RIIMFAXE „ERINDRING“ (ERINNERUNG) Kunstpavillon München e.V.

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RIIMFAXE „ERINDRING“ (ERINNERUNG) Kunstpavillon München e.V.
Pressemappe
für die Ausstellung der dänischen Künstlergruppe
RIIMFAXE
„ERINDRING“
(ERINNERUNG)
16.April bis 8.Mai 2011
Eröffnung
am Freitag, den 15.April 2011, 19 Uhr
Einführung :
Dr. Matthias Oppermann
Mitglied von Riimfaxe
im
Kunstpavillon München e.V.
Alter Botanischer Garten am Stachus
Sophienstr. 7a 80333 München
Tel.: 089/59 73 59
www.kunstpavillon.org
Öffnungszeiten: Di - Sa 13-19 Uhr So 11-17 Uhr
Parallel zu dieser Ausstellung sind weitere Arbeiten der
Künstlergruppe in einer zeitgleichen Ausstellung in der
whiteBOX (Eröffnung am 14.4.2011) zu sehen.
Kunstpavillon
im Alten Botanischen Garten München
Sophienstraße 7a
80333 München
089-59 73 59
www.kunstpavillon.org
Presseinformation
Mitglieder der dänisch-deutschen
Künstlergruppe Riimfaxe
Erindring
Vernissage: 15.04.2011, 19.00 Uhr
Ausstellungsdauer: 16.04.- 8.05.2009
Öffnungszeiten: Di. – Sa. 13 – 19 Uhr
So. 11 – 17 Uhr
Im April 2011 zeigen der Kunstpavillon und die White Box ein Gemeinschaftsprojekt, das die
dänisch-deutsche Künstlergruppe Riimfaxe, die seit 1969 besteht, vorstellt. Angeregt haben
das Projekt Professor Dorothea Reese-Heim und Rolf-Maria Krückels. Kurator ist Matthias
Oppermann.
Das Wort Erinnerung, auf Dänisch Erindring, ist in viele Richtungen zu deuten. Ob auf private oder öffentliche Vorgänge bezogen, meint es ziemlich verschiedene Vorgänge. Für die
Ausstellung wurde zumeist die Beobachtung der persönlichen Erinnerung und der hier auftretenden Schwierigkeiten umgesetzt. Weder kann der Mensch sich an alles erinnern, noch sich
von ungeliebten Ereignissen ganz lösen. Sich zu erinnern kann moralisches Erfordernis sein,
wie auch das Vergessen dialektisch dazu gehört. Auch die Gehirnforschung hat sich des
Themas angenommen. Ole Akhøj, Anne Bjørn, Malone Dietrich, Bärbel Hische, Steen Kjær
Jacobsen, Jens Chr. Jensen, Monika Linnert, Jørgen Minor, Maiken Monnerup, Karin Ohlsen,
Matthias Oppermann, Birgitte Ramskov, Dorothea Reese-Heim und Marian Smit stellen im
Kunstpavillon Arbeiten zu den verschiedenen Aspekten der Erinnerung aus.
Unter dem Titel „da jeg war barn, var der vintre“ („... als ich Kind war, gab es noch richtigen
Winter“) zeigt der Fotograf Ole Akhøj eine seiner Landschaften in Schwarz-Weiß. Darauf ist
im Vordergrund ein voll belaubter Busch zu sehen. Erinnerung ist ebenso ein Filter wie die
Schwarz-Weiß-Fotografie, die Farbenpracht des Sommers verweigert. Die an die Enkel gerichteten Erzählungen der Großeltern sind nicht im strengen Sinne dokumentarisch.
Dass Erinnerung bruchstückhaft ist, wird bei den Arbeiten in Mischtechnik der Künstlerin
Anne Bjørn anschaulich. Das Muster eines Kinderkleides wird zur Grundidee eines abstrakten Bildes, was wiederum ein Beispiel für die Kreativität von Erinnerungsmustern bildet.
Quadratische Ausschnitte aus Urlaubsfotos sind das Ausgangsmaterial für die Installation von
Malone Dietrich. Aneinander gereiht hängen sie als 7 Meter lange Ketten von der Decke.
