 verdeutlichte. Anschließend beschreibe ich anhand ausgewählter statistischer Daten die Sozial- und Infrastruktur des Ortsteils. Anhand dieser Daten soll herausgestellt werden, dass es sich bei Barkenberg um einen benachteiligten Stadtteil handelt. Für einen Häuserblock an der Dimker Allee liegen mir gesonderte Daten vor, so dass ich die Konzentration armer und ausgegrenzter Menschen in diesem Bereich belegen kann. Im empirischen Teil soll mit Hilfe von Experteninterviews die Fragestellung nach der Umsetzung von integrierten Handlungsansätzen zur Bekämpfung von sozialräumlich konzentrierter Armut beantwortet werden. Die Befragten geben Einblicke in die besonderen Probleme und Potenziale Barkenbergs und beschreiben und beurteilen die verschiedenen Handlungsansätze zur Verbesserung der Lebensverhältnisse von sozial Benachteiligten. Sie gehen kritisch auf die Verantwortung der Stadt und der Wohnungsbaugesellschaften bei der Entwicklung Barkenbergs zum benachteiligten Stadtteil ein. Insgesamt habe ich 8 AkteurInnen aus dem Stadtteil und den Dorstener Bürgermeister Lambert Lütkenhorst auf der städtischen Ebene interviewt. Der Auswertung der Interviews geht die Vorstellung des Forschungskonzept voraus. Abschließend werde ich die zentralen Ergebnisse der Arbeit mit den theoretischen Vorüberlegungen verbinden und die Fragstellung der Arbeit beantworten (Kapitel 6). Was sind die besonderen Probleme und Potenziale Barkenbergs und inwieweit stehen sie in Verbindung mit gesamtgesellschaftlichen Trends? Wird Armut und soziale Ausgrenzung versucht mit Hilfe von integrierten Handlungsansätzen zu bewältigen? Die Ergebnisse der Arbeit werden in die aktuelle sozialwissenschaftliche Diskussion eingeordnet und ihre Bedeutung wird herausgestellt. 2 Segregierte Armut in der Stadt Seit dem Ende des Fordismus in den 70er Jahren wird Armut auch in Deutschland wieder sichtbar. Bis dahin wurde Armut als eine „exzentrische und periphere Ausnahmesituation am Rande der Gesellschaft“ (Strang 1970: 36) begriffen. Armut im Reichtum/ Wohlstand und Zwei-Drittel-Gesellschaft prägen die Armutsdiskussion seit dem Ende der 80er Jahre. Hier wird die Gleichzeitigkeit von Armut und Reichtum angesprochen. Dangschat (1995) erweitert diese These noch, in dem er sagt, dass „Armut durch Wohlstand“ (ebd.: 50) entsteht. Seiner Meinung nach benötigt die kapitalistische Gesellschaft im Postfordismus Armut, um existieren zu können. Diese Polarisierungstendenzen der Gesellschaft in arm und reich schreiben sich sozialräumlich nieder. Armut konzentriert sich in Großstädten und dort in bestimmten Teilgebieten. Die „ungleiche Verteilung der Wohnstandorte von sozialen Gruppen in einer Stadt“ (Dangschat 1998: 207) wird mit dem Begriff Segregation beschrieben. Für diese Arbeit ist in erster Linie die Konzentration benachteiligter Gruppen als ein Segregationsprozess interessant.8 In den Überlegungen zur Teilung der Stadt, einem Ansatz in der Segregationstheorie, steht die räumliche Konzentration von Armen im Mittelpunkt des Interesses. Ausgehend von der dual-city-These, die die gesamtgesellschaftliche Polarisierung zwischen „global agierenden Professionellen und wirtschaftlich Prekären und Überflüssigen“ (Keller 1999: 32) beschreibt, haben sich die Konzepte der drei- und viergeteilten Stadt entwickelt. Häußermann und Siebel (1987: 139) haben die deutsche Großstadt als dreigeteilt beschrieben: Die erste Struktur, die international wettbewerbsfähige Stadt, setzt sich aus den Glanz- und Höhepunkten einer Stadt zusammen, die über regionale Funktionen und Aufmerksamkeit auf sich ziehen können. [...] [Die zweite Struktur ist, S.B.] die normale Arbeits-, Versorgungs- und Wohnstadt für die deutsche Mittelschicht mit den Funktionen eines regionalen Oberzentrums. [...] [D]ie dritte Struktur [ist] die marginalisierte Stadt der Randgruppen, der Ausgegrenzten, der dauerhaft Arbeitslosen, der Ausländer, der Drogenabhängigen und der Armen. (Häußermann/ Siebel 1987: 139, Hervh. im Original) Des Weiteren gehen Häußermann und Siebel darauf ein, dass vor allem zwischen der ersten und der dritten Stadt eine sozialräumliche Polarisierung stattfindet: „Die Aufenthaltsgebiete dieser Gruppen [in der marginalisierten Stadt, S.B.] werden ähnlich abgeschottet wie ihr Gegenstück, die internationale Stadt, aber mit kaum einer anderen Perspektive als der, allmählich zu verrotten.“ (ebd.) Folglich ist die Dreiteilung der Stadt eine Ergänzung der dual-city-These. Die Einbeziehung der Mittelschicht in diesem Konzept ist für Deutschland wichtig, da sie im Gegensatz zur USA viel breiter ist und zudem die Suburbanisierungsprozesse, die zu einem großen Teil für die Entstehung von benachteiligten Gebieten in der Stadt verantwortlich ist, trägt. Die Konzepte der vier- oder vielfach geteilten Stadt differenzieren die dreigeteilte Stadt noch weiter aus.9 8 Keller (1999: 40ff) unterscheidet in einer deutschen Stadt der Gegenwart vier Segregationsprozesse: die Gentrifizierung, die Segregation benachteiligter Gruppen, die Suburbanisierung und die Segregation der Oberschicht. Die Konzentration benachteiligter Gruppen wird durch die anderen drei Segregationsprozesse weiter verschärft. 9 Unterschieden werden nach Krätke (1995) in Anlehnung an Marcuse die „Stadt der Herrschaft und des Luxus“ (ebd.: 174f), die „gentrifizierte Stadt“ (ebd.), die „mittelständische Stadt“(ebd.), die „Mieter-Stadt“ (ebd.) und die „aufgegebene Stadt“ (ebd.). Die Ausdifferenzierung betrifft also vor allem die erste und die zweite Stadt, die in der dreigeteilten Stadt beschrieben wird. Eine besondere Entwicklungsdynamik haben die „gentrifizierte“ und die „aufgegebene Stadt“, die Krätke indirekt als polarisierende Pole ausmacht. (vgl. ebd.: 174-187) 7 Als Ursache für Segregation und für die Konzentration von Armut wird die ökonomische Umstrukturierung (unter kapitalistischen Bedingungen) und die veränderten (neoliberalen) Regulationsformen gesehen. Der Wettbewerb von Städten und Regionen um Standorte verändert deren Struktur. (Dangschat 1998: 210, vgl. weiterführend Dangschat/ Diettrich 1999, Esser/ Hirsch 1987) Die Armutsquartiere, die in den Segregationsprozessen entstehen, lassen sich in Deutschland grob in zwei Typen einteilen: in Großsiedlungen der 50er und 60er Jahre und in innenstadtnahe Altbauquartiere. Großsiedlungen hatten häufig soziale Ansprüche, vor fordistischen Hintergrund entstanden familiengerechte, gut ausgestattete (Sozial-)Wohnungen im Grünen. Fehlende Urbanität, unzureichende infrastrukturelle Ausstattung, Monofunktionalität ohne ausreichend Arbeitsplätze, bautechnische Mängel, die Lage am Stadtrand und soziale Probleme waren die wichtigsten Gründe für das Scheitern solcher Siedlungen (Mölder 1997: 6). Mit dem Begriff der sozialen Ausgrenzung10 soll auf den veränderten Stellenwert von Armut aufmerksam gemacht werden. Es entsteht eine neue Qualität von Armut. Die sich nach Häußermann (1998:137) dadurch auszeichnet, dass eine Gruppe von Menschen entsteht, die überflüssig, entbehrlich und nur noch eine Last ist. Soziale Ausgrenzung zeigt sich in benachteiligten Quartieren am stärksten. Die Stadtgebiete, wo die Armen wohnen, zeichnen sich durch schlechte Qualität aus. Dadurch entsteht ein Imageverlust der Stadtteile, was wiederum zu sozialer Ausgrenzung führt. Diese Faktoren verstärken die räumliche Ausgrenzung. Die benachteiligten Stadtteile sind zudem einer ‚Abwertungsspirale’ ausgesetzt: Der bauliche Zustand des Gebiets verschlechtert sich und das Stadtgebiet erleidet erneut einen Imageverlust. Dadurch entstehen selektive Fortzüge, was wiederum bedeutet, dass die Investitionsbereitschaft nachlässt. Die bauliche Zustand verschlechtert sich weiter etc. Dies führt zu einer Verlängerung und Verfestigung von Armut (Friedrich 1999: 278, 279). In diesen Quartieren zeigt sich also eine Dichte und Kumulation von Kriterien sozialer Ausgrenzung. Die räumliche Ausgrenzung in ihrer Gesamtheit wird selber zu einem Faktor, der soziale Ungleichheit und Benachteiligung erzeugt und die Lebenslage von Betroffenen nachhaltig verschlechtert. Besonders weil räumlich bedingte Ausgrenzungsformen zur sowieso schon durch Mangel gekennzeichneten Lebenssituation erschwerend hinzukommt. (Friedrich 1999: 282) Benachteiligte Quartiere erzeugen also von selbst weitere Benachteiligung; Armut verstärkt und verfestigt sich. Die entstandene Abwärtsspirale führt geradewegs zu ghettoähnlichen Quartieren, wie sie bereits aus französischen cités, englischen Vorstädten oder nordamerikanischen Hyperghettos bekannt sind. Bisher sind benachteiligte Quartiere in Deutschland zwar durch einen hohen und steigenden Anteil an Armen gekennzeichnet, doch es wohnen dort nicht nur Arme. Auch befinden sich die BewohnerInnen nicht alle und nicht dauerhaft am gesellschaftlichen Rand, wo gesellschaftliche Integration nicht mehr möglich bzw. gewollt ist. Noch sind extreme Armutsquartiere in Deutschland erst kleinräumig vorhanden, aber es besteht die Gefahr, dass benachteiligte Gruppen die Qualität gesamter Stadtteile bestimmen. Will man nun nicht lediglich ‚Feuerwehrpolitik’ betreiben und Armut wirklich bekämpfen, besteht grundlegender Handlungsbedarf. Dangschat (1995) formuliert treffend: 10 Der Begriff stammt aus Frankreich (vgl. Dubet/ Lapeyronnie), er wird seit den 90er Jahren in nahezu allen europäischen Ländern benutzt. Man versucht zwischen Armut und sozialer Ausgrenzung zu unterscheiden, wobei es nur um eine analytische Trennung geht, um Wechselwirkungen (empirisch) untersuchen zu können. Armut bezieht sich auf alle ökonomischen Dimensionen, das Konzept der sozialen Ausgrenzung betrifft „hingegen die Teilhabe an nicht marktförmig geregelten Institutionen (Staat, informelle soziale Systeme)“ (Siebel 1997: 68). 8 [E]s bedarf einer völlig neuen gesellschaftlichen und politischen Übereinkunft, will man diese Problemlagen nicht nur eindämmen, sondern auch abbauen. (ebd.: 51) 3 Strategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung in der Stadt: Soziale Stadtentwicklung 3.1 Entwicklung und Widersprüche Analog zu Monika Alisch (2002) benutze ich den Begriff Soziale Stadtentwicklung als Sammelbegriff für solche lokal wirksamen Politikansätze, die in Deutschland in den 90er Jahren soziale und ökonomische Benachteiligung und ihre räumliche Konzentration in bestimmten städtischen Teilgebieten zum Ausgangspunkt politischer Intervention gemacht haben. (ebd.: 78, Hervh. im Original) Voraussetzung für Soziale Stadtentwicklung mit dem Ziel des Sozialen Ausgleichs ist nach Alisch/ Dangschat (1998: 174) die Entwicklung von Strategien, um bestimmte Segregationen zu vermeiden, da benachteiligte Bevölkerungsgruppen durch ihren Wohnort zusätzlich benachteiligt werden. Weiterhin soll sich der Umgang mit Segregation verändern, um die Lebensbedingungen der benachteiligten Bevölkerungsgruppen nachhaltig zu verbessern. Auch sollen Strategien in Handlungskonzepte eingearbeitet werden, die innerstädtische Disparitäten abbauen. Vor allem seit den 90er Jahren entstanden Ansätze der Sozialen Stadtentwicklung. Vorangetrieben haben die Politik der Sozialen Stadtentwicklung in erster Linie das Landesprogramm aus NRW Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf (1993) und das Hamburger Armutsbekämpfungsprogramm (1994). Zurückgegriffen werden konnte hier auf Erfahrungen aus anderen europäischen Ländern11 sowie auf vereinzelte kommunale und europäische Initiativen. Die kontinuierliche Entwicklung der Sozialen Stadtentwicklung in den 90er Jahren führte 1999 zum auf Bundesebene verankerten Programm „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – die soziale Stadt“. Bis dahin war nationale Stadterneuerung „ausdrücklich eine baulich-physische Aufgabe, in der soziale Tatbestände nur am Rande von Bedeutung sind“ (Alisch 2002: 80). Anlässe für die Implementierung politischer Handlungsansätze der Sozialen Stadtentwicklung sind vielfältig: zunehmende Gewalt an Schulen, geringe Wahlbeteiligung, hoher Anteil an WählerInnen rechtsextremistischer Parteien, hohe Arbeitslosenquoten, steigende Kriminalitätsraten. In der Regel sind Ereignisse, an denen die Öffentlichkeit stark teilhat, ein Grund, sich der Probleme im Quartier anzunehmen (ILS 2001: 16f). Auf jeden Fall wird Armut an sich nicht Motiv zum Eingreifen, das Bestehen von Armut alleine wird nicht als gesellschaftlich relevantes Problem gesehen. Erst die politischen und ökonomischen Probleme, die entstehen, lösen eine politische Intervention in benachteiligten Stadtteilen aus (Alisch 2002: 83-87). Soziale Stadtentwicklung findet sich mit den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ab, sie sucht für globale Probleme lokale Lösungen. Ihre Aufgabe, die Alltagswelt der Armen zu verbessern und zu versuchen, durch Entkopplung von sozialer Benachteiligung und benachteiligten Wohnbedingungen die Problematik zu entschärfen, ist durchaus wichtig. Jedoch sollte dabei nicht außer Acht gelassen werden, dass die Gefahr besteht, 11 Hier sind Frankreich, Großbritannien und die Niederlanden explizit zu nennen, die schon seit mehreren Jahren nationale Programme zur Armutsbekämpfung in Stadtteilen implementiert haben. (vgl. hierzu ausführlich Kemper/ Schmals 2000) 9 gesellschaftliche Ungerechtigkeit festzuschreiben und dass gesamtgesellschaftliche Probleme kaschiert werden. (Alisch/ Dangschat 1998: 181) 3.2 Strukturmerkmale und Ziele Gerade in den 80er Jahren ging es vor allem um städtebauliche ‚Aufwertung’ der Gebiete. Diese Strategie gilt heute in den meisten – zumindest westdeutschen Großstädten – als nicht weitreichend genug. Ziel soll es sein, eine Verbesserung der Lebensverhältnisse zu erreichen, nicht nur auf die städtebauliche Aufwertung konzentriert, sondern es sollen auch die ökonomischen und sozialen Verhältnisse der BewohnerInnen verbessert werden. Da dies abhängig von gesamtgesellschaftlichen Trends ist und lokal nur bedingt Möglichkeiten bestehen, wird häufig in erster Linie eine Stabilisierung der Situation in den benachteiligten Gebieten angestrebt, was auf der einen Seite bedeutet, weitere Segregationsprozesse zu verhindern und auf der anderen Seite, die Situation der Bewohnerschaft zu stabilisieren. Als gebietsbezogene Ziele charakterisiert Alisch die (städtebauliche) Aufwertung, die Verbesserung der Lebensverhältnisse und die Stabilisierung der Situation in den Wohngebieten. (Alisch 2002: 91-93) Diese Ziele untergliedern sich in weitere Teilziele, die in den einzelnen Stadtteilen mit unterschiedlicher Prioritätssetzung verfolgt werden. Bei der klassischen städtebaulichen Erneuerung spielt die Verbesserung des Wohnungsbestandes und der Wohnumfeldqualität, Umweltschutz und Verkehr eine wesentliche Rolle. Ein weiteres wichtiges Ziel ist die Stärkung der lokalen Ökonomie, darin inbegriffen ist die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und die Qualifizierung von Arbeitslosen. Weitere gebietsbezogene Teilziele sind: Förderung des Zusammenlebens unterschiedlicher ethnischer und religiöser Gruppen, Stärkung der sozialen Netzwerke und der nachbarschaftlichen Solidarität, Förderung von Schulen und anderen Bildungseinrichtungen, Ausgleich milieuspezifischer Benachteiligungen von Kindern und Jugendlichen, Gesundheitsförderung, Kriminalprävention- und -bekämpfung und Integration von EinwanderInnen. (Strohmeier 2002: 58, 59; vgl. ILS 2001; Becker u.a. 2002) Als strukturbezogene Ziele bezeichnet Alisch (ebd.: 94) integrierte Handlungsansätze und die Vernetzung von Maßnahmen. Dies sind eigentlich nur Mittel zu Erreichung der anderen Ziele, aber da sie selbst noch erarbeitet und erprobt werden müssen, sind sie Teil der Zielformulierung. Integrierte Handlungsansätze integrieren auf drei Ebenen. Dies geschieht einmal auf der horizontalen Ebene: verschiedene Ressorts in den Verwaltungen sollen einerseits ihre Ressourcen bündeln und andererseits sollen die verschiedenen Handlungsfelder12 übergreifend zusammenarbeiten und sich vernetzen. Es entstehen daraus sogenannte Mehrzielprojekte. Vertikal äußert sich die Integration über die Verknüpfung von politisch-administrativen Ebenen wie Landesverwaltung, Bezirke, Kommunen und der Stadtteilebene. Zusätzlich sollen die lokalen Akteure (Bewohnerschaft, Wohnungsunternehmen, Wirtschaft, Wohlfahrtsträger) sich aktiv an der Stadtteilentwicklung beteiligen. Die Aktivierung und Beteiligung der BewohnerInnen muss als bedeutendes Qualitätsmerkmal in allen Handlungskonzepten auftauchen. (ebd.: 94-97) Politik, Verwaltung, Bewohnerschaft, Wirtschaft und andere lokal relevanten Akteure müssen gemeinsam daran arbeiten, die Abwärtsspirale, in der sich benachteiligte Stadtteile befinden, zu durchbrechen. Besonders hervorgehoben wird, die endogenen Potenziale des Quartiers zu nutzen und die unterschiedlichen Probleme der einzelnen Gebiete zu berücksichtigen. Dafür ist gerade Beteiligung der lokalen Akteure wichtig. Ziel ist es, selbsttragende Strukturen zu schaffen. 12 Nach Döhne und Walter (1999: 2) sind dies insbesondere folgende Politikfelder: Wohnungswesen und Wohnungsbauförderung, Verkehr, Arbeits- und Ausbildungsförderung, Sicherheit, Frauen, Familien- und Jugendhilfe, Wirtschaft, Umwelt, Kultur und Freizeit. Man kann die Handlungsfelder auch aus den gebietsbezogenen Zielen s.o. ableiten. 