Die Geschichte Sierra Leones: Ein Überblick
Transcription
Die Geschichte Sierra Leones: Ein Überblick
UNIVERSITÄT LEIPZIG Institut für Afrikanistik/Historisches Seminar Die Geschichte Sierra Leones: Ein Überblick Ausgearbeitet für den Forikolo e.V. von: Mathis Krause S. 1 Inhalt: 1. Einleitung ..................................................................................................... 4 2. Sierra Leone in der vorkolonialen Zeit ........................................................... 5 2.1 Vorkoloniale Gesellschaftsstrukturen ..................................................... 5 2.2 Die Mane-Invasion ................................................................................. 6 2.3 Die ersten europäischen Einflüsse in Sierra Leone ................................. 7 3. Sierra Leone während der Kolonialzeit .......................................................... 9 3.1 Die Gründung von Freetown und die Etablierung einer Kronkolonie ...... 10 3.2 Die Entstehung der Krio-Gesellschaft während der Kolonialzeit ............ 13 3.3 Die Schaffung des britischen Protektorats ............................................ 14 3.4 Die Wirtschaftliche Entwicklung Sierra Leones in der Kolonialzeit ......... 16 4. Der Weg in die Unabhängigkeit .................................................................. 18 4.1 Die Sierra Leone People’s Party und die Unabhängigkeit von 1961 ...... 21 4.2 Politik im Rahmen regionaler und ethnischer Identität: Sierra Leones Nord-Süd-Gefälle ........................................................................................... 23 5. Siaka Stevens und das Schicksal Sierra Leones ......................................... 27 5.1 Das Stevens-Regime: Sierra Leone als Einparteienstaat ...................... 28 5.2 Das Stevens-System: Sierra Leone als „Shadow-State“ ....................... 29 5.3 Das Vermächtnis von Siaka Stevens: Sierra Leone vor dem Zusammenbruch ............................................................................................ 31 5.3.1 6. Joseph Momoh und der Weg in den Bürgerkrieg ........................... 32 Sierra Leone im Bürgerkrieg ....................................................................... 35 6.1 Der Ursprung der Revolutionary United Front ....................................... 37 6.2 Der NPRC und die Ausweitung des Bürgerkrieges ............................... 40 6.3 Rückkehr zu einer Zivilregierung: Ein Hoffnungsschimmer? Die Ereignisse bis zum Friedensabkommen von Lomé ......................................... 42 6.3.1 Der AFRC-Coup von 1997............................................................. 43 6.3.2 Die RUF-AFRC-Attacke auf Freetown aus dem Jahr 1999: eine humanitäre Katastrophe ............................................................................. 44 6.4 7. S. 2 Von Lomé bis zum Ende des Bürgerkrieges: ein steiniger Weg ............ 45 6.4.1 Die United Nations Mission in Sierra Leone ................................... 47 6.4.2 Der RUF-Niedergang und die letzten Jahre des Bürgerkrieges ...... 48 Sierra Leone nach dem Bürgerkrieg............................................................ 49 7.1 Präsident Kabbah und die erste Phase des Wiederaufbaus .................. 50 7.2 Die Wahlen des Jahres 2007: Der Weg in eine bessere Zukunft? ......... 53 8. Abschließende Bemerkungen ..................................................................... 56 9. Literaturverzeichnis .................................................................................... 58 S. 3 1. Einleitung Sierra Leone ist ein vergleichsweise kleines Land an der Westküste Afrikas mit einem Gesamtumfang von 71.740 km² und einer Bevölkerung von etwa 5,4 Millionen Menschen. Seine Atlantikküste erstreckt sich vom Nordwesten bis an den Süden des Landes. Im Norden teilt sich das Land eine Grenze mit der Republik Guinea und im Osten und Südosten grenzt es an die Republik Liberia. Das Territorium des Landes ist nahezu kreisförmig, was sich in der gleichmäßigen Nord-Süd- (stärkste Ausdehnung ca. 332 km) und Ost-West-Ausdehnung (stärkste Ausdehnung ca. 328 km) widerspiegelt. Es kann in drei geographische Ebenen unterteilt werden – das Gebirge der Freetown-Halbinsel, das Flachland des Westens und Südwestens, sowie das Hochland des Ostens und Nordostens des Landes. Sierra Leone verfügt über sieben große Flusssysteme, welche vom Nord-Osten in den Süd-Westen des Landes fließen und schließlich in den Atlantik münden. Das Klima wird von zwei Hauptjahreszeiten bestimmt, einer Trocken- und einer Regenzeit. Die Trockenzeit beginnt gegen Mitte November und dauert bis zum April an. Sie wird vom kühlen, trockenen Harmattan1 dominiert. In dieser Jahreszeit können die Temperaturen eine Höhe von über 32°C erreichen. Die Regenzeit beginnt gegen Ende April mit plötzlichen Regenschauern, die vom Hochland westwärts über das Land ziehen. Diese, häufig von Blitzgewittern begleiteten, Regenfälle verstärken sich bis zum Juni, von wo an sich das Klima allmählich durch die kühlen Westwinde beruhigt und das Land durch die nun stetigen, jedoch weniger stürmischen, Regenfälle abkühlt. Die Intensität und Menge des Niederschlags in den Küstengebieten ist deutlich höher als im Rest des Landes, weshalb die Vegetation in diesen Gebieten von dichten Wäldern und Sumpfgebieten geprägt ist. Auch der Großteil des übrigen Landes ist mit einer durchgängig grünen Landschaft gesegnet, welche sich für den Anbau verschiedenster landwirtschaftlicher Produkte, zur Forstwirtschaft oder für die Viehwirtschaft eignet.2 Seinen Namen verdankt Sierra Leone den Bergen der Halbinsel, auf der sich Freetown befindet. Pedro da Cintra, ein portugiesischer Seefahrer, nannte diese Gebirgskette 1462 Serra Lyoa (Löwen-Gebirge/Löwen-Berge), weil sie ihn an einen kauernden Löwen erinnerte. Im Laufe der Zeit wandelte sich die Bezeichnung des Landes schließlich in den heute bekannten Namen Sierra Leone.3 Dieser bezog sich zunächst nur auf die bereits erwähnte Halbinsel, da Sierra Leone in seiner heutigen territorialen Form erst im Zuge der Kolonialisierung durch die Briten entstanden ist. Im Folgenden soll die Geschichte Sierra Leones prägnant zusammengefasst werden, um dem Leser eine Vorstellung von den wichtigsten historischen Ereignissen und Entwicklungen des Landes zu vermitteln. 1 2 3 Der Harmattan ist ein starker Wind, der von der Sahara her über das Land zieht. Landwirtschaftliche Erzeugnisse sind unter anderem Erdnüsse, Gummi, Reis, Mais und Palmöl. Fyfe, Christopher H., A History of Sierra Leone, London 1962, S. 1. S. 4 2. Sierra Leone in der vorkolonialen Zeit Gesicherte Angaben über die erstmalige Besiedlung der verschiedenen Regionen Sierra Leones sind bis heute eher spärlich vorhanden. Die wenigen Zeugnisse legen jedoch nahe, dass das Gebiet bereits 2400 v.Chr. besiedelt war. Die damaligen Bewohner dieser Gegend lebten in weitgehend voneinander isolierten Gruppen und nutzten zunächst Stein- und Holzwerkzeuge, bis sie etwa im 6. Jahrhundert v.Chr. den Umgang mit Eisen erlernten und ihre Bevölkerungszahlen durch die Verbesserung des Ackerbaus beträchtlich steigern konnten.4 Als portugiesische Seefahrer im 15. Jahrhundert erstmals die Küste Sierra Leones erreichten, berichteten sie von mindestens 17 verschiedenen ethnischen Gruppen, die sich in dem Gebiet etabliert hatten, welches heute als Sierra Leone bekannt ist. Unter diesen Gruppen befanden sich die Mende der südlichen und östlichen Regionen, die, gefolgt von den Temne und Limba des Nordens, als die größte der ethnischen Gruppen angesehen wurde. Weitere bedeutende Gruppen waren die Kono der östlichen Regionen, die Koranko aus dem Norden, sowie die Mandingo, Loko, Soso, Fula und Yalunka. Einige kleinere Gruppen lebten in den Küstengegenden, unter ihnen die Bullom, Sherbro, Vai, Gola und Krim. Der Großteil dieser ethnischen Gruppen gelangte nach langen Migrationsphasen in die Gebiete, die sie überwiegend auch heute noch bewohnen.5 2.1 Vorkoloniale Gesellschaftsstrukturen Im Mittelpunkt der vorkolonialen Gesellschaft Sierra Leones stand die erweiterte Familie, deren stetiges Wachstum durch ein polygenes Heiratssystem gefördert wurde. Die Ernährung der Familie wurde zum überwiegenden Teil durch Subsistenzwirtschaft gewährleistet, wobei die Landwirtschaft eine zentrale Rolle spielte. Teile des Grundbesitzes einer Kommune wurden jeweils an die verschiedenen Familien zur Bearbeitung und Ernte vergeben, und gingen wieder in den Besitz der Kommune über, wenn eine Familie keinen Nutzen mehr für ein Grundstück fand. Ergänzend zum Anbau von Reis, Maniok, Süßkartoffeln und Hirse wurde im Inland Viehzucht betrieben. Eines der wichtigsten Bestandteile der Ernährung in Sierra Leone war das Salz, welches nur in den Küstengebieten produziert werden konnte. Deshalb konzentrierten sich die Menschen dort auf den Fischfang und die Herstellung von Salz, das sie dann gegen landwirtschaftliche Produkte eintauschten. In den Handwerksbereichen stellte die Familie, ebenso wie in der Landwirtschaft, das Hauptproduktionszentrum dar. Hier wurden diverse Töpferwaren, Kleidungsstücke, sowie Ölprodukte hergestellt, die den 4 Conteh-Morgan, Earl/Dixon-Fyle, Mac, Sierra Leone at the End of the Twentieth Century. History, Politics and Society, New York 1999, S. 12; Alie, Joe A.D., A New History of Sierra Leone, New York 1990, S. 6. 5 Conteh-Morgan/Dixon-Fyle, 1999, S. 11. S. 5 Familien zusätzliche Einnahmen erbrachten.6 Neben der Subsistenzwirtschaft und der Produktion von Handelswaren spielte die Ausübung von Religion schon in den frühen Gesellschaften Sierra Leones eine wesentliche Rolle. Praktiziert wurde vorrangig eine Art Monotheismus, bei dem sich die Menschen unterschiedlicher Symbole7 als Vermittlerinstanzen zwischen ihnen und einem übergeordneten Wesen bedienten. In enger Verbindung mit diesen religiösen Praktiken standen die sogenannten Geheimbunde, welche als polito-religiöse Institutionen erstrebenswertes Wissen an ihre Mitglieder weitergaben. Für gewöhnlich wurden alle pubertären Mitglieder einer Gesellschaft nach Absolvierung bestimmter Initiationsriten in einen dieser Geheimbunde aufgenommen. Die bedeutendsten Geheimbunde waren der Poro- oder WondeGeheimbund für Jungen und der Bondo- oder Sande-Geheimbund für Mädchen. Sie bereiteten ihre Mitglieder auf das Erwachsenenleben vor, indem sie etwa werdende Männer in der Kriegskunst und angehende Ehefrauen in ihren kommenden Aufgaben und Pflichten als Mütter unterrichteten. Außerdem übernahmen die Geheimbunde in vielen Gesellschaften politische Funktionen, wie die Organisation und Durchführung von Königskrönungen und –begräbnissen oder die Vermittlung bei größeren 8 gesellschaftlichen Disputen. Im Zuge der vorkolonialen Zeit etablierten sich bereits in nahezu allen Gesellschaften Sierra Leones verschiedene Grade politischer Zentralisierung. Könige übten, gestützt auf ihre „subchiefs“9 und „big men“10, sowohl politische als auch gerichtliche Macht aus. Die Könige und „chiefs“ wurden zudem bei der Ausübung ihrer Befehlsgewalten von Ältestenräten entlastet, welche gleichzeitig die Rechtmäßigkeit ihrer Vorgehensweise kontrollierten. Diese frühen Gesellschaften Sierra Leones waren bestimmt von einem System der Konsultation und des Konsens.11 2.2 Die Mane-Invasion Um die Siedlungsgeschichte der ethnischen Gruppen in Sierra Leone besser zu erfassen, ist es notwendig auf ein Ereignis zu verweisen, welches großen Einfluss auf die Entwicklung in diesem Gebiet hatte. Es wird davon ausgegangen, dass die Invasion der Mane – eine Volksgruppe aus dem Mali-Königreich des 16. Jahrhunderts – zur Schaffung mehrerer großer politisch-zentralisierter Territorien auf dem heute als Sierra Leone bekannten Gebiet geführt hat.12 Als die Mandingo-Königin Masarico aus dem Mali6 Alie, Joe A.D., 1990, S. 20-26. So zum Beispiel Berge, Bäume oder selbst hergestellte Figuren. 8 Conteh-Morgan/Dixon-Fyle, 1999, S. 13-14. 9 Den Königen untergeordnete Verwaltungsangestellte mit Funktionen ähnlich denen der europäischen Fürsten des Mittelalters und der frühen Neuzeit. 10 Der Begriff „big men“ bezeichnet hier politische Amtsträger, Militärs und andere Männer von Rang und Namen in der Gesellschaft. 11 Conteh-Morgan/Dixon-Fyle, 1999, S. 18-19. 12 Alie, Joe A.D., 1990, S. 40. 7 S. 6 Königreich verbannt wurde, zog sie zusammen mit einer großen Zahl ihrer Anhänger südwärts, in Richtung der westafrikanischen Küste, und ließ sich etwa 1540 in Cape Mount, süd-östlich von Sierra Leone, nieder. Von dort aus organisierte sie Kriegszüge in das Sierra Leonische Gebiet und etablierte nach und nach tributpflichtige Staaten. Um 1560 herum hatte sie das gesamte Küstengebiet Sierra Leones unter ihre Kontrolle gebracht.13 Im Zuge dieser Eroberungen kam es nicht nur zur Aufspaltung und Reorganisation der Küstenkommunen und von Teilen der Kommunen des Hinterlandes, es entstanden überdies völlig neue ethnische Gruppen. So formte beispielsweise ein Vizekönig der Mane, Sherabola, Ende des 16. Jahrhunderts im südlichen Teil des Gebietes, welches ursprünglich durch die Bullom bewohnt war, eine Kommune, die sich fortan als Sherbro bezeichnete. Die für Sierra Leone historisch bedeutendste ethnische Gruppe, welche den Eroberungszügen der Mane entsprang, war jedoch die der Mende. Es wird angenommen, dass diese Volksgruppe aus der Vereinigung der Gola und Kissi mit den Mane entstanden ist. Ursprünglich stammten die Mende aus der Gegend um Cape Mount im heutigen Liberia, wo der Einfluss der Mane am stärksten wirkte.14 Wie noch zu sehen sein wird, sollten sie in der jüngeren Geschichte Sierra Leones eine entscheidende Rolle einnehmen. Neben den ethnographischen Umgestaltungen sorgte die Mane-Invasion für weitere einschneidende Veränderungen in Sierra Leone. So führte sie unter anderem zu einem Bruch im kulturellen Bereich. Waren einige Volksgruppen Sierra Leones, vor allem die Küstenbewohner, im frühen 16. Jahrhundert angesehen für ihre Elfenbeinkunst, so lässt sich dieses Kunsthandwerk für die Zeit unmittelbar nach der Mane-Invasion nicht mehr belegen. Die feine Kunst, sowie der Handel wurden in dieser von Kriegen dominierten Zeit stark vernachlässigt. Dennoch brachte die Mane-Invasion auch positive Veränderungen mit sich, wie unter anderem die Weiterentwicklung der Eisenverarbeitung und die eigenständige Produktion von Kleidungsstücken in den Küstengebieten, wo man zuvor Kleidung aus dem Norden importiert hatte.15 Ihren signifikantesten Beitrag zur Geschichte Sierra Leones leisteten die Mane jedoch zweifelsohne mit der politischen Zentralisierung der Kommunen in den Küstengebieten und im Südwesten des Landes. Die ethnographische Struktur, welche sich aus den Eroberungszügen der Mane ergab, sollte die Geschichte Sierra Leones weithin prägen. 2.3 Die ersten europäischen Einflüsse in Sierra Leone Die Portugiesen waren die ersten Europäer, die nach Sierra Leone gelangten. Sie wurden zu den Pionieren des Handels zwischen Westafrika und Europa. Während ihrer 13 14 15 Conteh-Morgan/Dixon-Fyle, 1999, S. 14. Alie, Joe A.D., 1990, S. 40-41. Ebd., 38-42. S. 7 Handelsreisen nach Indien nutzten sie die Küste Sierra Leones als Rastplatz und zur Auffrischung ihrer Ressourcen. Im Laufe des 15. und 16. Jahrhunderts ließen sie sich entlang der gesamten Küste Sierra Leones nieder. Port Loko wurde zu einem ihrer wichtigsten Handelszentren. Dort tauschten die Portugiesen europäische Waren, wie Waffen, Haushaltsgegenstände und europäische Kleidung, gegen Gold und Kunstwerke aus Elfenbein ein.16 Die Entdeckung Amerikas und die damit einhergehende Schaffung und Kultivierung riesiger Plantagen in den neuen europäischen Kolonien rückte jedoch Mitte des 16. Jahrhunderts den Sklavenhandel in den Vordergrund der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Europa und Westafrika. Seit etwa 1560 zeigten auch britische, französische und niederländische Händler großes Interesse an der Westküste Afrikas. Sie wurden von den Herrschern der Küstengebiete Sierra Leones, ebenso wie einst die Portugiesen, mit offenen Armen empfangen. Die einheimischen Herrscher hofften, vom Handel mit den Europäern profitieren zu können, und sicherten diesen daher ihren Schutz zu. Sie regten sogar aktiv interkulturelle Ehen an.17 Zur Sicherung des Handelsmonopols mit den Europäern verboten die als Zwischenhändler agierenden Herrscher der Küstengebiete den europäischen Händlern das Vordringen in das Landesinnere, wo die bereits bestehenden Handelsnetzwerke18 mit Waren aus Europa versorgt wurden.19 Mit Hilfe moderner europäischer Waffen waren einige „chiefs“ dazu in der Lage, ihre Machtpositionen zu erweitern. Im Zuge dieser Konsolidierung von Macht kam es häufig zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen. Bittere Kämpfe zwischen den Temne, Bullom und Loko auf der einen und den Soso und Fula auf der anderen Seite schufen stetig steigende Zahlen Kriegsgefangener, die zumeist an europäische Sklavenhändler verkauft wurden.20 Vor allem die britische Krone machte sich die rege Beteiligung der herrschenden Klassen Westafrikas am Sklavenhandel zu Nutze, indem sie angeheuerte Handelskompanien damit beauftragte, Stützpunkte auf diversen Inseln vor der Küste Sierra Leones zu errichten.21 Spätestens ab dem 18. Jahrhundert dominierten britische Handelskompanien den Sklavenhandel an der westafrikanischen Küste. In dieser Hochzeit des Sklavenhandels wurden jährlich 4000-6000 Menschen als Sklaven von der Küste Sierra Leones in die „Neue Welt“ verschleppt.22 Über seine ungeheure Unmenschlichkeit hinaus stellte der Transatlantische Sklavenhandel den vorläufigen Höhepunkt ungleichen Tauschhandels zwischen Europäern und Afrikanern dar, verloren doch die Afrikanischen 16 Alie, Joe A.D., 1990, S. 31-32. Conteh-Morgan/Dixon-Fyle, 1999, S. 22. 18 Shaw, Rosalind, Memories of the Slave Trade. Ritual and the Historical Imagination in Sierra Leone, Chicago 2002, S. 26-27. 19 Alie, Joe A.D., 1990, S. 35. 20 Conteh-Morgan/Dixon-Fyle, 1999, S. 22. 21 Alie, Joe A.D., 1990, S. 34-35. 22 Shaw, Rosalind, 2002, S. 29. 17 S. 8 Reiche durch ihn wertvolle Arbeitskräfte, die zumeist nur mit preisgünstig hergestellter Massenware aus den Manufakturen Europas vergütet wurden. Ferner trug der Transatlantische Sklavenhandel laut Earl Conteh-Morgan und Mac Dixon-Fyle zur Ausbreitung des einheimischen Sklavenhandels innerhalb Sierra Leones bei, welcher selbst die Abschaffung des Transatlantischen Sklavenhandles überdauern sollte.23 Abgesehen von den verheerenden Folgen des Sklavenhandels hatte der Kontakt mit den Europäern noch weiteren Einfluss auf die Gesellschaften Sierra Leones. So veränderten die aus Europa eingeführten Waren den Lebensstil vieler Menschen in den Küstengebieten. Diese begannen, sich im europäischen Stil zu kleiden, europäische Speisen zu sich Haushaltsutensilien zu zu nehmen und benutzen. in Die Europa Flut produzierte europäischer Werkzeuge, sowie Massenwaren hatte katastrophale Folgen für das einheimische Gewerbe, das mehr und mehr an den Rand der wirtschaftlichen Aktivitäten gedrängt wurde.24 An die Stelle der einheimischen Industrie trat eine Klasse von Händlern, deren Angehörige ausgezeichnete Kontakte mit den Europäern pflegten und oft den christlichen Glauben angenommen hatten. Nicht selten waren diese Händler Nachkommen europäischer Kaufleute, die in einheimische afrikanische Familien eingeheiratet hatten. Diese, aus interkulturellen Ehen stammenden, Kaufleute stellten die erste Generation Sierra Leonier dar, die ihre Wurzeln sowohl auf die christlich-abendländische Kultur Europas als auch auf die afrikanische Kultur ihrer jeweiligen Ethnie zurückführten.25 Die Ambivalenz zwischen eben jenen beiden Kulturen, die sich in dem gespaltenen Selbstverständnis dieser ersten Generation widerspiegelte, zeigt sich noch heute in der Gesellschaft Sierra Leones. 3. Sierra Leone während der Kolonialzeit Der Staat, welcher heute als Sierra Leone bekannt ist, entwickelte sich aus einer Siedlung für ehemalige Sklaven, eine Siedlung, die als Antwort auf die sogenannte „Mansfield Deklaration“ des Jahres 1772 gegründet wurde.26 Im Laufe des 18. Jahrhunderts, und zweifellos „im Lichte“ der Aufklärung, setzte sich in Europa schrittweise die Forderung nach der Beendigung des unmenschlichen Sklavenhandels durch. Maßgeblichen Anteil an den immer lauterwerdenden Rufen nach der Abschaffung des Sklavenhandels hatte auch die weitverbreitete Ansicht, dass er nachteilig für die Entwicklung der kapitalistischen Märkte gewesen sei. Innerhalb Europas entfaltete sich ein ernsthafter Diskurs über die Abolition des Transatlantischen Sklavenhandels, in dem 23 Conteh-Morgan/Dixon-Fyle, 1999, S. 23. Alie, Joe A.D., 1990, S. 37. 