Fernweh und Lebensart auf der Speisekarte - Nationalatlas

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Fernweh und Lebensart auf der Speisekarte - Nationalatlas
Fernweh und Lebensart auf der Speisekarte
Sylvia Armbruster, Alexandra Koppa und Regina Püschel
fisch deklariert – sind nach wie vor
zahlreich vertreten. Sie stellen im nationalen Durchschnitt der in den gelben
Seiten (GelbeSeiten, online April
2004: GSMG) aufgeführten Gaststätten
rund 50% .
Innerhalb von Deutschland lassen
sich deutliche Präferenzen für einzelne
Länderküchen erkennen. Die asiatische
und die mediterrane Küche werden in
sämtlichen untersuchten Städten angeboten, während es z.B. nur in rd. 8% der
Städte australische Restaurants gibt, in
20% afrikanische Küche und in knapp
30% nordosteuropäische und mitteleuropäische Küche (außer der deutschen).
Die orientalische, die südamerikanische, die südosteuropäische wie auch
die kreolische (d.h. mittelamerikanische und polynesische) Küche sind dagegen in rund 70% der Städte präsent,
die nordamerikanische Küche (ohne
Schnellrestaurants) nur in ca. 55% .
Die meisten italienischen Restaurants außerhalb Italiens gibt es
in Deutschland.
Die ausländische Küche ist aus unserem
Alltag nicht mehr wegzudenken. Kürzlich meldete die Presse, dass sich von
den 25.000 italienischen Restaurants
Europas außerhalb Italiens 22.000 in
Deutschland befinden (WIRTZ 2006, S.
150 ff.). Ausländische Küchen haben in
der Tat einen hohen Stellenwert im
Spektrum des deutschen Restaurantund Imbissangebots. Doch auch Gaststätten mit deutscher Küche – entweder
als „gut bürgerlich“ oder regionsspezi-
Verbreitung von Länderküchen 2004
für ausgewählte Städte
deutsch
mediterran
asiatisch
orientalisch
südamerikanisch
südosteuropäisch
kreolisch
international
nordamerikanisch
mitteleuropäisch*
nordosteuropäisch
afrikanisch
australisch
0
20
* ohne deutsche Küche
© Leibniz-Institut für Länderkunde 2006
94
40
60
80
100
Städte mit entsprechender
Länderküche in Prozent
Deutschland
alte Länder
neue Länder
Verteilungsmuster der Restaurants
pen von Bevölkerung mit Migrationshintergrund haben, übertrifft die Zahl
der ausländischen Restaurants die der
deutschen bei weitem .
Obwohl – auf ganz Deutschland gesehen – ein Einfluss der Nachbarländer
deutlich ist, kann die Annahme, dass
die „Grenzküchen“ vermehrt in den
Grenzregionen zu finden sind, nicht bestätigt werden. Eine Erklärung mag
sein, dass die Menschen, die in einer
Grenzregion leben, es vorziehen, über
die Grenze zu fahren, um die typische
Küche des Nachbarlandes zu kosten, anstatt sich in ein entsprechendes Restaurant in Deutschland zu begeben.
Aus der ungleichmäßigen Verteilung
der ausländischen Restaurants kann auf
geographische, demographische und
ökonomische Einflussfaktoren geschlossen werden. Eine wichtige Rolle spielt
die Stadtgröße. Je größer die Stadt ist,
umso breiter ist das Angebot an fremdländischer Küche. Die größere Nachfrage in Städten mit hoher Einwohnerzahl
sowie die Offenheit und Akzeptanz
durch urbane Lebensstile in Großstädten tragen offensichtlich zur Vielfalt des
Angebots bei. Besonders in den größten
Städten Deutschlands, die große Grup-
„Exotische“ Restaurants und Kaufkraft
am Beispiel äthiopischer, indonesischer
und japanischer Küche
Binz
Ost- und westdeutsche Vorlieben
Insgesamt fallen die Restaurantdichten
(Restaurants pro 10.000 Einwohner) in
den Städten der neuen Länder geringer
aus als in den Städten der alten Länder
. In Ostdeutschland überwiegt der Anteil der deutschen Restaurants, während
besonders in den westdeutschen Metropolen die ausländische Küche dominiert.
Auch in der Verteilung und Häufung der
verschiedenen Küchen bestehen zwischen Ost- und Westdeutschland signifikante Unterschiede. Die Vielfalt der
fremdländischen Küchen ist in Westdeutschland mit 78 verschiedenen ausländischen Küchen größer als in Ostdeutschland (33 Länderküchen).
Beispielsweise wird die afrikanische Küche in 24% der untersuchten westdeutschen, aber nur in 4% der ostdeutschen
Städte angeboten . Eine Ausnahme bildet hier nur die nordosteuropäische Küche, die in 41% der Städte in Ostdeutschland, aber nur in 26% der Städte in Westdeutschland zu finden ist; dazu gehören
die Küchen der skandinavischen Länder,
die polnische und besonders die russische
Küche. Die tschechische Küche ist fast
ausschließlich in ostdeutschen Städten zu
finden. Die Erfahrungen durch Reisen
bzw. durch Besucher aus einer Region
spielen also offenbar eine wichtige Rolle
bei der Akzeptanz einer ausländischen
Küche.