10 Die o.g. Ziele werden mit Hilfe von Mehrzielprojekten erreicht, da die unterschiedlichen Ziele sich gegenseitig bedingen. Als Beispiel werden Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik mit der Aufwertung des Wohnumfeldes und der Stadterneuerung verknüpft. So pflegen und verschönern z.B. arbeitslose Jugendliche aus dem Stadtteil Schulhöfe, Grünanlagen oder Spielplätze (ILS 2001: 29). Diese Bündelung von öffentlichen und privaten Ressourcen findet nicht zuletzt aufgrund finanzieller Probleme der Kommunen und sonstigen staatlichen Trägern statt, davon wird sich eine Effizienzsteigerung der Maßnahmen mit möglichst geringen Kosten erhofft. (Döhne/ Walter 1999: 2) Der Anspruch einer integrierten Politik zur Armutsbekämpfung in Stadtteilen ist ziemlich hoch und stößt in der Praxis immer wieder an Grenzen. Die Verwaltungs- und Politikstrukturen sind teilweise zu langsam und reagieren nicht ausreichend flexibel. Machtpositionen wollen nicht aufgegeben werden, lange Abstimmungswege verzögern den Prozess oder man stößt an formale Zuständigkeitsgrenzen. Die integrierten Ansätze fordern einen hohen Koordinationsaufwand, sie sind extrem komplex und arbeitsintensiv. Zudem stehen nur eingeschränkte finanzielle Mittel zur Verfügung.13 Das können alles Gründe für Konflikte sein oder sogar zum Scheitern von Projekten führen. (Kürpick 1999: 53, 60) Die Reichweite von Sozialer Stadtentwicklung ist zeitlich, räumlich und thematisch begrenzt. Eine Realisierung findet häufig nur in Modellprojekten statt, die temporär begrenzt sind. Bislang sind es auch nur wenige ausgewiesene Stadtteile, die in den Genuss kommen, mit Hilfe Sozialer Stadtentwicklung gefördert zu werden. Die thematische Reichweite, die durch das integrierte Handlungskonzept erhofft wird, wird oft durch Zuständigkeitsfragen in den Verwaltungen erschwert. (Alisch 2002: 99) Es stellt sich die Frage, ob nicht auch wesentliche Teile der angestrebten Ziele und Handlungsansätze in nicht ausgewiesenen Stadtteilen funktionieren und umgesetzt werden. 3.3 Die Innovation: Stadtteilmanagement Stadtteilmanagement ist zu einem Modebegriff innerhalb der Sozialen Stadtentwicklung geworden. In Handlungsprogrammen ist es quasi ein Muss geworden, das Instrument Stadtteilmanagement zu benennen. Was damit genau gemeint ist, bleibt allerdings oft unklar, da der Begriff nicht klar definiert ist. Um es mit Wolfgang Hinte (2001) zu sagen: „Nicht überall, wo Stadtteilmanagement draufsteht, ist auch Stadtteilmanagement drin.“ (ebd.: 156). Nach Alisch (2001a) lassen sich die wesentlichen Handlungsprinzipien des Stadtteilmanagements [...] mit den Begriffen: „quartiersbezogen, prozesshaft und bewohnerorientiert“ (ebd.: 13) beschreiben. Wichtig ist, die endogenen Potenziale des Quartiers und der BewohnerInnen zu kennen und zu nutzen und Strategien danach auszuwählen, was machbar und milieugerecht ist. Stadtteilmanagement moderiert und unterstützt Aushandlungsprozesse von Interessengegensätzen und die Entwicklung von Projekten, vernetzt die lokalen Akteure untereinander und mit den verschiedenen Ebenen des öffentlichen Sektors, schafft Anreize, um bestehende Kooperationen zu schaffen oder weiter zu entwickeln und bietet die Chance, bisherige Beteiligungsverfahren von der rein angebotsorientierten Beteiligung an ‚von oben’ und ‚von außen’ gesteuerten Planungsprozessen hin zu einer kooperativen, eigenverantwortlichen Partizipation an den Entwicklungsprozessen zu entwickeln. (Alisch 2001a: 13) Hinte (2001) hebt vor allem die Entwicklung zum Stadtteilmanagement hervor. Stadtteilmanagement entstand als konsequente Fortführung der Gemeinwesenarbeit über die 13 Die Bündelung der finanziellen Mittel und die kostengünstige Umsetzung mancher Projekte durch Beteiligung der BewohnerInnen hat auch Grenzen. 11 stadtteilbezogene soziale Arbeit. Da erkannt wurde, dass „der enge Bereich des Sozialen nur ein Teilsegment ganzheitlicher Stadtteilarbeit darstellt“ (ebd.: 156), war die Entstehung des Instruments Stadtteilmanagement logische Weiterentwicklung. Inhaltlich skizziert er Stadtteilmanagement ähnlich: Auf der Seite des Wohnquartiers geht es darum, kollektive Aspekte individueller Betroffenheit zu organisieren, Menschen an einen Tisch zu bringen, Nachbarschaften zu stärken, lokale Potentiale zu mobilisieren – schlagwortartig gesagt: um Kommunikation, Ideenproduktion sowie Organisation von Menschen und Ressourcen. Auf der Seite von Politik, Verwaltung und Institutionen geht es darum, Ressourcen zu bündeln und nutzbar zu machen für die Arbeit im Stadtteil. (Hinte 2001: 157) Stadtteilmanagement agiert somit zwischen der Bürokratie (Verwaltung und Politik) und der Lebenswelt der Menschen als „intermediäre Instanz“ (Hinte 2001: 157). Alisch (2001a:14) betont zudem die ökonomische Dimension des Stadtteilmanagements. Die finanzielle Förderung sozialer Projekte durch den privaten Sektor gelingt z.B. in Form von SocialSponsoring und Social-Investment (vgl. Nerlich/ Kirchberg 2001). Als Kernfunktion des Stadtteilmanagements benennt Alisch abschließend die eines „Strukturen schaffenden Instruments“ mit dem Ziel „kleinräumig Rahmenbedingungen für sozial und ökonomisch nachhaltige Entwicklungsprozesse herzustellen“ (Alisch 2001b: 294). Die strukturschaffende Eigenschaft gliedert sich in vier Funktionen: - Kommunikations-, Koordinations-, Kooperationsfunktion - Mobilisierungsfunktion durch das Erschließen von Handlungsressourcen - Entlastungsfunktion durch Projektbegleitung - Stabilisierungsfunktion Stadtteilmanagement ist somit keine Daueraufgabe, sondern existiert nur solange bis sich selbsttragende Strukturen im Stadtteil herausgebildet haben. (ebd.: 296) 3.4 Akteure Alle Personen und Institutionen, die in irgendeiner Weise mit den Handlungsprogrammen in Verbindung stehen, von der Entwicklung vor Ort selbst betroffen sind oder auf den Verlauf und die Gestaltung einwirken können, sind Akteure. Folglich gibt es eine Reihe von Akteuren, die im Dreieck Staat, Markt und dem informellen Sektor angesiedelt sind. Dazu gehören: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. BewohnerInnen bzw. Bewohnergruppen, Gewerbetreibende, Kammern und Verbände, Wohnungsunternehmen, Grundeigentümer und deren Verbände, intermediäre Organisationen als Auftragnehmer der öffentlichen Verwaltung, lokale soziale und kultureller [sic!] Einrichtungen und Initiativen, Wohlfahrtsorganisationen, Sponsoren und Förderer, Forschungsinstitute, Bildungseinrichtungen, Schulen, lokale und zentrale Verwaltungsstellen unterschiedlicher Ressorts, Kommunal- und LandespolitikerInnen (Alisch 2002: 105) Die Aufgaben der Akteure des politisch-administrativen Systems liegen zum großen Teil darin, Fördermittel einzusetzen, staatliche Aktivitäten zu koordinieren, Projekte in den einzelnen Referaten zu unterstützen und zu vernetzen. Besondere Bedeutung erhält hier die horizontale (ressortübergreifende) und vertikale (ebenenübergreifende) Koordination, eine Aufgabe für die häufig (noch) die Strukturen wie z.B. ressortübergreifende Arbeitsgruppen 12 fehlen (Alisch 2002: 105,106). Die städtische Verwaltung hat somit eine herausragende Bedeutung im Stadtentwicklungsprozess. Als weiterer zentraler Akteur agieren die intermediären Instanzen im klassischen Wohlfahrtsdreieck zwischen Markt, Staat und informellem Bereich (private Haushalte). Ihre vordringlichste Aufgabe ist es, zwischen Politik und Verwaltung und den Interessen und Bedürfnissen vor Ort zu vermitteln. Die intermediären Instanzen organisieren das Stadtteilmanagement (vgl. Kap. 3.3). Die grundsätzlichen Aufgabenbereiche sind die BewohnerInnen zu aktivieren, Projekte anzuregen und zu begleiten, die Stadtteilkoordination (Vernetzung, Öffentlichkeitsarbeit) und die Verwaltung über die Handlungsprogramme (Einrichten von Stadtteilbüros, Konzeptfortschreibung etc.) zu betreiben. Im Mittelpunkt der Handlungsprogramme der Sozialen Stadtentwicklung steht die Aktivierung der BewohnerInnen als eigenständige Akteure. Bürgerbeteiligung ist ausdrücklich erwünscht und soll gefördert werden. Wie diese Form der Beteiligung aussehen soll, ist allerdings weit gesteckt. Mancherorts geht es in erster Linie darum, Informationen über den Stadtentwicklungsprozess weiterzugeben und anderenorts geht es um die Beteiligung an Planung und Umsetzung von Maßnahmen. Informationsaustausch ist lediglich die Grundlage für Beteiligung. (Alisch 2002: 111) Für die Verwaltung ist es oft nicht leicht, die Einschätzung und Wahrnehmung von Problemen und ihre Dringlichkeit von den BewohnerInnen als ‚Vor-Ort-ExpertInnen’ anzuerkennen (Herrmann 2001: 188-190). Das wird auch darin deutlich, dass die Mitspracheund Entscheidungsmöglichkeiten doch noch sehr begrenzt sind (Alisch 2002: 111). Daher wird wiederholt kritisiert, dass Bewohnerbeteiligung lediglich eine Alibifunktion hat (Herrmann 2001: 188). Außerdem soll man neue Formen der Beteiligung finden, da die gewohnten Formen sich an „klassischen bürgerlichen Mittelschichtstandards“ (Hinte 2001: 155) orientieren. Die privilegierte Mittelschicht hat in der Regel sowieso keine Probleme, ihre Interessen zu artikulieren und durchzusetzen. Veranstaltet man nun Runde Tische, geordnete Bürgerversammlungen oder Stadtteilkonferenzen, werden die ohnehin benachteiligten Bevölkerungsgruppen ausgegrenzt. Daher ist es besonders wichtig, nicht organisierte und artikulationsschwächere BewohnerInnen zu erreichen und von Anfang an in den Entwicklungsprozess zu integrieren. Dazu muss man die soziale Integration der BewohnerInnen in nachbarschaftliche Netzwerke stärken und unterstützen, denn „Bürger, die dazugehören, nehmen am sozialen und politischen Geschehen in der Nachbarschaft und der Gemeinde Anteil“ (Strohmeier 2001: 32). Die Identifikation mit dem Stadtteil sollte deshalb gestärkt werden. Einen zentralen Akteur der Sozialen Stadtentwicklung stellen die Wohnungsunternehmen dar. Sie sind die größten privaten Investoren. Im Programm „Soziale Stadt“ investieren sie zum Beispiel weit mehr als die staatliche Förderung (Becker u.a. 2002: 16). In der klassischen städtebaulichen Erneuerung nehmen die Wohnungsunternehmen die wichtigste Rolle ein: sie modernisieren ihren Wohnungsbestand und tragen zur Verbesserung der Wohnumfeldqualität auf ihren Grundstücken maßgeblich bei. Gerade in den Großsiedlungen, in denen den Wohnungsunternehmen ein Großteil der Wohnungen gehört, werden sie aktiv. Ihr Engagement ist zum Teil noch viel weitreichender: sie stellen HausmeisterInnen an, häufig Arbeitslose aus dem Stadtteil, zusätzlich beschäftigen sie SozialarbeiterInnen, initiieren Mietermitbestimmung, unterstützen kulturelle Aktivitäten finanziell oder stellen zur Einrichtung von Stadtteilbüros Wohnungen mietfrei zu Verfügung. (Becker u.a. 2002: 16, ILS 2001: 31,32) Die private Wirtschaft ist in erster Linie als finanzieller Förderer von Bedeutung, während die Funktionen von Wohlfahrtsverbänden und lokalen sozialen und kulturellen Einrichtungen und Initiativen vielfältig sind. Sie agieren z.B. in der Familien- und Jugendhilfe, der Gesundheitsförderung und im Aufbau von sozialen Netzwerken. 13 3.5 Das Beispiel: Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf Das Programm Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf ist 1993 in NordrheinWestfalen initiiert worden. Es ist das erste integrierte Handlungsprogramm in der BRD zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung und hat somit eine Vorreiterrolle. Anlass war der Wandel im Rhein-/Ruhrgebiet, der durch Wegfall von Industrie geprägt war. Dies führte zum Anstieg von Arbeitslosigkeit und Armut und gleichzeitig zum sozialen und baulichen Verfall von ganzen Stadtteilen. Stadtteile, „die in Hinblick auf ihre Sozialstruktur, den Wohnungsbestand, das Wohnumfeld sowie das Arbeitsplatzangebot einer besonderen Stabilisierung bedürfen“, werden gezielt gefördert (ILS 2001: 11). Derzeit ist das Handlungsprogramm in 35 Stadtteilen in 26 Städten implementiert. Dies sind einerseits altindustriell geprägte Stadtteile14, die in der Regel innenstadtnah gelegen sind und andererseits Großsiedlungen der 60er und 70er Jahre15, die häufig am Rand der Kernstädte liegen.16 Die Größe der Gebiete bezogen auf ihre Einwohnerzahl variiert stark. Die Einwohnerzahlen in den Programmgebieten reichen von unter 5.000 bis über 25.000.17 Etwa die Hälfte aller Stadtteile haben zwischen 10.000 bis 25.000 EinwohnerInnen, was in der Umsetzungsanalyse des ILS als zukünftiger Richtwert vorgeschlagen wird. (ILS 2001: 16,17) Für die Gebietsauswahl ausschlaggebend ist die Kumulation von sozialen und ökonomischen Problemen in einem Quartier (in der Regel ein Stadtteil). Allerdings gibt es nur selten eine umfangreiche Sozialberichterstattung, schon allein weil kleinräumige Daten fehlen. Häufig sind öffentlichkeitswirksame Ereignisse, wie Gewalt an Schulen (Hamm-Norden) oder die Silvesterkrawalle in Dortmund-Scharnhorst der Grund, sich der Probleme im Stadtteil anzunehmen. Auch die Einschätzung von ortskundigen ExpertInnen wie SozialarbeiterInnen und Wohnungsgesellschaften trägt zur Gebietsauswahl bei. Ein weiterer Grund für die Auswahl von Stadtteilen, die gefördert werden sollen, sind schon vorhandene Potenziale wie z.B. bürgerliches Engagement. (ILS 2001: 16f) Im Landesprogramm Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf werden die Ziele durch Handlungsfelder beschrieben: Arbeitsmarkt- und Strukturpolitik, Wirtschaftsförderung/ Lokale Ökonomie, Wohnungsbau, Stadterneuerung, Umwelt/ Ökologie, Soziale und kulturelle Infrastruktur/ Stadtteilzentren, Soziale Netze und kulturelle Aktivitäten, Integration/ Zusammenleben im Stadtteil, Schule im Stadtteil, Kinder und Jugendliche, Stadtteilbezogene Gesundheitsförderung/ Sport und Bewegung, Kriminalprävention im Stadtteil, Stadtteilmarketing, Image. Wesentlich an dem integrierten Handlungsansatz ist erstens der ganzheitliche Ansatz, also dass Handlungsfelder miteinander vernetzt werden und Probleme nicht isoliert betrachtet werden, zweitens ist die Beteiligung und Aktivierung der BewohnerInnen von entscheidender Bedeutung und drittens die Verknüpfung der horizontalen politischen Ebenen wie Stadtteil, Rat der Stadt und Landesregierung (MSKS 1998: 7). Die Entwicklung der Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf wird als Erfolg bezeichnet. Es geht darum, die zusätzliche Benachteiligung durch den Wohnort abzubauen. Gesamtgesellschaftlich bedarf es weiterer Veränderungen. Soziale Stadtentwicklung hat lediglich den Anspruch die individuellen Lebenslagen in den benachteiligten Stadtteilen zu verbessern. Aber trotz einiger Erfolge sind Anspruch und Wirklichkeit immer noch zweierlei. (Vgl. Alisch/ Dangschat 1998) Eine Kritik kann daran ansetzen, warum es nur so wenige Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf gibt und man muss schauen, wie sie sich verteilen. Strohmeier (2002: 59) 14 z.B.: Gelsenkirchen-Bismarck/ Schalke-Nord, Dortmund-Nordstadt, Essen-Altendorf. z.B.: Dortmund-Clarenberg, Köln-Chorweiler, Ratingen-West. 16 vgl. http://www.ils.nrw.de/netz/forum/landesprogramm.htm, zugegriffen am 16.01.2003. 17 Der Stadtteil Dortmund-Nordstadt hat sogar über 50.000 EinwohnerInnen (ILS 2001: 119). 15 14 kommt in seiner Ruhrgebietsstudie zu dem Ergebnis, dass allein im Ruhrgebiet „insgesamt also 190 Stadtteile mit faktisch besonderem Erneuerungsbedarf ausgemacht“ werden können. Hinzu kommt, dass in dieser Studie kreisangehörige Gemeinden als ein Stadtteil gelten, so dass kleinräumige Disparitäten dort gar nicht ausgemacht werden können. Auch können einzelne Stadtteile in sich sehr heterogen sein, so dass benachteiligte Gebiete statistisch nicht auffallen. (ebd.) Diesbezüglich ist auch auffällig, dass kreisangehörige Gemeinden seltener Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf haben. Insgesamt sind acht Städte, in denen das Handlungsprogramm implementiert wurde, kreisangehörig und von diesen Städten wiederum sind die Hälfte die Kreisstädte selber, haben also eine erheblich größere Bedeutung.18 Um in das Handlungsprogramm aufgenommen werden zu können, müssen die Städte verschiedene Leistungen erbringen. Anhand sozialstatistischer Daten muss eine offenkundige Benachteiligung nachgewiesen werden, die Städte müssen ein integriertes Handlungskonzept erarbeiten, welches durch den Rat der Stadt getragen wird und die Städte müssen vorhandene Organisationsstrukturen zur Umsetzung des Programms aufzeigen.19 Gerade kleinere, kreisangehörige Gemeinden aber verfügen nur über eine kleine Verwaltung, die bestimmte Dinge nicht leisten kann. So sind z.B. häufig Daten nicht in dem Maße verfügbar bzw. auswertbar wie sie für die Aufnahme in das Programm erforderlich wären. Kreisfreie Städte haben eigene statistische Ämter, kreisangehörige Gemeinden in der Regel nur eine Statistikstelle mit wenig Personal. Zudem können weitere Hindernisse aufgrund der Ausstattung der Verwaltung auftreten (weniger (ausgebildetes) Personal, weniger Geld...). Die Auswahl der Programmgebiete ist also selektiv, auch kommt es vor, dass Städte keine Förderung beantragen, da sie fürchten, dass Stadtteile so weiter stigmatisiert werden.20 Bspw. fürchten HauseigentümerInnen und die ansässige Wirtschaft aufgrund der Imageverschlechterung Verluste. Problematisch ist also zum einem die geringe Zahl an Programmgebieten und zum anderem die selektive Auswahl der Stadtteile. Hier stellt sich die Frage, ob Stadtteile, die nicht speziell gefördert werden, ebenso die Überlegungen zur Sozialen Stadtentwicklung in ihre lokale Politik einbeziehen oder ob Soziale Stadtentwicklung nur eine Theorie ist, die lediglich in wenigen Stadtteilen exemplarisch vorgeführt wird. 4 Wulfen-Barkenberg: Neue Stadt am Rande des Ruhrgebiets Als Neue Stadt Wulfen geplant und gebaut, bildet Wulfen-Barkenberg21 heute mit Alt-Wulfen den Dorstener Stadtteil Wulfen. Dorsten ist kreisangehörige Gemeinde im Kreis Recklinghausen. Wulfen zählt heute über 16.000 EinwohnerInnen, davon knapp über 11.000 in Barkenberg. Barkenberg liegt am nördlichen Rand des Ruhrgebiets. Der Slogan: „Tor zum Münsterland, Brücke zum Ruhrgebiet“ der Stadt Dorsten verdeutlicht die geographische Lage. Barkenberg und Alt-Wulfen sind durch die Bundesstraße 58 voneinander getrennt. In unmittelbarer Nähe liegt der Naturpark Hohe Mark. 18 Detmold, Recklinghausen, Bergheim und Düren sind die Kreisstädte; Dinslaken, Gladbeck, Ratingen und Monheim sind lediglich kreisangehörige Gemeinden. 