Arbeitsrecht Fälle 1,2 Moers.

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Arbeitsrecht Fälle 1,2 Moers.
Wiss. Mitarbeiter Dr. Oliver Mörsdorf
Institut für IPR und Rechtsvergleichung der Universität Bonn
Adenauerallee 24-42 (Ostturm), Zimmer 312, 53113 Bonn
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Vorlesung Privatrecht II (Wirtschaftsrecht) – Teil 3 – Arbeitsrecht
Fälle, Lösungsskizzen und Lösungen
Fälle 1, 2
Fall 1 – Stellenanzeige
M bewarb sich mit Schreiben vom 17. 06. 2007 auf eine im „Kölner Stadtanzeiger“
erschienene Stellenanzeige der Firma Bitcom GmbH (B), die wie folgt lautete: „Für unseren
Vertrieb suchen wir eine versierte Assistentin der Vertriebsleitung. Wenn Sie mit den
Chaoten eines vertriebsorientierten Unternehmens zurechtkommen können, diesen Kaffee
kochen wollen, wenig Lob erhalten und viel arbeiten können, sind Sie bei uns richtig. Bei uns
muss einer alles organisieren können und für die anderen mitdenken. Wenn Sie sich dieser
Herausforderung wirklich stellen wollen, erwarten wir Ihre aussagekräftigen
Bewerbungsunterlagen. Aber sagen Sie nicht, wir hätten Sie nicht gewarnt ...“. Die B
beantwortete das Schreiben des M nicht und sandte ihm auch nicht seine
Bewerbungsunterlagen zurück. Vielmehr stellte sie kurze Zeit später die Bewerberin F ein.
Unter Berufung darauf, dass er der für die Stelle bestqualifizierte Bewerber gewesen und bei
der Einstellung aufgrund des Geschlechts diskriminiert worden sei, erhob M beim
Arbeitsgericht Köln Klage gegen B auf Schadensersatz in Höhe von viereinhalb
Monatsgehältern.
Fall 1 – Lösungsskizze
I. Anspruch M gegen B auf angemessene Entschädigung aus § 15 II AGG
1. Voraussetzung: Verstoß gegen Benachteiligungsverbot des § 7 I AGG
a) Unmittelbare Benachteiligung (§ 3 I AGG) des M wegen eines
Grundes gem. § 1 AGG (+) – Beweislastumkehr (§ 22 AGG)
b) Keine Rechtfertigung gem. § 8 I AGG
2. Rechtsfolge: Angemessene Entschädigung für immateriellen Schaden
immaterieller Schaden (+)
Beschränkung auf drei Monatsgehälter gem. § 15 II 2 AGG (-)
II. Anspruch M gegen B auf Ersatz des Vermögensschadens aus § 15 I AGG
1. Voraussetzungen
a) Verstoß gegen Benachteiligungsverbot des § 7 I AGG (+), s.o.
b) Vertretenmüssen der B i.S.d. § 276 BGB (+) – Beweislastumkehr
2. Rechtsfolge: Ersatz des Vermögensschadens. Aber: Vorliegen eines Vermögensschadens (-): Keine Anhaltspunkte im Sachverhalt, dass M ohne Benachteiligung
eingestellt worden wäre.
Vorlesung Privatrecht II (Wirtschaftsrecht) – Teil 3 - Arbeitsrecht
Fall 1 – Lösung
I. Anspruch des M gegen B auf Zahlung von viereinhalb Monatsgehältern als angemessene
Entschädigung in Geld gem. § 15 II AGG
1. Voraussetzung: Es müsste ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 I AGG
vorliegen.
a) Benachteiligung: Nach dieser Vorschrift dürfen Beschäftigte, zu denen gem. § 6 I 2 AGG
auch Bewerberinnen und Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis zählen, nicht wegen
eines in § 1 AGG genannten Differenzierungsrundes benachteiligt werden. § 1 AGG nennt als
unzulässigen Differenzierungsgrund u.a. das Geschlecht einer Person. Eine unmittelbare
Benachteiligung liegt gem. § 3 I AGG vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten
Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine andere Person in einer
vergleichbaren Lage erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. § 22 AGG enthält dabei eine
zusätzliche Beweisregelung, um dem Benachteiligten seine Anspruchsverfolgung zu
erleichtern. Wenn im Streitfall der Arbeitnehmer Indizien darlegt und beweist, die eine
Benachteiligung wegen eines der in § 1 AGG genannten Gründe vermuten lassen, trägt der
Arbeitgeber die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot
vorgelegen hat. Da die Stellenanzeige der B entgegen § 11 AGG nicht geschlechtsneutral
formuliert war, sondern eine „Assistentin“ der Vertriebsleitung gesucht wurde, liegt eine
Tatsache vor, die eine Benachteiligung des M gerade wegen seines Geschlechts vermuten
lässt. Damit greift die genannte Beweislastumkehr ein.
