Johann Stangel: Literaturräume Das Biedermeier und die Literatur
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Johann Stangel: Literaturräume Das Biedermeier und die Literatur des Vormärz S. 184 – 209 Grundsätzliche didaktische Erwägungen Zusätzlich zu den Lösungsvorschlägen für die Arbeitsaufgaben finden Sie in diesem Abschnitt von „Literaturräume online“ zahlreiche , die Thematik präzisierende Literaturhinweise (Medea, Stifter), Erweiterungsvorschläge, wie das Projekt „Amerika in der österreichischen Literatur“ und Informationen zu Begriffen welche die Literatur der Epoche hin zu aktuellen gesellschaftlichen Phänomenen unserer Zeit öffnen können. S. 185 f. Zusatzinformation zur politischen Unterdrückung zu Beginn des 19. Jahrhunderts; das Aufbegehren der Jungen, speziell der Schüler Ein Gymnasialdirektor sorgt sich um seine Schüler Die repressiven Maßnahmen der Politik schüchtern zwar ein, führen aber auch zu wachsender Empörung, wie folgende Zeilen eines deutschen Gymnasialdirektors nach der Einführung der „Karlsbader Beschlüsse“ zeigen: So allgemeine und so leidenschaftliche Äußerungen politischen Unwillens hätte ich nicht für möglich gehalten; […] die heftigsten Schmähungen […] waren an der Tagesordnung. […] man wünschte Exekutionstruppen herbei, indem man daran die Hoffnung einer allgemeinen Erhebung der Nation knüpfte, welche sich die beabsichtigte Verwandlung in ein Sklavenvolk gewiss nicht werde gefallen lassen […]. Ruhigere Leute bedachten die Folgen, welche, diese Beschlüsse für ihre […] Verhältnisse haben könnten, und da waren es vorzüglich Väter und Mütter, die Söhne auf Gymnasien und Universitäten hatten, in deren Herzen beunruhigende Sorgen aufstiegen. Wie leicht konnte ein junger Mensch […] zu einem Fehltritt kommen, der ihm Ausweisung oder Relegation zuzog! Dann war er auf immer verloren. Schrecken ergriff den ganzen Lehrstand. […] Die Beunruhigungen waren außerordentlich und für die hohen Urheber derselben nicht ungefährlich […]. Mögliche Aufschlüsselung: Welche Position zu den Widerständen gegen die politischen und sozialen Ungerechtigkeiten nimmt der Direktor ein? Welche Beispiele für die Empörung des „Volkes“ führt er an? Hat er diese Empörung erwartet? Welche Sorgen erfüllen Eltern und Lehrer? Mögliche Erweiterung mit einer Diskussion, die den Text als Ausgangspunkt nimmt Im Gegensatz zu nicht wenigen anderen Staaten weltweit führt politisches Engagement in unserer österreichischen Demokratie nicht mehr zur Relegation, dem Ausschluss aus Schule und Universität. Manchmal wird allerdings der Jugend heute nicht zu viel, sondern zu wenig politisches Engagement vorgehalten. Sprechen Sie im Zusammenhang damit in der Klasse über folgende Themen: Die politikverdrossene Jugend – Klischee oder Realität? Laut einer Umfrage halten 28 % der 14- bis-17-Jährigen die Möglichkeit, ab 16 den Nationalrat wählen zu dürfen, für „sehr gut“, 19 % für „gut“, 15 % für „weniger gut“, 31 % für „nicht gut“; unter den 18- bis 24-Jährigen betragen die jeweiligen Beurteilungen 18, 18, 22 und 41 %. Diskutieren Sie diese Zahlen und das Thema „Engagement für eine politische Partei oder für eine Bürgerinitiative – ja, nein, warum, warum nicht?