Von weitem betrachtet, vermitteln die nach Farben geordneten Schnitzel einen vornehmlich
ästhetischen Eindruck. Bei näherem Hinsehen haben die gegenständlichen Details je nach
Wiedererkennungswert und Assoziationsangebot unterschiedliche Inhalte. Weder Nähe noch
Abstand erzeugen eine korrekte Gesamtheit der dokumentarischen Einzelheiten.
Seit 10 Jahren beschäftigt sich Bärbel Hische in ihrer künstlerischen Arbeit mit Wasser.
„Watersources“ nennt sie ihre dreiteilige, die Pathosformel Triptychon zitierende VideoInstallation. Dabei stellt sie auf verschiedenen Monitoren die Idylle der Quelle, den Was-
serhahn der Zivilisation und die zur Gefahr gewordene Kloake aus dem Abflussrohr einander
gegenüber. Letztere muss im Wasserkreislauf notwendigerweise wieder zur Ressource werden. Das sogenannte Materialgedächtnis, menschliche Erinnerung und Handlungsverantwortung vermischen sich mit Prozesshaften.
Taschen und Codes ist gemeinsam, dass sie etwas verbergen. Doch sie bewahren ihren Inhalt
gleichzeitig, um ihn wieder zur Verfügung zu stellen. Hierin gibt es Parallelen zur Erinnerung. Steen Kjær Jacobsen hat auf seinen Bildern aus der Serie „Number codes“ eine leere
oder aufgetrennte Stofftasche über Würfelpunkte oder Zahlenreihen gesetzt. Fassbare Mitteilung, ästhetischer Ausdruck und Täuschung greifen ineinander.
Materialien, die nicht mehr gebraucht werden, verarbeitet Jens Chr. Jensen, der auch Land
Art gestaltet, zu Skulpturen. Rechteckige Platten aus Schiefer und Metall werden aneinandergereiht durch ihre unterschiedliche Größe zur Form. Entstehungsgeschichtliche und durch
Bearbeitung hervorgerufene Spuren verweisen auf Erinnerung und Vergessen. Rekonstruierbares und nicht mehr bewusst zu machende Geschehnisse sind in der zeitlosen Gestaltung
aufgehoben.
„Erinnerungsgewebe“ nennt Monika Linnert ihr Gemälde, das sie mit Ölkreide auf Nepalpapier geschaffen hat. Kleinteilige, schwarze Elemente bilden lockere und dichte Bereiche auf
ungleichmäßig gelben Untergrund. Wie bei der Erinnerung finden Details, die sich des Öfteren wiederholen, ihren Ort, um unverwechselbare Zusammenhänge zu bilden.
„Memories of tomorrow“ (Erinnerungen von Morgen), wie Maiken Monnerup ihre Installation nennt, sind Teil dessen, was heute geschieht. Das Gegenwärtige ist bereits im nächsten
Augenblick Vergangenheit. Weit in der Ferne scheint allerdings die Zukunft zu liegen, von
der aus die Künstlerin auf das Heute blickt. Von wo aus Sonne und Erde nur mehr Teile desselben planetaren Systems sind, hat die Erinnerung an emotionale Erlebnisse keine Bedeutung
mehr.
An den Krieg, den sie als Kind erlebte, erinnert sich Karin Ohlsen in ihrer dreiteiligen Arbeit
„Kriegskinderwünsche“. Wegen des Krieges musste sie nicht nur auf eine unbeschwerte
Kindheit verzichten. Sie verlor durch eine Bombardierung, die eine geplante Schlittenfahrt
unterbrach, alle ihre Freundinnen. Die Erinnerung an ein dieses Ereignis überschattete ihr
ganzes Leben.
Den Betrachter bezieht Matthias Oppermann in seiner Installation „Verlorene Bilder“ mit
ein. Auf einer in 7 x 7 Felder unterteilten Fläche schaut in jeder Reihe derselbe Mann mit
Mütze auf eines der leeren Felder, die sich zwischen den 21 Gesichtern befinden. Die zu
Leerstellen gehörigen Darstellungen liegen sich auf dem Boden, von wo sie aufgehoben und
betrachtet werden können. Um sich an Vergessenes zu erinnern, muss eine bewusste Anstrengung unternommen werden, die der Mann mit Mütze anscheinend gerade durchführt.
