der pfarrer steckt immer noch in mir
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der pfarrer steckt immer noch in mir
4 »der pfarrer steckt immer noch in mir« 31. DEZ 04 MAGAZIN FRANKFURTER RUNDSCHAU sehen hören lesen SCHÖN LANGSAM Wenn er seine Gitarre zum Singen bringt, in diesem satten, leicht verzerrten Klang, weiß man sofort, wer da die Saiten zupft. Und Wiedererkennbarkeit muss in Zeiten der galoppierenden Diversifizierung nicht Mark Knopfler: zwangsläufig etwas Schlechtes „Shangri-La“, bedeuten. „Shangri-La“, die Universal, vierte Solo-CD des ehemaligen etwa 16 Euro. Dire Straits Mark Knopfler, bietet das, was man von ihm erwartet: entspannten Rock mit vielen Folk- und Blues-Anleihen. Der Unterschied zu seinen bisherigen CDs besteht darin, dass er jetzt noch einmal zwei Gänge zurückgeschaltet hat. Die Entdeckung der Langsamkeit als Leitmotiv. Und dazu nölt er nonchalant wie immer Zeilen wie diese: „I got shot off my horse, so what? I‘m up again and playing in one of these big saloons.“ Knopflers Lieder sind heute wie kleine, unprätentiöse Road-Movies. Nichts, womit er wie noch zu Dire Straits-Zeiten die Stadien beschallen könnte – eher der Soundtrack für einen Abend am Kamin oder im Schaukelstuhl. MA RTIN SCHOLZ Lebensratgeber Werner Küstenmacher über die Kraft des Glaubens, das Entrümpeln von Freundschaften und den langen Weg zum glücklichen Simpel. SPORTSFREUNDE Jay-Z , vom ewigen Rappen gelangweilt, hat sich bekanntlich in Frühruhestand begeben. Nun hat er Zeit. Etwa, um mit den Nu Metal-Helden von Linkin Park ein paar Songs aufzunehmen. Dabei wurden bestehende Linkin Park/Jay-Z : Hits der ungleichen Partner auf rhythmische Gemeinsamkeiten „Collision abgeklopft, in „ Bastardpop-Ma,Course“, nier“ gekreuzt und im Studio Warner Music, neu eingespielt. An den sechs etwa 17 Euro. so entstandenen DoppeldeckerTracks werden vermutlich die beteiligten Musiker sowie die-hard-Fans von Linkin Park die größte Freude haben – zumal Linkin Park-Rapper Mike Shinoda einen nicht unsympathischen Sportsgeist an den Tag legt, wenn er – ohne Furcht, sich zu blamieren – sich etwa an Jay-Zs Wortkaskaden in „99 Problems“ versucht. Der Enthusiasmus, vor allem auf Seiten der Metaller, überträgt sich spürbar auf dem mitgelieferten Konzertmitschnitt, einer spaßigen Live-Kollision der Millionenseller in einem Club irgendwo in Hollywood. Wer darüber hinaus immer mal sehen wollte, was für Autos Rapstars fahren und wie fett Mischpulte einer Chart-Metalband dieser Tage sind, wird seine Kenntnisse anhand der DVD-Extras vertiefen können. Zu behaupten, Jay-Z und Linkin Park hätten mit ihrem Freizeitprojekt „Musikgeschichte“ geschrieben, wie auf der CD-Hülle zu lesen, ist möglicherweise ein kleines bisschen übertrieben. ULRIKE RECHEL HARTE BRÜCHE Selbstgemachte Musik-Mixe sind toll. Der Soundtrack des Kinofilms „Die fetten Jahre sind vorbei“ will so etwas sein. Regisseur Hans Weingartner und die Hauptdarsteller Daniel Brühl, Julia Jentsch und Stipe Erceg V.A.: „Die fetten haben Lieder ausgesucht, die, Jahre sind vorbei passend zum Film, zwischen - der Soundtrack Weltschmerz und Wut pendeln. Herausgekommen ist eine Dopzum Film“, Mute, etwa 20 Euro. pel-CD mit sehr schönen Songs und sehr harten Brüchen. So folgt auf den Songwriter Tom Liwa der König des Knarz-Techno, T. Raumschmiere, auf die junge britische Band Simian der Altmeister Leonard Cohen. Depeche Mode und Franz Ferdinand sind vertreten, aber auch unbekanntere Bands wie Looper oder die Eagles of Death-Metal. Ja, man kann Schätze finden auf diesem Album. Zum Durchhören eignet sich der Soundtrack aber kaum, zu viele