“ S. 186 Zusatzinformation: mögliche Ergänzung zur (revolutionären) Stimmung in Österreich um 1800 Ein Deutscher wundert sich über Wien Als der Norddeutsche Johann Gottfried Seume auf seiner Reise nach Syrakus – siehe auch den „Literaturräume-Fokus“ S. 144 f. – im Jahr 1801 in die Haupt- und Residenzstadt Wien kommt, hat er ein beeindruckendes Erlebnis im Gasthaus, von dem er einem Freund berichtet: Ein alter, ehrlicher, eben nicht sehr politischer Oberstleutnant hatte während des Krieges bei der Armee in Italien gestanden und sich dort gewöhnt, recht […] lustig zu sein. Seine Geschäfte hatten ihn in die Residenz gerufen, und er fand da an öffentlichen Orten überall eine Klosterstille. Das war ihm sehr missbehaglich. Einige Tage hielt er es aus, dann brach er bei einem Glase Wein echt soldatisch laut hervor und sagte mit recht drolliger Unbefangenheit: "Was, zum Teufel, ist denn das hier für ein verdammt frommes Wesen in Wien? Kann man denn hier nicht sprechen? Oder ist die ganze Residenz eine große Kartause? Man kommt ja hier in © Österreichischer Bundesverlag Schulbuch GmbH & Co. KG, Wien 2011 | www.oebv.at | Literaturräume | ISBN 978-3-209-07362-4 Alle Rechte vorbehalten. Von dieser Druckvorlage ist die Vervielfältigung für den eigenen Unterrichtsgebrauch gestattet. Autor: Johann Stangel Johann Stangel: Literaturräume Das Biedermeier und die Literatur des Vormärz S. 184 – 209 Gefahr, das Reden zu verlernen. Oder darf man hier nicht reden? Ich habe so etwas gehört, dass man überall lauern lässt: ist das wahr? Hole der Henker die Mummerei! Ich kann das nicht aushalten, und ich will laut reden und lustig sein." Du hättest die Gesichter der Gesellschaft […] sehen sollen! Einige waren ernst, die andern erschrocken; andere lächelten, andere nickten gefällig und bedeutend über den Spaß; aber niemand schloss sich an den alten Haudegen an. Kartause: Kloster des weitgehend Schweigen und Isolation pflegenden Mönchsordens der Kartäuser Vorschlag zur Textanalyse: Fassen Sie die Kritik des Oberstleutnants an der politischen Ordnung und der gesellschaftlichen Stimmung zusammen! S. 187 Lösungen zu den Arbeitsaufgaben ad Gedichtanalyse „Herr Biedermeier“ plus das Gedicht auf youtube Herrn Biedermeiers Verhalten und Widersprüche: lau, ohne Parteinahme für irgendetwas, (Vers 3 f.); Heuchelei: nach außen hin die Vorschriften der Religion befolgend, aber im Grunde von Gier nach Geld bestimmt (Vers 6 ff. und jeweils Refrain) und die Religion höchstens aus Tradition und nötigem „Anstand“ pflegend (Vers 17 ff.); obrigkeitshörig, unterwürfig, devot (Vers 10 ff.) Gesungen finden Sie das Lied als mp3-Datei unter http://www.udo-leuschner.de/liberalismus/lieder/biedermeier.mp3. S. 188 Lösungen zu den Arbeitsaufgaben ad Textanalyse Stifter Stifters Befürchtungen ad Revolutionen: Die Unbesonnenen , keine Grenzen achtenden, auf ihren eigenen Vorteil bedachten Charaktere gelangen nach „oben“; das Maß (Stifters „Sanftes Gesetz“!) geht verloren, die „tierischen“ Instinkte gewinnen die Oberhand ( Zeile 23 f.). Die Eskalation ist unvermeidlich, da die Revolution nur mit Waffengewalt gemacht werden kann, worauf die (stärkere) Waffengewalt des Militärs zurückschlägt, und die Revolution in der Diktatur dieses Militärs endet, während „sanftere“ Forderungen nach Stifters Ansicht eher zu gesellschaftlichen Freiheiten führen. Nelkenrevolution: Der Begriff (portugiesisch: Revolução dos Cravos) bezeichnet den Aufstand der Armee in Portugal am 25. 4. 