Oakland Tribune - International Center for Journalists

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Oakland Tribune - International Center for Journalists
Arthur F. Burns Fellowship 2011
Bericht von
Janko Tietz
"Oakland Tribune"
Vom 2.8. bis 24.10.2011
Der erste Tag begann mit einem Missverständnis. Um die genaue Adresse meiner
Gastredaktion während des Burns-Stipendiums bei der Oakland Tribune zu bestimmen,
gab ich "Oakland Tribune" bei Google Maps ein. Angezeigt wurden zwei Adressen einmal der Oakland Tribune Tower, 13th street in der City von Oakland, einer 480.000
Einwohner-Stadt direkt gegenüber von San Francisco, einmal ein Standort fernab von
Downtown Oakland, nahe des Flughafens zwischen Highways und abgerissenen
Industriebrachen. Überzeugt, dass eine Zeitungsredaktion im Herzen einer Stadt liegen
würde und der andere Standort allenfalls eine Druckerei oder der Vertrieb oder sonst was
ist, steuerte ich zielstrebig zum Tribune Tower an der 13th street. Ich fand vor: ein leeres
Gebäude.
Der stolze Tribune Tower, eines der Wahrzeichen der Stadt, stand verwaist im Zentrum,
an den Fenstern pappten riesige neonfarbene Schilder: For Rent. Erschrocken dachte ich,
die Zeitung sei zwischen meiner letzten e-mail aus Deutschland an die Redaktion und
meiner Ankunft eingestellt worden - und sollte damit so falsch nicht liegen, wenngleich die
Szene nur ein Vorbote war.
Nach einem Anruf bei meiner betreuenden Redakteurin Pamela Turntine stellte sich
heraus, dass es doch der andere Standort war. Die Redaktion befand sich tatsächlich weit
außerhalb nahe des Flughafens zwischen Highways und abgerissenen Industriebrachen.
Vor vier Jahren schon zog die Zeitung aus ihrem seit 107 Jahren angestammten
Redaktionssitz aus, weil das alte Haus zu teuer geworden ist. Es war der vertraute
Dreiklang, der zum Standortwechsel zwang: Sinkende Auflage, sinkende Anzeigenerlöse
= finanzielle Engpässe.
Jetzt residierte die Oakland Tribune in einem gesichtslosen Airport Conference Center, sie
hatte sich eine halbe Etage im 9. Stock gemietet. Der Blick auf die entfernte Skyline von
Oakland und die noch weiter entfernte von San Francisco war famos, aber eben entfernt.
Entfernt vom Geschehen, entfernt von Geschäften, entfernt von Geschichten. Es war ein
Großraumbüro mit etwa 50 bis 60 Arbeitswaben, wie sie typisch für amerikanische
Großraumbüros sind. Halbhohe Wände, gerade hoch genug, dass man einigermaßen
geschützt recherchieren und schreiben konnte und tief genug für den schnellen Talk
zwischendurch. Manche der Waben waren bereits dauerhaft leer, manche noch mit allerlei
privatem Nippes ausstaffiert, um eine persönliche Atmosphäre zu schaffen. Hier arbeiteten
alle, zwei Anzeigenverkäufer, Bildredaktion und die schreibenden Kollegen. In den
Redaktionsfluren hängen diverse Plaketten mit journalistischen Auszeichnungen, jedes
Jahr gab es eine, mal für Grafiken, mal für Geschichten, mal für Optik, mal für Bilder. Auf
jeder Plakette steht die Auflagenzahl des jeweiligen Jahres dabei. Anfang der 90er Jahre
lag sie noch bei 225000, jetzt bei etwa 75000. Der Umzug war nur das sichtbare Zeichen
des Niedergangs.
Ich wohnte in San Francisco in Haight Ashbury / Panhandle und pendelte mit der BART,
dem öffentlichen Nahverkehr der Bay Area nach Oakland. Ich hatte ein Fahrrad, mit dem
ich in San Francisco mühelos die Stadt erkunden konnte, dass ich aber auch brauchte, um
von der BART-Station in Oakland zur Redaktion zu gelangen, so weit ab vom Schuss war
sie.
