S t e l l u n g n a h m e der LAG Autonomer Frauenhäuser NRW e. V

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S t e l l u n g n a h m e der LAG Autonomer Frauenhäuser NRW e. V
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STELLUNGNAHME
16/4002
A03, A14, A09
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S t e l l u n g n a h m e der LAG Autonomer Frauenhäuser NRW e. V.
zum Sachverständigengespräch im
Ausschuss für Frauen, Gleichstellung und Emanzipation
am 29.Juni 2016 im Landtag Nordrhein-Westfalen
"Opfer nicht aus dem Blick verlieren - Täter ermitteln und bestrafen"
Männergewalt gegen Frauen- warum "Nein" in Deutschland auch nach der Silvesternacht
2015 noch lange nicht "Nein" heißt!
In der Silvesternacht 2015 waren viele Frauen sexualisierter Gewalt ausgesetzt.
Stellvertretend für die Übergriffe in anderen Städten, an öffentlichen Plätzen und in
privaten Räumen wurden seitdem die Gewalttaten in Köln zum Symbol für sexualisierte
Gewalt überhaupt. Sexualisierte Gewalt hat in Deutschland jedoch, unabhängig von
diesem Tatzeitpunkt, ein enormes Ausmaß. Jede 7. Frau in Deutschland hat laut aktueller
Studien strafbare! Formen sexualisierter Gewalt erlebt. Diese Übergriffe können
gravierende Auswirkungen für die betroffenen Frauen haben. Sexualisierte Gewalt ist
immer auch ein Angriff auf die körperliche und seelische Integrität jeder einzelnen
betroffenen Frau. Sie kann - neben den direkten körperlichen Verletzungen - das
Vertrauen in andere und das Selbstvertrauen massiv schädigen, das Sicherheitsgefühl
verringern, Ängste erzeugen und sie kann die Betroffenen langfristig psychisch belasten.
Zugleich ist jeder sexualisierte Übergriff eines Mannes gegen eine Frau ein Angriff auf das
Frausein an sich.
Während die Situation der Frauen im politischen Diskurs kaum wahrgenommen wird, steht
die Herkunft der Täter im Mittelpunkt der Debatte in Politik und Medien. Dabei ist es
unlauter, die Vorkommnisse in Köln und anderswo in Zusammenhang mit der deutschen
Flüchtlingspolitik zu diskutieren. Die größte Übereinstimmung der Täter sexualisierter
Gewalt liegt nicht in ihrer nationalen oder religiösen Herkunft, sondern in der Tatsache,
dass sie Männer sind und die größte Anzahl von (sexualisierter) Gewalt gegen Frauen
erfolgt nicht im öffentlichen Raum, sondern im sozialen Nahraum, also in der Familie, in
der Beziehung, im Ehebett. Sexualisierte Gewalt ist ein Hauptsymptom für die
Ungleichheit von Männern und Frauen. Es geht nicht um kulturelle oder religiöse
Differenzen, sondern um patriachale Strukturen.
Sexualisierte Gewalt ist nach wie vor ein schwerwiegendes gesellschaftliches Problem.
Sexualisierte Gewalt gegen Frauen findet im öffentlichen und privaten Raum, am
Arbeitsplatz und in Wohnheimen statt. Gewalt gegen Frauen wird auf unterschiedlichste
Art und Weise ausgeübt, es entstehen neue Gewaltformen, so ist beispielsweise
Cybergewalt eine Anwendungsart, die in den letzter Zeit massiv zugenommen hat. Mit der
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Verabredung zum sexuellen Übergriff im öffentlichen Raum ist nun eine weitere
Anwendungsart ins öffentliche Bewusstsein gerückt.
Nur die wenigsten Vergewaltigungen werden durch die Betroffenen angezeigt. Und zur
Anklage gebrachte Fälle werden nur zu einem sehr geringen Teil abgeurteilt. Laut einer
Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen ist die niedrige
Verurteilungsquote bei Vergewaltigungen in den letzten 10 Jahren sogar nochmals
erheblich gesunken. Das liegt auch am Strafrecht, das derzeit gravierende Schutzlücken
für die Betroffenen enthält. Zahlreiche Berichte zeigen auf, dass in Fällen, in denen Frauen
klar "Nein sagen", der Täter dies übergeht und seine sexuellen Übergriffe dennoch straflos
bleiben. Die Verurteilung zu einer Haftstrafe ist bei Eigentumsdelikten weitaus
wahrscheinlicher als bei körperlicher, psychischer oder sexualisierter Gewalt gegen
Frauen.
