Versicherungsrechtliche Aspekte und Besonderheiten in

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Versicherungsrechtliche Aspekte und Besonderheiten in
Versicherungsrechtliche Aspekte und Besonderheiten
in Bezug auf Narkolepsie
Holger Roloff
Im Anschluss an das obige Referat „Narkolepsie und Schwerbehinderung“ im Rahmen des Workshops am Vormittag des 03. Oktober 2009
während der Jahrestagung in Finsterbergen referierte der Unterzeichner über das in der Überschrift aufgezeigte Thema, welches im
Programm der Jahrestagung als „Versicherungsrechtliche Aspekte der
Narkolespie“ angekündigt worden war.
In Hinblick auf die vorherige Diskussion der zahlreich erschienenen
Mitglieder hatte der Unterzeichner das Thema um den Begriff „Besonderheiten“ ergänzt.
Hintergrund dieser Ergänzung war, dass sich auch anlässlich der als
sehr interessant zu bezeichnenden Diskussion der erschienenen
Mitglieder der Jahrestagung im Rahmen des Workshops erwiesen
hatte, welche großen Unterschiede die jeweiligen Mitglieder der DNG
mit ihrer Erkrankung im Verhältnis zu Dritten – gleichgültig, ob
Privatpersonen oder Behörden – gemacht haben.
Der Unterzeichner hatte ebenso wie Herr Rainer Gese als „Vorredner“
sich persönlich vorgestellt zu Beginn des Referats und über seine
Erfahrungen in medizinischer und vor allem juristischer Hinsicht in
Bezug auf das Krankheitsbild Narkolepsie berichtet.
In diesem Zusammenhang wurde bereits im Workshop ausführlich und
teilweise sehr kontrovers – aber gleichwohl äußerst friedlich – diskutiert, ob und inwieweit ein Erstantrag auf Schwerbehinderung – z. B.
bereits bei Kindern, die als Narkoleptiker diagnostiziert worden sind –
sinnvoll ist oder nicht.
Vorauszuschicken ist insoweit, dass das Versorgungsamt bzw. die
sonstige gesetzlich vorgesehene Behörde das Vorliegen einer Behinderung, den Grad der Behinderung und weitere gesundheitliche Merkmale für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen nur auf
Antrag des behinderten Menschen prüft.
Dieser Antrag enthält auf dem amtlichen Antragsvordruck u.a. die
Frage nach der Erwerbstätigkeit. Nach der Erwerbstätigkeit wird
gefragt, weil für erwerbstätige Antragsteller/innen, deren Schwer8
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behinderung (Grad der Behinderung mindestens 50) noch nicht
amtlich festgestellt worden ist, besondere Regelungen zum Kündigungsschutz und zum Verfahren gelten, selbst wenn sie noch nicht
amtlich anerkannt schwerbehindert sind. Hervorzuheben ist, dass in
diesem Sinne erwerbstätig derjenige ist, der abhängig beschäftigt ist
(also Arbeitnehmer, Beamte, etc.); selbstständig Tätige gehören nicht
dazu.
Den besonderen Kündigungsschutz am Arbeitsplatz hat, wer im Zeitpunkt der Kündigung die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch
nachweisen kann oder dessen Schwerbehinderung offensichtlich ist.
Dies gilt nicht, wenn das Versorgungsamt wegen fehlender Mitwirkung
über den Antrag noch nicht entscheiden konnte. Die Mitwirkungspflicht ist demgegenüber in der Regel erfüllt, wenn dem Versorgungsamt bzw. die sonstige gesetzlich vorgesehene Behörde, die über den
Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderung zu entscheiden hat,
einen ausgefüllten und unterschriebenen Antragsvordruck vorliegen
hat, mit dem hinsichtlich der beigefügten oder noch beizuziehenden
Unterlagen die angegebenen Ärztinnen/Ärzte und Dritte von der
Schweigepflicht entbunden werden. Um die Zeit zwischen dem Stellen
des Antrages und dem Erteilen des Bescheides zu verkürzen, in der
die/der Antragsteller/in und dessen Arbeitgeber/in nicht wissen, ob
ihnen die Rechte und Nachteilsausgleiche wegen Schwerbehinderung
zustehen, hat der Gesetzgeber sowohl für das Erstellen des ärztlichen
Gutachtens als auch des Bescheides dem Versorgungsamt bzw. der
sonstigen zuständigen Behörde verkürzte Bearbeitungsfristen
aufgegeben.
