STRASSEN- und WEGERECHT

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STRASSEN- und WEGERECHT
Prof. Dr. Ulrich M. G a s s n e r , Mag. rer. publ., M. Jur. (Oxon.)
Universität Augsburg
STRASSEN- und WEGERECHT
(WAHLFACHGRUPPE 6)
Sommersemester 2006
Als Basistexte zur – unabdingbaren – Vor- und Nachbereitung der Vorlesung sind geeignet:
o v. Danwitz, Straßen- und Verkehrsrecht, in: Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2005, S. 837–896
o Manssen, Vom Vorrang zur Vorherrschaft des Straßenrechts, DÖV 2001, 151–158
o Papier, Straßen- und Wegerecht, in: Berg/Knemeyer/Papier/Steiner, Staats- und Verwaltungsrecht in Bayern, 6. Aufl. 1996, S. 407–466
o ders., Straßenrecht, in: Achterberg/Püttner/Würtenberger (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht. Ein Lehr- und Handbuch, Bd. 1, 2. Aufl. 2000, S. 840–913
o Sauthoff, Straße und Anlieger, 2003
o ders., Die Entwicklung des Straßenrechts seit 1993, NVwZ 1998, S. 239–256
o ders., Die Entwicklung des Straßenrechts seit 1998, NVwZ 2004, 674-693
o Schnebelt/Sigel, Straßenrecht Baden-Württemberg, 2. Aufl. 2004
o Steiner, Straßen- und Wegerecht, in: ders. (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 7. Aufl.
2003, S. 745–828
o ders., Straßenrecht und Straßenverkehrsrecht, JuS 1984, S. 1–9
o Stüer, Fachplanungsrecht: Verkehrsinfrastruktur – Energiegewinnung (Rechtsprechungsbericht 2001/2003), DVBl. 2003, 899–903
Daneben sind folgende Handbücher/Kommentare zu empfehlen:
o Kodal/Rinke (Hrsg.), Straßenrecht, 7. Aufl. 2006
o Marschall/Schroeter/Kastner, Bundesfernstraßengesetz, 5. Aufl. 1998
o Edhofer/Willmitzer, Bayerisches Straßen- und Wegegesetz (BayStrWG). Handkommentar,
11. Aufl. 2003
o Wiesinger/Markuske, Rechtshandbuch für Planung, Bau, Finanzierung und Betrieb von Straßen, 2003
o Zeitler, Bayerisches Straßen- und Wegegesetz (Loseblatt)
Veröffentlichte WFG-Staatsexamensfälle zum Straßen- und Wegerecht:
o BayVBl. 1989, 542, 573
o BayVBl. 1992, 542, 572
o BayVBl. 1994, 415, 446
o BayVBl. 1996, 671, 699
o BayVBl. 1997, 288, 371
o BayVBl. 2000, 541, 570 (Aufgabe 7)
o BayVBl. 2003, 29, 59
o BayVBl. 2003, 541, 573
o BayVBl. 2004, 157, 188
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A. Grundlagen und Definitionen
I. Straßenrecht und Straßenverkehrsrecht
1. Gesetzgebungskompetenzen
• Art. 74 I Nr. 22 Var. 3 GG: konkurrierende Gesetzgebung des Bundes für Fernstraßen.
Von dieser Kompetenz hat der Bund mit dem FStrG für Bundesautobahnen und Bundesstraßen abschließend Gebrauch gemacht.
• Für Straßen mit geringerer Verkehrsbedeutung, wie z.B. Staatsstraßen, ist der Landesgesetzgeber zuständig () BayStrWG).
• Von diesen straßenrechtlichen Kompetenzen zu unterscheiden ist die in Art. 74 Nr. 22 Var.
1 GG geregelte Gesetzgebungskompetenz für den Straßenverkehr () „Straßenverkehrsrecht“). Von dieser Kompetenz hat der Bund mit dem StVG und – über die Verordnungsermächtigung des § 6 Abs. 1 StVG – mit der StVO abschließend Gebrauch gemacht hat.
Das Straßenverkehrsrecht erfasst damit alle Straßen, auch solche die dem BayStrWG unterfallen. Für landesrechtliche Vorschriften ist insoweit kein Raum, es sei denn, dass nicht
straßenverkehrsbezogene, sondern sonstige ordnungsrechtliche Zwecke straßenrechtlich
verfolgt werden (so BGH, NJW 2002, 1280 ff. zum Verhältnis Straßenrecht und Straßenverkehrsrecht).
2. Definitionen
• Das Straßenrecht umfasst die Gesamtheit der öffentlich-rechtlichen Rechtsnormen, die die
Rechtsverhältnisse an solchen Straßen, Wegen und Plätzen zum Gegenstand haben, welche
dem allgemeinen Verkehr gewidmet sind (= öffentliches Sachenrecht).
• Das Straßenverkehrsrecht regelt unter ordnungsrechtlichen Gesichtspunkten die Probleme
der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs, die vor allem daraus resultieren, dass viele
Verkehrsteilnehmer zur gleichen Zeit von der bestimmungsgemäßen Benutzung der öffentlichen Straße Gebrauch machen (= Sicherheitsrecht).
Hinweis:
zur Unterscheidung von Vorbehalt des Straßenrechts und Vorrang des Straßenverkehrsrecht, vgl. i.e. unten G.
II. Straßen, Wege und Plätze
= „Straßen“ im Rechtssinne (vgl. Art. 1 BayStrWG, § 2 FStrG)
Definition:
• Bodenflächen, die
• geeignet und
• bestimmt sind,
• dem nicht schienengebundenen Verkehr zu Lande zu dienen;
d.h. also nicht „Wasserwege“ () WasserStrG)
) ohne Belang ist der Ausbau
Beispiele: Autobahnen, Pfade, Wanderwege und Klettersteige im Gebirge
III. Öffentliche Straße
Definition:
) Straße, die dem öffentlichen Verkehr gewidmet ist (vgl. Art. 1 BayStrWG, § 2 I FStrG)
Widmung (im Sinne des öffentlichen Sachenrechts)
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= die durch die Rechtsordnung mit Rechtswirkungen verbundene Bestimmung einer Sache
für einen öffentlichen Zweck
(vgl. auch unten E.I., vgl. zu Grundfragen der Widmung Germann, AöR 128 (2003), 458)
Folge: dingliches öffentliches Recht an der Sache (vgl. § 2 III FStrG, Art. 6 V BayStrWG)
) sog. Theorie des modifizierten Privateigentums
Beachte:
Fehlt eine Widmung, liegt entweder eine sog. tatsächlich öffentliche Straße (1.) oder eine sog.
Privatstraße (2.) vor.
1. Tatsächlich öffentlicher Verkehrsgrund sind alle Flächen, auf denen kraft ausdrücklicher
oder stillschweigender Duldung des Eigentümers oder eines sonstigen Verfügungsberechtigten die Benutzung durch einen nicht näher bestimmten Personenkreis zugelassen wird,
z.B. Parkplätze von Einkaufszentren.
Die §§ 903 ff. BGB werden in diesem Fall nicht vom Straßenrecht überlagert und in ihrer
Geltung beschränkt. Dagegen bleiben StVG, StVO und StVZO – auch mit Wirkung gegenüber dem Eigentümer – als sicherheitsrechtliche Vorschriften anwendbar, da insoweit
die tatsächlich öffentliche Nutzung entscheidend ist.
2. Um eine Privatstraße oder einen Privatweg handelt es sich dann, wenn der Verfügungsberechtigte dafür sorgt, dass nur solche Personen Zutritt erhalten, die in näherer persönlicher
Beziehung zu ihm stehen oder in eine solche treten wollen, z.B. Parkplatz innerhalb eines
umzäunten Werksgeländes mit Zugangskontrolle oder mit einer entsprechenden Beschilderung Privat-/Werksgelände (vgl. zur Abgrenzung auch BGH, NJW 2004, 1965).
IV. Was gehört zur Straße? (Bestandteile der Straße)
Art. 2 BayStrWG, § 1 IV FStrG
• Fahrbahn
• Straßenunterbau
• Entwässerungsgraben
• Leitplanken, Stützmauern, Lärmschutzanlagen u.a.
• unselbständige (neben der Straße verlaufende) Geh- und Radwege
• Luftraum (ggfs. Sondernutzungserlaubnis erforderlich)
• Zubehör: Pflanzen, Verkehrsnebenanlagen (z.B. Schotterkästen)
• bei Bundesfernstraßen auch die Nebenbetriebe (Tankstellen, Raststätten), vgl. § 1 IV Nr. 5
FStrG!
Beachte:
Die genannten Objekte sind nur dann Bestandteil der öffentlichen Straße, wenn sich die Widmung auch auf sie erstreckt, d.h. wenn die entsprechende Flurstücknummer in der Widmungsverfügung genannt ist oder zumindest das Grundstück dort eindeutig beschrieben wird
(VGH München, BayVBl 1997, 372).