19 Antwort auf eine E-Mailanfrage am 11.11.2002 von Klaus Austermann. 20 So handeln nach Auskunft von Klaus Peter Strohmeier die Städte Bochum und Mülheim/ Ruhr. 21 Die neue Siedlung des Stadtteils Wulfens trägt viele Namen: Neu-Wulfen oder Neue Stadt Wulfen wird in der Regel nur noch historisch gebraucht, üblicherweise wird heute die Bezeichnung Wulfen-Barkenberg oder nur Barkenberg verwendet. 15 Die Entfernung zu den Mittelzentren Dorsten und Marl beträgt 8 bzw. 10 km, die großen Städte im Ruhrgebiet Dortmund und Essen liegen beide etwa 30 km entfernt. 4.1 Entstehung der Neuen Stadt Die Neue Stadt Wulfen ist auf dem Reißbrett entstanden. Sie ist nicht lediglich eine neu gebaute monofunktionale Großsiedlung sondern eine neue Stadt.22 Stadtgründungen auf der ‚grünen Wiese’ gab es in der Bundesrepublik nach 1945 eher selten, man orientierte sich an den sehr häufig gebauten englischen New Towns. Neue Städte zeichnen sich durch eine gewisse Größe und Einwohnerzahl, durch zentrale Funktionen, wirtschaftliche und strukturelle Bedeutung und kommunalrechtliche Selbstständigkeit aus (Arbeit des Wissenschaftlichen Beirats 1961: 12). Ende der 50er Jahre entstand die Idee einer neuen Stadt in der nördlichen Zone des Ruhrgebiets. Man wollte der Zersiedlung des Ruhrgebiets wenigstens in den neu entstehenden Gebieten entgegenwirken und ein Abwandern von jüngerer Bevölkerung in andere Teile Deutschlands aufhalten. In Wulfen glaubte man Arbeitsplätze und Natur bieten zu können. Die Steinkohlebergwerke Mathias Stinnes AG planten in den 50er Jahren eine neue Großschachtanlage mit 8000 bis 9000 Arbeitsplätzen. Die Sozialforschungsstelle Dortmund errechnete einen Siedlungsbedarf von 53.000 Menschen, der bis zum Jahre 2015 erreicht werden sollte. (vgl. Ipsen/ Mackensen 1958) Die Entwicklungsgesellschaft Wulfen mbH als Träger der Stadtentwicklung schrieb 1961 international einen städtebaulichen Wettbewerb unter ziemlich klaren und detaillierten Vorgaben aus. Das Konzept des Büros Fritz Eggeling gewann den ersten Preis und wurde mit der städtebaulichen Planung beauftragt. (Wittwer 1980: 15) Nach der Erstellung des Flächennutzungsplans 1962, der Anfertigung des Gesamtaufbauplans 1963 und der Auslobung weiterer Wettbewerbe für den Wohnungsbau, konnte 1964 mit dem Bau begonnen werden. 1967 wurden die ersten Wohnungen bezogen. Mit der Bergbaukrise Anfang der sechziger Jahre war die Neugründung Wulfens schon ziemlich früh in Frage gestellt. Die Funktion Wulfens als Bergarbeiterstadt gerät in den Hintergrund und ihre Aufgabe als Entlastungsstadt wird mehr und mehr betont. (vgl. Tietzsch 1963) Mitte bis Ende der sechziger Jahre stellt sich heraus, dass weder der Bergbau genügend Arbeitsplätze zur Verfügung stellt noch, dass andere Unternehmen ihren Standort in Wulfen wählen, da die Verkehrsanbindung nicht ausreichend gegeben ist. Aber weiterhin halten die Beteiligten an dem Projekt fest, obwohl „die Neue Stadt Wulfen ihre raumplanerische Daseinsberechtigung Mitte der 1960er Jahre verloren“ (Seiter 2001: 77) hatte. 4.2 Städtebauliches Grundkonzept Die Planung der Neuen Stadt Wulfen zeichnete sich durch interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen SoziologInnen, VerkehrsplanerInnen, BiologInnen und LandschaftsarchitektInnen aus (Börner 2000: 326). Wulfen sollte eine Stadt mit bis zu 50.000 EinwohnerInnen im Jahr 2015 werden. Besonders prägend bei der Stadtplanung war die Suche nach Urbanität, es sollte sich „städtisches Leben und städtischer Geist entwickeln können“ (Rühl 1962: 3). Urbanität sollte über verschiedene Wege erreicht werden. Es wurde eine soziale Mischung der Bevölkerung mit möglichst vielen Berufsgruppen angestrebt, nicht zuletzt weil dadurch eine städtische Atmosphäre erzeugt werden könnte. Eine ausgewogene Sozialstruktur sollte erreicht werden, so eine Forderung 22 Als neue Städte in der Bundesrepublik nach 1945 entstanden nur Wulfen, Sennestadt, Hochdahl und Meckenheim-Merl (Seiter 2001: 4). 16 des soziologischen Gutachtens. Das soziologische Gutachten empfahl hierzu z.B. die Einrichtung von Arbeitsmöglichkeiten für junge Frauen, um die Heiratschancen der Bergleute zu erhöhen (Ipsen 1958: 8). Der Leitidee der sozialen Durchmischung folgt auch die Mischung der Wohn- und Bauformen. So entstanden Einfamilienhäuser, Eigentumswohnungen und Mietwohnungen in verschiedenen Größen und Preisklassen. Die räumliche Organisation sollte „ohne jeden Schematismus und jede Uniformität gestaltet werden“ (Zahn 1962: 10). Allerdings wurde versucht, die spezielle Situation der BergarbeiterInnen zu berücksichtigen, daher entstand überwiegend öffentlich geförderter Wohnungsbau mit qualitativ hochwertigen Wohnungen.23 Bezüglich der Dichte wird erst eine aufgelockerte Bebauung von 50 WE/ha angestrebt, die vom Zentrum zu den Siedlungsrändern abnimmt. Während der Realisierungsphase wird dieses Konzept allerdings zugunsten des Leitbildes der 60er Jahre aufgegeben, welches Urbanität durch Dichte verspricht. Es entsteht eine durchgrünte, verdichtete Siedlung mit bis zu 8-geschossigen Wohnhäusern. (Hafner u.a. 1998: 58) Ein neuer städtebaulicher Weg wird mit der Mischung von Funktionen gegangen. Arbeiten, Wohnen, Verkehr und Erholung sollen nicht mehr voneinander getrennt werden, eine Funktionsmischung gilt als Kennzeichen von Urbanität (Seiter 2001: 92, 93). Wichtig war die Schaffung eines Zentrums mit den infrastrukturellen Einrichtungen einer Mittelstadt. Neben dem Hauptzentrum, welches als Bindeglied zwischen Alt-Wulfen und Barkenberg fungieren soll, wurden mehrere Nebenzentren geplant. (Zahn 1962: 10,11) Für neue Städte typisch ist die fast vollständige Trennung von Auto- und Fußverkehr.24 Eine vierspurige Straße umringt das Hauptwohngebiet25, dazwischen werden die Wohngebiete wabenförmig durch kleinere Straßen strukturiert. Parkplätze und Tiefgaragen sind über gepflasterte Zufahrten zu erreichen. Aufgrund von Unterführungen und Brücken ist es für FußgängerInnen und RadfahrerInnen nicht nötig, Straßen zu überqueren. Aufenthalts- und Kommunikationsorte werden auf das Fuß- und Radwegenetz übertragen, überall entstehen kleine Plätze mit Bänken und Spielplätze. Die wiederentdeckte Bedeutung des öffentlichen Raums schlägt sich hier nieder. Weiter soll die Bebauung an die gegebene Topographie angepasst werden und sie betonen. Zudem soll die Neue Stadt Wulfen in die Umgebung integriert werden, dem Gedanken einer „Stadt-Landschaft“ (Eggeling 1962: 18) folgend. Zusätzlich wurden ökologische Sichtweisen mit in die Planung einbezogen, was für diese Zeit keineswegs selbstverständlich war. „Menschen, Tiere und Pflanzen sollen in der Neuen Stadt Wulfen optimale Lebensbedingungen finden und so zu einem gesunden und natürlichen Nebeneinander geführt werden“ (Entwicklungsgesellschaft Wulfen mbH 1968: 18). In der „Stadt ohne Schornstein“ (ebd.) wird „ernst gemacht mit dem blauen Himmel an der Ruhr“ (ebd.), denn Stromheizungen werden als ernstgemeinter Beitrag zum Umweltschutz verpflichtend. In erster Linie diente die Naturbezogenheit aber zur Verbesserung und Erhaltung der Lebensbedingungen der Menschen und nicht der Natur an sich (Seiter 2001: 109). Für den Wohnungsbau wurden weitere Wettbewerbe ausgelobt. In den 60er Jahren sah man in Hochhäusern Vorteile (Urbanität durch Dichte), so dass mehr 8-geschossige Häuser als eigentlich geplant entstanden. In der 2. Bauphase ab 1973 wird Barkenberg zum Experimentierfeld im Wohnungsbau. Auf Initiative von Bund und Land entstanden die Metastadt, das Habiflex und die Finnstadt. Ziel war es, die Wohnungen an die veränderten 23 Es gibt auffallend viele große Sozialwohnungen mit einer Wohnfläche von über 100 m², die Wohnungen haben einen hohen Komfort z.B. Abstellräume in den Wohnungen, relative große Balkone und ein separates WC ab einer bestimmten Größe (Hafner u.a. 1998: 60). 24 Dieses Verkehrssystem nennt sich Radburn-System nach der Stadt Radburn bei New York, die ab 1928 erbaut wurde. 25 Für die heutige Größe Wulfen-Barkenbergs ist die Straße völlig überdimensioniert und wird häufig als Rennstrecke benutzt, ein Rückbau wird zugunsten der Verkehrsicherheit gefordert (WAZ vom 24.05. 2002). 17 Bedürfnisse der BewohnerInnen auch nach der Fertigstellung anzupassen. Dies geschah zum Beispiel mit flexiblen, verstellbaren Wänden und einer gewissen Nutzungsneutralität. Hafner u.a. (1998) stellen Wulfen aufgrund dessen als „städtebauliches Museum“ (ebd.: 60) dar, wo sich „fast wie in ,Form von Jahresringen’ und eingebunden in ein städtebauliches Gesamtkonzept die Formensprachen des Sechziger- und Siebziger-Jahre-Wohnungsbaus ablesen lässt.“ (ebd.) 4.3 Weitere Entwicklung: die 80er Jahre Im Zuge der Gebietsreform 1975 wurde die Neue Stadt Wulfen gemeinsam mit Alt-Wulfen zu Dorsten eingemeindet, obwohl 90% der BewohnerInnen sich dagegen aussprachen (Börner 2000: 335). Der neue Stadtteil Wulfen hat zu dem Zeitpunkt knapp 14.000 EinwohnerInnen, Barkenberg davon alleine 7200. Die Zielvorstellungen über die Einwohnerzahlen sind zu dem Zeitpunkt auf 20.000 EinwohnerInnen zurückgenommen worden. Spätestens mit der Eingemeindung ist Wulfen eine „Großwohnsiedlung wie viele andere geworden“ (Weiss o.J.: 2). In den 80er Jahren ist eine Negativentwicklung Wulfens nicht mehr zu übersehen. Die wirtschaftliche Basis fehlte nicht nur aufgrund der ausbleibenden Weiterentwicklung der Zeche, sondern auch Gewerbe siedelte sich kaum in Wulfen an, da die verkehrliche Anbindung ungenügend war. Hinzu kam die allgemeine Strukturkrise, die im Ruhrgebiet stark ausgeprägt war. Von einem Wohnungsüberangebot Mitte der 80er war Wulfen besonders betroffen, 1984 standen 18% aller Mietwohnungen leer. Die Planungsfehler der 60er und 70er Jahre ließen sich in Wulfen ablesen und das Image in den Medien konnte schlechter nicht sein. Die WAZChronik des Ruhrgebiet 1985/86 urteilt über die Neue Stadt Wulfen: „Wer anderswo eine Wohnung finden kann, meidet die anonymen Wohnsilos dieser Trabantenstadt“ (zitiert nach Börner 2000: 333). Den Höhepunkt in diesem Abwärtstrend bestimmte der Abriss der Metastadt 1987. Aufgrund von Konstruktionsfehlern wurde die Bausubstanz undicht. Viele setzen den Abriss der Metastadt gleich mit dem Abriss der Neuen Stadt Wulfen.26 Margit Mölder schreibt bspw. in einem Diskussionspapier aus der Fakultät für Sozialwissenschaft in Bochum, dass die „ Neue Stadt Wulfen [...] 1987 bereits wieder abgerissen wurde“ (Mölder 1997: 8). Als endgültiges Scheitern kann schließlich der Rückzug des Landes NRW aus der Förderung und die Kommunalisierung der Entwicklungsgesellschaft 1985 gesehen werden. Dieses Scheitern ist auch vor dem Hintergrund der fordistischen Krise zu begreifen, denn die Basis des Projektes Neue Stadt Wulfen bildete die Mittel- und Arbeiterschicht, die heute nicht mehr in diesem Ausmaß existiert. Großsiedlungen sind in Deutschland in den 80er Jahren allgemein einer Imageverschlechterung ausgesetzt. Daher liegt die Entwicklung Barkenbergs im gesamtgesellschaftlichen Trend. 4.4 Aktuelle Entwicklungen im Lichte der Statistik 4.4.1 Sozialstruktur Tabelle 4.1: Übersicht über demographische und sozialräumliche Merkmale Einwohnerzahl 26 1 Barkenberg 11.032 Wulfen 16.551 Dorsten 81.919 In einem Ravensburger Ratespiel wird gefragt, welche Stadt abgerissen wurde. Als Antwort wird die Metastadt in Wulfen benannt (Börner 2000: 333). 18 Größe (qkm) Einwohnerdichte (EW/qkm) Arbeitslosenquote2 Sozialhilfedichte3 AusländerInnenanteil4 Anteil der Deutschen mit Migrationshintergrund5 Anteil der unter 18jährigen4 Anteil der über 63jährigen5 1 8,3*/ 2,99** 1329,16*/3689,63** o.A. o.A. 6,7 % 13,8 % 24,7 % 11,8 % 20,6 803,45 13,6 % 7,2 % 5,6 % 9,9 % 171 479,06 11,2 % 4,7 % 5,4 % 4,6 % 23,3 % 13,5 % 21,2 % 17,1 % Stand: 31.12.2002 2 Stand: Dezember 2002 3 Stand: 09.01.2003 4 Stand: 31.12.2000 5 Stand: 31.01.2003 *Gesamtfläche aller statistischen Bezirke Barkenbergs **Gesamtfläche, der statistischen Bezirke Barkenbergs, in denen sich die gesamte Bebauung befindet Datenbasis: Stadt Dorsten Heute wohnen 11.000 Menschen in Wulfen. Nach dem Bevölkerungseinbruch Anfang der 80er Jahre stiegen die Einwohnerzahlen wieder. Ob sich Barkenberg von seinem schlechten Image erholt hatte oder der Zuzug von sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen Grund für den Anstieg war, ist aus dem vorhandenem statistischen Material nicht abzuleiten. 1995 war allerdings ein vorläufiger Höhepunkt mit 12500 EinwohnerInnen erreicht, seitdem verlassen die Menschen wiederholt den Stadtteil. Jährlich ziehen durchschnittlich über 200 der BürgerInnen weg. Dies gilt jedoch nur für den neuen Teil von Wulfen, die Einwohnerzahlen in Alt-Wulfen steigen, allerdings nur minimal.27 Der Bevölkerungsrückgang in Barkenberg steht im Gegensatz zur Entwicklung von Dorsten und dem Kreis Recklinghausen, die ein positives Bevölkerungssaldo haben. Die an das Kernruhrgebiet angrenzenden Kreise, also auch der Kreis Recklinghausen, sind zur „Familienzone der Mittelschichten“ (Strohmeier 2002: 4) des Ruhrgebiets geworden. Junge, deutsche Familien ziehen aus den Städten des Ruhrgebiets ins Umland. Barkenberg kann aus dieser Suburbanisierung keine positive Bilanz ziehen. Während Dorsten in den letzen 20 Jahren (1982-2002) einen Bevölkerungsgewinn von gut 12% erzielt, verliert Barkenberg im selben Zeitraum über 3%28, gerade in den letzten fünf Jahren werden Bevölkerungsverluste deutlich. Abbildung 4.4: Einwohnerentwicklung 1977 bis 2002: Alt-Wulfen, Barkenberg und Dorsten im Vergleich (Index 100 = 1977) 27 Die Daten beruhen, wenn nicht anders angegeben, auf Auskünften der Statistikstelle (Barbara Altkemper) und des Jugendamtes der Stadt Dorsten (Joachim Gayk). 28 Erwähnt werden muss allerdings, dass Barkenberg bis 1982 noch erhebliche Zuwächse verzeichnen konnte und auch im Zeitraum zwischen 1985 und 1995 ließ sich ein Bevölkerungsgewinn feststellen. 19 Quelle: eigene Berechnungen; Datenbasis: Stadt Dorsten Kinder und Jugendliche sind in Wulfen-Barkenberg deutlich überrepräsentiert. Mit fast 25%29 hat Barkenberg den höchsten Anteil an Kindern und Jugendlichen, das heißt knapp 3000 BarkenbergInnen sind unter 18 Jahren. Die Quoten sind allerdings in ganz Dorsten hoch30, was die These der Abwanderung von jungen Familien aus dem Ruhrgebiet ins Umland unterstützt. Im Gebiet des KVR liegt der Anteil der Kinder und Jugendlichen im Vergleich lediglich bei 18,3% und auch im Kreis Recklinghausen liegt der Anteil mit 19,3% deutlich unter denen Barkenbergs und auch Dorstens.31 (KVR: 2003) Gleichzeitig hat Barkenberg von allen Dorstener Stadtteilen den niedrigsten Anteil an älteren Menschen32. Dies ist aber auch auf die geringe Anzahl an kleinen Wohnungen zurückzuführen, da die Neue Stadt Wulfen für Bergarbeiterfamilien geplant wurde. Die Ausländerquote ist im Gegensatz zum gesamten KVR gering. Lediglich 6,7%33 der Barkenberger Bevölkerung haben keinen deutschen Pass, im Ruhrgebiet (KVR) liegt die Ausländerquote bei 11%34, einzelne Städte wie Duisburg und Gelsenkirchen haben sogar einen Ausländeranteil von über 15% (KVR: 2003). Der Anteil von AsylbewerberInnen an der Bevölkerung liegt im Schnitt der Stadt Dorsten. In Barkenberg leben allerdings auffällig viele deutsche BürgerInnen mit Migrationshintergrund, insgesamt 13,8%. In der Gesamtstadt haben 4,6% erst als zweite Nationalität die Deutsche. Holsterhausen, der Dorstener Stadtteil mit dem zweithöchsten Anteil an Deutschen mit Migrationshintergrund, liegt mit 5,3% deutlich unter dem Barkenbergs. Die vorherige Nationalität dieser Personen war zu knapp 90% polnisch, 29 Stand 31.12.2000 Der Anteil der EinwohnerInnen, die unter 18 Jahre sind, beträgt in Dorsten 21,23%; 31.12.2000. 31 Stand 31.12.2001 32 63 Jahre und älter 33 Stand 31.12.2002 34 Stand 31.12.2001 30 20 russisch, sowjetisch oder kasachisch. Daraus kann man schließen, dass es sich um AussiedlerInnen handelt. Insbesondere bei jüngeren BarkenbergInnen ist der Anteil hoch. Aufgrund von Integrationsschwierigkeiten und Rassismus sind hohe Ausländer- bzw. Aussiedlerquoten ein Indikator für soziale Benachteiligung.35 In Barkenberg wohnen überdurchschnittlich viele benachteiligte Bevölkerungsgruppen. Neben dem hohen Aussiedleranteil gibt es auch hohe Anteile an Armen und Arbeitslosen. In Wulfen leben über 30%36 der SozialhilfeempfängerInnen der gesamten Stadt Dorsten, obwohl der Anteil der Wulfener BürgerInnen an der Gesamtbevölkerung Dorstens nur 20% ausmacht. Während in Dorsten insgesamt 4,7%37 der Bevölkerung von Sozialhilfe leben, ist Wulfen ‚Spitzenreiter’ mit 7,2%. 