Wer als Narkoleptiker an seinem Arbeitsplatz akut von Kündigung bedroht ist und den besonderen Kündigungsschutz nach
dem SGB IX in Anspruch nehmen will, sollte sich also zumindest
telefonisch unverzüglich mit dem Versorgungsamt bzw. der
sonstigen zuständigen Behörde in Verbindung setzen, um Möglichkeiten, das Verfahren einzuleiten bzw. zu beschleunigen,
wahrnehmen zu können.
Hiervon ist die Problematik zu trennen, ob und inwieweit es ratsam ist
– auch angesichts der seit längerem schon zu beobachtenden Krise auf
dem Arbeitsmarkt –, der/dem Arbeitgeber/in, die/der von dem Narkoleptiker und dessen Erkrankung bzw. Schwerbehinderung keine
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Kenntnis hat bzw. er insoweit nicht aufgefallen ist, einen Schwerbehindertenausweis vorzulegen bzw. ob der Narkoleptiker von sich aus
hiervon berichten soll. Die Meinungen der Mitglieder des Workshops
waren auch insoweit zweigeteilt; doch herrschte weitgehend dahingehend Übereinstimmung, dass bei Sichtbarwerden der Symptome der
Narkolepsie unbedingt eine Aufklärung der Außenstehenden notwendig ist, u. a. um nicht als psychisch krank bzw. als „Drückeberger“
eingestuft zu werden.
Im Rahmen des Workshops wurde zudem die Frage nach der Feststellung über die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MDE) bzw. den
Grad der Schädigungsfolgen bei einer anderen öffentlichen Stelle bzw.
gegebenenfalls bei einer privaten Versicherung (z. B. private Krankentagegeldversicherung, private Unfallversicherung, private Berufsunfähigkeitsversicherung etc.) behandelt.
Insofern legte der Unterzeichner zunächst ausführlich dar, dass
Feststellungen der privaten Versicherungen keine Wirkung im Verhältnis zu dem Versorgungsamt und/oder zu anderen öffentlichrechtlichen Stellen haben, da es sich hierbei u.a. um verschiedene
Sach- und Rechtsgebiete handelt. Dieses gilt aber auch umgekehrt mit
der Folge, dass aus der Feststellung der Schwerbehinderung nicht
folgt, dass der amtlich festgestellte Schwerbehinderte z. B. auch
mindestens zu 50 % im Sinne des privaten Unfallversicherungsrechts
oder der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung beeinträchtigt ist.
Für den Fall, dass eine andere öffentliche Stelle eine Minderung der
Erwerbsfähigkeit bzw. den Grad der Schädigungsfolgen bejaht haben
sollte, kann das Versorgungsamt oder die sonstige gesetzlich zuständige Behörde sofort einen Bescheid über die Feststellung der Schwerbehinderung erteilen und einen Ausweis ausstellen, wenn die andere
öffentliche Stelle eine MdE bzw. GdS von mindestens 50 bescheinigt
hat.
Folgende Bescheide oder Entscheidungen über die Behinderung und
den Behinderungsgrad gelten als „Feststellung“ und können deshalb
der Ausweisausstellung zugrunde gelegt werden:
- Rentenbescheide der gesetzlichen Unfallversicherung
(Berufsgenossenschaften)
- Bescheide über Rentenansprüche nach dem Bundesversorgungsgesetz, Häftlingshilfegesetz, Soldatenversorgungsgesetz, Zivil10
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dienstgesetz, Infektionsschutzgesetz, Opferentschädigungsgesetz,
Strafrechtliches Rehabilitationsgesetz, Verwaltungsrechtliches
Rehabilitationsgesetz
- Bescheide der Entschädigungsbehörden über Rentenansprüche
nach dem Bundesentschädigungsgesetz
- Entscheidungen über den Unfallausgleich nach beamtenrechtlichen Unfallvorschriften.
Demgegenüber sind Entscheidungen und Bescheide, in denen die
Behinderung nur durch Bezeichnungen wie „Berufsunfähigkeit“,
„Erwerbsunfähigkeit“, „Arbeitsunfähigkeit“, „Dienstunfähigkeit“ oder
ähnlich zum Ausdruck gebracht werden, keine Feststellungen, die zur
Ausweisausstellung ausreichen. Deshalb genügen auch nicht die
Bescheide über Renten aus der (ehemaligen) Angestellten- oder
Arbeiterrentenversicherung bzw. der Deutschen Rentenversicherung.
