Das alte Lied: Serengeti darf nicht sterben

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Das alte Lied: Serengeti darf nicht sterben
Das alte Lied: Serengeti darf nicht sterben
Antwort auf den offenen Brief „Zur Zukunft der Odenwaldschule“, erschienen
am 22.05.2014 im Darmstädter Echo
Sehr geehrte Verfasser und Unterzeichner des o.g. „Offenen Briefs“!
Bevor ich auf die einzelnen Thesen Ihres Plädoyers für die Erhaltung der Odenwaldschule eingehe, möchte ich nachfolgende quellenkritischen Fragen stellen:
1. Was veranlasst das „Darmstädter Echo“ als Tageszeitung, ausgerechnet die
Meinung der Unterzeichner an exponierter Stelle zu veröffentlichen?
2. Was verbirgt sich hinter der Bezeichnung „Bürger aus dem öffentlichen Leben im
Raum Bergstraße“? Bietet diese Zeitung jedem Bürger aus ihrem Einzugsbereich
die Möglichkeit, seine Meinung per „offenem Brief“ zur „veröffentlichten Meinung“ zu
machen? Wenn nein:
3. Welche Kriterien müssen Bürger erfüllen, um als „Personen des öffentlichen
Lebens“ – ein vager Rechtsbegriff, der eigentlich im Zusammenhang mit dem
Schutz der ungestörten Privatsphäre solcher Menschen gegenüber dem Medieninteresse entwickelt wurde, die entweder „prominent“ sind oder durch „Rang oder
Ansehen, Amt oder Einfluss, Fähigkeiten oder Taten“ öffentliches Aufsehen erregen
– ihre Meinung per „offenem Brief“ in der Tagespresse (hier: Darmstädter Echo) zu
verbreiten, ohne hierfür „Anzeigenraum“ kaufen zu müssen?
4. Was sind die Motive Ihres Eintretens für die Odenwaldschule?
5. Welche gemeinsamen Interessen haben Sie als Gruppe zusammengeführt oder
wessen Anliegen machen Sie sich zu eigen?
Aber nun zum Inhaltlichen:
Was Sie erreichen wollen, wird unmissverständlich deutlich. Die öffentliche Meinung soll in
dem Sinne beeinflusst werden, dass der Fortbestand der Odenwaldschule, deren Name
durch zahlreiche Enthüllungen in den letzten Jahren zum Synonym für inflationäre
pädokriminelle Verbrechen an Kindern und Jugendlichen geworden ist, gesichert wird.
Hierzu bedienen Sie sich bestimmter Argumente, die eine objektive Notwendigkeit suggerieren sollen, die genannte Einrichtung – was immer auch gewesen sei – zu „retten“.
Zunächst weisen Sie der Odenwaldschule und ihrem Konzept nach dem Muster der Altersund Traditionswerbung bestimmte „werthaltige“ Attribute zu:

„eine[r] der renommiertesten Anstalten für Reformpädagogik“

„gehört zur Gruppe der Landerziehungsheime, die vor dem ersten Weltkrieg von
Hermann Lietz nach englischem Vorbild gegründet wurde“

von einem Lietz-Schüler (Paul Geheeb) 1910 nach dem Lietz’schen Erziehungsprinzip ‚Werde, der du bist’ gegründet “, usw.
1
Sodann beschreiben Sie bestimmte pädagogische Errungenschaften, die offensichtlich
eine Art Alleinstellung im Bildungssystem bzw. auf dem privaten Bildungsmarkt markieren
sollen, um derentwillen die Odenwaldschule als unersetzlich anzusehen sei:

Verzicht auf Pauk-Unterricht.

Entspanntes / ungezwungenes Lehrer-Schüler-Verhältnis (z.B. Duzen der Lehrkräfte)

Eingehen auf jeden einzelnen Schüler

Handwerkliche Ausbildung neben dem normalen Gymnasialunterricht
Schließlich heben Sie hervor, welchen gesellschaftlichen und individuellen Segen eine
Internatsschule wie die OSO aufgrund ihrer reformpädagogischen Traditionen und
Alleinstellungsmerkmale gestiftet habe:

hat „unendlich viele Schülerinnen und Schüler gerettet“ […], die in der Staatsschule gescheitert waren (oder wären)“

„bietet nicht wenigen Jugendlichen eine Chance“ und

„kann Fehlentwicklungen unserer Gesellschaft erfolgreich widerstehen“.
Um die Überzeugungskraft Ihrer Forderung nach Erhalt der Odenwaldschule zu verstärken, versuchen Sie, die dort begangenen Verbrechen erst zu relativieren 
alle Internatsschulen ermöglichten bekanntlich sexuelle Übergriffe

