Spezial Kosmetik: Naturkosmetik
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Spezial Kosmetik: Naturkosmetik
spezial Naturkosmetik Seite 6 MUM April 2013 Alles so schön grün hier? Es ist nicht lange her, da wurde sie als Revolution bestaunt – heute steht Naturkosmetik in jedem Drogeriemarkt. So mancher Trittbrettfahrer versucht, an dem Trend mitzuverdienen. Ein grünes Blättchen auf der Verpackung und ein paar Kräuterauszüge machen aus einem Produkt aber noch lange keine Naturkosmetik. W er cremt sich schon gern mit Erdöl ein? Bevor Sie jetzt den Kopf schütteln, sollten Sie vorsichtshalber einen Blick in Ihren Badezimmerschrank werfen. Denn in so manch konventionell hergestellter Tagescreme – und in vielen anderen Kosmetikprodukten – steckt der klebrige Rohstoff. Nur nennt er sich dort nicht Erdöl. Auf Tuben und Tiegeln stehen andere Begriffe: etwa Paraffine oder Vaseline. Eine Augenwischerei, die funktioniert, weil Chemie für die meisten Menschen ein Buch mit sieben Siegeln ist. Oder ist Ihnen bewusst, worum es sich bei Polyethylenglycol, kurz PEG, handelt? Diese Substanz ist mitsamt ihren Abkömmlingen ebenfalls ein normaler Bestandteil in handelsüblicher Kosmetik. PEG und seine Derivate verbinden als Emulgatoren Wasser und Fett. Und sie können die Haut durchlässiger für Fremdstoffe machen, zum Beispiel für Formaldehyd und seine Abspalter. Die werden von der Branche bislang als Konservierungsmittel eingesetzt. Wer die Inhaltstoffe seiner Industriekosmetik studiert, entdeckt eine Liste des Schauderns. Das ist der Grund, warum immer mehr Menschen zu Naturkosmetik greifen. Viele Trittbrettfahrer Für eine schöne Hülle sind die Menschen bereit, mehr zu zahlen. Das größte Vertrauen der Verbraucher genießen Weleda, Dr. Hauschka, Lavera, Primavera und Logona: Diese fünf erwirtschaften rund die Hälfte des Umsatzes am Markt. Doch das Prinzip „Aus dem Garten in die Tube“, wie es das Traditionsunternehmen Wala (Dr. Hauschka) propagiert, wird zusehends verwässert. Gerade weil Naturkosmetik so erfolgreich ist, drängen mittlerweile immer mehr Anbieter auf den Markt, bei denen ausschließlich die Farbe auf der Umverpackung grün ist. So werben konventionelle Anbieter mit natürlichen Inhaltsstoffen, obwohl in den angepriesenen Produkten oftmals kaum mehr MUM als ein Fitzelchen davon steckt. Dieselben Chemiekonzerne, die jahrelang nur auf aggressive Tenside, billige Paraffine und umstrittene Konservierungsmittel setzten, bieten jetzt grüne Lösungen an. Der Etikettenschwindel ist gewaltig. 2006 beispielsweise legte der französische Konzern L’Oreal fast eine Milliarde Euro auf den Verhandlungstisch und durfte sich dafür ein grünes Mäntelchen überziehen: Für diese Summe übernahm der Kosmetikriese die britische Kette The Body Shop. Das Unternehmen, das mit Cremes und Seifen handelt, tritt gegen Tierversuche ein und verkauft Kosmetika aus natürlichen Zutaten. Allerdings: Mit echter Naturkosmetik haben auch die Aloe-vera-Lotions von The Body Shop nichts zu tun. Die Produkte der Kette zählen zur sogenannten naturnahen Kosmetik – ebenso wie die Wässerchen und Masken von Yves Rocher oder Origins. Naturnahe Kosmetik wirbt mit Formulierungen wie „auf