50% der Aufwendungen des Jugendamtes Dorsten fließen nach Barkenberg, obgleich nur 17% der Dorstener Jugendlichen in dem Ortsteil wohnen (WAZ vom 14.04.2001). Auch die Arbeitslosenquote38 ist in Wulfen überdurchschnittlich hoch, lediglich der Stadtteil Hervest hat eine geringfügig höhere Arbeitslosenquote. Mit 13,6% liegt Barkenberg auch deutlich über der Arbeitslosenquote des Ruhrgebiets, die zu dem Zeitpunkt 12,1%39 betrug. Alleinerziehende können meistens nicht oder nur sehr begrenzt arbeiten gehen, so dass sie häufig arm bzw. von Armut gefährdet sind. Als Indikator für Alleinerziehende könnte man die Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG) betrachten. In Wulfen erhalten 7,4% der EinwohnerInnen unter 11 Jahren entsprechende Leistungen. Das liegt klar über dem gesamtstädtischen Durchschnitt von 5,6%. Alle Sozialindikatoren für Barkenberg bzw. Wulfen, die verfügbar sind, liegen über dem Durchschnitt der gesamten Stadt Dorsten (vgl. Abbildung 4.5). In Wulfen sind mehr Menschen arbeitslos, beziehen mehr Menschen Sozialhilfe, leben überdurchschnittlich viele AussiedlerInnen und auch die Zahl der Alleinerziehenden ist höher als in anderen Stadtteilen Dorstens. Das heißt, dass sich in Barkenberg bzw. in Wulfen benachteiligte Bevölkerungsgruppen konzentrieren. Abbildung 4.5: Sozialindikatoren im städtischen Vergleich 35 Stand der Daten zu deutschen EinwohnerInnen mit Migrationshintergrund: 31.01.2003. Stand 09.01.2003 37 Stand 09.01.2003 38 Die Berechnungen zur Arbeitslosenquote sind von Herrn Gayk, Jugendhilfeplaner der Stadt Dorsten, durchgeführt worden. Die Erwerbspersonen hat er mit Hilfe der Bevölkerung zwischen 16-65 Jahre und dem Anteil an Erwerbstätigen, wie er in der Gesamtstadt vorliegt, berechnet; Stand Dezember 2002. 39 Stand 31.12.2002 36 21 Quelle: eigene Berechnungen; Datenbasis: Stadt Dorsten40 Die meisten bisher genannten Indikatoren beziehen sich auf den ganzen Stadtteil Wulfen. Es gibt in Barkenberg einerseits Viertel, in denen sich soziale Probleme bzw. benachteiligte Bevölkerungsgruppen konzentrieren. Andererseits sind auch große Teile Barkenbergs durch Einfamilienhaussiedlungen geprägt, so dass sich soziale Problemlagen zum Teil statistisch neutralisieren. Hafner u.a. (1998) beschreiben eine Dreiteilung des Stadtteils. Dieser besteht erstens aus dem gewachsenen, alten Ortsteil, Alt-Wulfen, der sich als eigenständig versteht und sich von Barkenberg abgrenzt, zweitens aus den Einfamilienhaussiedlungen der Besserverdienenden und drittens aus den Vierteln, die durch mehrgeschossige Wohnhäuser der 60er und 70er Jahre und durch eine hohe Konzentration von benachteiligten Bevölkerungsgruppen gekennzeichnet sind. (ebd.: 63) Gerade in den Vierteln Barkenbergs, die durch Geschoss-Wohnungsbau der 60er und 70er Jahre geprägt sind, fallen sowohl städtebauliche als auch soziale Probleme immer stärker auf. Die Hochhäuser sind oft sanierungsbedürftig: „zunehmend verfallende Fassaden, verwahrloste Hausflure und Aufzüge, beschädigte Glaseingangstüren, beschädigte Schellenanlagen sowie feuchte oder schimmelbefallene Wohnungen“ (Jugendamt der Stadt Dorsten 1996: 2) werden an einigen Wohnblocks beobachtet. Verschärfend hinzu kommt ein enormer Leerstand. Von den über 1350 Wohnungen der Landesentwicklungsgesellschaft (LEG) stehen gegenwärtig 130 Wohnungen leer, das ist eine Quote von 9,4%41 (WAZ 09.10.2002), eine Mieterfluktuation mit 13% bis 14% liegt über dem Durchschnitt der LEGObjekte (WAZ 07.08.2002). Auch andere Wohnungsgesellschaften klagen über hohe Leerstände und im Habiflex, einst hochgelobt, sind nur 12 der 50 Wohnungen bewohnt. Aufgrund der entspannten Lage auf dem Wohnungsmarkt ziehen vor allem die MieterInnen aus, die für Sozialwohnungen Fehlabgaben zahlen. Das führt zu einer sozialen Homogenisierung, also zur Konzentration von benachteiligten Bevölkerungsgruppen gerade in Großsiedlungen. In Barkenberg befinden sich ein Viertel der öffentlich geförderten Wohnungen Dorstens, was auch zu einer Konzentration von Personen mit geringem oder Transfereinkommen führt. Um die Leerstände auszugleichen, vermieteten die Wohnungsgesellschaften in den 90er Jahren massiv an AussiedlerInnen und bereits in den 70er und 80er Jahren trug die Belegungspolitik der Stadt Dorsten zur Entstehung von Vierteln bei, in denen sich benachteiligte Bevölkerungsgruppen konzentrieren (Börner 2000: 333; Hafner u.a. 1998: 63). Besonders betroffen sind einzelne Wohnblocks, z.B. an der Dimker Allee, am Himmelsberg und Am Wall. Aufgrund von hoher Fluktuation der MieterInnen und Verwahrlosung und Vandalismus erstellt das Jugendamt 1996 eine Untersuchung über die Wohnblocks der Dimker Allee.42 In den untersuchten Wohnblöcken ergibt sich ein Mieteranteil von 72,9% mit Migrationshintergrund, davon stammen 52,4% aus den ehemaligen GUS-Staaten. Über die Hälfte der Haushalte beziehen laufende Hilfe zum Lebensunterhalt (54,5%)43. U.a. berichtet 40 Ausländeranteil: Stand 31.12.2002; Deutsche mit Migrationshintergrund: Stand: 31.01.2003; UVG-Fälle: Stand 31.12.2002; Sozialhilfedichte: Stand 09.01.2003; Arbeitslosenquote: Stand Dezember 2002. 41 1997 standen nur 40 der Barkenberger LEG-Wohnungen leer (WAZ vom 28.10.1997). 42 Die Daten wurden manuell ausgezählt, da insbesondere ZuwanderInnen aus GUS-Staaten nach der Einbürgerung die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Ausgezählt wurden 8 ausgewählte Wohnblocks (Dimker Allee 35, 53, 55, 57, 59, 77, 79) mit 231 Mietparteien bzw. 796 Personen. (Jugendamt der Stadt Dorsten 1996: 2) 43 Das Einkommen der übrigen MieterInnen konnte nicht ermittelt werden. 22 die Studie von folgenden Problemlagen44: Vereinsamung, ‚Überfremdung’45, mangelnde gesellschaftliche Integration, Arbeitslosigkeit, empfundene Armut, Gewalt, Verwahrlosung von Haushalten, illegaler Drogen- und Waffenhandel, sexuelle Übergriffe, Alkoholismus, geringe Wohnqualität, etc. (Jugendamt der Stadt Dorsten 1996: 2ff.) 4.4.2 Infrastrukturelle Versorgung Durch ihre Planung als Neue Stadt hat Wulfen infrastrukturell eine bessere Ausstattung als andere Großsiedlungen. Im Hauptzentrum Barkenbergs, dem Wulfener Markt, der ursprünglich als Verbindungsstück zwischen der Neuen Stadt und Alt-Wulfen fungieren sollte, befinden sich die grundlegenden infrastrukturellen Einrichtungen. An einem großen Marktplatz befindet sich das Gemeinschaftshaus, in dem kulturelle und sonstige Veranstaltungen46 stattfinden können, ein Hallenbad, ein Ärzte- und Wohnhaus, eine Einkaufspassage mit Wohnungen in den oberen Geschossen und die Gesamtschule mit integrierter Stadtteilbibliothek. Direkt dahinter ist der künstlich angelegte See gelegen, der ursprünglich auch zum Schwimmen konzipiert wurde. Da die Neue Stadt nie fertig gebaut wurde, liegen diese Einrichtungen am Rande des Stadtteils. Weiter gibt es ein Nebenzentrum, die „Simcity“47, im dichter bebauten, nordöstlichen Teil Barkenbergs, wo es Arztpraxen, Geschäfte, Banken, eine Apotheke, Imbissbuden und eine Tankstelle gibt. Das Angebot an Bildungs- und Betreuungseinrichtungen erscheint angemessen, es existieren in dem gesamten Stadtteil Wulfen 8 Kindergärten, davon 5 in Barkenberg. Damit ist jedes Kind im Alter von 3-5 Jahren mit einem Platz versorgt. Weiterhin können SchulanfängerInnen zwischen zwei Grundschulen wählen; das LehrerInnen/ SchülerInnenVerhältnis ist besser als im gesamtstädtischen Durchschnitt.48 Ferner gibt es eine integrierte Gesamtschule mit öffentlicher Bibliothek und in Alt-Wulfen eine Haupt- und eine Sonderschule. Zwei Alten- und Pflegeheime sind vorhanden. (Stadt Dorsten 2002: 66-68,91) Zur Freizeitgestaltung gibt es die Möglichkeit, das Hallenbad aufzusuchen und an (kulturellen) Veranstaltungen im Gemeinschaftshaus teilzunehmen. Ferner gibt es viele Spielplätze49, fünf Freizeitheime und zahlreiche Sportflächen inklusive einer großen Freizeitsportanlage im Grünen. Hier stellt sich allerdings die Frage des Zustandes und somit der Nutzbarkeit, die ein statistischer Jahresbericht nicht beantworten kann. Positiv hervorzuheben ist an dieser Stelle noch das Fuß- und Radwegenetz mit integrierten (Spiel)plätzen, was auf der einen Seite Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung bietet und auf der anderen Seite vor dem Autoverkehr schützt. Die Mitgliedschaft in Vereinen liegt in etwa im gesamtstädtischen Durchschnitt. (ebd.: 77, 91) Nicht ausreichend ist auch die öffentliche Nahverkehrsanbindung. Zweimal pro Stunde verkehren Linienbusse nach Dorsten und Marl (bzw. Oer-Erkenschick) und einmal pro Stunde nach Haltern. Seit kurzem fahren auch Nachtexpresse aus Haltern und Dorsten-Mitte am Wochenende Barkenberg an. Die Möglichkeiten, andere Städte mit Bus und Bahn zu 44 Diese Problemlagen wurden zum Teil durch die Bezirksarbeit oder durch das Zutragen von Beobachtungen durch andere Institutionen und BürgerInnen bekannt, zum Teil basieren sie auf einer schriftlichen Umfrage unter den deutschsprachigen Haushalten in den o.g. Wohnblock. (Jugendamt der Stadt Dorsten: 3) 45 Dieses Wort wurde aus der Studie übernommen. Es ist m.E. rassistisch und wird rechtspopulistisch gebraucht. 46 Hier finden Spielzeug- und Kinderkleidermärkte, Mutter-Kind-Gruppen, Seniorentreffs etc. statt. Ob das Gemeinschaftshaus angenommen wird, kann hier nicht beurteilt werden. 47 Simcity ist die Bezeichnung der BarkenbergInnen für das Nebenzentrum, benannt nach dem Computerspiel, in dem man eine Stadt erbauen soll. 48 Auf 18,36 SchülerInnen der Grundschule kommt einE LehrerIn, in der gesamten Stadt Dorsten müssen sich 20,29 SchülerInnen einEn LehrerIn teilen (eigene Berechnungen nach Stadt Dorsten 2002: 68, Stand 31.12.2001). 49 Mit 35 Spielplätzen hat Wulfen mit Abstand die meisten Spielplätze der Stadtteile in Dorsten (Stadt Dorsten 2002: 91). 23 erreichen, sinken nach Geschäftsschluss erheblich, lediglich die Busse nach Marl und Dorsten fahren ab 20 Uhr noch einmal in der Stunde. Zudem sind häufig alte Busse unterwegs, in denen ein Kinderwagen keinen Platz findet und in denen RollstuhlfahrerInnen nicht befördert werden können. Der nächste Bahnhof mit Verbindungsmöglichkeiten nach Essen und Dortmund liegt in Dorsten. Obwohl sich die ÖPNV-Verbindungen in den letzten Jahren stetig verbessert haben, ist man in Barkenberg auf ein Auto angewiesen, um ausreichend unabhängig zu sein. Sich am Wochenende weiter als Dorsten und Marl zu bewegen, ist praktisch nicht möglich.50 Über drei Autobahnen51 im Radius von 8km, die zügig über Bundesstraßen zu erreichen sind, gelangt man nach Münster und in große Teile des Ruhrgebiets, wobei hier einzelne Städte wie z.B. Essen schlechter zu erreichen sind. 5 Barkenberg: Wie sehen die ExpertInnen den Stadtteil? 5.1 Methodische Vorgehensweise und Probleme Bisher habe ich die Situation Barkenbergs lediglich durch Daten vermittelt dargestellt. Ich konnte mit Hilfe der Sozialberichterstattung Einblicke in die Sozialstruktur und die infrastrukturelle Versorgung des Stadtteils und von einzelnen Quartieren geben. Für die weitere Analyse des Stadtteils und insbesondere der Strategien und Handlungsansätze zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung habe ich mit insgesamt neun StadtteilakteurInnen leitfadengestützte offene Experteninterviews geführt, sie bilden die hauptsächliche Grundlage der vorliegenden Stadtteilstudie. Den Expertenstatus haben die Personen aufgrund meines Forschungsinteresses erlangt, d.h. eine Person wird zur ExpertIn gemacht, weil wir wie auch immer begründet annehmen, dass diese Person über Wissen verfügt, das ihr zwar nicht unbedingt alleine verfügbar ist, das aber doch nicht jedermann bzw. jederfrau im interessierenden Handlungsfeld zugänglich ist. (Meuser/ Nagel 2002b: 259) Ich habe folglich wichtige Akteure aus dem Stadtteil interviewt. Orientiert habe ich mich an den Akteuren der Sozialen Stadtentwicklung (vgl. Kap. 3.4), die weitere Auswahl der Befragten erfolgte über das sogenannte Schneeballverfahren, so dass mir einzelne ExpertInnen andere empfahlen. Interviewt habe ich einen Sozialarbeiter des Allgemeinen Sozialen Dienstes des Jugendamtes, Joachim Thiehoff; jeweils einen Lehrer der Gesamt- und Hauptschule, Rainer Diebschlag und Volker Helfferich; die Vorsitzende des Bürgertreffs Dimker Allee e.V., Marion Werk; eine Sozialarbeiterin, die bei der Dorstener Arbeit52 arbeitslose Jugendliche berät und bei der Beratungsstelle für Wohnungsnotfälle arbeitet, Sigrid Gläser; den Barkenberger Bezirkspolizisten Manfred Flaß; Streetworker Pater Winfried Pauly und den Dorstener Bürgermeister Lambert Lütkenhorst. Als Pretest habe ich den Sozialarbeiter Andreas Winkelhorst, einen Mitarbeiter des erst Anfang dieses Jahres implementierten Sozialraumzentrums interviewt. Das Interview wird auch ausgewertet, allerdings unter Berücksichtigung der kurzen Zeit, die Herr Winkelhorst im Stadtteil arbeitet. Sieben der neun Befragten haben mindestens einen Fachhochschulabschluss. Alle sind institutionalisierte Akteure in der Stadtteilarbeit. Bis auf den Bürgermeister sind die Interviewten hauptsächlich im Stadtteil tätig, eine Ausweitung auf weitere Teile der Stadtoder Landespolitik wäre sicherlich interessant und in einer weiteren Studie zu 50 http://www.vrr.de, zugegriffen am 27.02.2003. A31: westliches Ruhrgebiet – Emden; A43: Wuppertal – Münster (über Bochum/ Recklinghausen); A52: Gelsenkirchen-Buer – Marl (A43). 52 Gemeinnützige Beschäftigungsgesellschaft 51 24 berücksichtigen. Der Bürgermeister ist als Person, die sich sehr engagiert für den Stadtteil zeigt, ausdrücklich empfohlen worden. Aufgrund der methodischen Definition von ExpertIn (s.o.) habe ich keine BewohnerInnen interviewt. In einer weiterführenden Studie sollten die Bewertungen und Einstellungen der BewohnerInnen – mit einer entsprechenden Methode - Berücksichtigung finden. Die befragten Personen sind zu einem großen Anteil männlich, obwohl ich mich bemüht habe, auch Frauen zu interviewen. Das liegt wohl daran, dass leitende Positionen weiterhin in der Regel in männlicher Hand sind. Die Anfragen verliefen in der Regel unproblematisch, die zu Befragenden reagierten meist mit freudigem Interesse. Lediglich bei einem Mitarbeiter der LEG entschied ich mich gegen ein Interview, da ich dessen „kostbare Zeit“ nicht stehlen wollte. Die Anfrage erfolgte in der Regel telefonisch, aber auch per E-Mail. Der Erhebungszeitraum war März/ April 2003. Die Dauer eines Interviews belief sich in der Regel auf 30 bis 60 Minuten. Besonders kurze Interviews fanden unter eingeschränkt verfügbarer Zeit statt.53 Ich habe mit einem offenen Leitfaden gearbeitet.54 Erstens interessiert mich lediglich ein Ausschnitt aus dem Wissen der befragten Person, das ich mit Hilfe eines Leitfaden abfragen konnte und zweitens sicherte der Leitfaden die thematische Vergleichbarkeit der Experteninterviews (Meuser/ Nagel 2002a: 77ff.). Der Schwerpunkt lag darauf, die Ausgangssituation im Stadtteil zu beschreiben – dies geschah ergänzend zu der statistischen Darstellung und die verschiedenen Handlungsansätze im Umgang mit Armut zu analysieren. Zudem interessierte mich die Einstellung der Befragten zu der Verantwortung der Stadtpolitik und ihre Wahrnehmung der gesamtgesellschaftlichen Ursachen von Armut und ihrer sozialräumlichen Konzentration. Bei der Auswertung orientierte ich mich an Meuser/ Nagel (2002a). Grundlage bildet die Methode der qualitativen Inhaltsanalyse (vgl. Mayring 1997). Das Ziel ist [...] im Vergleich mit den anderen ExpertInnentexten das ÜberindividuellGemeinsame herauszuarbeiten, Aussagen über Repräsentatives, über gemeinsam geteilte Wissensbestände, Relevanzstrukturen, Wirklichkeitskonstruktionen, Interpretationen und Deutungsmuster zu treffen. (Meuser/ Nagel 2002a: 80) Zuerst habe ich alle Interviews transkribiert, wobei ich auf aufwendige Notationssysteme verzichtet habe, da sie für die Auswertung ohne Interesse sind. Auch grammatisch unvollständige und unverständliche Sätze wurden zum besserem Verständnis geglättet. Anschließend habe ich die Interviews paraphrasiert und den entsprechenden Passagen Überschriften zugewiesen, um das umfangreiche Textmaterial zu verdichten. Die Paraphrase verlief selektiv. Exemplarisch wurden Zitate hinzugefügt. Die Reihenfolge des Textes wurde verändert, so dass das Material übersichtlicher wurde. Nachdem so die einzelnen Interviews behandelt wurden, kam es zu einer „Reduktion der Terminologie“ (Meuser/ Nagel 2002a: 86) und zu einer Zunahme der „Komplexität der Inhalte“ (ebd.). Erst zu diesem Zeitpunkt ging die Auswertung über das einzelne Interview hinaus. Aus allen Interviews wurden vergleichbare Textpassagen anhand der Überschriften ausgewählt und gegenübergestellt. Ich habe Kategorien gebildet, dabei wurden Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Widersprüche herausgearbeitet. Dieser Teil wird in dieser Arbeit bereits dokumentiert. (Kap. 5.2) Die Aussagen der ExpertInnen werden vergleichend und geordnet vorgestellt. Es geht hier allerdings nicht darum, die unterschiedlichen Ziele, Interessen und Motivationen der einzelnen Akteure gegeneinander zu diskutieren, da nicht von akteursspezifischen Unterschieden auszugehen ist, da die Akteure sich eher ähnlich sind. (Meuser/ Nagel 2002a: 83-88) Gleichzeitig zu der rein deskriptiven Komponente, werden die Inhalte soziologisch53 54 Dies war bei Siegrid Gläser und Lambert Lütkenhorst der Fall. Der Leitfaden befindet sich im Anhang. 