B. Straßenklassen
Jede Straße ist einer bestimmter Straßengruppe oder Straßenklasse zugeordnet (sog. Typenzwang). Auf diese Weise ergibt sich ein geschlossenes Klassifikationssystem. Die klassifikatorische Einstufung der Straße wird durch die Widmung vorgenommen.
Kriterium für die Einstufung ist die (erwartete oder beabsichtigte) Verkehrsbedeutung, also
das Verkehrsaufkommen (nicht aber z.B. der Ausbauzustand).Dabei können Straßen, selbst
wenn über sie weit überwiegend örtlicher Verkehr abgewickelt wird, auch die Merkmale einer
überörtlichen Straße aufweisen. Maßgeblich wird dabei sein, ob die Straße einem gesetzlich
vorgesehenen überörtlichen Verkehrszweck zu dienen bestimmt ist (hier: Ortsumgehungsstraße und Netzverknüpfung, vgl. BVerwG, DVBl. 2000, 215; vorangehend VGH München,
DVBl. 1999, 866); problematisch dann aber, wenn Regelungen so angewendet werden, dass
der Bau einer Straße, der im örtlichen Interesse liegt, im praktischen Ergebnis scheitert, weil
die Gemeinde unter Hinweis darauf, nicht Baulastträger zu sein, daran gehindert wird, das
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Vorhaben auszuführen, Land und Landkreis aber, die zur Wahrnehmung dieser Aufgabe berufen wären, zu erkennen geben, dass man von der Planungsbefugnis keinen Gebrauch machen
wird, (vgl BVerwG, a.a.O.; Sauthoff, NVwZ 2004, 674, 676).
Die Einstufung hat u.a. Bedeutung für
• das anzuwendende Recht (Bundes- oder Landesrecht);
• die Frage, welcher Baulastträger und welche Straßenbaubehörde und Straßenaufsichtsbehörde zuständig ist (Art. 90 II GG: Bundesauftragsverwaltung der Bundesautobahnen und
sonstigen Straßen des Fernverkehrs);
• Anbauverbote bzw. Genehmigungen (z.B. § 9 FStrG)
Beachte:
Ortsdurchfahrten (§ 5 III a, IV FStrG, Art. 4 BayStrWG) bilden keine eigene Straßenklasse,
sondern werden so eingestuft, wie die Straße, deren Teil sie sind. So haben z.B. Ortsdurchfahrten von Bundesstraßen die Straßenklassifikation „Bundesstraßen“ (Träger der Straßenbaulast: § 5 II - III FStrG, Art. 42, 48 BayStrWG).
Oberbegriff
Straßenklasse
Verkehrsbedeutung
§ 1 FStrG
Träger der
Straßenbaulast
Straßenbaubehörde
Straßenaufsichtsbehörde
Oberste: StMI bzw.
Autobahndirektion,
Art. 58 I BayStrWG /
Art. 62a V BayStrWG,
§ 3 VO (Z/T 797)
Autobahndirektion:
§ 22 FStrG, Art. 62a I
2 Nr.1 BayStrWG
Oberste: StMI , Art. 61 I, 62a II BayStrWG
Bund, Gemeinden:
§ 5 II - 5 IV FStrG
Straßenbauamt/ Gemeinde:
§ 22 IV FStrG, Art.
62a I 2 Nr.2
BayStrWG
Regierung:
§ 20 FStrG, Art. 62a II
2 BayStrWG
(Oberste: StMI,
s.o.)
Straßenbauamt/ Gemeinde:
Art. 58 II Nr. 1 und 3
BayStrWG
Landkreis / Gemeinde
Art. 58 II Nr. 2 und 3
BayStrWG
Regierung:
Art. 61 III Nr. 1
BayStrWG
---
Regierung
Art. 61 III Nr. 1
BayStrWG
---
Gemeinden:
Art. 58 II Nr. 3
BayStrWG
in gemeindefreien
Geb.: Baulastträger/KVB
Art. 58 II Nr.4
BayStrWG
Landratsamt,
bei kreisfreien Gde.:
Regierung:
Art. 61 III BayStrWG
Regierung:
Art. 61 II
BayStrWG
Bundesfernstraßen
1. Bundesautobahnen
Bund:
§ 5 I FStrG
Bundesfernstraßen
2. Bundesstraßen § 1 FStrG
---
3. Staatsstraßen
Art. 3 I Nr. 1
BayStrWG
Freistaat / Gemeinden:
Art. 41 1 Nr. 1, Art. 42,
44, 48 BayStrWG
---
4. Kreisstraßen
Art. 3 I Nr. 2
BayStrWG
Gemeindestraßen
5. Gemeindeverbindungsstraßen
Art. 3 I Nr. 3
i.V.m. Art. 46
Nr. 1
BayStrWG
Landkreis / Gemeinden:
Art. 41 1 Nr.2,
Art. 42, 43, 48
BayStrWG
Gemeinden:
Art. 47 I BayStrWG
in gemeindefreien Geb.:
Eigentümer
Art. 57 BayStrWG
Gemeindestraßen
6. Ortsstraßen
Sonstige
öffentliche
Straßen
7. Öffentliche
Feld- und
Waldwege
Sonstige
öffentliche
Straßen
8. Beschränkt
öffentliche
Wege
Sonstige
öffentliche
Straßen
9. Eigentümerwege
Art. 3 I Nr. 3
i.V.m. Art. 46
Nr. 2
BayStrWG
Art. 3 I Nr. 4
i.V.m. Art. 53
Nr.1
BayStrWG
Art. 3 I Nr. 4
i.V.m. Art. 53
Nr. 2
BayStrWG
Art. 3 I Nr. 4
i.V.m. Art. 53
Nr. 3
BayStrWG
wie bei Nr. 5
wie bei Nr. 5
Gemeinden
(/Eigentümer)
Art. 54 (/ 57) BayStrWG
wie bei Nr. 5 und 6
Gemeinden:
Art. 54a, ggfs. Art. 57
BayStrWG
wie bei Nr. 5, 6 und 7
Eigentümer:
Art. 55 BayStrWG
Gemeinde/Baulastträger, sofern nicht Priv.
Art. 58 II Nr. 5
BayStrWG
-5-
untere
BayStMI:
§ 20 FStrG, Art. 62a II
1 BayStrWG
obere
---
wie bei Nr. 5
KreisverwaltungsRegierung:
behörde:
Art. 61 II
Art. 61 III Nr. 2
BayStrWG
BayStrWG
wie bei Nr. 7
wie bei Nr. 7 und 8
Die Träger der Straßenbaulast handeln, sofern sie Körperschaften des öffentlichen Rechts
sind, durch die Straßenbaubehörden (stets bayerische Behörden, bei Bundesfernstraßen in
Auftragsverwaltung für den Bund).
Die Straßenaufsichtsbehörden überwachen im Wege der Rechtsaufsicht (Art. 62 II
BayStrWG; Ausnahme: Art. 62 III BayStrWG) die Träger der Straßenbaulast und die Straßenbaubehörden bei der Erfüllung ihrer Pflichten.
Alle Bundesfernstraßen sowie Staats- und Kreisstraßen sind in Straßenverzeichnissen erfaßt,
§ 1 V FStrG, Art. 3 II 1 BayStrWG.
Alle übrigen öffentlichen Straßen (Gemeindestraßen, sonstige öffentliche Straßen) sind in Bestandsverzeichnisse aufzunehmen, Art. 3 II 1, 2 BayStrWG.
Die Aufnahme in die Verzeichnisse ist zwar – im Gegensatz zur Widmung – nicht konstitutiv,
sondern deklaratorisch (beurkundend), die Verzeichnisse haben jedoch Beweiswert (öff. Urkunden i.S.v. § 415 ZPO). Sie wird daher als VA gegenüber dem (vermeintlichen) Straßenbaulastträger angesehen und ist von diesem mit der Anfechtungsklage angreifbar (vgl.
VGH München, BayVBl. 1997, 19).
Die in Art. 67 III 2, 3 BayStrWG (= Übergangsvorschrift zu Art. 3 BayStrWG) vorgesehene
öffentliche Bekanntmachung für die Bekanntgabe straßenrechtlicher Bestandsverzeichnisse
verstößt nicht gegen das Gebot effektiven Rechtsschutzes aus Art. 14 I GG (BVerfG, NVwZ
2000, 185).
C. Inhalt und Grenzen der Straßenbaulast
I. Inhalt der Straßenbaulast
Definition:
) alle mit Bau und Unterhalt der Straße zusammenhängenden Aufgaben (§ 3 I 1 FStrG, Art.