Davon wiederum zu trennen ist die Frage, ob und inwieweit die Feststellungen in dem Feststellungsbescheid über die Schwerbehinderung
oder der Schwerbehindertenausweis für sich allein „bindende Wirkung“ auf die anderen Versicherungsträger entfaltet. Im Rahmen des
Referats brachte der Unterzeichner eindeutig und unmissverständlich
zum Ausdruck, dass es eine solche Bindungswirkung oder sonstige
Wirkung des Schwerbehindertenausweises nicht gibt.
Mit anderen Worten: Wer z. B. einen GdS von 50 im Sinne des
Schwerbehindertenrechts des SGB IX rechtskräftig beschieden
bekommt, ist damit nicht (automatisch) zu 50 berufs- und/oder
erwerbsgemindert. Hierfür findet auf Antrag eine gesonderte
Prüfung nach der insoweit maßgeblichen Sach- und Rechtslage
statt, die möglicherweise zum Ergebnis haben kann, dass der
Narkoleptiker z. B. zu 0 oder aber auch zu 100 % berufs- bzw.
erwerbsgemindert ist.
Nach ausführlicher Diskussion der anwesenden Mitglieder des Workshops konnte aus Zeitgründen abschließend lediglich nochmals betont
werden, dass – gleichgültig, ob im Erstantrag oder im Folgeantrag
wegen ggf. Verschlimmerung – alle Gesundheitsstörungen eines Narkoleptikers möglichst von einem Mediziner mit überlegenem Fachwissen auf dem Gebiet der Narkolepsie bescheinigt werden sollte.
Diese Bescheinigung sollte zudem die Funktionseinbußen und Auswirkungen der Beeinträchtigungen detailliert und vollständig enthalten.
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Die positive Resonanz auf diesen Workshop war ohne Zweifel so groß,
dass aus Reihen der anwesenden Mitglieder für die nächste Jahrestagung der DNG ein ähnlich thematisch gelagerter Workshop für
erstrebenswert erachtet worden ist. ¤
Erfahrungen in der ambulanten Behandlung der
Narkolepsie in der niedergelassenen Praxis
Dr. Henryk Mainusch, Berlin
Anlässlich der diesjährigen Tagung der DNG in Finsterbergen wurde
ich gebeten, einen Vortrag über meine bisherigen Erfahrungen in der
ambulanten Behandlung der Narkolepsie zu halten. 2007 übernahm ich
die neurologische Praxis von Frau Dr. Susanne Kraemer in BerlinTegel. Zuvor war ich leitender Oberarzt in der neurologischen Abteilung des St. Josefs-Krankenhauses in Potsdam. Ehrlich gesagt, hatte
ich in dieser Zeit gerade einmal eine (in Zahlen: 1) NarkolepsiePatientin diagnostiziert. Frau Dr. Kraemer ermutigte mich dann aber,
mich in dieses Krankheitsbild mehr zu vertiefen, so dass ich ihren
Patientenstamm weiter betreuen und sogar ausbauen konnte. Zurzeit
befinden sich 25 Patienten in kontinuierlicher Behandlung bei mir. Den
Vortrag in Finsterbergen nutzte ich, um gemeinsam mit dem fachkundigen Publikum eine Reihe von mir wichtigen Fragen und Problemen
zu diskutieren und mögliche Lösungswege zu finden.
Warum dauert es so lange bis zur richtigen Diagnose?
In der Mehrzahl treten die ersten Symptome in der Jugend und dem
frühen Erwachsenenalter auf und führen zu Problemen und Fehldeutungen / Vorwürfen in Schule / Ausbildung / Studium und Familie.
Möglicherweise bestünde hier ein Ausweg, den Beispielen anderer
Selbsthilfegruppen chronischer Erkrankungen (Alzheimer, Parkinson,
Multiple Sklerose) zu folgen und durch einen Welt-Narkolepsie-Tag
bzw. einer europa-/bundesweiten Aktionswoche mit konzertierten
Informationsveranstaltungen in Öffentlichkeit und Medien auf die
Erkrankung und Symptome aufmerksam zu machen. Dabei sollten
auch die Allgemeinmediziner und Kinderärzte gezielt angesprochen
werden, da häufig durch die Bagatellisierung und Fehldeutung der
Symptome die Diagnosestellung verzögert wird.
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