Unterschiedliche Berechnungsmethoden für das

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Unterschiedliche Berechnungsmethoden für das
Unterschiedliche Berechnungsmethoden
für das Ersttrimester-Screening
P. Schmidt1, A. Scharf2, C. Hörmansdörfer1, M. Elsässer2,
P. Hillemanns1
In immer kürzeren Zeitabständen werden immer mehr neue
Screeningmethoden für die pränatale Suche nach fetalen Chromosomenstörungen angeboten. In jüngster Vergangenheit hat
die Fetal Medicine Foundation Deutschland (FMF-D) die Risikokalkulationssoftware PRC eingeführt. Dazu liegen jedoch keine
klinischen Studien über die Zuverlässigkeit vor, was für den einzelnen Gynäkologen ein erhebliches ethisches und juristisches
Risiko darstellt. Das unabhängige Programm JOY und die davon
abgeleitete Internetseite sollen eine verlässliche und gleichzeitig einfache Alternative zu den bestehenden Methoden bieten.
In den letzten Jahren hat sich das
pränatale Konzept zur Früherkennung
chromosomaler Störungen mehrfach
1
2
Medizinische Hochschule Hannover
Universität Heidelberg
gewandelt: Gab es seit den 80er Jahren zunächst nur den Triple-Test als
einzige nichtinvasive Suchstrategie
außerhalb der Altersindikation (1–3),
kam in den späten 90er Jahren das
kombinierte Ersttrimester-Screening
(ETS) hinzu (4). Dieses von Nicolai-
des und Mitarbeitern etablierte Verfahren setzt auf die Adjustierung des
altersabhängigen Hintergrundrisikos
für Down-Syndrom durch die Messung
der Nacktentransparenz (NT) und/
oder die biochemische Bestimmung
von freiem β-hCG und PAPP-A im
mütterlichen Blut (5). Diese Methode ist an die Risikoberechnung durch
eine Computersoftware gebunden
und von daher nicht allgemein zugänglich. Die Software-Lizenz wird
von der erfolgreichen Teilnahme an
Schulungen abhängig gemacht, die
von der Fetal Medicine Foundation
(FMF)-London angeboten werden. Da
das Computerprogramm jährlich neu
freigeschaltet werden muss, ist man
als Gynäkologe an kostenpflichtige
Rezertifizierungen gebunden (sog.
Audits) (6).
FORTBILDUNG + KONGRESS
SCHWANGERENVORSORGE
Abb. 1: Ausschnitt aus einem Laborbefund eines
renommierten deutschen Labors.
FRAUENARZT n 48 (2007) n Nr. 11
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FORTBILDUNG + KONGRESS
vollzogen hat. Die in FRAUENARZT
5/2007 von Eiben, Thode, Glaubitz
und Merz genannten Testleistungszahlen basieren auf einem (im Vergleich zur Originalsoftware aus England abgeänderten) Cut-off von 1:230
(10). In neueren Untersuchungsbefunden wird aber wieder der international übliche Cut-off von 1:300 verwendet (s. Abb. 1 auf S. 1089).
Abb. 2: Bildschirmansicht des neuen Internetportals www.firsttrimester.net, über das sowohl
eine klassische Risikoberechnung nach Nicolaides als auch das verbesserte Advanced Firsttriβ-hCG
mester Screening als auch eine Umrechnung der biochemischen Parameter PAPP-A und fβ
von IU/l in MoM durchgeführt werden kann.
Seit 2003 wird in Deutschland das alternative Programm JOY vertrieben,
das auf den gleichen Studien aufsetzt, allerdings zeitlich unbegrenzt
einsatzfähig ist (7, 8). In etwa zeitgleich wurde das Mandat der Zertifizierung und Rezertifizierung für
Deutschland von der FMF-London an
eine deutsche Parallelorganisation,
die FMF-Deutschland, abgetreten (9).
Spaltung der FMF
Im Herbst 2006 kam es zur Trennung
der FMF-Deutschland von der FMFLondon. Damit war die FMFDeutschland gezwungen, eine eigene Softwarelösung für die individualisierte Risikokalkulation auf fetale Aneuploidien anzubieten.