Durch die Istanbul Konvention ist Deutschland zu einer Reform des Sexualstrafrechts
verpflichtet. Feministinnen fordern seit langem das Prinzip "Nein heißt Nein" und am
20.04.2016 hat ein Bündnis von Frauenverbänden einen offenen Brief an die
Bundeskanzlerin und Abgeordneten geschickt. Es liegt nun ein Regierungsentwurf für
eine Neufassung des Sexualstrafrechts vor. Die dort vorgenommenen Änderungen sind
ein erster Schritt in die richtige Richtung, es werden einige Schutzlücken geschlossen.
Aber auch dieser neue Gesetzentwurf vollzieht leider immer noch keinen
Paradigmenwechsel. Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung ist auch weiterhin nicht an
sich geschützt, Übergriffe bleiben weiterhin straffrei, auch wenn die von Gewalt betroffene
Frau ihren entgegenstehenden Willen bekundet und sich der Täter darüber hinweggesetzt
hat. Maßgeblich bleibt also das Verhalten der Betroffenen und nicht das des Täters. Das
widerspricht menschenrechtlichen Vorgaben wie dem Übereinkommen des Europarates
zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt(Istanbul
Konvention).
Die Interessen und die Lebenssituation immigrierter Frauen, die von den diskutierten
Gesetzesverschärfungen im Asylrecht ebenso wie von der sexistischen Gewalt mit
betroffenen sind, geraten völlig aus dem Blick. Eine Verschärfung der
Wohnsitznahmebeschränkung verhindert keine Gewalt, aber sie hindert gewaltbetroffene
Frauen daran, Zuflucht in einem Frauenhaus zu suchen. So mussten Frauenhäuser in
NRW mehrfach erfahren, dass Umverteilungsanträge, die den Frauen eine
Wohnsitzauflage an einem sicheren Ort ermöglichen würden, vom Regierungsbezirk
Arnsberg abgelehnt wurden.
Es sollte darauf geblickt werden, was politisch Verantwortliche ebenso wie die
Gesellschaft tun wollen, um Gewalt gegen Frauen zu verhindern! Wirksames politisches
Handeln wird erst dann erfolgen, wenn Gewalt gegen Frauen in ihrer Gesamtheit und
strukturellen Rahmenbedingungen definiert ist und wenn Gewalt gegen Frauen als
zentrales Thema politischen Handelns anerkannt und eine Ungleichheit zwischen
Männern und Frauen de facto und de jure nicht geduldet wird. Es geht um die
Entscheidung, wie wir dieser Gewalt gegen Frauen ausnahmslos wirksam begegnen
wollen.
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Wir sind als Zivilgesellschaft dafür verantwortlich, dass sich Frauen und Mädchen überall,
sowohl im privaten als auch im öffentlichen Raum angstfrei bewegen können. Alle sind
aufgefordert, sich der Gewalt in all ihren Erscheinungsformen zu stellen und
entgegenzutreten. Sexualisierte Gewalt ist ein gesellschaftliches Problem und muss
gesamtgesellschaftlich bekämpft werden. In der Debatte um die Menschenrechte von
Frauen führt dieser Kampf zur Forderung nach Aufrichtigkeit und Konsequenz!
Es braucht wirksame Strategien zur Prävention und zum Schutz vor sexualisierter Gewalt.
Es braucht problembewährtes, sensibles und geschultes Handeln seitens der Polizei.
Es braucht aufmerksamsstarke Kampagnen im öffentlichen Raum, die verdeutlichen, dass
die sexuelle Integrität unantastbar ist.
Es braucht ferner eine Aufklärung und Sensibilisierung, die im Kindergarten beginnt und
sich durch alle gesellschaftlichen Bereiche ziehen sollte.
Es braucht eine gesetzlich verankerte Unterstützung und finanzielle Absicherung der
Arbeit der Beratungsstellen und Frauenhäuser entsprechend der Bedarfe.
23.06.2016
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