7.1 Vorbote der Revolutionen: Die Entstehung der Vereinigten

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7.1 Vorbote der Revolutionen: Die Entstehung der Vereinigten
Zwischen Revolution und Restauration: Europa von 1789 bis zur Mitte des 19. Jh.
7.1 Vorbote der Revolutionen: Die Entstehung
der Vereinigten Staaten von Amerika
Nordamerika im 18. Jh.
In Nordamerika hatten vor allem die Briten und Franzosen Kolonien. Durch den Sieg
der Briten über die Franzosen im Siebenjährigen Krieg (1756–1763) fielen die französischen Kolonien an Großbritannien. Die Kolonien an der Ostküste waren für das
Mutterland England ein billiger Rohstofflieferant, der gleichzeitig englische Waren
abnehmen musste. Im englischen Parlament hatten die Kolonisten keine Vertretung,
sie mussten aber wie die Bürger in England Steuern zahlen. Als England auf seiner 1773
Teesteuer beharrte, stürmten als „Indianer“ verkleidete Kolonisten drei mit Tee beladene Schiffe im Hafen von Boston und versenkten die Ladung („Boston Tea Party“).
Die englische Krone reagierte auf die Ereignisse in Boston mit einer harten Strafaktion;
daraufhin begannen die 13 englischen Kolonien mit französischer und preußischer
Unterstützung einen Freiheitskampf (1775–1783). George Washington, der spätere
erste Präsident des neuen Staates, führte diesen Unabhängigkeitskrieg an. Am 12.
Juni 1776 veröffentlichte Thomas Jefferson eine Erklärung der Menschenrechte. 1776
Die Forderungen der Aufklärung wurden erstmals in die Tat umgesetzt: z. B. Freiheit
und Gleichheit aller Menschen, Gewaltenteilung, freie Wahlen (der freien männlichen Bürger), freie Religionsausübung. Am 4. Juli 1776 erklärten die 13 Kolonien als
Vereinigte Staaten von Amerika ihre Unabhängigkeit von England. 1783 musste 1783
England nach acht Jahren des Kampfes die Unabhängigkeit anerkennen.
Die amerikanische Verfassung
1787 wurde die amerikanische Verfassung fertig gestellt. Sie ist die älteste Verfassung,
die bis heute Gültigkeit besitzt. Ihr wichtigstes Element ist die Gewaltenteilung. Die
gesetzgebende Gewalt liegt beim amerikanischen Kongress, einem Parlament aus zwei
Kammern. Im Senat ist jeder Bundesstaat mit je zwei Abgeordneten vertreten, die
allerdings erst seit 1913 direkt vom Volk nach dem Mehrheitswahlrecht gewählt werden; zuvor wurden sie von den Bundesstaaten entsandt. Im Repräsentantenhaus sind
ebenfalls Abgeordnete aus allen Bundesstaaten tätig, deren Zahl sich nach der Größe
der Einwohnerschaft des Bundesstaats richtet. Parteipolitisch bildeten sich in den USA
zwei große Blöcke, die konservativen Republikaner und die Demokraten, die Züge
einer liberalen bzw. sozialdemokratischen Partei tragen.
Die ausführende Gewalt liegt beim Präsidenten. Dieser wird alle vier Jahre neu gewählt, wobei die stimmberechtigten BürgerInnen nach dem Mehrheitsprinzip Wahlmänner wählen. Diese erst wählen den Präsidenten. Er ist das Staatsoberhaupt und befehligt die Streitkräfte. Die richterliche Gewalt hat das
Oberste Bundesgericht inne, das aus neun auf Lebenszeit ernannten
Richtern besteht. Es wacht über die Verfassungsmäßigkeit der Gesetze
des Bundes (Gesamtstaates) und der einzelnen Bundesstaaten. Die drei
Gewalten kontrollieren sich gegenseitig: Der Präsident kann in seinen
Entscheidungen den Kongress nicht übergehen, da dieser die Gesetze
erlässt. Gegenüber den Gesetzen hat er nur ein aufschiebendes Veto → G,
d. h. er kann Gesetze nur für eine bestimmte Zeit blockieren. Die Gesetze
des Kongresses wiederum werden durch das Oberste Bundesgericht geprüft. Die Vereinigten Staaten von Amerika sind ein föderalistischer → G Bund von
eigentlich unabhängigen Staaten. Jeder Bundesstaat hat eine eigene Verfassung und
ist für einen Großteil der Gesetze selbst zuständig. Dadurch ergeben sich oft beträchtliche Unterschiede in der Rechtslage.