Missbrauchsfälle gäbe es auch an öffentlichen Schulen

nicht die Schule habe sich vergangen, sondern einzelne ihrer Angestellten

„Ungeschicklichkeiten“ von Seiten der leitenden Schulgremien bei der Aufklärung
der Missbrauchsfälle seien einzuräumen, gehörten aber der Vergangenheit an
- und dann durch Aufzählung der Versäumnisse anderer von der aktuellen Situation
abzulenken:

Trägerverein, Schulleitung, Schulamt und sogar die zuständige Polizeidienststelle
hätten „damals“ (1998/1999) nicht reagiert

die Staatsanwaltschaft habe ihre Ermittlungen wegen Verjährung eingestellt

und – Sie wiederholen sich hier: der zuständige Trägerverein habe 1998/99 nicht
die erforderlichen Konsequenzen gezogen und andere zuständige Stellen hätten
nicht in angemessener Weise reagiert – beides nach Ihrer Ansicht skandalös und
unverständlich!
Ihre Verteidigungsrede kulminiert in der Forderung nach „gerechter“ Behandlung der
Odenwaldschule, denn

das Beispiel aller anderen Landerziehungsheime, aus denen vergleichbare Vorkommnisse nicht bekannt seien, beweise, dass das pädagogische Konzept der
OSO für die Missbrauchsfälle nicht verantwortlich sein könne
2

von einer Schließung der gleichfalls von Missbrauchsvorwürfen betroffenen
Jesuiten- und Klosterschulen habe man bisher nichts gehört

gleiches Recht müsse für alle gelten und

es sollten nicht bloße Verdachtsfälle bereits „in die Nähe neuerlicher Vergehen gerückt“ werden, weil dies „weder der Wahrheitsfindung noch der Transparenz“ diene.
Zuallerletzt werden die Verdienste der OSO-Leitung um eine brutalstmögliche öffentliche
Diskussion und angemessene Wiedergutmachung gepriesen:

Die neue Schulleiterin Margarita Kaufmann – inzwischen längst zermürbt aus dem
Dienst geschieden – habe eine schonungslose und umfassende Untersuchung der
„Vorkommnisse“ (welch ein Wort in diesem Zusammenhang!) eingeleitet sowie

durch ihr entschlossenes Auftreten seit 2010 erst für die heutige öffentliche Diskussion gesorgt.

Die OSO habe auch mit dem Verein „Glasbrechen“, der die geschädigten Schüler
vertrete, „Gespräche aufgenommen“.

Entschädigungen nicht nur finanzieller Art seien „in Sicht“.