9 I 1 BayStrWG); allg. Ansicht: weite Auslegung, d.h. auch Maßnahmen nichtbaulicher Art,
z.B. Planung, Grundstücksbeschaffung und finanzielle Pflichten
Beachte:
Bei Bundesfernstraßen: Art. 90 II, 85 GG (Bundesauftragsverwaltung) ) Länder nehmen nur
die sog. externe Straßenbaulast wahr (= faktische Verwirklichung der Bau- und Unterhaltungsmaßnahmen); Bund trägt aber im Innenverhältnis die Kosten (sog. interne bzw. finanzielle Straßenbaulast). Insofern kann der Bund den Ländern auch nicht im Wege der Auftragsverwaltung die Weisung erteilen, eine Bundesstraße ab- und in eine Straßenklasse nach
Landesrecht einzustufen (vgl. BVerfGE 102, 167 ff.; Heitsch, DÖV 2002, 368 ff.; Sauthoff,
NVwZ 2004, 674). Die frühere Rspr. hat die Änderung des § 2 IV FStrG zur Folge. Danach
ist, wenn eine Bundesfernstraße, bei der sich die Verkehrsbedeutung geändert hat und bei der
die Voraussetzungen des § 1 I 1 FStrG weggefallen sind, entweder unverzüglich einzuziehen
oder unverzüglich dem Träger der Straßenbaulast zu überlassen, der sich nach Landesrecht
(bei Abstufung) bestimmt. Fraglich wird nun sein, was der Begriff „überlassen“ rechtlich bedeuten soll.
II. Grenzen
§ 3 I 2 FStrG, Art. 9 I 2 BayStrWG
• nach dem gewöhnlichen Verkehrsbedürfnis
• den Erfordernissen der öffentlichen Sicherheit (auch Lärmschutz, Naturschutz) genügend
• nach ihrer Leistungsfähigkeit
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Daraus ergibt sich: meist keine wirksame Handhabe der Straßenaufsicht gegen Träger der
Straßenbaulast bei Vernachlässigung von Straßen, da sich dieser häufig auf mangelnde finanzielle Leistungsfähigkeit und auf andere, dringliche Aufgaben berufen kann.
Beachte:
• Straßenbaulast besteht nur gegenüber der Allgemeinheit
• kein subjektiv öffentliches Recht auf Unterhaltung von Straßen
• Straßenbaulast (Unterhaltungspflicht) ist auch keine drittgerichtete Amtspflicht i.S.v. § 839
BGB, Art. 34 GG
• keine Räum-, Streu-, Reinigungs- und Beleuchtungspflicht im Rahmen der Straßenbaulast
(§ 3 III FStrG, Art. 9 III BayStrWG)
Zu unterscheiden von Straßenbaulast/Unterhaltungspflicht:
• gemeindliche Beleuchtungs-, Reinigungs-, Räum- und Streupflicht (Art. 51 BayStrWG) =
ausschließlich sicherheitsrechtliche Vorschrift (öffentlich-rechtliche Pflichtaufgabe i.S.v.
Art. 57 II 2 GO) ) drittgerichtete Amtspflicht i.S.v. § 839 BGB, Art. 34 GG
• Verkehrssicherungspflicht: ist eigentlich privatrechtlicher Natur (§ 823 BGB), jedoch kraft
gesetzlicher Regelung öffentlich-rechtlich (Art. 72 BayStrWG) ) drittgerichtete Amtspflicht i.S.v. § 839 BGB, Art. 34 GG (z.B. Hinwirkungspflicht der Straßenbaubehörde bei
Straßenverkehrsbehörde in Evidenzfällen, vgl. BGH, DÖV 2000, 931; nicht hinreichende
Sicherung einer Unfallstelle, hierzu OLG Brandenburg, NVwZ-RR 2001, 197)
• Verkehrsregelungspflicht: bei schlechtem Straßenzustand müssen Warnschilder aufgestellt
werden (vgl. § 45 II StVO, kommt auch in § 3 II FStrG und Art. 9 I 3 BayStrWG zum
Ausdruck) ) drittgerichtete Amtspflicht i.S.v. § 839 BGB, Art. 34 GG
D. Straßenplanung
[Literaturhinweis: Hoppe/Schlarmann/Buchner, Rechtsschutz bei der Planung von Straßen
und anderen Verkehrsanlagen, 3. Aufl. 2001; Stüer, DVBl. 2003, 899 ff.]
[Fallhinweis: Examensklausur 2001/I]
Grundsatz: sog. Dreitaktprinzip (Planung – Bau – Widmung)
vier Planungsstufen:
(1) Ausbau- und Bedarfsplanung,
(2) Raumordnungsverfahren
(3) Bestimmung der Planung und Linienführung
(4) Planfeststellung
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I. Überblick
Ausbau- und Bedarfsplanung (politische Entscheidung)
• bei Bundesfernstraßen: durch Gesetz (FernStrAusbauG)
• bei Staatsstraßen: Gesamtverkehrsplan durch Beschluss der Staatsregierung
• bei Straßen unterhalb: Beratung im Kreistag, Gemeinderat o.ä., Beschluss
I
raumbedeutsame Maßnahme (i.d.R., vgl. § 1 S. 2 Nr. 8 ROV)
Raumordnungsverfahren (§ 15 ROG, Art. 23 LPlG)
UVP bundesrechtlich (§ 16 I UVPG) und landesrechtlich
(§ 23 LPlG) nicht obligatorisch
abschließende landesplanerische Beurteilung: keine
unmittelbare Rechtswirkung nach außen
I
bei Bundesfernstraßen: Festlegung der Linienführung
gem. § 16 I 1 FStrG durch BVerkMin
auf Antrag der Länder
UVP obligatorisch (§ 15 I 1 UVPG), es
sei denn Fall des § 15 I 2 UVPG
− nur grober Trassenverlauf
− keine unm. Außenwirkung
auf Bürger oder Gemeinden
I
Planfeststellung
(1) Planaufstellung
(2) Anhörungsverfahren
(3) PlanfeststellungsBeschluss
(§ 17 FStrG, Art.
36 ff. BayStrWG)
Beachte:
Das Planaufstellungsverfahren kann nicht nur durch einen Planfeststellungsbeschluss, sondern
auch durch einen Bebauungsplan oder einen enteignungsrechtlichen Planfeststellungsbeschluss abgeschlossen werden.
Ausnahmen von der Planfeststellung
• Bundesstraßen
− in Fällen unwesentlicher Bedeutung (§ 17 II FStrG), wenn (kumulativ)
1. keine UVP-Pflicht besteht,
2. andere öffentliche Belange nicht berührt sind oder die erforderlichen behördlichen
Entscheidungen vorliegen und sie dem Plan nicht entgegenstehen
3. Rechte anderer nicht beeinflußt werden oder mit den vom Plan Betroffenen die für
die Durchführung der Baumaßnahme erforderlichen Vereinbarungen geschlossen
wurden
− wenn B-Plan i.S.v. § 9 BauGB vorliegt (§ 17 III FStrG).
• Landesstraßen
− bei geringfügigen Änderungen oder Erweiterungen der Straße in räumlicher Hinsicht,
durch die Rechte Dritter nicht berührt werden (Art. 36 I 2 BayStrWG); außer: UVP nötig, Art. 36 III BayStrWG: („unbeschadet“ = ungeachtet)
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− bei Kreis- oder Gemeindeverbindungsstraßen von untergeordneter Bedeutung (Art. 36
II BayStrWG), sofern nicht eine UVP nötig ist (Art. 36 III, 37 BayStrWG)
− in den Fällen des Art. 38 III 1 BayStrWG, wenn nämlich für das Gebiet der Straße ein
nach Art. 23 III BayStrWG qualifizierter Bebauungsplan existiert, der mindestens die
Begrenzung der Verkehrsflächen die an diese angrenzenden Grundstücksflächen enthält
und unter Mitwirkung der Straßenbaubehörde zustande gekommen ist (Ein evtl. nach
Art. 37 BayStrWG notwendiges UVP-Verfahren findet in diesem Fall schon im Bebauungsplanverfahren statt, § 3 UVPG i.V.m. Nr. 19 der Anlage zu § 3 UVPG);
− in den Fällen des Art. 74 VII BayVwVfG (i.V.m. Art. 38 I, III 2 BayStrWG).