• Warum griffen die Franzosen aktiv auf der Seite der Kolonisten in den Krieg ein?
• Nenne Unterschiede zwischen der Funktion des amerikanischen Präsidenten und
des österreichischen Bundespräsidenten.
Französische Kolonien in
Nordamerika
Auch nach dem Siebenjährigen Krieg blieb der französische Einfluss in Nordamerika bestehen: Bis heute
spricht man in der ostkanadischen Provinz Québec
mehrheitlich Französisch.
Die Namen Louisiana (von
franz. Louis = Ludwig) und
New Orleans (Neu Orléans)
mit seiner Bourbon Street
(benannt nach den Bourbonen) lassen noch ihre
französischen Wurzeln erkennen.
Mehrheitswahlrecht
Das ganze Land ist in Wahlkreise mit ähnlich vielen
Einwohnern eingeteilt. In
jedem Wahlkreis wird ein
Abgeordneter gewählt. Die
an Stimmen stärkste Partei bekommt das Mandat,
während alle anderen Parteien leer ausgehen. Das
Mehrheitswahlrecht
hat
den Vorteil, klare Mehrheiten zu schaffen, jedoch
den Nachteil, dass Mittelund Kleinparteien keinerlei
Chancen haben.
Das Kapitol in Washington
Das ab 1793 erbaute Gebäude beherbergt die Arbeitsräume der beiden Kammern des
Kongresses (Senat und Repräsentantenhaus). Seit 1801
werden die amerikanischen
Präsidenten im Kapitol, seit
1829 auf den Stufen davor
vereidigt.
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Zwischen Revolution und Restauration: Europa von 1789 bis zur Mitte des 19. Jh.
Restauration und Solidarität in Europa
Die Freiheit führt die Bürger auf
die Barrikaden (Gemälde von
Eugène Delacroix, 1830)
Die Freiheit ist als Frau mit
der französischen Tricolore
personifiziert.
Polen 1830
Die Polen forderten 1830
jene Autonomie (regionale
Selbstbestimmung) ein, die
ihnen am Wiener Kongress
zugesichert worden war.
Der polnische Aufstand
blieb aber erfolglos, zahlreiche Polen emigrierten
ins Ausland, besonders
nach Frankreich; unter ihnen befand sich etwa auch
der Pianist und Komponist
Fryderyk (Frédéric) Chopin
(1810–1849).
Zur Geschichte Lateinamerikas im 19. Jh. vgl. auch
S. 199.
Metternich und seine Gesinnungsgenossen in Europa hatten auf dem Wiener Kongress eine Ordnung verwirklicht, die
den Wunsch der Bürger nach persönlichen Freiheiten völlig
vernachlässigte. Zudem änderten sich auch die schlechten
Lebensverhältnisse der Unterschichten nicht. Die Herrschenden waren sich daher bewusst, dass sich ein derartiges System
nur mit Geheimpolizei und Spitzelwesen erhalten konnte
– und selbst das nur, wenn die Mächte einander gegenseitige
Unterstützung beim Kampf gegen revolutionäre Bewegungen
versicherten.
1815 gründeten der Kaiser von Österreich, Franz I., der König
von Preußen, Friedrich Wilhelm III., und der Zar von Russland, Alexander I., die „Heilige Allianz“. Sie sahen sich als die
Schutzherren der drei wichtigsten christlichen Glaubensrichtungen: der katholischen, protestantisch-lutherischen und orthodoxen Kirche.
1830
Revolutionäre Strömungen – das Jahr 1830
In vielen Staaten des 19. Jh. lebten mehrere Völker unter einer Herrschaft zusammen.
