Wie man glücklich wird oder der Sinn des Lebens

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Wie man glücklich wird oder der Sinn des Lebens
Pauline Frank J1 (Kurs Fr. Haase-Spielmann): Essay
Wie man glücklich wird oder der Sinn des Lebens
Vor drei Tagen war so ziemlich der schlimmste Tag meines Lebens. Ich lag die ganze
Nacht weinend im Bett, weil mein Freund Schluss gemacht hat, habe dann deswegen am
Morgen verschlafen, mich in der Schule mit meiner besten Freundin gezofft, eine Klausur
verhauen, vergessen einkaufen zu gehen, einen Streit mit meiner Mutter gehabt und
Papas Lieblingstasse heruntergeworfen.
Abends, ich liege im Bett und starre an die Wand, um nicht schon wieder loszuweinen,
klingelt mein Handy. Seufzend nehme ich ab und hebe mir kraftlos das Telefon ans Ohr.
»Pauli? Du glaubst nicht, was bei mir heute los war! Erst bekomme ich die Zusage für
meinen dreimonatigen Aufenthalt in London, dann habe ich in Biologie 15 Punkte, ach ja,
in Mathe übrigens auch, und jetzt rate mal, wer sich morgen mit mir treffen will?«
Es ist Lara, die am anderen Ende von Deutschland wohnt und heute anscheinend mehr
Glück gehabt hat als ich.
»Vielleicht Paul?«, antworte ich seufzend, immer noch den Punkt auf der Wand fixierend.
Bloß nicht weinen, nicht schon wieder.
»Richtig! Du glaubst nicht, wie glücklich ich gerade bin! Okay, ich muss auflegen, ich gehe
noch eine Runde joggen. Aber du kannst mir ja morgen erzählen, wie es dir geht.«
Sie legt auf, bevor ich antworten kann. Enttäuscht ziehe ich mir die Decke über den Kopf
und versuche zu verstehen, warum ich so wenig Glück habe und Lara so viel.
Sind wir nicht völlig gleichwertige Menschen mit gleichen Voraussetzungen? Ich habe
genauso verdient glücklich zu sein wie sie, aber nein, bei mir passiert ein Unglück nach
dem anderen. Selbst wenn ich an Karma glauben würde, wüsste ich nicht, wofür mich das
Leben bestraft. Dafür, dass ich vor zwei Wochen jemandem die Vorfahrt genommen habe,
kann es ja wohl nicht sein.
Vielleicht liegt es daran, dass ich zu sehr danach suche. Man kann das Glück doch gar
nicht finden, jedenfalls weiß ich nicht wie. Aber trotzdem sehne ich mich nach einer
Glückssträhne, so wie Lara sie in letzter Zeit hatte. Dann liegt es vielleicht doch an mir. Ich
nehme mir vor, Lara zu fragen, wie man glücklich wird.
Dabei muss man vielleicht auch differenzieren: Glück haben ist nicht gleich glücklich sein.
Wenn man Glück hat, passieren viele positive Dinge ohne Unterbrechung, man hat keine
Sorgen und kann sein Leben genießen. Das heißt, glücklich sein, also sich in einer guten
Stimmung befinden, kann aus Glück haben resultieren, muss aber nicht zwingend so sein.
Wie sagt man doch so schön: Jeder ist des eigenen Glückes Schmied. Glücklich sein kann
also auch von uns selbst ausgehen, ganz ohne Glückssträhne.
Also bin ich wirklich selbst Schuld an meiner miserablen Stimmung. Ich muss also von mir
aus glücklich werden – klingt recht simpel. Nur habe ich keine Ahnung, wo ich anfangen
soll. Ich nehme mir vor, die Bücherei und das Internet zu durchforsten. Wäre ja seltsam,
wenn außer mir noch niemand solche Gedanken gehabt hätte.
Ich werde mehr als fündig. Hunderte von psychologischen Studien nur über das Thema
Glück. Und jede beweist etwas anderes. Macht, Liebe, Reichtum, Familie Sport,
Schokolade, Schuhe (zalando – Schrei vor Glück), Gras – ja, all das habe ich bei meiner
Recherche gelesen. (Letzteres bezweifle ich aber, sonst müssten ziemlich viele Menschen
in Amsterdam ziemlich glücklich sein. Kam mir bei meinem letzten Besuch dort nicht so
vor.)
In einer Sache waren sich die Forscher aber einig: All diese Dinge lösen Glückshormone
aus, die uns (zumindest kurzzeitig) glücklich machen. Diese so genannten Endorphine
verteilen sich im ganzen Körper und verhelfen uns zu Höchstleistungen oder auch einfach
nur zu klareren Gedanken. Unsere Sorgen und Wehwehchen sind vielleicht gar nicht so
schlimm, wie sie uns zuerst erscheinen, wir können damit umgehen, uns besser
arrangieren und glücklich sein.
Das heißt, ich soll einfach ganz viel Schokolade essen und schon lösen sich meine
Probleme in Luft auf? Ich bleibe skeptisch. Niemals würde ich für diese angeblichen
Hormone riskieren dick zu werden.
Erst jetzt fallen mir all die Begriffe ein, die wir alltäglich sagen, über die wir aber gar nicht
genau nachdenken. Hat jemand Geburtstag, wünschen wir ihm Glück im neuen
Lebensjahr, bei einer Prüfung brauchen wir viel Glück oder sogar einen Glücksbringer, um
die Aufgaben zu bewältigen, wenn jemand gerade so von einem schlechten Ereignis
davongekommen ist, sagen wir „nochmal Glück gehabt, oder manchmal haben Menschen
auch Glück im Unglück, wenn ihnen in einem negativen Ereignis nichts passiert ist.