III. Das Planfeststellungsverfahren
1. Rechtsgrundlagen (Zuständigkeit und Verfahren)
• bei Bundesfernstraßen:
Zuständigkeit: Art. 39 II BayStrWG: Regierung
Verfahren: § 17 FStrG; ergänzend: § 1 III VwVfG, Art. 72 ff. BayVwVfG
• bei Staatsstraßen und „darunter“:
Zuständigkeit: Art. 39 I BayStrWG: Regierung
Verfahren: Art. 36 ff. BayStrWG, Art. 38 I BayStrWG i.V.m. Art. 72 ff. BayVwVfG
) UVP, wenn geschützte Gebiete oder Biotope betroffen erheblich betroffen sind (vgl.
näher Art. 37 Nrn. 1-3 BayStrWG); im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens (als unselbständiger Verfahrensteil), vgl. Art. 78a ff. BayVwVfG
Beachte:
Privilegierung der Fachplanung: Das Einvernehmen der Gemeinde i.S.v. § 36 BauGB ist nicht
erforderlich (§ 38 BauGB, Art. 75 I BayVwVfG); vgl. aber auch § 7 BauGB.
2. Sonderverfahren
• An Stelle eines Planfeststellungsbeschlusses kann unter bestimmten Voraussetzungen eine
Plangenehmigung erteilt werden (§ 17 Ia FStrG, Art. 38 II BayStrWG und Art. 74 IV 1
BayVwVfG). Auf ihre Erteilung finden die Vorschriften über das Planfeststellungsverfahren keine Anwendung (Art. 74 IV 2 Hs. 2 BayVwVfG). Sie ist somit eine vereinfachte Zulassungsmöglichkeit ohne Öffentlichkeitsbeteiligung, ohne Mitwirkung anerkannter Naturschutzverbände und ohne vorheriges Raumordnungsverfahren. Art. 37 BayStrWG (UVP!)
bleibt jedoch unberührt (Art. 38 II 2 BayStrWG); auch hier ist also – wenn Art. 37
BayStrWG – einschlägig ist eine UVP nach den Art. 78a ff. BayVwVfG (im Rahmen des
normalen Verwaltungsverfahrens) durchzuführen. Dennoch: Rechtswirkungen einer Planfeststellung Art. 74 IV 2 Hs. 1 BayVwVfG die (vgl. dazu unten 4.).
• Im vereinfachten Planfeststellungsverfahren kann unter bestimmten Voraussetzungen die
Auslegung des Plans und des festgestellten Planfeststellungsbeschlusses unterbleiben (Art.
38 IV BayStrWG).
3. Verfahrensphasen
(1) Planaufstellung durch Träger der Straßenbaulast
(2) Anhörungsverfahren (§ 17 III a - III c FStrG, Art. 38 I BayStrWG i.V.m. Art. 73
BayVwVfG)
• Weiterleitung des Plans an Anhörungsbehörde
• Einholung von Stellungnahmen der von der Planung betroffenen Behörden, Gemeinden und Kreise
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• Auslegung des Plans in den durch das Vorhaben voraussichtlich berührten Gemeinden
(1 Monat) + ortsübliche Bekanntmachung ) Außenwirkung (Art. 27, 27 b BayStrWG)
Beachte: Einwendungspräklusion = materielle Präklusion (§ 17 IV 1, 2 FStrG, Art. 38 I
BayStrWG i.V.m. Art. 73 IV 3, 4 BayVwVfG)
• Erörterungstermin
Beachte: Behördenpräklusion (§ 17 IV 3 FStrG, Art. 38 I BayStrWG i.V.m. Art. 73 III a
2 BayVwVfG)
• Stellungnahme der Anhörungsbehörde zum Erörterungsergebnis und Zuleitung an
Planfeststellungsbehörde (entfällt bei Identität von Anhörungs- und Planfeststellungsbehörde, Art. 39 I BayStrWG, § 22 IV FStrG i.V.m. Art. 39 II BayStrWG)
(3) Planfeststellungsbeschluss (§ 17 V FStrG, Art. 38 I BayStrWG i.V.m. Art. 74 BayVwVfG)
4. Rechtswirkungen der Planfeststellung
• Genehmigungswirkung (Feststellung der Vereinbarkeit mit öffentlichen Belangen): Art. 38
I BayStrWG i.V.m. Art 75 I 1 Hs. 1 BayVwVfG (gilt nach h.M. auch mit Blick auf § 14
WHG)
Grenze: § 17 VII 1 FStrG, Art. 38 I BayStrWG i.V.m. Art. 75 IV BayVwVfG
Beachte: Ausnahme §§ 5 f., 9 I 4 EkrZG
• Konzentrationswirkung: Art. 38 I BayStrWG i.V.m. Art. 75 I 1 Hs. 2 BayVwVfG
Beachte: bei Zusammentreffen mehrerer selbständiger Vorhaben: Art. 38 I BayStrWG
i.V.m. Art. 78 I BayVwVfG (ist das andere Verfahren nur Folge der straßenrechtlichen
Planfeststellung, gilt Art. 75 I 1 Hs. 2 BayVwVfG)
• Gestaltungswirkung: Art. 38 I BayStrWG i.V.m. Art. 75 I 2, II BayVwVfG
• Ausschlußwirkung zur Bestandssicherung nach Unanfechtbarkeit (Art. 38 I BayStrWG
i.V.m. Art. 75 II 1 BayVwVfG): keine Durchsetzbarkeit öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Abwehransprüche
Ausnahme: Art. 38 I BayStrWG i.V.m. Art. 75 II 2 BayVwVfG
• enteignungsrechtliche Vorwirkung der Planfeststellung (Vorgreiflichkeit für Planfeststellung): § 19 I, II FStrG, § 19 V i.V.m. Art. 28 BayEG
Beachte:
Voraussetzung für Enteignung und vorzeitige Besitzeinweisung bei Bundesfernstraßen ist ein
vollziehbarer Planfeststellungsbeschluss, §§ 19 I, 18 f I FStrG.
5. Grenzen der planerischen Gestaltungsfreiheit
(1) Planrechtfertigung:
Plan muß dem öffentlichen Interesse zu dienen bestimmt sein
(2) Einhaltung von Planungsleitsätzen (verbindliche gesetzliche Vorgaben, z.B. § 1
III FStrG, § 8 II BNatSchG)
(3) Optimierungsgebote (zu beachtende gesetzliche Vorgaben, z.B. § 50
BImSchG)
(4) Abwägungsgebot (Abwägungsfehler: Ausfall, Defizit, Fehleinschätzung, Dis
proportionalität, vgl. B-Plan)
Beachte: Begrenzung der Fehlerfolgen (§ 17 VI c FStrG, Art. 38 I BayStrWG
i.V.m. Art. 75 I a BayVwVfG)
(5) Auflagengebot (z.B. Art. 38 I BayStrWG i.V.m. Art. 74 II 2 BayVwVfG)
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6. Rechtsschutz
Rechtsmittel des Bürgers: nur gegen letzte Stufe:
• Planfeststellung: Anfechtungsklage ohne Vorverfahren (Art. 74 I, 70 BayVwVfG)
• bzw. Bebauungsplan (Art. 36 III Nr. 2 BayStrWG, § 17 III FStrG): Normenkontrollklage,
§ 47 I Nr. 1 VwGO
a) Rechtsschutz des Vorhabenträgers:
Verpflichtungsklage (praktisch selten)
b) Rechtsschutz von Bürgern (Dritten):
Anfechtungsklage gegen Planfeststellungsbeschluss, § 42 I Alt. 1 VwGO
mögliche Rügen (vgl. BVerwGE 67,74 = NJW 1983, 2459):
aa) bei enteignender Wirkung der Planfeststellung für Dritten: dieser kann wegen Art. 14
III GG alle Verfahrensfehler und Abwägungsfehler bzgl. aller Belange (auch z.B. Naturschutz) rügen ) „Rundum“-Prüfung!
Ausnahmen: z.B.
• ein gerügter Mangel der Trassenführung ist örtlich begrenzt und nicht bei Grundstück des Klägers; bei Korrektur der Trassenführung wäre der Kläger ebenso betroffen wie in der jetzigen Position.
