ECHTE PIONIERE: Die erste Fußball-Riege von 1907
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ECHTE PIONIERE: Die erste Fußball-Riege von 1907
1907 1907 ECHTE PIONIERE: Die erste Fußball-Riege von 1907 (oben), stehend von links: Alt, Fischer, Meiswinkel, Rissinger, Lerch, Linke, Barthel, Max, Ernst; sitzend von links: Teske, Huch, Geisl, Jone, Lerch. 2007 PUBLIKUMSMAGNET: Volle Ränge auf der Holztribüne des Stadions Am Stadtpark (unten). Bis zu 17.000 Zuschauer pilgerten zu den OberligaSpielen der Bayer-Fußballer – zu einer Zeit, in der Leverkusen gerade einmal 70.000 Einwohner hatte. 1954 1958 100 Jahre Fußball bei Bayer 04 VON DER KI ESG R U B E ZUR HIGHTECH-ARENA Vor 100 Jahren gründeten 16 Pioniere die Fußball-Riege im Zeichen des BayerWappens. Die zunächst belächelten Exoten haben längst ihren Platz gefunden. W e n n i n d i e s e n Ta g e n a u f sporthistorischem Grund und Boden die umfangreichen Aus- und Umbauarten an unserer sportlichen Heimat, der BayArena, zu einem noch moderneren, noch komfortableren und nicht zuletzt größeren Stadion aufgenommen werden, ist ein Blick zurück in die Gründerzeit des Fußballs in Leverkusen angebracht. Die Spur führt in eine gastliche Stätte, in das Lokal „Wiesdorfer Hof“. Dort rief vor ziemlich genau einem Jahrhundert, am 1. Juni 1907, ein Fähnlein von 16 finster zu allem entschlossenen Sportsmännern eine „FußballRiege“ ins Leben, aus der eines fernen Tages ein national und international leistungsfähiger und geschätzter Fußball-Verein werden sollte. Dieses Datum speichern die Archive folglich als Auftakt einer abwechslungsreichen, aufregenden, überwiegend aber recht erfolgreichen Geschichte des Fußballsports in Leverkusen. EINE LEGENDE IN LEVERKUSEN: Als das Ulrich-Haberland-Stadion mit einem Spiel gegen den 1. FC Kaiserslautern eröffnet wurde, war auch der „große“ Fritz Walter (2. von links) dabei. Gut ein halbes Jahr später wurden den Fußball-Pionieren vom Vorstand des „Turn- und Spielvereins der Farbenfabriken vorm. Friedrich Bayer &Co“ großzügig Trikots („neue Turnanzüge“) genehmigt. „Schwarz mit roter Einfassung und Absteppung“, sollten sie sein: „Das Wappen wird rot auf schwarzem Grund aufgestickt“. Das Motiv entsprach dem seit 1895 benutzten Logo des Unternehmens. Es zeigt den geflügelten Löwen mit dem Globus. Die Farben sind bis heute gültig. Die Chronik des am 28. Januar 1900 in Leipzig gegründeten Deutschen Fuß- ball-Bundes vermeldet übrigens aus besagtem Jahr 1907, dass der DFBBundestag in Mannheim beschlossen habe, pro Mitglied eine „Kopfsteuer“ von fünf Pfennigen zu erheben, um die Aufgaben des jungen Verbandes zu finanzieren. Der Schritt der Leverkusener Kicker zur Verselbständigung brach zwar mit einigen Konventionen der Turnvater-Jahn-Generation, doch er stimmte durchaus überein mit dem allenthalben aufkeimenden Wunsch, sich endlich der strammen Disziplin der Turner zu entziehen und stattdessen die vergleichsweise freie Liebe am Ball zu suchen. Das Objekt der Begierde war damals übrigens ein recht sperriges Gerät, wie sich die spätere Bayer 04-Fußball-Legende Richard Seuser im opulenten Jubiläumsband „100 Jahre Bayer 04“ (erschienen 2004 im KS-Verlag) erinnert: „Ausgebeult war der schlechte Lederball meistens, und dicke Nähte haben mir das Kopfballspiel oft genug zur Qual gemacht. Und wenn so ein Ball mal kaputt war, dann mussten wir ihn zum Flicken nach Mülheim bringen.