Die Pharmariesen und der Krieg ums Nikotin

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Die Pharmariesen und der Krieg ums Nikotin
Die Pharmariesen und der Krieg ums Nikotin
Christopher Snowdon1
Während des verlängerten Wochenendes sind ein paar interessante Geschichten zur
Einflussnahme durch die Pharmaindustrie herausgekommen. Zuerst hat die Times Fragen
über das Gremium aufgeworfen, das der Zulassungsbehörde MHRA (Medicines and
Healthcare Products Regulatory Agency) geraten hat, E-Zigaretten als Arzneimittel
einzustufen.
Gesundheitsexperten, die empfohlen haben, dass die Regierung die Regulierung
elektronischer Zigaretten verschärfe, haben es unterlassen, ihre finanziellen Interessen in
Bezug auf Konkurrenzprodukte der Pharmariesen bekanntzugeben.
… Bei den Treffen, die im Mai 2011 und im Januar dieses Jahres in der Londoner MHRAZentrale stattgefunden haben, hat der Vorsitzende die Mitglieder der Expertenkommission
dazu aufgefordert, eventuelle Interessenkonflikte offenzulegen.
Aus den Protokollen des Treffens von 2011, die die Times entsprechend
dem Informationsfreiheitsgesetz erlangt hat, geht hervor, dass „die Mitglieder keine
Interessenkonflikte angeben“. Dabei waren einige Kommissionsmitglieder als Berater großer
Pharmafirmen tätig, wobei es um Nikotin ging.
… Paul Aveyard, Professor für Verhaltensmedizin an der Universität Oxford, berät die
Konzerne McNeil und Pfizer in den Bereichen Nikotinersatztherapie bzw. Nikotin-Impfstoffe.
Prof. Aveyard, der an Anleitungen zum Verschreiben lizensierter Nikotinprodukte für
Mediziner mitgewirkt hat, war zudem Berater von Xenova, einer Firma, die Impfstoffe gegen
Nikotinabhängigkeit entwickelt hat.
Martin Jarvis, emeritierter Professor der Gesundheitspsychologie am
Universitätskolleg London, sowie stellvertretender Kuratoriumsvorsitzender der AntiraucherVereinigung ASH (Action on Smoking and Health), steht auf der Gehaltsliste des PfizerKonzerns. Er war bei einem Inhaltsstoff von Champix, einem Medikament Pfizers zur
Behandlung von Nikotinabhängigkeit, beratend tätig.
Christopher Marriott, emeritierter Professor der Pharmazie am King’s College in
London, besitzt Aktien von drei Pharmafirmen. Eine davon ist die Vectura Ltd., Teil der
Vectura, eine im britischen Börsenindex FTSE-250 gelistete Firma, deren
Inhalationsprodukte der Bekämpfung von COPD (chronisch-obstruktive
Lungenerkrankung), besser bekannt als Raucherhusten, dienen. 2
Zum Zweiten hat die polnische Presse den Einfluss der Pharmariesen auf die EUTabakproduktrichtlinie untersucht. Der Artikel aus Uważam Rze ist nicht online verfügbar,
weshalb ich David Dorn äußerst dankbar dafür bin, dass er mir eine Übersetzung hat
zukommen lassen.
1
Im Original erschienen als “Big Pharma and the nicotine wars” im Blog “Velvet Glove, Iron Fist”, 26.08.2013,
http://velvetgloveironfist.blogspot.de/2013/08/big-pharma-and-nicotine-wars.html
2
http://www.thetimes.co.uk/tto/business/industries/consumer/article3852342.ece
Drohen wir wegen Pharmalobbyisten in Brüssel zu verlieren?
Im Europäischen Parlament wird weiter an der neuen Tabakproduktrichtlinie gearbeitet,
welche Herstellung und Verkauf von Menthol- und „Slim“-Zigaretten verbieten soll.
Dieser Schlag gegen Raucher ist – wie immer – von Sorge um unsere Gesundheit getragen.
Allerdings steckt unseren Informationen zufolge dahinter mehr als auf den ersten Blick
erkennbar. Wenn die Vorschriften in geplanter Form in Kraft treten, werden Pharmakonzerne
von ihnen profitieren. Zig Millionen Euros jährlich stehen auf dem Spiel, sodass derzeit in
Brüssel Lobbying in einem bislang nicht dagewesenen Ausmaß betrieben wird.