• allgemein dann, wenn bei Korrektur des Fehlers der Kläger mit Sicherheit genauso
betroffen wäre wie in der jetzigen Situation
• Mangel kann seiner Art und Bedeutung nach für die Rechtsbetroffenheit des Klägers nicht von Bedeutung sein, z.B. örtlich begrenzter Fehler bei der Bekanntmachung des Planentwurfs in einem anderen Ort als dem des Klägers
bb) wenn Kläger nicht mit enteignender Wirkung betroffen:
nur drittschützende (d.h. den Kläger schützende) Vorschriften können gerügt werden,
z.B. Art. 14 I GG bei unzumutbarem Eingriff ohne Enteignung (z.B. Grundstück in
unmittelbarer Straßennähe);
§ 50, § 41 f. BImschG, §§ 1 ff. 16. BImschV (Sartorius 296e): Wenn Schutzmaßnahmen (Art. 74 II 2 BayVwVfG) ausreichend sind, werden nur diese – nach Klageänderung in Verpflichtungsklage – zugesprochen.
cc) Kreis der Kläger unter dem Gesichtspunkt des Art. 14 GG: neben Volleigentümer sonstige dinglich Berechtigte, auch Mieter und Pächter (BVerwG, DVBl. 1998, 44 unter
Bezugnahme auf BVerfGE 89, 1 = NJW 1993, 2035), Inhaber eines eingerichteten und
ausgeübten Gewerbebetriebs, nicht aber nur in sonstiger Weise schuldrechtlich oder
familienrechtlich mit dem Grundstück verbundene Personen, wie z.B. Ehegatten des
Eigentümers
dd) keine Betroffenheit in eigenen Rechten: allgemeine Gesichtspunkte („Zubetonieren der
Landschaft“); Veränderung der allgemeinen Verkehrsverhältnisse; bloße Chancen
c) Rechtsschutz von Gemeinden:
• kann nur Selbstverwaltungsrecht, nicht Rechte ihrer Bürger rügen
• Eingriffe in das Selbstverwaltungsrecht (Art. 28 II GG, Art. 11 II BV) müssen eine gewisse Intensität haben, um rügefähig zu sein:
− bei Eingriffen ohne hinreichend konkrete Planung der Gemeinde muß ein wesentlicher Teil des Gemeindegebiets der Planung entzogen worden sein (z.B. Autobahn
mitten durch kleine Gemeinde oder direkt daran vorbei) oder die Gemeindestruktur
sich wesentlich verändern (z.B. „Bauernsterben“ wegen Existenzvernichtungen
durch Autobahn) oder eine kommunale Einrichtung betroffen sein
− bei erheblicher Beeinträchtigung (teilweise oder vollständige Vereitelung) bereits
hinreichend konkretisierter (z.B. konkrete Aussagen über die zukünftige Nutzung des
Gebiets im FNP, vgl. BVerwG, NVwZ 1992, 787) Planung
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In allen diesen Fällen liegt keine Rechtsverletzung vor, wenn Belange der Gemeinde in
der Abwägung angemessen berücksichtigt und somit nicht unverhältnismäßig beeinträchtigt wurden.
d) Einstweiliger Rechtsschutz:
• meist ist Sofortvollzug gem. § 80 II Nr. 4 VwGO angeordnet:
) Rechtsmittel: § 80 V VwGO (beachte: u.U. Frist nach § 17 VI a 3 FStrG);
• bei Bundesfernstraßen, für die nach dem FernStrAusbauG vordringlicher Bedarf besteht, entfällt die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage gegen Planfeststellung oder Plangenehmigung (§ 17 I a FStrG) kraft Gesetzes (§ 17 VI a 1 FStrG);
) Rechtsmittel: § 80 V VwGO auf Anordnung der a.W. innerhalb eines Monats nach
Zustellung des VA ( § 17 VI a 2 FStrG)
Übungsfall 1 (vgl. BVerwG, NVwZ 1983, 672)
In Bayern soll eine Bundesautobahn gebaut werden.
Der Plan für das Teilstück km 12,5 bis km 19,5 der zuständigen Anhörungsbehörde zugeleitet
und liegt zur Einsicht aus.
A ist empört, weil er in dem Waldstück, das für den Autobahnbau benötigt wird, regelmäßig
spazieren geht. Er wendet fristgerecht gegen das Vorhaben ein, es zerstöre die Landschaft,
ohne unter verkehrlichen Gesichtspunkten notwendig zu sein. A’s Einwendungen werden erörtert und im Planfeststellungsbeschluss zurückgewiesen.
B gehört ein Teil der Fläche, die für den Autobahnbau in Anspruch genommen wird. Nach
Ablauf der Einwendungsfrist macht er geltend, das Vorhaben sei wegen des zu erwartenden
geringen Kraftfahrzeugaufkommens viel zu aufwendig. Der Bau einer Bundesstraße würde
vollkommen genügen.
B’s Einwendungen werden wegen Fristversäumnis nicht erörtert und im Planfeststellungsbeschluss auch sachlich nicht entschieden.
Sind die Klagen von A und B gegen den Planfeststellungsbeschluss zulässig?
Übungsfall 2 (nach VGH München, BayVBl. 1997, 571)
Die Gemeinde G erhebt Klage gegen eine straßenrechtliche Planfeststellung einer Autobahn.
Ihr Gemeindegebiet soll durch die Autobahn durchschnitten werden.
Sie trägt folgende, auch schon im Verfahren geltend gemachte Rügen vor:
1. Das Gemeindegebiet werde durch die Autobahn zerschnitten. Dadurch würden landwirtschaftliche und fremdenverkehrliche Belange der Gemeinde erheblich beeinträchtigt. Die
Existenzvernichtung von landwirtschaftlichen Betrieben und die Beeinträchtigung des
Fremdenverkehrs führten zu einer Verschlechterung der gesamten Wirtschaftsstruktur der
Gemeinde, was eine Verletzung des Selbstverwaltungsrechts darstelle;
2. außerdem müsse zur Herstellung der Autobahn gemeindlicher Straßengrund in Anspruch
genommen werden, wodurch die Gemeinde in ihrem Eigentumsrecht verletzt sei;
3. zudem seien Belange des Umweltschutzes und Lärmschutzes nicht ausreichend in der
Abwägung berücksichtigt worden.
Ist die Gemeinde G jeweils klagebefugt?
Übungsfall 3 (nach VGH München, BayVBl. 1997, 181)
Zum Bau eines Geh- und Radweges entlang einer Kreisstraße in Bayern ist vom Landratsamt
ein Enteignungsbeschluss gegen den Eigentümer erlassen worden. Die Kreisstraße ist zugleich Zubringer zu einer Bundesstraße. Der Geh- und Radweg soll 1.500 m lang und 2,5 m
breit sein und ist von der Fahrbahn durch einen 2 m breiten bepflanzten Grünstreifen getrennt.
Eine Planfeststellung für den Bau des Geh- und Radweges wurde nicht durchgeführt.
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Der Eigentümer E erhebt fristgerecht Klage gegen den Enteignungsbeschluss.
Erfolgsaussichten?
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E. Begründung, Veränderung und Beendigung des öffentlichen Status
) vier Statusakte: (1) Widmung, (2) Widmungserweiterung, (3) Umstufung, (4) (Teil-)Einziehung
I. Widmung
• Primärfunktion (vgl. auch oben A.I.):
durch Widmung gem. § 2 I FStrG, Art. 1 S. 1, 6 III BayStrWG (+ tatsächliche Indienststellung) wird Straße öffentliche Sache im Gemeingebrauch
) Verfügungsbefugnis (§ 2 II FStrG, Art. 6 III BaySrWG) = Rechtmäßigkeitsvoraussetzung
• Sekundärfunktion: Einstufung in bestimmte Straßenklasse
• Rechtsnatur: Allgemeinverfügung (Art. 35 S. 2 Alt. 2 BayVwVfG) ) keine konkludente
Widmung
• Inhalt der Widmung: Hinsichtlich des Ob und Wie der Widmung besteht ein Ermessensspielraum. Im Rahmen der Ermessensentscheidung sind Belange der Anlieger oder Festsetzungen des Bebauungsplans zu beachten; ferner müssen einbezogene Flächen straßenbautechnisch als Bestandteil der Straße in Betracht kommen (vgl. VGH München, DVBl
2002, 1417: ein 50 cm breiter fahrbahnbegleitender Seitenstreifen kann Sicherheit nicht
gewährleisten und als Gehweg gewidmet werden; eine Fläche kann nicht als Grün- oder
Randstreifen gewidmet werden; VGH München, BayVBl 2003, 337: eine Fläche kann
nicht als Randstreifen gewidmet werden, wenn sie den Festsetzungen eines Bebauungsplans widerspricht und eine sachlicher Grund für die Änderung fehlt).
• Rechtsfolge bei fehlenden Widmungsvoraussetzungen, insbes. Mitwirkung des Eigentümers, streitig: Art. 44 I BayVwVfG (Nichtigkeit, arg. integraler Bestandteil; äußerer Tatbestand fehlt) oder Art. 43 II, III VwVfG (wohl h.M., arg. nur Rechtmäßigkeitsvoraussetzung; fehlende Evidenz)
• Zuständigkeit: grds. Straßenbaubehörde, bei Staatsstraßen und Bundesfernstraßen oberste
Straßenbaubehörde (Art. 6 II 1, 2 BayStrWG, § 2 VI FStrG)
Beachte: ggfs. Organzuständigkeit: Beschluss des zuständigen Organs, da i.d.R. keine laufende Angelegenheit i.S.d. Art. 37 I Nr. 1 GO, Art. 34 I Nr. 1 LKrO
• Öffentliche Bekanntmachung (§ 2 VI 3 FStrG, Art. 41 III 2 BayVwVfG)
II. Widmungserweiterung
• im BayStrWG nicht ausdrücklich normiert, aber allgemein für zulässig gehalten
• Ergänzung des Widmungsinhalts = Zulassung weiterer Nutzungsmöglichkeiten
III. Umstufung
§§ 2 III a, IV FStrG, Art. 7 BayStrWG ) nachträgliche Korrektur der Einstufung durch Widmung
• Abstufungsverfügung
• Aufstufungsverfügung
Beachte:
kein Ermessen ) gebundene Entscheidung wegen Änderung der Verkehrsbedeutung
Danach ist auch der Versuch alle Wohnwege im Gemeindegebiet, die Eigentümerwege oder
Privatwege sind, zu Ortsstraßen oder beschränkt-öffentlichen Wegen umzustufen, damit für
deren Unterhalt die Gemeinde aufkommt, wegen Verstoßes gegen die Bestimmungen des
BayStrWG unzulässig.