Und – auch hier wiederholen Sie sich: Wiedergutmachungsleistungen seien bereits
erfolgt, andere würden folgen.
Falsche Prämissen
Ich glaube nicht, dass Sie Ihrer Sache mit dem offenen Brief vom 22.05.2014 einen Dienst
erwiesen haben. Ihre Rhetorik erinnert einfach zu sehr an die in Deutschland sattsam bekannten Muster der Vergangenheitsbewältigung und der politisch motivierten Schönfärberei von Problemen, deren Unlösbarkeit man insgeheim erkannt hat oder deren Lösung gar
nicht ernsthaft in Erwägung gezogen wird.
Nein, es war und es ist nicht alles schlecht an der Odenwaldschule, ebensowenig wie an
der Nazi-Diktatur, dem Unrechtsregime der DDR, oder der spießigen Bonner Republik, die
die Transformation der alten Nazi-Eliten in den neuen Weststaat so wunderbar geräuschlos bewerkstelligt hat und auch viele Täter des DDR-Regimes ungeschoren ließ. Alles
getreu dem Adenauer'schen Motto: „Schmutzwasser schüttet man nicht weg, so lange
man noch kein frisches hat.“ Nur wo bleiben die Interessen der Opfer bei diesem KloakenPragmatismus? Auf der Strecke, wie immer.
Ihre Argumentation verfängt nicht, weil diese durchweg auf falschen Prämissen beruht. Ich
will mich hier gar nicht zu sehr bei Einzelheiten aufhalten und Ihnen Ihre Unkenntnis der
Geschichte der Pädagogik nicht vorwerfen. Nur einmal ganz grundsätzlich zu Ihrer Verherrlichung der reformpädagogischen Tradition der OSO und der „übrigen Landerziehungsheime in toto:
Ihre Behauptung, am „Beispiel aller anderen Landerziehungsheime, aus denen vergleichbare Vorkommnisse nicht bekannt seien“, könne man ablesen, dass auch das OSO-Konzept im Kern richtig und erhaltenswert sei, stellt eine dreiste Geschichtsklitterung dar. Ich
war wohl der erste, der 1999 in einem Leserbrief an die Frankfurter Rundschau darauf hin
gewiesen hat, dass die in Jörg Schindlers Artikel „Der Lack ist ab“ erstmals erwähnten
sexuellen Übergriffe an der OSO nur „die Spitze eines Eisbergs“ seien. Ich schrieb
3
damals:
„Oft nicht nur räumlich, sonder auch gesellschaftlich isoliert, bieten solche „Inseln
der (Reform)Pädagogik“ mit ihrer hohen Konzentration von Problemkindern und
-jugendlichen den idealen Nährboden für extreme Subkulturen. Dass die internen
Zustände dieser zumeist „privaten“ Institute nie oder zumindest erst nach langen
Jahren öffentlich werden, hängt mit dem engen Geflecht von finanziellen Interessen
und Beziehungen zusammen, das sie umgibt bzw. mit dem sie sich abschirmen. Es
ist ganz erstaunlich, wie viele schützende Hände besonders über einen kleinen
Kreis teurer Privatinstitute gehalten werden, sobald eines von Ihnen ins Kreuzfeuer
öffentlicher Kritik gerät. […] Trotz rapide zunehmender Probleme mit Drogen, erziehungsschwierigen Schülern und dem schulischen Niveau hatten Privatschulen und
Internate in den letzten zwei Jahrzehnten eine geradezu euphorische Presse. Es
wäre ratsam zu überlegen, wo die vielen Maulkörbe verteilt wurden, die eine objektiv-kritische Berichterstattung so lange verhindert haben.“
An der hier beschriebenen Situation hat sich doch nicht das Geringste geändert – trotz
eines wahren Trommelfeuers von Skandalberichten und Enthüllungen in den letzten drei
Jahren. Und Ihr „Offener Brief“, vom Darmstädter Echo bereitwillig abgedruckt, ist das
beste Beispiel dafür, dass immer wieder der Versuch gemacht wird, die durch und durch
maroden Sonderschulen für Reicheleutekinder um jeden Preis und auf Kosten der
Allgemeinheit zu „retten“, da es sich angeblich um „die renommiertesten Anstalten der
Reformpädagogik“ handele. Hierbei handelt es sich allerdings lediglich um die Selbsteinschätzung dieser Einrichtungen. Eine objektive Rangliste der renommiertesten reformpädagogischen Schulen hat dagegen bisher noch niemand aufgestellt. Sicher ist aber:
Eine führende Rolle gerade der Landerziehungsheime in der weltweiten Strömung, die als
„Reformpädagogik“ bezeichnet wird, hat es nie gegeben. Der Zürcher Erziehungswissenschaftler Jürgen Oelkers stellt in diesem Zusammenhang fest:
>> Es gibt nicht „die“ Reformpädagogik. Zur Reform von Erziehung und Schule
haben seit Beginn des 19. Jahrhunderts sehr verschiedene Ansätze und Erfahrungen beigetragen, die keine einheitliche Größe darstellen. Mit der Entwicklung
der Industriegesellschaft veränderte sich auch das Bildungswesen, das geschah
