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STEIN
SKULPTUR DES MONATS:
HÄNDE
VON
GERTRUD HALAS
Die Kunst lebt von den Händen. Ohne Hand, kein Werk. Gerade weil die Hände so
essentiell für den Menschen sind, als Werkzeug, Medium des Ausdrucks oder auch
einfach als Sinnesorgan, waren sie wohl auch schon immer Thema von Künstlern.
Felsmalereien zeigen Handabbildungen, die verdeutlichen, welche große Bedeutung
unsere Vorfahren den Händen zuschrieben. Klar, kein Alltag oder Festtag ohne
tausende Handgriffe. Aber was veranlasste Maler wie Michelangelo, Dürer, Picasso
oder Dali genau, sich so intensiv der Hand zu widmen? Einerseits vielleicht ein
religöser Hintergrund – zum Beten gefaltete Hände -, andererseits die
Herausforderung der schwierigen anatomischen Darstellung, aber auch die Reflexion
der eigenen künstlerischen Möglichkeiten. Es gibt viele Herangehensweisen an das
Motiv. Eine Interpretation gibt uns unsere Skulptur des Monats Juni 2016: zwei
ineinanderliegende Hände aus Carrara Marmor.
Die Steinmetzin und Künstlerin Sabine Harborth
fertigte ihre Hände mit Hammer und Meißel und
schliff sie dann aus. Die 45 x 14 x 18 Zentimeter
große Skulptur lebt nicht allein von der anatomisch
richtigen Darstellung, sondern auch von ihrem
Abstraktionsgehalt. Die Hände mit erzählerischem
Charakter lesen zu können, war die Intention der
Künstlerin, nicht ein exaktes Abbild der Realität.
„Dies geschieht durch die Freiheit des Weglassens,
der Zeichensetzung, der Konzentration und
Verdichtung“, beschreibt Harborth ihre Umsetzung.
Was erzählen uns nun die steinernen Hände? Für
die Künstlerin stehen sie für eine ausgeglichene
zwischenmenschliche Beziehung. Sie sind weder
eindeutig weiblich noch männlich, diese Definition
SKULPTUR DES MONATS JUNI
(FOTO: SABINE HARBORTH)
ist für das Werk unwesentlich. „In dem dargestellten
Miteinander beider Hände zeigt sich durch die
Vertikale eine kraftvolle Haltung, die sich nach oben
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hin entspannt öffnet. Zugleich trägt sie sanft eine andere Hand, ohne sie ihrer Freiheit
zu berauben. Sie wird gestützt, kann sich jederzeit lösen, wird nicht festgehalten. Zwei
Hände, die eigensinnig und der anderen Hand dienend zugleich sind“, interpretiert
Sabine Harborth. Eine schöne Metapher der gleichberechtigten Zweisamkeit (vielleicht)
der Liebenden.
Die Hand ist mehr als nur ein Hilfsmittel für irgendwelche Tätigkeiten. An ihr kann
man Haltungen, Stimmungen, Launen, Intentionen und vieles mehr ablesen. „Wir
„begreifen“ mit unseren Händen oder „behandeln“ Themen“, sagt Harborth. Sie
interessierten die vielfältigen Ausdrucksmöglichkeiten der Hände im Rahmen ihres
Schaffensprozesses. Eine nonverbale Geste zeigt manchmal mehr als viele Worte. Über
die Hände lernt man sich kennen oder stößt vielleicht jemanden vor den Kopf, sei es
nur, weil eine Geste kulturell anders codiert ist. Die Hand kann einen offenen Dialog
schaffen oder aber Abgrenzung. Das Lesen der Hände ist eine Kunst an sich.
Wenn man Harborths Hände anders liest, könnte man sie
als Sinnbild für das Leben im Allgemeinen sehen. Denn die
Arbeit zeigt in ihrer Präzision und Abstraktheit, Offenheit
und Starre, Leichtigkeit der Gestaltung und Schwere des
Materials eine Widersprüchlichkeit, die das Leben
ausmacht. In Gegensätzen und ihrer Aufhebung, d.h. ihrer
gleichzeitigen Bewahrung, sieht der Philosoph Georg
Wilhelm Friedrich Hegel den Motor des Weltgeschehens.
Diese Diskrepanzen zeigen sich an einem Selbst, der man
geprägt ist von Kultur, Familie oder anderen
Gegebenheiten und gleichzeitig frei in seinen
Möglichkeiten des Handelns. Zukunft braucht Herkunft,
man existiert nicht im freien Raum. Auch im
STEINMETZIN UND FREIE
KÜNSTLERIN SABINE
HARBORTH (FOTO:
FRIEDHELM PETROVITSCH)
Steinmetzhandwerk ist das Zusammenwirken von
Tradition und Fortschritt notwendig und fruchtbar.
Mit ihrem Kunstwerk weist die Handwerkerin so
Möglichkeiten und Grenzen auf – auch im
Schaffensprozess. Von einer Idee im Kopf über Skizzen konkretisiert sich das Werk für
Sabine Harborth. Dann setzt beispielsweise das Material Grenzen.“Die ständig spürbare
Härte und der Widerstand des Steines lässt sich nicht beliebig formen und zwingt zu
einer bestimmten Formensprache. Das Material setzt den Grundakzent für die
Wirkungsweise der Skulptur und bestimmt damit die Grenzen ihrer ästhetischen
Wirkung“, sagt sie. Die Skulptur zeigt damit auch, wie wichtig manche Grenzen für
die (Gestaltungs-)Freiheit sein können. Im Spiel von Fragen und Antworten der
Interpretation der Skulptur sollte aber auch nicht vergessen werden, dass hier der
Hände Arbeit, das Sich-die-Hände-schmutzig-Machen, etwas Schönes hervorbrachte,
was nun einmal mehr ist als nur geformter Stein. Das ist auch ein wichtiger Aspekt,
den das Hand-Werk verdeutlicht.
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