1974 gegen die herrschende Diktatur von Marcelo Caetano. Sie verdankt ihren Namen den (roten) Nelken, die den aufständischen Soldaten – im Rahmen der allgemeinen Freude angesichts der Ereignisse – in die Gewehrläufe gesteckt wurden. Sie verlief beinahe unblutig – es gab „nur“ dreizehn Tote (nach anderen Angaben nur vier), als verbleibende regimetreue Truppen vor dem Sitz der Geheimpolizei auf unbewaffnete Demonstranten schossen – und öffnete den Weg zu einem demokratischen Portugal. Die Nelkenrevolution markiert den Anfang vom Ende der Diktaturen in Westeuropa. Es folgten die Demokratisierungen in Griechenland (1974) und in Spanien (1975/1976). Mit dem Beginn der achtziger Jahre erreichte die Demokratisierung auch die Staaten in Osteuropa: Im Oktober 1980 wurde in Danzig die freie Gewerkschaft Solidarność offiziell zugelassen, das Ende der „Nachkriegsordnung“ zeichnete sich ab. Als Samtene Revolution bezeichnet man den politischen Systemwechsel in der Tschechoslowakei vom diktatorischen Kommunismus zur Demokratie. Der Begriff bildete sich aus der Tatsache, dass der Wechsel sehr schnell (innerhalb weniger Wochen) und weitgehend gewaltfrei vollzogen wurde. Als Beginn gelten der 16., 17. November 1989 mit Studentendemonstrationen in Prag und Pressburg. Als Schlusspunkt sieht man den 19. Dezember dieses Jahres mit der Wahl von Vaclav Havel zum Präsidenten der damaligen CSSR. Ergänzend zu besprechen wäre noch der „Arabische Frühling“, die im Dezember 2010 beginnende Serie von Protesten, Aufständen und Revolutionen in der arabischen Welt, die sich, ausgehend von Demonstrationen in Ägypten und der Revolution in Tunesien und Libyen, in etlichen Staaten des © Österreichischer Bundesverlag Schulbuch GmbH & Co. KG, Wien 2011 | www.oebv.at | Literaturräume | ISBN 978-3-209-07362-4 Alle Rechte vorbehalten. Von dieser Druckvorlage ist die Vervielfältigung für den eigenen Unterrichtsgebrauch gestattet. Autor: Johann Stangel Johann Stangel: Literaturräume Das Biedermeier und die Literatur des Vormärz S. 184 – 209 Nahen Ostens und des Maghreb gegen die dort herrschenden autoritären Regime und die politischen und sozialen Strukturen dieser Länder richten. S. 189 Lösungen zu den Arbeitsaufgaben ad „Hobellied“ plus Zusatzinfo Valentin verachtet das Konkurrenzstreben nach Glück. Diese Konkurrenz hetzt die Menschen gegeneinander auf und macht sie zu Kontrahenten und Gegnern. Seine Lebensauffassung ist die Gelassenheit, das Sich-Fügen in die Lebensumstände und das Wissen, dass der Tod alle „gleichhobelt“. Gesungen finden Sie das Lied in mehreren Versionen auf youtube („Raimund +Hobellied“ eingeben). S. 191 Lösungen zu den Arbeitsaufgaben ad „Freiheit in Krähwinkel“; die sprechenden Namen der Personen in Nestroys Dramen Der Begriff „Ultra“: ein verstärkendes – ins Extreme weisende – Präfix für Adjektive oder allein als Nomen gebraucht (die Ultras – Anhänger bestimmter (Fußball)klubs; in Österreich z. B. die Ultras von „Rapid“ auf der „Block West“ genannten Westtribüne im Hanappi-Stadion. Im Unterschied zu den Hooligans steht bei den Ultras der Sport im Vordergrund. Allerdings ist das Stehlen von gegnerischen Fan-Utensilien, insbesondere von Schals und Zaunfahnen, ein Teil der Ultra-„Kultur“. Die Zaunfahne ist für Gruppen das Kernstück, sie repräsentiert die jeweilige Gruppe und zeigt deren Präsenz. Reaktion und Reaktionär: Reaktion war im 19. Jahrhundert ein Sammelbegriff für politische Kräfte, welche die von der Französischen Revolution ausgehenden Ideen (Parlamentarismus, Verfassung, Grundrechte) und deren Übernahme in andere Länder ablehnten. Seither bezeichnet „Reaktion“ antidemokratische und gegen den gesellschaftlichen Fortschritt eingestellte