25 Conteh-Morgan/Dixon-Fyle, 1999, S. 23; Alie, Joe A.D., 1990, S. 35. 26 Kargbo, Michael S., British Foreign Policy and the Conflict in Sierra Leone, 1991-2001, Oxford [u.a.] 2006, S. 36. 24 S. 9 Großbritannien eine führende Rolle übernahm. Angeführt wurden die britischen Verfechter der Abolition von Thomas Clarkson und Granville Sharp.27 Letzterer führte die grundlegende Entscheidung des Richters Lord Mansfield zu Gunsten eines Abolitionismus mit herbei, indem er 1772 das Gerichtsverfahren eines ehemaligen Sklaven namens James Sommersett gegen dessen früheren Herren unterstützte. In diesem Verfahren entschied Lord Mansfield „[…] that it was not possible under English law for a master to forcibly remove his slave from England for the purpose of sending him back to the New World to be sold.”28 Obwohl dieses Urteil die Sklaverei in Großbritannien nicht per se abschaffte, stellte es doch sicher, dass ehemalige Sklaven, die nach England zurückgekehrt waren, nicht erneut versklavt werden konnten. Als Folge des prominenten Urteils sahen ehemalige Sklaven, die während des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges auf der Seite der Briten gekämpft hatten, in Großbritannien ihre Chance auf ein Leben in Freiheit. Besonders in London führte der enorme Zustrom ehemaliger Sklaven in Reaktion auf das Mansfield-Urteil, sowie die zunehmende Arbeitslosigkeit unter der schwarzen Bevölkerung nach Ende des Unabhängigkeitskrieges, zur Entstehung einer verarmten Schicht, die von den Londonern als „Black Poor“ bezeichnet wurde. Um dieser Lage Herr zu werden und der Gefahr von Unruhen unter den „Black Poor“ aus dem Weg zu gehen, unterstützte die britische Krone das Vorhaben Granville Sharps und seiner Anhänger, an der Westküste Afrikas eine Siedlung für die ehemaligen Sklaven zu gründen.29 Dieses Unternehmen sollte den Grundstein für die Entstehung Sierra Leones in seiner heutigen Form legen. 3.1 Die Gründung von Freetown und die Etablierung einer Kronkolonie Der Standort, welcher für die neue Siedlung ausgesucht wurde, befand sich auf der Halbinsel, der Sierra Leone seinen Namen zu verdanken hat. Im Mai 1787 erreichten etwa 400 Siedler die Küste Sierra Leones. Nachdem sie sich vom König der Temne die Erlaubnis für die Etablierung ihrer Siedlung eingeholt hatten, gründeten sie im Norden der Halbinsel, nahe der Küste, im heutigen Fourah Bay, Granville Town, benannt nach Granville Sharp.30 Sharp und seine Anhänger verstanden die Siedlung als eine „Province of Freedom“, die ihre Prinzipien aus den Werten der Aufklärung und der christlichen Moral beziehen sollte und in der die Sklaverei von Beginn der Gründung an verboten 27 Conteh-Morgan/Dixon-Fyle, 1999, S. 24. Peterson, John, Province of Freedom. A History of Sierra Leone 1787-1870, London 1969, S.19. 29 Peterson, 1969, S. 20; Kargbo, Michael S., 2006, S. 37; Conteh-Morgan/Dixon-Fyle, 1999, S.24. 30 Peterson, 1969, S. 25-26. 28 S. 10 war.31 Schon in den ersten Jahren zeigte sich jedoch, dass es für die kleine Gruppe von Siedlern beinahe unmöglich war, ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen. Die schweren Regenfälle und die ungewohnten Bodenverhältnisse Sierra Leones führten dazu, dass ein Großteil der Siedler erkrankte und starb. Hinzu kamen häufige Angriffe von europäischen Sklavenhändlern, die immer wieder Teile der Siedlung zerstörten. 1789 wurde Granville Town letztlich durch König Jimmy, den amtierenden Temne König, vollends zerstört.32 Nachdem Sharp erkennen musste, dass er sein Unternehmen ohne größere Unterstützung nicht zum Erfolg führen konnte, wandte er sich an wohlhabende Briten, die wie er als Gegner des Sklavenhandels auftraten. Diejenigen, welche, nicht zuletzt auf Grund ihrer eigenen wirtschaftlichen Interessen in Westafrika, dazu bereit waren, Sharp behilflich zu sein, fanden sich 1791 in der Sierra Leone Company (SLC)33 zusammen. Noch im selben Jahr gründete Alexander Falconbridge im Namen der Sierra Leone Company ein zweites Granville Town unweit von der alten Siedlung. In diese Zeit fiel auch die aktive Suche nach neuen Siedlern seitens der SLC, um den Standort der Siedlung festigen und ausbauen zu können.34 Besonderes Engagement zeigte man für eine Gruppe ehemaliger Sklaven, die nach dem verlorenen Unabhängigkeitskrieg gegen die USA zusammen mit den verbliebenen Anhängern der Briten nach Nova Scotia ins kanadische Exil verbannt worden war. Diese Ex-Sklaven folgten der Verheißung auf ein Leben in Freiheit und sahen die Möglichkeit, sich an der Westküste Afrikas eine eigene Existenz aufbauen zu können. 1792 trafen etwa 1200 von ihnen in Sierra Leone ein und gründeten in der Nähe von Granville Town ihre eigene Siedlung. Diese Siedlung bildete die historische Basis für die heutige Hauptstadt Sierra Leones und trägt seit ihrer Gründung den Namen Freetown.35 Nach einiger Zeit der Eingewöhnung gelang es den sogenannten „Nova Scotians“, sich in ihrer neuen Umgebung zu etablieren. Sie bevorzugten es, sich in den Handel zu integrieren oder über die Kompanie in der Landwirtschaft beschäftigt zu werden. Trotz der gut voranschreitenden Entwicklung in Freetown gab es immer wieder Spannungen zwischen der SLC-Führung und den „Nova Scotians“. Diese Probleme, ausgelöst durch das Beharren auf einer steuerpflichtigen Verpachtung von Land seitens der Kompanie, führten im September 1800 zu einem Aufstand der „Nova Scotians“ unter der Führung von Isaac Anderson und Nathaniel Wansey.36 Unterdrückt wurde der Aufstand letztlich mit Hilfe von 550 sogenannten „Maroons“, ehemaligen jamaikanischen Sklaven, die im Zuge einer Erhebung auf Jamaika nach Nova Scotia verbannt worden waren. Sie hatten im Jahr 1800 unter der 31 Conteh-Morgan/Dixon-Fyle, 1999, S. 25. Peterson, 1969, S. 26-27; Elias, Taslim O., Ghana and Sierra Leone. The Development of their Laws and Constitutions, London 1962, S. 220. 33 Im Folgenden auch „Kompanie“ genannt. 34 Peterson, 1969, S. 27-28. 35 Elias, 1962, S. 221; Peterson, 1969, S. 27-29. 36 Conteh-Morgan/Dixon-Fyle, 1999, S. 26. 32 S. 11 Führung James Montagues die britische Regierung um Rückführung nach Afrika gebeten.37 Nach ihrer Ankunft halfen die „Maroons“ nicht nur den Aufstand der „Nova Scotians“ zu unterdrücken, sondern waren auch maßgeblich dafür verantwortlich, dass die seit 1801 andauernden kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Temne zu Gunsten der Siedler entschieden wurden.38 1807 gaben die Temne die Kontrolle über Teile ihres Gebietes auf und unterzeichneten ein Abkommen, durch welches sie den Freetown-Siedlern die Hoheit über das gesamte Gebiet der Halbinsel überließen.39 Obwohl zu diesem Zeitpunkt die größten inneren und äußeren Gefahren für die Siedlung gebannt waren, sah sich die Kompanie in einer prekären Situation. Die andauernden Angriffe auf Freetown, sowohl durch die Temne als auch durch konkurrierende Handelsmächte, hatten die wirtschaftliche Profitabilität der Siedlung so stark beeinträchtigt, dass die SLC kurz vor dem finanziellen Ruin stand. Da die britische Krone auf Grund dieser Situation ohnehin immer stärker in die finanzielle Verantwortung gedrängt worden war, sah sich Henry Thornton, Vorsitzender der Kompanie, 1806 gezwungen, das britische Parlament um die ganzheitliche Übernahme der Verantwortung für die Siedlung Großbritanniens. zu bitten. Im Jahr 1808 wurde Sierra Leone Kronkolonie 40 Nachdem der Sklavenhandel 1807 mit Verabschiedung des Abolition of the Slave Trade Act in Grobritannien offiziell verboten worden war, setzte sich die britische Krone aktiv für die Unterbindung des Sklavenhandels ein. Sierra Leone wurde zu einem Zentrum dieser Bemühungen. So wurden in Freetown Gerichtsverhandlungen über Straftaten im Zusammenhang mit dem Slave Trade Act abgehalten. Ferner wurden Sklaven, die mit Hilfe der britischen Marine frei gekommen waren, in der Umgebung von Freetown angesiedelt. Diese „Liberated Africans“41 oder „recaptives“42 waren von sehr unterschiedlicher ethnischer Abstammung. Sie kamen oft aus weit voneinander entfernten Gebieten Afrikas. So reichten die Herkunftsgebiete der Neuankömmlinge von der Sene-Gambia-Region über das Kongobecken bis hin nach Ostafrika. Binnen kürzester Zeit, Freetowns Bevölkerung stieg von etwa 2500 Menschen im Jahre 1808 auf circa 6000 Menschen im Jahr 1816 an, stellten sie die Bevölkerungsmehrheit auf der Sierra Leonischen Halbinsel dar. Zusammen mit den „Nova Scotians“ und den „Maroons“ bildeten sie im Laufe des 19. Jahrhunderts die Bevölkerungsschicht der sogenannten Krio. 37 Elias, 1962, S. 222-223. Peterson, 1969, S. 34-35. 39 Conteh-Morgan/Dixon-Fyle, 1999, S. 26. 40 Peterson, 1969, S. 35-36. 41 Hier = befreite Afrikaner. 42 Bezieht sich auf die zweite „Gefangennahme“ der für den Sklavenhandel vorgesehenen Afrikaner, wenn sie von der britischen Marine an Bord genommen, also befreit, wurden. 38 S. 12 3.2 Die Entstehung der Krio-Gesellschaft während der Kolonialzeit Zu der Zeit, als die ersten „Liberated Africans“ in Sierra Leone eintrafen, gab es dort bereits eine christlich-europäische Kultur, die von den britischen Siedlern und den „Nova Scotians“ gepflegt wurde. Obgleich die Regierung der Kronkolonie eine Assimilation der neuen Siedler in diese bereits vorhandene europäische Kultur antizipierte, waren die Neuankömmlinge nicht gewillt, ihre afrikanischen Wurzeln ganz und gar aufzugeben. Vielmehr wählten sie aus den christlich-europäischen Werten und Symbolen gezielt aus, um im Zusammenspiel mit diesen und den eigenen Werten eine neue Hybrid-Kultur zu schaffen. Diese Kultur, die erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts zu ihrer vollen Entfaltung kam, sollte als Gesellschaft der Krio bekannt werden. Das Alltagsleben der KrioKommunen bestand aus einer Verquickung von westeuropäischen und afrikanischen Traditionen. Es war gang und gäbe, dass vermögende Krio-Familien sowohl an GalaDînes im Stile des europäischen Großbürgertums als auch an traditionellen Initiationsriten afrikanischer Kultgesellschaften teilnahmen. Afrikanische Kleidung war ebenso gefragt wie der europäische Kleidungsstil. So wurde zum Beispiel die traditionelle Robe der Yoruba (agbada) von vielen Männern der Krio getragen.43 Die Sprache, welche sich innerhalb der Krio-Gesellschaft entwickelte basiert zwar zum größten Teil auf dem Englischen, enthält aber nach wie vor viele Elemente aus afrikanischen Sprachen.44 Auch die Namen der Krio spiegeln häufig die Verschmelzung afrikanischer und europäischer Kulturen wider, setzen sie sich doch zumeist aus englischen und afrikanischen Namen zusammen (z.B. James Omodele Williams).45 Bis zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte sich die Krio-Gesellschaft so fest in Sierra Leone etabliert, dass ihre Kaufleute beträchtliche Profite im Einzelhandel erzielen konnten. Vielen von ihnen gelang es, sich von kleinen Verkäufern zu führenden Großhändlern aufzuschwingen. Einige dieser Kaufleute waren sogar so erfolgreich, dass sie es mit ihren europäischen Handelspartnern aufnehmen konnten. Gegen 1860 kristallisierten sich durch die zunehmende Anhäufung von Reichtum und die gezielte Nutzung höherer Bildung in bestimmten Kreisen der Krio bereits Anfänge einer geistigen und wirtschaftlichen Elite heraus. Spätestens ab den 1880er Jahren hatte die Krio-Gesellschaft in Sierra Leone eine hochgradig differenzierte Form angenommen. An der Spitze der Gesellschaft standen die erfolgreichen Handels- und Geschäftsleute, gefolgt von den weniger wohlhabenden Kunsthandwerkern, Lieferanten und Ladenbesitzern, die den Mittelstand bildeten. Am unteren Ende der Krio-Gesellschaft befanden sich die gewöhnlichen 43 Kommunen mit Yoruba-Wurzeln (eine Bevölkerungsgruppe aus dem Gebiet des heutigen Nigeria und Niger) waren und sind eine der größten Gruppen unter den „Liberated Africans“/Krio. 44 U.a. Yoruba, Mandingo, Mende, Temne und Limba. 45 Alie, Joe A.D., 1990, S. 78-80. S. 13 Handwerker und das Lumpenproletariat.46 Im Laufe der Zeit hatte sich zusätzlich zu der Etablierung einer Klassengesellschaft eine Teilung der Krio in Anhänger der christlichen und Anhänger der muslimischen Religion ergeben. Die muslimischen Elemente waren sowohl durch die „Liberated Africans“ als auch durch die, während des Futa Jallon Jihads47 bekehrten, einheimischen ethnischen Gruppen des Hinterlandes Sierra Leones in die Krio-Gesellschaft hineingetragen worden. Noch stärker als untereinander grenzten sich die Krio jedoch bewusst von der einheimischen Bevölkerung des Hinterlandes Sierra Leones ab. Die Migranten aus dem Hinterland wurden vor allem von den dominanten Krio-Familien Freetowns als minderwertig angesehen und konnten lediglich über die „Adoption“ durch eine Krio-Familie in ihrem gesellschaftlichen Ansehen steigen. Der Großteil der Immigranten aus dem Hinterland fügte sich in eine der Krio-Gesellschaft untergeordnete Rolle, in welcher die Immigranten über den längsten Zeitraum der Kolonialzeit verharren sollten.48 Trotz ihrer wirtschaftlich und gesellschaftlich starken Position war es den Krio lange verwehrt, direkten Einfluss auf die politische Verwaltung der Kolonie zu nehmen. Daran änderte auch die Einführung Exekutiver und Legislativer Räte seitens der Kolonialregierung im Jahre 1863 nichts, da die Interessen der Krio in diesen Räten nur von wenigen inoffiziellen Repräsentanten49 vertreten werden durften.50 Selbst im Zuge der Dekolonisation Mitte des 20. Jahrhunderts sollte es der Krio-Elite nicht möglich werden, die politischen Geschicke Sierra Leones entscheidend mitzubestimmen, da die Politik zu diesem Zeitpunkt bereits stark von einer ethnischen Polarisation geprägt war, die sich vorteilhaft auf die Eliten der zahlenmäßig größten Ethnien des Landes auswirkte.51 Die politische Marginalisierung der Krio stellt auch heute noch ein signifikantes Problem bei der Konsolidierung der Machtverhältnisse in Sierra Leone dar. 3.3 Die Schaffung des britischen Protektorats Die ersten informellen Kontakte zwischen den Siedlern und den Bewohnern des Hinterlandes entstanden bereits in den 1780er und 1790er Jahren. Angewiesen auf Agrarprodukte aus dem Landesinneren knüpften die Menschen der Siedlung frühzeitig Handelsverbindungen mit den Einheimischen. Als Folge der raschen Entwicklung Freetowns war sehr bald eine größere Zahl an ungelernten Arbeitskräften gefragt, die sich zu einem guten Teil aus einheimischen Immigranten rekrutierte. Die 1808 in 46 Conteh-Morgan/Dixon-Fyle, 1999, S. 31-32. Zum Futa Jallon Jihad: Alie, Joe A.D., 1990, S. 43-44. 48 Conteh-Morgan/Dixon-Fyle, 1999, S. 33-34. 49 Als inoffizielle Mitglieder wurden alle Mitglieder des Rats bezeichnet, die nicht europäischen Ursprungs waren und nicht die britische Staatsbürgerschaft besaßen (sowohl Krio und Protektoratsangehörige als auch alle anderen Nicht-Europäer). 50 Conteh-Morgan/Dixon-Fyle, 1999, S. 35. 51 Ebd., S. 53-62. 47 S. 14 Freetown etablierte Kolonialregierung konnte ihre Wirtschaftsinteressen dementsprechend über ein existierendes Handelsnetzwerk verfolgen. Erweiterung und Ausbeutung dieses Handelsnetzwerkes stellten zu Beginn des 19. Jahrhunderts das Hauptaugenmerk der Kolonialregierung dar. Um ihren Einfluss im Landesinneren Sierra Leones zu vergrößern, sandten die Briten regelmäßig Handelsdelegationen zu den verschiedenen Königen und Unterkönigen des Hinterlandes. Begleitet wurden diese Expeditionen häufig von christlichen Missionaren. Konzentrierte sich die Kolonialregierung Mitte des 19. Jahrhunderts noch weitestgehend auf die Erweiterung des Handelsnetzwerkes mit dem Hinterland, so änderte sie diese Vorgehensweise zum Ende des 19. Jahrhunderts. Nach und nach intervenierten Kolonialbeamte in politischen Angelegenheiten der afrikanischen Reiche.52 Ab 1888 begann die Kolonialregierung, Stück für Stück einzelne Gebiete des Landesinneren unter seine Kontrolle zu bringen. Zunächst wurde diese Politik auf diplomatischem Wege vorangetrieben, indem man vermeintliche Friedensverträge benutzte, um scheinlegale Hoheitsansprüche auf die verschiedenen Gebiete der afrikanischen Vertragspartner zu erwirken. Zur Durchsetzung und Festigung dieser Territorialansprüche rief die Kolonialregierung dann im Jahre 1890 eine spezielle Grenzschutztruppe ins Leben. Diese Grenzschutztruppe ging mit äußerster Härte gegen alle vor, die sich dem Willen der britischen Krone widersetzten. Ihre Beamten manipulierten gezielt die politischen Geschehnisse in den Kommunen des Landesinneren, indem sie Thronfolger durchsetzten, die mit der Kolonialregierung sympathisierten, oder indem sie indirekten Einfluss auf die politischen Verbindungen der verschiedenen Herrscherhäuser untereinander nahmen. Als Frederick Cardew 1894 das Gouverneursamt der Kronkolonie übernahm, hatte sich die Vorstellung, man müsse das Landesinnere Sierra Leones zum britischen Protektorat erklären, um die Interessen Großbritanniens waren zu können, unter den Verantwortlichen der Kolonialregierung bereits festgesetzt. 1895 einigten sich britische und französische Vertreter auf eine konkrete Aufteilung ihrer aneinandergrenzenden Kolonialgebiete in Westafrika und legten dabei auch die zukünftigen Grenzen des britischen Protektorats fest. Ohne Einbeziehung der Könige Sierra Leones und ihrer Gefolgsleute erklärte die britische Kolonialregierung die Teile des Hinterlandes, in denen sie ohnehin schon indirekten Einfluss besaß am 31. August 1896 zum britischen Protektorat.53 Das neue Protektorat wurde daraufhin in fünf Verwaltungsbezirke eingeteilt: Karene, Koinadugu, Panguma, Ronietta und Bandajuma. Jeder Bezirk wurde einem Bezirksleiter unterstellt und von Abteilungen der Grenzschutztruppen kontrolliert.54 In diesen Gebieten übte die Kolonialregierung eine 52 53 54 Conteh-Morgan/Dixon-Fyle, 1999, S. 38. Ebd., S. 40-41. Elias, 1962, S. 225. S. 15 „indirekte Herrschaft“55 aus. Die afrikanischen Herrscher wurden in den britischen Verwaltungsapparat integriert und mussten sich von nun an von der Kolonialregierung legitimieren lassen. Einige dieser sogenannten „paramount chiefs“ kollaborierten offen mit den Briten, um ihre Macht über die Vergabe von Land mit Hilfe der militärischen Überlegenheit des Kolonialregimes zu festigen. Sie gingen oft so weit, dass sie ihre Untertanen zu Gunsten der eigenen Familien erbarmungslos ausbeuteten. Doch gab es auch heftigen Widerstand gegen die Fremdherrschaft der Briten. Als schließlich 1898 die sogenannte „Hüttensteuer“ eingeführt wurde, welche die Bewohner des Protektorats dazu zwang, unabhängig von ihrer Wirtschaftskraft eine Abgabe in festgelegter Höhe an die Kolonialregierung zu zahlen, entlud sich die allgemeine Empörung über das respektlose Vorgehen der Briten in Form von gewalttätigen Auseinandersetzungen. Mehrere Herrscher, allen voran der Temne-Kriegsherr Bai Bureh aus der Gegend um Port Loko, erhoben sich und attackierten Grenzschutztruppen der Kolonialregierung, sowie einige der mit den Briten sympathisierenden „paramount chiefs“. Bis Ende November 1898 zerschlugen die Briten aber auch diese vorerst letzten Unabhängigkeitsbestrebungen der einheimischen Bevölkerung. Die großen Bezirke des Protektorats wurden in Folge der Ereignisse des „Hüttensteuer-Krieges“ in kleinere, besser zu verwaltende Gebiete eingeteilt und mit loyalen „chiefs“ besetzt.56 Die Kolonie und das Protektorat blieben bis in das Jahr 1951 separate Verwaltungseinheiten.57 Erst weitere zehn Jahre später sollte das geeinte Sierra Leone in den Genuss seiner politischen Unabhängigkeit gelangen. 3.4 Die Wirtschaftliche Entwicklung Sierra Leones in der Kolonialzeit Die wirtschaftliche Ausrichtung der Industrie in Sierra Leone während der Kolonialzeit war bestimmt von dem Verlangen der Kolonialherren, auf günstigem Wege Rohstoffe für die verarbeitende Industrie in Großbritannien zu gewinnen. Gleichzeitig versuchte man, in Sierra Leone Konsummärkte zu schaffen, auf denen man die in Großbritannien hergestellten Waren absetzen konnte. Bevor das Kolonialregime die „indirekte Herrschaft“ über das Landesinnere übernahm, lebten die Menschen dort weitestgehend von Subsistenzwirtschaft. Doch mit der Etablierung des Protektorats wurde auch die Landwirtschaft in diesem Gebiet immer stärker auf den Export ausgerichtet.58 Das britische Kolonialregime formte Sierra Leone Anfang des 20. Jahrhunderts zu einem kostengünstigen Rohstofflieferanten, dessen Bevölkerung die dafür benötigten billigen 55 Zum System der „indirekten Herrschaft“: Crowder, Michael, Indirect Rule – French and British Style, in: Africa: Journal of the International African Institute, Vol. 34, No. 3 (1964), S. 197-205. 