Dieses Magazin hat Sie bereits vor einem Jahr interviewt.
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Russland-Krise: Ulrich Kläsener im Interview mit dem Bergisch Gladbacher Russland-Experten Traugott Funk (58) Russland-Krise: Interview mit dem Bergisch Gladbacher Russland-Experten Traugott Funk (58) „Keine Verschärfung der Sanktionen“ GL KOMPAKT 10 Der Ölpreis ist implodiert, der Rubel wertet ab, der russische Aktienindex ist im Keller. Geht Russland 2015 pleite, wie es einige Volkswirte prognostizieren? Funk: Nein, das ist Quatsch. Nach derzeitigem Stand würde ich Russland noch fünf Jahre geben. Russen sind – anders als wir – Leiden gewöhnt, sie kämpfen und würden niemals zu Kreuze kriechen. Zumal man nicht vergessen darf, dass die Bodenschätze in Russland noch für Generationen reichen, entsprechend groß ist der Beleihungswert Russlands. Außerdem verfügt Russland noch über knapp 400 Mrd. USD an Devisenreserven. Unter vorgehaltener Hand wird kolportiert, dass nach dem Abschuss des Malaysian Airlines Fluges MH17 am 17. Juli 2014 über der Ostukraine jede rote Lampe bei der NATO und bei den russischen Streitkräften anging. Es mag sich unglaublich anhören, dennoch nachgefragt: Sahen Sie die Gefahr eines Weltkrieges zwischen dem Westen und Russland? Funk: Nein, das kam alles zu plötzlich. Wobei Putin durchaus klar geworden sein dürfte, dass der Abschuss seinen Kampfgenossen in der Ostukraine angelastet wird. Apropos MH17: Der Flugschreiber ist seit Monaten in westlicher Hand, warum hört man nichts von seiner Auswertung? Der Westen echauffiert sich grundsätzlich über das Gebaren Russlands in Sachen Ukraine. Zu Recht? Funk: Der Westen hat sehr schnell ungedeckte Schecks Richtung Kiew ausgestellt, westliche Politiker übertrafen sich ja schon auf dem Maidan bei ihrer Freiheitsrhetorik. Ich habe mich zwischendurch schon gefragt, ob sich der Westen vorher überhaupt in die komplexe Thematik Russland-Ukraine eingearbeitet hat. Russland erleidet mit dem Schwenk der Ukraine Richtung Westen drei große Verluste. Erstens: Kiew ist orthodoxen Russen ein absolutes Heiligtum, dort nahm Russland seinen Anfang. Zwar sind nur etwa 10 bis 15 Prozent der Russen gläubig, aber gut 50 Prozent der Russen glauben an die orthodoxe Kirche. Zweitens: Die wirtschaftliche Verflechtung ist enorm. Mehr als die Hälfte des ukrainischen Exports ging auf Geschäfte mit Russland zurück. Drittens: Zwei Drittel der russischen Rüstungsimporte stammen aus der Ukraine wie beispielsweise Triebwerke für Flugzeuge und Hubschrauber. Glauben die Russen eigentlich, dass Europa für die Ukraine in den Krieg ziehen würde? Funk: Nein. Die Russen wissen, dass die Europäer harmlos sind, die halten uns für dekadent und kampfesunwillig. Anders als bei den Amerikanern, die den Russen gern lust- Bei der „ausverkauften“ Veranstaltung – eingeladen hatten die rheinisch-bergischen Wirtschaftsförderer um Martin Westermann (2.v.l.) und Volker Suermann (l.) – referierte Traugott Funk zu den Möglichkeiten des Markteintritts von Unternehmen aus dem D.A.CH.-Raum in Russland und West-Ost-Technologietransfer. Damals sagte Generalkonsul Jewgenij Schmagin: „Wir benötigen alles, vor allem deutsche Technologie." voll vors Schienbein treten und von den Russen als echte Bedrohung angesehen werden. Dennoch agiert die Koalition gegen Russland mit Hilfe von Sanktionen. Wirken sie? Funk: Die Sanktionen gegen Personen mit Einreiseverboten und Kontosperrungen sicherlich nicht. Das ist voll in die Hose gegangen. Teils galt es in Moskau – die Duma spöttelte auch in der Richtung – sogar als Auszeichnung, auf der Liste zu stehen. Zumal sich die Oligarchen niemals gegen Putin und damit gegen die eigene Bevölkerung stellen würden, weil die Quellen ihres Reichtums in Russland selbst liegen. Eine Destabilisierung Putins würde sich erst abzeichnen, wenn sich die russische Mittelschicht – 10 bis 15 Prozent der Bevölkerung – von Putin distanzierte. Dann kämen die Arbeiter und Bauern und erst dann die Oberschicht. Die Sanktionen umfassen aber auch den Verkehr von Waren und Geldern. Funk: Das Export-Verbot für Waffen und Infrastruktur für die Öl- und Gas-Industrie trifft eher den Westen. Gewirkt hat nur das Abschneiden von Kapitalzuflüssen. Russische