Erfahrungsbericht Wuhan Huazhong University

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Erfahrungsbericht Wuhan Huazhong University
Erfahrungsbericht Huazhong University of Science and Technology / Wuhan Warum China? Gibt doch so viele schöne Länder!“
„Ich hätte mich da wohl auch eher für Australien entschieden!“ – man hört vieles, wenn man
sich für ein Auslandssemester in China entscheidet. Doch die Wahl stand für mich fest: auf
einer Sommeruniversität von BayChina in Qingdao 2012 hatte mich das Land fasziniert. War
ich dorthin noch primär aus wirtschaftlichem Interesse gekommen, haben mich die
Andersartigkeit im Denken (Stolz auf die Kultur und Geschichte, Angst vor Gesichtsverlust),
Handeln (alles muss zelebriert werden; ein gewisses Dauerchaos, aber das gehört schon so;
wir kümmern uns drum, don’t worry…) und der gesamten Umgebung gleich fasziniert. Als sich
mir dann durch eine Universitätspartnerschaft der FAU Erlangen-Nürnberg die Gelegenheit
bot, in Wuhan in Zentralchina ein Semester zu verbringen, griff ich zu und studierte im
Wintersemester 2014/15 (01.09.2014 – 31.01.2015) an der Huazhong University of Science
and Technology (HUST, www.english.hust.edu.cn).
Vorbereitungen
Die Vorbereitungen waren dreiphasig: Bewerbung an der Universität, Beantragung des Visums
und Flug, die Phasen bauen aufeinander auf. Ohne die Bewerbung kein Einladungsschreiben,
ohne dieses kein Visum, ohne dieses kein Flug. Und so kam ich früh mit der wichtigsten
Fähigkeit für China in Berührung: Geduld.
Im Februar habe ich die Zusage aus Erlangen erhalten. Ende Juni das Einladungsschreiben
aus China. Dazwischen: E-Mails, Telefonate, ein defektes Bewerbungssystem usw. Und
meine Erfahrung dafür: immer freundlich bleiben, geduldig sein, aber wenn die Zeit knapp
wird, ruhig weniger chinesisch-zurückhaltend werden und beharrlich anrufen, verschiedene,
auch höhere Stellen anschreiben. Bei „Don’t worry“s ab und an auch mal nachfragen, ob man
wirklich „don’t worry“ soll. Das International Office dort ist wirklich sehr bemüht, die Leute
immer hilfreich. Sie sind lediglich sehr stark ausgelastet, wie ich in Wuhan erfuhr.
Flug und Visum waren problemlos. Für das Visum ist es ratsam, den Anweisungen auf der
Website http://www.visaforchina.org/ zu folgen. Agenturen sind unnötig, die Servicegebühr
kann man sparen. Frühes Buchen des Flugs ist ratsam, die günstigsten Flüge nach China
starten bei 600-700 Euro und teurer als 1000 Euro wird es nur selten.
Studium an der Huazhong University of Science and Technology
Die HUST in Wuhan ist unter den Top-10 Universitäten in China (Stand 2015). Die
chinesischen Studenten, die hier studieren, sind unter den Besten in der chinesischen
Hochschulzugangsprüfung (Gao Kao). Sie hat ca. 60.000 Studenten und 1000 Professoren in
elf Fachbereichen, was dazu führt, dass ich mit Studenten verschiedener Fachrichtungen in
Berührung kam – von Ingenieursstudenten wie mir über Wirtschaftswissenschaftler bis hin zu
Philosophen. Ich selbst war an der HUST in Wirtschaftsingenieurwesen eingeschrieben und
habe folgende Kurse belegt: Precision Machine Design (Prüfungstyp: Hausarbeit); Numerical
Methods (Klausur); Visual Computing (Klausur); Chinesisch (Mündliche und schriftliche
Klausur). Zusätzlich habe ich noch den offiziellen chinesischen Sprachtest (汉语水平考试三级)
auf Stufe 3 (GER B1) mit 294 Punkten absolviert. Die Unterrichtssprache war überwiegend
Englisch. Leider sind die Englischkenntnisse unter den Professoren wie Studenten häufig nicht
wirklich zufrieden stellend, so dass mein Lernerfolg stark vom Eigenstudium in englischen
Büchern und Veröffentlichungen abhing. Numerical Methods wurde sogar vollständig auf
Chinesisch abgehalten (ich war der einzige Auslandsstudent), doch mit Hilfe chinesischer
Kommilitonen konnte ich einigermaßen folgen und sogar einige Fachwörter auf Chinesisch
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lernen. Wer weiß nun außer mir schon, was „Ableitung“ auf Chinesisch heißt? Besonders in
Erinnerung blieb mir noch Visual Computing, das als ‚High-Level Course‘ von einem
italienischen Dozenten (Prof. Fabio Roli) gehalten wurde und mir in sieben Tagen einen
erstaunlich guten Überblick über Mustererkennung und Statistik bot. Die Betreuung der Fächer
erfolgt in China immer über einen 'Teaching Assistant', der selbst teilnehmender Student ist
und Fragen und Hausaufgaben an den Professor weiterleitet. Diese Struktur ist sehr gut, da
man auch für weniger tiefgreifende Fragen, die man als Systemfremder zwangsläufig stellt,
einen Ansprechpartner hat, der nicht gleich der Professor selbst ist. Ein kleines Manko ist
jedoch, dass die meiste interne Information dezentral verteilt wird: so fand die Organisation
eines Fachs auf einem Cloud-Dienst im Internet statt, eine andere über das Chatprogramm
QQ. Eine einheitliche Datenbasis fehlt leider. Somit entgeht einem ab und zu trotz
Bemühungen eine Information, die auf chinesischen Chatkanälen lief, und aus einer ClosedBook- wurde unerwartet, d.h. erst in der Prüfung erfahren, eine Open-Book-Klausur. Da hilft
nur sehr gute Vorbereitung. Alles in allem sind die Kurse jedoch meist lehrreich mit gut
ausgesuchter Literatur. Die Erfahrung eines anderen Universitätssystems möchte ich zudem
unter keinen Umständen missen. Die Kurse in der Universität werden schon fast komisch
anmutend diszipliniert absolviert, völlige Stille in der Vorlesung ist keine Seltenheit. Die
Stundenpläne sind für Europäer sehr gewöhnungsbedürftig (Vorlesungszeiten: Montag bis
Samstag, 08:00-22:00, Prüfungen am Abend bis 21:30, am Sonntag etc. sind nicht weiter
ungewöhnlich…).