56 Conteh-Morgan/Dixon-Fyle, 1999, S. 42-44. 57 Elias, 1962, S. 225-226. 58 Alie, Joe A.D., 1990, S. 187. S. 16 Arbeitskräfte bereitstellen musste. Mobilisiert wurden diese Arbeitskräfte zumeist von einheimischen „chiefs“, die sich im Zuge der Zusammenarbeit mit dem Kolonialregime bereichern konnten.59 Obwohl die Kolonialregierung auf Grund des Rohstoffreichtums des Landes und seiner florierenden Landwirtschaft hohe Gewinne im Export erzielte, drückte sich dies kaum in einer Verbesserung der Lebensumstände der breiten Masse der Bevölkerung aus. Da die Exportwirtschaft Sierra Leones von britischen Firmen dominiert wurde ging der überwiegende Teil der erzeugten Gewinne in die britischen Märkte ein. Auch wenn es der vergleichsweise kleinen Schicht der Facharbeiter gelang, ihr Gehaltsniveau zwischen 1906 und 1914 um etwa 35 bis 50 Prozent zu steigern, blieben die Arbeits- und Lohnverhältnisse der breiten Masse der Bevölkerung unverändert schlecht. Der Ärger über die unverhohlene Ausbeutung der ungelernten Arbeiter äußerte sich 1919 in, hauptsächlich gegen libanesische Kaufleute gerichteten, Ausschreitungen. Zu einer Zeit, da die Auswirkungen des Ersten Weltkrieges die Lage der ärmeren Bevölkerung dramatisch verschlechterte, griffen die Aufstände, die in Freetown ihren Anfang nahmen, auf weitere Gebiete über, wurden aber schnell wieder zur Räson gebracht. Trotz dieser ersten Anzeichen von sozialen Unruhen änderte die Kolonialregierung nach dem Ersten Weltkrieg nichts an ihrer exportorientierten Ausrichtung der Wirtschaft Sierra Leones. 1927 erzielte man Rekordeinnahmen in Höhe von 1,6 Millionen Pfund und wurde somit darin bestätigt, den eingeschlagenen Kurs fortzusetzen.60 Die Bemühungen seitens des Kolonialregimes, die einheimische Industrie zu fördern, waren sehr begrenzt. Tatsächlich sorgten die Briten sogar bewusst für den Rückgang der einheimischen Industrie, indem sie Steuern auf Importprodukte, die auch im Inland hergestellt wurden, aussetzten oder gezielt führende einheimische Produzenten aus dem Wettbewerb drängten.61 Der Ausbau des Bergbausektors in den 1930er Jahren sollte diese einseitige Entwicklung noch verstärken. Bestand der gesamte Export Sierra Leones vor 1929 aus landwirtschaftlichen Produkten, so machten Mineralien 1933 bereits 21,5 Prozent desselben aus. Im Jahr 1940 hatte sich der Anteil der Bergbauprodukte am Gesamtexport auf stolze 70 Prozent gesteigert. Die Landwirtschaft, mit ihrem Potential, nicht nur die Exportmärkte, sondern auch die einheimische Bevölkerung zu versorgen, wurde nun zu Gunsten des profitableren Bergbaus vernachlässigt.62 Erst In der Phase der Dekolonisation wurden überhaupt Schritte unternommen, um in Sierra Leone eine verarbeitende Industrie aufzubauen. 1947 wurde zu diesem Zweck das Development of Industries Board ins Leben gerufen, welches bis zur Unabhängigkeit im Jahr 1961 einige Industrieprojekte finanzierte. Dennoch änderte dies nichts daran, dass Sierra Leone zum 59 Zur problematischen Rolle der „chiefs“ in Sierra Leone während der Kolonialzeit: Keen, David, Conflict & Collusion in Sierra Leone, Oxford – New York 2005, S. 9-12. 60 Conteh-Morgan/Dixon-Fyle, 1999, S. 46-48. 61 Alie, Joe A.D., 1990, S. 199. 62 Conteh-Morgan/Dixon-Fyle, 1999, S. 49. S. 17 Zeitpunkt seiner Unabhängigkeit primär ein rohstoffproduzierendes Land war, welches Fertigprodukte aus Europa importieren musste. Der Vertrieb der Fertigwaren aus Europa, sowie die Vermarktung der Agrarprodukte einheimischer Bauern, befanden sich nach wie vor in den Händen großer europäischer Firmen.63 Das von der britischen Fremdregierung installierte und über die Kolonialzeit stetig fortgeführte System der Ausbeutung, welches Sierra Leone seiner wertvollen Ressourcen beraubte und seine Menschen in eine Abhängigkeit von externen Märkten drängte, legte folglich den Grundstein für die mannigfaltigen Probleme, die nach der Unabhängigkeit auf das Land und seine Bevölkerung zukommen sollten. 4. Der Weg in die Unabhängigkeit Die konstitutionelle Trennung zwischen Kolonie und Protektorat stellte für Sierra Leone zweifelsfrei das größte Hindernis auf dem Weg zur Erlangung der Unabhängigkeit dar. Wie bereits in Kapitel drei erwähnt, wurde das Protektorat über die sogenannte „indirekte Herrschaft“ als eine Art separates Territorium verwaltet, während die Kolonie der Halbinsel über Legislative und Exekutive Räte direkt regiert wurde. Der Legislativrat der Kolonie verabschiedete Gesetze für das Protektorat, obwohl in diesem Gesetzgebungsapparat keine Vertreter des Protektorats vorhanden waren. Einher mit der formalen Trennung der Verwaltung ging auch eine klare Abgrenzung der aus der Kolonie stammenden Krio-Elite gegenüber der Bevölkerung des Protektorats. Die Krio sahen sich auf Grund ihrer europäischen Werte, ihrer westlichen Bildung und ihrer Angehörigkeit zur britischen Kronkolonie als den Bewohnern des Landesinneren Sierra Leones überlegen an.64 Obwohl sich prominente Vertreter und Organisationen der Krio etwa seit Beginn des 20. Jahrhunderts intensiv für ein Mehr an politischen Rechten und eine gewisse Unabhängigkeit einsetzten, zielten ihre Bemühungen vornehmlich auf eine Verbesserung der Lage ihrer eigenen Klasse, namentlich der bessergestellten Krio-Elite. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass das Verhältnis zwischen der im Laufe des frühen 20. Jahrhunderts entstandenen geistigen Elite des Protektorats und den führenden Vertretern der Krio bis in die heutige Zeit von starken Spannungen geprägt ist. Um ihre Interessen gegenüber der Kolonialregierung eigenständig vertreten zu können, gründeten 1922 Angehörige der Protektorats-Elite das Comittee of Educated Aborigines (CEA). Das Komitee setzte sich dafür ein, dass die Bevölkerung des Protektorats endlich auch im Legislativrat repräsentiert sein würde und forderte im Allgemeinen größere Mitbestimmungsrechte über die Ressourcen und die politischen Geschehnisse im 63 64 Alie, Joe A.D., 1990, S. 200. Kargbo, Michael S., 2006, S. 38-39. S. 18 Protektorat.65 Die britische Kolonialregierung, darauf bedacht ihre Herrschaft mittels schrittweiser politischer Konzessionen aufrecht zu erhalten, reagierte 1924 auf die Forderungen des CEA mit dem Entwurf einer neuen Verfassung. Diese Verfassung sah zum ersten Mal drei Vertreter des Protektorats als Mitglieder im Legislativrat der Kolonie vor. Obwohl jene Vertreter von der Kolonialregierung nominiert und aus der Gruppe der „paramount chiefs“ ausgewählt wurden, und sich somit nicht direkt aus der geistigen Elite des Protektorats rekrutierten, stellte diese Neuerung den ersten Schritt einer Machtverschiebung zu Gunsten der Protektorats-Elite dar. Die Elite des Protektorats war sich bewusst, dass ihr Territorium die überwältigende Bevölkerungsmehrheit des Gesamtgebietes von Sierra Leone beherbergte und über den Großteil der nutzbaren Ressourcen verfügte. Auf dieser Grundlage drängte sie auf die Einführung des politischen Wahlrechts, welches ihr unweigerlich einen Großteil der politischen Macht in Sierra Leone übertragen würde.66 Die Krio-Elite, die sich durch diese Vorgänge in ihrer politischen Rolle bedroht sehen musste, suchte händeringend nach Vorwänden, um die politische Partizipation des Protektorats zu verhindern. So strengte man als Antwort auf die Verfassung von 1924 sogar ein Gerichtsverfahren an, welches die Legitimität von Protektoratsangehörigen in einem Legislativrat der Kronkolonie anfocht.67 Alle Bemühungen der Krio, ihre politische Marginalisierung zu verhindern, sollten sich jedoch als fruchtlos erweisen. Während des Zweiten Weltkrieges, in welchem viele Bürger Sierra Leones, sowohl Krio als auch Protektoratsangehörige, auf der Seite der Alliierten kämpften,68 sah sich die Kolonialregierung scheinbar dazu veranlasst, weitere Konzessionen an die afrikanische Bevölkerung zu machen. 1943 wurden erstmals zwei Vertreter des Protektorats in den Exekutivrat der Kolonie aufgenommen. In den darauffolgenden Jahren wurden die ersten ernsthafteren Schritte zur aktiven Einbindung der Protektoratsbevölkerung in die Verwaltung ihres eigenen Territoriums unternommen. 1946 kam es zur Etablierung von Bezirksräten für die lokale Verwaltung, und noch im selben Jahr wurde eine Protektoratsversammlung eingeführt, in der „paramount chiefs“, Vertreter der geistigen Elite und Kolonialbeamte über die politischen und sozialen Defizite des Protektorats beraten sollten. In dieser Protektoratsversammlung stellten die traditionellen Vertreter der afrikanischen Bevölkerung, die „paramount chiefs“, die Mehrheit der Repräsentanten. Sie hatten mit 26 der 42 vorgesehenen Sitze ein enormes Übergewicht an Entscheidungsgewalt, wohingegen der Einfluss der geistigen Protektorats-Elite mit nur zwei festen Sitzen sehr gering ausfiel. Nichtsdestotrotz ging der formale 65 Prozess der Dekolonisation ein Jahr später mit der Publikation der Conteh-Morgan/Dixon-Fyle, 1999, S. 52-56. Kargbo, Michael S., 2006, S. 40-41. 67 Kandeh, Jimmy D., Politicization of Ethnic Identities in Sierra Leone, in: African Studies Review, Vol. 35, No.1 (1992), S. 88-89. 68 Vor allem in Birma. 66 S. 19 Verfassungsvorschläge des Gouverneurs Hubert Stevenson weiter. Sein Vorschlag für eine neue Verfassung sah erstmals eine Mehrheit inoffizieller Mitglieder im Legislativrat vor. Die neue Legislative sollte 16 inoffizielle und acht offizielle Mitglieder beinhalten. Eine weitere bemerkenswerte Neuerung war zudem, dass die Mehrheit der inoffiziellen Mitglieder zum ersten Mal in der Kolonialgeschichte Sierra Leones aus afrikanischen, respektive Protektoratsmitgliedern, bestehen sollte. Dem Protektorat sollten insgesamt zehn Sitze des 24-köpfigen Legislativrats zugesprochen werden.69 Wenngleich diese verfassungsrechtlichen Vorschläge richtungsweisend waren für den Weg Sierra Leones in die Unabhängigkeit, so brachen sie im Wesentlichen doch nicht mit den althergebrachten Strukturen der indirekten Herrschaft. Dadurch, dass die überwiegende Mehrheit der inoffiziellen Mitglieder des Legislativrats aus dem Protektorat in der von den Chiefs dominierten Protektoratsversammlung gewählt wurde, führte der neue Verfassungsentwurf eher zur Konsolidierung der Macht in den Händen der traditionellen Autoritäten.70 Dessen ungeachtet sah die Krio-Elite ihre Ängste, von den Führern des Protektorats in die politische Bedeutungslosigkeit abgedrängt zu werden, im Verfassungsentwurf von 1947 bestätigt. Folglich setzten die Krio eine Welle des Protests in Bewegung, die in einer Petition an König George VI gipfelte. In dieser Petition forderten einige Krio, dass die Lese- und Schreibfähigkeit zur Bedingung für den Zugang zum Legislativrat der Kolonie gemacht werden solle.71 Nicht wenige Angehörige der geistigen Elite des Protektorats stimmten in dieser Forderung mit der Krio-Elite überein, da sie sich durch die Übermacht der Chiefs in der Protektoratsversammlung benachteiligt fühlten. Als sich aber der Protest der Krio gegen den neuen Verfassungsentwurf so sehr intensivierte, dass die Umsetzung des Entwurfs, und damit die politische Vorrangstellung des Protektorats gegenüber der Kolonie insgesamt, in Gefahr geriet, fanden sich die geistigen Führer des Protektorats mit den Chiefs in der Sierra Leone People’s Party (SLPP) zusammen, um gemeinsam die Durchsetzung der neuen Verfassung zu forcieren.72 Diese Allianz besiegelte endgültig das Schicksal der Krio, die in den kommenden Jahrzehnten zwar weiterhin führende Positionen in der Wirtschaft Sierra Leones innehaben würden, deren politische Bedeutung auf nationaler Ebene jedoch in den Schatten der geistigen Elite aus den Gebieten des ehemaligen Protektorats trat. 69 Conteh-Morgan/Dixon-Fyle, 1999, S. 59-60; Kargbo, Michael S., 2006, S. 44. Kargbo, Michael S., 2006, S. 45. 71 Jene Forderung richtete sich vor allem gegen „paramount chiefs“, die zu diesem Zeitpunkt noch sehr selten über europäische Bildung verfügten. 72 Alie, Joe A.D., 1990, S. 210. 70 S. 20 4.1 Die Sierra Leone People’s Party und die Unabhängigkeit von 1961 Im September 1951 endete die vierjährige Debatte über die Stevenson-Verfassung. Der neue Gouverneur, George Beresford-Stooke, sorgte für die Durchsetzung einer überarbeiteten Version des Verfassungspapiers. Diese sah einen Legislativrat mit sieben offiziellen Mitgliedern, sieben gewählten Mitgliedern aus der Kolonie, 14 indirekt gewählten Mitgliedern aus dem Protektorat und zwei zu nominierenden Mitgliedern vor. Direkt nach der Implementierung der neuen Verfassung wurden landesweit Wahlen abgehalten.73 Diese Wahlen richteten sich nach dem indirekten Wahlprinzip und sind nicht mit freien demokratischen Wahlen zu verwechseln. Die SLPP ging als Sieger dieser Wahlen hervor und erreichte eine absolute Mehrheit. Sie war die größte Partei Sierra Leones zu dieser Zeit.74 Gegründet wurde sie ursprünglich als Antwort auf den National Council of Sierra Leone (NCSL), einer von den Krio dominierten Partei, deren Zweck es war, die Interessen der Krio-Elite gegenüber dem Protektorat zu verteidigen. Die SLPP sollte dementsprechend die Interessen der Protektoratsbevölkerung vertreten und fördern. Obwohl sie offiziell den Anspruch hegte, die gesamte Bevölkerung des Protektorats zu vertreten, war die SLPP in Wirklichkeit eine auf Patronage angewiesene Partei. Sie war nicht dazu in der Lage, die Masse der Protektoratsbevölkerung zu mobilisieren und stützte sich eher auf die Macht der „paramount-„ und „sub-chiefs“ in den Bezirksräten und in der Protektoratsversammlung. Viele ihrer Mitglieder stammten selbst aus jenen Herrscherfamilien, die darauf angewiesen waren, dass ihre Privilegien auch weiterhin durch die althergebrachten Dynamiken der Kolonialzeit sanktioniert wurden.75 Aufgrund des indirekten Wahlsystems, welches von lokalen und überregionalen Gremien und Räten gelenkt wurde, konnte sich die SLPP in der frühen Phase der Unabhängigkeitsbewegung, trotz fehlender Massenbasis, als führende Partei Sierra Leones durchsetzen. Nach dem Wahlsieg 1951 wurde der Vorsitzende der SLPP, Dr. Milton Margai, zum Ministerpräsidenten Sierra Leones ernannt. Die von ihm verfolgte Politik kann zu Recht als sehr moderater Nationalismus bezeichnet werden. Angesichts der Abhängigkeit seiner Partei von den Chiefs einerseits und von den, noch größtenteils aus der Kolonialzeit stammenden Institutionen mit indirektem Wahlrecht andererseits, zeigte Margai wenig Interesse an tiefgreifenden Reformen. Auch wenn seine Partei 1957 die zweiten landesweiten Wahlen mit einer erneuten absoluten Mehrheit gewann, machte sich im radikalen Lager der SLPP bereits Unmut über die langsam voranschreitenden Reformen unter der Margai-Regierung bemerkbar. Als Albert Margai, der Bruder des 73 Alie, Joe A.D., 1990, S. 210. Conteh-Morgan/Dixon-Fyle, 1999, S. 63. 75 Allen, Christopher, Sierra Leone Politics since Independence, in: Affrican Affairs, Vol. 67, No. 269 (1968), S. 307-308. 74 S. 21 Ministerpräsidenten, auch nach dem zweiten Wahlsieg seiner Partei nicht für ein Ministeramt berücksichtigt wurde, trat er zusammen mit Siaka Stevens aus der SLPP aus und gründete 1958 die People’s National Party (PNP).76 Gemeinsam machten sich Margai und Stevens daran, in ihrer neugegründeten Partei die Strukturen zu etablieren, die der SLPP seit jeher abgingen. Sie wendeten sich an Berufstätige, Studenten und Arbeitslose, um eine möglichst breite Masse an Anhängern zu mobilisieren. Sie sprachen sich für die schnelle „Afrikanisierung“ der gesamten Regierung aus und forderten die sofortige Unabhängigkeit Sierra Leones.77 Die britische Kolonialregierung war jedoch darauf aus, die ihr positiv gesinnte, moderate SLPP-Regierung während des Unabhängigkeitsprozesses an der Macht zu halten, um so Bedingungen aushandeln zu können, die das Fortbestehen britischer Einflussnahme in Sierra Leone sichern würden. Alle Bemühungen der PNP und anderer kleinerer Parteien, vor der Erklärung der Unabhängigkeit Sierra Leones Wahlen nach dem direkten Wahlprinzip herbeizuführen, wurden daher vom Kolonialministerium ausgebremst. Die Briten wollten der Gefahr aus dem Weg gehen, die Unabhängigkeit mit einer radikalen Partei verhandeln zu müssen. 1960 nahm die britische Regierung dementsprechend geheime Verhandlungen mit der SLPP-Regierung Dr. Margais über die Bedingungen und den Zeitpunkt einer offiziellen Unabhängigkeit Sierra Leones auf. Im Anschluss an diese Verhandlungen wurden alle Parteien zur Besprechung der erarbeiteten Vorschläge an einen Tisch gerufen. Im Rahmen der Gespräche einigten sich alle Teilnehmer darauf, eine gemeinsame Verfassung auszuarbeiten und die politische Unabhängigkeit Sierra Leones vorzubereiten. Am 25. März 1960 wurde eine alle Parteien umschließende Koalition namens United National Front (UNF) gebildet. Nach anfänglichen Uneinigkeiten über einen Verteidigungspakt zwischen Sierra Leone und Großbritannien, der letztendlich auf Druck von anderen afrikanischen Regierungen nicht zustande kam, konnten die Verhandlungen erfolgreich abgeschlossen werden, sodass Sierra Leone am 27. April 1961 seine Unabhängigkeit erhielt.78 Die 1961 verabschiedete Verfassung verwandelte Sierra Leones Staatsform in eine konstitutionelle Monarchie mit der britischen Krone als offiziellem Staatsoberhaupt. Symbolisch vertreten wurde Großbritannien durch einen Generalgouverneur, dem jedoch nur noch zeremonielle Aufgaben zukamen. Nichtsdestotrotz benötigten alle Gesetzesvorlagen die Zustimmung der britischen Krone. Auch mussten alle Diplomaten Sierra Leones weiterhin durch Großbritannien anerkannt werden.79 76 77 78 79 Conteh-Morgan/Dixon-Fyle, 1999, S. 68-70. Kargbo, Michael S., 2006, S. 54-55. Ebd., S. 56-62. Ebd., S. 70. S. 22 4.2 Politik im Rahmen regionaler und ethnischer Identität: Sierra Leones Nord-Süd-Gefälle Vom Beginn des 19. Jahrhunderts an bis zur Unabhängigkeit Sierra Leones standen sich im größten ethno-regionalen Konflikt des Landes die Vertreter der Krio-Elite und Vertreter der Elite des Protektorats gegenüber. Trotz des relativ großen Gebietes des Protektorats, welches eine Vielfalt an unterschiedlichen ethnischen Gruppen beherbergte, sorgte die Opposition gegen die Krio-Dominanz für einen starken Zusammenhalt bei der Artikulation gemeinsamer Ziele seitens der Protektorats-Elite. Mit dem Erreichen der Unabhängigkeit und der einhergehenden politischen Marginalisierung der Krio fand jedoch keine Beruhigung der ethno-regionalen Konflikte statt. Vielmehr rückte ein neuer regionaler Konflikt in den Mittelpunkt des politischen Geschehens. Es handelte sich dabei um die Auseinandersetzung zwischen Vertretern der nördlichen und der südlichen Provinzen des ehemaligen Protektorats. Diese Gebiete, in denen zwei der größten ethnischen Gruppierungen Sierra Leones leben,80 hatten während der Kolonialzeit unterschiedliche Entwicklungen genommen. Nachdem die britische Kolonialregierung begonnen hatte ihre Aktivitäten auf das Hinterland Sierra Leones auszuweiten, lag die Konzentration der britischen Bemühungen um Missionarsarbeit und Handel vornehmlich auf den von den Sherbro und Mende dominierten südlichen und östlichen Gebieten des Landes. So kam es, dass die Entwicklung der wirtschaftlichen Infrastruktur im Süden des Protektorats stärker vorangetrieben wurde, als dies im Norden der Fall war. Eisenbahnstrecken und geteerte Straßen waren fast ausschließlich in den südlichen Bereichen des Protektorats aufzufinden. Auch die, im Zuge der Missionarsarbeit etablierten, europäischen Schulen konzentrierten sich in den südlichen Provinzen. Hauptgrund dafür scheint die weite Verbreitung des Islam im Norden Sierra Leones gewesen zu sein, die es den Missionaren immens erschwerte, dort Anhänger für ihre Religion zu gewinnen. Die Ungleichheit der Verteilung westlicher Bildungseinrichtungen zwischen Nord und Süd – 1938 befanden sich circa 80% aller Schulen des Protektorats in den südlichen Provinzen der Mende – sorgte dafür, dass es während der Zeit der Dekolonisation zwischen den beiden Gebieten ein enormes Gefälle bezüglich der Zahl gut ausgebildeter Intellektueller gab.81 Dennoch scheint sich bis in die späten 1950er Jahre keine explizit südlich beziehungsweise nördlich verankerte Identität in den Köpfen der Menschen beider Regionen ausgebildet zu haben.82 Erst als sich die Eliten des Protektorats fest in der nationalen Politik Sierra Leones etabliert hatten und den Wettstreit um die prestigeträchtigen Positionen der 80 Die Temne des Nordens und die Mende des Südens machen jeweils etwa ein Drittel der Gesamtbevölkerung Sierra Leones aus. 81 Cartwright, John R., Political Leadership in Sierra Leone, London 1978, S. 41-42.; Kandeh, Jimmy D., 1992, S. 86. 