b) Keine Rechtfertigung: Eine unterschiedliche Behandlung ist gemäß § 8 I AGG
ausnahmsweise zulässig, wenn der unzulässige Differenzierungsgrund wegen der Art der
auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und
entscheidende berufliche Anforderung darstellt. B kann hier nicht ernsthaft behaupten, dass
das – weibliche – Geschlecht „unverzichtbare Voraussetzung“ für die in der Stellenanzeige
genannten Tätigkeiten ist.
2. Rechtsfolge: M hat einen Anspruch auf „angemessene Entschädigung in Geld“ für seinen
durch die Benachteiligung erlittenen immateriellen Schaden („Schmerzensgeld“), der in
seiner Höhe durch das Gericht festzusetzen ist. Eine Beschränkung auf 3 Monatsgehälter
würde gemäß § 15 II S. 2 AGG nur dann eingreifen, wenn B darlegen könnte, dass M auch
bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre. Dazu müsste sie z.B.
vortragen und notfalls beweisen, dass die letztlich eingestellte Bewerberin F von ihrer
Qualifikation her für die Stelle besser geeignet gewesen ist als M.
II. Anspruch auf Schadensersatz gem. § 15 I AGG
Des Weiteren könnte sich ein Anspruch des M aus § 15 I AGG ergeben (Schadensersatz für
Vermögensschäden).
1. Voraussetzungen:
a) Die Voraussetzungen für einen solchen Anspruch entsprechen zunächst im Wesentlichen
den Voraussetzungen des § 15 II AGG, d.h. es muss ein Verstoß gegen das
Benachteiligungsverbot des § 7 I AGG vorliegen. Dies ist hier der Fall (s.o.)
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b) Allerdings kommt ein Anspruch nach § 15 I AGG- anders als ein Anspruch nach
§ 15 II AGG – nicht in Betracht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu
vertreten hat (§ 15 I 2 AGG). Der Anspruch setzt damit einerseits ein Verschulden des
Arbeitgebers (Vorsatz oder Fahrlässigkeit) voraus, andererseits gilt diesbezüglich eine an
§ 280 I 2 BGB angelehnte Beweislastumkehr, d.h. der Arbeitgeber muss sein fehlendes
Verschulden darlegen und beweisen. Dies dürfte der B vorliegend nicht gelingen. Vielmehr
ist – im Gegenteil – bereits aus der Stellenausschreibung ersichtlich, dass B bei der Besetzung
der freien Stelle ganz bewusst nur Frauen berücksichtigen wollte, was zwangsläufig zu einer
Benachteiligung interessierter männlicher Bewerber führen musste.
2. Rechtsfolge: Nach § 15 I AGG hat M einen Anspruch auf Ersatz eines durch die
Benachteiligung erlittenen Vermögensschadens. Dafür müsste M jedoch einen
Vermögensschaden in dieser Höhe tatsächlich erlitten haben. Der von M geltend gemachte
Betrag in Höhe von viereinhalb Monatsgehältern macht deutlich, dass M entgangene
Gehaltszahlungen geltend machen möchte. Ein solcher Schaden setzt voraus, dass M bei
Hinwegdenken der Benachteiligung eingestellt worden wäre. Im Zweifel trifft M hierfür die
Beweispflicht. Aus dem Sachverhalt ergeben sich jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass M
ohne die geschlechtsbezogene Benachteiligung eingestellt worden wäre. Denkbar ist vielmehr
auch, dass die eingestellte Bewerberin F die Stelle gleichwohl erhalten hätte. In Ermangelung
eines Vermögensschadens kommt ein Anspruch des M nach § 15 I AGG damit nicht in
Betracht.