Das Angebot an Restaurants mit
fremdländischer Küche ist in Ostdeutschland im Allgemeinen nicht sehr
ausdifferenziert. In vielen ostdeutschen
Städten fällt auf, dass insbesondere als
exotisch klassifizierte Küchen wie z.B.
die äthiopische, malaysische und karibische (ausgenommen die kubanische)
überhaupt nicht auftreten.
Nationalatlas Bundesrepublik Deutschland – Leben in Deutschland
Rostock
Lübeck
Schwerin
Wilhelmshaven
Stade
Hamburg
Bremen
Oldenburg
Delmenhorst
Hohen
Neuendorf
Isernhagen
Sehnde
Osnabrück
Bielefeld
Münster
Oberhausen
Krefeld
Mönchengladbach
Meerbusch
Düsseldorf
Aachen
Essen
Dortmund
Wolfsburg
Hannover
Bad
Braunschweig
Oeynhausen
Magdeburg
Hildesheim
Berlin
Cottbus
Paderborn
Göttingen
Halle
Iserlohn
Leipzig
Kassel
Remscheid
Dresden
Köln
Erfurt
Chemnitz
Bonn
Suhl
Bad Homburg
Kronberg
Idstein
Wiesbaden
Koblenz
Frankfurt
Offenbach
Neu-Isenburg
Mainz
Kelkheim
Trier
Würzburg
Mannheim
Kaiserslautern
Saarbrücken
Heidelberg
Karlsruhe
Staatsgrenze
Ländergrenze
Kreisgrenze
Bamberg
Erlangen
Fürth
Regensburg
Murrhardt
Ingolstadt
Stuttgart
Kuppenheim
Nürnberg
Filderstadt
Landshut
NeuUlm
Freiburg
Augsburg
Friedberg
München
Passau
Burghausen
Grünwald
Starnberg
Rosenheim
Memmingen
Überlingen
Lindau
Bodensee
Auto rinnen: S. Armbruster, A. Ko ppa, R. Püschel
Als exotische Restaurants wurden all
jene Lokale in ganz Deutschland definiert,
die auf der CD-Rom GelbeSeiten für
Deutschland (Datenstand August 2004)
unter Gaststätten aufgelistet sind und als
äthiopische Küche, indonesische
Küche, japanische Küche oder Sushispezialitäten kategorisiert bzw. anhand
ihres Namens einer dieser Küchen zuzuordnen sind.
„Exotische“ Restaurants 2004
nach Gemeinden
äthiopische Küche
indonesische Küche
japanische Küche*
1 Quadrat = 1 Restaurant
* einschließlich Sushispezialitäten
0
© Leibniz-Institut für Länderkunde 2006
25
50
75 100 km
Maßstab 1 : 6 000 000
Pro-Kopf-Index der
Kaufkraft 2005
(Bundesdurchschnitt
17 422 € = Index 100)
nach Kreisen
120,0
105,0
95,0
80,0
69,4
-
Datengrundlage:
infas GEOdaten
161,7
120,0
105,0
95,0
80,0
Gaststätten und Restaurants 2004
für 97 ausgewählte Städte
Gelsenkirchen
Essen
Kiel
Rostock
Itzehoe
Greifswald
Lübeck
Norderstedt
Bremerhaven
Düsseldorf
Schwerin
Wilhelmshaven
Neubrandenburg
Hamburg
Stade
Elb
e
Oldenburg
Ems
Bremen
Hav
el
Lüneburg
Neuruppin
Delmenhorst
Eberswalde
Braunschweig
ree
er
es
Hildesheim
Rh
Dessau
e
Göttingen
Dortmund
Frankfurt/O.
Cottbus
Elbe
Saal
Bielefeld
Potsdam
Magdeburg
W
Münster
Berlin
Sp
Hannover
er
d
Osnabrück
Stendal
O
Lingen
Havel
Celle
ein
Halle
La u
sit
Köln
Fu
ld
Siegen
Werra
Saa
Koblenz
Bonn
Mo s
Aschaffenburg
Mainz
Main
Bamberg
Bayreuth
Darmstadt
Ludwigshafen
Saarbrücken
Main
Würzburg
Mannheim
Kaiserslautern
Heilbronn
Amberg
Ansbach
Ingolstadt
Schwäbisch
Gmünd
Reutlingen
u
NeuUlm
o na
Rhei
n
VillingenSchwenningen
Friedrichshafen
Autorinnen: S. Armbruster
A. Koppa
R. Püschel
Konstanz
Anzahl der Gaststätten
Garmisch-Partenkirchen
Boden-
see
ausländische Küche
deutsche Küche*
1 000
500
200
100
28
1 mm² ^
= 5 Gaststätten
© Leibniz-Institut für Länderkunde 2006
Rosenheim
Kempten
Art der Küche
2 814
Inn
München
D
Freiburg
Passau
Landshut
Augsburg
Ulm
Neckar
u
a
Stuttgart
n
Do
Pforzheim
Ländergrenze
Regensburg
Nürnberg
Karlsruhe
Staatsgrenze
Gera
Zwickau
Schweinfurt
Trier
le
Suhl
Frankfurt/M.