Trotz der Zartheit seiner Ausführung ist das Aquarell mit zusätzlicher Mischtechnik von
Birgitte Ramskov von den Ausmaßen von 500 x 150 cm her ein Schwergewicht. „Love
Letter“ ist durch den Titel an einen Adressaten (eine Adressatin) gerichtet, was gleichzeitig
emotionale Erinnerungen während des Entstehens suggeriert. Farbe und Struktur können so
inhaltlich gelesen werden.
Bei Dorothea Reese-Heim geht es um kollektive Erinnerung, die mit bekannten veröffentlichten Bildern verbunden ist. „Archiv Raum Gedächtnisraum“ zeigt in 17 Stahlrahmen aus
den Medien bekannte Fotografien zu Scherenschnitten stilisiert. Die Künstlerin hat solche
Bildbeispiele, mit denen Gewalt assoziiert wird, ausgewählt. Die Vereinfachung des Papierschnitts entspricht der Abstraktion, die ein Bild durchläuft, wenn es zum Begriff wird.
Gefördert durch das Kulturreferat der Landeshauptstadt München
Pressearbeit : Dr. Annemarie Zeiller, Isabellastr. 33, 80796 München, 089-271 07 21
Die Künstlergruppe RIIMFAXE wurde 1969 gegründet, als sich
einige fünische Künstler zu einer Ausstellungsgemeinschaft
zusammenschlossen. Sie gaben sich den Namen RIIMFAXE eine sprachliche Variante zu Rhimfakse, dem mythischen Pferd
der Nacht, aus dessen Maul der Morgentau tropft. Mitte der
siebziger Jahre wurden Kontakte zu Dortmunder Künstlern
geknüpft und die Gruppe international geöffnet. Nachdem der
Schwerpunkt zunächst auf der Ausstellungsgemeinschaft lag, fand
in den letzten Jahren zunehmend eine inhaltliche
Auseinandersetzung und Diskussion der einzelnen künstlerischen
Positionen statt. Zur Zeit besteht RIIMFAXE aus neun dänischen,
fünf deutschen Künstlerinnen und Künstlern und einer
niederländischen Künstlerin.
Neben regelmäßigen Ausstellungen im Filosofgangen in Odense
und in den letzten Jahren im Kunstpakhuset in Ikast hatte die
Gruppe u.a. größere Ausstellungen im Kunstmuseum Dortmund
1984, Haderslev Museum 1988, Pictura Groningen 1990, Fyens
Kunstmuseum Odense 1990, Den Frie København 1992,
Kunstbygningen Odense 1998, 2000, Galerie M Berlin 2001,
Galerie GEDOK Hamburg 2001, SAK Svendborg 2003, 2004,
2006, Rundetårn København 2004, Skovhuset Værløse
København 2005, Schloss Reinbek bei Hamburg (2006),
Banegaarden Aabenraa (2006, 2010).
Die Vitae der einzelnen Künstlerinnen und Künstler sind auf der
Web-side von Riimfaxe oder auf den jeweiligen persönlichen
Webseiten zu finden.
www.riimfaxe.com
Ole Akhøj (DK)
www.oleakhoej.dk
Anne Bjørn (DK)
www.annebjorn.dk
Malone Dietrich (DK)
www.malone.dietrich.nu
Bärbel Hische (D)
www.baerbel-hische.de
Steen Kjær Jacobsen (DK)
www.steenjacobsen.dk
Jens Chr. Jensen (DK)
www.jenschrjensen.dk
Monika Linnert (D)
www.monika-linnert.de
Jørgen Minor (DK)
www.netgalleri.dk
Maiken Monnerup (DK)
www.maiken-monnerup.dk
Karin Ohlsen (D)
Matthias Oppermann (D)
www.karinohlsen.de
www.galerie-ruth-sachse.de
Paul-René Péronard (DK)
Birgitte Ramskov (DK)
www.birgitteramskov.dk
Dorothea Reese-Heim (D)
www.reeseheim.com
Marian S mit (NL)
www.mariansmit.info
Einige der Künstlerinnen und Künstler der Gruppe haben sich in
der Vergangenheit wiederholt mit dem Thema Erinnerung
beschäftigt. Für andere ist diese Ausstellung ein Anlass
gewesen, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Der
Begriff umfaßt nicht nur die konkrete, z.B. historische Erinnerung,
das fertige Erinnerungsbild, sondern auch den Prozess des
Erinnerns. So geht es in den Arbeiten sowohl um die
künstlerische Auslotung und Untersuchung des
Erinnerungsaktes an sich, wie auch darum, die Erinnerung
konkreter Erlebnisse in eine symbolische Form zu bringen. Wie
wir aus der Gedächtnisforschung wissen, ist Erinnerung nicht
das Ergebnis eines abgeschlossenen Prozesses, sondern formt
sich immer wieder neu, abhängig von der Zeit, dem Lebensalter,
der kulturellen Umgebung, und neuer Erlebnisse, die Altes
bestätigen oder in Frage stellen. Erinnerung ist also ein Prozess
des Umschreibens und Neucodierens, im Grunde selbst ein
bildnerischer Prozess.