25 hermeneutisch gedeutet. Das heißt, dass Aussagen nicht aufgrund von Alltagsverstand getroffen werden, sondern auf soziologischem Sonderwissen beruhen. (Soeffner 2000: 168) Die Absicht dahinter ist, „einen Anschluss der Interpretation an allgemeinere disziplinäre Diskussionen zu ermöglichen“ (Meuser/ Nagel 2002a: 88). Ich werde also bereits im folgendem Kapitel (vgl. Kap. 5.2) Aussagen der StadtteilexpertInnen in soziologische Terminologien übersetzen. In dem Resümee der Arbeit (vgl. Kap. 6) werde ich nochmals die wichtigsten Aussagen zusammenfassend vorstellen und interpretieren. Weiter werde ich versuchen die gewonnenen Erkenntnisse theoretisch zu generalisieren. Dies erfolgt losgelöst vom Interviewmaterial. In der qualitativen Forschung ist es üblich, verschiedene Methoden zu kombinieren. Ich habe zwar meinen Schwerpunkt auf die Methode der leitfadenorientierten Experteninterviews gelegt, die mit Hilfe der qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet wurden. Doch auch andere qualitative Methoden werden im Folgendem berücksichtigt. So werde ich auch Dokumente analysieren und Zeitungsartikel heranziehen. Vor allem bei der Beschreibung der Projekte im Stadtteil sind sie von Interesse. Auch die Beobachtungen, die ich während meiner Besuche im Stadtteil gemacht haben, fließen in die Studie ein. Zudem kenne ich den Stadtteil und zahlreiche BewohnerInnen einerseits seit mehreren Jahren persönlich und andererseits habe ich, seit ich mich zu dem Thema meiner Diplomarbeit entschieden habe, gezielt mit BewohnerInnen Barkenbergs und angrenzenden Stadtteilen und Städten diskutiert. Gerade auch durch meine langjährige Arbeit in der Verwaltung des Westfälischen Jugendhilfezentrums in Dorsten bekam ich Einblicke in die Entwicklung Barkenbergs. 5.2 Auswertung der Experteninterviews 5.2.1 Ausgangbedingungen im Stadtteil: Probleme und Potenziale Zu den Besonderheiten Barkenbergs zählt sicherlich seine Entstehungsgeschichte. Der Ortsteil ist nur vor diesem Hintergrund zu begreifen. Barkenberg hat keine Geschichte, es ist kein gewachsener Stadtteil. Alle BewohnerInnen wohnen frühestens seit den 60er Jahren in dem Stadtteil. „Das wirkt sich aus in allen Fragen des Lebens,“ beschreibt Joachim Thiehoff die Situation. So unterscheidet sich die Bebauungsweise von gewachsenen Ortsteilen, es gibt keinen Ortskern mit einer Kneipe, schildert eine Befragte. Auch gibt es keine mittelständischen Betriebe, wie Handwerksbetriebe, die sonst in einer gewachsenen Ortschaft ansässig sind. Als positiv werteten die Befragten, dass viele Leute sich für den Stadtteil engagieren, gerade am Anfang, was sie auf den Projektcharakter der Entstehung zurückführen. „Und wenn man etwas Neues hat, dann hat man auch Ambitionen, man hat Hoffnungen, man hat Wünsche und versucht, sie zu realisieren und ist sehr aktiv“ (Diebschlag). Der Ruf von Barkenberg ist sehr charakteristisch für den Ort. „Das Image ist ja in Barkenberg traditionell geteilt“ (Thiehoff). Alle Befragten, die sich dazu äußern, geben an, dass Barkenberg außerhalb einen extrem schlechten Ruf hat. Es finden sich Bezeichnungen von ‚Tal der fliegenden Messer’ über ‚Barackenberg’ bis hin zu ‚Klein-Chicago’. Gerade in Dorsten denken die Menschen katastrophal über Barkenberg, Volker Helfferich berichtet, dass ihn früher keine Dorstener SchulfreundInnen besuchen durften, „denn hier wurden alle umgebracht.“ Die BewohnerInnen Barkenbergs hingegen mögen ihren Stadtteil und wohnen gerne dort. Die BarkenbergerInnen unter den interviewten ExpertInnen, beeilen sich alle zu sagen, wie schön der Stadtteil ist und wie nett es sich dort leben lässt. Das positive Image seitens der Bewohnerschaft bezieht sich aber laut J. Thiehoff überwiegend auf die klassische Mittelschicht, die in Barkenberg ihr Eigenheim haben und außerhalb arbeiten. Das wird auch von Marion Werk bestätigt. 26 Die Stadtteilstruktur wird von den ExpertInnen als Schlafstadt oder Pendlerstadt charakterisiert. Die BewohnerInnen arbeiten auswärts, da es in Barkenberg selber kaum Arbeitsplätze gibt. Die Dienstleistungen, die in Barkenberg angeboten werden, decken lediglich das ab, was zum täglichen Leben gebraucht wird, wie Einkaufsmöglichkeiten und Ärzte. Auch in der Freizeitgestaltung ist das Pendeln sehr verbreitet. Polarisierung ist ein auffälliges Merkmal in vielen Bereichen Barkenbergs. Alle befragten StadtteilakteurInnen berichten von einer stark polarisierten Bevölkerungsstruktur, die sich zusätzlich in der städtebaulichen Struktur ablesen lässt. Einerseits berichten die ExpertInnen von „wunderschönen Wohngegenden“ (Pauly), das sind bürgerliche Einfamilienhausgebiete in den Außenbezirken, wo gutsituierte Leute wohnen. Im inneren Kern von Barkenberg gibt es andererseits Siedlungen des Geschosswohnungsbaus, die städtebaulich in einem schlechten Zustand sind und in denen sich benachteiligte Bevölkerungsgruppen konzentrieren. Dieser Bereich wird als „sozialer Brennpunkt“ beschrieben, ein Befragter spricht sogar von „Ghettobildung“. Die beiden Extreme existieren „krass nebeneinander“ (Pauly). Trotz der räumlichen Nähe der polarisierten Bevölkerungsgruppen, existiert im Alltag eine soziale Distanz. „Die Problembereiche sind gegenüber den anderen Bereichen ziemlich abgeschottet“ (Diebschlag). So gibt es z.B. nach Pater Paulys Aussage Kindergärten, in die fast 100% „verhaltensauffällige Kinder“ gehen und welche, in denen es nur Kinder aus der Mittelschicht gibt. Pater Pauly wundert sich, dass es „noch so ruhig ist im Stadtteil.“ Bei den problematischen Straßenzügen handelt es sich vor allem um die 7-8stöckigen Häuser der Dimker Allee, aber auch in der Barkenberger Allee und Am Wall treten vermehrt Probleme auf, „wo man nicht sagen kann, das ist ein Brennpunkt, aber es schwillt“ (Werk). Die Talaue gehörte früher zu benachteiligten Vierteln Barkenbergs, hat sich aber nach Aussage mehrerer befragter ExpertInnen deutlich verbessert. Die benachteiligten Quartiere zeichnen sich nach Aussage aller Befragter durch eine katastrophale Bausubstanz aus, in den Wohnungen schimmelt es, die Häuser sind stark verschmutzt und unzureichend isoliert. Hinzu kommen Vandalismusschäden. Auch das Wohnumfeld wird negativ geschildert. Diese Problematik wird durch einen erheblichen Leerstand und durch hohe Mieterfluktuation noch verschärft (vgl. Kap. 4.4.1). Dies führt dazu, dass dort nur die Menschen einziehen, die woanders keine Wohnung finden und die ausziehen, die die Möglichkeit haben. Im Ruhrgebiet ist der Wohnungsmarkt ziemlich entspannt, so dass lediglich ausgegrenzte Bevölkerungsgruppen Wohnraum in Barkenberg in Anspruch nehmen. Gerade Fehlbelegungsabgaben unterstützen auch die Abwanderung der Mittelschicht. Es ziehen vor allem Personen und Familien nach Barkenberg, die „eher zu einer Verschlechterung der Situation beitragen“ (Thiehoff). Die StadtteilakteurInnen berichten von einer Konzentration sozialer Benachteiligung, es gibt in diesen Siedlungen überdurchschnittlich viele AussiedlerInnen und AusländerInnen und auch die EmpfängerInnen von sozialen Leistungen sind stark überrepräsentiert. Diese Aussagen werden von den Daten der Stadt Dorsten verifiziert (vgl. Kap. 4.4.1). In diesen Hochhäusern fehlen Nachbarschaften, sie können sich aufgrund der kurzen Verweildauer gar nicht entwickeln und „es ist absolut anonym“ (Helfferich). Zudem sehen viele ExpertInnen in den verschiedenen Nationalitäten, die auf engem Raum zusammenwohnen, Konfliktpotenzial, „weil man sich gegenseitig nicht akzeptiert und auch ein Feindbild da aufgebaut hat“ (Werk). Die Kriminalitäts- und Drogenproblematik scheint nicht erheblich zu sein. Lediglich eine Person gibt erhöhte Kriminalitätsraten an, andere, wie auch der Polizist Manfred Flaß, sagen aus, dass es in Barkenberg nicht mehr Kriminalität gibt als in anderen Stadtteilen auch. Eine Drogenproblematik habe es früher einmal gegeben, aber das sei heute nicht mehr so drastisch. Als besonders prekär beschreiben alle Befragten die unzureichenden Angebote für Jugendliche. Es gibt weder eine Disko noch ein Kino vor Ort, auch existiert keine Kneipe oder sonst ein informeller Treffpunkt für Jugendliche. Diese Angebote können auch außerhalb 27 nur bedingt wahrgenommen werden, da die Busse abends nur noch selten fahren. Die Verkehrssituation des öffentlichen Nahverkehrs im Allgemeinen wird häufig kritisiert. Die Verkehrsanbindung vermindert auch die ohnehin schon schlechten Arbeitsmöglichkeiten. Ohne Auto ist es häufig nicht möglich, arbeiten zu gehen. Das betrifft gerade Frauen als Zweitverdienerinnen und Jugendliche, die ihren potenziellen Ausbildungsplatz vielleicht nicht erreichen können. Siegrid Gläser merkt an, dass es sich für Frauen, die zusätzlich ihre Kinder versorgen müssen und dadurch nur eine geringfügige Beschäftigung annehmen würden, nicht lohnt, arbeiten zu gehen, außerdem gäbe es erst seit kurzem Betreuungsangebote für Kinder in größerem Umfang. In Wulfen selber gibt es kaum Arbeitsplätze, was von vielen AkteurInnen als Problem beschrieben wird. Lediglich am Rand gibt es ein bisschen produzierendes Gewerbe, aber größere Industrieansiedlungen sind weiter entfernt wie der Chemiepark Hüls in Marl. Die Dorstener Arbeit, als zweiter Arbeitsmarkt, ist nach der Stadtverwaltung Siegrid Gläser zufolge der zweitgrößte Arbeitgeber. Sie berichtet auch, dass die wenigen mittelständischen Betriebe, die es gibt, Konkurs anmelden müssen. Die Zeche, für die Barkenberg schließlich gebaut wurde, konnte nie im erwarteten Umfang Arbeitsplätze schaffen und ist mittlerweile auch komplett stillgelegt. Pater Pauly bemängelt, dass dadurch nie eine Identität mit dem Stadtteil entstehen konnte. Die Arbeitslosigkeit wird von nahezu allen sich dazu geäußerten Interviewten als überdurchschnittlich hoch eingeschätzt, „die Arbeitslosigkeit ist sicher eines der größten Probleme in Barkenberg,“ urteilt Bürgermeister Lambert Lütkenhorst. Als weiteres ökonomisches Problemfeld, wäre der Einzelhandel auszumachen. Der Wulfener Markt ist „notleidend“ (Lütkenhorst), es stehen dort sehr viele Geschäfte leer und das Angebot ist gering. In Barkenberg gibt es folglich in allen Bereichen strukturelle Probleme. Unter städtebaulichen Gesichtpunkten ist die äußerst marode Bausubstanz der Geschossbauten zu nennen. Die ausschlaggebenden sozialen Probleme sind die „soziale Entmischung“ (Pauly) in bestimmten Siedlungen und die fehlenden Angebote für Jugendliche. Ökonomische Perspektiven können aufgrund fehlender Arbeitsmöglichkeiten nicht gesehen werden. In den benachteiligten Vierteln Barkenbergs besteht also eine Kopplung von sozialen, städtebaulichen und ökonomischen Problemen, die sich gegenseitig bedingen und verstärken. Dies führt zu einer Stigmatisierung des kompletten Stadtteils, was wiederum die vorhandenen Probleme verschärft. Das heißt Barkenberg ist einer Abwärtsspirale ausgesetzt, Armut verlängert und verfestigt sich. Durch den Raum wird also zusätzlich Benachteiligung erzeugt (vgl. Kap. 2). Im Großem und Ganzem nennen die ExpertInnen drei wichtige Potenziale. Städtebaulich wird das Fuß- und Radwegenetz gelobt, auch die Lage im Grünen zählen die meisten interviewten StadtteilakteurInnen als Potenzial auf. Aber vor allem betonen die Interviewten alle ein außerordentliches Engagement unter den BewohnerInnen und den verschiedenen Sozial- und Bildungseinrichtungen, welches mit einer guten Vernetzung zwischen ehrenamtlich und beruflich Tätigen einhergeht. Viele der befragten Personen geben das Fuß- und Radwegenetz als Potenzial an, da Kinder unbeaufsichtigt spielen können und „dann sehr selbstständig unterwegs [sind], weil eben der Verkehr keine Gefahr darstellt“ (Gläser). Die Lage im Grünen wird gerne gepriesen: „[W]enn wir uns aufs Fahrrad setzen, in fünf Minuten sind wir in der Hohen Mark, da sind wir raus,“ schwärmt Polizist Manfred Flaß. Joachim Thiehoff gibt allerdings zu bedenken, dass die grüne Lage lediglich die Mittelschichtfamilien nutzen. Die benachteiligten Familien „wohnen in einem Hochhaus und gucken aus dem siebten Stock tatsächlich in eine wunderschöne Landschaft. Nur ich bezweifle, dass die Familien die 500 Meter zum Wald tatsächlich finden oder gehen [...]. Das ist also eine Pseudodiskussion an der Stelle.“ Die Bereitschaft und das Engagement der verschiedenen Akteure im Stadtteil mitzuwirken, wird immer wieder hervorgehoben. Die Menschen sehen den „Stadtteil als Ganzes“ (Thiehoff), arbeiten sehr verantwortungsvoll und bringen enorme Fähigkeiten mit, berichten 28 die verschiedenen StadtteilakteurInnen. In diesem Zusammenhang wird gerade die ausgesprochen gute Zusammenarbeit und Vernetzung der Akteure hervorgehoben. „ [...] eine gute Zusammenarbeit ist immer ein Riesenpotenzial, so dass man hier etwas verändern kann“ (Helfferich). Allerdings wird von einigen befragten AkteurInnen hinzugefügt, dass die Anteilnahme am Stadtteilgeschehen in letzter Zeit abgenommen hat. Pater Pauly stellt in Frage, ob das Engagement der BürgerInnen ein Potenzial ist, „weil wahre Entscheidungen für die Umgestaltung eines Stadtteils woanders liegen,“ dieser Frage werde ich noch später bei der Beurteilung der Maßnahmen und der Verantwortung der Stadtpolitik nachgehen. Auch wenn keinEr der befragten StadtteilexpertInnen das so explizit sagt, kann man heraushören, dass das Engagement für den Stadtteil in aller Regel von Angehörigen der Mittelschicht ausgeht. Auch die Betrachtung der ehrenamtlich Tätigen unterstützt diese Aussage. Ökonomische Potenziale sind im Stadtteil nicht vorhanden, da sind sich alle ExpertInnen einig. 5.2.2 Strategien zur Bewältigung von Armut: Projekte und Akteure Was tun? Verschiedene Akteure wie Initiativen, BürgerInnen und die Stadtverwaltung haben sich der Probleme in Barkenberg angenommen. Einige Projekte und wichtige Akteure sollen jetzt vorgestellt werden. Eine vollständige Darstellung ist nicht möglich, da sehr viel zur Verbesserung der Lebenssituation und zur Stabilisierung der Situation in bestimmten Wohngebieten beiträgt, aber nicht alles erfasst werden kann. Es wird also kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben. Die Auswahl der Projekte wurde entsprechend der Aussagen der ExpertInnen getroffen. Zusätzlich werden aber Dokumente und Zeitungsberichte hinzugezogen. 5.2.2.1 Bürgertreff Dimker Allee e.V. Der Bürgertreff ist das wohl wichtigste Projekt, welches sich für die Verbesserung der Lebenssituation benachteiligter Bevölkerungsgruppen in Barkenberg einsetzt. Von allen befragten StadtteilexpertInnen wird der Bürgertreff zuerst genannt. Der Mieterbeirat gründete 1997 den Bürgertreff Dimker Allee e.V. Der Trägerverein setzt sich neben dem Mieterbeirat aus Matthäus- und Barkenbergschule, der ev. und kath. Kirche, dem Jugendamt der Stadt Dorsten, dem Caritasverband und dem Kinderschutzbund Dorsten zusammen (Stadt Dorsten 03.12.2002: 2). Joachim Thiehoff gibt an, dass sich der Verein ganz bewusst aus diesen unterschiedlichen Organisationen und Institutionen zusammensetzt, um „darüber das vorhandene Potenzial an Arbeitskraft und Arbeitszeit in dem Bürgertreff zu bündeln.“ Zweck des Vereins ist „die Förderung der Jugendhilfe und die Integration von Migranten sowie die Verbesserung der Informations- und Kommunikationsstruktur unter allen Bewohnern der Dimker Allee“ (Stadt Dorsten 03.12.2002: 1). Die Handlungsschwerpunkte sind demnach Jugendarbeit, Integration ausländischer BewohnerInnen und Förderung des Zusammenlebens. Ständige Angebote des Vereins sind laut Programmheft für das Jahr 2003: Hausaufgabenbetreuung, Spiel- und Freizeitangebote für Jugendliche, Kinder- und Frauengruppen, Deutschkurse, Beratung speziell für Jugendliche, Aussiedlerberatung und Sprechzeiten des Mieterbeirats. Im Keller befindet sich zusätzlich eine Fahrradwerkstatt. Seit Dezember 2002 bietet der Bürgertreff ein ehrenamtliches Beratungsangebot als erste Anlaufstelle für unterschiedliche Problemlagen an, eine ausgebildete Psychologin unterstützt die MitarbeiterInnen (Stadt Dorsten 06.12.2002). Anfang dieses Jahres wurde die erste bezahlte Stelle im Bürgertreff eingerichtet. Zwei Sozialarbeiterinnen bieten halbtags professionell Beratung für Menschen an, die bedroht sind, obdachlos zu werden (Bürgertreff 29 Dimker Allee e.V. 2003). Die Einrichtung der Beratungsstelle für Wohnungsnotfälle wird von vielen befragten StadtteilakteurInnen als Fortschritt bewertet. Mit dieser Stelle könnten neben der persönlichen Hilfe für die Betroffenen die Strukturen im Stadtteil verbessert werden, indem eine höhere Verweildauer in den Wohnungen erreicht wird. Nur dann könnten sich Nachbarschaften entwickeln. Folglich versucht man, die Bewohnerschaft im Stadtteil zu halten, „einfach, damit mehr Stabilität und mehr Identität in den Stadtteil kommt“ (Thiehoff). Diese Stelle fördert zu 80% das Land und jeweils 10% zahlen die beiden Wohnungsbaugesellschaften LEG und Dorstener Wohnungsgesellschaft. Neben den regelmäßigen Angeboten finden auch andere Projekte statt. Das jährliche Sommerfest, was gemeinsam mit der LEG veranstaltet wird, zieht etwa 400-500 Gäste an. Auch werden Ausflüge angeboten und der Bürgertreff ist Träger des Hüttenprojekts von Pater Pauly (s.u.). Ansonsten gibt es Informationsveranstaltungen, die sich an den Interessen der BewohnerInnen orientieren. Das sind Veranstaltungen zu Ernährungsfragen oder über den Aufbau des deutschen Schulsystems. Alle Angebote sind in der Regel kostenfrei. Zusätzlich ist der Bürgertreff einfach nur ein Treffpunkt, der für alle offen ist, was die soziale Infrastruktur dieser Gegend verbessert. Die BewohnerInnen sind in die aktive Arbeit eingebunden, „was ein ganz wichtiger Punkt im Konzept des Bürgertreffs war, denn der Bürgertreff ist eigentlich ein Projekt für die Menschen, aber auch mit den Menschen“ (Werk). Viele der Gruppen werden von BewohnerInnen geleitet. Es besteht ein enger Kontakt zu den einzelnen Gruppen, so dass Vorschläge und Anregungen an den Vorstand herangetragen werden, erzählt die Vorsitzende Marion Werk. Die organisatorische Tätigkeit wird allerdings nicht von BewohnerInnen durchgeführt. Marion Werk als Vorsitzende arbeitet rein ehrenamtlich. Sie ist in ihrer Funktion als Vorsitzende des Kinderschutzbundes dort tätig geworden. Die anderen Personen, die in der Leitung und Organisation involviert sind, machen dies in der Regel aufgrund ihrer beruflichen Position, da ihre Arbeitgeber Mitglieder des Trägervereins sind. Die Einbindung der BewohnerInnen wäre einigen Interviewten zufolge aber noch ausbaufähig, obwohl dies auch