Strömungen bzw. „rückwärtsgewandte“ politische Haltungen. Der Ausdruck „Krähwinkel“ als Synonym für Hinterwäldlerei, wird erstmals von Jean Paul verwendet. Mit „Krähe“ assoziiert man eventuell Klatsch, Tratscherei, mit „Winkel“ das Versteckte im „letzten Eck“. Die Personen und die entsprechenden Dramen Nestroys: Gluthammer, Krautkopf: „Der Zerrissene“; Zangler, Weinberl, Hupfer: „Einen Jux will er sich machen“; Frau von Erbsenstein, Gigl, Schnoferl: „Das Mädl aus der Vorstadt“; Titus Feuerfuchs, Flora Baumscheer, Spund, Plutzerkern, Salome Pockerl: „Der Talisman“; Stellaris, Brillantine, Amorosa, Mystifax, Leim Zwirn, Knieriem, Pantsch, Fassel: „Lumpazivagabundus“; Herr von Scheitermann, Anton Muffel: „Frühere Verhältnisse“; Abendwind der Sanfte, Biberhahn der Heftige: „Häuptling Abendwind“. S. 195 Lösungen zur Arbeitsaufgabe ad Novak „Brief an Medea“ Umkehr des klassischen Medea-Mythos: bes. Vers 2 ff. (Euripides als von Korinth Bestochener); 16 ff. Korinther hätten Medeas Kinder (10 Mädchen!) getötet, und zwar mitten im Tempel der Hera. S. 197 Lösungen zu den Arbeitsaufgaben ad Stifter Direkter Bezug auf Hebbels Angriff gegen Stifter: Zeile 1 bis 3 Mögliche Gründe, auf Namensnennung zu verzichten: Hebbel nicht noch mehr Gewicht verleihen; ihm nicht die „Ehre“ zu gönnen, als Autor erwähnt zu © Österreichischer Bundesverlag Schulbuch GmbH & Co. KG, Wien 2011 | www.oebv.at | Literaturräume | ISBN 978-3-209-07362-4 Alle Rechte vorbehalten. Von dieser Druckvorlage ist die Vervielfältigung für den eigenen Unterrichtsgebrauch gestattet. Autor: Johann Stangel Johann Stangel: Literaturräume Das Biedermeier und die Literatur des Vormärz S. 184 – 209 werden – man beachte dazu die Passivkonstruktion von Stifters Satz: „Es ist […] bemerkt worden, ...“ Brücke Natur – menschliches Verhalten: Zeile 18 f.; Feuer speiender Berg = Zorn etc. (25 ff.), Wehen der Luft, Rieseln des Wassers = Gerechtigkeit etc. (20 ff.) S. 199 Lösungen zur Analyse des Textausschnitts aus der „Judenbuche“ plus eine Zusatzinformation Der Charakter von Friedrichs Vater: alkoholabhängig (aber nur ein„ordentlicher Säufer“ vgl. Zeile 1 bis 5); gewalttätig ( Zeile 10 ff und 43 ff.) Gleichzeitig ergibt sich mit der Schilderung von Margret Semmlers Qualen und der nicht vorhandenen Reaktion im Dorf auf deren Unterdrückung durch Mergel ein Bild einer entsolidarisierten Dorfgesellschaft mit Suff und Gewalt als Alltagsphänomenen. Den gesamten Text können Sie anhören unter http://www.youtube.com/watch?v=HuDQDqe-dz4; Dauer: 1, 45 Stunden. S. 201 Lösungen zu den Arbeitsaufgaben ad Heine „Das Fräulein stand am Meere …“ plus Zusatzinformation Von Heine erweckte Erwartungshaltung/Klischees: „romantische“ Sonnenuntergangsstimmung am Strand des Meeres Meere und sehre verstärken das von Heine attackierte Gekünstelte, Sentimentale Zerstörung der Strand- und Abendidylle in Strophe 2 – die Idylle ist ein „simples“ naturgesetzliches Ereignis Auf youtube („Heine +Fräulein +Meere“ eingeben) finden Sie viele Rezitationen. S. 202 Lösungen zu den Arbeitsaufgaben ad Heine „Harfenmädchen …“ Politische Funktion des Liedes des Harfenmädchens: Verhinderung von politischen Veränderungen Religionskritik: Das Vertrösten auf das „Himmelreich“ dient zur Stabilisierung der Ungerechtigkeit „auf Erden“; Sozialkritik: bes. Vers 30 ff. (Heuchelei der Moralprediger); 39 ff. (die Wohlhabenden verprassen den von Armen geschaffenen gesellschaftlichen Reichtum) Heines Spott und