Man kann den Versuch machen, sich diesen Prozess mit
mehreren Achsen vorzustellen. Einmal ist eine Bewegung vom
konkreten Bild (dies schließt neben dem Visuellen auch andere
Wahrnehmungsmodalitäten mit ein) hin zum Unscharfen,
Abstrakten, zur Form denkbar:
Bilder aus der Kindheit
Urlaubsfotos
Bilder aus Presse,
Fernsehen
u.a.
>
Farben- und Linienspiel
Gespinst
Muster
Codes
Plastik, Skulptur
Archiv als Behälter, Körper
Symbol
Diese Achsen (Konkretes Bild, Form) sind in der folgenden Grafik
als Senkrechte dargestellt.
Zum anderen hat Erinnerung eine Beziehung zur Illusion, zur Zeit
(sie ist immer auf die Vergangenheit gerichtet), zum Anlass (der
teleologische Charakter von Erinnerung im Sinne von Funktion,
die sie zu erfüllen hat), sowie zum Vergessen, als der Motor der
Erinnerung. Denn ohne Vergessen, bräuchten wir uns nicht
erinnern. Diese Achsen sind als Waagerechte dargestellt. Die
folgende Grafik gibt die Konzeption der Ausstellung wieder:
Mehrere Künstlerinnen und Künstler der Ausstellung untersuchen
den plastischen Prozess des sich Erinnerns. Wie gelingt es, die
unzähligen Eindrücke zu speichern, läßt sich dafür eine
ästhetische Form oder ein Zeichensystem finden.
Die Künstlerin Anne Bjørn führt dies in einem bildnerischen
Experiment aus. Aus eigenen, biografisch bedeutsamen Fotos
extrahiert sie Muster, die sie im Folgenden weiter abstrahiert. Sie
nennt sie „fragments of memory“.
„Kjole“ (Kleid) mixed media
Indem sie dann diese Muster weiter kombiniert, ergeben sich neue
Muster und so fort. Sie entwirft damit im Grunde eine Theorie von
visueller Erinnerung, die sie uns in der Ausstellung mit mehreren
kleinen Arbeiten aus dieser Serie anschaulich macht. So bestehen
unsere visuellen Erinnerungen aus einem komplexen Muster, dass
dann bezogen auf den bildnerischen Prozess eine neue
ästhetische Qualität bekommt.
Begriffe wie Abstraktion,Vernetzung oder Verflechtung
beschreiben die Ergebnisse dieses Prozesses.
Die Künstlerin Malone Dietrich gewinnt ihre „Erinnerungsfragmente“ auf eine andere Art. Sie hat Urlaubsfotos gesammelt
und sie zu einer Skulptur vernäht. Die unzähligen schönen
Eindrücke aus Urlauben, sozusagen die Hintergrundbilder dessen,
was wir in unserer Kultur Erholung nennen, wird zu einem
komplexen Körper zusammengenäht.
Man fühlt sich vielleicht zunächst von der Zahl der Bilder
erschlagen. Damit weist sie auf einen wichtigen Aspekt von
Erinnerung hin. Wir brauchen einen Filter, um nicht überflutet zu
werden. Unendliche viele schöne Bilder sind einmal überflutend,
zum anderen langweilig. Die Betrachterin und der Betrachter
dieser Skulptur, die 7 Meter von der Decke hängen wird (geplante
Größe 75x75x700 cm) kann mit der Skulptur selbst in ein Spiel
kommen.