82 Cartwright, John R. 1978, S. 175. S. 23 Regierung unter sich austrugen, kam es zur allmählichen Entwicklung eines regionalen und ethnischen Bewusstseins in der politischen Sphäre.83 Befördert wurde dieses Bewusstsein nicht zuletzt durch die Dominanz einer bestimmten ethnischen Gruppe innerhalb der größten Partei Sierra Leones zur Zeit des voranschreitenden Unabhängigkeitsprozesses. Die SLPP, die wie bereits dargestellt, die ersten offiziellen Wahlen in Sierra Leone für sich entschied und Sierra Leone unter Milton Margai in die Unabhängigkeit führte, setzte sich zum großen Teil aus Mitgliedern der ethnischen Gruppe der Mende zusammen. Obgleich dieser Umstand viel eher dem größeren Pool an gut ausgebildeten Akademikern im Süden des Landes geschuldet war, als einer bewussten Bevorzugung der Mende, rief er ein gewisses Gefühl der Benachteiligung bei der geistigen Elite des Nordens hervor.84 Etwa zu dieser Zeit verbreitete sich auch unter der allgemeinen Bevölkerung des Nordens ein Gefühl der Vernachlässigung. Gegen Ende der 1950er Jahre kehrten viele Wanderarbeiter aus dem Süden zurück und berichteten ihren Angehörigen von den Unterschieden in der Entwicklung zwischen ihrer Heimat und den Gebieten, in denen sie die letzten Jahre verbracht hatten. Die entscheidenden Faktoren, welche derlei aufkommende Unterlegenheitsempfindungen der Bevölkerung des Nordens in eine aktive politische Bewegung transformieren sollten, waren der Mangel an Sensibilität, den die Führungsriege der SLPP jenen Ängsten entgegenbrachte, und der Opportunismus einiger junger Politiker, die in einer großangelegten Opposition die Chance sahen, ihre persönlichen Ambitionen zu verwirklichen. Nachdem die Mehrzahl an Mitgliedern der Oppositionsparteien im Jahre 1960 davon überzeugt werden konnte, sich in eine Einheitsregierung unter Führung der SLPP integrieren zu lassen, kam es zur Gründung der Partei, hinter der sich die politische Bewegung des lange vernachlässigten Nordens Sierra Leones formieren sollte. Siaka Stevens, Mitbegründer der People‘s National Party, rief nach deren Zusammenbruch, zunächst im Juli 1960 das Election Before Independence Movement ins Leben und baute dieses mit Hilfe von einigen Anhängern zum All People’s Congress (APC) aus.85 Stevens und viele seiner Anhänger verfügten zu dieser Zeit nicht über den gleichen gesellschaftlichen Status wie die meisten Führungspersonen in der SLPP. Sie stammten aus dem weniger begüterten Kleinbürgertum und verstanden Politik als Zugang zu höherem Prestige und größerem materiellen Reichtum. Aus diesem Grund sahen sie den APC frühzeitig als ein Instrument zur Förderung ihrer persönlichen Interessen an.86 Nichtsdestotrotz distanzierten sie sich umgehend vom Elitismus der SLPP und suchten mit Hilfe populistischer Slogans die Unterstützung der breiten 83 84 85 86 Keen, David, 2005, S. 15. Cartwright, John R., 1978, S. 188. Conteh-Morgan/Dixon-Fyle, 1999, S. 68. Kandeh, Jimmy D., 1992, S. 91. S. 24 Bevölkerungsmasse zu erlangen. Hierin unterschied sich der APC signifikant von der SLPP. Stevens nutzte seine hervorragenden organisatorischen Fähigkeiten, welche er sich als früheres Mitglied von verschiedenen Gewerkschaften und als Parlamentsmitglied in der SLPP angeeignet hatte, um die Ideen, die er schon als Mitbegründer der PNP verfolgte, nun im APC umzusetzen. Er warb mit seinem APC unter den Angestellten, Facharbeitern und Intellektuellen des Mittelstandes, sowie unter den Kleinbauern und auch beim Lumpenproletariat um Anhänger. Schnell wuchs der APC zu einer ernstzunehmenden Oppositionspartei heran, die all denen eine Alternative bot, die sich durch die elitäre SLPP und ihre enge Bindung an die vielerorts unbeliebten Chiefs nicht repräsentiert fühlten.87 Dennoch blieb die Mehrheit der Anhänger des APC im Norden Sierra Leones konzentriert, da die Führungspersonen der Partei fast ausschließlich aus diesem Gebiet stammten. Um eine reale Chance zu erlangen in landesweiten Wahlen mit der SLPP konkurrieren zu können, versuchten die Führer des APC, ihre Anhängerschaft im Norden so stark zu erweitern, dass diese ein gleichwertiges Gegengewicht zur SLPPDominanz in den von den Chiefs kontrollierten Institutionen darstellen würde. Zu diesem Zweck nutzten sie das aufkommende Gefühl der Benachteiligung in der nördlichen Bevölkerung, um die SLPP als eine Partei zu denunzieren, die, angeführt von den Mende, die Vorherrschaft des Südens über den Norden Sierra Leones herbeiführen wolle.88 Während die Vorgehensweise der SLPP-Regierung unter Dr. Milton Margai relativ wenige Anhaltspunkte lieferte, um eine solche Propaganda zu rechtfertigen, spielte die fehlende Sensibilität seines Nachfolgers gegenüber der wachsenden Empörung innerhalb der nördlichen Gebiete den APC-Propagandisten direkt in die Hände. Albert Margai übernahm 1964, nach dem Tode seines Bruders, die Führung der SLPP-Spitze und wurde noch im selben Jahr vom Generalgouverneur zum Premierminister Sierra Leones ernannt. Schon seine Ernennung rief Empörung im Norden hervor, da viele Menschen davon ausgegangen waren, dass auf Milton Margai ein Premier folgen würde, der nicht der ethnischen Gruppe der Mende angehörte.89 Als Albert Margai kurz nach seiner Ernennung dann vier, ihm gegenüber kritische, Minister aus dem Kabinett entfernte, von denen zwei angesehene Politiker aus den nördlichen Provinzen waren, gab er sich ganz und gar der Propaganda des APC preis. Seine weitere Vorgehensweise sollte diesen Trend nur verstärken. Die Besetzung wichtiger Posten im öffentlichen Dienst, sowie in der Armee, mit Angehörigen der Mende, steigerte den Argwohn der nördlichen Bevölkerung zunehmend.90 Auch Margais Versuch, den 87 Sesay, Amadu [u.a.], Post-War Regimes and State Reconstruction in Liberia and Sierra Leone, Dakar 2009, S. 30; Conteh-Morgan/Dixon-Fyle, 1999, S. 69; Kargbo, Michael S., 2006, S.61-62. 88 Cartwright, John R., 1978, S. 176-177. 89 Alie, Joe A.D., 1990, S. 227. 90 Während der Amtszeit von Albert Margai steigerte sich der Anteil an Mende-Offizieren in der Armee von etwa 26% auf 52%, siehe: Keen, David, 2005, S. 14. S. 25 wachsenden Einfluss des APC mit Hilfe der Chiefs einzudämmen, wirkte sich negativ auf die Wahrnehmung seiner Partei aus. Immer mehr Menschen aus dem Norden sahen den APC als „ihre“ Partei an. Sie verstanden den APC als eine Partei, die ihre, spezifisch auf den Norden Sierra Leones ausgerichteten, Interessen gegen die bedrohlichen Vorhaben der Mende aus dem Süden verteidigen würde.91 Begünstigt durch die unsensible Politik Albert Margais gelang es Siaka Stevens und seinen Mitstreitern so, den APC Mitte der 1960er Jahre von einer Oppositionspartei in einen gefährlichen Gegner für die SLPP im Kampf um die Führung der Regierung zu verwandeln. Wie unvorteilhaft sich die Politik Margais auf die Stellung der SLPP tatsächlich ausgewirkt hatte, sollten die, nach dem direkten Wahlprinzip durchgeführten, Parlamentswahlen des Jahres 1967 zeigen. In der Zeit des Wahlkampfes bediente sich der APC intensiv des Instruments der Presse, um die in der SLPP-Regierung vorherrschende Korruption hervorzuheben und um neben dem bewährten Element der regionalen Propaganda noch ein weiteres auf nationaler Ebene wirksames Mittel der Wählermobilisierung auszunutzen. Das Engagement des gut organisierten APC zahlte sich aus. Trotz vielseitiger Versuche seitens der SLPPFührungsriege, die Wahlen vom 17. März 1967 zu ihren Gunsten zu manipulieren, setzte sich der APC klar mit 32 gewonnenen Parlamentssitzen gegenüber den 22 gewonnenen Sitzen der SLPP durch, und erreichte mit diesem Ergebnis eine absolute Mehrheit im Parlament.92 Wie von Christopher Allen eindrucksvoll dargelegt, kam der Wahlsieg des APC auf Grund seiner überwältigenden Dominanz in der Nord- und Westprovinz (die Westprovinz bezeichnet hier Freetown und die Umgebung der Halbinsel) zustande.93 Die Vertreter des APC hatten es geschafft, die Bevölkerung des Nordens, sowie die Mittelund Unterschicht Freetowns, auf der Basis eines propagierten Regionalismus und mit Hilfe des Appells an die Werte sozialer Gerechtigkeit, auf ihre Seite zu ziehen und so die, von der SLPP ausgeübte Dominanz, zu brechen. Am 21. März 1967 wurde Siaka Stevens zum Premierminister von Sierra Leone ernannt. Wie gefährlich die ethnoregionale Polarisierung, die der APC so vehement gefördert hatte, für die Stabilität einer Regierung sein konnte, zeigte sich bereits zu Beginn der Amtszeit des neuen Premiers. Kurz nach seiner Ernennung zum Premierminister wurde Stevens durch einen Militärputsch wieder abgesetzt. Einige hochrangige Offiziere der Sierra Leonischen Armee (SLA) empfanden die Machtübernahme des APC als eine Gefahr für ihre Stellung innerhalb des Militärapparates. Die Mende waren zur Zeit der SLPP-Regierung auch in der Armee die am stärksten repräsentierte Ethnie des Landes. Viele Mende-Offiziere fürchteten, dass sich die im Norden des Landes verankerte APC-Führung in der Armee vorrangig auf Gefolgsleute aus dem Norden Sierra Leones stützen würde. Eine Gruppe 91 92 93 Cartwright, John R., 1978, S. 193. Allen, Christopher, 1968, S. 314-315. Ebd., S. 319-321. S. 26 um Brigadier David Lansana führte dementsprechend noch im März 1967 einen MilitärCoup durch, dessen Folge die Gründung des National Reformation Council (NRC) war. Diese Militärregierung, deren Führung letztlich Oberstleutnant Andrew Juxon-Smith übernahm, konnte sich jedoch nicht lange an der Macht halten. Im April 1968 kam es zu einem weiteren Putsch, diesmal ausgeführt von einer Gruppe Unteroffiziere. Deren Motiv schien, unabhängig von ethnischen oder regionalen Loyalitäten, die Verbesserung ihrer finanziellen Situation gewesen zu sein. Jene Soldaten erhofften sich bessere Bezahlung und zusätzliche Privilegien von einer Zivilregierung, die mit ihrer Hilfe an die Macht gelangt sein würde. Nach der Gründung des National Interim Council (NIC) übergab die neue Militärregierung die Führung des Landes wieder an Siaka Stevens. Am 26. April 1968 wurde er erneut zum Premierminister ernannt.94 Die Regierungszeit Siaka Stevens sollte das Schicksal Sierra Leones in einer derart radikalen Weise prägen, wie es keine zweite Amtszeit nach ihr vermochte. Dass es sich bei der Betonung breitangelegter, sozialgerechter Projekte des APC nur um scheinheilige Rhetorik handelte, stellte sich schon in den ersten Jahren der APC-Herrschaft heraus. 5. Siaka Stevens und das Schicksal Sierra Leones Das Regime des Siaka Stevens basierte auf einer Herrschaftsform, die in der Wissenschaft heute allgemein als Neopatrimonialismus95 bekannt ist. Stevens sicherte seine Machtposition im Staat damit, dass er kleinen Gruppen wechselnder Klienten, die großen Einfluss in Politik und Wirtschaft besaßen, Zugang zu bedeutenden Positionen in seiner Regierung, sowie Zugang zu wirtschaftlichen Ressourcen verschaffte. Er zeichnete sich als geschickter Manipulator politischer Geschehnisse aus und nutzte die Schwächen seiner Widersacher, um seine Macht zu erweitern. Besondere Privilegien ließ Stevens der Armee und deren Führungspersonal zukommen, hatte er doch am eigenen Leib erfahren müssen, wie gefährlich Unzufriedenheit in den Reihen des Militärs für ihn sein konnte. Außerdem billigte er einen hohen Grad an Korruption in seiner Regierung und unterstützte im Allgemeinen jegliche Vorgehensweise von Offiziellen und Privatpersonen, die zu seiner persönlichen Bereicherung beitrug.96 In den 17 Jahren seiner Regierungszeit entwickelte sich Sierra Leone von einem der hoffnungsvollsten Staaten Westafrikas zu einem der ärmsten Länder des gesamten afrikanischen Kontinents. Obwohl sich der ökonomische Abwärtstrend schon in den letzten Jahren der SLPP-Regierung angedeutet hatte, sollte er unter Siaka Stevens einen vorläufigen 94 Allen, Christopher, 1968, S. 316-329. Zur Bedeutung des Begriffs Neopatrimonialismus in der Wissenschaft: Ulf Engel, Neopatrimonialismus, in: Rolf Hofmeier/Andreas Mehler [Hrsg.], Kleines Afrika-Lexikon, München 2004, S. 212-214. 96 Alie, Joe A.D., 1990, S. 248-250. 95 S. 27 Höhepunkt erreichen. Lebensumständen, die Es ist davon die breite auszugehen, Masse der dass Bevölkerung in den desolaten während Stevens‘ Regierungszeit erdulden musste, erste Ursachen für den späteren Ausbruch des Bürgerkrieges der 1990er Jahre zu suchen sind. 5.1 Das Stevens-Regime: Sierra Leone als Einparteienstaat In Sierra Leone war die Ausübung von Macht eng mit der Ausübung von Gewalt verbunden. Die Armee diente in diesem Zusammenhang schon seit der Kolonialzeit dazu, Unruhen in der Bevölkerung zu unterdrücken und politische Gegner einzuschüchtern. Selbst in verschiedene Fraktionen gespalten, hatten Teile der Armee in den späten 1960er Jahren für mehrere Putschversuche gesorgt. Einige dieser Versuche, darunter auch der Putsch gegen Stevens‘ APC, waren von Erfolg gekrönt. Um einer solchen Gefahr aus dem Weg zu gehen, versuchte Stevens, frühzeitig das Militär auf eine vornehmlich zeremonielle Rolle zu beschränken. 1973 rief er als Gegengewicht zur bestehenden Armee die sogenannte Special Security Division (SSD) ins Leben. Diese private Sicherheitstruppe sollte nicht nur die Sierra Leonische Armee in Schach halten, sondern gleichzeitig die Einschüchterung der politischen Gegner des APC übernehmen. Sie rekrutierte ihre Mitglieder größtenteils aus Gebieten, die als APC-Hochburgen bekannt waren, und begann bald sowohl Wähler als auch Politiker einzuschüchtern. Des Weiteren zog die APC-Regierung unabhängige Gewerkschaften aus dem Verkehr und verbot Streiks generell. Die freie Presse wurde zensiert und Studentenproteste wurden vielerorts blutig niedergeschlagen. Diese Einschüchterungsversuche brachten die Führungsriege der SLPP dazu, ihre Partei von den Wahlen des Jahres 1973 zurückzuziehen. Obwohl die SLPP zu den Wahlen des Jahres 1977 wieder antrat, verliefen diese auf Grund der erneuten Einschüchterungen durch die SSD und APCAnhänger ähnlich einseitig wie die vorherigen Wahlen.97 Da die SLPP die einzige ernstzunehmende Opposition im Lande war, wurde Sierra Leone so de facto zu einem Einparteienstaat. 1978 gelang es Stevens schließlich Sierra Leone mit Hilfe einer Verfassungsänderung formell in einen Einparteienstaat zu verwandeln.98 Die Weise, auf welche Stevens seine Position im Staat gefestigt hatte, schuf ein Klima in Sierra Leone, in dem Gewalt als ein legitimes Mittel zur Erlangung von Macht angesehen wurde. Besonders die während des Wahlkampfes ausgeführten Gewaltakte seitens der SSD und der APC-Anhänger konnten extreme Formen annehmen und lieferten den Menschen, die sie miterleben mussten, einen Vorgeschmack auf die Gräueltaten, die sich im Bürgerkrieg der Jahre kurz nach Siaka Stevens‘ Regierungszeit stetig 97 98 Keen, 2005, S. 16-17. Sesay, Amadu [u.a.], 2009, S. 31-32.; Alie, Joe A.D., 1990, S. 244. S. 28 wiederholen sollten. Diese Art der Idealisierung von Gewalt durch Stevens und andere Politiker sorgte dafür, dass eine ganze Generation junger Sierra Leoner die Überzeugung entwickelte, Gewalttätigkeit würde sich auszahlen und stelle den kürzesten Weg zu Erfolg und Wohlstand dar.99 Zweifelsohne wurde hier der Grundstein für die extremen Formen der Gewalt gelegt, die während der Zeit des Bürgerkrieges in Sierra Leone zwischen 1991 und 2002 nahezu im ganzen Land auftraten. 5.2 Das Stevens-System: Sierra Leone als „Shadow-State“ Siaka Stevens zeichnete sich während seiner Regierungszeit dadurch aus, dass er es verstand, seine diplomatischen Fähigkeiten geschickt zu seinem Vorteil zu nutzen. Als er in Sierra Leone an die Macht kam, befand er sich in einer Situation, in der er diese Fähigkeiten mit großer Umsicht zur Anwendung bringen musste. Sierra Leone war nach wie vor ein Land, dessen wirtschaftliche Lage vom Export seiner Rohstoffe abhing. Daher war es Stevens‘ primäre Aufgabe, die Kontrolle über diese Rohstoffe zu erlangen, um so neben seiner Kontrolle über die Vergabe politischer Ämter eine weitere Quelle für die Versorgung seines Patronagesystems zu etablieren. Gerade die Erlangung der Kontrolle über die wichtigste Ressource Sierra Leones, Rohdiamanten, jedoch stellte für Stevens ein enormes Problem dar. Der Export von Rohdiamanten erbrachte spätestens seit der Unabhängigkeit Sierra Leones die mit Abstand größten wirtschaftlichen Einnahmen des Landes. Allerdings wurden illegale Förderung und illegaler Handel der Diamanten im großen Stil betrieben und waren nur schwer einzudämmen. Dieser Umstand ergab sich aus der Art der Diamantenvorkommnisse in Sierra Leone. Dort waren die Diamanten überwiegend an Flussbetten zu finden und konnten ohne schweres Gerät aus dem schlammigen Boden entnommen werden. Die dadurch vielerorts gegebenen Möglichkeiten, Diamanten illegal zu fördern und zu verkaufen, hinderten den Staat nicht nur daran, wichtige wirtschaftliche Einnahmen zu verzeichnen, sondern riefen außerdem starke Eigeninteressen bei lokalen Politikern hervor, die sich von der Kontrolle der Diamantenfelder ihrer Herkunftsgebiete politische und finanzielle Aufstiegschancen versprachen. Stevens musste daher ständig darauf achten, dass er lokale Politiker, die über entsprechende Zugänge zu Diamanten verfügten, entweder in sein System integrieren oder ausschalten konnte. Er griff dabei auf Strategien zurück, die den formellen Staat schwächten und ihn im Laufe der Zeit unterliefen.100 Hinter der Fassade des Staates operierend, etablierte Stevens ein System, das William Reno in seiner Arbeit 99 Keen, 2005, S. 18. Clapham, Christopher, Sierra Leone: The Political Economy of Internal Conflict, Netherlands Institute of International Relations „Clingendael“: Working Paper 20, Den Haag 2003, S. 11-13. 100 S. 29 zu Sierra Leone als „shadow state“ bezeichnet.101 Dieses System diente einerseits dazu, Stevens‘ persönlichen Reichtum zu vermehren, andererseits war es darauf ausgerichtet, die Machtposition von Stevens aufrecht zu erhalten. So wurden nicht nur Spitzenpolitiker und hohe Militärs mit politischen Ämtern versehen, sondern auch Journalisten und Lehrerverbände durch Bestechung oder Einschüchterung in das patrimoniale System eingebettet. Stevens war darauf bedacht, vor allem hochrangige Funktionäre mit großzügigen Privilegien zu versehen. So durften hohe Staatsbeamte oder Militärs illegal Häuser auf Ländereien aus Staatsbesitz bauen und diese anschließend an ausländische Firmen verleihen. Ein weiteres Mittel, das Stevens zur Konsolidierung seines patrimonialen Systems anwendete, war die stetige Neubesetzung wichtiger Posten in der Regierung und im öffentlichen Dienst. Auf diese Weise verhinderte er, dass diejenigen, die ihre Positionen nutzten, um sich zu bereichern, durch lange Amtsperioden zusätzlich dazu in die Lage versetzt wurden, politische Macht aufzubauen. Dies wiederum trug dazu bei, die ohnehin schon vorhandene Korruption noch zu verschärfen, da die meisten Amtsträger von vornherein darauf eingestellt waren, nur für kurze Zeit auf ihrer jeweiligen Position verweilen zu können. So herbeigeführte Machtkämpfe lokaler Politiker untereinander halfen dabei, konzertierten Angriffen auf die Machtposition Stevens‘ entgegenzuwirken. Auch das von Stevens durchgesetzte Rechtssystem wirkte sich in erster Linie negativ auf die ärmere Bevölkerung des Landes aus, da es ebenso wie die Politik und die Wirtschaft von Korruption geprägt war. Wer genügend Einfluss oder finanzielle Mittel besaß, konnte sich relativ problemlos einer Strafverfolgung entziehen, wohingegen Menschen aus armen Verhältnissen oftmals fälschlicherweise verurteilt wurden. Schon nach wenigen Jahren der Herrschaft Siaka Stevens‘ in Sierra Leone waren Korruption und Machtmissbrauch zur Norm geworden. Selbst dort, wo Stevens aktiv versuchte, Korruption einzudämmen, führte das Fehlen tatsächlich ausgeübter staatlicher Kontrolle zu Veruntreuung und Amtsmissbrauch. Als Stevens beispielsweise zu Beginn seiner Amtszeit Polizei und Armee einsetzte, um den Diamantenschmuggel Sierra Leones zu bekämpfen, führte dies letztendlich dazu, dass sich große Teile der Armee und der Polizei am illegalen Vertrieb der wertvollen Edelsteine beteiligten.102 Siaka Stevens hatte ein System errichtet, dass sich des Staatsapparates lediglich zur offiziellen Legitimierung der eigenen Herrschaft bediente. Während er und einige wenige einflussreiche Personen massiv von diesem „shadow state“ profitierten, versank der formelle Staat im wirtschaftlichen Ruin. In den 1980er Jahren entwickelte sich in Sierra 101 Reno, Williams, Corruption and State Politics in Sierra Leone, Cambridge 1995: Reno liefert in seinem Buch eine ausführliche Beschreibung des sogenannten “shadow sate” unter Siaka Stevens und erklärt präzise die essentielle Rolle, welche die Diamantenindustrie in Stevens‘ System gespielt hat. 102 Keen, 2005, S. 19-22. S. 30 Leone eine Wirtschaftskrise, die den alternden Siaka Stevens zum Rücktritt zwingen und das Schicksal seines Nachfolgers vorzeitig besiegeln sollte. 