zunächst langsam und unmerklich, dann aber mit steigendem Tempo und etwa
zeitgleich in allen modernen Gesellschaften. In diesem breiten Verständnis ist
„Reformpädagogik“ ein internationales Phänomen, das von der zunehmenden
Intervention des Staates geprägt wurde.
In Deutschland ist die Reformpädagogik sehr stark von kleinen Alternativschulen
her wahrgenommen worden, den so genannten „Landerziehungsheimen“, die zu
Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden sind. Gemeint sind damit private Internatsschulen, die einen besonderen pädagogischen Anspruch vertreten haben. Die
Idee stammte aus England, genauer: aus der englischen Lebensreform im letzten
Drittel des 19. Jahrhunderts und betonte den großen Vorteil einer zurückgezogenen
ländlichen Umgebung für den Erziehungsprozess. Damit sollte vermieden werden,
dass Kinder und Jugendliche den Gefahren des Großstadtlebens ausgesetzt
werden. Dass diese Schulen selbst Risiken darstellen könnten, ist nie erwogen
worden.
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[…] Die Odenwaldschule ist am 14. April 1910 eröffnet worden, sie ist also genau
einhundert Jahre alt. Sie zählt sich selbst zu den „Landerziehungsheimen“ und galt
bis vor kurzem als untadelige Vorzeigeschule der deutschen Reformpädagogik. Vor
dem Ersten Weltkrieg war die Schule allerdings nur eine von vielen. Im Deutschen
Reich gab es Hunderte von Privatschulen, deren Zweck es war, auf Prüfungen
vorzubereiten oder andere Marktnischen zu bedienen. Das geschah im
Wesentlichen nicht auf dem Lande, sondern durch städtische Angebote nahe bei
den Kunden. Auch Schulen mit einem anspruchsvollen Programm wie die
Reformschule Heidehof in Stuttgart oder das Landerziehungsheim Laubegast bei
Dresden wurden wegen der Nähe zur Stadtkultur gegründet (Hoffmann 1903, S.
24). [Die Heidehofschule sollte eine „moderne Großstadtschule“ sein und gerade
keine Idylle auf dem Lande (Hoppe 1913, S. 1-16).]
Die meisten dieser Schulen wurden vergessen. Die Odenwaldschule dagegen ist in
der deutschen Lehrerbildung immer als pädagogisch-didaktisches Vorbild
verstanden und mit der Aura einer großen Tradition verbunden worden. Erzählt
wurde eine heroische Geschichte, die keinen Vorbehalt erlaubte und Distanz nicht
zuließ. [Vorbilder in der Erziehung müssen makellos sein. Jeder Verdacht würde sie
belasten, also durfte erst gar keiner aufkommen. Doch hundert Jahre Geschichte
können nicht makellos gewesen sein, und dann gibt es auch keine „Tradition“ der
Reformpädagogik ohne dunkle Seiten. Die Frage ist nur, ob und wie sie wahrgenommen werden.
Keine einzige Schule der Reformpädagogik hat je den eigenen Ansprüchen genügen können, aber genau dieser Eindruck sollte entstehen und wird bis heute
kolportiert.] Es ist immer wieder von „pädagogischen Laboratorien“ die Rede, aus
denen die „moderne Schule“ hervorgegangen sein soll, während es sich tatsächlich
um wenige, hoch konflikthafte, innerlich zerstrittene und ganz kleine Schulen handelte, die nie die staatliche Schulentwicklung beeinflusst haben und das oft auch
gar nicht wollten. Wer sich auf sie beruft und gar noch eine besondere
pädagogische Tradition konstruiert, die bis heute unverändert Gültigkeit haben soll,
muss wissen, was er tut.
Bei den Landerziehungsheimen handelt es sich um abgeschlossene, teure
Internate, die von den Eltern bezahlt wurden, oft aus Notlagen heraus und zugänglich nur für Begüterte. Das kann in einem demokratischen Staatswesen nicht die
Zukunft der Schule sein. <<
By the way: „Werde der Du bist“ - der Wahlspruch Geheeb'scher Pädagogik - war weder
ein Erziehungsprinzip von Hermann Lietz, noch ist er auf dem Mist des OSO-Gründers
Geheeb selbst gewachsen. Die Redewendung stammt von Pindar (etwa um 518 - 442 v.
Chr.) und wurde durch Nietzsche zur philisophisch-pädagogischen Formel für den Vorgang
der individuellen Selbstfindung.
Es mag ja sein, dass die Odenwaldschule für viele wohlstandsverwahrloste, neurotische,
verhaltensauffällige und psychisch kranke Abkömmlinge der Oberschicht „die Rettung“ gewesen ist. „Rettung“ bedeutete Erhalt des sozialen Status durch Sicherung eines staatlich
anerkannten Schulabschlusses – gegen Geld und irgendwie. Dass diese Kinderretterei
sich seriöser Mittel bedient habe, wird von Insidern, die gegen die sektenartige Schulideologie und den organisierten Bluff dieser „Unesco-Modellschule“ immun waren, rundheraus bestritten. Die Süddeutsche Zeitung beruft sich auf den ehemaligen OSO-Päda5