Beim Nah-heran-treten ist es möglich, einzelne Fotos genau zu
betrachten, beim Zurücktreten gerät das Einzelbild in den
Hintergund und die Vielzahl der Urlaubseindrücke bekommt eine
neue Form, die von der Künstlerin gewählte Form eines
hängenden quadratischen Körpers. Die Betrachterin und der
Betrachter imitiert mit dieser Bewegung im Grunde einen wichtigen
inneren Prozess. Durch Nähe und Distanz zu unseren Bildern
können wir etwas regulieren, wobei sich die Form ändern kann.
Indem Malone Dietrich die Fotos nach dominierenden Farben
geordnet hat und innnerhalb der Skulptur zusammenfasst, bringt
sie noch eine andere Ebene der Abstraktion mit hinein. Es
entstehen in der Arbeit farbige Streifen, die auf eine gemeinsame
Farbtönung der Fotos beruhen, und übertragen auf das Thema auf
eine unterschiedliche emotionale Tönung der Erinnerungsfragmente hinweisen könnten.
Vernähungen und Transformation in einen Körper beschreiben
diesen plastischen Prozess.
Zu einer anderen Aufbewahrungsform von Erinnerung kommt
die Künstlerin Dorothea Reese-Heim.
Archiv Raum Gedächtnisraum 2008 17 Stahlrahmen je 25 x 34 x 26 cm
Papier, Folie genäht
Auch hier sind die Bilder vernäht, bekommen aber die Form eines
Archivs. Wie Hängeregister, eine bürokratische Metapher, hängen
die Bilder in den Stahlgestellen.
Dorothea Reese-Heim hat für ihre Arbeit Bilder gesammelt, die
Gewalt, Kampf und Hinrichtung zum Thema haben, „Bilder die
Geschichte geschrieben haben“, wie sie sagt, und die durch
häufige Veröffentlichung in den Medien Bestandteil des kollektiven
Bildarchivs geworden sind.
Diese Bilder haben dadurch schon einen Abstraktionsprozess
durchlaufen und stehen beispielhaft für Gewalt. Die Personen in
den Bildern wurden nun von der Künstlerin wie ein Schatten ihrer
selbst in transparentes Papier geschnitten. Die Übertragung auf
weißes Papier friert die Bewegung der Personen ein und läßt sie
unwirklich erscheinen.
Es ist, als ob der Schatten von Gewalt auf das weiße Papier fällt.
Mit diesem Schattenspiel führt sie eine Metapher ein, die im
Zusammenhang mit Erinnerung benutzt wird: dass z.B. der
Schatten eines Ereignisses auf einen fällt, die Metapher „Schatten
der Vergangenheit“ oder „Schatten des Objektes“, wie es in der
Psychoanalyse heißt. Die mit den Figuren verbundenen
Geschichten, die Umgebung, in der sie eingebettet waren,
verschwinden und werden weggeschnitten.
Die Figuren bekommen damit exemplarischen Charakter und sind
zu Symbolen destilliert. Sie bleiben als visuelle Niederschläge von
Ereignissen zurück und finden Eingang ins kollektive Gedächtnis.
Dorothea Reese-Heim verläßt durch ihr Sujet den privaten Raum
und betritt den politischen.
Hier haben Erinnerungen auch einen Zweck, den Zweck der
Mahnung. Sie führt uns vor Augen, dass diese Bilder auch in uns
sind. Wie wir sie verwenden steht in unserer Verantwortung.
Ebenfalls einen politschen Ansatz im Sinne einer Mahnung
zeigen die Videoarbeiten von Bärbel Hische.
In der Video-Installation „watersources“ fließt auf drei Monitoren
Wasser, einmal als Quelle oder Wasserfall, dann als Trinkwasser
aus der Hauswasserleitung und schließlich als verunreinigtes
Wasser aus einem Industrieabwasserrohr. Die Form, die Bärbel
Hische in ihrer Arbeit findet, ist das Triptychon. Das zentrale Bild
scheint hier nicht herausgehoben, sondern ein Teil eines auch
zeitlich lesbaren Prozesses als Weg des Wassers: von der
Quelle - zum Wasserhahn - zum Abwasserrohr. Wer kennt nicht
schon von Kindheit an, die Geschichten vom Wasserkreislauf.