Entsprechend wurde von der FMFDeutschland im Januar 2007 ein
weiteres Computerprogramm mit Namen „Prenatal Risk Calculation“
(PRC) vorgestellt (10, 11). Anders
als in der FMF-England-Lösung und
in der JOY-Software wurden hier
erstmals völlig neue Rechenalgorithmen eingesetzt. So wurde ein
Vorgehen nach dem Bayesischen
Theorem gewählt, statt wie bisher
1090
FRAUENARZT n 48 (2007) n Nr. 11
nach dem Konzept der Likelihood
Ratios nach Palomaki und Haddow
(12). Zusätzlich wurde ein komplett
neues Vorgehen in der Bewertung
der biochemischen Parameter auf
der Basis so genannter „Degrees of
Extremeness“ (DoE) eingeführt. Das
alles erfolgte auf der Grundlage völlig neuer statistischer Daten.
Bis heute liegen allerdings keine validen Studien vor, die belegen, dass
die verwendete Methodik 1. überhaupt und 2. besser geeignet ist als
das bisherige Vorgehen. Hinzu
kommt, dass bisher keine einzige
Studie publiziert wurde, die eine Aussage über die Qualität der zugrunde
liegenden Daten zulässt. Insgesamt
wurde also eine Software eingeführt,
von der nicht klar ist, ob die damit
angestellten Risikoberechnungen
überhaupt haltbar sind.
Wahl des Cut-off
Des Weiteren überrascht, dass die
FMF-Deutschland mittlerweile erste,
fundamentale Modifikationen im Umgang mit der Software ohne entsprechende Information der Fachwelt
Hier drängt sich die Frage auf, ob mit
dem PRC-Algorithmus unter Verwendung eines Cut-offs von 1:230 Fälle
mit Trisomie 21 übersehen wurden
und von daher die vollzogene Anpassung im Sinne eines „learning by
doing“ erfolgte. Wie kam es zu dem
plötzlichen Sinneswandel – und warum wurden die registrierten Nutzer
der PRC-Software hierüber nicht informiert? In diesem Sinne muss der
Einsatz der FMF-Deutschland-Software erneut als höchst bedenklich
eingestuft werden und es stellt sich
sofort die weitere Frage nach der Haftung bei übersehenen chromosomalen Störungen. Wie erklärt man pro
foro, dass ein nicht validiertes Programm mit offensichtlich erheblichen
Schwächen eingesetzt wurde, wenn
es zwei international etablierte Programme mit nachgewiesener Zuverlässigkeit gibt?
Neue Kalkulationsmethode
In der Zwischenzeit konnte überdies
belegt werden, dass das neue Verfahren auf der Basis der DoE keinen nennenswerten Vorteil gegenüber der von
Nicolaides eingeführten Methode der
„Multiple of Median“ (MoM) hat, in
der neuen PRC-Software aber erheblicher Nachbesserungsbedarf besteht,
was den Einfluss des Körpergewichtes
oder der Ethnizität anbelangt (eine
entsprechende Publikation ist zur Veröffentlichung eingereicht).
Die beschriebene Entwicklung wurde
ganz offenbar nicht durch primär medizinische Beweggründe ausgelöst.
Dies betrifft im Übrigen auch Labore,
die sich teuer rezertifizieren müssen,
wenn sie aus den Blutwerten die für
Advanced Firsttrimester Screening
Testleistung
FMF-London kombiniertes ETS
*
*
*
PRC (FMF-Deutschland)
ETS-NT
*
ETS-Biochemie
*
FMF-London
Triple-Test
www.firsttrimester.net
JOY
Qualitätssicherung
Altersindikation
1970
1980
1990
2000
Es ist unbestritten, dass eine Qualitätssicherung der durchgeführten
Messungen sinnvoll und notwendig
ist. So konnte in verschiedenen Arbeiten gezeigt werden, dass Sensitivität und Spezifität des ErstrimesterScreenings schon bei einer NT-Messungenauigkeit von nur 1/10 mm negativ beeinflusst werden (14, 15). Es
stellt sich also nicht die Frage ob,
sondern wie eine solche Überprüfung
stattfindet. Von der FMF (sowohl London als auch Deutschland) geforderte Audits haben sich in der Vergangenheit als sehr willkürlich und subjektiv erwiesen. So ist es mehrfach
2007
Abb. 3: Übersicht über die zeitliche Entwicklung heute gängiger Screeningmethoden. Die Methoden sind nach Testleistung (kombinierte Bewertung von Sensitivität und Spezifität) sortiert.