5.3 Das Vermächtnis von Siaka Stevens: Sierra Leone vor dem Zusammenbruch Zu Beginn der 1980er Jahre fand sich Sierra Leone in einer strukturellen Krise wieder, die alle Bereiche des öffentlichen Lebens betraf. Angesichts einer wachsenden und zunehmend städtischen Bevölkerung fiel die Pro-Kopf-Produktion von Nahrungsmitteln im Lande um mehr als zehn Prozent. Sierra Leone, dass einst genügend Nahrungsmittel produzierte, um seine eigene Bevölkerung zu versorgen, war mittlerweile auf Reisimporte angewiesen. Zu den sinkenden Weltmarktpreisen für Bodenschätze aus Sierra Leone kam ein stetig sinkendes Exportvolumen hinzu. Die Importpreise für Erdöl und Reis stiegen hingegen an, sodass allein diese beiden Importprodukte gegen 1985 mehr als die Hälfte der Exporteinnahmen des Staates vertilgten. Auf Grund der prekären wirtschaftlichen Lage stieg die Auslandsverschuldung der Regierung enorm an. Eine wesentliche Umstrukturierung der Wirtschaft wäre nötig gewesen, hätte man die vorherrschende Krise erfolgreich abwenden wollen. Da Stevens und seine Anhänger den formellen Staat jedoch in seiner ursprünglichen Funktion längst verworfen hatten, waren sie wenig daran interessiert, Maßnahmen wie Investitionen in die öffentliche Infrastruktur, eine breitangelegte Bildung oder den Landwirtschaftssektor durchzuführen. Vielmehr reagierte Stevens erst durch Druck von außen auf die Krisenerscheinungen in seinem Land. Die vom Internationalen Währungsfond (IWF) und der Weltbank geforderten Maßnahmen zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise in Sierra Leone entsprachen eher den Vorstellungen der Führungsriege um Stevens. Dies ist darauf zurückzuführen, dass sie zunächst keine direkten Auswirkungen auf die korrupte Elite des Staates hatten. Der IWF forderte massive Einsparungen im Staatshaushalt und die Abwertung der Sierra Leonischen Währung. Da Stevens und die meisten anderen Regierungsvertreter, sowie deren Geschäftspartner, ihre Haupteinnahmen weder vom Staatsapparat noch in einheimischer Währung erhielten, sondern auf dem Wege illegaler Privatgeschäfte mit dem Ausland erzielten, konnten sie die Umsetzung dieser Vorgaben nutzen, um sich die Bereitschaft zur aktiven Krisenbekämpfung bescheinigen zu lassen. Tatsächlich führten diese Maßnahmen aber zu einer Verschärfung der Krise. Die Abwertung des Leone103 sorgte für eine rasante Inflation im Lande und erhöhte den Druck auf die Bevölkerung. Vor allem die Mittelschicht Sierra Leones wurde hart getroffen. Die Inflation machte ihre verhältnismäßig guten Löhne beinahe wertlos, sodass sich viele gut situierte Familien in Armut wiederfanden. Ähnlich hart traf es eine Vielzahl an Bauern, die auf Grund der 103 Name der Sierra Leonischen Währung. S. 31 exorbitant angestiegenen Produktions- und Transportkosten kaum dazu in der Lage waren, von den durch die Maßnahmen anvisierten, höheren Verkaufspreisen ihrer Produkte auf den Märkten zu profitieren. Kurzum, diejenigen, welche nicht Teil des Patronagesystems Siaka Stevens‘ waren, wurden mit voller Wucht von der Inflation und den Einsparungen der Regierung in wichtigen, ohnehin schon lange vernachlässigten, Bereichen des öffentlichen Lebens getroffen.104 Im Rahmen dieser anhaltend negativen, ja sich zuspitzenden, Entwicklungen unter Siaka Stevens ist es kaum verwunderlich, dass seine Akzeptanz Mitte der 1980er Jahre einen Tiefpunkt erreichte. Angesichts der andauernden Krise, sowie des wachsenden Drangs nach politischen Veränderungen durch die Bevölkerung, und nicht zuletzt auch auf Grund seines fortgeschrittenen Alters – Stevens hatte das 80. Lebensjahr bereits überschritten – kündigte er 1985 seinen Rücktritt an. Er bestimmte Generalmajor Joseph Momoh, seinerseits Oberhaupt der SLA, zu seinem Nachfolger. Diese Entscheidung wurde kurze Zeit später auf der Abgeordnetenversammlung des APC angenommen, sodass Momoh im November 1985, nach gewohnt einseitigen Wahlen, die Präsidentschaft Sierra Leones übernahm.105 Stevens hatte ihm Sierra Leone in einer solch katastrophalen Verfassung übergeben, dass es Momoh trotz einigen guten Willens nie gelingen sollte, das Land aus der bestehenden Krise herauszuführen. 5.3.1 Joseph Momoh und der Weg in den Bürgerkrieg Kurz nach seinem Amtsantritt verkündete Momoh, er wolle eine neue Ordnung einführen, wirtschaftliche Reformen auf den Weg bringen und der Korruption den Kampf ansagen. Er präsentierte sich als Vertreter eines Bruchs mit der Vergangenheit des APC. Zu Beginn seiner Amtszeit deutete vieles darauf hin, dass Momoh durchaus die Umsetzung einer neuen Ordnung anstrebte. Sein Hauptziel stimmte mit dem der internationalen Finanzinstitute überein, da Momoh ebenso wie diese die Kapazität des Staatseinkommens steigern wollte, um so unter anderem die Schulden des Staates ausgleichen zu können. Momoh, dem wohl bewusst war, dass seine politische Kariere von seiner Fähigkeit abhing, die Zustände im Land zu stabilisieren, versuchte, den Staatsapparat als Instrumentarium für die Aufspaltung des, unter Stevens etablierten, Patronagesystems zu benutzen. Während der ersten Jahre seiner Präsidentschaft schien ihm dieses Vorhaben denn auch zu gelingen. So steigerte sich das Reserveguthaben der Nationalbank Sierra Leones von 196.000 U.S. Dollar im Jahr 1985 auf 7,6 Millionen U.S. Dollar zum Ende des Jahres 1986. Auch schien Momoh die staatliche Kontrolle über die Diamantenindustrie zurückzugewinnen, erhöhten sich doch die offiziellen Exportzahlen von Diamanten zwischen 1985 und 1987 um etwa 280 Prozent. Angetrieben von diesen 104 105 Keen, 2005, S. 24-26. Conteh-Morgan/Dixon-Fyle, 1999, S. 121. S. 32 frühen Erfolgen setzte der ehemalige Militärführer zum entscheidenden Schlag an. 1987 ließ er mit den Public Economic Emergency Regulations (PEER) den wirtschaftlichen Ausnahmezustand erklären und sanktionierte im Zuge dieser Verordnungen schärfste Maßnahmen gegen den informellen Wirtschaftssektor. Ziel dieser Maßnahmen war es, die staatliche Kontrolle über Handels- und Steuereinnahmen weiter zu festigen.106 Mit der Umsetzung seiner Verordnungen betraute Momoh die Armee, welche er in die ländlichen Gebiete Sierra Leones sandte, wo sie Schmuggel und andere illegale Aktivitäten unterbinden sollte. Dies erwies sich indes langfristig gesehen als kontraproduktiv für die Stabilität seiner Regierung, da ein Teil der Armee die Gelegenheit nutzte, um sich aktiv am illegalen Handel zu beteiligen. Entgegensetzt der eigentlichen Intention des Programms zur Bekämpfung von Korruption wurde die Teilnahme an den PEERMaßnahmen in den Grenzgebieten zu einer lukrativen Einnahmequelle für das Militär. In dieser Phase der aktiven Verwicklung des Militärs in den illegalen Handel entwickelte sich, vor allem innerhalb der militärischen Führung, ein erstes Verständnis dafür, wie sehr man von den desaströsen, ungeordneten Verhältnissen in Sierra Leone profitieren konnte. Mit der neuen Rolle der Armee in der informellen Wirtschaft wuchs deren Verlangen nach Macht, sowie nach Unabhängigkeit von der Regierung.107 Zusätzlich dazu empfanden einige der in Schmuggel und anderen illegalen Metiers etablierten Geschäftsleute und Politiker die Reformen Momohs und das einhergehende Eingreifen der Armee in ihre Angelegenheiten als eine Bedrohung. Ihre Antwort auf die Maßnahmen des PEER-Programms ließ nicht lange auf sich warten. 1987 kam es zu einem Putschversuch, der durch treue Anhänger Momohs gerade noch vereitelt werden konnte. Ausgegangen war der Versuch, den Präsidenten zu stürzen, von einflussreichen Personen aus dem engen Netzwerk des ehemaligen Stevens-Regimes. Dieser elitäre Kreis stellte mit der Organisation des Putsches klar, dass er nicht nur in direkter Opposition zu Momohs Reformen stand, sondern auch dazu bereit war, alles in seiner Macht stehende zu unternehmen, um die eigenen Privilegien zu verteidigen. Nach dem abgewendeten Coup änderte sich die Vorgehensweise Momohs. Die Bekämpfung der Korruption in Sierra Leone trat in den Hintergrund seiner Reformbemühungen und das Ausmaß der staatlichen Kontrolle über die Wirtschaft kehrte größtenteils zum status quo ante der letzten Jahre des Stevens-Regimes zurück.108 Die wirtschaftliche Lage des Landes verschlechterte sich dementsprechend in den folgenden Jahren dramatisch. Als Reaktion auf die sich ausweitende Krise setzte Momoh, im Einklang mit den Vorstellungen des IWF und der Weltbank, heftige Sparmaßnahmen durch, die vor allem die Subventionen von Lebensmitteln und Treibstoff betrafen. Derartige Sparmaßnahmen 106 107 108 Conteh-Morgan/Dixon-Fyle, 1999, S. 122-125. Keen, 2005, S. 31-33. Conteh-Morgan/Dixon-Fyle, 1999, S. 124-125. S. 33 hatte Siaka Stevens während seiner Amtszeit stets tunlichst vermieden, da er wusste, welch desaströse Folgen die Einstellung dieser Subventionen für sein Patronagesystem mit sich gebracht hätten. Momoh, dessen Regierung auf die Unterstützung durch den IWF und andere internationale Geldgeber angewiesen war, führte die Maßnahmen dennoch durch, um der internationalen Gebergemeinde seine Reformbereitschaft aufzuzeigen. 109 außerordentliche Entgegen den Vermutungen der internationalen Finanzinstitute führten die Sparmaßnahmen zu einer weiteren Verschlechterung der Situation. Bis Ende 1987 stieg die Inflation auf 170 Prozent an und im Jahre 1989 war die gesamte formelle Wirtschaftsleistung Sierra Leones um etwa fünf Prozent geschrumpft. Auf Grund der stetig sinkenden Staatseinnahmen konnte Momohs Regierung ihre jährlichen Schuldzahlungen kaum noch ableisten, sodass IWF und Weltbank schließlich 1990 weitere Kreditaufnahmen seitens der Regierung blockierten. Nichtsdestotrotz hielt Momoh an den, vom IWF geforderten, Sparmaßnahmen fest, weil er hoffte, auf diese Weise die finanzielle Unterstützung zu bekommen, die er so dringend benötigte, um seine Regierung aufrecht zu erhalten. In mitten all dieser Reformversuche entstand eine immer größer werdende Kluft zwischen der Masse der Bevölkerung, die direkt von den Einsparungen der Regierung betroffen war und der Machtelite, die sich auf illegalem Wege von den Auswirkungen der Krise abschirmen konnte. In vielen ländlichen Gegenden wurde der Staat allmählich als eine lästige Bürde angesehen, da er zwar Abgaben fordern, aber keine Leistungen mehr erbringen konnte. Gleichzeitig stieg die öffentliche Artikulation der Unzufriedenheit unter den gebildeten Stadtbewohnern. Rechtsanwälte, Lehrer, Studenten und andere Angehörige der schwindenden Mittelschicht setzten sich an die Spitze des Protests gegen den Einparteienstaat und forderten die Rückkehr in eine Mehrparteiendemokratie. Auch im Militär machte sich langsam Unmut breit, da die gewöhnlichen Soldaten meist vergeblich auf ihren Lohn warteten und, anders als hochrangige Offiziere, keine Möglichkeiten hatten, sich im informellen Sektor zu bereichern. Gelähmt durch die Finanzkrise gelang es Joseph Momoh und seiner Regierung folglich immer weniger, die Loyalität der Bevölkerung, sowie der Beamten gegenüber dem Staat zu sichern. Die abnehmende Finanz- und Fürsorgekraft des Staates erzeugte wachsenden Missmut, sorgte aber gleichzeitig dafür, dass die Mittel fehlten, um diesen Missmut zu besänftigen.110 Sierra Leone befand sich Anfang der 1990er Jahre in einem Ausnahmezustand sondergleichen. Der Staat übte kaum noch Einfluss auf das öffentliche Leben aus und ein Großteil der Land- und Stadtbevölkerung hatte jegliches Vertrauen in die Regierung verloren. Die Kontrolle über Wirtschaft und Militär konzentrierte sich in den Händen weniger mächtiger Personen, die einen funktionierenden Rechtsstaat eher als Bedrohung für ihre Interessen, denn als 109 110 Keen, 2005, S. 26. Conteh-Morgan/Dixon-Fyle, 1999, S. 125-126; Keen, 2005, S. 31-32. S. 34 Voraussetzung für ihre Prosperität ansahen. Sie waren Personen, die die Fassade des ausgehöhlten Staatsgebildes als Deckmantel für ihre illegalen Machenschaften nutzten. Es sind diese Voraussetzungen unter denen das Ausmaß der Ereignisse zu verstehen ist, die sich in Sierra Leone zwischen 1991 und 2002 abspielen sollten. Als im März des Jahres 1991 eine Gruppe Rebellen aus dem benachbarten Liberia in das Territorium Sierra Leones eindrang und die Momoh-Regierung mit einer militärischen Bedrohung konfrontierte, offenbarte sich die Nichtexistenz der staatlichen Ordnungsmacht in einer Art und Weise, die tragischer nicht hätte sein können.111 6. Sierra Leone im Bürgerkrieg Bis Ende Februar 1991 war die Generierung von Staatseinnahmen das Hauptproblem Joseph Momohs bei der Stabilisierung seiner Regierungsgewalt. Dieses Problem wurde jedoch im März desselben Jahres schlagartig in die Zweitrangigkeit verwiesen, als eine Gruppe von Rebellen in das Gebiet Sierra Leones eindrang. Die Rebellen überquerten von Liberia aus die Grenze und attackierten Städte innerhalb des Kailahunbezirks im Südosten Sierra Leones. Ausgeführt wurden die Angriffe von Kämpfern der National Patriotic Front of Liberia (NPFL) und der Revolutionary United Front (RUF).112 Kurz nach den Angriffen berief Präsident Momoh eine Notstandssitzung seines Kabinetts ein, auf der er Charles Taylor, den Anführer der NPFL, für die Attacken verantwortlich machte. In seiner Stellungnahme zu den Vorfällen ignorierte Momoh das Sierra Leonische Moment der Angriffe, namentlich die RUF unter der Führung von Foday Sankoh, gänzlich. Jenes Vorgehen sollte sich als äußerst unbesonnen herausstellen. Die RUF-Rebellen, welche sich als Friedenskämpfer für die Befreiung Sierra Leones von der Knechtschaft des APC proklamiert hatten113, eröffneten in kürzester Zeit eine weitere Front im südlichen Pujehundistrikt. Da die gerade einmal 3000 Mann starke Armee Sierra Leones auf Grund der wirtschaftlichen Krise und der Veruntreuung von Staatsgeldern massiv unterfinanziert war, sah sie sich einer Aufgabe gegenüber, die sie nur schwerlich meistern konnte.114 Die RUF schien zunächst keine Probleme zu haben, sich gegen die mut- und motivationslosen Truppen durchzusetzen, die Momoh gegen sie ins Feld schickte. Bezeichnenderweise richteten sich die Angriffe der vermeintlichen Friedenskämpfer der RUF jedoch hauptsächlich gegen Zivilisten. Sowohl die RUF als auch die SLA suchten offenbar bewusst, eine militärische Konfrontation zu vermeiden. Es war daher einer dritten Kraft zu verdanken, dass die RUF-Rebellen in dieser Frühphase der 111 Clapham, Christopher, S. 13-14. Conteh-Morgan/Dixon-Fyle, 1999, S. 126-127. 113 Ebd. S. 126. 114 Gberie, Lansana, A Dirty War in West Africa. The RUF and the Destruction of Sierra Leone, Bloomington 2007, S. 60. 112 S. 35 Auseinandersetzung vorerst zurückgedrängt werden konnten. Das United Liberation Movement of Liberia (Ulimo) kam den Streitkräften Sierra Leones zur Hilfe und sorgte innerhalb von zwei Monaten dafür, dass sich die RUF vollständig aus dem Pujehunbezirk zurückzog. Ulimo war eine Bewegung, die aus Anhängern Samuel Doe’s, des ehemaligen liberianischen Präsidenten, bestand. Diese Gruppe hochmotivierter und gut ausgebildeter Kämpfer, die sich in den Grenzgebieten Sierra Leones organisiert hatte, strebte nach Rache an Charles Taylor und seiner NPFL für den Sturz ihres Militärregimes und die Ermordung Samuel Doe’s.115 Einzig und allein darauf fokussiert, Taylors NPFL niederzuringen, zog Ulimo Ende des Jahres 1991 über die Sierra Leonische Grenze nach Liberia und trat in den dort stattfindenden Bürgerkrieg ein. An der östlichen Front in Sierra Leone hielten guineische Truppen die RUF-Rebellen gemeinsam mit der SLA davon ab, weiter in das Landesinnere vorzudringen, waren aber nicht dazu in der Lage, die Rebellen entscheidend zu schlagen. Erstaunlicherweise genügte diese Pattsituation, um das öffentliche Interesse in Sierra Leone wieder auf die Politik zu lenken. Die allgemeine Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der APC-Regierung veranlasste Momoh dazu, ein Referendum über den Einparteienstaat in Gang zu bringen. Nachdem neunzig Prozent der Wähler für eine Abschaffung des Systems votiert hatten, unterzeichnete der unter Druck stehende Präsident im September 1991 eine Verfassung, die das Mehrparteiensystem wieder als Basis des Sierra Leonischen Staates festsetzte. Scheinbar erhoffte sich Momoh durch diese Maßnahme eine gewisse Besserung seiner Akzeptanz unter der Zivilbevölkerung. Dass er gerade im Angesicht einer militärischen Bedrohung sein Hauptaugenmerk auf die Verbesserung seiner politischen Lage legte, sollte ihm allerdings zum Verhängnis werden. Obwohl Momoh behauptete, monatlich 250 Millionen Leone für die Versorgung des Heeres bereitzustellen, hatten die Truppen an der Front im Laufe der andauernden Kampfhandlungen schon lange keinen Lohn mehr erhalten. Im April des Jahres 1992 kam es schließlich dazu, dass sich eine Gruppe unzufriedener Soldaten von ihrer Position an der Front löste und auf Freetown zumarschierte. Am 29. April nahm sie innerhalb kürzester Zeit das Parlamentsgebäude ein und verkündete die Formierung einer Militärjunta unter dem Namen National Provisional Ruling Council (NPRC). Momoh, der sich in das benachbarte Guinea flüchten konnte, wurde von Hauptmann Valentine Strasser an der Spitze des Staates abgelöst. Strasser teilte nach dem erfolgreichen Coup mit, dass es das Ziel des NPRC sei, den Bürgerkrieg schnellstmöglich zu beenden und anschließend zu einer Zivilregierung zurückzukehren. Zu dem Zeitpunkt, als der NPRC die Regierung Sierra Leones übernahm, tobte der Krieg bereits seit über einem Jahr und die Zerstörung in den betroffenen Gebieten hatte einen beträchtlichen Umfang angenommen. In den südlichen 115 Gberie, Lansana, 2007, S. 64-65. S. 36 und östlichen Provinzen waren ganze Städte dem Erdboden gleichgemacht worden und allein die Zahl der Menschen, die von Sierra Leone nach Guinea flüchtete, hatte einen Stand von über 120.000 erreicht. Selbst die Menschen, welche die Rebellen anfangs mit offenen Armen empfangen hatten, weil sie sich von ihnen eine wahrhaftige Revolution versprachen, mussten mittlerweile erkennen, dass es sich bei der RUF eher um einen, teils schwer bewaffneten, Schlägertrupp ohne klar formulierte politische Ziele handelte.116 Wie es zur Entstehung dieser, auf so dramatische Weise für die Geschichte Sierra Leones bedeutenden, militanten Gruppierung kam, soll im nächsten Kapitel kurz dargelegt werden. 6.1 Der Ursprung der Revolutionary United Front Die ausführlichen Untersuchungen Ibrahim Abdullahs117 über die Revolutionary United Front führen deren Wurzeln auf die radikale Studentenbewegung zur Zeit der Regentschaft Siaka Stevens‘ zurück. Abdullah beschreibt diese Studentenbewegung als eine informelle Opposition zur APC-Diktatur der 1970er und 1980er Jahre. Laut Abdullah solidarisierten sich die Studenten, allen voran radikale Elemente des Fourah Bay College (FBC), in den 1970er Jahren mit ihren weniger gut situierten Altersgenossen aus den Ghettos der Großstädte, um deren Sorgen und Nöten ein Forum zu bieten. Die Studenten integrierten sich in die, von Drogen und Kriminalität dominierte, Jugendkultur des Lumpenproletariats und formten so ein Gefühl der Zusammengehörigkeit unter den Jugendlichen aller Klassen. Sie nutzten die Exklusivität der sogenannten „potes“118 zum Gedankenaustausch und zur Organisation ihres Protests gegen das repressive Einparteiensystem des APC. So kam es 1977 in Freetown zu einer studentischen Großdemonstration, die das Stevens-Regime dazu veranlasste, kurze Zeit später Neuwahlen anzusetzen, um den Anschein der Möglichkeit politischer Veränderungen zu erwecken. Dieser nicht zu verachtende Erfolg, gekoppelt mit den sich verschlechternden sozialen Verhältnissen im Lande, ermutigte die Studentenschaft dazu, in offene Opposition zum APC zu treten. Die Führungsriege des APC, die, ähnlich wie ihre Vorgänger, eine Tendenz hatte, die Vorstellungen und Ambitionen der jungen Generation in Sierra Leone zu missachten, versuchte zunächst, die geistigen Führer der Studentenbewegung zu kooptieren. Als sich schnell herausstellte, dass es den jugendlichen Intellektuellen mit ihrer ideologischen Rhetorik ernst war, wurde zu disziplinarischen Maßnahmen übergegangen. Unter anderem ernannte der Verwaltungsrat des FBC im Jahr 1985 einen ehemaligen Polizeichef, Jenkin Smith, zum 116 Gberie, Lansana, 2007, S. 67-72, S. 152-154. Abdullah, Ibrahim, Bush Path to Destruction: The Origin and Character of the Revolutionary United Front/Sierra Leone, in: The Journal of Modern African Studies, Vol. 36, No. 2 (1998), S. 203-235. 