der Tafel - Landeszentrale für politische Bildung Baden

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der Tafel - Landeszentrale für politische Bildung Baden
NoRmahl
Die Punkband NoRMAhl wurde 1978 gegründet. Ihre Mitglieder kommen aus dem Raum Winnenden. 1992 initiierte die Band
gemeinsam mit ihrem Musikverleger Hans Derer, der Zeitschrift Prinz sowie dem damaligen Sender SDR mit „Kein Hass im Wilden Süden“
eine der größten bundesweiten Aktionen gegen Ausländerfeindlichkeit und Gewalt. Zum 30-jährigen Bestehen der Band
erschien im November 2010 der Film „Jong’r“ [iong:r], der vom Lebensgefühl des Punk in einer schwäbischen Kleinstadt erzählt.
Gegen Autoritäten
In unserer Jugend war es wichtig, sich gegen Autoritäten wie Lehrer
und Eltern zu stellen. Das waren entweder alte Nazi-Säcke
oder 68er Althippies. (Lars) Unser Umgang damit hieß: Terror und
Revolution. (Manny)
Genau, wir haben uns Sicherheitsnadeln durch Backen oder Arme
gesteckt. Da liefen die Lehrer bleich an. Wir konnten damals mit
einfachen Mittel schockieren. Ich hatte Schulverweise wegen meines
Irokesenhaarschnitts und weil ich Lederjacken und zerrissene
Hosen getragen habe. (Lars)
Mein Vater war ein strenger Schulrektor. Ich bin jeden Tag vier Mal
aus dem Unterricht geflogen und hatte Angst, dass er das herausbekommt. (Scobo)
Mein Vater hat mich immer auf Einstiche untersucht. Ihm war es
wichtig, dass ich drogenfrei bleibe. Das war nicht normal,
dass einer so ausgeflippt war, ohne Drogen zu nehmen. Er hat sich
dafür geschämt, solch einen Sohn zu haben. Damals galtest du
schon als nicht angepasst, wenn du nicht in die Tanzschule gehen
oder dich nicht konfirmieren lassen wolltest. (Lars)
Das ist nicht großspurig gemeint, aber wir haben bewirkt, dass
die Gesellschaft sich verändert hat. Sie reagiert heute anders
auf uns als früher. Vor 30 Jahren hätte uns wahrscheinlich der Verfassungsschutz interviewt und nicht die Landeszentrale für
politische Bildung. (Lars)
Ohne Schalldämmung
Punkmusik in Leutenbach, in der schwäbischen Provinz: Da gab es
noch keine Schalldämmung. Wenn wir im Keller geprobt haben,
konnte es ganz Leutenbach hören. Damals gab es hier noch viele
Bauernhöfe, die Bauern haben gesagt: „Na gut die spinnen alle ein
bisschen, aber lass sie proben.“ (Lars)
Heute überlegen sich junge Bands, wie sie proben können, ohne
anzuecken. Die kümmern sich um Schalldämmung. Uns war das
scheißegal. (Mick)
Damals gab es keine ständige Verfügbarkeit von Musik. Wir hatten
damals drei Fernsehprogramme, und das erste fing mittags um vier
an mit „Sport-Spiel-Spannung“ mit Klaus Havenstein.
Wenn du dann „God save the Queen“ von den Sex Pistols gehört
hast, machte das einen Eindruck. (Mick)
Bandmitglieder:
oben von links nach rechts: Scobo Skobowsky und Mick Scheuerle
unten von links nach rechts: Lars Besa und Manny Rutzen
Welche Musik wir gehört haben?
Status Quo. (Mick)
Lars hat immer auf dem Schulhof Udo-Lindberg-Lieder gesungen.
(Manny)
Durch ihn bin ich auch zum Punkrock gekommen. Er hat die Fahne
des Deutschrock hochgehalten. Ich habe auch viele Liedermacher
wie Wolf Biermann gehört. Ich mochte Kiss, Hard Rock oder Metal.
Punk war eine harte Musik mit Wurzeln im Rock‘n‘ Roll, mit Gitarre
und fettem Schlagzeug. Da hat mir die Stimmung gefallen. (Manny)
Im Radio gab es in den siebziger Jahre nur discolastige
Musik. Im Fernsehen hatten wir nur die Hitparade oder „Disco“
mit Ilja Richter. (Mick)
Das hat natürlich auch beeinflusst: Ich habe enorme Schlagerkenntnisse. (Lars)
Einfach losziehen
Damals gab es auch diesen Plan nicht, der heute hinterm Musikmachen steht. Heute wollen alle Superstars werden. Wir wollten nur
etwas anderes machen. (Lars)
Und ich hatte durch die Band Vorteile bei Frauen. Aber nur auswärts.
Die Frauen hier wussten, dass das mit uns keine Zukunft hatte.
Die wollten dann lieber den Bauern mit Land als den ausgeflippten
Musiker. (Lars)
Ich weiß noch, wie ich auf dem Umschlag meines Mathematikheftes
meine bis dahin bekommenen Gagen zusammengerechnet habe
und kam mir für meine damaligen Verhältnisse ziemlich „reich“ vor.
(Manny)
Ich vermisse die völlige Hemmungslosigkeit aus dieser Zeit,
20 Tage auf Tour zu gehen und zu sagen: „Leck mich am Arsch!“.
Einfach losziehen, im Tourbus schlafen und dann sehen,
was passiert. Das haben wir verloren. Irgendwann hieß es:
„Gehen wir mal wieder ins Hotel.“ (Lars)
Schwäbisch
Es ist ein Klischee, dass ein Schwabe ein Dummkopf ist, der in
seiner Welt festgefahren ist, und nur aufs Geld guckt. Ich habe in
Deutschland und im Ausland Regionen gesehen, in denen die
Leute in dieser Hinsicht schwäbischer waren als hier. (Lars)
Was an uns eher schwäbisch ist, ist der Antrieb, Dinge fertig zu
bringen. (Manny)
Genau, einen Plan zu haben und ihn umzusetzen: Wir sind Tüftler.
Wir haben zwar nicht die Genauigkeit an den Tag gelegt, die
uns nachgesagt wird, aber wir haben am Ende ein Produkt gehabt.
Da sind wir vielleicht wirklich schwäbisch. (Lars)
Interview und Textfassung: Silke Brüggemann
Fotograf: Brian Pattrick Bailey