Stimmungen auf zu engem Raum, manches hat man außerdem einfach schon zu oft gehört. Vielleicht wäre es doch besser, sich selbst mal wieder Musik zusammenzustellen, als diesen Job von Daniel Brühl und Co. machen zu lassen. FREDERIK JÖTTEN JENSEITS VON GUT UND BÖSE Billy Idol: „Devil‘s Playground“. „2005 ist für einen echten Punkrocker der Zeitpunkt, um zu zeigen, was er kann“, tönt Billy Idol. Keine Ahnung, wen er damit meint. Herr Küstenmacher, haben Sie heute schon in den Himmel geschaut? Ja, aber der Himmel heute - der bringt's nicht. Dieses milchige Grau, das ist schwach. Das zieht mich echt runter. Was bringt Ihnen der Himmel, wenn er blau ist? Wenn ich in dieses unendliche Blau sehe, dann spüre ich: über mir beginnt die Unendlichkeit. Wenn ich diese Dimension einatme, dann kommen die Dinge an ihren Platz, ich merke, wie wichtig oder unwichtig sie sind. Deshalb gebe ich meinen Lesern den Rat, jeden Tag fünf Minuten in den Himmel zu schauen. Das Leben kann so einfach sein, wenn man Ihrem Buch „simplify your life“ glaubt. Warum machen es sich die Menschen so kompliziert? das gespräch 31.12.04 WERNER KÜSTENMACHER Ex-Pfarrer und Vereinfacher, München „Am Wasser zu leben, das war immer mein Traum.“ Werner Küstenmacher, von seiner Mutter Tiki genannt (zu Ehren von Thor Heyerdahls Pazifik-Expedition mit dem Floß Kon-Tiki) blickt zufrieden durchs Fenster auf seinen Gartenteich. Glücklich sein heißt beispielsweise, seine Ansprüche zu reduzieren. Das ist einer der Ratschläge, die Küstenmacher den Lesern in seinem Bestseller „simplify your life“ (Campus Verlag) gibt. Über eine halbe Million Mal hat sich der Titel alleine in Deutschland verkauft, mittlerweile ist das Buch auch in Asien, etwa in Korea, ein Bestseller. Kein Wunder, verspricht Küstenmacher seinen Lesern doch Ordnung, Geld und Glück. Seit 1990 arbeitet der gelernte Pfarrer als Karikaturist und Buchautor mit den Spezialgebieten Kirche, Computer und Lebensmanagement. Vorher war er in der Öffentlichkeitsarbeit der evangelischen Kirche tätig, aber da, sagt er, war sein Leben „zu stark fremdbestimmt“. Jetzt sitzt er zu Hause im eigenen Büro, Auge in Auge mit zwei Gemälden (Adam und Eva naschen vor mint-grünem Hintergrund vom Baum der Erkenntnis) und einem falschen Kamin, hinter ihm eine Reihe grauer Kunststoffschränke, die das Arsenal von Lebensweisheiten enthalten. Fast 700 Ratgeber stehen dort, aus denen Küstenmacher sich für sein Buch bedient hat. Aber was ist das? Auf dem Schreibtisch die „schlimmste Form zusammengeballter Materie, die einen niederdrückt: ein Stapel Papiere“ (simplify your life). Küstenmacher lächelt: „Das wäre ja schrecklich, wenn man sagen würde, ich habe jetzt alles umgesetzt aus dem Buch, mein Leben ist perfekt. Ich glaube, in dem Moment ist man tot.“ Wir machen es uns wahrscheinlich gegenseitig kompliziert. Das Leben ist in Wirklichkeit nicht einfach. Der menschliche Organismus ist ja auch unglaublich komplex. Und so ist, glaube ich, auch das menschliche Zusammenleben. Das klingt in Ihrem Buch aber anders. Sie schreiben: „Viele Menschen finden den Sinn ihres Lebens nicht, weil sie zu komplizierte Fragen stellen. Weil sie nicht ahnen, wie einfach es wirklich ist.