Besonders diejenigen unter ihnen, die benachteiligt waren, forderten immer stärker
Freiheit und Selbstbestimmung. Die europäischen Großmächte hatten aber zu unterschiedliche Interessen, um diese Bewegungen gemeinsam zu unterdrücken. Als 1821
in Griechenland ein Freiheitskampf gegen die osmanische Oberhoheit begann,
waren die europäischen Mächte zerrissen: Sollten sie das Streben nach nationaler
Unabhängigkeit im Sinne der Heiligen Allianz unterbinden oder ihren Sympathien
für das „Mutterland der europäischen Kultur“ freien Lauf lassen? Schließlich konnten
sich die Griechen, unterstützt von Russland und zahlreichen Freiwilligen aus ganz
Europa, durchsetzen. Ebenso entstanden in den 1820er-Jahren Unabhängigkeitsbewegungen in zahlreichen spanischen und portugiesischen Kolonien Lateinamerikas, die schließlich zur Gründung von unabhängigen Republiken und Monarchien
führten.
Im Jahr 1830 hatten Missernten erneut Hungersnöte unter der französischen Bevölkerung ausgelöst. Im Juli 1830 wurde der ungeliebte Bourbone Karl X. abgesetzt und
durch „Bürgerkönig“ Louis Philippe ersetzt, der dem Parlament und den Bürgern
wohlgesinnt war. Auch in Belgien brachen Aufstände gegen die niederländische
Oberhoheit aus. Durch die lange Bindung an die Habsburger war Belgien ein durchwegs katholisches Land geblieben und sagte sich nun vom protestantisch dominierten Königreich der Niederlande los. In mehreren deutschen Ländern, etwa in Hessen,
Sachsen und Hannover, erzwangen die Revolutionäre die Einführung einer Verfassung. In Polen richtete sich der Widerstand erfolglos gegen den russischen Zaren.
Der Vormärz
Nach den Revolutionen von 1830 verstärkte Staatskanzler Metternich den Druck auf
die Opposition in Österreich. Als im Jahr 1835 schließlich Kaiser Franz I. starb, folgte
ihm der kranke und kaum regierungsfähige Ferdinand I. auf dem Thron. Nun schien
Metternich der alleinige Regent zu sein. Als Mitglied der „Geheimen Staatskonferenz“,
des engsten Beraterstabs des Kaisers, gelang es ihm, die Innen- und Außenpolitik der
Habsburgermonarchie zu lenken. Es war aber nur noch eine Frage der Zeit, bis sich der
1848 aufgestaute Hass gegen das System Metternich entladen sollte. Diese Jahre vor der
Revolution in Wien im März 1848 werden als „Vormärz“ bezeichnet.
Kaiser Ferdinand I. „der
Gütige“ (Gemälde von Anton
Einsle, 1842)
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• Vollziehe die Bestimmungen des Wiener Kongresses nach: Vergleiche hierfür die
Landkarte Europas von 1812 (S. 116) mit der von 1815 (S. 117)!
• Analysiere das Gemälde von Delacroix: Wie wird hier versucht, den revolutionären
Geist von 1789 auferstehen zu lassen?
MATERIALIEN
Die Neuordnung Europas am Wiener Kongress
Zwischen Revolution und Restauration: Europa von 1789 bis zur Mitte des 19. Jh.
Das System Metternich aus der Perspektive eines „Auslandsösterreichers“
Der Österreicher Karl Anton Postl (1793–1864) floh
im Jahr 1823 aus politischen Gründen zunächst in die
Schweiz und dann in die USA und verfasste unter dem
Pseudonym Charles Sealsfield zahlreiche politische Analysen und Reiseberichte.
Über die Aufsicht des Staates über die Kirche
„Der Abt [von Klosterneuburg] wird in Gegenwart
eines kaiserlichen Kommissärs erwählt, mit dem
Ringe beteilt und derart in seine Würde eingeführt.
Er untersteht dem Fürsterzbischof von Wien und
der kaiserlichen Regierung. ... Die Bischöfe werden
vom Kaiser ernannt, ohne dessen Erlaubnis keine
päpstliche Bulle1 im Lande veröffentlicht werden
darf. Sie unterstehen nicht nur den Statthaltern,
sondern auch den Kreishauptleuten, welche Einfluss
auf die Angelegenheiten der Klöster nehmen. Die
Ausbildung der Theologen ruht in den Händen der
Bischöfe wird aber von der kaiserlichen Regierung
überwacht. Diese behält sich auch das Recht vor, in
außergewöhnlichen Fällen besondere Gottesdienste und Prozessionen anzuordnen. Auf diese Weise
ist die Geistlichkeit in Österreich eigentlich in ihrer
Macht beschränkter als in jedem anderen Lande. “
Geheimpolizei und Spitzelwesen unter Kaiser Franz I.