IV. (Teil-)Einziehung
• Einziehung (§ 2 V FStrG, Art. 8 BayStrWG) = gebundener VA
) Beschränkungen bis hin zum vollständigen Verlust der bisherigen Nutzungen (§ 2 VII 1
FStrG, Art. 8 I 1 BayStrWG)
Beachte:
vorherige Ankündigung (§ 2 V 1 FStrG, Art. 8 II BayStrWG)
• Teileinziehung (Art. 8 I 2 BayStrWG)
) Unterschiede zur Volleinziehung:
− Ermessen
− Status als öffentlich-rechtliche Sache im Gemeingebrauch bleibt erhalten
Übungsfall 4 (nach VGH München, BayVBl. 2001, 345)
T beantragte 1975 bei der zuständigen Straßenbaubehörde eine Teilfläche seines Grundstücks
als Eigentümerweg zu widmen. In seinem Antrag wollte T die Widmung jedoch auf eine Anliegernutzung beschränkt wissen, da der Weg nur der Erschließung seiner Baugrundstücke
dienen soll. Die Straßenbaubehörde widmete die Fläche noch im gleichen Jahr mit Bescheid
als Eigentümerweg, ordnete aber keine Widmungsbeschränkungen an. Anschließend ließ T
vier Wohnhäuser auf seinem Grundstück errichten, von denen er eines bewohnte. Als T dieses
Jahr verstarb, zog der Alleinerbe A in das Wohnhaus des T ein. A ärgert sich über das Verkehrsaufkommen in seiner neuen Nachbarschaft und erinnert sich an die einstmals von T geäußerte Widmungsbeschränkung. Daher beantragt A bei der zuständigen Straßenverkehrsbehörde eine Anordnung gem. §§ 44, 45 StVO, wonach am Beginn des Eigentümerwegs das
Zeichen 250 nach § 41 StVO mit dem Zusatz „Zufahrt Anlieger frei“ aufzustellen sei. Die zuständige Behörde lehnt den Antrag des A ab und weist ihn darauf hin, dass der Eigentümerweg keiner Widmungsbeschränkung unterliege. Als Straßenverkehrsbehörde sei sie ferner
nicht zu einer nachträglichen Widmungsverfügung zuständig. Einen Anspruch hierauf bestünde für A ebenso nicht. Im Streit um die Widmungsbeschränkung würde ohnehin das öffentliche Interesse an der bisherigen Nutzungsmöglichkeit überwiegen.
Beurteilen Sie die materielle Rechtslage!
F. Die Nutzung öffentlicher Straßen
I. Gemeingebrauch
1. Begriff und Umfang (Art. 14 I 1 BayStrWG)
(„schlichter“) Gemeingebrauch = grds. unentgeltlicher Jedermann-Gebrauch ohne besondere Zulassung für Verkehrszwecke im Rahmen der Widmung
• Rechtsnatur = subjektiv-öffentliches Recht auf Ausübung, nicht bloßer Rechtsreflex
(arg. Art. 2 I i.V.m. Art. 3 I GG), aber nicht dort, wo es an einem Substrat fehlt
(BVerwGE 32, 322); vgl. auch Art. 14 III BayStrWG: kein Anspruch auf Aufrechterhaltung ) arg. a maiore ad minus: kein Anspruch gegen Beschränkung des Gemeingebrauchs
• Unentgeltlichkeit (§ 7 I 4 FStrG, Art. 14 II BayStrWG) ) nach h.M. kein Wesensmerkmal des Gemeingebrauchs, da Gesetzgeber Gemeingebrauch und hierfür eine Inanspruchnahme von Gebühren als miteinander vereinbar ansieht. Benutzungsgebühren
können danach für einen bestimmte Nutzung der Straße unter Vorbehalt einer besonderen gesetzlichen Regelung erhoben werden, auch wenn die Nutzung dem Gemeinge-
brauch zuzuordnen ist, z.B. gebührenpflichtiges Parken auf Grund von §§ 6a VI und 7
StVG oder die Erhebung einer „LKW-Maut“ nach dem Gesetz über die Erhebung strekkenbezogener Gebühren für die Benutzung von Bundesautobahnen mit schweren Nutzfahrzeugen vom 5.4.2002, BGBl. I 1234 ff. (zu verfassungs- und europarechtlichen Fragen der „LKW-Maut“, vgl. Klinkski, DVBl. 2002, 221 ff.; Uechtritz/Deutsch, DVBl.
2003, 575 ff.), vgl. auch Art. 55 I 3 BayStrWG, § 7 I 4 FernStrG (a.A. BVerwGE 4,
342)
2. Schranken des Gemeingebrauchs
• Zwecke des Verkehrs ) die Inanspruchnahme der Straße muß auf eine Ortsveränderung gerichtet sein, d.h. kein Gemeingebrauch sind solche Nutzungen, die objektiv
nicht der Fortbewegung dienen (z.B. Lagerung und Aufstellen von Gegenständen)
Problem: objektiv Verkehrsverhalten, subjektiv anderer Zweck
− „weiter Verkehrsbegriff“, arg. Kommunikationsgrundrechte (i.e. str.)
− aber: gewerblich-kommerzielle Absichten ) kein Gemeingebrauch (i.e. str.)
• Widmung ) Möglichkeit, die Benutzung der Straße hinsichtlich bestimmter Benutzungsarten, Benutzungszwecke oder Benutzerkreise zu beschränken;
abstrakter Gemeingebrauch = widmungsgemäßer Gebrauch ) sog. Vorbehalt des Straßenrechts
• Verkehrsvorschriften ) Inhalt des Gemeingebrauchs wird durch Straßenverkehrsrecht
konkretisiert;
konkreter Gemeingebrauch = straßenverkehrsrechtlich mitbestimmter Gemeingebrauch )
sog. Vorrang des Straßenverkehrsrechts
• Satzung (§ 8 I 4 FStrG, Art. 22 a BayStrWG)
3. Rechtsstellung des Anliegers
Definition:
Straßenanlieger = Eigentümer oder Besitzer der Grundstücke, die an einer öffentlichen
Straße gelegen sind (vgl. Art. 17 Abs. 1 Hs. 1 Bay StrWG) und zu dieser in einer über das
bloße Angrenzen hinausgehenden Beziehung stehen
)„gesteigerter Gemeingebrauch“ (arg. Art. 14 I 1 GG), soweit wie die angemessene Nutzung des Grundeigentums eine Benutzung der Straße erfordert (BVerwGE 54, 1; 94, 136;
vgl. aber nun BVerwG, BayVBl. 1999, 634: keine Ableitung des „Anliegergebrauchs“ aus
Art. 14 I 1 GG; so auch VGH Mannheim, VRS 102, 472=VBlBW 2002, 343; zu alledem
ausführlich Sauthoff, NVwZ 2004, 674, 680 ff.)
• Unterscheidung „gesteigerter Gemeingebrauch“ und Ersatz- bzw. Entschädigungsanspruch (§ 8a IV, V, VII FStrG, Art. 17 II - IV BayStrWG)
• Lit.: Unterscheidung „Anliegergebrauch“ (= Mitbenutzung des Straßengrundstücks
durch Anlieger = „gesteigerter Gemeingebrauch“) und „selbständiges Anliegerrecht“
(arg. Art. 14 I 1 GG ) Erschließungsfunktion der Straße, d.h. Recht auf Zugang usw.)
• kein selbständiges Anliegerrecht im FStrG und BayStrWG (= Gemeingebrauch)
Beachte:
kein Recht auf Aufrechterhaltung des Anliegergebrauchs (vgl. Art. 17 I Hs. 2 BayStrWG)
II. Sondernutzung
= über den Widmungszweck, nämlich der Teilnahme am – auch ruhenden – Verkehr hinausgehende Nutzung der Straße (§ 8 I 1 FStrG, Art. 18 I 1 BayStrWG); Zufahrten zu Hauptverkehrsstraßen gelten ebenfalls als Sondernutzung, § 8a FernStrG, Art. 19 BayStrWG!