118 Gegenden, in die sich städtische Jugendliche zurückzogen, um unter sich sein zu können. 117 S. 37 Aufseher der Studenten. Im Zusammenhang mit den Versuchen, die Studenten zu maßregeln, kam es zur Gründung einer radikalen Studentenvereinigung namens Mass Awareness and Participation (MAP) unter der Führung Alie Kabbas. Dieser radikale Kreis um Kabba sympathisierte offen mit den „revolutionären“ Ideen des libyschen Präsidenten Muammar al-Gaddafi.119 Den entscheidenden Anstoß für die Etablierung einer aktiven Verbindung zwischen den radikalen Studenten und dem libyschen Regime gab die zweimonatige Inhaftierung und anschließende Exmatrikulation Kabbas in Folge einer gewalttätigen Studentendemonstration im Jahr 1985.120 Nach ihrem Ausschluss begaben sich Kabba und drei weitere ehemalige Studenten auf Geheiß von Gaddafi nach Ghana, wo sie in die Universität von Legon aufgenommen wurden. Dort bekamen sie finanzielle Unterstützung aus Libyen, um ihre Zahl zu erweitern und sich auf ihre „revolutionären Aufgaben“ konzentrieren zu können. Laut Abdullah handelte es sich zu diesem Zeitpunkt um eine kleine Gruppe von Aussätzigen, die sich weder auf ein bestimmtes politisches Programm berief, noch eine eigenständige politische Organisation oder Struktur etabliert hatte. Sie blieb während ihres gesamten Aufenthalts in Ghana eine informelle politische Gruppierung, deren Zusammenhalt auf der gemeinsamen Erfahrung von Ausschluss und der Verpflichtung gegenüber radikalen Prämissen basierte.121 Als Gaddafi diese Studenten 1987 zur Rekrutierung von Freiwilligen aus Sierra Leone für die militärische Ausbildung in Benghazi aufrief, gab es demnach keine ideologische Plattform, auf deren Basis diese Rekrutierung hätte stattfinden können. In der Zeit zwischen April 1985 und August 1987 hatte sich überdies eine Veränderung in der Zusammensetzung vieler radikaler Gruppen in Freetown vollzogen. Die Gründung von Studentenvereinigungen am FBC war nach den Vorfällen von 1985 verboten worden, sodass nun „revolutionäre“ Gruppierungen, allen voran PANAFU122, die führende Rolle im Streben nach gesellschaftlicher Veränderung übernahmen. PANAFU lehnte jedoch die Rekrutierung durch das libysche Regime offiziell ab. Die weitgehende Ablehnung der militanten Vorstellungen einiger äußerst radikaler Aussätziger, die ihr Heil in der „revolutionären“ Ideologie Muammar al-Gaddafis sahen, selbst durch äußerst radikale Organisationen innerhalb Sierra Leones, bedeutete, dass die militante Bewegung ihre Anhänger nun vornehmlich aus dem hoffnungslosen, unpolitischen Lumpenproletariat rekrutieren musste. Jener Umstand sollte sich später in der Zusammensetzung der RUF widerspiegeln. Dennoch stieß der Aufruf zur Bewaffnung gegen das korrupte APCRegime keinesfalls überall auf taube Ohren. Selbst innerhalb PANAFU’s gab es einige 119 Abdullah, Ibrahim, 1998, S. 207-212; zum Verständnis der „revolutionären“ Ideologie Gaddafis: Qaddafi, Mu‘ammar al-, Das grüne Buch. Die Dritte Universaltheorie, Koblenz 1990. 120 Gberie, Lansana, 2007, S. 49-50. 121 Abdullah, Ibrahim, 1998, S. 215. 122 PANAFU war/ist eine politische Gruppierung, die die ideologischen Vorstellungen des PanAfrikanismus repräsentiert/e; zum Pan-Afrikanismus: Esedebe, P. Olisanwuche, Pan-Africanism. The Idea and Movement, 1776 – 1963, Washington, D. C. 1982. S. 38 Mitglieder, die einen Waffengang im Namen der Revolution befürworteten. Diese, sich in der Minderheit befindlichen, Mitglieder wurden nach einigen heftigen Debatten aus der Union ausgeschlossen und folgten kurz darauf dem Ruf aus Libyen. Unter ihnen befanden sich Abu Kanu und Rashid Mansaray, die, zusammen mit dem im August 1987 rekrutierten ehemaligen Unteroffizier der SLA, Foday Sankoh, später die erste Führungsebene der RUF bilden sollten. Während der Zeit der militärischen Ausbildung in Libyen gab es kein konkretes Programm für die Vorgehensweise nach Beendigung des Aufenthaltes. Den etwa 35, in verschiedenen Armeelagern Benghazis verstreuten, Rekruten gelang es nicht, eine zentrale Organisationstruktur für ihre revolutionären Bestrebungen aufzubauen. Im Gegenteil, sie wehrten sich sogar aktiv gegen die Versuche Alie Kabbas ein „revolutionäres“ Oberkommando zu installieren und verließen Libyen letztlich gespalten und frustriert, ohne weitere konkrete Ziele in Angriff zu nehmen.123 Erst 1988, zurück in Sierra Leone, fanden sich einige der in Libyen ausgebildeten Rekruten zusammen, um die angestrebte „Revolution“ in Gang zu setzen. Hier formten Mansaray, Kanu und Sankoh schließlich eine engverknüpfte Gruppe, die sich regelmäßig traf, um ihre Vorgehensweise zu besprechen und neue Mitstreiter zu werben. Sie begannen das Hinterland Sierra Leones intensiv zu bereisen und kamen wahrscheinlich auf diese Weise mit Vertretern der NPFL in Kontakt. Im Zuge dieses Kontaktes lernten sie den Anführer der NPFL, Charles Taylor, kennen, der etwa zu dieser Zeit aus der burkinischen Gefangenschaft entlassen worden und nach Freetown gereist war. Mitte des Jahres 1989 einigte sich die Gruppe der drei Sierra Leonischen „Revolutionäre“ mit Charles Taylor auf ein Bündnis, das darauf abzielte, die umstürzlerischen Vorhaben beider Seiten zu verwirklichen. Demnach sollten Sankoh und seine Mitstreiter der NPFL dabei behilflich sein Liberia „zu befreien“, wofür sie im Gegenzug von Taylor eine Basis zur Ausführung ihres bewaffneten Kampfes gegen den APC erhalten würden. Nach Schmiedung dieser informellen Allianz wurde ein bereits vorhandenes Dokument mit dem Titel The Basic Document of the Revolutionary United Front of Sierra Leone(RUF/SL), welches ursprünglich während der ersten Jahre der Ausbildung von Alie Kabbas Studentengruppe in Ghana entstanden war, in modifizierter Form als das Manifest der RUF angenommen. Dieses Dokument sollte gleichsam namengebend sein für die militante Gruppierung, die sich um Sankoh, Mansaray und Kanu formierte. Anfangs teilten sich die drei Initiatoren die Führung der relativ lose organisierten RUF, wobei Foday Sankoh, mit dem Einverständnis seiner beiden Mitstreiter, die Funktion des Sprechers der Organisation übernahm. Als die RUF im März des Jahres 1991 mit Hilfe der NPFL ihre ersten Angriffe auf den Kailahunbezirk durchführte, hatte sich Sankoh an der Spitze der Bewegung durchgesetzt. Die 123 Abdullah, Ibrahim, 1998, S. 216-19. S. 39 ursprüngliche Kampftruppe der RUF-Rebellen setzte sich aus drei Gruppen zusammen: aus denjenigen, die in Libyen militärisch ausgebildet worden waren; aus einer zweiten Gruppe Sierra Leoner, die in Liberia ansässig war; und aus einer dritten Gruppe, bestehend aus hartgesottenen NPFL-Kämpfern, die die RUF-Rebellen unterstützen sollten. Der überwiegende Teil der Sierra Leonischen Kombattanten gehörte der Schicht des Lumpenproletariats an und hatte sich der RUF aus Gründen angeschlossen, die jeglicher politischer Zusammensetzung oder der ideologischer RUF, sowie die Orientierung fehlende fern lagen. politische Die soziale Motivation ihrer Protagonisten, war von höchster Bedeutung für den Charakter des Bürgerkrieges, den diese militante Bewegung in Sierra Leone entfachen würde.124 6.2 Der NPRC und die Ausweitung des Bürgerkrieges Nachdem die Militärjunta des NPRC die Regierungsgewalt in Sierra Leone an sich gerissen hatte, versprach Valentin Strasser der Öffentlichkeit eine rasche Beendigung des Bürgerkrieges und die baldige Rückkehr zu einer Zivilregierung. Seine Worte sollten sich jedoch als leere Versprechungen erweisen. Die Kampfhandlungen, welche kurz nach der NPRC-Übernahme ausbrachen, offenbarten die Schwäche der SLA. Im Juni 1992 eroberte die RUF Gandorhun, eine Stadt, von der aus die Rebellen Vorstöße nach Koidu, dem Hautdiamantenzentrum Sierra Leones im Konobezirk, planen konnte. Als sie im Oktober 1992 in Koidu einbrachen, waren die Soldaten der SLA offenbar damit beschäftigt, Diamanten abzubauen, sodass sie von dem Angriff völlig überrascht wurden und gemeinsam mit der Zivilbevölkerung die Flucht ergriffen. Die Eroberung der bedeutendsten Stadt in Sierra Leones wichtigstem Rohstoffgebiet und das einhergehende Blutbad wurden als nationale Katastrophe angesehen und führten der gesamten Bevölkerung die Ausmaße des herrschenden Bürgerkrieges vor Augen. Der Bürgerkrieg, der bis dahin als eine rein regionale Angelegenheit gesehen wurde, nahm nun den Stellenwert einer nationalen Bedrohung ein. Wenngleich eine konzentrierte Militäroperation der SLA die Rebellen für kurze Zeit aus Kono zu vertreiben vermochte, gelang es der Armee nicht, ihre Stellung über einen längeren Zeitraum zu halten. Schon zu Beginn des Jahres 1993 eroberten die Rebellen Koidu erneut, während die Soldaten der SLA abermals mit dem Abbau von Diamanten beschäftigt waren. Der Krieg verwandelte sich allmählich in ein Tauziehen zwischen den Rebellen und der Armee, bei dem die Zivilbevölkerung die mit Abstand größten Verluste hinzunehmen hatte. Selbst dann, wenn die Armee die Oberhand zu gewinnen schien, gelang es den Rebellen immer wieder, den Regierungstruppen entscheidende Gebiete abzuringen. So hatte die SLA Ende 1993 mit Hilfe von irregulären Truppen Kailahun, Koidu und sogar Pendembu, 124 Abdullah, Ibrahim, 1998, S. 220-222. S. 40 welches als Hauptquartier der Rebellen fungierte, zurückgewonnen. Die NPRCRegierung war auf Grund ihrer Erfolge gar so siegessicher, dass Strasser im Dezember 1993 einen Waffenstillstand ausrief und die verbleibenden Rebellen aufforderte, sich zu ergeben. Lediglich einen Monat später eskalierte der Bürgerkrieg indes in einer Art, die sich der NPRC nicht hätte träumen lassen. Die Rebellen eroberten zum wiederholten Male Koidu, rückten weiter vor, um den gesamten Konobezirk unter ihre Kontrolle zu bringen und standen nun vor Bo, dem Gebiet mit den zweitgrößten Rohstoffvorkommen in Sierra Leone. Auf ihrem Streifzug durch die Bezirke des Landes führte die RUF Überfälle an wichtigen Versorgungsstrecken durch, brannte wahllos Dörfer und Städte nieder und nahm massenhaft Geiseln, nicht zuletzt viele Jugendliche, die auf zwanghafte Weise in ihre Truppen integriert wurden. Im Oktober 1994 beschrieb die Zeitung The Unity Now den Bürgerkrieg als nacktes Räuberwesen, welches beiderseits von undisziplinierten Soldaten und unpatriotischen Rebellen betrieben würde.125 Der Druck auf den NPRC mit der RUF in Verhandlungen zu treten, stieg von allen Seiten. Erstmals erklang der Ruf nach Verhandlungen im November des Jahres 1994. Der katholische Erzbischof von Freetown und Bo, Joseph Ganda, forderte Valentin Strasser dazu auf, der sinnlosen Gewalt gegenüber hilflosen Zivilisten ein diplomatisches Ende zu setzen. Kurz darauf stimmte auch der Generalsekretär der Organisation of African Unity (OAU)126, Ahmed Salim, in die Forderung nach einer diplomatischen Lösung für den Bürgerkrieg ein. Der NPRC reagierte mit der Errichtung eines Nationalen Sicherheitsrates (NSR), in welchem Repräsentanten der Regierung, der Armee, der Polizei, der Nationalen Anwaltskammer, der Sierra Leonischen Journalistenvereinigung, sowie des Arbeiterkongresses und der Universität von Sierra Leone vertreten waren. Am 25. November gab der NSR eine Erklärung ab, in der er an die RUF-Führung appellierte, einen Waffenstillstand zu akzeptieren, alle Geiseln freizulassen und sich in Form einer politischen Partei zu organisieren, um so an einem Übergangsprozess in eine Zivilregierung teilhaben zu können. In der Reaktion auf dieses Angebot zeigte sich unmissverständlich das Desinteresse der RUF an einer politischen Partizipation. Sankoh erklärte umgehend, dass solche Forderungen inakzeptabel seien, da sie die Legitimität seiner Bewegung in Frage stellen würden. Die RUF hielt dementsprechend an ihrer destruktiven Vorgehensweise fest und Sierra Leone stürzte immer tiefer ins Chaos. Anfang 1995 hatte das Land einen Zustand erreicht, der mit Anarchie gleichzusetzen ist. Die Rebellen belagerten die Hauptstadt, sodass jeglicher Kontakt mit den Provinzen unmöglich geworden war. Abtrünnige Soldaten liefen Amok und führten eigenständige Attacken auf die Zivilbevölkerung aus, um sich durch Plünderungen zu bereichern. 125 Gberie, Lansana, 2007, S. 77-82. Die OAU wurde 2002 von der AU (Afrikanische Union) abgelöst. Sie entspricht einer überregionalen Organisation für Afrika, die mit der Europäischen Union vergleichbar ist. 126 S. 41 Strasser selbst beschrieb die Situation als ein Durcheinander aus Verstümmelungen, Plünderungen, Vergewaltigungen und Banditentum.127 Sierra Leone war vollends im Chaos des Bürgerkrieges versunken. 6.3 Rückkehr zu einer Zivilregierung: Ein Hoffnungsschimmer? Die Ereignisse bis zum Friedensabkommen von Lomé Die Dimension des sich ausbreitenden Chaos war von den inländischen Streitkräften nicht mehr zu beherrschen. Im Mai 1995 entschied sich Hauptmann Strasser dazu, eine südafrikanische Sicherheitsfirma zu engagieren. Er war von einem britisch-geführten Energieunternehmen dazu animiert worden, die Firma namens Executive Outcomes (EO) zu kontaktieren. EO sorgte binnen weniger Monate, unterstützt von guineischen und nigerianischen Truppen, dafür, dass die kritische Situation in Sierra Leone etwas eingedämmt werden konnte. Zum Ende des Jahres 1995 hatten die vereinten Streitkräfte auf Seiten der Regierung das Chaos einigermaßen unter Kontrolle gebracht. Diese deutlich entspannte Lage nutzte der NPRC prompt, um Wahlen vorzubereiten, welche darauf abzielten, Sierra Leone schnellstmöglich in eine Zivilregierung zu überführen.128 Während der Vorbereitung auf die Wahlen kam es jedoch im Januar 1996 zu einem Coup innerhalb des NPRC. Brigadegeneral Julius Maada Bio übernahm die Führung der Militärjunta, nachdem Strasser, durch den Versuch sich selbst als neuen Präsidenten Sierra Leones zu installieren, den Unmut seiner Kammerraden auf sich gezogen hatte. Obwohl Bio eingangs nicht viel daran lag, die Militärregierung aufzulösen, wurde er durch Druck von außen dazu veranlasst, im Februar 1996 Wahlen ansetzen zu lassen. Einen Monat später schließlich wurde Ahmed Tejan Kabbah, ein ehemaliger Amtsträger bei den United Nations (UN) und Mitglied der SLPP, zum Präsidenten gewählt. Trotz vielfältiger Probleme auf Seiten der neuen Regierung gelang es der, durch die südafrikanischen Söldner stabilisierten, Militärkoalition von SLA und Kamajors129 bis Oktober 1996 die RUF in äußerste Bedrängnis zu bringen. Ende des Jahres erklärte sich die RUF-Führung dazu bereit, über ein Friedensabkommen zu verhandeln, und am 30. November kam es zur Unterzeichnung eines selbigen durch Präsident Kabbah und Foday Sankoh in Abidjan, Côte d’Ivoire. Das Abkommen von Abidjan sah die Etablierung eines Neutralen Kontrollorgans zur Entwaffnung und Demobilisierung der Fraktionen, die Rückführung aller ausländischen Truppen, sowie den Abzug von Executive Outcomes vor. Unter Druck 127 Gberie, Lansana, 2007, S. 89-91. Ebd., S. 92-94. 129 Die Kamajors waren irreguläre Kombattanten, die sich etwa 1992 als Antwort auf die RUFGräueltaten im Gebiet der Mende zu einer Gruppe zusammenschlossen. Diese äußerst motivierte und, spätestens seit 1996, gut ausgebildete Zivilmiliz hatte entscheidenden Anteil an der Beendigung des Bürgerkrieges; ausführliche Informationen zu Entstehung und Hintergrund der Kamajors: Gberie, Lansana, 2007, S. 82-86. 128 S. 42 des IWF verwies Kabbah EO im Januar 1997 des Landes. Etwa zur gleichen Zeit übernahmen nigerianische Truppen die Rolle des Schutzpatrons der Regierung. Beinahe 900 nigerianische Soldaten waren mittlerweile in Sierra Leone stationiert. Zu Beginn des Jahres 1997 schien es, als sei das Land am Ende des Bürgerkrieges angelangt.130 Nur wenige Monate später sollte es zu einer erneuten Kehrtwendung kommen. 6.3.1 Der AFRC-Coup von 1997 Wenngleich der Übergang in eine Zivilregierung im Jahr 1996 relativ reibungslos verlaufen zu sein schien, so war es doch bezeichnend, dass die dafür notwendigen Voraussetzungen nur mit Hilfe ausländischer, sowie irregulärer Truppen geschaffen werden konnten. Eben jene zunehmende Fokussierung auf ausländische Truppen, sowie auf die zuverlässigen Zivilmilizen sorgte für große Unruhe innerhalb der SLA. Einige Militärs empfanden die Gefahr, von ihrer Konkurrenz in die Bedeutungslosigkeit abgedrängt werden zu können, als so gegenwärtig, dass sie sich am 25. Mai 1997 des Mittels eines Putsches bedienten. Dieses Mal handelte es sich um ein Element der SLA, das tief in die illegalen Machenschaften des Diamantenhandels verwickelt war. Die Putschisten befreiten einen gewissen Major Johnny Paul Koroma, der bereits 1996 an einem Putschversuch gegen das Kabbah-Regime beteiligt war, aus dem Gefängnis in Pademba und ernannten ihn zum Anführer ihres Armed Forces Ruling Council (AFRC). Die Gruppe um Koroma, welche in den Jahren des Bürgerkrieges enorm von den chaotischen Zuständen profitiert hatte, verkündete bald darauf, dass die RUF-Rebellen zu ihrer Bewegung gehörten. Der RUF-Führer Foday Sankoh wurde zum stellvertretenden Vorsitzenden des AFRC ernannt und konnte diese Rolle nur deshalb nicht wahrnehmen, weil er einige Monate zuvor, während der Aushandlung eines Waffengeschäfts, in Nigeria verhaftet worden war.131 Laut Lansana Gberie markierte der AFRC-Coup die letzte Stufe des Sierra Leonischen Staatszerfalls, da die Koalition zwischen ehemaligen Regierungstruppen und der RUF unmissverständlich deutlich machte, dass es im anhaltenden Bürgerkrieg nicht um die Durchsetzung politischer Ziele, sondern einzig und allein um organisierte Kriminalität ging.132 Es ist nigerianischen Truppen der Economic Community of West African States Monitoring Group (ECOMOG) zu verdanken, dass sich der AFRC nur vorrübergehend an der Macht halten konnte. Diese Truppen begannen, in Reaktion auf den Putsch, Luftangriffe auf Stellungen der Rebellen zu fliegen. Am 6. Februar 1998 kam es zum Aufeinandertreffen der ECOMOGStreitkräfte mit den Soldaten der AFRC und der Rebellen. Unter Verwendung von 130 Adebajo, Adekeye, Building Peace in West Africa. Liberia, Sierra Leone, and Guinea-Bissau, Boulder/Colorado [u.a.] 2002, S. 84-86. 131 Adebajo, Adekeye, 2002, S. 87.; Gberie, Lansana, 2007, S. 95-96. 