Pamela Turntine, die erwähnte Managing Editor stellte mich nach meiner Ankunft an der
richtigen Adresse per e-mail allen Kollegen vor, zeigte mir den Arbeitsplatz, führte mich
geduldig in das Redaktionssystem ein, legte mir eine eigene e-mail-Adresse an und gab
mir gleich am ersten Tag ein Thema: Eine kleine Vorab-Ankündigung für ein jährlich
stattfindendes Stadtfest in Oakland. Es war offensichtlich, dass sie und auch der Rest der
Redaktion trotz diverser Sparrunden und Kollegenentlassungen guten Willens waren, mich
in die Redaktion einzubinden. Ich hätte auch verstehen können, wenn die Redaktion mit
sich beschäftigt gewesen wäre und den Gast aus Germany ignoriert oder gar als Ballast
empfunden hätte. Doch das Gegenteil war der Fall. Ich konnte Themenvorschläge
machen, die meist Anklang fanden und zwischendurch bekam auch ich ganz konkrete
Aufträge. Die Themen drehten sich immer um Lokales, die Protagonisten mussten immer
irgend einen Bezug zu Oakland haben und am besten aus Oakland stammen. Schon
Themen aus dem gegenüberliegenden San Francisco waren nicht gefragt, dafür gab es ja
den San Francisco Chronicle. Zwischen beiden Städten besteht offenbar eine chronische
Hassliebe, wenngleich Oakland immer mit entsprechenden Minderwertigkeitskomplexen
behaftet ist und neidvoll und ignorant zugleich zur ungleich populäreren TouristenMetropole im Westen rüber schaut.
Ich habe bei der Oakland Tribune immer Nischen- und Randthemen vorgeschlagen und
bekommen, da ich kaum in die Tiefen der Lokalpolitik eintauchen konnte. Dafür gab es
ausgewiesene Experten und die Zeit des Stipendiums ist dafür zu kurz, um sich in die
Finessen einzufinden. So berichtete die Tribune seit längerem über die Querelen eines
neuen Flughafen-Kontroll-Towers in Oakland, gecovert vom Redakteur Sean Maher. Ein
weiterer Dauerschwerpunkt in der Berichterstattung war die hohe Kriminalitätsrate, v.a.
Gewaltverbrechen und Bandenkriege, um die sich der Redakteur Harry Harris kümmerte.
Das Oakland tatsächlich eine Kriminalitätshochburg ist, habe ich gleich am ersten Tag
erfahren. Ich wollte zu Fuß zu einer nahegelegenen Mall, in der sich Walmart und TMobile befanden. Ich brauchte ein Fahrradschloss und eine Handy-Prepaid-Karte. Für
eine der Kolleginnen war das gleich eine doppelte Provokation: Zu Fuß! Zu Walmart - in
diese Gegend! Sie riet mir dringend ab, dieser Walmart sei keine gute Ecke von Oakland.
Ich hielt das für überzogene Panikmache, doch die Kollegin bestand darauf, dass ich
vorübergehend ein Redaktions-Handy mitnehme und mich nach Ankunft bei Walmart
melden solle. Wenn der Anruf ausbliebe, würden sie die Polizei rufen. Natürlich ging alles
gut, doch jene Kollegin war geprägt von ihrer Arbeit: Sie schrieb - und das ist nicht
übertrieben - täglich über Mordfälle in Oakland und ihre Hintergründe. Sowohl bei ihr als
auch bei anderen Kollegen beobachtete ich, dass die Recherchen fast ausschliesslich am
Telefon gemacht wurden und wenige die Möglichkeit hatten / nutzten, auch draussen vor
Ort zu recherchieren. Vielleicht trug dazu auch der Mord am Oakland Tribune Reporter
Chauncey Wendell Bailey jr. im Jahr 2007 während seiner Arbeit bei, dass die heutigen
Journalisten der Tribune zögerlicher wurden, sich mitten ins Geschehen zu stürzen.