All diese Bedeutungen von Glück sind unterschiedlich, aber man kann wohl
zusammenfassen, dass Glück positiv ist und man froh darüber sein kann.
Schließlich gibt es auch Menschen, die kein Glück haben – und damit meine ich nicht
mich. Menschen, die jeden Tag ums Überleben kämpfen, Menschen die auf dem
Mittelmeer fast ertrinken, weil sie sich erhoffen, in Europa glücklich zu werden und
Menschen, die politisch verfolgt werden und sich ständig auf der Flucht befinden.
Ich will natürlich nicht darüber urteilen, ob diese Menschen glücklich sind, aber wenn ich
die abgekämpften Gesichter im Fernsehen sehe, bezweifle ich es.
Was habe ich, was diese Menschen nicht haben?
Ein Dach über dem Kopf, genug zu essen und zu trinken, eine Familie, die alles für mich
tut, ein Auto, einen Computer … die Liste könnte ich noch ziemlich lange weiterführen.
Aber das bedeutet nun, dass ich mich glücklich schätzen kann, so zu leben. Ich habe
Glück, dass mein Leben so aussieht, wie es aussieht, da es noch viel schlimmer sein
könnte. Aber warum bin ich dann nicht glücklich?
Ich durchsuche nun mein eigenes Bücherregal. Glück wird sehr viel häufiger thematisiert,
als ich gedacht hatte. Ein Beispiel: Harry Potter. Der berühmte Felix-felicis-Trank, den alle
trinken wollen, um glücklich zu werden. Tja, wenn es nur so einfach wäre, dann würde ich
nicht alleine im Bett liegen und mich selbst bemitleiden.
Ein weiteres Buch fällt mir in die Hände: „Wenn das Glück kommt, muss man ihm einen
Stuhl hinstellen“. Ich muss grinsen. Stimmt, wenn ich vom Glück Besuch bekomme, würde
ich es auch nicht so schnell gehen lassen. Aber wie Heinrich Heine schon schreibt, das
Glück „küßt dich rasch und flattert fort“. Man kann mit dem Glück nicht als festen Besucher
rechnen, vor allem nicht als lange verweilenden. Wer weiß, wie es bei Lara morgen
aussieht, es kann schließlich immer etwas passieren. Nicht dass ich es ihr wünschen
würde, im Gegenteil, aber man weiß ja nie.
Das ist es auch, was das Glück für die Menschen so kostbar macht. Was die Menschen
antreibt, danach zu suchen, obwohl es unauffindbar scheint. Glück ist eine Rarität, die mit
Vorsicht zu behandeln ist, so zerbrechlich wie Glas und so schnell verweht wie eine Feder
im Wind.
Übrigens nicht meine Worte, sondern Laras. Wir telefonieren geschlagene drei Stunden,
wobei ich mir das Herz ausschütte und Lara mich tröstet.
»Pauli, beruhige dich! Du siehst das alles viel zu kompliziert!«
»Sag doch einfach, wie du glücklich geworden bist,dann probier' ich das auch«, bringe ich
zwischen zwei Schluchzern hervor.
»Das funktioniert schon mal gar nicht. Mein Glück ist nicht gleich dein Glück, es gibt kein
Universalrezept! Hör einfach auf, danach zu suchen, dann kommt es von ganz alleine zu
dir.«
Ich lache und blinzele ein paar Tränen aus den Augen.
»Bist du Poetin geworden? Du sagst das immer so leicht, aber ...«
Lara schneidet mir das Wort ab: »Es gibt kein Aber! Zähle mir mal auf, was dich
unglücklich macht.«
»Ben, die Geo-Klausur, Mama, Sarah, Schule, so viel Stress, ...« Ich beginne fast wieder
zu weinen.
»Das ist doch super! Du musst nur loswerden, was dich unglücklich macht und dich auf
die schönen Dinge konzentrieren. Jeder kann glücklich sein, auch du, mein kleiner
Miesepeter. Und jetzt schlaf' gut, ich hab dich lieb und denk ganz viel an dich!«
Mit einem Lächeln auf den Lippen lege ich auf. Ihr letzter Satz hallt in meinem Kopf nach.
Jeder kann glücklich sein... ich muss nur loslassen, was mich unglücklich macht …
Am nächsten Morgen kann ich ausschlafen, bis die Sonne mich mit warmen Strahlen
weckt. Neben mir liegt meine Katze und schnurrt beruhigend. Später frühstücke ich
gemeinsam mit meiner Mutter im Bett und sie ist mir auch nicht mehr böse. Den Tag
verbringe ich mit meinen Freunden am Baggersee, grillend und lachend, und stimme Lara
in Gedanken zu.
Wenn man sich auf die positiven Dinge konzentriert, ist man glücklich. Das Leben ist zu
wertvoll, um sich runterziehen zu lassen. Ich glaube, ich habe meinen Sinn des Lebens
gefunden und ich werden jeden Tag aufs Neue versuchen, glücklich zu sein.
Und jetzt nochmal für alle anderen: hört auf das Glück zu suchen und lasst euch finden
oder noch besser: bestimmt selbst, glücklich zu sein.