(fiktive Sondernutzung)
Sondernutzung kraft öffentlichen Rechts (= gemeingebrauchsbeeinträchtigend, vgl. Art. 18
BayStrWG, Regelfall) und Sondernutzung in den Formen des Zivilrechts (= nicht-gemein-gebrauchsbeeinträchtigend, vgl. Art. 22 I BayStrWG) sind zu unterscheiden.
- 16 -
• Erlaubniserteilung durch VA oder verwaltungsrechtlichen Vertrag, es sei denn Art. 22 a
BayStrWG
− Ermessen ) (nur) subjektives Recht auf fehlerfreie Ermessensausübung
− nach wohl h.M. Beschränkung des Versagungsermessens auf Gründe, die einen sachlichen Bezug zur Straße, ihrem Umfeld und zu ihrer Funktion haben und den Widmungszweck berühren
• Benutzungsgebühren (§ 8 III FStrG, Art. 18 II a 1 BayStrWG)
• keine Konzentrationswirkung: (Bsp.: Anmeldung einer Versammlung nach dem VersammlG macht Sondernutzung für Infostand nicht überflüssig); aber umgekehrt: Substitution möglich, vgl. § 8 VI FStrG, Art. 21 S. 1 BayStrWG, z.B. §§ 29 II, III, 46 StVO; § 8 VI
FernStrG gilt jedoch nach BVerwGE 94, 234 nicht im Falle des § 8a BFernStrG (bei Zufahrten zu Hauptverkehrsstraßen, vgl. § 8a FernStrG, Art.19 I BayStrWG).
Beachte:
Die straßenverkehrsrechtliche Erlaubnis muß (nur) objektiv erforderlich sein, nicht aber
auch tatsächlich erteilt worden sein (BVerwG, DVBl. 1994, 347).
III. Abgrenzung Gemeingebrauch/Sondernutzung
Beispiele
Gemeingebrauch
Verteilen von kostenlosen Zeitschriften, politischen Flugblättern im innerörtlichen Bereich:
kommunikativer Verkehr (i.E. str.), hingegen
fehlt es am Gemeingebrauch, wenn hierfür die
Fahrbahn betreten wird, um Kraftfahrer vor haltenden Lichtzeichen zu erreichen
Ein Firma läßt zu Werbezwecken einen PKW mit
Werbelogo in deutschen Großstädten herumfahren: gemeingebräuchlich, da Nutzung sich im
Rahmen der StVO hält
Eine Autovermietung „parkt“ zugelassene Kraftfahrzeuge auf der Straße neben ihrem Geschäft:
gemeingebräuchlich, da kein Verstoß gegen
StVO, wenn Möglichkeit der jederzeitigen Inbetriebnahme (d.h. technisch noch betriebsbereit
und zugelassen) = sog. ruhender Verkehr (bei
Verkaufsofferte str., Gemeingebrauch nach OVG
Münster, NVwZ 2002, 218; zu den Abgrenzungsschwierigkeiten beim „gemeingebräuchlichen
Parken“ OVG Hamburg, VRS 1998, 396)
Sondernutzung
Verteilen von Handzetteln mit Wirtschaftswerbung: gewerbliche Tätigkeit
(a.A.: Gemeingebrauch, soweit nicht
Passanten aufgehalten werden) oder
Aufstellen eines Infostands für Wahlen: wegen gegenständlichem Hindernis
Transport von überbreiten oder zu
schweren Gütern, die das nach StVZO
für LKW zulässige Gesamtgewicht
überschreiten
Ein Autohändler „parkt“ seine nicht
zugelassenen Neuwagen auf der Straße
neben seinem Geschäft: Sondernutzung, da mangels Zulassung keine
Teilnahme am Verkehr
Vgl. Sauthoff, NVwZ 2004, 674, 678 ff. mit vielen weiteren Beispielen
Übungsfall 5 (nach VGH Mannheim, VBlBW 1995, 1061)
A gehört ein Wohngrundstück, dessen eine Längsseite an eine im Bebauungsplan als Fußgängerzone ausgewiesene Straße grenzt; die andere Seite ist durch eine Zufahrt verkehrsmäßig
erschlossen. Die Gemeinde erweitert, ohne den B-Plan zu ändern, die Widmung und läßt in
der Fußgängerzone in beschränktem Umfang Liefer- und Dienstleistungsverkehr zu. Durch
bauliche Veränderungen wird die Straße dann für den Verkehr geöffnet. Dies führt zu einem
für A unzumutbarem Verkehrslärm.
- 17 -
Wie kann A hiergegen vorgehen?
Übungsfall 6 (nach VGH München, BayVBl. 1996, 665; BayObLG, BayVBl. 1998, 30; vgl.
auch VG Karlsruhe, NJW 2002, 160; VGH München, BayVBl. 2002, 636)
Die Sekte Universelles Leben e.V. bietet durch Mitarbeiter auf öffentlichen Straßen und Plätzen der Stadt S Zeitschriften aus einem mit ihr verbundenen Verlag an. Die Zeitschriften enthalten einen kurzen Anzeigenteil, in dem auf die Möglichkeit eines Förderabonnements (zu
marktüblichen Preisen) sowie auf einzelne andere Produkte von mit dem Antragsteller verbundenen Unternehmen aufmerksam gemacht wird. Die Zeitungen werden unentgeltlich und
ohne Zuhilfenahme von Informationsständen angeboten. Es werden auch keine Passanten dabei angehalten. Die Stadt S droht gegenüber dem Verein wegen dieser angeblichen Sondernutzung im Wiederholungsfalle mit der Verhängung von Bußgeldern.
Der Verein, der seine Aktivitäten in nächster Zeit weiter fortsetzen möchte, stellt daraufhin
beim zuständigen Verwaltungsgericht einen Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung
mit dem Inhalt, festzustellen, dass er ohne Erlaubnis zur Fortsetzung seiner Aktivitäten auf
den öffentlichen Plätzen berechtigt sei.
Abwandlung:
Der Antrag auf einstweilige Feststellung wird nicht von oben genanntem Verein gestellt, sondern von einem Maler M, der in einem verkehrsberuhigten Bereich Aquarelle und Karikaturen anfertigt. Er stellt hierzu einen Klappstuhl und eine Staffelei auf und stellt auch einige
Bilder zum Verkauf am Straßenrand aus.
Übungsfall 7 (nach VG Augsburg, BayVBl. 1997, 667; VGH Mannheim, NVwZ-RR 2002,
740)
Mitarbeiter der „Scientology-Kirche Deutschland e.V.“ verteilen in der Innenstadt von Augsburg Handzettel, die für den Kauf des Buches „Dianetik“ werben (mit Bestellschein). Gleichzeitig können die angesprochenen Passanten das Buch „Dianetik“ zum Preis von EUR 7,–
kaufen. Ein Verkaufsstand wird von den Mitarbeitern dabei nicht errichtet. Die Stadt Augsburg verbietet dem e.V. nach Anhörung die Fortführung dieser Handlungen. Scientology e.V.
erhebt nach erfolglosem Widerspruch fristgerecht Klage.
Erfolgsaussichten?
Übungsfall 8 (nach VGH München, BayVBl. 1994, 20; OVG Schleswig, NVwZ 1996, 1034;
VGH Mannheim, NVwZ-RR 1997, 67; BVerwG, BayVBl. 1997, 666)
M betreibt im Bundesgebiet mehrere Schnellrestaurants, in denen er Speisen und Getränke in
Einwegverpackungen ausgibt. Im Fußgängerbereich der Stadt S unterhält er eine Filiale, vor
der er ganzjährig drei Stehtische aufstellt. Für die damit verbundene Nutzung des öffentlichen
Grundes erhält er auf Antrag von der Stadt S, die eine Satzung nach Art. 22 a, 56 II
BayStrWG erlassen hat, eine Sondernutzungserlaubnis, die allerdings u.a. folgende Nebenbestimmung enthält:
„Die Erlaubnis ergeht unter der Bedingung, dass Speisen und Getränke zum Verzehr an Ort und Stelle nur mit Mehrweggeschirr und Mehrwegbesteck ausgegeben
werden dürfen.“
Diese Nebenbestimmung hat die Stadt allein aus Gründen der Abfallvermeidung beigefügt.
Wäre eine Klage des M erfolgreich?
- 18 -
G. Das Verhältnis von Straßenrecht und Straßenverkehrsrecht
• gedanklicher Ausgangspunkt: Abgrenzung beider Rechtsmaterien ist kompetenziell geboten
Art. 70 GG ↔ Art. 74 I Nr. 22 GG (vgl. oben A.I., S. 2)
• Das Straßenrecht schafft mit Hilfe der Widmung einen Nutzungsstatus, indem es die spezifische Verkehrsfunktion einer Straße festlegt. Das Straßenverkehrsrecht hat dagegen die
Aufgabe, die Ausübung des durch die Widmung zugelassenen Verkehrs vornehmlich unter
dem Aspekt der Gefahrenabwehr zu regeln (Verkehrsstatus).