Vielleicht ist es aber auch das Wesen des Tageszeitungsjournalismus, das auf
Schnelligkeit abzielt. Ich vermag das nicht zu beurteilen.
Ich kümmerte mich also um meine Randthemen und war dennoch gut ausgelastet. Ich
recherchierte und schrieb über eine Frau aus Oakland, die im Erdbebengebiet von Haiti
Aufbauarbeit leistet – wobei internationale Anrufe aus der Redaktion nicht möglich waren,
ich musste mich von der Frau aus Haiti anrufen lassen! Nichts illustriert die Prioritäten der
Zeitung mehr als diese Episode. Größere Artikel über das Weltgeschehen oder die
Finanz- und Schuldenkrise der USA oder Europa kaufte die Oakland Tribune von der Los
Angeles Times, der Chicago Tribune oder der New York Times ein. Weiterhin berichtete
ich über den gestorbenen Manager des Symphonischen Orchesters von Oakland, über
das Problem Plastikmüll in den Meeren am Beispiel der Küstenstreifen vor Oakland oder
über Tierquälerei im größten Zirkus Amerikas, dem Ringling Bros. Circus. Einzige
Ausnahme vom Zwang, über Oakland-Themen zu schreiben, war der 50. Jahrestag des
Mauerbaus in Berlin, an dem ich - gebürtiger, noch vor dem Mauerfall geflohener
Ostdeutscher - einen Text über mein eigenes Leben in Ost und West schreiben sollte.
Für Deutschland coverte ich den Rücktritt von Steve Jobs, das Monterey Jazz Festival, in
einer Reportage den wirtschaftlichen Zustand Kaliforniens oder einen Auftritt Barack
Obamas im Silicon Valley. Insgesamt sind 17 Texte entstanden, acht für die Tribune und 9
für den Spiegel bzw. Spiegel online. 2 größere Stücke für den Spiegel über die Erfindung
des Mikroprozessors vor 40 Jahren sowie den Kampf der vier großen IT-Unternehmen des
Silicon Valley untereinander sind noch in Arbeit. Ich war sehr regelmäßig in der Redaktion,
einerseits, um zu lernen, wie Themen, Thesen und Texte bei einer amerikanischen
Zeitung entstehen, andererseits, um die Infrastruktur nutzen zu können und in Kontakt mit
den Kollegen zu sein.
Bei all meiner Arbeit war mir noch nicht klar, dass ich dem viel zitierten amerikanischen
Zeitungssterben gerade live zusehe.
Die Tribune gehört zum Verlag Bay Area News Group, der in der gesamten San Francisco
East Bay rund 15 Tageszeitungen heraus gibt, u.a. die San Jose Mercury News, die San
Mateo County Times, die Contra Costa Times, den Alameda Times-Star oder den TriValley Herald / San Joaquin Herald. Während meiner Zeit sollte das alles auch noch so
sein. Doch schon kurz nach meiner Abreise am 24. Oktober war die Oakland Tribune
Geschichte.
Ich war gerade drei Wochen da, als ich am 23. August eine hektische und aufgekratzte
Atmosphäre in der Redaktion spürte. Der Managing Editor Martin Raynolds war zu einem
Verlags-Meeting nach San Jose bestellt, wo er die Nachricht entgegennehmen sollte, dass
seine Zeitung zum 31. Oktober eingestellt werden würde. Natürlich nannten es die
Verlagsmanager so nicht. Sie sprachen vom Nutzen des Synergiepotenzials und von
neuen Chancen, was man halt so sagt im Manager-Sprech, aber letztlich war es genau
das: das Ende der Oakland Tribune.
