Gran Canaria turbulent

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Gran Canaria turbulent
Reiseinformationen Spanien
Gran Canaria turbulent
Karneval mit Niggeligkeiten - von Udo Haafke
„Dort drüben liegt Venezuela,“ feixt Maria Lezcano ihrer Reisegruppe
munter zu. Aber das sieht doch aus wie der Teide, der höchste Berg
Spaniens und mächtiger Vulkan auf Teneriffa, kommt es als murmelnde
Reaktion aus den Reihen der Touristen. Trotz leichten Dunstes sind hier,
vom Roque Nublo aus, die Konturen der größten Insel des
Kanarenarchipels recht gut am Horizont zu erkennen. „Si, das stimmt
schon,“ lächelt Maria, „aber für uns Canarios zählt das nicht.“
Und dann berichtet sie von den kleinen, aber gut gepflegten
Feindschaften, Nickeligkeiten und Dissonanzen zwischen den beiden
Inseln. Diese gründen auf historischen Streitereien in Hauptstadt- und
Regierungsfragen sowie auf Meinungsverschiedenheiten und
Kompetenzgerangel gegenüber dem Mutterland Spanien, welches gute
zwei Flugstunden entfernt ist und der Region eine gewisse
Unabhängigkeit beschert. Marias Hinweis auf Venezuela indes bezieht
sich auf das nächste Festland in westlicher Richtung, welches man nach
Querung des Atlantik erreichen würde, doch wer, so Maria, verlässt
schon freiwillig Gran Canaria?.
„Wir machen alles anders als Teneriffa, oder wir versuchen es zumindest, denn wir sind stolze Canarios.“ Besonders offensichtlich für
Außenstehende werden diese Unterschiede in der fünften Jahreszeit,
dem Karneval. Einig sind sich beide darin, dass sie fröhlich und ausgelassen feiern und die Karnevalszeit möglichst lange hinauszögern,
indem jedes noch so kleine Dorf seine Umzüge zelebriert und dieses
nicht etwa zeitgleich zu einem anderen. So zieht sich der
Straßenkarneval leicht über mehrere Wochen.
Die zentralen Veranstaltungen finden jedoch in der Hauptstadt Las
Palmas statt. Dies beginnt mit der Wahl der Karnevalskönigin.
Farbenprächtige und fantasievolle, mithin jedoch sehr gewichtige
Kostüme, machen diese Aufgabe für die jungen Frauen nicht nur
anspruchsvoll, sondern auch sehr anstrengend. Zumal die
Bestplatzierten an den meisten Umzügen teilnehmen müssen. Hier
enden dann aber fast schon die Gemeinsamkeiten zu Teneriffa, das
sehr stark am brasilianischen Karneval orientiert ist.
Spektakulär geht es zu im Parque Santa Catalina, wenn die Gala und
die Wahl einer etwas anderen Königin, nämlich der Drag-Queen,
ansteht. Die eigens dafür eingerichtete Arena ist bis auf den letzten
Platz gefüllt. Es herrscht eine ausnehmend ausgelassene Stimmung
schon lange bevor der erste Auftritt auf der grellbunten Bühne beginnt.
Bunt, fröhlich, ausgelassen
Gran Canaria mit Blick auf Teneriffa
Silberpracht beim Umzug
Römischer Kopfschmuck
Im Scheinwerferlicht
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Karneval mit Niggeligkeiten - von Udo Haafke
Schlager und Hymnen werden skandiert, Schlachtgesänge intoniert,
Fähnchen und neonbunte Bänder geschwenkt. Ein Moderator preist mit
gewichtigen Worten die nun folgende Show, die sich prinzipiell leicht
zusammen fassen lässt: einer oder mehrere Transvestiten in aufwändigen Kostümierungen bieten eine zumeist erotisch angehauchte
Tanzdarbietung, während selbiger sich der Hauptakteur bis auf ein winziges Stück Glitzerstoff entkleidet. Doch wie so oft ist auch hier der Weg
das Ziel.
Die Bühnenshows übertreffen einander an fantastischen Einfällen, seien
es nun Lichteffekte, die hervorragend und innovativ inszenierten
Tanzdarbietungen der jungen Frauen und Männer oder die untermalende, rhythmusstarke Musik, die leider des öfteren in punkto
Lautstärke die Schmerzgrenze etwas übersteigt. Das Dröhnen der Bässe
überträgt sich bis hinauf in die hintersten Sitzreihen, die in heftige
Vibration geraten. Als halsbrecherisch muss man das Schuhwerk
Erotische Fiktionen
Show-Highlights
bezeichnen, welches die Drag-Queens an ihren glattrasierten, glänzenden Beinen und Füßen tragen. Monströse, hochhackige Stilettos mit
Plateausohlen, auf welche die Herren Künstler wohl mittels Leiter aufgestiegen zu sein scheinen. Dennoch bewegen sie sich schnell, sicher und
mit einer beinahe graziösen Eleganz über das mittlerweile schweißnasse Bühnenparkett. Eine Jury aus TV-Stars und lokalen Größen bewertet
anschließend jede einzelne Show nach Choreografie, Kreativität und
Ausstrahlung.
