1 Die größte Kür von allen - Der Deutsche Olympische Sportbund

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1 Die größte Kür von allen - Der Deutsche Olympische Sportbund
Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 17.10.2010, Nr. 41 / Seite 24
Die größte Kür von allen
Vom Hochglanz-Promi zur ernstzunehmenden Managerin: Katarina Witt soll München die
Olympischen Spiele 2018 bescheren - mit einem neuen Stil, altem Ehrgeiz und gegen interne
Widerstände.
von EVI SIMEONI
Frankfurt. Katarina Witt hat schon viele Kostüme getragen in ihrem Leben. Das Erste ganz Große:
das mit Tüll durchsetzte Kringelkleidchen, in dem sie 1984 in Sarajevo zum ersten Mal
Olympiasiegerin wurde zu George Gershwins "I got Rhythm". Das Anrührendste: Das schlichte,
betont weibliche Kleid, in dem sie 1994 in Lillehammer Abschied vom Leistungssport nahm und
ihre Kür in Erinnerung an Sarajevo lief zu dem Anti-Kriegs-Titel "Sag mir, wo die Blumen sind".
Das Berühmteste: Das knallrote spanische Outfit, in dem sie 1988 in Calgary ihre amerikanische
Konkurrentin Debi Thomas ausstach. Carmen gegen Carmen, Sozialismus gegen Kapitalismus so wurde das Duell der beiden Eis-Diven damals interpretiert. Doch es war wohl eher völlig
ideologiefrei. Wie immer vorher und nachher: Witt nicht für oder gegen irgendjemand oder
irgendwas. Witt für Witt.
Das jüngste Kostüm ist ein lila Dirndl, das Katarina Witt auf dem Münchner Oktoberfest trug,
zünftig geschnürt und mit genügend Freiraum versehen, dass die Boulevardpresse eine Fotoserie
zum Weiterklicken daraus machte. Das ist Alltag für die ehemalige Eisprinzessin, den Showstar,
die Schauspielerin, Moderatorin einer Tanz- und einer Abnehmsendung, erfolgreiche Produzentin
und Selbstvermarkterin. Sex sells - dieses Prinzip hat ihren Erfolg immer bestimmt. Millionen von
Männern wollten sie nackt sehen und kauften sich vor zwölf Jahren ein Exemplar des "Playboy"Hefts, in dem Katarina Witt im Evakostüm abgelichtet war - das einzige andere weltweit restlos
ausverkaufte Exemplar zeigte einst Marilyn Monroe. La Witt, Katarina die Große, die strahlende
Sächsin, gehört zur deutschen und internationalen Bilderwelt.
Das Dirndl allerdings hatte nicht nur ein tiefes Dekolleté, sondern einen tieferen Sinn. Katarina Witt
ist aufgebrochen, um mit einem gekonnten Toe-Loop den Sprung auf eine neue Ebene der
Gesellschaft zu machen. Als Präsentationschefin der Münchner Bewerbung für die Olympischen
Winterspiele 2018 hat sie die Chance, vom Hochglanz-Promi zu einer seriösen Managerin zu
werden. Mit ihren 44 Jahren ist sie zwar immer noch eine bewunderte und begehrte Diva und von
der Verzweiflung alternder Sexbomben weit entfernt. Sie lacht viel und laut, tritt gerne auch
kumpelhaft auf und brilliert mit ihrem sächsischen Mutterwitz. Doch nun lässt sie sich plötzlich in
Presseerklärungen bürokratische Kommentare zuschreiben, die sie live so trocken wohl eher nicht
über die Lippen brächte, zum Beispiel zur jüngst vorgestellten Imagekampagne: "Wir wollen mit
der Kampagne die Menschen in unserem Land mitnehmen und teilhaben lassen an den Träumen
einer jungen Generation, die die Vorbilder von morgen sein könnten." Eigentlich eher Originalton
Thomas Bach. Der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes und Vorsitzende der
Bewerbungsgesellschafter wird denn auch nicht müde, Katarina Witts Einsatz auf internationalem
Parkett zu preisen. Ihre Gespräche mit den Entscheidern, den Mitgliedern des Internationalen