“ Kein Vergleich mit den Hightech-Kugeln, die unser Ausrüster adidas im 21. Jahrhundert ins Spiel bringt. DER ERSTE UNTERSCHLUPF Die eher als Exoten belächelten Balltreter finden zunächst Unterschlupf auf einem Platz an der Kurtekottenstraße, in einer ehemaligen Kiesgrube, die später den Lkw-Hof der Bayer AG beherbergte. 1911 wandern sie BayArena MAGAZIN • 37 100 Jahre Fußball bei Bayer 04 auf ein Gelände an der Böttinger Straße, dann sind sie kurzfristig Gäste auf dem damaligen Platz des TuS Bürrig im Steinfeld. Schließlich hat 1914 das Nomadentum ein Ende, als man sich in einem als „Provisorium“ angedienten Areal an der Dhünn in Höhe der späteren Landesgartenschau (nördlich der Wiesdorfer Wohn-Kolonie II) einrichtet. Das „Provisorium“ sollte 18 Jahre vorhalten. Die Bedingungen für das Fußballspiel, das laut einem Urteil des Preußischen Kammergerichts von 1911 sprach dieser Platz den so genannten „Jenaer Regeln“, die schon Anno 1896 festlegten, dass „beim Fußball in Deutschland die Spielfläche frei von Bäumen und Sträuchern sein muss“. 1932 hat es endlich ein Ende mit dem „Provisorium“. Die Bayer-Leute zeigen ansprechende Leistungen, von denen sich mehr und mehr Zuschauer begeistern lassen. Sie hadern allerdings mit den unhaltbaren Verhältnissen, so dass man sich zum Handeln gezwungen sieht. Es wird „der Bayerplatz“ angelegt, ein Sportplatz am Stadtpark, der fortan wirklich attraktive, Mannschaft. Emil („Bubi“) Becks, die Brüder Job und die anderen bestimmen das Bild jener Mannschaften, die ihr Publikum hinter sich wissen. KICKEN FÜR ETWAS KOHLE Ein Ende der Entwicklung ist freilich bald nicht mehr abzusehen. In den 50er Jahren setzt sich auch in Leverkusen bei Bayer 04 das Vertragsspielertum durch. Die Jungs gehen ihrem Beruf nach, vorwiegend im BayerWerk, und kicken für etwas Kohle. Wie das funktionierte, mag ein Schreiben 1988 1997 DIE ANFÄNGE: Die Westtribüne wird erbaut. DIE FERTIGSTELLUNG: Die Südtribüne nimmt Gestalt an. „rein sportlichen Interessen dient, nämlich der Stärkung und Stählung des Körpers, der Erhöhung der Ausdauer und der Gewandtheit, nicht zuletzt auch der Entwicklung sittlicher Eigenschaften der Teilnehmer“, waren in den Flussniederungen nicht optimal. Zwar störten hier „die mit Geräuschen verbundenen Belustigungen“, die mancherorts zu Verboten während der Kirchzeit führten, kaum jemanden. Aber im Sommer brannte der Staub den Wettkämpfern in Augen und Hals. Bei anhaltendem Regen trat die Dhünn über die Ufer; Zeitzeugen berichteten über „wahre Schlammschlachten“. Immerhin ent- 38 • BayArena MAGAZIN ja sogar legendäre Spiele erlebt. Bei den Fans ist diese neue Heimat am Hemmelrather Weg überaus beliebt. Bis zu 17.000 pilgern zu den Spielen. Leverkusen zählte damals 70.000 Einwohner. Fußball wird vor allem in der schweren Zeit nach dem Zusammenbruch zum Gemeinschaftserlebnis und nach dem WM-Triumph 1954 in der Schweiz zum „Gesellschaftsspiel“. Endlich sind Begriffe wie Angriff, Kampf, Sieg und Niederlage wieder ihrer zivilen Nutzung zugeführt und friedlich besetzt. Günter W. Becker, der später den Bayer-Fußball entscheidend voranbrachte, spielt hier während der Kriegsjahre in der 1. verdeutlichen, das am 23. September 1953 aus der Bayer-Sozial- und Personalabteilung an Artur Zwiste in der Direktionsabteilung gerichtet war: „Die 1. Vertragsspieler-Mannschaft... konnte in den ersten sechs Spielen der neuen Saison leider keine besonderen Erfolge erzielen... Um die Oberliga-Zugehörigkeit zu erhalten, sollen alle Vertragsspieler sich einem verschärften Training unterziehen, das aber nur von Wert ist, wenn dieses bei Tageslicht durchgeführt werden kann. Sie werden daher gebeten, die in Ihrer Abteilung beschäftigten Herren Flohr, Becks, Kirchberg, Schulz bis auf weiteres zu den Trainingsstunden dienstags und donnerstags ab 15 Uhr zu beurlauben. . .