In der Bewertungspause heizen lateinamerikanische Bands und
Gesangskünstler die sowieso schon brodelnde Atmosphäre noch
zusätzlich auf, die sich dann im großen Finale, in welchem alle Akteure
noch einmal auf der Bühne ihren Emotionen freien Lauf lassen dürfen,
mit einem standesgemäßen Feuerwerk entlädt. Wer eigentlich den
Contest gewonnen hat, das interessiert so recht niemanden mehr. Man
feiert gut gelaunt und beschwingt von den eingängigen Rhythmen eine
riesige Party, die sich nun in die Straßen und Gassen ringsum verlagert
bis der Lärm dann erst in den frühen Morgenstunden des nächsten
Tages abebbt.
Am späten Nachmittag des Karnevalssonntag dann der Höhepunkt der
Session, der “Corso“, der große Umzug, die große Parade durch die
Stadt. Schon früh sind die ersten Kostümierten zu sehen. Sie schlendern
gemütlich über den Stadtstrand Las Canteras, unbekümmert hindurch
zwischen den Sonnenanbetern. Sie singen und lachen und haben
offenkundig großen Spaß.
Drag-Queen-Show - flatterhaft
Goldgekränzt
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Karneval mit Niggeligkeiten - von Udo Haafke
Auch viele Kinder tragen bereits Masken, bunte Perücken, das Outfit
ihrer Lieblingsfiguren aus Cartoons und Comics. Fröhlich und unbekümmert lärmend ziehen sie in die Richtung des Startplatzes des
Umzugs, um sich dann am Straßenrand aufzustellen und dem Beginn
aufgeregt entgegen zu fiebern. Daneben ganze Familien in einheitlicher Verkleidung, aber auch Schaulustige mit eher dezenter Pappnase
oder buntem Hütchen maskiert.
Als der Umzug endlich beginnt, sich schwerfällig in Bewegung setzt,
brandet Jubel auf in den inzwischen gut gefüllten Zuschauerreihen
längs der gut 7 Kilometer langen Zugstrecke. An der Spitze des Corso
fahren die Wagen der Karnevalskönigin und ihrer Gefolgschaft, dahinter reihen sich Tanz- und Musikgruppen (Mursas und Comparsas) ein,
die mit ihrem Spiel einen angenehmen, südamerikanisch anmutenden
Kontrast bilden zu den Technosounds, die auf den Motivwagen vorherrschen. Diese sind fast ausnahmslos Party-LKWs beladen mit fröhlich
grölenden, tanzenden und feiernden Teilnehmern. Quietschsüße
Bonbons werden in die Menge geworfen, Dosen mit allerlei undefinierbarem flüssigen Inhalt hinab gereicht. Schwallartig regnen
Konfettiwolken ins Publikum. Nur im Schneckentempo geht es voran,
da sich immer wieder aus Nebengassen neue Gruppen einfügen und
eine wirkliche Bewegung der Parade kaum auszumachen ist. Männer in
Frauenkleidern, Frauen im Männeroutfit, erlaubt ist, was gefällt und sei
es noch so grotesk oder kurios. Vielleicht liegt diese besondere
Ausgelassenheit daran, dass die seit dem 16.Jahrhundert gepflegte
Tradition gar zu häufig verboten war, weil es den jeweiligen Herrschern
missfiel Spottgesänge und Satiren über sich selbst ertragen zu müssen.
Auch unter Franco, also bis ins Jahr 1975, war Karneval und das
Tragen von Masken nicht erlaubt.
Schließlich, der letzte Wagen ist nun ins Rollen gekommen, bricht die
Dämmerung herein, eine kühle Brise weht vom Meer herüber. Doch es
frösteln nur diejenigen, die sich nicht zu den Klängen der Musik
bewegen. Und dies scheint schwierig genug angesichts der übermächtigen Geräuschkulisse aus eingängigen Melodien, stampfenden Bässen
und rhythmischen Gesängen. Viele Zuschauer begleiten die Parade
nun, laufen nebenher, um vielleicht noch mehr der kleinen Präsente
und des Naschwerks zu erhalten. Das fröhliche Chaos hält bis tief in
die Nacht hinein an, während versprengte Karnevalisten auch im
Morgengrauen noch die Strandpromenade bevölkern. Ungläubig starren sie auf die Jogger und Frühsportler, die bereits munter auf dem
feuchten Sand ihre Runden drehen und ihre Streck- und Dehnübungen
absolvieren. Und sie bestaunen den Regenbogen, der sich über die
ganze Bucht hinweg zieht, fast bis nach Venezuela.
Drag Queen-Show - skuriler Kopfschmuck
Arrangement in Weiß
Kinder-Prinzessin mit schwarem “Mann”
Information:
Turespaña Düsseldorf B Spanisches Fremdenverkehrsamt,
Grafenberger Allee 100, 40237 Düsseldorf, web: www.spain.info
www.grancanaria.com
Anreise: individuell am einfachsten mit Flügen der IBERIA von allen
größeren deutschen Flughäfen.
Unterkunft: zahlreiche Hotels, Ferienwohnungen und Apartments stehen in der Hauptstadt zur Auswahl und liegen in geringer Entfernung
zum Karnevalsgeschehen.
Empfehlenswert, weil direkt an der Strandpromenade gelegen, das
Hotel Reina Isabel.
www.bullhotels.com/de/reinaisabel/
Schmetterling-Blumen-Kostüm