Olympischen Komitees (IOC), gehen offenbar weit über den Flirt-Status hinaus. Sie vertritt das
Konzept der Bewerbung mit Leidenschaft und Detailkenntnis und ist entschlossen, die Spiele nach
Bayern zu holen. "Ich möchte mich immer nur über Leistung definieren und über nichts anderes",
sagt sie. "Ich will immer eine sichtbare Leistung erbringen." Nachdem die politischen Gremien sich
nachdrücklich und mit großen Mehrheiten für die Bewerbung ausgesprochen haben, sind die
wichtigsten Pflichtaufgaben bewältigt. Es folgt die Kür zu Hause, wo um die innere Zustimmung
der Bayern und Deutschen für das Projekt geworben werden muss. Und das internationale
Schaulaufen, das am kommenden Donnerstag in Acapulco Premiere hat. Dann präsentieren sich
die drei Bewerber (neben München Annecy und Pyeongchang) erstmals vor einigen der
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höchstrangigen Sportfunktionäre der Welt, vor der Generalversammlung der Vereinigung der
Nationalen Olympischen Komitees - IOC-Mitglieder inbegriffen. "In Acapulco geht es vorwiegend
Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 17.10.2010, Nr. 41 / Seite 24
um technische Inhalte, und alles wird sehr sachlich ablaufen", sagt Katarina Witt. "Und wir werden
sicherlich nicht unser ganzes Pulver gleich am Anfang verschießen." Doch natürlich wollten sie
sich an das Motto halten "Es gibt keine zweite Chance für einen guten ersten Eindruck". In Bayern
hat man der Preußin allerdings kaum eine erste Chance gelassen. Übellaunig kommentierte etwa
Uli Hoeneß nach dem krankheitsbedingten Rückzug seines Freundes Willy Bogner ihren Aufstieg
an die Spitze der Bewerbung. Und auch die Schlierseer Alpin-Ikone Markus Wasmeier scheint
davon überzeugt zu sein, dass man ohne die richtige Mundart in seiner Gegend nicht gut
ankommt. Es scheint tatsächlich wahr zu sein, dass in Zeiten der Globalisierung in Bayern immer
noch ein tiefes Misstrauen gegen alles Nicht-Bayrische gepflegt wird. Um die Eingeborenen
werden sich deshalb die Botschafter kümmern, von Christian Neureuther und Rosi Mittermaier bis
Magdalena Neuner und Georg Hackl. Katarina Witt sieht sich mehr für die deutschlandweite
Kampagne und die Werbung beim IOC zuständig.
International gesehen, könnte ihre Herkunft sogar ein Vorteil sein. Das Maskottchen der
untergehenden DDR-Diktatur hat vor 20 Jahren mühelos den deutsch-deutschen
Vereinigungsprozess mitgemacht - als die Mauer fiel, befand sie sich bereits mit einer Eisshow auf
Amerika-Tour. Das war eines der vielen Privilegien, die sie sich von der Staatssicherheit hatte
gewähren lassen. Im Gegenzug machte sie überwältigende PR für Erich Honeckers
Unrechtsrepublik. Ihre Stasi-Akte hat weit über 1000 Seiten - verraten hat sie keinen. Dafür kann
man darin nachlesen, wie es ihr gelang, der Stasi immer neue Vorteile abzuluchsen. Sie bekam
ein Haus mit hervorragender Innenausstattung und dann ein Apartment in Ost-Berlin. Die Stasi ließ
sogar ihren Fernseher reparieren. Mielkes menschenverachtende Spitzel besorgten ihr erst einen
blauen Lada und dann einen VW Golf. Und zwar Ferrari-rot. Erst sträubten sich die Herren, doch
dann stand der Wagen doch vor der Tür. Ein weiterer erstaunlicher Coup der gar nicht so naiven
Eisprinzessin. Wer das schafft, der müsste eigentlich auch die Olympischen Winterspiele nach
München holen können.
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