„Franz wird immer als bloßes Werkzeug in Metternichs Händen betrachtet. Dies ist unrichtig.
Zwischen dem Monarchen und dem Staatskanzler
herrscht vollständige Übereinstimmung der Gesinnung und Ansichten. Der Kaiser hat in Metternich
den Mann nach seinem Herzen erwählt, deshalb findet er an seinen Vorschlägen Wohlgefallen und führt
sie aus. Das schmähliche Erzeugnis eines schlechten
Gewissens, die Geheimpolizei, liegt ausschließlich
in seinen Händen. Franz ist ihr oberster Chef und die
Geheimpolizei liefert einen großen Teil der schweren
Arbeitslast des Kaisers. ... Dieser Nachrichtendienst
umspannt das ganze Kaiserreich. Er reicht in die Hütte des Bauern, in die Wohnung des Bürgers, in die
Gaststube des Wirtes und in das Schloss des Adeligen.
Kein Ort ist vor den Horchern des Kaisers sicher, der
eine regelrechte Liste aller Beamten, Offiziere, Geistlichen und sonstigen Würdenträger, vom Statthalter
bis zum Schreiber führt und darin von einem ausgezeichneten Gedächtnis unterstützt wird. Aufgrund
dieser Geheimakten erfolgen die Beamtenernennungen. Anhänglichkeit an die kaiserliche Person ist das
erste, was Franz fordert, und die Ernennungsdekrete
sind auch dementsprechend stilisiert: ‚In Anbetracht
seiner aufrichtigen Ergebenheit an Unsere Kaiserliche Person wird X. zum ... ernannt.’“.
(Charles Sealsfield, Austria as it is, London 1828, Nachdruck der deutschen Ausgabe, Wien 1919, S. 97 f. und S.
126 f., leicht gekürzt)
1) päpstliche Urkunde, die mit einem Bleisiegel (Bulle) besiegelt ist;
im Konkreten auch eine spezielle Form päpstlicher Urkunden
• Vergleiche die beiden Texte: Welches Bild lässt Charles Sealsfield von Österreich und den Österreichern im
Zeitalter Kaiser Franz I. und Fürst Metternich entstehen? Beachte: Der Autor wanderte erst fünf Jahre vor
der Niederschrift dieser Texte aus politischen Gründen aus Österreich aus!
Die Gebietsaufteilungen auf dem Wiener Kongress
Die Verhandlungen in Wien wurden von Kritikern
als reines „Planspiel“ angesehen, bei dem Länder
einfach hin- und hergeschoben wurden. Die Vertreter Frankreichs wurden auf den Wiener Kongress als
gleichrangige Verhandlungspartner anerkannt. Es
war das letzte Mal, dass Sieger und Besiegte gleichrangig an einem Tisch saßen: Denn bei allen späteren großen Friedensschlüssen mussten die Verlierer
die von den Siegern diktierten Bedingungen akzeptieren.
kolorierte Karikatur, 1815
• Welches Bild vermittelt die Karikatur von der Großmachtpolitik am Wiener Kongress? Begründe deine
Meinung!
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Zwischen Revolution und Restauration: Europa von 1789 bis zur Mitte des 19. Jh.
7.6 Das Biedermeier
Biedermeier:
benannt nach der Hauptperson einer 1857 erschienenen Satire von Ludwig
Eichbrodt; der Schulmeister Gottlieb Biedermeier
wurde zum Inbegriff eines
biederen,
bescheidenen
Spießbürgers.
Feiner Biedermeiersalon (Wien,
Geymüllerschlössel, nach 1808)
Biedermeier – Unpolitische Unterhaltung
In der Zeit zwischen dem Wiener Kongress und der Revolution von 1848 verhinderte im
Kaisertum Österreich ein allumspannendes Spitzelsystem, dass die BürgerInnen offen
politisch Stellung beziehen konnten. Die Politik von Kaiser Franz I. und Staatskanzler
Metternich zielte darauf ab, gefügige, unpolitische, aber gegenüber der Staatsführung
loyale Staatsbürger heranzuziehen. Unter diesen Umständen gingen nur wenige auf
Konfrontation mit dem Regime. Besonders in den besser gestellten Schichten fügten
sich viele BürgerInnen in dieses vom Staat vorgegebene Korsett und entwickelten im
Familienkreis eine Kultur, die rückblickend als Biedermeier bezeichnet wurde. Mit dem
Biedermeier ging auch eine verträumte Rückbesinnung auf vergangene Zeiten einher,
die Romantik: Man entdeckte die Schönheit mittelalterlicher Burgruinen in der
Landschaft und beschäftigte sich mit der Erforschung des Mittelalters.