Merke: Ist nach dem Sachverhalt offen, ob ein benachteiligter Bewerber bei Hinwegdenken
der Benachteiligung die ausgeschriebene Stelle erhalten hätte, wirkt sich dies bei § 15 II AGG
(Entschädigungsanspruch) und bei § 15 I AGG (Schadensersatzanspruch) jeweils
unterschiedlich aus. Während bei § 15 II AGG der Arbeitgeber für eine Begrenzung des
Anspruchs auf drei Monatsgehälter (vgl. § 15 II 2 AGG) beweisen muss, dass der
benachteiligte Bewerber die Stelle andernfalls nicht erhalten hätte, muss für die
Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs nach § 15 I AGG der Bewerber als
Anspruchsinhaber beweisen, dass er die Stelle andernfalls erhalten hätte.
Fall 2 – Fragestunde
P war seit dem 31. 8. 1993 bei dem Bundesland Brandenburg als vollbeschäftigter
Angestellter im Polizeivollzugsdienst mit dem Ziel seiner späteren Übernahme in ein
Beamtenverhältnis tätig. Der Einstellung ging ein längeres Bewerbungsverfahren voraus.
Dabei gab P an, ihm sei wegen einer im Jahre 1992 begangenen Trunkenheitsfahrt die
Fahrerlaubnis für acht Monate entzogen worden und er habe ein Bußgeld zahlen müssen. Am
25. 4. 1993 machte P mit einem von ihm reparierten, weder zugelassenen noch versicherten
Jeep eine Probefahrt. Er zerstörte dabei auf einem Acker einen großen Teil des dort
befindlichen Saatguts und benutzte eine öffentliche Straße. Am 10.6.1993 unterzeichnete P
einen Belehrungsbogen, in dem er sich verpflichtete, die Bereitschaftspolizei zu
benachrichtigen, falls bis zum Dienstantritt ein Ermittlungs- oder Strafverfahren gegen ihn
eingeleitet werden sollte. Mit einer Beschuldigtenvernehmung vom 12. 8. 1993 wurde P
wegen des Vorfalls vom 25. 4. 1993 von der zuständigen Polizeidienststelle zur Vernehmung
am 23. 8. 1993 geladen. P erschien nicht zur Vernehmung, sondern erteilte am 30. 8. 1993,
einen Tag vor Abschluss des Arbeitsvertrages mit dem Land Brandenburg, einer
Rechtsanwältin Strafprozessvollmacht wegen eines „Ermittlungsverfahrens“. Nach seinem
Dienstantritt
erhielt
P
zwei
Strafbefehle
wegen
Vergehens
gegen
das
Pflichtversicherungsgesetz und wegen Sachbeschädigung mit einer Gesamtgeldstrafe von 35
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Tagessätzen zu je 25 DM. Erst im Jahr 1996 erfuhr die Dienststelle des P von den Vorgängen.
Mit Schreiben vom 7. 11. 1996 erklärte das Land Brandenburg gegenüber P die Anfechtung
des Arbeitsvertrags wegen arglistiger Täuschung. P erhob gegen das Land Brandenburg Klage
vor dem Arbeitsgericht auf Feststellung, dass sein Arbeitsverhältnis fortbesteht. Mit Erfolg ?
(BAG NJW 1999, 3653)
Fall 2 – Lösungsskizze
I. Zulässigkeit der Klage des P (+). Zuständigkeit des Arbeitsgerichts (§ 2 I Ziff. 3 b ArbGG
= Streit zwischen AG und AN über Bestehen/Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses)
II. Begründetheit (+), wenn Arbeitsverhältnis durch Anfechtung (§ 142 BGB) beendet wurde
1. Anfechtungserklärung gem. § 143 I BGB (+) = Schreiben vom 7.11.1996
2. Anfechtungsgrund: Arglistige Täuschung gem. § 123 BGB?
a) Vorspiegelung von Tatsachen (+)
b) Arglist? Nur, wenn Frage nach eingeleitetem Ermittlungsverfahren zulässig
war. Hier (+), da tätigkeitsbezogen.
3. Einhaltung der Anfechtungsfrist (§ 124 I BGB) (+). Fristbeginn = Kenntnis des
Anfechtungsberechtigten von Anfechtungsgrund (§ 124 II BGB). Hier:
Kenntniserlangung erst im Jahr 1996. Anfechtung am 7.11.1996 daher fristgemäß.
Fall 2 – Lösung
Die Klage vor dem Arbeitsgericht auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis fortbesteht,
müsste zulässig und begründet sein.