als schwierig eingeschätzt wird. Vor allem die Internationalität der Gruppen wird als positiv bewertet, weil – so schildern die beiden Vorsitzenden – die verschiedenen Nationalitäten sich besser kennen lernen können. Als Beispiel wird die Frauengruppe besonders hervorgehoben. Die Finanzierung des Vereins läuft zum großen Teil über Spenden, berichtet Marion Werk. Die Wohnung stellt die LEG zur Verfügung, sie trägt auch die Sachkosten und bezahlt Honorarkräfte, die für Sprachkurse benötigt werden. Eine Jugendgruppe wird von der Stadt bezahlt und die Hausaufgabenbetreuung finanziert der Kinderschutzbund. Alles andere läuft ehrenamtlich, aber – so folgert Marion Werk – anders wäre es auch nicht möglich. Der Bürgertreff wird allen Befragten zufolge gut angenommen. An der Basis lebt die inhaltliche Arbeit „natürlich letztendlich von Bewohnerinnen und Bewohnern“ (Thiehoff). Dadurch kann etwas verbessert werden, urteilt Volker Helfferich. Auch hat der Bürgertreff sowohl bei den StadtteilakteurInnen als auch auf der politischen Ebene der gesamten Stadt Dorsten mittlerweile eine hohe Akzeptanz gefunden. So ist er inzwischen auch ein „Sprachrohr für die Anliegen Barkenbergs und speziell für diese Siedlung“ (Thiehoff). Tabelle 5.1: Bürgertreff Dimker Allee. Eine Übersicht Bürgertreff Dimker Allee e.V., gegründet 1997 1. Vorsitzende: 2. Vorsitzender: Kassierer Vereinsmitglieder: EG Wohnung Dimker Allee 59 46286 Dorsten Marion Werk, Kinderschutzbund Volker Helfferich, Matthäusschule Udo Werk, Mieterbeirat • Matthäusschule • • Barkenbergschule • Jugendamt Stadt Dorsten Caritas 30 Aktivitäten: • • • • • • • • • • • • Ev. Kirchegemeinde Kath. Kirchengemeinde Kindergruppe Jugendgruppe Sprachkurse Hausaufgabenbetreuung Sportgruppe Frauengruppe Frühstückstreff – Treff ausländischer und deutscher Frauen Aussiedlerberatung Beratungsstelle für Wohnungsnotfälle Beratung speziell für Jugendliche • • • • • • • • • Kinderschutzbund Mieterbeirat Kontaktstelle (Beratung und Hilfe bei allen Problemen) Sprechstunde des Mieterbeirats Fahrradwerkstatt Tandem Abendliches Treffen ausländischer und deutscher Frauen Informationsveranstaltun gen zu verschiedenen Themen Sommerfest Ausflüge Quelle: Bürgertreff Dimker Allee e.V. 2002 5.2.2.2 Pater Pauly und seine Hütten Pater Winfried Pauly vom Redemptoristen-Orden ist seit zweieinhalb Jahren als Streetworker in Barkenberg tätig. Das Streetworkprojekt hat „benachteiligte, ausgegrenzte oder von Ausgrenzung bedrohte Jugendliche“ (Winfried Pauly 2002: 4) zur Zielgruppe. Im näherem Umkreis von Bottrop-Kirchhellen, wo sich das Jugendkloster der Redemptoristen befindet, wurde Barkenberg von Pater Pauly als Ortsteil ermittelt, in dem sich benachteiligte junge Menschen konzentrieren und somit Handlungsbedarf besteht. Das Streetworkprojekt vertritt einen sozialräumlichen Ansatz. Pater Pauly sucht die Jugendlichen an ihren Treffpunkten auf und bietet ihnen die Möglichkeit, sich zu gewissen Zeiten in einer Wohnung zu treffen, die er als Kontaktbüro eingerichtet hat. Die Wohnung wird von der LEG kostenlos zur Verfügung gestellt. Es geht vor allem um die Jugendlichen, die anerkannte Jugendeinrichtungen nicht aufsuchen. Bei seiner Arbeit sollen die „vorhandenen Cliquenstrukturen wahrgenommen und berücksichtigt werden“ (ebd.). Zu den einzelnen Angeboten des Streetworkprojekts in Wulfen-Barkenberg zählen: „Vermittlung zu den vorhandenen Jugendtreffs, Freizeitaktivitäten, Freizeitfahrten, Beratung und Krisenintervention, Seelsorge, Hilfestellung, Vermittlung von Hilfeangeboten, Stadtteilarbeit/ Gemeinwesenarbeit, Öffentlichkeitsarbeit zur Verbesserung von Information und zur Vermeidung von Ausgrenzung“ (ebd.). Die einzelnen Aktivitäten ergeben sich sehr spontan, erzählt Pater Pauly, gerade Spielen sei eine beliebte Freizeitbeschäftigung, deshalb hat er immer einen Rucksack mit verschiedenen Spielen wie Boccia, Jonglierbälle etc. dabei. Auf Grund dessen nannten ihn die Kinder und Jugendlichen zum Anfang den „Mann mit den Spielen“. Die Personalkosten für Pater Pauly trägt der Redemptoristen-Orden, erhofft sich aber eine Bezuschussung durch die Stadt Dorsten oder das Bistum Münster, die signalisieren aber ihr finanzielles Unvermögen. Weitere Kosten werden zum Teil durch Spenden abgedeckt. (Winfried Pauly 2002: 5) Das aktuellste Projekt ist das o.g. Hüttenprojekt. An Orten, die für Jugendliche gut zu erreichen sind und wo die AnwohnerInnen nicht gestört werden, wurden ‚überdachte Bänke’ aufgestellt. Die Hütten wurden von der Dorstener Arbeit im Rahmen einer Qualifizierungsmaßnahme für arbeitslose Jugendliche gefertigt. Die Finanzierung lief ausschließlich über Sponsoren. Für jede Bank sollen sich Jugendliche finden, die diese betreuen und sauber halten. Im Dezember wurden bereits fünf Hütten von Bürgermeister 31 Lambert Lütkenhorst eingeweiht.55 Dieses Projekt bezieht also auch neben der Jugendhilfe weitere Handlungsfelder mit ein, auch die Verbesserung der Wohnumfeldqualität, die Qualifizierung und Beschäftigung von Arbeitslosen und die Förderung des Zusammenlebens sind Bestandteil des Hüttenprojekts. Pater Paulys Streetworkarbeit und sein Hüttenprojekt wird von allen Befragten außerordentlich positiv bewertet. In der Bereitstellung von informellen Treffpunkten, die am Rande von Pater Pauly begleitet werden, sieht Joachim Thiehoff für die Jugendlichen die Möglichkeit „ein Stück Identifikation für sich zu bilden.“ Ein „vorbildliches Projekt“ so Rainer Diebschlag. Ohne Pater Pauly gäbe es für bestimmte Jugendliche keine Anlaufstelle. Die Hütten stellen ein Angebot für Jugendliche dar und sind deshalb positiv zu bewerten. Jedoch verdeutlichen sie auch die Situation der Jugendlichen. Es ist von Nöten, Einrichtungen zu schaffen, in denen nicht „nur“ auf der symbolischen Ebene etwas für Jugendliche getan werden kann, um den Jugendlichen eine Perspektive geben zu können. 5.2.2.3 Die Wulfen-Konferenz: Instanz der Vernetzung? Die Wulfen-Konferenz heißt offiziell „Fachtagung der Institutionen zur Vernetzung und Kooperation in Wulfen“. Sie wurde vor etwa vier Jahren wurde mit Hilfe der Universität Essen und dem Dorstener Prof. Werner Springer ins Leben gerufen. Im März 2003 fand die 17. Wulfen-Konferenz statt. Sie wird normalerweise zwei bis viermal im Jahr veranstaltet. Die verschiedenen Akteure des Stadtteils nehmen teil; es erscheinen meist etwa 40 Personen, darunter befinden sich LehrerInnen, PolizistInnen, Pater Pauly, SozialarbeiterInnen, Pastoren, VertreterInnen von Parteien, Angestellte bei der Stadt und der Bürgermeister. Auf der Wulfen-Konferenz werden Informationen ausgetauscht und wichtige Dinge, die den Stadtteil betreffen, diskutiert, erklärt Marion Werk. Joachim Thiehoff, der zum Sprechergremium der Wulfen-Konferenz gehört, ergänzt, dass man sich auch ohne spezielles Thema trifft, „weil es da auch ganz stark um die Beziehungen geht. Es sollen also auch durch die Stadtteilkonferenz die Beziehungen im Stadtteil gefördert werden. Und da ist eben das Sich-Unterhalten in der Pause genauso wichtig wie der Programmpunkt.“ Die WulfenKonferenz soll die Interessen des Stadtteils bündeln und auch für den Stadtteil sprechen können, so definiert Rainer Diebschlag ihre Aufgabe. Verschiedene Projekte wurden von der Wulfen-Konferenz ins Rollen gebracht, so sind z.B. die Kinder- und Jugendkulturwochen, „zwei echte Kinder der Wulfen-Konferenz“ (Diebschlag). Mittlerweile hat die Wulfen-Konferenz einen gewissen Einfluss erreicht und wird auch im politischen Bereich anerkannt, was sich z.B. daran zeigt, dass der Bürgermeister sie regelmäßig besucht. Fast alle befragten Stadtteilakteure beschreiben die Wulfen-Konferenz als Instanz der Vernetzung und als „Informationsbörse“ (Pauly). Joachim Thiehoff beschreibt die Wulfen-Konferenz als einen Ort wo Stadtteilmanagement stattfindet. Da es in Wulfen kein Stadtteilmanagement gibt, was alleine für die Vernetzung zuständig ist, beziehen „viele Leute aus dem Stadtteil Aspekte von Stadtteilmanagement in ihre Arbeit“ ein. Ein anderer wesentlicher Ort wäre der Bürgertreff. Zur erfolgreichen Vernetzung im Stadtteil trägt auch bei, so berichten einige der befragten ExpertInnen, dass sich die Akteure persönlich kennen und somit viele Dinge einfach und schnell besprochen werden können. Pater Pauly vermisst eine Instanz der Vernetzung und wünscht sich ein Stadtteilbüro, von dem er sich „auch einen verstärkten politischen Druck erwarten“ würde. Er beschreibt vor allem die fehlende Vernetzung zur Stadt, die von den anderen Befragten kaum bedacht wird. Sie reden lediglich von der Vernetzung im Stadtteil. Nur Joachim Thiehoff als Angestellter des Jugendamtes beschreibt die Vernetzung zur Stadt durch den ASD (Allgemeiner Sozialer Dienst) des Jugendamtes vor Ort. Ansonsten wird die Anteilnahme des Bürgermeisters an 55 http://www.dorsten.de/presse/Huettenprojekt.htm, zugegriffen am 01.01.2003. 32 Themen des Stadtteils positiv hervorgehoben, so dass durch Lambert Lütkenhorst als Person eine Vernetzung zur Verwaltungsspitze besteht. 5.2.2.4 Die zentralen Akteure Die Landesentwicklungsgesellschaft LEG Wohnungsgesellschaften gelten als wichtige Akteure in der Sozialen Stadtentwicklung (vgl. Kap. 3.4). In Barkenberg gehört der Landesentwicklungsgesellschaft (LEG) der größte Teil der Wohnungen. Daneben gibt es noch die Dorstener Wohnungsgesellschaft.56 Die LEG wird nur selten überhaupt als Akteur der Sozialen Stadtentwicklung bezeichnet. Von dem Sommerfest, was die LEG gemeinsam mit dem Bürgertreff organisiert, berichten allerdings viele der ExpertInnen. Einer befragten Person zufolge gibt es aber sonst nicht viele „Sachen, die nach außen dringen, das ist also in erster Linie das Sommerfest.“ Es wird beklagt, dass man die LEG immer wieder ansprechen müsste, ehe sie etwas tut. Auch auf der letzten Wulfen-Konferenz war keinE VertreterIn der LEG anwesend. Der Bezirksbeamte Manfred Flaß berichtet als einziges positiv: „Die LEG macht sich schon stark hier.“ Der Polizist bietet einmal pro Woche im Mieterbüro der LEG eine Sprechstunde an, allerdings mit relativ geringer Resonanz, bedauert er. Finanziell unterstützt die LEG – wie oben zum Teil schon dargestellt – verschiedene Projekte: Sie stellt sowohl dem Bürgertreff als auch Pater Pauly eine Wohnung zur Verfügung. Die Beratungsstelle für Wohnungsnotfälle wird zu je 10% von der LEG und der Dorstener Wohnungsgesellschaft getragen. Die Sachkosten des Bürgertreffs und die Sprachkurse zahlt die LEG. Aber sie ziehen sich aus dem „Sponsoring von anderen Sachen immer mehr zurück,“ beklagt sich ein befragter Experte. Es wird beanstandet, dass die LEG Sanierungen nicht im angekündigten Umfang nachkommt (WAZ 09.10.2002). Zusätzlich versucht die LEG mit billigen Einstandsmieten, leerstehenden Wohnraum zu vermieten. Mit dem Programm „Mieter werben Mieter“, welches MieterInnen, die neue BewohnerInnen anwerben, Geld- und Sachprämien verspricht, wird einerseits versucht, die Leerstände zu verringern und andererseits hat es den positiven Nebeneffekt, dass die BewohnerInnen sich schon kennen, was zu einer guten Nachbarschaft beiträgt (WAZ 09.10.2002). Der Effekt könnte aber genauso negativ beschrieben werden, da so die Konzentration benachteiligter Bevölkerungsgruppen gefördert wird. Die LEG deckt damit die Funktionen der Wohnungsgesellschaften ab, wie ich sie im Kapitel zu Akteuren Sozialen Stadtentwicklung beschrieben habe (vgl. Kap. 3.4). Sie sind also gerade als Investor interessant und ist für die klassische Stadterneuerung zuständig. Ihr Engagement geht aber anscheidend nicht über das Nötigste hinaus, was gerade in einem Ort, wo Einsatz und Verantwortung für den Stadtteil als eines der größten Potenziale gilt, auffällt. Die Schulen In Barkenberg gibt es eine integrierte Gesamtschule und zwei Grundschulen. Eine Hauptschule, eine Sonderschule und eine weitere Grundschule befinden sich zusätzlich in AltWulfen. Die Schulen spielen im Stadtteilleben eine bedeutende Rolle. Alle Schulen öffnen sich zum Stadtteil. „Also es ist hier nicht möglich in diesem Ortsteil, dass Schulen sozusagen die Tür zumachen und sich nicht um das kümmern, was hier passiert“ (Diebschlag). Auch die LehrerInnen müssen sich umdefinieren, erklärt Volker Helfferich, man sei gleichzeitig SozialarbeiterIn. Die Zusammenarbeit der Schulen mit anderen AkteurInnen und Institutionen aus dem Stadtteil wird von vielen ExpertInnen als außerordentlich gut geschildert und die Notwendigkeit wird gerade von den beiden Lehrern unterstrichen. Der Hauptschullehrer 56 Die folgenden Einschätzungen beziehen sich aber nur auf die LEG, da die Dorstener Wohnungsgesellschaft von keiner/ keinem befragten StadtteilakteurIn erwähnt wurde. 33 Volker Helfferich nennt es Eigennutz der Schulen, sich für den Stadtteil zu engagieren, weil dadurch die Arbeit mit den SchülerInnen angenehmer wird. Alle Schulen sind bei der WulfenKonferenz vertreten. Die Öffnung der Gesamtschule wurde mit einem vom Land geförderten Projekt unterstützt. Die Kirchen Auch die beiden großen Kirchengemeinden werden von vielen ExpertInnen als sehr engagiert beurteilt. Pater Pauly spricht von „deutliche[n] Impulsen zur Verbesserung des Stadtteils,“ Rainer Diebschlag nennt die Arbeit der Kirchen im Stadtteil „vorbildlich“. Er sei sogar wegen der sozialen Funktion, die die Kirchen in Barkenberg haben, wieder eingetreten. Die Kirche „wird zum Wohle des Stadtteils sehr genutzt.“ Von den Kirchen gehen eine Reihe Initiativen aus, so gibt es ab September eine Tafel, die Lebensmittel, die kurz vom Verfallsdatum stehen, günstig verkauft. Beide Kirchen sind Mitglied im Förderverein des Bürgertreffs. Dorstener Arbeit Die Dorstener Arbeit, eine gemeinnützige Beschäftigungsgesellschaft, taucht bei den befragten StadtteilexpertInnen eigentlich nicht auf; lediglich Frau Gläser, die ich dort interviewt habe, berichtet darüber. Trotzdem will ich noch kurz auf die Dorstener Arbeit eingehen, da sie sich auf das wichtige Handlungsfeld Qualifizierung und Beschäftigung bezieht und in vielen Projekten, die in Wulfen bestehen, involviert ist. Die Dorstener Arbeit gGmbH entwickelte sich aus der 1986 gegründeten Aktion Solidarität e.V. Gesellschafter sind der KAB57 Diözeseverband Münster, die Stadt Dorsten und die Aktion Solidarität e.V. Ihr Selbstverständnis formuliert sie wie folgt: Wir beraten, betreuen und fördern Erwerbslose. Wir bringen Arbeits- und Qualifizierungsangebote in Gang. Wir schaffen neue Arbeitsplätze und unterstützen neue Formen der Arbeit. Wir verstehen uns als Ergänzung zu bestehenden Einrichtungen, Verbänden und Initiativen – nicht als Konkurrenz. (Dorstener Arbeit) Die Dorstener Arbeit ist Frau Gläser zufolge nach der Stadtverwaltung der zweitgrößte Arbeitgeber in Dorsten. Ansässig ist sie in Alt-Wulfen. Sofern Arbeitskräfte bei den verschiedenen Projekten der Sozialen Stadtentwicklung benötigt wurden, stellte die Dorstener Arbeit sie zur Verfügung. Mit dem Projekt Wulfen-Fonds wird versucht, insbesondere Menschen, die in Wulfen wohnen und arbeitslos sind, zu fördern. Der Bau der Hütten von Pater Pauly erfolgte über Beschäftigte der Dorstener Arbeit, der arbeitsmarktpolitische Träger für die Schulhofgestaltung zur Öffnung der Gesamtschule ist die Beschäftigungsgesellschaft. Auch die LEG kooperiert bei der Sanierung und Instandsetzung ihrer Häuser mit der Dorstener Arbeit. 5.2.2.5 Weitere Projekte und Akteure Es existieren noch weitere Projekte und Akteure, die ich hier nur kurz vorstellen werde. Der Allgemeine Soziale Dienst (ASD) des Jugendamtes spielt eine wichtige Rolle im Stadtteil. Er ist auch der Ansprechpartner für die Wulfen-Konferenz. Der Teamleiter des Sozialraumteams, Joachim Thiehoff, der auch von mir interviewt wurde, ist eine bekannte Person im Stadtteil. Er hat sich eingehend mit der Theorie zur Sozialen Stadtentwicklung befasst, so dass er sich diesbezüglich viel für den Stadtteil einsetzt und geschätzt wird. Das Modellprojekt „Sozialraumzentrum Wulfen“ steckt noch in den Kinderschuhen’, da es erst am 01.Januar 2003 seine Arbeit aufnahm. Mit diesem Projekt wird die ambulante Jugendhilfe trägerübergreifend vor Ort gebündelt. Man will nicht mehr nur einzelfallorientiert helfen, sondern „lebensweltlich und sozialräumlich orientierte Hilfen“ (Stadt Dorsten u.a. 57 Katholische Arbeitnehmerbewegung 34 2002: 1) anbieten, man will vorhandene Ressourcen besser nutzen. Andreas Winkelhorst, Teamleiter des Sozialraumzentrums, formuliert: „Idealtypisch gesehen soll es so sein, dass wir uns überflüssig machen.“ Die Kinder- und Jugendkulturwochen sind von wesentlicher Bedeutung. Die Idee entstand auf der Wulfen-Konferenz. Jedes Jahr findet eine Kinderkulturwoche und im Anschluss eine Jugendkulturwoche statt. Gerade die Kinderkulturwoche, die dieses Jahr ‚Lesen’ zum Thema hat, wird stark frequentiert, berichten viele ExpertInnen. An die Jugendkulturwoche, die dieses Jahr aufgrund von Geldmangel nur zwei Tage stattfindet, ist die Big Party angegliedert. Dies ist eine Stadtteildisko im großen Rahmen, wo etwa 400-500 Jugendliche teilnehmen. Sowohl die Kinder- als auch die Jugendkulturwochen finanzieren sich über Spenden und Einzelzuwendungen diverser Organisationen. Viele der Befragten schildern die Vereine, insbesondere Sportvereine, als sehr engagiert. Sie würden sich auch gerade für die Belange der sozial Benachteiligten einsetzen. Auch das Gemeinschaftshaus sei sehr engagiert und trage viel zum Stadtteilleben bei. Die Bedeutung der Parteien hat in der letzten Zeit deutlich abgenommen, „in vielen Bereichen fast bedeutungslos geworden,“ berichtet SPD-Mitglied Rainer Diebschlag. In der Entstehungsphase Wulfens waren sie eine wichtiger Akteur der Stadtentwicklung. 