Hier ist der Wasserkreislauf gestört. Die Verdunstung des giftig
roten Wassers, das dann wieder die Quellen speisen müsste,
scheint undenkbar. Bärbel Hische, die sich in vielen Arbeiten mit
der Idylle und ihren Brüchen beschäftigt hat, weist hier auf einen
drohenden Bruch in einem lebensnotwendigen Kreislauf hin. Ob
Wasser selbst ein Erinnerungsvermögen hat, wird in der
Hömöopathie diskutiert. Dies würde einen neuen Aspekt in das
Ausstellungsthema bringen: das Gedächtnis des Materials.
Der Anblick des fließenden Wassers wirft im Kontext des
Austellungsthemas noch zwei weitere Fragen auf. Sind unsere
visuellen Erinnerungen Bilder oder Filme? Zum anderen wird
durch das nicht endende Fließen auf den BiIdschirmen ein
weiterer Assoziationskontext berührt: das „Panta rhei“ (alles fließt),
das dem griechischen Philosophen Heraklit zugeschrieben wird.
Dass man nicht zweimal in den selben Fluß steigen kann, wie er
zitiert wird, wurde in der Philosphie zur Metapher der
Prozessualität der Welt. In dem Kontext der Ausstellung könnte es
den Fluss der Erinnerungen symbolisieren, die in einem Prozess
immer wieder neu überschrieben werden. Die Arbeit von Bärbel
Hische ist somit auch eine Gleichnis für die Prozessualität von
Erinnerung.
Eine Reihe von austellenden Künstlerinnen und Künstlern geht
nicht von konkreten Bildern aus, sondern versucht ein bildliche
abstrakte Form für Erinnerung zu finden.
Jede unserer Erinnerungen ist mit vielen Querverbindungen und
Assoziationen, die vermutlich unendlich sind, verbunden. Monika
Linnert nennt ihre gezeigten Arbeiten Erinnerungsgewebe. Zu
sehen sind graphische Strukturen, wie gesponnen, wie Gespinst.
Bekannt ist der Begriff „Hirngespinst“. Neben dem Gespinst, sind
Fragmente und Splitter zu sehen.Wie sie in einem Gespräch
sagte, sind auch in den Zwischenräumen Erinnerungen, dort wo
nichts zu sein scheint. Um diese Zwischenräume ranken sich dann
neue Erinnerungen. Erinnerung wird hier abstrahiert in
Liniengespinste, Fragmente, Splitter und scheinbare Leerstellen.
„Erinnerungsgewebe“
Ölkreide auf Nepalpapier 140 x 100 cm
Obwohl die Arbeiten der Künstlerin Birgitte Ramskov in ihrem
Abstraktionsgrad ähnlich sind, gibt es einen Unterschied im
Gestus der Malerei.
„Love Letter“ (pink) Aquarell, mixed media auf Papier
Die Arbeit scheint assoziativ mit einem emotionalen Gestus auf
das Papier gebracht. Die abgebildete Studie ist eine Skizze für
eine große Arbeit (500 x 150 cm), die in der Ausstellung zu sehen
sein wird. Schon der Titel der Arbeit gemahnt an etwas
Emotionales.
Hier geht es nicht nur um Strukturen, auch wenn sie in der Arbeit
wichtig sind, weil sie die Farbe halten, sondern um das, was
zwischen den Zeilen steht: die Sehnsucht einer/eines Liebenden.
So ist jede visuelle Erinnerung auch mit einem emotionalen Gehalt
verknüpft. Man kann diese Arbeit im Kontext der Ausstellung als
eine emotionale Erinnerungslandkarte verstehen.
Eine andere Modalität greift der Künstler Steen Kjær Jacobsen
auf. In seinen Bildern mit dem Titel „Number codes“ weist er im
Ausstellungskontext auf zwei Aspekte hin.
Nummerncodes sind überall präsent. Sie kennzeichnen Waren als
Strichcode, Soldaten mit einer Kennziffer, eröffnen den Zugang zu
einem Bankkonto als Pin-Nummer oder öffnen Tresore. Die
Möglichkeit der Codierungen geht gegen unendlich, gleichzeitig ist
jeder Code eimalig. Digitale Bilder beruhen im Grunde auch auf
einem Nummerncode Der Künstler greift zum einen den Begriff
der Codierung auf.
In der Gedächtnisforschung wird von Encodierung gesprochen.