I. Bei der Zulässigkeit ist zu prüfen, ob das Arbeitsgericht für den Rechtstreit zuständig ist.
Dies ist gemäß § 2 I Ziff. 3 b) ArbGG der Fall, wenn zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber
über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses gestritten wird. Dies ist hier
der Fall, weil P als Angestellter im Polizeivollzugsdienst Arbeitnehmer im arbeitsrechtlichen
Sinne, d.h. weisungsgebunden und in die betriebliche Organisation eingegliedert ist.
II. Die Klage wäre begründet, wenn das Arbeitsverhältnis durch die Anfechtung vom
7.11.1996 nicht beendet worden ist. Es sind daher die Voraussetzungen einer wirksamen
Anfechtung wegen arglistiger Täuschung zu prüfen (§§ 142, 123 BGB).
1. Die Anfechtung setzt gemäß § 143 I BGB eine Anfechtungserklärung voraus. Diese ist
hier in dem Schreiben vom 7.11.1996 zu sehen.
2. Weiterhin müsste der Anfechtungsgrund der arglistigen Täuschung i.S.v. § 123 BGB
vorliegen. P hatte seinen Arbeitgeber vor Abschluss des Arbeitsvertrags (31.8.1993) nicht
über den Vorfall vom 25.4.1993 informiert, obwohl er sich am 10.6.1993 in einem
Belehrungsbogen verpflichtet hatte, die Bereitschaftspolizei zu informieren, falls bis zum
Dienstantritt ein Ermittlungs- oder Strafverfahren gegen ihn eingeleitet werden sollte. Dies
war hier durch die Vorladung zu einer Vernehmung geschehen. Einen Tag vor Abschluss des
Arbeitsvertrags hatte P seiner Rechtsanwältin Strafprozessvollmacht wegen eines
„Ermittlungsverfahrens“ erteilt.
Bei dem Verschweigen dieser Vorgänge hätte P allerdings nur dann arglistig i.S.v. § 123
BGB gehandelt, wenn die entsprechende Frage nach eingeleiteten Ermittlungsverfahren
bzw. die daran anknüpfende Benachrichtigungspflicht zulässig gewesen ist. Ist nämlich eine
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Frage unzulässig, kann deren fehlerhafte Beantwortung nicht zur Anfechtung wegen
arglistiger Täuschung bei Abschluss des Arbeitsvertrags führen.
Die Frage nach eingeleiteten Ermittlungs- oder Strafverfahren ist bei einer Einstellung als
Angestellter im Polizeivollzugsdienst als zulässig anzusehen, weil sie die Eignung des
Bewerbers für die ins Auge gefasste Tätigkeit in Zweifel ziehen kann. Ein Polizeibeamter ist
selbst für die Verfolgung von Straftaten anderer Bürger zuständig, so dass an der
Zuverlässigkeit der Ausführung seiner Pflichten gezweifelt werden kann, wenn gegen ihn
selbst Ermittlungs- oder Strafverfahren laufen. Hier ist zu bedenken, dass P im Rahmen seines
Dienstes exakt solche Vorgänge verfolgen soll, die er sich selbst am 25.4.1993 hat zu
Schulden kommen lassen. Der Arbeitgeber hat ein anerkennenswertes Interesse, von
derartigen Vorgängen zu erfahren.
Die Frage und die Pflicht zur Benachrichtigung ist daher als zulässig, das Verschweigen der
Vorgänge als Arglist i.S.v. § 123 BGB anzusehen.
c) Zuletzt ist die Einhaltung der Anfechtungsfrist (§ 124 BGB) zu prüfen. Diese beträgt
gemäß § 124 I BGB ein Jahr und beginnt gemäß § 124 II BGB mit der Kenntnis des
Anfechtungsberechtigten. Da die Dienststelle des P erst im Jahr 1996 von den Vorgängen
erfahren hat, konnte sie am 7.11.1996 noch fristgerecht anfechten.
Die Voraussetzungen der Anfechtung sind danach erfüllt, das Arbeitsverhältnis beendet.
(Abweichend von dem Grundsatz des § 142 BGB geht die Rechtsprechung bei der
Anfechtung von Arbeitsverhältnisses nicht von einer Wirkung ex tunc [= Rückwirkung auf
den Zeitpunkt des Vertragsschlusses], sondern von einer Wirkung ex nunc [= Wirkung ab
Zugang der Anfechtungserklärung] aus.) Die Feststellungsklage hat daher keinen Erfolg.
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