Ironie: bes. Vers 14 – 16. S. 205 Lösungen zu den Arbeitsaufgaben ad Büchner „Woyzeck “ plus das Drama auf youtube Unterschied „Antimärchen“ – Märchen: keine Bewährung für das „Kind“ möglich, kein gutes Ende; die möglichen positiven Assoziationen mit Sonne (Wärme, Licht, Leben), Mond und Sternen (romantische Stimmung, strahlende Erscheinung) werden zerstört. Mond und Sonne i. A. positiv besetzte Symbole Die Unterschiede werden besonders deutlich im direkten Vergleich zum Märchen „Die Sterntaler“, dessen Text Sie als Basis für die dritte Arbeitsaufgabe hier finden: © Österreichischer Bundesverlag Schulbuch GmbH & Co. KG, Wien 2011 | www.oebv.at | Literaturräume | ISBN 978-3-209-07362-4 Alle Rechte vorbehalten. Von dieser Druckvorlage ist die Vervielfältigung für den eigenen Unterrichtsgebrauch gestattet. Autor: Johann Stangel Johann Stangel: Literaturräume Das Biedermeier und die Literatur des Vormärz S. 184 – 209 Es war einmal ein kleines Mädchen, dem war Vater und Mutter gestorben, und es war so arm, dass es kein Kämmerchen mehr hatte, darin zu wohnen, und kein Bettchen mehr hatte, darin zu schlafen, und endlich gar nichts mehr als die Kleider auf dem Leib und ein Stückchen Brot in der Hand, das ihm ein mitleidiges Herz geschenkt hatte. Es war aber gut und fromm. Und weil es so von aller Welt verlassen war, ging es im Vertrauen auf den lieben Gott hinaus ins Feld. Da begegnete ihm ein armer Mann, der sprach: »Ach, gib mir etwas zu essen, ich bin so hungrig.« Es reichte ihm das ganze Stückchen Brot und sagte: »Gott segne dir's«, und ging weiter. Da kam ein Kind, das jammerte und sprach: »Es friert mich so an meinem Kopfe, schenk mir etwas, womit ich ihn bedecken kann. «Da tat es seine Mütze ab und gab sie ihm. Und als es noch eine Weile gegangen war, kam wieder ein Kind und hatte kein Leibchen an und fror: da gab es ihm seins; und noch weiter, da bat eins um ein Röcklein, das gab es auch von sich hin. Endlich gelangte es in einen Wald, und es war schon dunkel geworden, da kam noch eins und bat um ein Hemdlein, und das fromme Mädchen dachte: »Es ist dunkle Nacht, da sieht dich niemand, du kannst wohl dein Hemd weggeben«, und zog das Hemd ab und gab es auch noch hin. Und wie es so stand und gar nichts mehr hatte, fielen auf einmal die Sterne vom Himmel, und waren lauter blanke Taler; und ob es gleich sein Hemdlein weggegeben, so hatte es ein neues an, und das war vom allerfeinsten Linnen. Da sammelte es sich die Taler hinein und war reich für sein Lebtag. Der Ausgangspunkt beider Texte ist derselbe: Ein armes Kind, zudem Waise, sucht einen Platz zum (Über)leben. Das Mädchen in den „Sterntalern“ begibt sich in die Welt hinaus (Feld) und vertraut auf Gott. Das Kind in „Woyzeck“ verlässt die Welt, da ihm Mond, Sonne und Sterne viel „freundlicher“ erscheinen, und landet wieder beim Ausgangspunkt Erde. Das Ergebnis in den „Sterntalern“: gutes Ende, Belohnung für das lautere Wesen des Mädchens. Das Ergebnis bei Büchner: Die schlimme Situation des Kindes hat sich nicht geändert, sie ist sogar – nachdem alle Hoffungsanker sich als „faul“ entpuppt haben – nun noch trostloser, weil endgültig und unveränderbar. http://www.youtube.com/watch?v=hCFtnBBVZpA&feature=related bietet (Dauer: 1,30 Stunden ) Woyzeck in einer Schüleraufführung. S. 207 Lösungen zu den Arbeitsaufgaben ad „Strickstrumpf …“ (Fokus) Frauenrolle: Häuslichkeit, stete Tätigkeit, stets berechenbares Verhalten erwünscht, dressiert auf das System