Dies beschreibt, wie ein Erlebnis gespeichert wird. Erinnerungen
sind codierte Erlebnisse, die im Verlaufe eines Lebens immer
wieder neu codiert werden. Zum anderen ist mit dem Begriff Code
auch das Geheimnis verbunden. Etwas ist chiffriert und muss
dechiffriert werden, damit man es verstehen kann. Auf diesen
Bildern sind Codes und Taschen zu sehen. Sie verbergen ein
Geheimnis, das decodiert werden müßte.
Etwas bleibt im Verborgenen, ist unentschlüsselbar. Dies wird
bildnerisch durch die schwarze Fläche zusätzlich betont, die sich
dem Betrachter in den Weg stellt. Wenn wir von Erinnerungen
sprechen, dann geht es auch um das Preisgeben und Verbergen.
Dies wird hier symbolisiert. Enthalten die Bilder der Künstlerin
Birgitte Ramskov die Aufforderung, zwischen den Zeilen zu lesen,
bleibt hier der Betrachter, wie vor einem Tresor draußen.
„Number Codes“ mixed Media, Collage auf Leinen 180 x 82 cm
Die Künstlerin Karin Ohlsen hat die Ausstellung zum Anlass
genommen, traumatische Kriegserinnerungen, die in ihr immer
wieder nach einer künstlerischen Form gesucht haben, erstmals
eine symbolische Form zu geben. Ihre Installation besteht aus drei
Teilen. Davon seien hier zwei beschrieben. In der Arbeit
„Kriegskinderwünsche“, erinnert sie sich, wonach sie sich als Kind
im Krieg sehnte.
Zu einem zweiten Teil der Installation hat die Künstlerin einen
kurzen Text gechrieben:
Kindheitserinnerung an den 20.2.1944
Ein schöner Tag zum Schlittenfahren mit
Freundinnen aus der Nachbarschaft. Das
Vergnügen wurde durch Bombenbalarm
unterbrochen. Alle Kinder ließen ihre Schlitten
stehen und eilten nach Hause. Starker Wind hatte
Staniolsteifen, die von Fliegern abgeworfen wurden,
um das Radar zu stören, und dann das Zielgebiet
markierten von Braunschweig nach Helmstedt (zu
uns) getrieben. Durch die Bombardierung kammen
alles Freundinnen ums Leben. Ihre Schlitten
bleiben noch lange so stehen, wie sie sie verlassen
hatten. Danach bin ich nie mehr Schlitten gefahren.
Diese Arbeit, die am direktesten eine Erinnerung umsetzt,
beschreibt die Decodierung eines traumatischen Erlebnisses in
eine künstlerisch, symbolische Form. In der Installation ist die
Szene nachgebaut. Dadurch, dass sie an einen anderen Ort und
in eine andere Zeit versetzt ist, im Grunde ähnlich ausgeschnitten,
wie die Soldatenfiguren in der Arbeit von Dorothea Reese-Heim,
erfährt die aufgebaute Szene eine Abstraktion, die der Installation
etwas Exemplarisches gibt und zu einer symbolischen Form
transformiert.
Auf eine ganz andere Weise nähert sich der Künstler Ole Akhøj
dem Thema.
Er nimmt einen anscheinend auch in Dänemark typische
Ausspruch älterer Menschen: „früher war das ganz anders“ (im
Sinne von besser) oder „ als ich noch ein Kind war, da war es....,
da gab es noch..., da haben wir noch...“ zum Anlass seiner Arbeit.
Seine Arbeit heißt: „...da jeg war barn, var der vintre“ - „...als ich
Kind war, gab es noch richtige Winter“
Dies könnte der Großvater dem Enkel angesichts dieser
Landschaft sagen und ihm damit vermitteln, das es früher noch
richtigen Schnee gegeben habe. Dies könnte aber auch ein Bild
von damals sein und der Großvater des Großvaters könnte es
dem Enkel gesagt habe. Oder es könnte ein Bild von heute sein
und der Künstler könnte es seinen eigenen Enkeln voller
Überzeugung später einmal sagen.
Das Bild funktioniert als eine Untermauerung, ein Bildbeweis für
eine Illusion, die mit Erinnerung verbunden sein kann: die Illusion,
dass es in der Vergangenheit einmal besser war. Der Künstler
beschreibt damit eine Verklärung des Vergangenen, die nicht
selten in Erinnerungen eingeschrieben ist.