el
Görlitz
Chemnitz
Erfurt
Fulda
e
Dresden
a
Marburg
Aachen
Leipzig
Nordhausen
Kassel
Sp
re
Arnsberg
e
e iß
zer N
Paderborn
r
cka
Ne
Mit zunehmendem Anteil ausländischer Bevölkerung steigt auch die Zahl
fremdländischer Restaurants in einer
Stadt. Im Einzelnen kann die räumliche Verteilung der Länderküchen
zumindest teilweise auf die Präsenz ausländischer Bevölkerungsgruppen aufgrund von Migrationen zurückgeführt
werden; das betrifft insbesondere jene
Nationalitäten, die als Gastarbeitergeneration der 1960er und 70er Jahre in
Deutschland Fuß fassten. Ein Viertel
aller italienischen Restaurants in
Deutschland befindet sich
beispielsweise im Ruhrgebiet, dem bevorzugten Zuzugsgebiet der Arbeitsmigranten der ersten Generation, die dort
vor allem im Bergbau eingesetzt wurden. Ähnliche Zusammenhänge sind in
Ostdeutschland hinsichtlich der hohen
Zahl asiatischer Restaurants zu beobachten. Asiatische Arbeiter v.a. aus der
Sozialistischen Republik Vietnam, die
Anfang der 1980er Jahre als „Vertragsarbeiter“ in die DDR gekommen waren
(vgl. HÄNEL 1994), blieben teilweise
nach der Wende in den neuen Ländern. Der durchschnittliche Anteil der
asiatischen Restaurants an allen Restaurants beträgt in Ostdeutschland
28,8%, in Westdeutschland dagegen
nur 18,6%.
Auch ökonomische Faktoren spielen
offenbar eine Rolle dabei, welche ausländischen Restaurants sich in einer
Stadt halten. Je höher die Kaufkraft eines Gebietes, desto mehr ausländische
und exotische Restaurants gibt es .
Die japanische, die äthiopische und die
indonesische Küchen finden sich z.B.
vornehmlich in kaufkraftstarken Regionen wie im Großraum München, im
Rhein-Main-Gebiet, in Teilen des
Ruhrgebiets und in Hamburg. Dort konzentriert sich allerdings auch die Bevölkerung der entsprechenden Nationalitäten (쑺쑺 Beitrag Glebe/Thieme, Bd. 4, S.
72), so dass hier der ethnische Einfluss
und der der Kaufkraft nicht einwandfrei
auseinander gehalten werden können.
Die kaufkraftstarken Gebiete decken
sich weitgehend mit jenen wirtschaftlich dynamischen Ballungsräumen, in
denen die Pro-Kopf-Einkommen
besonders hoch sind (쑺쑺 Beitrag Kawka,
Bd. 7, S. 108).
Zusätzlich zur finanziell unterfütterten Nachfrage nach Lebensart kann die
Nachfrage nach internationalen Restaurants jedoch auch als Phänomen urbaner und weltoffener Lebensstile eingeordnet werden, wobei sich einerseits
das Interesse am Fremden als solches
manifestiert, zum anderen aber auch
spezifische Lebensphilosophien zum
Ausdruck kommen, wie z.B. die Vorliebe für fernöstliche Kulturen (쑺쑺 Beitrag
Burdack, S. 100).웇
Flensburg
Bochum
* einschl. der Gaststätten, deren Küchenart nicht eindeutig als ausländisch oder
deutsch zu identifizieren ist
Gaststätten je 10 000 Einwohner
Einwohnerzahl
Bremen
> 20
15 - 20
10 - 15
> 500 000
Leipzig
250 000 - 500 000
Kassel
100 000 - 250 000
Marburg
50 000 - 100 000
< 50 000
Stendal
< 10
Methodische Anmerkung zur Datenerfassung
Für jede der 97 Raumordnungsregionen (BBR 2004, Karte 1) wurde eine repräsentative Stadt ausgewählt
und die auf der CD-Rom GelbeSeiten für Deutschland (Datenstand August 2004) unter der Rubrik Gaststätten (Branchensuche) enthaltenen Einträge erfasst. Diese wurden entweder anhand der vorgegebenen
Einordnung in die Kategorien der Länderküchen oder – wenn das Lokal lediglich in einer allgemeinen
Sammelkategorie genannt war – anhand des Lokalnamens den beiden Klassen ausländische Küche oder
deutsche Küche zugeordnet. Unberücksichtigt blieben offensichtlich als reine Betreibergesellschaften oder
Lieferdienste u.Ä. identifizierbare Einträge.
0
25
50
75
Maßstab 1: 3750000
Fernweh und Lebensart auf der Speisekarte
95
100 km