Die über www.firsttrimester.net durchführbaren Rechenmethoden sind mit einem Stern (*) gekennzeichnet.
das Ersttrimester-Screening benötigten MoMs berechnen möchten. Das
Ganze wird als „Qualitätssicherung“
gutgeheißen, was allerdings insofern
nur vorgeschoben sein kann, da Labore per Gesetz an einer externen
Qualitätssicherung teilnehmen müssen und die Testverfahren ohnedies
regelmäßig überprüft werden müssen.
Plattform bereit, über die sowohl
das klassische Ersttrimester-Screening
nach Nicolaides als auch das Advanced Firsttrimester Screening als
auch die Umrechnung von Units pro
Liter (U/l) in MoM für Papp-A und fβhCG ermöglicht wird (s. Abb. 2). Zum
Vorteil für alle Anwender ist dieser
Service zeitlich unbegrenzt. Audits
Eine Plattform für alle
Um die Situation für den niedergelassenen Frauenarzt oder den am Zentrum tätigen Pränataldiagnostiker
wieder übersichtlicher und einfacher
zugänglich zu gestalten, wurde die
Internetseite www.firsttrimester.net
eingerichtet (s. Abb. 2 auf S. 1090).
Basierend auf der JOY-Software kann
das komplette Ersttrimester-Screening dort ohne kostenpflichtige Rezertifizierung durchgeführt werden.
Eine einzelne Berechnung ist dabei
mit 1,– Euro vergleichsweise günstig.
Auch Labore können diesen Onlineservice nutzen, um aus den absoluten biochemischen Messwerten die
benötigten MoMs zu berechnen. Als
weitere Option wird auch das momentan zuverlässigste Screeningverfahren, das „Advanced Firsttrimester
Screening“ (AFS), angeboten (13).
Mit der Einführung der neuen Internetseite steht jetzt eine einheitliche
FORTBILDUNG + KONGRESS
sind nicht mehr kostenpflichtig vorgeschrieben, können aber auf freiwilliger Basis gebührenfrei durchgeführt
werden. Hierfür wird die Option eines
externen Audits angeboten, wie auch
die (ebenfalls gebührenfreie) Begutachtung elektronisch eingereichter Ultraschallbilder oder der Vergleich der
eigenen Messwertverteilung mit allen
anderen Kolleginnen und Kollegen.
Zeitliche Entwicklung der Methoden
Möglichkeit zum Vergleich mit Kollegen
4
NT (mm)
unbekannt
unauffällig
auffällig
andere Untersucher
3
2
1
SSL (mm)
0
45
55
65
75
Ihre Messungen
11
Fallzahl (n)
Mittlere NT-Abweichung
0,29 mm
Mediane NT-Abweichung
0,56 mm
Standardabweichung der NT-Streuung 0,31 mm
85
Alle Untersucher
105
-0,10 mm
-0,23 mm
0,73 mm
Abb. 4: Exemplarische Darstellung eines freiwilligen Qualitätsmanagements des Internetportals www.firsttrimester.net. Die eigenen Messungen werden den Untersuchungen der anderen
Kollegen gegenübergestellt und sowohl graphisch als auch statistisch ausgewertet. Ultraschallbilder können an ein Expertengremium zur externen Begutachtung elektronisch übermittelt werden. Ein solches Audit ist für den Anwender kostenlos.
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vorgekommen, dass Bilder als inadäquat begutachtet wurden und bei einer erneuten Einsendung ohne Beanstandung das Audit passierten. Auch
der umgekehrte Fall wurde berichtet,
dass Bilder zunächst akzeptiert wurden, wegen anderer Mängel aber erneut eingesandt werden mussten und
dann im zweiten Durchgang kritisiert
wurden. Hier wird das Zertifizierungsverfahren unglaubwürdig und es
bekommt den Anschein, dass es eigentlich gar nicht mehr um die Qualität der Untersuchung geht.
Überprüfung in den
unabhängigen Programmen
Bei den unabhängigen Programmen
JOY und dem Internetportal wird ein
Qualitätsmanagement auf freiwilliger
Basis angeboten. Zusammen mit einer
statistischen Auswertung über Streubreite, Mittelwert und Median hat so
jeder Pränataldiagnostiker die Möglichkeit, sich auf freiwilliger Basis
selbst zu kontrollieren (s. Abb. 4).
