Eine gemeinsame Krankheit
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Eine gemeinsame Krankheit
48 change › 3/2013 › Schwerpunkt: Pflege Pflege in der Familie Eine gemeinsame Krankheit Ihr Leben hatten Marianne und Holger Maltry mit ihren vier Kindern so schön geplant. Doch dann brachte eine furchtbare Krankheit alles durcheinander. Ein Besuch bei pflegenden Angehörigen Text: Dagmar Rosenfeld — Fotos: Valeska Achenbach E r hebt die Frau in dem blauen Kleid mit den weißen Punkten hoch, trägt sie auf Händen, blickt stolz in die Kamera. Die Frau schmiegt sich an ihn, ein Lächeln umspielt ihren Mund, das braune Haar fällt wie ein samtiger Vorhang über seine Arme. Das Foto in dem abgegriffenen Album ist am Tag ihrer Verlobung entstanden. Damals, vor fast 30 Jahren, sind sie zwei junge Menschen mit einer Zukunft, die sich leicht anfühlt – und einer Vergangenheit, die bereits schwer wiegt. Er ist in den USA aufgewachsen, hat mit 17 seine Mutter verloren, ist dann zurück nach Deutschland, nach Pfungstadt in die hessische Provinz. Dort hat er sie getroffen, Tochter einer ukrainischen Auswandererfamilie, mit 17 nach Deutschland gekommen in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Doch bisher ist das bessere Leben ein Aussiedlerheim und die Suche nach einer Arbeitsstelle als Kinderpflegerin. Ihre Liebe soll der Anfang eines neuen Lebens sein, von dem beide eine klare Vorstellung haben: Viele Kinder, ein eigenes Haus, Teil einer Gemeinschaft sein. Die Geschichte von Marianne und Holger Maltry beginnt wie die aller Verliebten – voller Erwartungen, Neugier und Zuversicht. Marianne und Holger ahnen nicht, dass es für ihr gemeinsames Leben ein Davor und ein Danach geben wird: Die Zeit vor Mariannes Krankheit und die Zeit mit Mariannes Krankheit. Er hebt die Frau in der grauen Jogginghose hoch, legt sie in ein graues Tuch, das an einem Metallgestell befestigt ist, schiebt sie mit dem Lifter-Gerät ins Wohnzimmer. Die Frau liegt in dem Tuch wie ein Baby im Storchenbeutel, ihr Mund ein schmaler Strich, das graue Haar fällt ihr ins Gesicht. Marianne kann ihre Beine und Arme nicht mehr bewegen, aus eigener Kraft Franziska Maltry, Tochter nicht aufrecht sitzen, das Sprechen fällt ihr schwer. Sie hat Multiple Sklerose. Die Krankheit hat sie zu eiStillen, verborgen hinter Häuserfassaden, nem abhängigen Menschen gemacht, bei betten, waschen, füttern, streicheln, trösden alltäglichsten Dingen ist Marianne auf ten sie ihre alten Eltern, ihre behinderten Hilfe angewiesen – auf Holgers Hilfe. Er ist Kinder oder chronisch kranken LebenspartMariannes Leben geworden, im wahrsten ner. Die wenigsten von ihnen wollen öfSinne des Wortes: Holger ist die Hand, die fentlich darüber reden. Zum einen, weil sie füttert, der Arm, der sie in den Rollstuhl Familienleben und Pflege eine persönliche, hebt, die Stimme, die für sie spricht. sehr intime Sache sind, verbunden mit Holger Maltry ist einer von vier Milliogroßen Ängsten. Angst, dem Beruf nicht nen Menschen in Deutschland, die ihre Anmehr gerecht werden zu können. Angst, in gehörigen zuhause pflegen. Sie pflegen im finanzielle Not zu geraten. Angst, die ›› „Andere können nicht nachempfinden, wie unser Leben funktioniert“