132 Gberie, Lansana, 2007, S. 96. S. 43 schwerem Geschütz gelang es dem nigerianischen Militär, die AFRC-RUF-Koalition aus Freetown zu vertreiben. Am 10. März 1998 konnte Ahmed Kabbah erneut als Präsident von Sierra Leone eingesetzt werden.133 Trotz des klaren militärischen Erfolges der Nigerianer gaben sich die Rebellen indes nicht geschlagen. Sie hatten während der Kämpfe mit den ECOMOG-Truppen erstaunlich wenige Verluste hinnehmen müssen und zogen sich nun in das Hinterland zurück, um ihre Kräfte zu bündeln und den Gegenschlag vorzubereiten. In Zusammenarbeit mit Charles Taylor organisierte die RUF eine militärische Ausbildung ihrer Truppen durch südafrikanische Söldner, die sich anschließend sogar an Attacken auf Städte im Kailahunbezirk beteiligten.134 Die Rebellen gewannen zusehends Selbstvertrauen in ihre neuerlangte Stärke, sodass Sam Bockarie, der nach der Inhaftierung Sankohs in Nigeria, die Führung der Rebellen übernommen hatte, im weiteren Verlauf des Jahres 1998 mehrfach damit drohte, die RUF würde ganz Sierra Leone in Schutt und Asche legen. Seine Drohungen wurden jedoch weder von der Regierung Ahmed Kabbahs noch von den nigerianischen Truppen für voll genommen. Vor allem die Nigerianer waren sich nach ihrem Erfolg in Freetown sicher, dass sie auf Grund ihrer überlegenen Ausrüstung keine Gefahr von den Rebellen zu erwarten hatten.135 Die Ereignisse im Januar des Jahres 1999 bereiteten dieser Vorstellung ein jähes Ende. 6.3.2 Die RUF-AFRC-Attacke auf Freetown aus dem Jahr 1999: eine humanitäre Katastrophe Nachdem die ECOMOG-Streitkräfte für die Wiederherstellung der Zivilregierung in Freetown gesorgt hatten, verbreiteten sie ein Klima der Sicherheit in der Hauptstadt, welches über den tatsächlichen Stand der Sicherheitslage hinwegtäuschte. Dieses trügerische Gefühl, man habe die Situation unter Kontrolle gebracht, nutzten die Rebellen, um am 6. Januar 1999 einen Überraschungsangriff auf Freetown durchzuführen, der alle bisherigen Ereignisse des Bürgerkrieges in den Schatten stellen sollte. Bei jenem Angriff wandten die Rebellen eine Taktik an, die sich bereits zuvor in anderen großen Städten bewährt hatte. Eine kleinere Zahl von Rebellen infiltrierte die Hauptstadt schon Tage vor dem Angriff, getarnt als Zivilisten, um die Sicherheitskräfte durch einen innerstädtischen Aufruhr am Tag des Angriffes von den anrückenden Rebellen abzulenken, welche Freetown schließlich überrennen würden. Die bewährte Taktik verfehlte ihr Ziel auch in diesem Falle nicht. Innerhalb weniger Stunden nahmen die Kämpfer der RUF-AFRC-Koalition die Hauptstadt ein und entfachten ein Feuer der Zerstörung, wie es mit Worten kaum zu beschreiben ist. Die Gräueltaten, welche sich in 133 134 135 Adebajo, Adekeye, 2002, S. 87-88. Gberie, Lansana, 2007, S. 122-124. Ebd., S. 120-121. S. 44 den knapp sechs Wochen der Besetzung Freetowns abspielten, stellten den grausamen Höhepunkt des Bürgerkrieges dar.136 Die Gegenoffensive der Nigerianer verlief nach demselben Muster wie ihre Offensive von 1998. Sie basierte vorwiegend auf schwerem Geschütz, darunter auch Militärflugzeuge, die rücksichtslos Teile Freetowns bombardierten. Mit jener rigorosen Vorgehensweise trug das nigerianische Militär dazu bei, die stetig steigende Zahl an zivilen Opfern weiter zu erhöhen. Erst nach wochenlangen verlustreichen Auseinandersetzungen gelang es den ECOMOG-Truppen und Sierra Leonischen Zivilmilizen die Rebellen aus Freetown zu vertreiben. Die Besetzung der Hauptstadt durch die RUF-AFRC-Koalition und die anschließende Gegenoffensive der ECOMOG-Truppen kosteten zwischen 3000 und 6000137 Zivilisten das Leben und hinterließen große Teile Freetowns in Schutt und Asche.138 Das horrende Ausmaß der Katastrophe rief nun endlich auch große internationale Akteure auf den Plan. So schalteten sich die USA und Großbritannien erstmals aktiv in die Lösung des Konfliktes ein, indem sie die liberianische Regierung öffentlich beschuldigten, die Rebellen in Sierra Leone zu unterstützen. Mit ihrer Forderung nach Sanktionen gegenüber Charles Taylors Regierung setzten sie den Hauptfinanzier der RUF unter Druck, um dadurch Verhandlungen zwischen den Rebellen und der KabbahRegierung zu ermöglichen. Gleichzeitig erhöhten sie den Druck auf Präsident Kabbah, mit den Rebellen in Verhandlung zu treten.139 Diese Strategie schien aufzugehen. Am 18. Mai 1999 kam es zunächst zu einem Waffenstillstand zwischen der Sierra Leonischen Regierung und der RUF. Nach der Unterzeichnung dieses Abkommens einigte man sich darauf, im togolesischen Lomé in umfassende Friedensverhandlungen einzutreten. 6.4 Von Lomé bis zum Ende des Bürgerkrieges: ein steiniger Weg Das Friedensabkommen von Lomé wurde am 7. Juli 1999, nach sechswöchigen Verhandlungen, im Beisein von Vertretern Togos, der UN, der OAU und des Commonwealth durch die Kabbah-Regierung und die RUF-AFRC-Koalition unterzeichnet. Im Zuge des Abkommens wurde die Todesstrafe, welche in Nigeria über Foday Sankoh erhoben worden war, zurückgenommen. Die RUF sollte in eine politische Partei umgewandelt und ihren höheren Mitgliedern sollten Posten in einer Regierung der nationalen Einheit angediehen werden, wobei für Sankoh das Amt des Vizepräsidenten vorgesehen war. Ähnlich wie der Abidjan-Vertrag beinhaltete das Lomé-Abkommen einen kontroversen Straferlass für Kriegsverbrechen. Zur Überwachung der Entwaffnung und 136 Gberie, Lansana, 2007, S. 125-130: Gberie gibt eine ausführliche Beschreibung der Ereignisse und geht an einigen Textstellen detailliert auf die Gewalt ein, welche sich in Freetown abgespielt hat. 137 In den Quellen finden sich hierzu unterschiedliche Angaben. 138 Adebajo, Adekeye, 2002, S. 95; Gberie, Lansana, 2007, S. 131-132. 139 Keen, 2005, S. 248-251. S. 45 Demobilisierung aller Fraktionen, die sich am Bürgerkrieg beteiligt hatten, wurden zusätzlich UN-Truppen abgestellt. Außerdem bildete sich ein Gemeinschaftsausschuss zur Realisierung des Abkommens, der sich aus Mitgliedern der Economic Community of West African States (ECOWAS) und der UN zusammensetzte, und der alle drei Monate über die Fortschritte bei der Umsetzung des Friedensvertrages berichten sollte.140 Der Erfolg beziehungsweise das Scheitern des Friedensabkommens von Lomé waren wesentlich verknüpft mit der Haltung Charles Taylors und dessen Willen, sich nach seinem Versprechen zu richten, die Unterstützung seiner Regierung für die RUF einzustellen. Taylor jedoch hielt sich keineswegs an sein Wort, denn auch nach der Schließung des Abkommens von Lomé lieferte Liberia weiterhin Waffen an die Rebellen im Austausch für Diamanten aus Sierra Leone.141 Ein anderer Faktor, der die Umsetzung des Friedensvertrages gefährdete, war die Situation, in der sich Foday Sankoh befand. Solange er die militärische Stärke der RUF hinter sich wusste, war er in der Lage auf der Basis der von ihr ausgehenden Bedrohung Forderungen zu stellen, die seinen Status formell aufwerten konnten. Er musste befürchten, dass die erfolgreiche Demobilisierung der RUF-Truppen eine immense Schwächung seiner Verhandlungsposition bewirken würde. Da sich nicht nur Sankoh, sondern auch weitere RUF-Kommandeure durch den Demobilisierungsprozess bedroht sahen, ist es kaum überraschend, dass sie das Disarmament, Demobilsation and Reintegration Programme (DDR-Programm) der Regierung aktiv behinderten. Ihre Bemühungen gingen oft soweit, dass sie Kombattanten der RUF und des AFRC gezielt davon abhielten, in das DDR-Programm einzutreten.142 Die Chancen auf eine erfolgreiche Umsetzung des Friedensvertrags verschlechterten sich außerdem dadurch, dass die internationale Gemeinschaft dem Demobilisierungsprogramm nur mangelhafte Unterstützung zukommen ließ. Ursprünglich dazu gedacht, die Ex-Kombattanten auf ein Leben in der Zivilgesellschaft vorzubereiten, verfehlte das DDR-Programm dieses Ziel auf Grund seiner geringen finanziellen Mittel. Von den etwa 15.000 RUF-Kämpfern, die zur Zeit der Unterzeichnung des LoméAbkommens aktiv waren, konnten bis zum 1. März des Jahres 2000 gerade einmal 4051 demobilisiert werden. Die schwache Unterstützung für das Programm reduzierte zunehmend die Möglichkeiten, kriegsmüde Anhänger der RUF-AFRC aus dem Bannkreis ihrer Kommandeure zu lösen, und sorgte für das vermehrte Wiederaufleben von Angriffen auf Zivilisten.143 Schon gegen Ende des Jahres 1999 war deutlich zu spüren, dass der Friedensvertrag zu bröckeln begann. Verschärft wurde die Instabilität des Vertrages durch den Abzug der nigerianischen ECOMOG-Truppen. Nach einem Regierungswechsel 140 Adebajo, Adekeye, 2002, S. 98-99. Keen, 2005, S. 253. 142 Ebd., S. 254. 143 Keen, 2005, S. 256-258; Humphreys, Macartan/Weinstein, Jeremy M., Demobilization and Reintegration, in: The Journal of Conflict Resolution, Vol. 51, No. 4 (2007), S. 549-554. 141 S. 46 in Nigeria hatte der neue Präsident Olusegun Obasanjo entschieden, die finanziellen Mittel seines Staates auf den Wiederaufbau demokratischer Strukturen im eigenen Land zu konzentrieren. Am 31. August 1999 begann Nigeria mit dem phasenweisen Abzug seiner Truppen aus Sierra Leone. Um das Entstehen eines Sicherheitsvakuums zu verhindern, sah sich die UN nun gezwungen, unter einem entsprechenden UN-Mandat „Friedenstruppen“ nach Sierra Leone zu versenden.144 6.4.1 Die United Nations Mission in Sierra Leone Zwischen dem Beginn des Abzugs der nigerianischen Streitkräfte und der Etablierung der UN-Mission in Sierra Leone vergingen beinahe zwei Monate. Am 22. Oktober 1999 verabschiedete der UN-Sicherheitsrat die Resolution 1270 und rief damit die United Nations Mission in Sierra Leone (UNAMSIL) ins Leben. Die Bereitstellung und Entsendung der Truppen vollzog sich hingegen nur schleppend. Erst nach vier Monaten hatten die 6000 Mann starken Truppen ihren Zielort erreicht. Es dauerte bis zum April des Jahres 2000, dass die militärische Truppenstärke der UN eine Zahl erreichte, die der vormaligen ECOMOG-Streitmacht annähernd gerecht wurde. Etwa 8700 UN-Soldaten befanden sich Anfang 2000 in Sierra Leone. Die von der UN entsandten Streitkräfte konnten ihrer Aufgabe jedoch keinesfalls gerecht werden. Folgt man den Ausführungen David Keens, so handelte es sich um eine bunt zusammengewürfelte, multi-nationale Armee, die noch dazu unterfinanziert, sowie schlecht ausgebildet und ausgerüstet war.145 Wie desaströs die UNAMSIL-Streitkräfte auf ihre Mission vorbereitet waren, wird besonders deutlich, wenn man die Ereignisse im Mai des Jahres 2000 in Betracht zieht. Innerhalb von einer Woche nahmen RUF-Rebellen beinahe 500 UN-Soldaten gefangen – darunter ein ganzes sambisches Bataillon – und eigneten sich im Zuge der Übergriffe die Ausrüstung der Friedenstruppen an. Diese Erfolge seitens der Rebellen schienen eine Welle der Euphorie unter ihnen ausgelöst zu haben. In den folgenden Wochen kam es in wachsendem Maße zu Zwangsrekrutierungen aus der Zivilbevölkerung. Kurz darauf begannen die Rebellen auf Freetown zuzumarschieren. Die Gefangennahme der UNSoldaten und der anschließende Marsch auf Freetown verbreiteten Angst und Schrecken unter der Bevölkerung. Angesichts der erneut prekären Situation und der eindeutigen Diskreditierung des Lomé-Abkommens durch die RUF-AFRC geriet die britische Regierung in enormen Zugzwang. Auf die Bitte der Kabbah-Regierung, britische Streitkräfte in die UN-Mission zu integrieren, reagierte Großbritannien allerdings ablehnend. Stattdessen entschieden sich die Briten, Truppen unter eigenem Kommando 144 145 Adebajo, Adekeye, 2002, S. 99-100. Keen, 2005, S. 261. S. 47 zu entsenden. Am 8. Mai 2000 erreichten die ersten Truppen Großbritanniens die Hauptstadt Sierra Leones.146 6.4.2 Der RUF-Niedergang und die letzten Jahre des Bürgerkrieges Die britischen Truppen hielten ihre Aktivitäten vorwiegend auf den Bereich um Freetown beschränkt. Dennoch half ihre Intervention dabei, die generelle Lage in Sierra Leone zu Gunsten der Regierung zu verschieben. Obwohl sich Anfang 2000 etwa die Hälfte des Landes unter der Kontrolle der Rebellen befand, gewannen die alliierten Kräfte allmählich die Oberhand. Ende des Jahres gewährte der Interimsführer der RUF, Issa Sesay, den UNAMSIL Truppen freien Zugang zu RUF-Gebieten. Im Mai 2001 versicherte die RUFFührung, sie würde alle von der UN eroberten Waffen zurückgeben, einige tausend Kindersoldaten entlassen und den Demobilisierungsprozess beginnen. Neben der britischen Intervention nennt Keen als Hauptgrund für diese Wendung die verstärkte Teilnahme guineischer Truppen an den Kampfhandlungen. Guinea befand sich infolge des anhaltenden Bürgerkrieges in einer ähnlichen Lage wie Sierra Leone Anfang 1991. Der Konflikt drohte nach Guinea überzuschwappen, woraufhin das guineische Militär und freie Kampfverbände aus der Region alles daran setzten, die Wurzel des Übels auszuschalten. Die gemeinsamen Attacken der unnachgiebigen Guinesen und der, mittlerweile von den Briten ausgestatteten, Sierra Leonischen Zivilmilizen auf die Rebellen, sorgten für die Bereitschaft innerhalb der RUF-AFRC auf Forderungen der UNTruppen einzugehen. Bereits im August 2001 konnten UNAMSIL-Funktionäre berichten, dass die RUF ihre angekündigten Zugeständnisse in die Tat umgesetzt hatte.147 Ein weiterer entscheidender Faktor für die Bereitschaft zur Kooperation seitens der Rebellen war die schwindende Unterstützung für die RUF aus Liberia. Im März 2001 hatte der UNSicherheitsrat eine Resolution verabschiedet, welche ein Embargo gegen Diamantenexporte aus Liberia beinhaltete und liberianischen Regierungsmitgliedern ein Reiseverbot auferlegte. Vor allem das Handelsembargo gegen Liberia, das Land, aus dem die RUF hauptsächlich ihre Ausrüstung bezog, erschöpfte auf signifikante Weise die Ressourcen der Rebellen.148 Ferner war das UN-Mandat UNAMSIL’s in Reaktion auf die Ereignisse des Mai 2000 ausgebessert worden, sodass sich bis Anfang des Jahres 2002 17.455 Blauhelmsoldaten in Sierra Leone befanden. Damit war UNAMSIL zur weltweit größten Friedensmission aufgewertet worden und stellte mit jährlichen Kosten von etwa 700 Millionen US-Dollar gleichzeitig die kostspieligste UN-Mission dar. Die erhöhte Truppenstärke UNAMSIL’s wurde zudem begleitet von Maßnahmen der Vertrauensbildung mit den Rebellen, deren Ängste vor Tötung, Stigmatisierung und 146 147 148 Adebajo, Adekeye, 2002, S. 100-101; Keen, 2005, S. 260-264. Keen, 2005, S. 267-269. Ebd., S. 270-271. S. 48 genereller Zurückweisung Hindernisse auf dem Weg zur Demobilisierung darstellten. Zusammen mit der Offensive aus Guinea, sowie der britischen Intervention und der schwindenden Unterstützung für die Rebellen aus Liberia trug die aufgewertete UNMission dazu bei, dass der Großteil der Rebellen den Bürgerkrieg als verloren ansah.149 In der letzten Phase der Demobilisierung zwischen 2001 und 2002 konnten circa 50.000 Kämpfer aller Fraktionen, darunter auch viele Kamajors, entwaffnet werden.150 Schon im September 2001 hatte das Parlament dafür votiert, den 1998 ausgerufenen Ausnahmezustand um sechs Monate zu verlängern. Im Februar des Jahres 2002, nachdem insgesamt rund 76.000 Kombattanten demobilisiert worden waren151, erklärte die Regierung den Bürgerkrieg schließlich offiziell für beendet.152 Kurz darauf, im Mai desselben Jahres, wurden Neuwahlen abgehalten, aus denen die SLPP und Ahmed Tejan Kabbah als klare Sieger hervorgingen. Trotz vieler weiterhin bestehender Probleme konnte sich das Land nach zwölf Jahren des Kriegszustandes endlich dem Wiederaufbau widmen.153 7. Sierra Leone nach dem Bürgerkrieg Wie bereits erwähnt, wurde der Bürgerkrieg Anfang 2002 offiziell für beendet erklärt. Nachdem Präsident Kabbah durch die Wahlen vom 14. Mai in seinem Amt bestätigt worden war, richtete sich der Fokus der Regierung nun auf den Wiederaufbau Sierra Leones. Wie viele andere Staaten, die vom Kriegs- in den Friedenszustand übergingen, sah sich das Land mit enormen Herausforderungen konfrontiert. Nichtsdestotrotz schienen die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Rückkehr in friedliche Zeiten gegeben. Man konnte davon ausgehen, dass die Regierung aus den Fehlern ihrer Vorgänger gelernt hatte und nun alles daran setzte, die Zustände im Land derart zu verändern, dass sich eine Tragödie wie die der vorrangegangenen zwölf Jahre nicht wiederholen würde. Ahmed Tejan Kabbah schien der richtige Mann für die Bewältigung der enormen Probleme Sierra Leones zu sein. Auf Grund seiner langen, hochdekorierten Laufbahn in internationalen Organisationen, allen voran der UN, vermittelte er den Eindruck eines besonnenen Technokraten, der sich gezielt den Aufgaben des Wiederaufbaus widmen konnte. Sein guter Ruf sorgte dafür, dass sich auch die internationale Gebergemeinschaft für den Wiederaufbau in Sierra Leone engagierte, 149 Keen, 2005, S. 272-273. Humphreys, Macartan/Weinstein, Jeremy M., 2007, S. 539. 151 Ebd. 152 Humphreys, Macartan/Weinstein, Jeremy M., Who Fights? The Determinants of Participation in Civil War, in: American Journal of Political Science, Vol. 52, No. 2 (2008), S. 438. 153 Keen, 2005, S. 283. 150 S. 49 sodass zu Beginn von Kabbahs zweiter Amtszeit alle Vorzeichen in Richtung einer raschen Verbesserung der Lage zeigten.154 7.1 Präsident Kabbah und die erste Phase des Wiederaufbaus Die wichtigsten Aufgaben, die Kabbah zu bewältigen hatte, waren die Reform des Sicherheitssektors, die Dezentralisierung der Verwaltungsstrukturen, die Bekämpfung der Korruption im Lande und die Verbesserung der Lage der Jugendlichen und Heranwachsenden Sierra Leones. Kabbah führte denn auch Reformen ein, die darauf abzielten, diese dringenden Probleme zu lösen.155 Zuallererst jedoch musste ein Forum geschaffen werden, in dem die Betroffenen des Bürgerkrieges Gehör finden und ihre Sorgen und Nöte artikulieren konnten. Dieses Forum, welches schon im Zuge des LoméAbkommens angedacht war, manifestierte sich in Form der Truth and Reconciliation Commission (TRC). Die TRC sollte dabei helfen, die Ursachen und das Ausmaß der groben Menschenrechtsverletzungen während des Bürgerkrieges ans Tageslicht zu bringen und bot den Opfern die Möglichkeit ihre Menschenwürde gegenüber den Tätern verbal zu verteidigen. Allerdings ergaben sich häufig Schwierigkeiten für die TRC im Zusammenhang mit dem Special Court (SC), dem Organ, welches für die Strafverfolgung der Akteure, und vor allem der Hauptakteure, des Bürgerkrieges verantwortlich war. Oftmals verweigerten die Akteure ihre Aussagen im TRC, da sie damit rechnen mussten, sich bezüglich ihrer Strafprozesse zusätzlich zu belasten. Außerdem konnte die TRC neben psychischer Entlastung, die abhängig von den jeweiligen Umständen auch zu psychischer Belastung werden konnte, keine weitere Fürsorge für die Betroffenen leisten.156 Diese Aufgabe kam demnach der Regierung zu, die dazu angehalten war, durch ihre Reformen eine Besserung der sozialen und wirtschaftlichen Lage für die Bevölkerung herbeizuführen. Ein Hauptaugenmerk der Reformen musste dabei die Lösung des Jugendproblems in Sierra Leone sein. Historisch gesehen war die Jugend des Landes die Bevölkerungsschicht, die man über Jahrzehnte hinweg am meisten vernachlässigt hatte. Nicht rein zufällig waren Jugendliche der Ausgangspunkt für die Radikalisierung des Protestes gegen das repressive System der 1970er und 1980er Jahre, eine Radikalisierung, welche mitverantwortlich für die Entstehung der RUF gewesen ist. Ferner waren es Jugendliche, die den Hauptanteil der RUF-Rebellen ausgemacht 154 hatten, auch wenn ein Großteil von ihnen gegen ihren Willen Sesay, Amadu [u.a.], Post-War Regimes and State Reconstruction in Liberia and Sierra Leone, CODESRIA, Senegal 2009, S. 56-58. 155 Ebd., S. 56. 156 Ebd., S. 62-66. S. 50 zwangsrekrutiert worden war.157 2003 machten Menschen im Alter zwischen 15 und 35 Jahren ganze 33 Prozent der Sierra Leonischen Bevölkerung aus. Um dem Problem der extremen Vernachlässigung von Jugendlichen entgegenzuwirken, etablierte die KabbahRegierung zunächst ein Jugend- und Sportministerium. Dieses wurde später durch diverse Programme, wie das National Youth Development Programme oder die National Drug Control Strategy, ergänzt.158 Ein weiteres Hauptproblem, dessen sich die KabbahRegierung dringend annehmen musste, stellte die im Lande immer noch weitverbreitete Korruption dar. Zum Zwecke der Eindämmung von Korruption hatte die Regierung daher, auf Anraten internationaler Geber, schon im Jahr 2000 eine Anti-Korruptionskommission (AKK) ins Leben gerufen. Diese Kommission sollte die Beaufsichtigung von Regierungsbeamten effektiv gewährleisten. Außerdem fiel es ihr zu, Korruptionsvorfälle zu untersuchen, sowie öffentliche Bildungskampagnen zum Thema Korruption durchzuführen, um so das Bewusstsein für die schädlichen Auswirkungen von Korruption zu verdeutlichen. Man erhoffte sich von der Etablierung der AKK eine landesweite Steigerung des Vertrauens in die guten Absichten der Regierung. Entgegen den großen Hoffnungen und Erwartungen gelang es der AKK indes nicht, bedeutsame Erfolge im Kampf gegen die Korruption unter den Regierungsbeamten und denjenigen die enge Verbindungen zur Regierung unterhielten, zu erzielen. Offenbar griffen die Regierung und nicht zuletzt Präsident Kabbah persönlich des Öfteren aktiv in die Arbeit der AKK und der Justiz ein, um die Strafverfolgung ehemaliger Regierungsmitglieder, die der Korruption für schuldig befunden worden waren, zu behindern.159 Zu Beginn des Jahres 2007 führte der Korruptionswahrnehmungsindex der internationalen Organisation Transparency International Sierra Leone auf Position 150 von 179 untersuchten Ländern. Diese schlechte Bewertung bestätigte die steigende Zahl an Kritikern, die dem Präsidenten vorwarf, er würde seine politischen Programme lediglich dazu benutzen, den Anschein von veränderten Verhältnissen in der Regierungsführung zu erwecken. Tatsächlich ließ sich diese These auch auf das neu eingerichtete Jugend- und Sportministerium anwenden. Bereits im Juli 2003 musste die Regierung herbe Kritik seitens der nationalen Jugendkoalition ob der fehlenden Zusammenarbeit mit den Jugendlichen bei der Gestaltung des eigens für sie geschaffenen Ministeriums hinnehmen. Die mangelnde Einbeziehung der Jugendlichen in die Gestaltung und Implementierung der Programme des Ministeriums symbolisierte für viele die Kontinuität der Vernachlässigung und Nichtberücksichtigung von Jugendinteressen in Sierra Leone. Zudem gelang es der Regierung unter Präsident Kabbah, teils auf Grund der nach wie vor prekären 157 Wais, Zubari, The Role of Youth and the Sierra Leone Diaspora in Democratic Awakening, in: Zack-Williams, A.B. [Hrsg.], The Quest for Sustainable Development and Peace. The 2007 Sierra Leone Elections, Uppsala 2008, S. 54. 