Belohnung bei Wohlverhalten, Strafe bei Ausbruch aus der Rollenvorschrift, der sich die anderen Kinder autoritätshörig fügen. S. 207 Zusatzinformation: eine mögliche Erweiterung des Themas „Literatur für Kinder“ in Bezug auf die Rolle der Buben Eine solche Erweiterung in Bezug auf die gewünschte Knabenrolle und in der Kinderliteratur als solche vorgezeigte Rolle für Buben bietet z. B. der Text „Die Rettung“ aus dem Reclam-Band von Klaus-Ulrich Pech: Kinder- und Jugendliteratur vom Biedermeier bis zum Realismus. Der Tenor ist identisch: Folgsamkeit und Frömmigkeit retten aus jeder schlimmen Situation. S. 208 Lösungen zu den Arbeitsaufgaben ad „Stifter ist aktuell …“; Zusatzinformationen Bernhards Vorwürfe an Stifter: (stilistisch) fehlerhaftes und stümperhaftes Deutsch sind Behauptungen ohne argumentativen Beweischarakter Bernhards stilistische Vorlieben: Übertreibung, Wiederholung, (ironische) Pauschalierung seiner Behauptungen (keine Argumente). Ein Interview zum Film mit Kurt Palm finden Sie unter http://www.adalbertstifter.at/Palm.htm weitere Informationen zu Stifter z. B. auf http://www.adalbertstifter.at/EroeffOberplan.htm oder http://www.stifter-haus.at/. © Österreichischer Bundesverlag Schulbuch GmbH & Co. KG, Wien 2011 | www.oebv.at | Literaturräume | ISBN 978-3-209-07362-4 Alle Rechte vorbehalten. Von dieser Druckvorlage ist die Vervielfältigung für den eigenen Unterrichtsgebrauch gestattet. Autor: Johann Stangel Johann Stangel: Literaturräume Das Biedermeier und die Literatur des Vormärz S. 184 – 209 Stifters Essgewohnheiten analysiert und „nachgekocht“ finden Sie in Kurt Palms Werk „Suppe Taube Spargel sehr sehr gut“ (2. Aufl. 2005). Weitere diesbezüglicheLiteratur über/zu Stifter z. B.: Wolfgang Matz : „Adalbert Stifter oder Diese fürchterliche Wendung der Dinge“, Leopold Federmair: „Adalbert Stifter und die Freuden der Bigotterie“. S. 208 Zusatzinformation: eine mögliche Erweiterung: Stifter „aktualisiert“ (Grenzenlos) „Stifter reloaded. Ein Dutzend bunter Steine“: Unter diesem Titel setzen sich sechs österreichische und sechs tschechische Autorinnen und Autoren mit den „Bunten Steinen“ auseinander, „übersetzen“ sie in Kurzerzählungen ins 20. Jahrhundert. Der österreichische Autor Rudolf Habringer leitet seine Version von „Bergkristall“ unmissverständlich ein: „Hier wird keiner gesucht und keiner gerettet, ich wüsste nicht, wie. Der Heilige Abend ist vorbei. Spielen Kinder eine Rolle? Ja. Eines davon hat die Welt nicht gesehen. Vom Gebirge, vom Eis soll keine Rede sein, wir wohnen im Hügelland.“ Die tschechische Version von „Bergkristall“ verwandelt die Stifterschen Kinder in ein Liebespaar, das im tiefen Schneefall auf mystische Weise von einem im Eis umgekommenen Toten und mittels einer Telefonzelle, die eigentlich gar nicht vorhanden sein dürfte, gerettet wird. Die Figur des Pfarrers aus Stifters „Kalkstein“ verwandelt sich in der tschechischen Version in einen Sozialarbeiter, der sich idealistisch um Drogenabhängige kümmert. Die österreichische Version nimmt die Erzählung zum Anlass, das falsche idyllische Stifterbild zu zerstören, spricht von Stifters 452 bis 566 Liter jährlich getrunkenem Wein und lässt pädophile Neigungen Stifters anklingen. „Turmalin“ verwandelt sich bei Marlene Streeruwitz in eine Geschichte voll Komik, in der alle „Personen“, angefangen vom Kanarienvogel Hansi über die Hündin Dora ‚verschwinden’. Die tschechische Neufassung ist von den düsteren