gogen Salman Ansari, wenn sie schreibt:
>> "Die Kinder waren zweitrangig", sagt Salman Ansari. Er kam 1974 als Lehrer an
die Privatschule und gehört zu den wenigen, die sich frühzeitig auf die Seite der
Opfer stellten und sich dafür von Kollegen als Verräter beschimpfen lassen
mussten. Ansari sieht in der Reputation der Odenwaldschule, diesem lange Zeit als
reformpädagogische Musteranstalt gefeierten Internat, einen "großen Bluff". In
Wirklichkeit hätten sich die Lehrer über guten Unterricht und die Betreuung der
Kinder kaum Gedanken gemacht. Wie man vorging, was gelang oder misslang, sei
weitgehend dem Zufall und dem einzelnen Pädagogen überlassen worden. Die
Odenwaldschule als Mekka einer fortschrittlichen Pädagogik: Das sei bloß ein Märchen gewesen, sagt Ansari. Man habe in einer Scheinwelt gelebt, wie in Andersens
Märchen "Des Kaisers neue Kleider". Dort tun alle so, als trage der Kaiser feinste
Gewänder. In Wahrheit ist er splitternackt. <<
Nach Gründung der Bundesrepublik verschaffte man sich dann durch Aufnahme von Erziehungshilfe-Fällen, für die der Steuerzahler (formal Sozial- und Jugendämter als öffentliche Kostenträger) aufkam, nicht nur ein sattes Zubrot, sondern vor allem auch ein
dringend benötigtes demokratisches Feigenblatt, durch das die verfassungswidrige
Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern verdeckt werden konnte.
Schaut man sich die Rolle der OSO nach dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Barbarei an, so erscheint sie als das trojanische Pferd, mit dessen Hilfe die
tief braun eingefärbten Landerziehungsheime der amerikanischen Besatzungsmacht als
angebliche „Schulen des Widerstands“ schmackhaft gemacht, als erste an die Fleischtöpfe
staatlicher Subventionen geführt und auch gegen Art. 7 GG am Leben erhalten werden
konnten. Ein Meisterstück der Strippenzieher-Kunst des einstigen Nürnberger Strafverteidigers sowie nachherigen Privatschullobbyisten und Justiziars der Vereinigung Deutscher Landerziehungsheime, Hellmut Becker, unter dessen Protektion übrigens nicht nur
die Odenwaldschule als Institution, sondern vor allem der Kinderschänder und einstige
OSO-Leiter Gerold Becker ganz persönlich standen.
Ich kann Ihnen an dieser Stelle kein komplettes Seminar über die Geschichte der Reformpädagogik oder Schulentwicklung in Deutschland halten.
Nur eines zum Schluss: So einmalig und erhaltenswert, wie Sie es die Öffentlichkeit in
Ihrem Brief glauben machen wollen, ist dieses Institut keineswegs. Auch ohne die OSO
wäre gute Pädagogik in Deutschland möglich gewesen und ist es noch.
Und denkt man sich einmal diese ganze reformpädagogische Hochpreis-Schickeria aus
einem Jahrhundert deutscher Schulentwicklung weg... Die deutsche Bildungslandschaft
wäre nicht weniger bunt, nicht weniger kindgerecht und nicht weniger jugendtümlich.
EPILOG
Ihr hartnäckiges Festhalten an dem illusionären Idealbild der Odenwaldschule erinnert
mich fatal an Bernhard Grzimeks Filmprojekt „Serengeti darf nicht sterben“. Die Dokumentation von Vater Bernhard und Sohn Michael, der während der Dreharbeiten tödlich verunglückte, warnt vor der Zerstörung der letzten afrikanischen Tierparadiese. Grzimeks
Kampagnen zur Rettung der Wildtiere im Serengeti-Nationalpark von Tansania führten
allerdings dazu, dass den Massai die Nutzung des Landes durch ihre Viehherden
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untersagt wurde, obwohl die Serengeti seit 2500 Jahren die Koexistenz von Wildtieren und
Landwirtschaft ausgehalten hatte. Die Serengeti wurde zum Dorado für die Fotosafaris
reicher Europäer und Nordamerikaner.
Ihr Appell zugunsten der Odenwaldschule läuft auf ein ähnliches Modell heraus: Erhaltung
eines reformpädagogischen Reservats, von dem in erster Linie verwöhnungsgeschädigte
Oberschichtkinder profitieren, das aber vom gemeinen Steuerzahler finanziert werden soll,
dessen Nachwuchs bestenfalls dann in den Genuss dieses angeblichen Lehrer- und
Schülerparadieses kommt, wenn er sich durch Schwererziehbarkeit oder andere Verhaltensprobleme für eine Jugendhilfemaßnahme im Odenwald „qualifiziert“ hat.
Ulrichstein, den 23.05.2014
Ulrich Lange
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