Die für die Vorlage zuständige EP-Berichterstatterin ist Linda McAvan, eine britische
Europaabgeordnete aus der sozialdemokratischen Fraktion. Sie ist eine namhafte AntiRaucher-Aktivistin. Bemerkenswert hierbei ist, dass sie ihre Aktivität zur
Tabakproduktrichtlinie gleichzeitig mit David Harley begonnen hat, einem ehemals
hochrangigen
Funktionär
der
Sozialdemokraten
im
Europaparlament
und
Fraktionsvorstandskollegen, der danach dem Brüsseler Büro der Lobbyistenfirma BursonMarsteller beigetreten ist, zu deren Kunden einige der größten Pharmakonzerne gehören,
einschließlich Johnson & Johnson, sowie Pfizer, die an Rauchern Millionenbeträge verdienen
können. „Geld ist das einzige, was dabei zählt“ so Zbigniew Ziobro, Europaabgeordneter der
Solidarna Polska. „Derzeit läuft eine gewaltige Lobby-Kampagne. Die Lobbyisten jagen den
Europaabgeordneten regelrecht hinterher. Ich selbst habe mich mit denen nie getroffen, aber
sie bieten fortgesetzt Reisen und Essens-Einladungen an. Dies ist kaum verhüllte
Korruption“, so der ehemalige Justizminister, wie auch im vergangenen Jahr von britischen
Undercover-Journalisten demonstriert wurde, denen drei bedeutende Europaabgeordnete
versprachen, für 100.000 Euro ein Gesetzesprojekt durchzupeitschen.“
Es überrascht nicht, dass die Chefs der größten Pharmakonzerne, wie Johnson & Johnson,
Pfizer und GlaxoSmithKline, im November 2011 dem EU-Kommissions-Präsidenten José
Manuel Barroso einen Brief gesandt haben, in dem sie beschleunigte Bemühungen um die
neuen Tabakrichtlinie gefordert haben. [Ich habe diesen Brief seinerzeit bereits behandelt.3].
Darüber hinaus verlangen sie, dass keinerlei Untersuchungen über die zu erwartenden
Folgen der neuen Vorschriften durchgeführt werden sollen. „Natürlich ist die
Folgenabschätzung sehr wichtig für eine verantwortungsvolle Gesetzgebung, jedoch – wie
aus einer Resolution des Europäischen Parlaments im Hinblick auf eine unabhängige
Bewertung von Regulierungsfolgen hervorgeht – darf dies nicht ‚zu größerer Bürokratie und
unnötigen Verzögerungen des Gesetzgebungsprozesses führen‘ und ‚als Mittel zur
Blockierung
unerwünschter
Rechtsvorschriften
führen‘.
Zudem
ersetzt
eine
Folgenabschätzung nicht den Entscheidungsfindungsprozess bei Rat und Parlament. Wir sind
der Meinung, dass weitere Verzögerungen inakzeptabel sind“. So lesen wir im Brief.
Allerdings wurde diese Forderung nicht nur von den Konzernchefs unterzeichnet, sondern
auch von der Abgeordneten McAvan.
“Dies stellt einen ernsthaften Grund dar, die Unparteilichkeit der Berichterstatterin
anzuzweifeln“, kommentierte der Europaabgeordnete Andrzej Grzyb von der Polnischen
Bauernpartei (PSL) unsere Informationen.
Pharmaunternehmen behaupten, ihre Lobbyarbeit zugunsten der neuen Richtlinie entspringe
ihrer Sorge um die Gesundheit der Menschen. Dies ist eine Seite der
3
http://velvetgloveironfist.blogspot.co.uk/2011/12/nicotine-wars-latest.html
Medaille. Demgegenüber ist ebenfalls wahr, dass jede zusätzliche Einschränkung, die den
Rauchern auferlegt wird, für sie (die Pharmaunternehmen) ein Vermögen wert ist, ein
Vermögen in Form erhöhter Verkaufszahlen für ihre Pillen, Pflaster und
Kaugummis, die beim Rauchstopp helfen sollen. Darüber hinaus wollen die Konzerne EZigaretten als Arzneimittel einstufen lassen, um so ihre Profite noch weiter zu Lasten der
Tabakfirmen zu erhöhen. Interessanterweise wurde am 8. Mai dieses Jahres beim
Europaparlament eine Schulungsveranstaltung zum Thema E-Zigaretten abgehalten.