pflanzlicher Basis“, „aus der Natur“ oder „von der Natur inspiriert“. Das klingt alles gut. Doch solche Pflanzenkosmetik (auch Phytokosmetik genannt) ist weder reglementiert noch kontrolliert. Ob das eingesetzte Rosenöl aus konventioneller oder Bio-Landwirtschaft kommt, kann keiner überprüfen. Ob die Arbeiter fair bezahlt werden, auch nicht. Der Verbraucher kann nicht einmal sicher sein, ob naturnahe Kosmetik überhaupt frei von Chemie ist. Um das zu überprüfen, muss er die Liste der Inhaltsstoffe (INCI) lesen. Und er muss sie verstehen. Nur wenigen gelingt das. Leicht zu täuschen „Viele Verbraucherinnen können naturnahe Kosmetik und Naturkosmetik nicht unterscheiden“, urteilt Elfriede Dambacher. Die Unternehmensberaterin ist eine Institution der Naturkosmetikbranche, sie gibt jedes Jahr einen Report über die Entwicklungen am Markt heraus. Dambacher weiß, dass sich Verbraucher leicht täuschen lassen. Oft seien sie der Überzeugung, bereits ein Naturkosmetikprodukt zu verwenden. „In Wahrheit handelt es sich aber um konventionelle Artikel, die lediglich wenige natürliche Inhaltsstoffe enthalten.“ Schutz vor solchen Verwechslungen sollen Gütesiegel bieten. Das Problem an der Sache: Es gibt zu viele davon. 35 unterschiedliche Prüfzeichen hat Elfriede Dambacher allein in Europa gezählt – Fantasielabel nicht mit eingerechnet. All diese Gütesiegel stehen zwar für Naturkosmetik, aber alle verstehen etwas anderes darunter. Die einen loben aus, wenn Rohstoffe „überwiegend“ aus kontrolliert biologischen Anbau kommen. Die anderen verlangen, dass 95 Prozent der Zutaten Naturprodukte sind und wiederum die Hälfte aus ökologischer Landwirtschaft stammt. Das nächste Label zeichnet Produkte aus, für die kein Tier gequält oder getötet wurde. Und das übernächste kennzeichnet vegane Kosmetik, für die keine Biene ihr Wachs hergeben musste. Jedes Siegel hat seinen eigenen Kriterienkatalog, sein eigenes Aussehen, seinen eigenen Verband und Namen: BDIH, NaTrue, Cosmos, Icada, Ecocert ... da blickt kein Mensch mehr durch. Wer im deutschsprachigen Raum nach Orientierung sucht, wird vor allem auf diese treffen: Demeter, NaTrue, Ecocert und BDIH. Doch auch hier ist nicht alles so grün, wie der Verbraucher es sich wünscht. „Ecocert bietet mit der Möglichkeit, bis zu fünf Prozent synthetische Stoffe einzusetzen, eine Richtlinie, die den Industriestandards am nächsten kommt“, kritisiert Rainer Plum, einer der Pioniere der Naturkosmetik. Das BDIH-Siegel wiederum, eines der bekanntesten am Markt, stellt nach Plum „nur den kleinsten gemeinsamen Nenner dar“. Vergeben wird das Siegel vom Bundesverband Deutscher Industrie- und Handelsunternehmen für Arzneimittel, Reformwaren, Nahrungsergänzung und Körperpflege – kurz BDIH. Derzeit tragen rund 7.000 Produkte von 180 Unternehmen den blauen Kreis mit dem stilisierten Engel. Auch auf den meisten Handelsmarken steht das BDIH-Siegel. Es handelt sich dabei um die Eigenmarken der großen Handelsunternehmen, allen voran Alverde, die Naturkosmetikmarke der Drogeriemarktkette Dm. Etwa jede zweite Naturkosmetikpackung, die im Einkaufskorb landet, stammt von einer Handelsmarke. Die grünen Produkte von Alverde oder von Alviana, der Kosmetikserie