5.2.2.6 Bürgerbeteiligung Bürgerbeteiligung steht „im Mittelpunkt der Handlungsprogramme der Sozialen Stadtentwicklung“ – schreibe ich weiter oben (vgl. Kap. 3.4). Doch wie sieht das in Barkenberg aus, einem Stadtteil, welcher nicht Teilnehmer eines offiziellen Förderprogramms ist? Die befragten StadtteilakteurInnen reagieren sehr unterschiedlich auf die Frage der Bewohnerbeteiligung bzw. -aktivierung. Von sich aus nennt niemand die BewohnerInnen als Akteure, die an der Stadtteilentwicklung mitwirken. Der Bürgermeister führt ab und zu Bürgerversammlungen durch, die beziehen sich aber auf konkrete Themen wie die Umstellung der Energieversorgung. Zur Wulfen-Konferenz gehen auch interessierte BewohnerInnen, so Bürgertreff-Vorsitzende Marion Werk, aber kritisch fügt sie hinzu, dass es nicht die BewohnerInnen aus den benachteiligten Bereichen sind, da sie die Thematik erst mal nicht als wichtig erachten. Es sei stark schichtabhängig. Joachim Thiehoff aus dem Sprechergremium der Wulfen-Konferenz erklärt, dass diese Stadteilkonferenz nicht für BewohnerInnen konzipiert sei, man könne nicht alles auf einmal machen. Die Interessen und Vorlieben der Menschen im Stadtteil werden in der normalen (sozialen) Arbeit erfragt. Das beurteilen die Befragten als wichtig. Es gibt aber diesbezüglich keine strukturierte Form, die gewonnenen Erkenntnisse zu nutzen. Eine vom Bürgertreff ausgehende Befragung der BewohnerInnen nach ihren Wünschen und Vorlieben und ein Versuch, sie an Entscheidungen zu beteiligen, misslang aufgrund der geringen Resonanz, schildert Siegrid Gläser. Im Jugendbereich wird jährlich ein Jugendhearing veranstaltet, die Beteiligung ist aber Volker Helfferich zufolge nicht sehr gut. Er kritisiert, dass die Jugendlichen aber auch nicht die Möglichkeit haben, Druck auszuüben. Pater Pauly gibt zusätzlich zu bedenken, dass Befragungen eine gewisse Erwartungshaltung erzeugen, der man auch nachkommen muss. Eine Umsetzung der Forderungen sieht er in Barkenberg aufgrund fehlender finanzieller Mittel und unzureichender Möglichkeiten, politisch Druck auszuüben, aber nicht und folgert „warum soll man groß fragen, wenn eh kaum was kommt.“ Der Bürgermeister erachtet die Bürgeraktivierung als sehr wichtig, BewohnerInnen müssen mit zur Verbesserung des Stadtteils beitragen. Dabei sei Identifikation mit dem Stadtteil sehr wichtig. 35 Im Bürgertreff arbeiten BewohnerInnen aktiv an einzelnen sozialen Projekten mit. Auch im Hüttenprojekt Pater Paulys sollen BewohnerInnen Verantwortung übernehmen (vgl. Kap. 5.2.2.1.; 5.2.2.2.). BewohnerInnen werden in konkrete Aktivitäten im Stadtteil eingebunden, aber sie haben keine Möglichkeit an Entscheidungen, die den Stadtteil und seine Entwicklung betreffen, mitzuwirken. Bürgerbeteiligung und -aktivierung wäre auf jeden Fall ein Bereich der auszubauen wäre. Hier gibt es sicherlich eine Reihe von Potenzialen, da die Bereitschaft zur Mitarbeit unter den BewohnerInnen von vielen sehr hoch eingeschätzt wird, zumindest sofern es sich um Angehörige der klassischen Mittelschicht handelt. Die Aktivierung und Beteiligung von BürgerInnen findet zu wenig statt und es wird sich zu wenig damit auseinandergesetzt. 5.2.2.7 Bewertung: Grenzen und Chancen Die verschiedenen sozialen Projekte werden von den ExpertInnen in der Regel sehr positiv bewertet. Sie gelten als erfolgreich und innovativ. Der Bürgertreff oder die Arbeit von Pater Pauly werden von allen befragten StadtteilexpertInnen hoch gelobt. Auch die anderen Projekte wie die Wulfen-Konferenz oder die Kinder- und Jugendkulturwochen und die verschiedenen Akteure im Stadtteil finden breite Anerkennung. Die befragten Personen betonen ebenfalls immer wieder die gut funktionierende Kooperation der einzelnen Akteure vor Ort und in den unterschiedlichen Projekten. Im Grunde genommen sind sich die Befragten über das Problem einig. Mit sozialer Arbeit kann man nur „Pflästerchen kleben“ (Lütkenhorst), man muss aber „das Übel an der Wurzel ausreißen“ (Helfferich). Man kann zwar in alltäglichen Bereichen die Lebenssituation von benachteiligten Menschen verbessern, aber eigentlich arrangiert man sich nur mit den Problemen, man betreibt „Feuerwehrarbeit“ (Diebschlag). Im Stadtteil müsste strukturell etwas verändert werden. Die Aussagen der Interviewten beziehen sich hier sowohl auf die ökonomische Struktur als auch auf die städtebauliche und die soziale Struktur. Strukturen verändern heißt, Arbeitsplätze zu schaffen, den Einzelhandel zu verbessern und die Gebäudesituation neu zu überdenken, denn viele sehen nur im Abriss oder Rückbau bestimmter Hochhäuser eine Perspektive, eine heterogenere Mieterstruktur zu bewirken und die Verweildauer in den Wohnungen zu erhöhen, damit Nachbarschaften entstehen können. Diese Aufgabe kann aber von der sozialen Arbeit nicht wahrgenommen werden, hier trägt die Politik die Verantwortung (vgl. dazu weiterführend Kap. 5.2.3). Zusätzlich wird auf finanzielle Grenzen hingewiesen. Viele Dinge können nicht verwirklicht werden oder fallen erheblich geringer aus, weil Geld fehlt. Pater Pauly führt die gesamtgesellschaftliche Entwicklung als Problem für die Entwicklung Barkenbergs an. Die Schere zwischen arm und reich geht insgesamt weiter auseinander, das wirkt sich auch in Barkenberg aus, so dass damit stadtteilbezogenen Projekten deutliche Grenzen gesetzt sind. Insgesamt ist die Beurteilung der Aktivitäten durch die Personen, die sie initiieren und gestalten, problematisch. Gerade die Arbeit, die ehrenamtlich getan wird, findet auch nur statt, wenn sie als richtig und wichtig erachtet wird. Die Verantwortung für Dinge, die nicht funktionieren, wird auch schnell abgegeben und die Grenzen der eigenen Arbeit werden betont. Hier müsste man andere Methoden anwenden, wie zum Beispiel teilnehmende Beobachtung oder man müsste BewohnerInnen über ihre Einschätzungen und Kritik zu Wort kommen lassen. Nur dann könnte man die Wirkungen solcher Projekte untersuchen. 5.2.3 Stadtpolitik 5.2.3.1 Zur Entstehung benachteiligter Quartiere Nach Aussage nahezu aller befragten ExpertInnen hat sowohl die Politik der Stadt als auch die Politik der Wohnungsgesellschaften in der Vergangenheit zu einer Verschlechterung der Problematik beigetragen. Der Wohnungsleerstand, der immer wieder ein Problem in der 36 Geschichte Barkenbergs war, führte zu Einquartierung benachteiligter Bevölkerungsgruppen. Die Wohnungsbaugesellschaften wollten ihre Wohnungen belegen, um die Miete zu bekommen und die Stadt, das Sozialamt, nutzte den billigen Wohnraum für die Leute, für deren Miete sie aufkommen muss. Dadurch kam es zu einer Konzentration sozial Benachteiligter. Verschärfend hinzu kommt, dass sich in Barkenberg auch überdurchschnittlich viele öffentlich geförderte Wohnungen befinden (vgl. Kap. 4.1). Stadt und Wohnungsbaugesellschaft [...] hatten natürlich beide ein Interesse: Die Stadt wollte die Menschen in Wohnungen bringen und die Wohnungsbaugesellschaften wussten, sie kriegen ihre Miete. Nur, dass man das so konzentriert machte, das war der große Fehler. (xxx) Die Wohnungsbaugesellschaften werben noch heute im Ruhrgebiet mit billigem Wohnraum in Barkenberg, daher „ziehen auch immer Familien aus dem Ruhrgebiet nach Barkenberg, die eben auch starke soziale Belastungen mitbringen“ (xxx). Ein anderer Befragter formuliert die Kritik an den Wohnungsbaugesellschaften noch schärfer: „Es entsteht der Eindruck, die Substanz war da und sie wird noch ausgemolken, so lange es geht, man investiert nicht wirklich mehr.“ Eine weitere Person beschreibt, dass wiederholt die selben Fehler begangen wurden. Vor vielen Jahren wurden Obdachlose aus einer aufgelösten Notunterkunft in Essen ohne Begleitung in der Talaue untergebracht. Nachdem dort die Probleme gelöst worden sind, quartierte man AussiedlerInnen konzentriert in der Dimker Allee ein. Das ist „für viele Leute nicht nachvollziehbar. Einmal ist das Problem gelöst worden, warum baute man sich hier das nächste. Das kann also kein Mensch verstehen, aber das ist Politik.“ Gerade für die Vergangenheit wird der Politik der Stadt Dorsten vorgeworfen, dass sie Barkenberg vernachlässigte oder „stiefmütterlich“ (xxx) behandelte. Hierfür wird zum einem die geographische Entfernung zur Stadtmitte verantwortlich gemacht, zum anderen wird berichtet, dass die Dorstener Barkenberg als privilegierten Stadtteil ansehen, den man deswegen nicht weiter unterstützen dürfe. Hier zeigt sich, dass nicht nur die Eigenschaften der Quartiere selbst zum Entstehen von Benachteiligung beitragen, sondern auch die Handlungen, Entscheidungen und Vorlieben der beteiligten Akteure eine Rolle im Segregationsprozess spielen. Das Sozialamt weist Wohnungen zu, die Wohnungsgesellschaften werben für ihre Wohnungen, um ihre Miete zu bekommen. Hinzu kommt in Barkenberg noch eine ‚besondere’ Beziehung der Stadt zum Stadtteil. Die Verteilung der Sozialwohnungen über das Dorstener Stadtgebiet ist auch sehr ungleichmäßig, etwa ein Viertel der öffentlich geförderten Wohnungen liegen in Barkenberg. Die ExpertInnen berichten davon, dass verschiedene Bevölkerungsgruppen gezielt nach Barkenberg ziehen, weil dort schon FreundInnen und Verwandte wohnen. So suchen sich viele AussiedlerInnen in Barkenberg eine Wohnung, weil dort schon viele Menschen wohnen, die sie kennen und deren Sprache sie sprechen. Andersherum wird beschrieben, dass Zugehörige der deutschen Mittelschicht aus den Hochhäusern ausziehen. Die Wohnstandortpräferenzen auf der Mikroebene verstärken also Segregation und führen zu einer Konzentration sozial Benachteiligter. 5.2.3.2 Aktuelle Stadtpolitik Wenn man jetzt nichts tut, dann man muss man irgendwann eine größere Kritik anbringen, nach meiner Meinung. Wir brauchen jetzt strukturelle Veränderungen, weil wir jetzt über 100 Wohnungen leer stehen haben in Barkenberg, weil es jetzt einen Gebäudeverfall gibt, wo die Gebäude teilweise eben sozusagen verfallen. Jetzt ist meiner Meinung nach an der Stelle Handlungsbedarf. Dann müsste man sicherlich in den nächsten Jahren da sehr kritisch sein. (xxx) Man soll somit nicht den Fehlern der Vergangenheit nachtrauern, sondern in die Zukunft sehen. Viele Interviewte erklären, dass die Stadt Dorsten in den letzten Jahren die 37 Problematik in Barkenberg erkannt hat und auch Handlungsbedarf sieht. Gerade der amtierende Bürgermeister Lambert Lütkenhorst und das Jugendamt werden als besonders engagiert hervorgehoben. Bis vor fünf oder sechs Jahren ist der Ortsteil aber vernachlässigt worden, wird häufig betont. Die Erkenntnis, etwas für den Stadtteil zu tun, kam erst, als es schon „brannte“ (xxx). Für die Entwicklung Barkenbergs zu einem Problemstadtteil wird die Stadt zur Verantwortung gezogen. Bisher wird für den Stadtteil noch nicht ausreichend getan, kritisieren viele der befragten StadtteilakteurInnen. So wirft ein Stadtteilexperte der Stadtverwaltung vor, zu unflexibel zu sein. Er hebt aber hervor, dass die Frage nach der Mitarbeit der Stadt im Erneuerungsprozess differenziert beantwortet werden muss, da z.B. die Beratungsstelle für Wohnungsnotfälle ohne den Bürgermeister nicht erreicht worden wäre. Aber „es könnte noch viel mehr geschehen“ (xxx). Auch positiv zu bewerten ist eine Vereinbarung mit dem Sozialamt, nicht alle SozialhilfeempfängerInnen nach Barkenberg zu schicken. Der Bürgermeister räumt ein, dass die Stadt sich in der Vergangenheit vielleicht nicht „intensiv genug um den Ortsteil gekümmert hat.“ Für die Zukunft verspricht er aber Veränderungen. Lambert Lütkenhorst kündigte öffentlich auf der Wulfen-Konferenz an, dass noch vor der Sommerpause ein Wulfen-Tag stattfinden soll, zu dem Beteiligte aus Politik und Verwaltung der Stadt Dorsten, der Minister für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen, Dr. Michael Vesper, Verantwortliche der Wohnungsbaugesellschaften und Stadtteilakteure eingeladen werden. Bürgermeister Lambert Lütkenhorst formuliert einen „Entwicklungsschwerpunkt“ für Barkenberg, der sowohl in der Verwaltung als auch in der Kommunalpolitik durch alle Fraktionen erkannt wird. In Barkenberg muss strukturell etwas verbessert werden. Insbesondere die Frage der Zukunft der Geschossbauten muss diskutiert werden. Zudem soll die Frage geprüft werden, inwieweit Barkenberg in das Förderprogramm Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf hineingehört. Der Bürgermeister betont die Verantwortung des Landes NRW für den Ortsteil, da es damals die Entwicklungsgesellschaft Wulfen mbH gegründet hat. Die Ankündigung bewerten die Stadtteilakteure, die ich nach der Wulfen-Konferenz interviewt habe, zwar durchaus positiv, sind aber auch sehr skeptisch. Das ist zunächst einmal ermutigend, aber die Frage wird sein, was wird konkret passieren. Noch kann ich nicht erkennen, dass man wirklich strukturiert an der Verbesserung der Situation in Barkenberg arbeiten würde. (xxx) 5.2.3.3 Stadtteil mit besonderem Erneuerungsbedarf? Barkenberg ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht Teil des Landesprogramms Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf. Die Überlegung liegt nahe, die Frage zu stellen, warum das nicht so ist. Alle befragten Stadtteilakteure, die sich mit dem Programm beschäftigt haben, sehen den ‚besonderen Erneuerungsbedarf’ in Barkenberg: „Barkenberg gehört auch in dieses Projekt, für uns eigentlich alle ganz klar“ (Werk). Volker Helfferich nennt Barkenberg „ein Modellbeispiel“ und ist verwundert, dass der Ortsteil nicht an dem Förderprogramm teilnimmt, obwohl das schon sehr lange im Gespräch ist. Barkenberg habe „es dringend nötig,“ formuliert Joachim Thiehoff. Er erklärt, dass es sich in Barkenberg um „ein integriertes Problem“ handelt, „was bei dem Stadtteilprogramm so überzeugend ist, dass man nicht nur ein Problem sieht sondern die Gesamtheit der Probleme“ (Thiehoff). Gerade der Bürgertreff und Joachim Thiehoff vom ASD haben sich vor einigen Jahren darum bemüht, in das Programm hineinzukommen. Dies gelang nicht, weil viele Leute in Politik und Verwaltung Barkenberg nicht für geeignet hielten. Andere Großsiedlungen in dem Programm seien viel größer, war ein Argument. In der Umsetzungsanalyse des ILS wird ein Richtwert von mindestens 5000 EinwohnerInnen vorgeschlagen, Barkenberg hat 11.000 EinwohnerInnen (ILS 2001: 16). Als weiterer Grund für das Scheitern wird genannt, dass die 38 Stadt einen eigenen Beitrag hätte leisten müssen. Die Stadt muss das Handlungskonzept erarbeiten. Einer der Befragten berichtet58, dass diese Frage nie im Rat gelandet ist, weil einige Leute das blockiert haben bzw. sich nicht genug dafür eingesetzt haben. Das Thema ist Lambert Lütkenhorst zufolge wieder auf der Tagesordnung gelandet und soll auf dem Wulfen-Tag im Sommer genauer diskutiert werden. In Barkenberg gibt es vieles, was bei den Stadtteilen mit besonderem Erneuerungsbedarf abgeguckt wurde, es läuft also quasi in Eigenregie, allerdings eben ohne die finanzielle Unterstützung. 58 Diese Aussagen werden erst nach der Abschaltung des Tonbandgeräts gemacht. 