“. Die „Werkself“ lebte schon damals. Im August 1958 wurde an der Bismarckstraße mit einem Match gegen den 1. FC Kaiserslautern in Anwesenheit des großen Fritz Walter ein neues Stadion eingeweiht, das den Namen des ersten Bayer-Generaldirektors nach dem 2. Weltkrieg, Ulrich Haberland, trug. Eine überdachte Westtribüne für 4.000 Interessenten; insgesamt hatten hier 20.000 Zuschauer Platz. 1963 wurden vier Flutlichtmasten aufgestellt. stätten- und Landschaftsarchitektur beauftragt, sich dieselben für den Bau einer multifunktionalen Arena zu zerbrechen. Sie sollte Sport-, Business- und Lifestyle-tauglich sein. Nun investierte man in Beine und Steine. Der Inspirator und Motor hinter diesem ehrgeizigen Projekt war der damalige Sportbeauftragte der Bayer AG, Jürgen von Einem. 1986 wurde die Osttribüne neu gebaut. 1988/89 folgte die neue West- und 1989 die Nordtribüne. Die anschließende Atem- und Denk- langt. Was heute hochmodern und richtungweisend ist, kann in diesem Geschäft morgen oder übermorgen schon Vergangenheit sein. Wolfgang Holzhäuser, der Sprecher der Geschäftsführung, trägt dem Rechnung und hat die anspruchsvolle Planung engagiert, nachdrücklich und nachhaltig vorangetrieben. Dabei weiß er sich der uneingeschränkten Unterstützung des Mutterhauses, des Konzerns Bayer AG, sicher. Dessen Chef, der Vorstandsvorsitzende Werner Wenning, ist ebenso wie sein Vorgänger Dr. Manfred Schneider von dem 2007 2009 DER IST-ZUSTAND: Die BayArena mit dem Lindner Hotel. DIE TRAUMHAFTE PERSPEKTIVE: Das Modell der neuen BayArena. 1979 stieg das Team des damaligen Trainers Willibert Kremer in die Bundesliga auf. Beobachter berichten immer noch augenzwinkernd, dass bei Abendspielen das Flutlicht wegen der nahen Autobahn nicht auf volle Stärke geschaltet werden durfte, sodass manch einer in den Genuss erstklassigen Fußballs bei „Barbeleuchtung“ kam. Es bestand aktueller Handlungsbedarf. Die nächsten Stufen deshalb hier im Zeitraffer: Noch im Aufstiegsjahr wurde eine provisorische Holztribüne für 5.000 Fans errichtet. Im Sommer 1984 wurden kluge Köpfe aus der Sport- pause dauerte sechs Jahre. 1997 war dann die Südtribüne fertig mit dem Haupteingang, dem Restaurant, den VIP-Logen und den Büros für die Geschäftsführung. 1998/99 war das Schmuckkästchen komplett, als – integriert in die Nordtribüne – das erste Stadion-Hotel der Republik (LindnerHotel BayArena) bezogen wurde. NOCH SCHÖNERES ZUHAUSE Nun wird auf ein Neues kräftig in die Hände gespuckt. Fußball ist ein Spiel für Millionen, das bei aller bewussten Traditionsverbundenheit nach immer neuen Impulsen und Anreizen ver- Projekt Profifußball überzeugt. Der Fußball in Leverkusen erhält ein noch schöneres Zuhause und hat eine gute Zukunft. Der brasilianische Superstürmer Ronaldinho hat erst vor kurzem erklärt, dass er gar nichts von einem Vereinswechsel hält, sondern auf jeden Fall 2009 im runderneuerten Stadion auflaufen will. Dabei handelt es sich zwar um das Camp Nou, die gewaltige Fußball-Bühne des FC Barcelona, aber in der 2009 ebenfalls nigelnagelneuen BayArena würde sich der Ballzauberer gewiss nicht weniger wohl fühlen. Hermann Josef Weskamp BayArena MAGAZIN • 39