• sachlicher Zusammenhang beider Rechtsmaterien:
das Straßenverkehrsrecht setzt das Straßenrecht voraus (BVerfGE 40, 371 [378]; 67, 299
[314]); d.h. über den Gemeingebrauch entscheidet das Straßenrecht, über die Ausübung
des Gemeingebrauchs das Straßenverkehrsrecht (BVerfGE 67, 299 [321])
Vorbehalt des Straßenrechts
Vorrang des Straßenverkehrsrechts
(grds. Landeskompetenz)
(ausschl. Bundeskompetenz)
• Straßenverkehrsrechtliche Regelungen kön- • Was nach Straßenverkehrsrecht zulässig ist,
nen keine Nutzungen gestatten, die von der
kann nicht straßenrechtlich unzulässig sein
Widmung nicht umfasst sind (= Grenze des
(sog. Mitbestimmungsformel, KongruenzStraßenverkehrsrechts „nach oben“)
vorstellung, vgl. oben F.I.2.)
z.B. wären straßenverkehrsrechtliche Regez.B. Autovermietung nutzt den Straßenrand,
lungen unzulässig, die bei einem Fußgänwo kein Parkverbot angeordnet ist, als Abgerbereich weitere Benutzungsarten zuliestellplatz für ihre zugelassenen PKWs (sog.
ßen (z.B. beschränkter Fahrzeugverkehr)
ruhender Verkehr, vgl. oben F.III.)
• Straßenverkehrsrechtliche Regelungen (ins- • Die StVO konkretisiert den Gemeingebes. § 45 StVO) erlauben keine dauerhafte
brauch für den Bürger, sie kann die Widvollständige oder teilweise Entwidmung;
mung jedoch teilweise auch „überlagern“,
insoweit wird das Vorrangprinzip wieder
wenn sicherheitsrechtliche Aspekte maßvom Vorbehaltsprinzip eingeschränkt (=
geblich sind und der Fortbestand der GeGrenze des Straßenverkehrsrechts „nach unfahrensituation nicht überschaubar ist (sog.
ten“)
Überlagerungseffekt)
z.B. bedarf die langfristig angelegte Einz.B. bloßes Nachtfahrverbot für LKW (§ 45
richtung von Fußgängerbereichen der TeilI 2 Nr. 3, I b 1 Nr. 5 StVO); Extremfall:
einziehung (Art. 8 I 2 BayStrWG), § 45 I b
Aussperrung des Kfz-Verkehrs aus den en1 Nr. 3 StVO dient nur der Publikationsgen verkehrsreichen Straßen einer histoerleichterung (vgl. hierzu OVG Koblenz,
rischen Innenstadt (BVerwG, DÖV 1980,
NVwZ-RR 2004, 70).
915)
Im Übrigen kann die flächendeckende
Überspannung einer Innenstadt mit Parkvorberechtigungszonen
(Anwohnerparkplätze) nicht auf Grundlage des Straßenverkehrsrecht gegründet werden, da solche
Maßnahmen unter Stadtplanungsrecht fallen
und insofern einen straßenrechtlichen Statusakt der Straßenbaubehörde erfordern, da
das Nutzungsstatut der Straße beschränkt
wird (vgl. BVerwG 107, 38, 44; von Danwitz, in: Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Bes.
VerwR, Rn. 8; dagegen a.A. OVG Münster,
NZV 2000, 183; OVG Berlin, Beschl. v.
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29.4.2002 – 1 S 3/02 unveröffentlicht, anders noch VG Berlin, NZV 2001, 395)
Übungsfall 9 (nach VGH München, BayVBl. 1998, 536)
G betreibt in der kreisangehörigen Stadt S einen Getränkeauslieferungsdienst. Im Stadtzentrum wurde vor sechs Wochen im Wege der Teileinziehung eine Fußgängerzone neu eingerichtet. Da der Lieferverkehr dort nur von 9.00 bis 10.00 Uhr sowie zwischen 13.00 und 15.00
Uhr zulässig ist, kann G seine Getränkelieferungen nicht mehr wie gewohnt ausführen.
Was ist ihm zu raten? Erfolgsaussichten etwaiger Rechtsmittel?
Übungsfall 10 (nach Examensklausur 1994/2, BayVBl. 1996, 671 f., 699 ff.)
E ist Eigentümer eines Hauses, das im Ortskern der kreisangehörigen Gemeinde G, Landkreis
L liegt. Die Gemeindestraße, an dem das Haus des E liegt, ist von der Gemeinde G „unter
Aufrechterhaltung der Widmung für den Fußgängerverkehr eingezogen“ worden und mit dem
Verkehrszeichen 242 „Beginn eines Fußgängerbereichs“ (§ 41 II Nr. 5 StVO) gekennzeichnet
worden.
E beantragt bei der Gemeinde G, durch ein entsprechendes Zusatzschild zu dem Verkehrszeichen 242 „Anlieger frei“ den privaten Anliegerverkehr mit Kraftfahrzeugen zuzulassen.
Die Gemeinde lehnt dies nach sechs Wochen Bearbeitungszeit mit Bescheid ab, da 40 m und
80 m entfernt vom Grundstück des E zwei mit Kfz befahrbare Straßen verlaufen, die vom
Grundstück des E aus zu Fuß bequem erreichbar sind. Im Übrigen stehe die bestandskräftige
Widmungsbeschränkung der Anbringung eines solchen Schildes entgegen.
Hiergegen legt E beim Landratsamt durch seinen Rechtsanwalt R, der dem eine Vollmacht
übersendet, Widerspruch ein. Im Widerspruchsschreiben trägt er vor, dass wegen der geringen Zahl der Anliegergrundstücke der Anliegerverkehr sehr gering sein werde. Außerdem
habe er aus Art. 14 GG ein Recht auf freiem Zugang zu seinem Grundstück, dass derzeit unverhältnismäßig eingeschränkt werde. Auf die bestandskräftige Widmungsbeschränkung, die
ihm im Übrigen nicht persönlich bekannt gegeben worden sei, komme es nicht an.
Der Widerspruch des E bleibt ohne Erfolg. E wendet sich sechs Wochen später, nachdem der
Widerspruchsbescheid ihm zugestellt wurde, an seinen Rechtsanwalt R mit der Bitte um gutachtliche Prüfung der Erfolgsaussichten einer Klage.
Abwandlung:
In der „Einziehung“ der Straße ist nicht nur der Fußgängerverkehr, sondern auch der Anliegerverkehr aufrechterhalten worden. Dennoch verweigert die Gemeinde die Anbringung des
Zusatzschildes zu dem Verkehrszeichen 242, da der Anliegerverkehr aufgrund des § 45 I b 1
Nr. 4 StVO nicht zugelassen werden könne. Die Fußgänger müssten in diesem Bereich vor
jeglichem Kraftfahrzeugverkehr geschützt werden, da es schon jetzt aufgrund der zahlreichen
Passanten zu Behinderungen komme. Diese letzte Behauptung trifft zu.
Im übrigen könne E auch in Ausnahmefällen eine Ausnahmegenehmigung beantragen.
Hätte eine verwaltungsgerichtliche Klage Aussicht auf Erfolg?
Übungsfall 11 (nach VGH Mannheim, DVBl. 1994, 348; BVerwG, NVwZ 1995, 910)
Der Stadtrat des Kurorts Große Kreisstadt Bad Guggenberg, Landkreis Augsburg, Regierungsbezirk Schwaben, beschließt im gesamten Stadtgebiet „Tempo 30“ einzuführen. Ausgenommen hiervon soll nur die durch den Ort führende Bundesstraße 300 (B 300) sein. Die
ebenfalls durch den Ort führenden Staatsstraßen 1023 und 973 sowie die Hauptstraße, die die
Ortsteile der Stadt verbindet, sollen nicht ausgenommen werden. Nach der Umsetzung dieses
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Beschlusses durch verkehrsrechtliche Anordnung wird die Sache zugleich von empörten Bürgern der Regierung von Schwaben mit dem Antrag auf aufsichtliches Tätigwerden vorgelegt.
Die Regierung beanstandet daraufhin nach Anhörung die Anordnung und weist die Große
Kreisstadt an, die Staatsstraße sowie die Hauptstraße (Ortsteilverbindungsstraße) aus der verkehrsrechtlichen Anordnung auszunehmen.
Die Stadt legt fristgerecht Widerspruch ein.
Wie ist zu entscheiden?
FINIS
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