Durch die Nutzung des Internets werden die Messwerte aller Untersucher
in einer gemeinsamen Datenbank zusammengeführt, ein Vergleich der eigenen und der fremden Messwertverteilung wird jetzt erstmals fortlaufend
möglich. Besonders interessant ist dabei der Vergleich mit anderen Kollegen im gleichen Zeitraum. Allgemeine Einflüsse durch eine Veränderung
des Patientenkollektivs oder in der
Entwicklung der Ultraschallgerätetechnik werden damit erkennbar.
mester of pregnancy. Br Med J 304 (1992)
867–889.
5. Nicolaides KH, Sebire N, Snijders RJM:
Die Ultraschalluntersuchung der 11.–14.
Schwangerschaftswoche. Pathenon Publishing, Birmingham, 1999.
6. Herman A, Maymon R, Dreazen E et al.:
Nuchal translucency audit: a novel imagescoring method. Ultrasound Obstet Gynecol 12 (1998) 398–403.
7. Scharf A, Sohn C: Ein neues Konzept der
Risikokalkulation beim ErsttrimesterNackentransparenz-Test. Frauenarzt 44
(2003) 289–291.
8. Schmidt P, Staboulidou I, Soergel P, Wüstemann M, Hillemanns P, Scharf A: Comparison of Nicolaides’ risk evaluation for
Down’s syndrome with a novel software:
An analysis of 1463 cases. Arch Gynecol
Obstet 275 (2007) 469–474.
9. Merz E: 11-14SSW Screening – Zertifizierte Ultraschalluntersuchung und zertifizierter biochemischer Test in der Frühgravidität. Ultraschall in Med 23 (2002)
161–162.
10. Eiben B, Thode C, Glaubitz R et al.: Das
neue Ersttrimesterscreening-Programm PRC
der FMF-Deutschland – Erste Erfahrungen
zur Trisomie-21-Entdeckungsrate. Frauenarzt 48 (2007) 468–470.
11. Merz E: First trimester screening – a new
algorithm for risk calculation of chromosomal anomalies developed by FMF Germany.
Ultraschall in Med 28 (2007) 270–272.
12. Palomaki GE, Haddow JE: Maternal serum
alpha-fetoprotein, age, and Down syndrome risk. Am J Obstet Gynecol 156 (1987)
460–463.
13. Schmidt P, Rom J, Maul H, Vaske B, Hillemanns P, Scharf A: Advanced First Trimester Screening (AFS) – an improved test
strategy for the individual risk assessment
of fetal aneuploidies and malformations.
Arch Gynecol Obstet 276 (2007) 159–166.
14. Gyselaers WJ, Vereecken AJ, Van Herck EJ
et al.: Audit on nuchal translucency thickness measurements in Flanders, Belgium: a
plea for methodological standadization.
Ultrasound Obstet Gynecol 24 (2004) 511–
515.
15. Schmidt P, Staboulidou I, Elsässer M, Vaske B, Hillemanns P, Scharf A: How imprecise may the measurement of fetal nuchal
translucency be without worsening the
firsttrimester screening? Accepted for publication.
Literatur
1. Wald NJ, Cuckle HS, Densem JW et al:
Maternal serum screening for Down’s syndrome in early pregnancy. BMJ 297
(1988) 883–887.
2. Cheng EY, Luthy DA, Zebelman AM et al.:
A prospective evaluation of a second-trimester screening test for fetal Down syndrome using maternal serum alpha-fetoprotein, hCG, and unconjugated estriol.
Obstet Gynecol 81 (1993) 72–77.
3. Goodburn SF, Yates JR, Raggatt PR et al.:
Second-trimester maternal serum screening using alpha-fetoprotein, human chorionic gonadotrophin, and unconjugated
oestriol: experience of a regional programme. Prenat Diagn 14 (1994) 391–402.
4. Nicolaides KH, Azar G, Byrne D et al.: Fetal nuchal translucency: ultrasound screening for chromosomal defects in first tri-
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Für die Autoren
Dr. med. Peter Schmidt
Werner-Schrader-Straße 61
38302 Wolfenbüttel
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