158 Sesay, Amadu [u.a.], 2009, S. 69. 159 Ebd., S. 72. S. 51 wirtschaftlichen Lage des Landes, teils auf Grund offensichtlichen Desinteresses, weder den Zugang zu Bildung für Jugendliche noch deren Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt wesentlich zu verbessern. Vor allem die Jugend in den ländlichen Gebieten wurde aus den ohnehin mangelhaften ausgeschlossen. 160 Sicherheitssektors Bestrebungen nach positiven Veränderungen Allein in den Bereichen der Dezentralisierung und der Reform des konnte die Kabbah-Regierung einige nennenswerte Erfolge vorweisen. Im Februar des Jahres 2004 verabschiedete sie den Local Government Act. Dieses Gesetzespapier stattete die Bezirks- und Gemeinderäte Sierra Leones erstmals mit beträchtlichen Freiheiten im Umgang mit ihren Finanz- und Personalangelegenheiten aus. Gleichzeitig legte das Gesetz besonderen Wert auf Transparenz und Verantwortlichkeit beim Gebrauch der neu erworbenen Freiheiten. Ferner sah der Local Government Act die Schaffung eines ressortübergreifenden Komitees für Dezentralisierung und Kommunalverwaltung, sowie den Ersatz des Systems der Betriebsleitungen auf kommunaler Ebene durch ein neues System, basierend auf zu wählenden Kommunalräten, vor. Auch wenn es vor allem im Bereich der Transparenz und Verantwortlichkeit, und somit bei der generellen Implementierung der neuen Strukturen, erhebliche Schwierigkeiten gab, schuf die Kabbah-Regierung mit diesen großangelegten Veränderungen die Basis für eine flächendeckend-dezentrale Form der Verwaltung Sierra Leones. Im Sicherheitssektor gab es ebenfalls einschneidende Veränderungen. Hier konnte sich die Regierung auf die Unterstützung Großbritanniens, der UN und ECOMOG’s verlassen. Sie halfen bei der Planung und Durchführung von Reformen des Verteidigungsministeriums, der Polizei, des Gerichtswesens und der Geheimdienste. Diese Reformen zielten vor allem darauf ab, dafür zu sorgen, dass sich die Armee dauerhaft loyal gegenüber der demokratisch gewählten Regierung verhalten würde. Außerdem wurde der Aufbau eines zivilgeführten Polizeiapparates anvisiert, der dazu fähig sein sollte, den Friedenszustand im Land aufrecht zu erhalten.161 Die Umstrukturierung des Sicherheitssektors, sowie die Fortschritte im Bereich der Dezentralisierung, trugen eindeutig dazu bei, den Friedenszustand in Sierra Leone zu stabilisieren und die Entwicklung des Landes voranzutreiben. Dennoch wogen die Versäumnisse der Kabbah-Regierung nicht minder schwer und sorgten dafür, dass das Vertrauen in die Regierungsvertreter stetig sank. Der offenbar fehlende Wille, die Korruption in der Verwaltung ernsthaft zu bekämpfen, wurde der Kabbah-Regierung besonders von der internationalen Gebergemeinde schwer angelastet, sodass wichtige Institutionen zunehmend abgeneigt waren, die versprochenen finanziellen Mittel bereitzustellen. Die Abhängigkeit von externer Finanzierung stellte jedoch eines der 160 161 Sesay, Amadu [u.a.], 2009, S. 70-71. Ebd., S. 60-62. S. 52 größten Probleme beim Wiederaufbau des Landes dar162, weshalb sich vielerorts die Meinung etablierte, Kabbah habe die gute Ausgangsposition Sierra Leones nach Beendigung des Bürgerkrieges mit seiner Amtszeit zu Nichte gemacht.163 Doch nicht nur die internationale Gemeinschaft zeigte ihre Unzufriedenheit mit der Kabbah-Regierung. In der Bevölkerung machte sich auf Grund des nur schleppend vorangehenden Wiederaufbaus sozialer Strukturen und der immer noch kritischen Wirtschaftslage großer Unmut breit. Selbst fünf Jahre nach dem Bürgerkrieg stand die Arbeitslosenrate Sierra Leones bei fatalen 65 Prozent und viele junge Menschen sahen sich konfrontiert mit Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit.164 Der Vorwurf, Kabbah und seine Minister seien aus demselben Holz geschnitzt, wie die korrupte Machtelite zu Zeiten des APC, wurde immer lauter. Große Teile der Bevölkerung, allen voran die stark gebeutelte Jugend, wurden der leeren Regierungsversprechungen überdrüssig. Mit zunehmender Dauer der Amtszeit Präsident Kabbahs stieg die Anspannung im Lande. Es ist wohl das bedeutendste Zeichen für die Stabilisierung der Verhältnisse nach dem Krieg, dass sich die allgemeine Missstimmung nicht in gewaltsamen Ausschreitungen niederschlug. Vielmehr bediente sich die Bevölkerung eines demokratischen Mittels, um ihrer Frustration Ausdruck zu verleihen. 7.2 Die Wahlen des Jahres 2007: Der Weg in eine bessere Zukunft? In den vergangenen Jahrzehnten suchte ein Teil der frustrierten und entfremdeten Jugend Sierra Leones ihr Heil in der militanten Revolution gegen das zu dieser Zeit bestehende repressive System. Die grauenvollen Erfahrungen des langjährigen Bürgerkrieges und die Rückkehr zu partizipatorischen Verhältnissen in der Politik sorgten jedoch dafür, dass das Engagement für den Prozess der politischen Meinungsbildung sowohl für die Jugendlichen als auch für die übrige Bevölkerung wieder in den Vordergrund des Interesses rückte. Jene Besinnung auf die eigene politische Handlungsfähigkeit hatte starken Einfluss auf den Ausgang der Wahlen des Jahres 2007.165 Anders als 1996 und 2002, da die Wahlen als Teil des Prozesses der Konfliktbewältigung verstanden wurden und der Übergang in den Friedenszustand die Hauptsorge der Wähler darstellte, standen die Wahlen 2007 unter dem Vorzeichen der Forderung nach politischen Veränderungen.166 Der überwiegende Teil der Bevölkerung 162 Sesay, Amadu [u.a.], 2009, S. 67. Ebd., S. 73-74. 164 Zack-Williams, A.B., International Intervention and the Struggle for Democracy, in: ZackWilliams, A.B. [Hrsg.], The Quest for Sustainable Development and Peace. The 2007 Sierra Leone Elections, Uppsala 2008, S. 33. 165 Wais, Zubari, 2008, S. 55-56. 166 Ebd., S. 39-40. 163 S. 53 sehnte sich nach einer Regierung, welche eine Festigung der demokratischen Verhältnisse herbeiführen und die Basis für eine nachhaltige Entwicklung im Lande legen würde.167 Sorgen um die Bewältigung des Alltagslebens und die generelle wirtschaftliche Lage Sierra Leones bildeten den Mittelpunkt der Debatten unter den Wählern. Fragen nach der Fähigkeit der amtierenden Regierung, sich der akuten Probleme anzunehmen, wurden laut, denn trotz einiger Fortschritte, die die Kabbah-Regierung erzielen konnte, befand sich Sierra Leone weiterhin in einem desolaten Zustand. So wurde das Land zur Zeit der Wahlen von 2007 an letzter Stelle des Human Development Index (HDI)168 geführt. Dies spiegelte sich unter anderem in den katastrophalen Verhältnissen bei der Grundversorgung der Bevölkerung in wichtigen Bereichen wie Elektrizität und Trinkwasser wider. Das Leben in Sierra Leone war für die Mehrheit der Menschen nach wie vor ein harter Kampf gegen widrige Umstände.169 Dementsprechend zeigten die von diesen Umständen Betroffenen besonderes Interesse daran, die Wahlen des Jahres 2007 zu nutzen, um ihre Unzufriedenheit mit der amtierenden Regierung auszudrücken. Die Wahlen fanden am 11. August statt. Sieben Parteien hatten sich erfolgreich für die Teilnahme registriert. Chancen auf einen Wahlsieg wurden hingegen nur den beiden großen Parteien, der SLPP und dem APC, zugerechnet. Das Rennen um die Präsidentschaft entschied sich demnach hauptsächlich zwischen Ernest Bai Koroma vom APC und Solomon Berewa von der SLPP. Da Ahmed Kabbah bereits zwei Amtszeiten absolviert hatte, war er nicht berechtigt, ein weiteres Mal für die Präsidentschaft zu kandidieren. Die Ernennung Berewas, des langjährigen Vizepräsidenten, zu seinem Nachfolger an der Spitze der SLPP, sorgte jedoch dafür, dass es innerhalb der Partei zu einem Bruch kam. Charles Margai, Sohn des früheren Parteivorsitzenden und ehemaligen Ministerpräsidenten Sierra Leones, Albert Margai, fühlte sich bei der Auswahl des Präsidentschaftskandidaten übergangen und gründete kurzer Hand eine eigene Partei, das People’s Movement for Democracy and Change (PMDC).170 Diese Entwicklung während des Wahlkampfes spielte dem APC in die Hände. Der APC zehrte ohnehin schon von der Unbeliebtheit der SLPP. Nun gab es auch noch eine Partei, die aus dem Herzen der SLPP entstanden war und ihr die Stimmen ihrer traditionellen Stammwählerschaft streitig machte. Ein weiterer Faktor, der sich positiv für den APC auswirkte, war die rege Auseinandersetzung seiner Vertreter mit den Sorgen und Nöten der Unter- und Mittelschicht der Gesellschaft. Ähnlich wie einst zu Entstehungszeiten des 167 Zack-Williams, A.B./Gbla, Osman, The Conduct of the Elections: Challenges of Peacebuilding and Awakening, in: Zack-Williams, A.B. [Hrsg.], The Quest for Sustainable Development and Peace. The 2007 Sierra Leone Elections, Uppsala 2008, S. 78. 168 Der Human Development Index ist ein weltweites Ranking der UN zur gesellschaftlichen Entwicklung einzelner Länder und Regionen, basierend auf verschiedenen Indikatoren, wie ProKopf-Einkommen, Lebenserwartung und Alphabetisierung. 169 Wais, Zubari, 2008, S. 56-57. 170 Zack-Williams, A.B., 2008, S. 30. S. 54 APC fokussierte die Partei ihre Bemühungen auf die weniger wohlhabenden Kreise der Bevölkerung, während die SLPP weitgehend in ihrem elitären Muster verharrte.171 Dass der APC die Wahlen tatsächlich gewinnen würde, hatte allerdings kaum jemand erwartet. Doch genau so kam es. Der APC konnte sich im ersten Wahlgang mit 44,3 Prozent der Stimmen klar gegen die 38,3 Prozent der SLPP durchsetzen. Auch die Stichwahl172 konnte die Partei Koromas mit 59 der 112 zu vergebenen Parlamentssitze für sich entscheiden. Laut A.B. Zack-Williams zeigte sich in diesem Wahlausgang die Bewusstwerdung der Wählerschaft darüber, dass sie ihre Politiker auf demokratischem Wege für deren Verfehlungen zur Verantwortung ziehen kann.173 Zweifelsohne stellte die Wahl des Jahres 2007 einen beträchtlichen Fortschritt bezüglich der demokratischen Stabilität Sierra Leones dar. Bedenkt man, dass das Land erst fünf Jahre zuvor den Zustand des Bürgerkrieges überwunden hatte, so präsentiert sich die Übertragung der Regierungsgewalt von einer demokratisch gewählten Regierung auf die nächste gar als eine überaus bedeutsame Errungenschaft. Besonders vielversprechend ist es in diesem Zusammenhang, dass eben jene Errungenschaft auf die aktive Beteiligung der Sierra Leonischen Bevölkerung am demokratischen Prozess zurückzuführen ist. Gerade in Sierra Leone, in Anbetracht seiner turbulenten Geschichte, kann die Rückkehr zu politischer Partizipation und zur Mobilisierung der Massen in einem demokratischen Rahmen nicht hoch genug bewertet werden.174 Die Wahlen zeigten allerdings noch einen weiteren Trend auf. Obgleich es sich um freie demokratische Wahlen handelte175, schienen die Optionen der Wähler auf die zwei etablierten Parteien des Landes begrenzt zu sein. Folgt man der Argumentation von Zubari Wais, so gibt es zwischen APC und SLPP jedoch kaum Unterschiede in ihrer ideologischen oder politischen Ausrichtung.176 Dies wiederum würde bedeuten, dass selbst ein demokratisch herbeigeführter Regierungswechsel nicht zwangsläufig zu Veränderungen in der politischen Realität führen muss. Wais warnt vor einem Kreislauf, in dem sich die miteinander konkurrierenden politischen Eliten bei der Führung des Landes abwechseln, ohne jemals echte politische, soziale und wirtschaftliche Veränderungen zu bewirken.177 Wie weit die Bereitschaft und die Fähigkeit der neuen Regierung geht, eine positive Zukunft für das Land und seine Bevölkerung herbeizuführen, bleibt abzuwarten. Sicher ist, dass die Entwicklung hin zu einem demokratischen Diskurs einen enormen Fortschritt 171 Zack-Williams, A.B., 2008, S. 13. In Sierra Leones politischem System benötigt eine Partei mindestens 55% der gesamten Wählerstimmen, um zum Sieger einer Wahl erklärt werden zu können. Bei der Stichwahl treten nur noch die beiden stärksten Parteien des ersten Wahlgangs gegeneinander an. 173 Zack-Williams, A.B., 2008, S. 13, S. 35. 174 Wais, Zubari, 2008, S. 59. 175 Zack-Williams, A.B., 2008, S. 34. 176 Wais, Zubari, 2008, S. 60. 177 Ebd., S. 61. 172 S. 55 für die Menschen in Sierra Leone darstellt, und dass diese Entwicklung den Weg in die richtige Richtung vorgezeichnet hat. 8. Abschließende Bemerkungen Wie aus den vorangegangenen Schilderungen zu ersehen ist, steht die relativ kurze Phase der politischen Unabhängigkeit Sierra Leones einer sehr viel längeren Zeit externer Einflussnahme auf das Land gegenüber. Vor allem die nahezu 100 Jahre andauernde Fremdherrschaft der Briten hat eine eigenständige Entwicklung in Sierra Leone lange Zeit fast unmöglich gemacht. Die Vorgehensweise der britischen Kolonialherren beraubte die Menschen Sierra Leones nicht nur ihrer Unabhängigkeit, sondern etablierte gleichsam ein System der materiellen Ausbeutung, welches sich noch dazu einheimischer Arbeitskräfte bediente, um die Ressourcen des Landes abzuschöpfen. Hier wurde frühzeitig der Grundstein für einen Großteil der Miseren gelegt, die im Laufe der Geschichte über das Land und seine Bevölkerung hereinbrechen sollten. Gleichwohl ist auch die Rolle der korrupten einheimischen Machteliten, die sich seit der Unabhängigkeit an der Spitze des Staates festgesetzt haben, nicht von der Geschichte Sierra Leones zu trennen. Das fehlende Verantwortungsgefühl dieser Eliten gegenüber dem Gemeinwohl des Staates und seiner Bevölkerung hatte entscheidenden Anteil an den katastrophalen Entwicklungen, welche die Tragödie des Bürgerkrieges erst möglich machten. Glücklicherweise konnte der Krieg in Sierra Leone nach langem Ringen zu Beginn des 21. Jahrhunderts beendet werden, sodass nun zumindest die unabdingliche Basis für eine positive Entwicklung – der Friedenszustand – wieder gegeben ist. Es ist dem Land und seinen Bewohnern zu wünschen, dass die amtierende Regierung, zusammen mit der internationalen Gemeinschaft, einen Weg findet, die Verhältnisse im Lande weiter zu bessern, und, dass sie mit Hilfe einer stabilisierten Wirtschaft die Voraussetzungen schaffen kann für eine weitestgehend gewaltfreie Gesellschaft, die es ihren Mitgliedern erlaubt, zuversichtlich in die Zukunft zu blicken. Die stärksten Impulse für eine demokratische Lösung der akuten Probleme gingen bislang von der Zivilbevölkerung aus. Ihr enormes Engagement im Prozess der politischen Meinungsbildung seit Beendigung des Krieges steht für die Bereitschaft und den Wunsch, die unmittelbare Vergangenheit hinter sich zu lassen, um auf friedlichem Wege die Entwicklung des Landes voranzutreiben. Nun ist es an den Politikern, das in sie gesetzte Vertrauen mit ehrlichen Bemühungen um das Wohl der Menschen in Sierra Leone zu belohnen. S. 56 Die hier vorliegende Arbeit hat versucht, einen konzisen Überblick über die ereignisreiche Geschichte Sierra Leones zu liefern. Auf Grund der Tatsache, dass es sich um eine komprimierte Zusammenfassung der gesamten Geschichte des Landes handelt, konnten einige Bereiche der Historie nur kurz angeschnitten werden. Für ein umfassenderes Verständnis der Ereignisse und Dynamiken innerhalb der Gesellschaft Sierra Leones lohnt sich eine vertiefende Beschäftigung mit deren Geschichte. Zu den Bereichen, die in der vorliegenden Arbeit vernachlässigt werden mussten, zählen die Entstehung und Weiterentwicklung der Krio-Gesellschaft, sowie die traditionelle und gegenwärtige Rolle der Chieftaincy als Verwaltungsorgan in den ländlichen Gegenden Sierra Leones. Für die nähere Beschäftigung mit der Geschichte der Krio kann ich dem Leser die Bücher von Akintola J.G. Wyse und Mac Dixon-Fyle nahelegen.178 Akintola beschreibt ausführlich die Wurzeln und den Werdegang der Krio-Gesellschaft. Der Sammelband von Dixon-Fyle ergänzt diesen historischen Blick durch aktuelle Forschungsergebnisse und fügt sie zu einer „Neuen Perspektive“ zusammen. Um bessere Kenntnis über die Bedeutsamkeit der traditionellen Autoritäten in Sierra Leone zu erlangen, bietet sich der Artikel von Richard Fanthorpe zur politischen Rolle der Chiefdoms an.179 Weitere Themenbereiche, welche in der vorliegenden Arbeit nur wenig Platz gefunden haben, umfassen die Ursachen für die lange Dauer des Bürgerkrieges, sowie die Motivationen der verschiedenen Fraktionen und Individuen für deren Beteiligung am Krieg. Hierfür sei neben den bereits im Literaturverzeichnis aufgeführten Werken zum Bürgerkrieg besonders auf den, von Ibrahim Abdullah herausgegebenen, Sammelband Between Democracy and Terror. The Sierra Leone Civil War verwiesen.180 Die genannten Literaturhinweise sind selbstverständlich nur als Anregungen zu verstehen und sollen keineswegs die Neugier des Lesers mindern, sich auf eigenem Wege vertiefend mit der Geschichte Sierra Leones auseinanderzusetzen. Ich hoffe, ich konnte dem Leser mit Hilfe meiner Arbeit einen Einblick in den außerordentlich intensiven Verlauf der Geschichte Sierra Leones geben und in ihm das Interesse wecken, sich auch weiterhin mit diesem Land, seinen Menschen und deren Kultur zu beschäftigen. 178 Wyse, Akintola J.G., The Krio of Sierra Leone: An Interpretive History, Washington, D.C. 1989; Dixon-Fyle, Mac [Hrsg.], New Perspectives on the Sierra Leone Krio, New York [u.a.] 2006. 179 Fanthorpe, Richard, Locating the Politics of a Sierra Leonean Chiefdom, in: Africa: Journal of the International African Institute, Vol. 68, No. 4 (1998), S. 558-584. 180 Abdullah, Ibrahim [Hrsg.], Between Democracy and Terror. The Sierra Leone Civil War, Dakar 2004. S. 57 9. Literaturverzeichnis Abdullah, Ibrahim, Bush Path to Destruction: The Origin and Character of the Revolutionary United Front/Sierra Leone, in: The Journal of Modern African Studies, Vol. 36, No. 2 (1998), S. 203-235. Adebajo, Adekeye, Building Peace in West Africa. Liberia, Sierra Leone, and GuineaBissau, Boulder/Colorado [u.a.] 2002. Alie, Joe A.D., A New History of Sierra Leone, New York 1990. Allen, Christopher, Sierra Leone Politics since Independence, in: Affrican Affairs, Vol. 67, No. 269 (1968), S. 305-329. Cartwright, John R., Political Leadership in Sierra Leone, London 1978. Clapham, Christopher, Sierra Leone: The Political Economy of Internal Conflict, Netherlands Institute of International Relations „Clingendael“: Working Paper 20, Den Haag 2003. Conteh-Morgan, Earl/Dixon-Fyle, Mac, Sierra Leone at the End of the Twentieth Century. History, Politics and Society, New York 1999. Elias, Taslim O., Ghana and Sierra Leone. The Development of their Laws and Constitutions, London 1962. Fyfe, Christopher H., A History of Sierra Leone, London 1962. Gberie, Lansana, A Dirty War in West Africa. The RUF and the Destruction of Sierra Leone, Bloomington 2007. Hofmeier, Rolf/Mehler, Andreas [Hrsg.], Kleines Afrika-Lexikon, München 2004. Humphreys, Macartan/Weinstein, Jeremy M., Demobilization and Reintegration, in: The Journal of Conflict Resolution, Vol. 51, No. 4 (2007), S. 531-567. Humphreys, Macartan/Weinstein, Jeremy M., Who Fights? The Determinants of Participation in Civil War, in: American Journal of Political Science, Vol. 52, No. 2 (2008), S. 436-455. Kandeh, Jimmy D., Politicization of Ethnic Identities in Sierra Leone, in: African Studies Review, Vol. 35, No.1 (1992), S. 81-99. Kargbo, Michael S., British Foreign Policy and the Conflict in Sierra Leone. 1991-2001, Oxford [u.a.] 2006. Keen, David, Conflict & Collusion in Sierra Leone, Oxford – New York 2005. Peterson, John, Province of Freedom. A History of Sierra Leone 1787-1870, London 1969. Sesay, Amadu [u.a.], Post-War Regimes and State Reconstruction in Liberia and Sierra Leone, CODESRIA, Senegal 2009. Shaw, Rosalind, Memories of the Slave Trade. Ritual and the Historical Imagination in Sierra Leone, Chicago 2002. S. 58 Zack-Williams, A.B. [Hrsg.], The Quest for Sustainable Development and Peace. The 2007 Sierra Leone Elections, Uppsala 2008. Weiterführende Literatur: Abdullah, Ibrahim [Hrsg.], Between Democracy and Terror. The Sierra Leone Civil War, Dakar 2004. Crowder, Michael, Indirect Rule – French and British Style, in: Africa: Journal of the International African Institute, Vol. 34, No. 3 (1964), S. 197-205. Dixon-Fyle, Mac [Hrsg.], New Perspectives on the Sierra Leone Krio, New York [u.a.] 2006. Esedebe, P. Olisanwuche, Pan-Africanism. The Idea and Movement. 1776 – 1963, Washington, D. C. 1982. Fanthorpe, Richard, Locating the Politics of a Sierra Leonean Chiefdom, in: Africa: Journal of the International African Institute, Vol. 68, No. 4 (1998), S. 558-584. Qaddafi, Mu‘ammar al-, Das grüne Buch. Die Dritte Universaltheorie, Koblenz 1990. Reno, Williams, Corruption and State Politics in Sierra Leone, Cambridge 1995. Wyse, Akintola J.G., The Krio of Sierra Leone: An Interpretive History, Washington, D.C. 1989. S. 59