Die bürgerliche Gesellschaft des Biedermeier vergnügte sich nicht mehr im Stile
des Adels, sondern übte sich in mehr Bescheidenheit. Besonders in der Residenzstadt Wien waren Tanzveranstaltungen sehr populär; die erste Hochblüte des Wiener Walzers mit Johann Strauß (Vater) und Joseph Lanner fällt in diese Zeit. Mit
der Entdeckung der Natur als idyllischem Ort kamen auch Ausflüge ins Grüne in
Mode: So fuhr man mit der Eisenbahn von Wien in die Kurstadt Baden oder in den
Wienerwald.
Auch das Theater stellte auf den ersten Blick ein unpolitisches Vergnügen dar. Die
Stücke spielten in der Sagenwelt oder im kleinbürgerlichen Milieu. Staatliche Überwachungsbehörden und verdeckte Polizeispitzel achteten darauf, dass keinerlei
regimekritische Äußerungen über die Bühne unters Volk gebracht wurden. Schriftsteller wie Ferdinand Raimund oder Johann Nestroy umgingen diese Zensur, indem sie
selbst als Schauspieler aus dem Stegreif kleine Seitenhiebe auf die Regierung austeilten.
Das Haus als Kulturzentrum und „Rückzugsgebiet“
Johann Baptist Reiter (1813–
1890): Familienbild Schegar
(Ölgemälde, 1842, Linz)
Das typisch biedermeierliche Familienbild spiegelt
die Lebensverhältnisse einer
kleinen bürgerlichen Oberschicht wider.
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Die Kunst fand auch in den häuslichen Bereich Eingang: Wertvolles Mobiliar, später als
Biedermeiermöbel bezeichnet, stand in den Salons der bürgerlichen Gesellschaft.
Kleinformatige Bilder mit Familienporträts oder Szenen aus dem Alltag waren sehr
beliebt. Sie alle vermittelten den Eindruck einer realitätsfernen heilen Welt.
Das Haus war auch ein beliebter Ort für Musikdarbietungen und Dichterlesungen: Berühmt wurden etwa die Liederabende von Franz Schubert (1797–1828) im
Kreise kleinerer Gesellschaften. Die Lieder und Gedichte handelten von sorgloser
Idylle und von Natur; Politik blieb ausgespart. Die Verfasser kritischer Literatur
wurden hingegen genauestens beobachtet und wichen daher häufig ins Exil aus.
Mit dem Rückzug in das eigene Heim entstand auch ein neues Familienideal
in den bürgerlichen Kreisen: die Vater-Mutter-Kind-Familie. Der Vater war erwerbstätig, etwa als biederer, verlässlicher Beamter, während sich die Mutter zu
Hause um die Erziehung der Kinder zu sorgen hatte. Bis heute wirkt dieses Bild
einer „Idealfamilie“ fort.
Freilich sah die Realität während des 19. Jh. und auch zuvor anders aus: Zumeist
wohnten drei Generationen unter einem Dach; auch die unverheirateten Geschwister lebten in einer Gemeinschaft mit der Großfamilie. Im bäuerlichen Milieu und in der neu entstandenen Arbeiterschaft war es dringend notwendig, dass
neben dem Vater auch die Mutter und Kinder am Hof mithalfen bzw. einer Lohnarbeit nachgingen, oft unter menschenunwürdigen Bedingungen.
• Charakterisiere den Begriff ‚Biedermeier’ in Stichworten!
• Welche Bereiche umfasste die Kultur des Biedermeier?
• Betrachte das Bild des Biedermeiersalons: Welche Möbelstücke sind hier zu sehen? Welche Funktion haben diese? Vergleiche den Salon mit einem modernen Wohnzimmer!