Nicht auf nur Vergangenes scheint sich der Blick der Künstlerin
Maiken Monnerup in ihrer Arbeit für diese Ausstellung zu richten,
sondern auf die Vergangenheit der Zukunft.
In ihrer Installation „Memories of tomorrow“ macht sie auf den
Zeitcharakter von Erinnerung aufmerksam, der immer auf die
Vergangheit gerichtet ist. Natürlich können wir Zukünftiges nicht
erinnern, aber wir können uns wünschen, zu wissen, was wir in
einem Jahr erinnern werden. In dem Titel steckt somit die
Sehnsucht, die Zukunft wissen zu können, z.B. zu wissen, wann
man etwas überstanden hat, aber auch die existentielle Angst,
werde ich mich noch erinnern können, also noch da sein.
Die Künstlerin weist in ihren Bildern und Installationen auf die
Tatsache hin, dass Kunst nichts über die Zukunft ausagen kann anders als über die Vergangenheit. Mit existentieller Angst
verbundene Erinnerungen können sich auf die Erinnerungen von
Morgen projizieren. Sie versteht ihre Arbeit insofern als eine
Warnung. Erinnerung, Angst und auch Hoffnung sind persönlich,
„within personal mind“, im Kopf und in einer Kugel symbolisch
verortet, ein Symbol, dass für die Künstlerin eine Verbindung zu
universellen Formen, wie die der Erde und der Sonne hat.
Detail aus der Installation „Memories of tomorrow“
So wie die Zukunft Erinnerung ausschließt, stellt das Vergessen
ein Hindernis für das Erinnern dar.
Matthias Oppermann hat sich damit auseinandergesetzt, dass
das visuelle Erinnern von Personen immer wieder von neuen
Eindrücken überschrieben wird.
Den meisten Menschen fällt es schwer, sich z.B. visuell
vorzustellen, wie die eigenen Kinder ausgesehen haben, als sie
klein waren. Dazu brauchen wir Bilder, Fotos von früher als
Vermittler. Noch schwieriger ist es, sich die eigenen Eltern visuell
zu vergegenwärtigen, wie sie ausgesehen haben, als man klein
war. Bilderinnerungen scheinen hier verloren zu gehen. Dies
greift der Künstler in seiner Installation „Verlorene Bilder“ auf.
Der Protagonist mit Mütze schaut dabei immer in ein leeres Feld.
Die Assoziation geht hin zu einem Memoryspiel, nur dass hier
keine Karte aufzudecken ist. Die Bilder sind verloren.
Sie liegen in der Installation auf dem Boden und können von den
Ausstellungs-besuchern aufgedeckt, aufgehoben und betrachtet
werden. Der Mann mit Mütze scheint in dem Moment eingefangen,
in dem er sich erinnern möchte. Dadurch weist die Arbeit auf
etwas hin, das dem Künstler im Kontext der Austellung wichtig
erscheint: Ohne Vergessen keine Erinnerung. Damit wir uns
Erinnern, müssen wir vergessen (können).
„Verlorene Bilder“
Installation aus 28 bemalten und 21 unbemalten Leinwänden,
Öl auf Leinen 350 x 280 cm
Ebenfalls mit Vergessenem beschäftigt sich der Künstler Jens
Chr. Jensen.
Er arbeitet mit gefundenen Materialien, Dinge die weggeworfen
wurden, in Vergessenheit geraten sind, weil sie keine Funktion
mehr erfüllen. In seinen Arbeiten werden sie zu Skulpturen,
Assemblagen oder Installationen zusammengeklebt, geschraubt,
gelegt, geformt....
o.T. Schiefer und Metall
20 x 20 x 25 cm
In der abgebildeten Arbeit verwandte er Schiefer und Metall. Er
bringt damit geologische und zivilisatorische Ablagerungen in
einer Skulptur zusammen. Ablagerungen könnten Geschichten
erzählen, die vergessen, aber dennoch als Form erhalten sind.
Somit könnte diese Skulptur ein künstlerisches Modell für
Gedächtnis, ein Gedächtnisspeicher sein. Die Plastik erinnert an
einen Kondensator. Der Ladungszustand eines Kondensators
kann Information in digitaler oder analoger Form repräsentieren.
(Text: Matthias Oppermann)