Ab 1. November sollten sechs der 15 Zeitungen der Bay Area News Group zu einer
einzigen verschmolzen werden: die Oakland Tribune, die West County Times, der
Alameda Times-Star, die Daily Review of Hayward und Argus of Fremont, die neue
Zeitung soll den Namen "East Bay Tribune" — allerdings sollen alle Städte eigene
Lokalteile behalten und nur der Mantel von einer neu zu gründenden Zentralredaktion
bestückt werden. Die Konsequenz war dennoch: 40 Kollegen der Oakland Tribune würden
ihren Job verlieren, entsprechend viele Kollegen der anderen Zeitungen, die in die East
Bay Tribune eingehen sollten. Das war die Botschaft, die Martin Raynolds am 23. August
aus San Jose mitbrachte. Wen es genau treffen sollte, wusste niemand. Das sollte erst
entschieden werden, wenn die neue Zeitung startet. Alle rund 100 Kollegen der Oakland
lebten mehr als zwei Monate im Ungewissen, was mit ihnen nach dem 31. Oktober
passieren würde.
Die Kollegen haben sich das kaum anmerken lassen. Pamela hat mich hervorragend
betreut und mir alle Freiheiten gelassen. Morgendliche sms mit "Ich komme heut später"
oder "Ich habe einen Termin für den Spiegel" quittierte sie immer mit "Okay, no problem."
Sie hat auch meine Texte redigiert.
Es war natürlich nicht leicht für die Tribune zu schreiben – aus zweierlei Gründen. Erstens
natürlich wegen der Sprachbarriere, zweitens wegen des anderen Stils. Nicht nur, dass
der amerikanische Schreibstil sehr viel nüchterner ist, als der deutsche, auch die
Umstellung vom Magazin- zum Tageszeitungsstil war fordernd. Meine Spiegel-Marotten
(meinungsstark, szenischer Einstieg, Schlussgag usw.) ließ mir Pamela nur selten
durchgehen. Das wichtigste im amerikanischen Journalismus - so meine Erfahrung - sind
ausbalancierte Artikel. Es darf kein Artikel erscheinen, der nur eine Quelle bzw. nur einen
Protagonisten hat. Mindestens zwei, besser drei Quotes von verschiedenen Personen
sollten auftauchen. Das macht die Texte oft sehr informativ, aber auch sehr schwergängig.
Sollte die Eastbay Tribune tatsächlich Bestand haben, und sollte sie so organisiert sein
wie es die Oakland Tribune war, kann ich sie als künftige Host-Station trotz ihrer
Entstehungsgeschichte auf alle Fälle empfehlen - erst recht, wenn Pamela Turntine und
Martin Raynolds wieder zum Team gehören.
Alles in allem war meine Burns-Zeit eine grandiose Erfahrung. Mit Pamela, Martin und der
dritten Managing Editor, Alice Crane, hatte ich drei tolle Förderer und Sympathisanten des
Burns-Programms. Ich habe viele private Kontakte geknüpft, sowohl innerhalb, als auch
außerhalb der Redaktion. San Francisco war offenbar auch ein lohnendes Ziel für viele
andere Fellows. Die Besuche der Kollegen waren Highlights in der Zeit, besonders aber
die entstandene Freundschaft zu Anne Raith vom Deutschlandfunk, ebenfalls BurnsStipendiatin, ebenfalls "stationiert" in San Francisco beim Radiosender KQED. Mit ihr habe
ich die Stadt und die Umgebung entdeckt, wir konnten uns über unsere Erfahrungen
austauschen und auch einige gemeinsame Termine absolvieren.
Auch die Woche in Washington empfand ich als einen unglaublichen Gewinn, ebenso das
Wochenende in Arlie. Es war eine unglaublich intensive und dichte Zeit, die letztlich viel zu
schnell vorbei rauschte. Es waren vielen tolle Gespräche, tolle Geschichten, tolle
Erlebnisse. Vor allem der (über Facebook anhaltende) Kontakt zu den amerikanischen
Fellows ist eine echte Bereicherung.
Ich danke dem IJP sehr, dass es mir diese wunderbare Erfahrung ermöglicht hat und vor
allem, dass es mir auch die Chance gab,insgesamt drei Anläufe für das Stipendium
nehmen zu können.