Organisiert wurde selbige … von der Europaabgeordneten McAvan. Diese sagte, dass sie als
Arzneimittel behandelt und reglementiert werden sollten, bei einem Verbot ihrer
aromatisierten Versionen verboten werden sollten. In der Realität würde dies bedeuten, dass
alleine die Pharmakonzerne E-Zigaretten vermarkten dürften. „Hier gibt es ein enormes
Konglomerat von Menschen aus den unterschiedlichsten politischen Kulturen. Aufgrund
dieser Gemengelage ist das Ausmaß des Lobbyismus oder, um es unverblümt zu sagen, der
Korruption, enorm. Derartige Aktionen sind ein Schlag gegen unseren nationalen Interessen
unter dem Deckmäntelchen nobler Ideale“, führt der Europaabgeordnete Ziobro aus.
„Lobbyistenbüros haben häufig einen immensen Einfluss auf die Gesetze, die von der EU
verabschiedet werden. Große Firmen haben einen simplen Weg gefunden, ihre Interessen
durchzusetzen. Die Korruption floriert, und dies ist sehr schlecht, weil es großen Konzernen
auf diese Weise gelingt, kleine und mittlere polnische Unternehmen zu blockieren.“
Der Zigarettenverkauf generiert jedes Jahr Einnahmen von über 160 Milliarden Euro für die
nationalen Haushalte der EU-Mitgliedsländer. Dies übersteigt bei Weitem die
Gesundheitskosten, die für Patienten mit tabakbezogenen Krankheiten ausgegeben
werden müssen. „Einerseits werden dem Haushalt vorgeblich aus Gründen des
Gesundheitsschutzes Einnahmen entzogen. Auf der anderen Seite werden uns so
Steuereinnahmen vorenthalten, die teilweise zur Finanzierung des Gesundheitssystems
genutzt werden“, so der Europaabgeordnete Grzyb. „Dies ist nicht hinnehmbar, doch manche
scheinen das nicht zu verstehen.“. Polen hat ein besonderes Interesse daran, die Direktive zu
blockieren. Wir sind der größte Zigarettenhersteller in der EU, und der zweitgrößte
Tabakproduzent. Im letzten Jahr nahm der Staat 24 Milliarden Złoty durch die Raucher ein,
das sind über acht Prozent der Gesamteinnahmen. Im Vergleich dazu betrug der gesamte
Haushalt des Gesundheitsministeriums 3,6 Milliarden Złoty, d.h. dass der Tabaksektor
zweieinhalbmal so viel einbringt, wie wir für unser Gesundheitswesen ausgeben.
Der Pharmasektor ist bekannt für sein nicht besonders ethisches Geschäftsgebaren. In den
vergangenen Jahren kamen etliche Korruptionsskandale ans Licht, die von dieser Industrie
verursacht wurden. Im April 2011 erklärte sich Johnson & Johnson zu einer Strafzahlung von
70 Millionen Dollar bereit, nachdem die Firma in den USA beschuldigt worden war,
Bestechungszahlungen an europäische Ärzte und die irakische Regierung geleistet zu haben.
Im August 2012 erhielt die Firma Pfizer eine Geldbuße von 60 Millionen Dollar für ihre
langjährigen Korruptionspraktiken mit Medizinern und Staatsbediensteten. Und diese
Beträge verblassen regelrecht gegenüber der Summe, welche GlaxoSmithKline im Juli 2012
zu zahlen hatte. Ein Gericht in Boston verurteilte die Firma zu einer Gelstrafe von drei
Milliarden Dollar, weil sie Ärzte bestochen hatte, Kindern bestimmte Antidepressiva zu
verschreiben.
Übersetzung vom Englischen ins Deutsche:
Netzwerk Rauchen e.V., August 2013
www.Netzwerk-Rauchen.de