“ Das ist ein Komparativ. Ich will das Leben einfacher machen. Wenn wir die vielgestaltigen Sachen, die wir erleben, reduzieren können, dann erscheint uns das Leben sinnvoll. Es gibt Menschen, die einen Faden haben und darauf die Perlen ihres Lebens auffädeln. Menschen, die diesen Faden nicht haben, sehen überall sehr viel und erkennen keinen Sinn drin. Das meine ich mit kompliziert. Reden wir doch mal von uns und nicht von diesen „Fällen“ aus den Medien. Aber die gibt es doch. Natürlich gibt es die. Aber es ist doch so: Das Leben kommt einem kompliziert vor, wenn man gelebt wird und nicht lebt. Man ist glücklicher, wenn man selber bestimmen kann. Und das ist vollkommen unabhängig von der Einkommenshöhe. Ich bin jetzt in einer hohen Einkommensklasse durch diesen Bucherfolg, mein Leben ist aber komplizierter geworden, weil ich mehr von außen gesteuert werde. Als ich selbstständig war und ganz normal verdient habe, war das für mich das absolute Glückslevel. Die meisten Menschen müssen an ihrem Arbeitsplatz wohl mehr Fremdbestimmung ertragen als Sie als Freiberufler. Was raten Sie denen? Mit dem, was einen am meisten nervt. Das Buch hilft zu analysieren: Wo kann ich anfangen? Dieses Gefühl, unzufrieden zu sein, ist oft sehr diffus. Zu wenig Zeit, Geldprobleme, Schreibtisch zu voll und so weiter. Bei den meisten Leuten ist das vorrangige Problem: Sie haben unglaublich viele Sachen in ihrer Wohnung, die sie blockieren. Das ist ganz individuell. Ich habe neulich mit einer Kassiererin im Kaufhaus gesprochen, die war wirklich toll. Die geht jeden Morgen dahin und weiß genau, welche Sachen sie nicht ändern kann. Sie kann die Ladenschlusszeiten nicht ändern, sie kann diese und jene Arbeitsbedingung nicht ändern, aber sie kann zum Beispiel ändern, wie sie mit den Kunden spricht. Wie ihre mentale Verfassung ist. Sie war eine echte Simplifyerin. Aber die Politiker sagen doch, wir sollen mehr kaufen. Weiter gedacht bedeutet das doch, dass man gar nicht versucht, etwas zu ändern. Das ist zu kurzfristig gedacht. Was wir nicht brauchen, sind Leute, die sich in China hergestellte Sachen anschaffen, wir brauchen Menschen, die Dienstleistung kaufen. Dazu rufe ich auf. Lasst euch helfen! Delegiert, macht nicht alles selber, macht euch nicht kaputt. Die Kollegin der Kassiererin jammert den ganzen Tag, dass bis 20 Uhr gearbeitet werden muss. Es gibt auch Leute, die sich einreden, dass sie am falschen Platz und unterdrückt sind. Womit sollte man anfangen? Das kann sich aber nicht jeder leisten. Aber wir delegieren doch ständig. Das Problem ist, dass es in Deutschland wahnsinnig schwierig ist. Wir versuchen gerade, eine Putzfrau ordentlich anzumelden. Was das für ein Aufwand ist, ist absurd. Solche Sachen lasse ich mittlerweile meine Steuerberater machen, das habe ich praktisch auch delegiert. Sie raten ja auch dazu, sich einen neuen Job zu suchen, wenn man in seinem alten unzufrieden ist. Da sind doch gerade heute die Möglichkeiten begrenzt. Das sehe ich völlig anders. Ich predige immer: Erwartet euch keine Hilfe, nicht vom Staat, vom lieben Gott oder von Wundern. Macht es selbst. Gute Leute werden immer noch gesucht. Aber viele Leute krallen sich heute an ihre Sessel. Das höre ich oft von Unternehmern. Die Menschen haben Angst. Die bleiben unzufrieden in ihren Berufen stecken. Also da rate ich immer: Haltet fest an eurem Traum! So schrecklich verändert haben sich die Rahmenbedingungen doch nicht. Wie kann jemand seinen Traum verwirklichen, der einen Hilfsarbeiter-Job macht? Ich kenne auch ein paar Fabrikarbeiter, die haben zum Teil ganz fantastische Möglichkeiten – wenn man die mal konkret kennt. Es ist doch ganz typisch. Wir erfinden uns immer jemand anderen. Sie leiden unter Aufschieberitis? Absolut! Ich habe da auch ein Theorie: Durch die Aufschieberei sorgt das Unbewusste dafür, dass ich nicht gleich anfange zu arbeiten. Dadurch verschafft einem das Unterbewusste Pause und Ruhe. Wahrscheinlich hält uns das am Leben. Wenn man immer nur voll arbeiten würde, würde man einen Herzinfarkt kriegen. Warum