Erinnerungen einer Frau an die zwei Männer geprägt, die sie zugleich „liebte und hasste“. Der Pechbrenner aus „Granit“, der die Dörfer mit Wagenschmiere versorgt, wird zu asphaltierenden Straßenarbeitern. Mögliche Arbeitsaufgabe: Lesen Sie, am besten in Gruppen, jeweils die österreichische und die tschechische Neufassung einer der Stifter’schen „Bunten Steine“ – „Granit“, „Kalkstein“, „Turmalin“, „Bergkristall“, „Katzensilber“ und „Bergmilch“ – und präsentieren Sie den Inhalt in der Klasse. Zur Erleichterung des Vergleichs mit dem Stiftertext ist den modernen Versionen im Buch übrigens jeweils der Inhalt des Stiftertextes vorangestellt. Zusatzinformation: Ideen für Portfolio, mündliche Matura, vorwissenschaftliche Arbeit Vorschlag 1: Literarische Arbeit mit der Möglichkeit zur fächerübergreifenden Ausweitung: „Mythos Medea“: ein Vergleich über verschiedene Ausformungen des Medeastoffs. Grundlage dafür kann der Band „Mythos Medea“, hrsg. von Ludger Lütkehaus sein, mit Texten zu Medea von Euripides über Boccaccio, Sebastian Brant , Nietzsche bis Sylvia Plath, Helga Novak und Christa Wolf. Die Literaturwissenschafterin Inge Stephan bringt in ihrem Buch „Medea. Multimediale Karriere einer mythologischen Figur) eine Gesamtschau über die Gestaltung des Medea-Mythos in Literatur, Bildender Kunst und Film, insbesondere mit Schwerpunkten auf der Gestaltung des Mythos im 20. Jahrhundert und durch schreibende Frauen. Anmerkung: Literarische Längsschnitte gestatten alle Bände der „Mythos“-Reihe des ReclamVerlags, wie z. B. Mythos Prometheus, Ikarus, Abraham, Sirenen, Atlantis, Helena etc. Vorschlag 2: Literarische Arbeit: Die Themen „Schnee, Eis, Winter in der Literatur“ Hier einige unsystematische Vorschläge dazu : Peter Høeg: „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“(Kriminalgeschichte); Bernhard Gstrein: „Einer“ („Einer“ weigert sich, in der Winterkomödie für den Tourismus mitzuspielen, in der man den Gästen immer „das Weiße vom Himmel“ versprechen muss); Marion Poschmann: „Schwarzweißroman“ (Zusammenbruch der Sowjetunion, Umgang von ehemaligen deutschen und russischen Kriegsfeinden miteinander, Umweltzerstörung, die den weißen Schnee schwarz färbt …); Orhan Pamuk: „Schnee“ (Ein Fremder kommt nach Kars, eine türkische Provinzstadt, um eine Serie von Selbstmorden zu untersuchen: Junge Mädchen haben sich © Österreichischer Bundesverlag Schulbuch GmbH & Co. KG, Wien 2011 | www.oebv.at | Literaturräume | ISBN 978-3-209-07362-4 Alle Rechte vorbehalten. Von dieser Druckvorlage ist die Vervielfältigung für den eigenen Unterrichtsgebrauch gestattet. Autor: Johann Stangel Johann Stangel: Literaturräume Das Biedermeier und die Literatur des Vormärz S. 184 – 209 umgebracht, weil man sie zwang, das Kopftuch abzulegen. Keiner kann die Stadt verlassen, weil es unaufhörlich schneit…). Auch die kritische Lektüre zu verordneter Vaterlandssportbegeisterung wie Biographien von Ski-Stars (z. B. Franz Klammer: Ein Leben wie ein Roman. Aufgezeichnet von Adi Kornfeld) kann das Thema erweitern. Schließlich ist, wie der Literaturwissenschafter Klaus Zeyringer in seinem Band „Österreichische Literatur 1945 – 1988“ gezeigt hat, das Eis-Schnee-Motiv in der österreichischen Literatur der Sechziger-, Siebziger- und frühen Achtzigerjahre verblüffend oft dargestellt worden. Einige Titel dazu: Hans Lebert: Die Wolfshaut; Thomas Bernhard: Frost; Gerhard Roth: Winterreise; Bernhard Hüttenegger: Reise über das Eis; Werner