Unternehmen können kaum noch Geld im Westen aufnehmen und sind – anders als der gering verschuldete russische Staat – mit gut 800 Mrd. US-Dollar bei westlichen Investoren verschuldet. Aus sich heraus kann sich Russland nicht finanzieren. Was sich wie äußert? Funk: Projekte werden gestreckt oder auf die lange Bank geschoben, weil russische Partner Zahlungsprobleme haben. Extrem reduziert ist die Dynamik der Zukunftsentwicklung. Dadurch, dass – wie die Russen argumentieren – die Europäer von den USA Richtung Russland getrieben werden, drängen jetzt russische Unternehmer vermehrt nach China; auch eine Folge der Sanktionen. Was sagen Ihre Geschäftspartner in Russland zu den Sanktionen? Funk: Sie sind verwundert und fragen: Was macht ihr da, indem ihr euch von den USA instrumentalisieren lasst? Ich selbst habe es immer wieder erlebt: Am beliebtesten bei den Russen waren die Deutschen und ihre Produkte. Allein im letzten Jahr ist allerdings so viel an Geschäftsbeziehungen und Projektstrukturen erodiert, wie wir zuvor in 10 bis 15 Jahren aufgebaut haben. Hier ist viel Porzellan von Politikern zerschlagen worden, das ihnen nicht gehört. Russen haben früher deutsche Waren mit Grundüberzeugung gekauft, heute erlebt man eine fast schon ablehnende Haltung deutschen Produkten gegenüber, eine vergiftete Atmosphäre. Ist da noch was zu kitten? Funk: Immer. Wie soll man uns endgültig auseinanderbringen? Das hat selbst der 2. Weltkrieg nicht geschafft. Wir sind Nachbarn und bleiben es auch. Da muss man eben miteinander auskommen. Februar 2015 Februar 2015 Im Interview mit Ulrich Kläsener äußert sich Traugott Funk zur politischen Gemengelage zwischen den USA, Europa und Russland und ihren wirtschaftlichen Implikationen. Stichwort Krim: Ihren Ursprung nahm die verschärfte Konfrontation zwischen Amerika, der EU und Russland in der Ukraine mit der Einverleibung der Krim. Funk: Es gibt Stimmen deutscher Völkerrechtler, die sagen, dass es sich hierbei nicht um eine Annexion, sondern eine Sezession handelt, übrigens die schnellste und erfolgreichste in der Geschichte. Das wirkt zwar wie ein Diebstahl, ist aber keine klassische Annexion. Funk: Zwei Theorien dazu: Entweder spricht einiges auf dem Funkschreiber für einen Abschuss der MH17 durch eine ukrainische Militärmaschine mit einer Luft-Luft-Rakete. Das würde der Westen niemals zugeben. Oder aber es kommt heraus, dass es doch prorussische Kräfte waren. Für diesen Fall gäbe es eine Abmachung zwischen Russland und der EU, die Ergebnisse nicht zu veröffentlichen, um nicht noch mehr Druck auf den ohnehin heißen Kessel zu geben. GL KOMPAKT Dipl.-Ing. Traugott Funk (58) gilt als versierter Kenner deutsch-russischer Befindlichkeiten und Experte für wirtschaftliche Ost-West-Verflechtungen. Geboren in Tadschikistan (Duschanbe) als Nachfahre Russland-Deutscher von der Wolga, bietet Traugott Funk mit seinem Unternehmen con-t Beratungsdienstleistungen, Projektund Interimsmanagement primär im Bereich Energietechnik an. Ansässig ist das Ingenieurbüro im Rheinisch-Bergischen TechnologieZentrum (Bergisch Gladbach-Moitzfeld). Meist handelt es sich bei den con-t-Aktivitäten um grenzübergreifende Geschäftsanbahnungen und Projektrealisierungen im Austausch von west- und osteuropäischen bzw. russischen Unternehmen. Mehrmals im Jahr reist Traugott Funk nach Russland. Vor dem Ausbruch bürgerkriegsähnlicher Zustände engagierte er sich außerdem für die Etablierung der Solarenergie in der Ukraine. Wie wird es Ihrer Auffassung nach 2015 im Streit zwischen dem Westen und Russland weitergehen? Funk: Ich gehe weiter von einem Gleichgewicht der Kräfte und der Wahrung des Status quo aus. Keiner wird mehr verschärft schießen. Es geht nur noch um Schadensbegrenzung und für beide Seiten um den Rückzug aus dem Glashaus mit Gesichtswahrung. Das Krim-Thema wird still beerdigt. Eine Verschärfung der Sanktionen sehe ich nicht, ohnehin ist es in der Ostukraine merkwürdig ruhig geworden. Allerdings wird Putin auch keine Begründung liefern, Sanktionen abzubauen. Dipl.-Ing. Traugott Funk (r.) empfing den russischen Generalkonsul Jewgenij Schmagin (2.v.r.) noch persönlich zum „Wirtschaftlichen Austausch“ am 1. Februar 2012 im TechnologiePark Bergisch Gladbach. 11