arbeiten Sie dem dann so entschieden entgegen? Weil ich glaube, dass darin auch ein selbstzerstörerischer Ansatz steckt. Wenn ich weiß, ich muss den Artikel bis zum 8.1. geschrieben haben, dann fange ich am 7. an. Obwohl ich genau weiß, das wird nichts. Da führt einen das Unterbewusstsein zum Scheitern. Und das ist negativ. Also muss man das selbstzerstörerische Potenzial erkennen und abbauen. In Ihrem Buch geben Sie über 20 Seiten Tipps gegen die „Aufschieberitis“ und Sie leiden selbst noch darunter? Absolut. Das ist doch der große Irrtum bei Lebenshilfe-Büchern. Wenn man es gelesen hat, ist man noch nicht da. Wenn man das auch wirklich umsetzt, dann ja. Davon bin ich nach wie vor überzeugt. Also ich lese „simplify your life“ selber immer wieder mit großem Gewinn. Sie versprechen Ihren Lesern, den Sinn und das Ziel ihres Lebens zu finden, wenn sie den SimplifyWeg gehen. Ist das nicht vermessen, wo es Sie selbst noch nicht mal geschafft haben? Man kann sagen, Fliesenputzen ist die schrecklichste Sache der Welt, ich hasse es, aber ich mache es. Man kann aber auch sagen, ich höre schöne Musik dabei oder ich denke mir was Lustiges dazu aus. In welchem Fall ist man glücklicher? Ich finde es vermessener, wenn jemand sagt, er habe es geschafft. „Machen Sie's wie ich, dann werden Sie genauso.“ Da regt sich bei mir der Widerstand. Die Idee ist nicht der perfekte, total durchorganisierte Idealmensch, sondern einer, der immer wieder an sich arbeitet. Trotzdem liebe ich Bücher, die mir etwas Großes versprechen. Wenn da drin stünde, „wenn sie diese 400 Seiten gelesen haben, werden Sie vielleicht ein kleines bisschen glücklicher“, dann würde ich das nicht lesen. Was bedeutet Glück für Sie? Große Versprechen verkaufen sich auch besser. Wenn ich das bekomme, was ich mir wünsche und vielleicht noch ein bisschen mehr. Bei mir hat das sehr viel mit dem Anteil von Fremdbestimmung zu tun. Zeit, die mir selber gehört, macht mich glücklich. Wenn alles zu voll ist, dann wird es anstrengend. Ich habe das Gefühl, mein Leben hat eine Tendenz, aus Strukturen, die mich beengen, auszubrechen. Ja, natürlich. Ich weiß noch, als ich das Vorwort geschrieben habe, war ich in einer Art Rausch. Ich wollte auf die Kacke hauen, eine große Stimmung erzeugen. In der Bibel gibt es auch solche schönen Geschichten. Jesus kommt in die Stadt und alle haben eine große Erwartung. Und das funktioniert natürlich auch. Dann passieren Wunder. Sie raten Ihren Lesern direkt, sich zu beschummeln, um glücklicher zu sein. Sie schreiben zum Beispiel: „Entdecken Sie das Gleichnishafte Ihrer Arbeit, wenn Sie den Teppich saugen oder die Fliesen putzen.“ Waren Sie selber mal ein Chaot? Ich bin kein Superchaot, ich bin aber auch kein total durchorganisierter Mensch. Aber es gibt tatsächlich Themen, bei denen ich mir sehr schwer tue. Das Thema Zeitplanung zum Beispiel. Wie man alles in die 24 Stunden des Tages unterkriegt – da versuche ich mich ständig aufs Neue zu überlisten und Methoden zu finden, mit denen ich dann doch zurecht komme. Eben habe ich einen Artikel über „Aufschieberitis“, wie ich das nenne, geschrieben. Jetzt predigt Pfarrer Küstenmacher? Klar, der Pfarrer steckt immer noch in mir. Ich glaube auch, dass Jesus so eine Art Karikaturist war. Der hat auch Sachen auf den Punkt gebracht. Es sind zwar keine Cartoons von ihm überliefert, aber seine Gleichnisse. Und die übertreiben und vereinfachen Dinge ganz stark. Da sehe ich mich in gewisser Weise in einer Tradition. Alles, was wir Lebenshilfeautoren machen können, ist, neue Metaphern zu finden. Die Tipps, die wir geben, sind ja immer die gleichen.