Herzog: Vom Gehen im Eis; Christoph Ransmayr: Die Schrecken des Eises und der Finsternis; derselbe: Morbus Kitahara. Vorschlag 3: Literarische Arbeit: „Die USA in der modernen österreichischen Literatur" – ein Vergleich einiger Texte nach Inhalt, Stil, Absicht, Entstehungsbedingungen; Textvorschläge in der Folge: Charles Sealsfield war der erste Österreicher, der über die USA schrieb, danach gab es in der österreichischen Literatur nur wenig literarische Auseinandersetzung mit diesem Land. In letzter Zeit allerdings zeigt sich ein hohes literarisches Interesse an den USA. Hier eine Auswahl von Autorinnen und Autoren der letzten Jahre, die sich mit diesem Land befassen, es zum Schauplatz der Handlung machen oder die Sehnsucht der Protagonisten nach dem ‚gelobten Land’ zum Gegenstand haben: Josef Haslinger („Das Elend Amerikas“ und „Das Vaterspiel“), Christine Haidegger („Amerikanische Verwunderung“), Reinhard P. Gruber („Einmal Amerika und zurück“), Peter Handke („Langsame Heimkehr“) Waltraud Anna Mitgutsch („In fremden Städten“), Peter Henisch („Vom Wunsch, Indianer zu werden“ und „Schwarzer Peter“), Michael Scharang („Auf nach Amerika“ und „Das jüngste Gericht des Michelangelo Spatz“), Peter Stephan Jungk („Der König von Amerika“), Martin Kubaczek („Amerika“), Marlene Streeruwitz („Nachwelt“), Sabine Scholl („Sehnsucht nach Manhattan“). Test-Vorschlag zur Sicherung des Unterrichtsertrages Fragen Punkte Fassen Sie die politische Situation der Zeit stichwortartig zusammen. Erläutern Sie den Begriff „Biedermeier“ (Herkunft, Veränderung der Bedeutung). Aus welchen Gründen ist das Biedermeier gerade in Österreich von so starker Bedeutung? Welche literarische Strömung der Zeit steht im Gegensatz zum Biedermeier? Erklären Sie, was Stifter mit dem „Sanften Gesetz“ ausdrücken möchte. Welche österreichischen Autoren bestimmen die Dramenliteratur des Biedermeier? Zu welcher Trilogie gehört Grillparzers Drama „Medea“? 4 3 © Österreichischer Bundesverlag Schulbuch GmbH & Co. KG, Wien 2011 | www.oebv.at | Literaturräume | ISBN 978-3-209-07362-4 Alle Rechte vorbehalten. Von dieser Druckvorlage ist die Vervielfältigung für den eigenen Unterrichtsgebrauch gestattet. Autor: Johann Stangel 2 2 3 3+ 2 Johann Stangel: Literaturräume Das Biedermeier und die Literatur des Vormärz S. 184 – 209 Beschreiben Sie Medeas ausweglose Situation in Grillparzers Drama. 4 Aus welchem Drama stammt das berühmte „Hobellied“? 2 Welches Land trifft erstmals in hohem Maße auf literarisches Interesse? 2 Welche österreichischen Autoren sind in diesem Zusammenhang wichtig? 2 Was ist das Thema der Novelle „Die Judenbuche“? 3 Wogegen wendet sich die Literatur des „Vormärz“? 3 Welcher (klassische) Dichter ist die Zielscheibe der Kritik der Vormärz-Autoren? 2 Welcher Autor „zerstört“ in seiner Lyrik romantische Erwartungen des Lesepublikums? 2 Welche Personen wirken zerstörerisch auf Woyzeck in Büchners Drama ein, welche Person fällt Woyzecks ausweglos scheinender Verzweiflung zum Opfer? 3 Fassen Sie das „Antimärchen“ aus „Woyzeck“ zusammen. 3 Was ist der Zweck der Biedermeier-Jugendliteratur? 3 Bewertungsvorschlag: 48-44: sehr gut; 43-38: gut; 37-31: befriedigend; 30-25: genügen © Österreichischer Bundesverlag Schulbuch GmbH & Co. KG, Wien 2011 | www.oebv.at | Literaturräume | ISBN 978-3-209-07362-4 Alle Rechte vorbehalten. Von dieser Druckvorlage ist die Vervielfältigung für den eigenen Unterrichtsgebrauch gestattet. Autor: Johann Stangel