39 6 Ergebnisse und Ausblick Werden die Theorien zur Sozialen Stadtentwicklung in Barkenberg umgesetzt? Das war die Fragestellung dieser Arbeit. Im Folgenden werde ich noch einmal erörtern, dass sich in Barkenberg Armut sozialräumlich konzentriert und werde die besonderen Probleme und Potenziale des Ortsteils zusammenfassend darstellen, hierbei wird im Allgemeinen und im Besonderen (in Barkenberg) auf die Ursachen zur Entstehung von Armut und sozialräumlicher Ausgrenzung eingegangen. Anschließend werde ich die theoretischen Ausführungen zur Sozialen Stadtentwicklung rekapitulieren, um sie mit den Ergebnissen des empirischen Teils zu verbinden. Sowohl die Aussagen der ExpertInnen als auch die statistische Auswertung zeigen, dass es sich bei Barkenberg um einen benachteiligten Stadtteil handelt. Armut und soziale Ausgrenzung manifestiert sich im Geschosswohnungsbau, der im geographischen Kern von Barkenberg liegt. Diese Konzentration von benachteiligten Bevölkerungsgruppen ist ein Teil von Segregationsprozessen. Großsiedlungen, einst innovative Projekte mit sozialem Anspruch, sind von enormen städtebaulichen und sozialen Problemen betroffen. Am Rand des Ortsteils wohnt die Mittelschicht in ihren Eigenheimen, abgeschottet von den Armen und Ausgegrenzten, so dass die Probleme des Stadtteils „im täglichen Leben gar nicht wahrnehmbar“ sind (Diebschlag). Die Stadtteilstruktur ist von Polarisierung gekennzeichnet. Das positive Image innerhalb Barkenbergs wird vor allem von den Angehörigen der Mittelschicht geprägt. Barkenberg ist wunderschön im Grünen gelegen, die Umgebung bietet zahlreiche Naherholungsangebote. Das sind allerdings Vorzüge, die nur diese Schicht nutzt. Ebenso werden viele der kulturellen Veranstaltungen im Gemeinschaftshaus von den benachteiligten Bevölkerungsgruppen kaum besucht. Das Engagement für den Stadtteil oder die Teilnahme am politischen Leben ist auch schichtabhängig. Diese guten Eigenschaften des Stadtteils bieten trotzdem zahlreiche Anknüpfungspunkte und Potenziale. Gerade durch die Identifikation der Mittelschichten mit den Stadtteil gibt es ein ausgeprägtes Interesse und Engagement für eine positive Entwicklung des Stadtteils. Die Problemfelder in den Wohnorten der Armen und Ausgegrenzten sind vielfältig. Der städtebauliche Aspekt wird von vielen Befragten als wichtigstes Problem erachtet, daher gilt die Lösung dieser Angelegenheit als Voraussetzung für die Verbesserung der Stadtteilstruktur. Hier wird sowohl die Bausubstanz als auch das Wohnumfeld und die Infrastruktur bemängelt. Als auffälligstes soziales Problemfeld zeigt sich die Konzentration von sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen in bestimmten Siedlungen. Hier leben überdurchschnittlich viele AussiedlerInnen, arme Menschen und Arbeitslose. Gerade auch die unzureichenden Angebote für Kinder und Jugendliche werden kritisiert. Die ökonomischen Aussichten sind im Stadtteil ebenfalls sehr gering, da die Arbeitslosigkeit hoch ist und es wenig Möglichkeiten gibt, eine Beschäftigung zu finden. In der Umgebung existieren so gut wie keine Arbeitsplätze und außerdem sind sie häufig schlecht zu erreichen, da die Verkehrsverbindungen schlecht sind. Diese Kumulation und Konzentration von den diversen sozialen, städtebaulichen und ökonomischen Problemen führt zu einer Stigmatisierung des Stadtteils. Barkenberg hat außerhalb einen außerordentlich schlechten Ruf. Durch das schlechte Image verschlechtert sich die Lebenssituation der Armen und Ausgegrenzten weiter. Das Interesse, in den Stadtteil zu investieren, sinkt deutlich. Barkenberg ist einer Abwärtsspirale ausgesetzt. Es kommt zu einer Verlängerung und Verfestigung von Armut. Hierin zeigt sich die Notwendigkeit, dieser Entwicklung etwas entgegenzusetzen, da Benachteiligung durch den Raum verstärkt wird. In den vielfältigen Problemen sind schon verschiedene Eigenschaften angesprochen, die erklären, warum gerade Barkenberg zu einem benachteiligten Stadtteil geworden ist. Die 40 Zeche konnte nie die Bedeutung erlangen, von der anfangs ausgegangen wurde, so dass die ökonomische Grundlage für den Stadtteil fehlte. Die städtebauliche Struktur (Wohnungsstruktur, infrastrukturelle Anbindung, Geschosswohnungsbau etc.) bildete eine Grundlage für die negative Entwicklung Barkenbergs. Barkenberg ist von Segregationsprozessen betroffen, doch wie kommt es überhaupt zur Entstehung benachteiligter Viertel? Wie verlief das in Barkenberg? Die Ursachen für Segregationsprozesse und damit für die Konzentration von Armut muss auf verschiedenen Ebenen benannt werden. Auf der Makroebene bedingen im Rahmen postfordistischen Wandels ökonomische Umstrukturierungen, eine Veränderung der politischen Regulationsweise und ein Wandel der Gesellschaft die Entstehung von benachteiligten Vierteln. Diese gesellschaftlichen Veränderungen wirken auch auf die Mesound Mikroebene. Beteiligte Akteure auf der Mesoebene gelten auch als verantwortlich für die sozialräumliche Konzentration von Armen und Ausgegrenzten in Barkenberg. So hat das Sozialamt in der Vergangenheit EmpfängerInnen von Sozialleistungen in die billigen Wohnungen in Barkenberg eingewiesen. Auch der LEG war es wichtiger, ihre Wohnungen zu vermieten, als für eine ausgewogene Sozialstruktur zu sorgen. Zudem befinden sich ein Viertel der öffentlich geförderten Wohnungen Dorstens in Barkenberg; eine Ausgangsbedingung für Segregation, die durchaus von städtischer Seite zu vermeiden oder zumindest zu entschärfen ist. Als Indiz dafür, dass die Stadt in der Vergangenheit versäumt hat, sich der Probleme im Stadtteil anzunehmen, könnte das fehlende Engagement der Stadt, in das NRW-Programm Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf zu gelangen, gewertet werden. Wohnstandortpräferenzen von Individuen – in Barkenberg gilt dies insbesondere für den Zuzug von AussiedlerInnen – fördern die Segregation sozial Benachteiligter auf der Mikroebene. Was wird in Barkenberg getan, diese Entwicklung zu stoppen? Wie wird versucht, eine weitere Segregation zu verhindern? Diese Frage werde ich im Folgendem mit Hilfe der Theorien zur Sozialen Stadtentwicklung diskutieren. Wie gestaltet sich die praktische Umsetzung in Barkenberg? Die befragten StadtteilakteurInnen berichteten von diversen Aktivitäten mit dem Ziel der Verbesserung bzw. der Stabilisierung der Lebenssituation im Stadtteil. Dieses Ziel, welches auf das Gebiet bezogen ist, kann in mehrere Teilziele untergliedert werden, denen Handlungsfelder zugeordnet werden können. (vgl. Kap. 3.2) Als Mittel zur Erreichung der gebietsbezogenen Ziele gelten integrierte Handlungsansätze und die Vernetzung von Maßnahmen als Strukturmerkmal (strukturbezogene Ziele) in der Sozialen Stadtentwicklung. Die verschiedenen Handlungsfelder sollen ressortübergreifend zusammenarbeiten, so dass Mehrzielprojekte entstehen. Dies beinhaltet auch die Vernetzung und Kooperation aller am Stadtteilentwicklungsprozess beteiligten Akteure sowohl auf Stadtteilebene als auch vertikal zwischen den verschiedenen politisch-administrativen Ebenen.59 Den BewohnerInnen als Stadtteilakteure soll eine besonders große Bedeutung zukommen. (vgl. Kap. 3.2) Inwieweit werden sowohl die gebietsbezogenen als auch die strukturbezogenen Ziele in Barkenberg angestrebt? Dies versuche ich anhand drei ausgewählter Projekte noch einmal darzustellen: dem Bürgertreff Dimker Allee e.V., dem Hüttenprojekt von Pater Pauly und der Wulfen-Konferenz. 60 Das wohl bekannteste Projekt in Barkenberg ist der Bürgertreff Dimker Allee e.V. Hier wird Kinder- und Jugendarbeit geleistet, auch die Integration von MigrantInnen ist ein 59 Die vertikale Vernetzung wird in der vorliegenden Studie vernachlässigt, da Barkenberg nicht mit einem Handlungsprogramms gefördert wird und somit nur die Stadt- und Stadtteilebene von Bedeutung sind. Auch die Rolle der Stadt wird nur am Rande angesprochen, da diese erste Studie über Barkenberg sich auf die Stadtteilebene konzentriert. 60 An dieser Stelle wäre es unsinnig noch einmal alle Projekte aufzuführen, daher nur diese Auswahl. 41 Handlungsschwerpunkt. So werden Deutschkurse angeboten, die Internationalität der verschiedenen Gruppen wird gezielt gefördert und AussiedlerInnen werden gezielt beraten. Das Sommerfest und weitere Angebote des Bürgertreffs fördern das Zusammenleben der BewohnerInnen. Auch die Handlungsfelder Gesundheit oder Umweltschutz finden durch Informationsveranstaltungen Berücksichtigung. Die BewohnerInnen stehen im Mittelpunkt der Angebote, vielfach werden sie aktiv mit einbezogen. So werden z.B. die Kindergruppen von BewohnerInnen geleitet. Für die städtebauliche Aufwertung des Viertels engagiert sich der Bürgertreff, indem sich verantwortliche Personen für die Belange der BewohnerInnen bei der LEG und bei der Stadt einsetzen. Der Bürgertreff versucht sich vieler verschiedener Teilziele anzunehmen, Joachim Thiehoff bezeichnet ihn als „klassischen Stadtteilladen“. Die Wahl der Mitglieder aus acht verschiedenen Organisation verdeutlicht die Kooperation der verschiedenen Akteure, auch über die Stadtteilebene hinaus.61 Weitere beteiligte Akteure sind die Wohnungsunternehmen und private Sponsoren. Das Hüttenprojekt von Pater Pauly bezieht sich neben der Jugendhilfe auch direkt auf folgende Handlungsfelder: Wohnumfeldqualität, soziale Infrastruktur, Beschäftigung und Qualifizierung. Weitere Handlungsfelder wie die Imageverbesserung sind indirekt von Bedeutung. Auch hier spielen verschiedene Akteure eine Rolle, so ist der Bürgertreff Träger, die Stadt entwarf die Pläne und die Dorstener Arbeit baute die Hütten. BewohnerInnen sollen aktiv einbezogen werden, indem sich Verantwortliche finden, die die Bänke pflegen. Die Vernetzung aller am Stadtteilentwicklungsprozess beteiligten Akteure soll auf der Wulfen-Konferenz erfolgen. Hier erscheinen VertreterInnen der Schulen, der Vereine, der Polizei, der Parteien, SozialarbeiterInnen, Pastoren und auch Akteure der städtischen Ebene, wie Mitglieder der Verwaltung und der Bürgermeister. Das ist ein wesentlicher Ort, wo die Vernetzung vertikal zwischen Akteuren aus kommunaler und Stadtteilebene funktioniert. Die Zusammenarbeit mit der Stadt wird vielfach über den Bürgermeister erreicht, der sich als Person für die Belange des Stadtteils interessiert und engagiert. Gleichzeitig initiiert die Wulfen-Konferenz verschiedene Projekte wie die Kinder- und Jugendkulturwochen. Bei der Wulfen-Konferenz geht es bewusst nicht um die Beteiligung und Aktivierung von BewohnerInnen. BewohnerInnen sind nur erwünscht, sofern sie sich konkret engagieren wollen. Anhand dieser drei Projekte konnte gezeigt werden, dass verschiedene Ziele gleichzeitig berücksichtigt werden, es handelt sich um Mehrzielprojekte. Die vertikale Vernetzung zur Stadt ist in einigen Bereichen gegeben, das Jugendamt und der Bürgermeister sind im Stadtteilentwicklungsprozess involviert. Hier fehlt ein ausgewiesenes Stadtteilmanagement, welches verstärkt politisch Druck ausüben könnte. Bewohnerbeteiligung und -aktivierung findet sowohl im Bürgertreff als auch beim Hüttenprojekt begrenzt statt. Allerdings setzten sich die Akteure wenig mit dieser Thematik auseinander. Klassische Formen der Bürgerbeteiligung wie in Stadtteilforen oder Bürgerversammlungen existieren kaum bzw. werden schlecht frequentiert. An Entscheidungen, die die Stadtteilentwicklung betreffen, werden BewohnerInnen nicht beteiligt. Diese Thematik müsste ausgebaut werden, da die Integration der BewohnerInnen, eine Voraussetzung für eine positive Entwicklung des Stadtteils ist. Eine wichtige Aufgabe des politisch-administrativen Systems besteht darin, den Stadtteilentwicklungsprozess finanziell zu unterstützen. Sowohl die Stadt Dorsten als auch das Land NRW stellen Gelder zur Verfügung. Bezüglich des Landes sei hier die Beratungsstelle für Wohnungsnotfälle im Bürgertreff erwähnt und auch das Projekt zur Öffnung der Schule wurde vom Land gefördert. Die Bündelung von Ressourcen findet z.B. in der ambulanten Jugendarbeit statt (Sozialraumzentrum Wulfen). 61 Das Jugendamt der Stadt Dorsten ist Mitglied im Trägerverein des Bürgertreffs. 42 Stadtteilmanagement ist ein „Strukturen schaffendes Instrument“ (Alisch 2001b: 294), welches als „intermediäre Instanz“ (Hinte 2001: 157) die Vernetzung der lokalen Akteure untereinander und der verschiedenen politisch-administrativen Ebenen unterstützt. Insbesondere auch die Beteiligung der BewohnerInnen soll verwirklicht werden. Die Einbeziehung der endogenen Potenziale im Ort ist dabei wesentlich. Stadtteilmanagement lenkt und gestaltet den Stadtteilentwicklungsprozess. (vgl. Kap. 3.3) In Barkenberg gibt es kein ausgewiesenes Stadtteilmanagement, aber viele StadtteilexpertInnen bezeichnen die Wulfen-Konferenz und den Bürgertreff als Instanz der Vernetzung. Dies sind zwei „wesentliche Orte“, wo Stadtteilmanagement stattfindet, erzählt Joachim Thiehoff. Hier spielt vor allem die Vernetzung der Akteure auf Stadtteilebene eine entscheidende Rolle, aber auch auf politischer Ebene sind diese beiden Projekte anerkannt. Auch andere Akteure und Projekte beziehen Anteile des Stadtteilmanagements in ihre Arbeit mit ein, aber immer nur nebenbei. Eine Stadtteilkonferenz, die nur bis zu viermal im Jahr stattfindet und ein Bürgertreff, der zum großem Teil aus ehrenamtlich Tätigen besteht, kann ein Stadtteilmanagement nicht ersetzen. Es fehlt die Kontinuität und die Ansprechbarkeit. Außer die intermediären Instanzen, die das Stadtteilmanagement organisieren, sind die meisten Akteure der Sozialen Stadtentwicklung inklusive ihrer spezifischen Aufgabenfelder, die ich in Kap. 3.1.4 vorgestellt habe, auch in Barkenberg wiederzufinden. Die Beteiligung von Politik und Verwaltung ist bereits dargestellt worden, dies gilt auch für die Rolle der BewohnerInnen. Die LEG engagiert sich entsprechend der Ausführungen besonders für die städtebauliche Erneuerung und finanziert ein Reihe von Projekten. Viele der befragten ExpertInnen erachten allerdings das Engagement als nicht ausreichend genug. Die soziale Arbeit im Stadtteil wird hochgelobt. Als weitere wichtige Akteure werden die beiden großen Kirchen, die Schulen (insbesondere die Gesamtschule), verschiedene Sportvereine und das Gemeinschaftshaus benannt. Die Aktivitäten im Stadtteil werden dahingehend kritisiert, dass sie lediglich „Pflästerchen kleben“ (Lütkenhorst), man arrangiert sich mit den Problemen und betreibt nur ‚Feuerwehrpolitik’. So wird im alltäglichen Leben die Lebenssituation der Armen und Ausgegrenzten verbessert, damit die Kumulation von sozialer Benachteiligung und Wohnort verringert wird. Um eine nachhaltige Verbesserung zu erreichen, muss aber grundsätzlich etwas geschehen. Die StadtteilexpertInnen sehen die Politik in der Verantwortung, die Strukturen zu verändern. Insbesondere die ökonomische und städtebauliche Struktur soll verbessert werden. Die Gebäudefrage ist zweifellos eine der wichtigsten Fragen, die zu klären ist. Des Weiteren steht die Schaffung von Arbeitsplätzen ganz oben auf der Wunschliste der StadtteilakteurInnen. Momentan „ist eine spannende Zeit, was Barkenberg betrifft,“ prognostiziert der Bürgermeister Lambert Lütkenhorst. Sowohl Politik und Verwaltung kündigen an, sich verstärkt um die Entwicklung Barkenbergs zu kümmern. Resümierend lässt sich festhalten, dass die Theorien der Sozialen Stadtentwicklung durchaus in vielen Punkten in Barkenberg praktisch umgesetzt werden. Sicherlich gibt es einige Defizite, die aber vor dem Hintergrund, dass Barkenberg nicht mit einem offiziellen Stadtteilprogramm gefördert wird, verblassen. Der Stadtteil erhält keine besondere Werbung, keine zusätzlichen finanziellen Mittel und die Akteure werden nicht entsprechend theoretisch geschult. Letzterem ist eine unzureichende Reflexion über manche Angelegenheiten geschuldet, insbesondere bezüglich Bewohnerbeteiligung und -aktivierung. Das Fehlen eines Stadtteilmanagements zeigt sich vor allem in dem geringen Engagement die BewohnerInnen zu aktivieren und zu beteiligen und in der Möglichkeit, politisch Druck auszuüben. Die Beteiligung der städtischen Verwaltung und der Kommunalpolitik ist hier nur am Rande 43 untersucht worden. Inwieweit sie den Ansprüchen sozialer Stadtentwicklung genügt, kann nur annährend beantwortet werden. Sicherlich zeigt sich auch hier deutlich das Fehlen eines Stadtteilmanagements. Die Realisierung der Theorien zur Sozialen Stadtentwicklung findet also nicht nur in Modellprojekten statt, sondern wird auch in anderen Stadtteilen soweit wie möglich kopiert. Dies geschieht allerdings unter eingeschränkteren finanziellen Mitteln, was schon einen erheblichen Unterschied ausmacht. Wie deutlich die Implementierung eines Handlungsprogramms, die praktische Umsetzung verbessern würde, wäre sicherlich eine spannende Frage. Auch müssten die Wirkungen der Sozialen Stadtentwicklung, ob ohne oder mit Programm, genauer untersucht werden. Wie sehen Barkenberger BürgerInnen die Handlungsansätze und inwieweit sind Erfolge ablesbar? Abschließend wäre es sicherlich zu begrüßen, wenn Barkenberg in das Landesprogramm Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf aufgenommen wird. Barkenberg gehört in dieses Programm. 7 Literaturverzeichnis Alisch, Monika 2001a: Stadtteilmanagement – Zwischen politischer Strategie und Beruhigungsmittel. In: Alisch, Monika (Hrsg.): Stadtteilmanagement. Voraussetzungen und Chancen für die soziale Stadt. Opladen, S. 7-22. Alisch, Monika 2001b: Gestalten und Lenken: Konturen eines aktiven Stadtteilmanagement. In: Alisch, Monika (Hrsg.): Stadtteilmanagement. Voraussetzungen und Chancen für die soziale Stadt. Opladen, S. 293-301 Alisch, Monika 2002: Soziale Stadtentwicklung. Widersprüche, Kausalitäten, Lösungen. Opladen. Alisch, Monika/ Dangschat, Jens S.1998: Armut und soziale Integration. Strategien sozialer Stadtentwicklung und lokaler Nachhaltigkeit. Opladen. Arbeit des wissenschaftlichen Beirats 1961. In: Mitteilungen des Deutschen Verbandes für Wohnungswesen, Städtebau und Raumplanung, Heft 2, S. 11-14. 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Stuttgart, S. 7-12. 47 8 Anhang 8.1 Interviewte ExpertInnen Rainer Diebschlag, didaktischer Leiter der Gesamtschule Wulfen, Bezirksausschuss von Barkenberg, Beirat des Gemeinschaftshauses, lange Zeit Vorsitzender der Wulfener SPD, beteiligt an der Planung der ersten Kinder- und Jugendkulturwochen, wohnt seit 1976 in Barkenberg, Gespräch am 04.04.2003, Dauer ca. 50 Minuten Manfred Flaß, Polizeibeamter im Bezirksdienst, Vorsitzender der Fußballabteilung von Blau-Weiß-Barkenberg, wohnt seit 1971 in Barkenberg, Gespräch am 04.04.2003, Dauer 23 Minuten Sigrid Gläser, Diplom-Sozialarbeiterin, Jugendarbeitslosenberatung bei der Dorstener Arbeit, Beratungsstelle für Wohnungsnotfälle im Bürgertreff seit Januar 2003 (1/2 Stelle), seit 1997 ehrenamtlich im Bürgertreff, seit 8 Jahren im Pfarrgemeinderat, viel ehrenamtliches Engagement, wohnt seit über 20 Jahren in Barkenberg, Gespräch am 24.03.2003, Dauer 17 Minuten Volker Helfferich, Hauptschullehrer an der Matthäushauptschule in Wulfen, Mitglied der Wulfen-Konferenz als Vertreter der Schule, stellvertretender Vorsitzender des Bürgertreffs (seit Februar 2003), Organisation der Big Party (große Stadtteildisko), Planungsausschuss der Kinder- und Jugendkulturwoche, Initiator für ein Jugendcafé, wohnt seit seinem 5. Lebensjahr (1972) in Barkenberg, Gespräch am 02.04.2003, Dauer 49 Minuten Lambert Lütkenhorst, Bürgermeister der Stadt Dorsten, Gespräch am 09.04.2003, Dauer 14 Minuten Pater Winfried Pauly, Streetwork mit benachteiligten jungen Menschen (seit 2 ½ Jahren), Gespräch am 02.04.2003, Dauer 33 Minuten Joachim Thiehoff, Diplom-Sozialarbeiter, Teamleiter des ASD/ Sozialraumteams, maßgeblicher Initiator der Wulfen-Konferenz, Gespräch am 24.03.2003, Dauer 65 Minuten Marion Werk, ehrenamtliche Vorsitzende Bürgertreff Dimker Allee e.V. (seit 1997), Vorsitzende Kinderschutzbund, wohnt seit 29 Jahren in Barkenberg, Gespräch am 24.03.2003, Dauer ca. 50 Minuten Andreas Winkelhorst, Diplom- Sozialwissenschaftler, Teamleiter des Sozialraumzentrums (seit 01.01.2003), Gespräch am 18.03.2003, Dauer ca. 32 Minuten 49 8.2 Stadtteilplan: Rundweg durch Barkenberg