Zuletzt einige Worte zur Unterkunft: für chinesische Verhältnisse luxuriös untergebracht war
ich im Huahong-Apartment im Nordwesten des riesigen Campus, der nur mit Fahrrad zu
erschließen ist. Das Durchqueren von West nach Ost dauert mit dem Fahrrad gute zwanzig
Minuten. Die Zimmer sind sehr groß, mit Klimaanlage und eigenem Bad ausgestattet, die
Miete liegt kalt bei etwa 900 RMB im Monat (120 Euro, Stand Januar 2015). Mit Internet,
Warmwasser u.v.a. Heizung, die wegen fehlender Wärmedämmung verhältnismäßig
kostenintensiv ist, zahlt man etwa 160 Euro im Monat. Hinzu kommen noch die Kosten am
Anfang für Bettwäsche, ggfs. Schreibtischlampe usw. mit ca. 200 Euro. China ist hier dank des
Wechselkurses noch sehr vorteilhaft für Europäer. Mehr zum Klima, zu Freunden und tollen
Erfahrungen außerhalb der Universität im nächsten Abschnitt.
Die Stadt Wuhan und Leben in China
Wuhan ist die Provinzhauptstadt von Hubei in Zentralchina mit 4,3 Millionen Einwohnern (8,3
Mio. im gesamten Verwaltungsgebiet) und besteht aus den drei früheren Städten Hankou im
Nordwesten, Wuchang im Osten und Hanyang im Südwesten. Freunde erzählten mir, der
jetzige Bürgermeister habe den Spitznamen „Mr. Digging“ – der Name ist Programm, gerade
die Außenbezirke sind Hochhaus-Baustellen von wahrlich erstaunlichem Ausmaß. Das Wetter
ist vom Kontinentalklima geprägt, als ich Ende August ankam, lagen die Temperaturen teils
weit über 30°C mit sehr hoher Luftfeuchtigkeit, jetzt, im Januar, bei knapp über 0°C mit
leichtem Wind.
Eines meiner Hauptziele in China war es, Kultur und Menschen besser kennenzulernen. Ich
habe viele nette Kontakte mit Kommilitonen geknüpft, die mir sehr oft geholfen haben, mich in
der Bürokratie zurechtzufinden: wo schaue ich Noten nach? Wie kann ich mich einschreiben?
Wo bekomme ich diesen oder jenen roten Stempel? Sie haben mir oft die Gelegenheit
gegeben, Einblicke in ihren Alltag zu bekommen. Ich habe erfahren, dass manche die
Zulassungsprüfung zur Universität freiwillig wiederholt haben, um ihre Berufschancen durch
eine bessere Universität zu steigern – trotz, dass der Gao Kao, die Zugangsprüfung, wirklich
stressig ist. Über ihre Zukunftspläne habe ich viel erfahren und bemerkt, dass häufig weniger
politische oder gesellschaftliche Themen interessant waren, sondern vielmehr ein gutes
privates Leben. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass, sobald man Freundschaften schließt,
Chinesen wesentlich offener und direkter werden („So spät noch Milchtee? Da wird man fett!“).
Auch die wohl besten Chinesischlektionen kamen von Freunden, die doch recht eiskalt ihr
Sprachtempo beibehielten, komme, was da wolle und nicht müde wurden, mir (auf Anfrage)
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meine sprachlichen Fehler zu korrigieren. Auch die wirklich wichtigen Worte habe ich nicht
vermisst: Geek, Bonze und dergleichen. Im Ernst: ein großes Privileg!
Ich könnte seitenweise über chinesische Verhaltensweisen schreiben, beschränke mich aber
auf meine wichtigsten Eindrücke. Für Chinesen gibt es keine Freizeit und kein Wochenende.
Ich meine, möglicherweise haben manche Chinesen frei, aber der Grundbezug zu Arbeit ist
völlig unterschiedlich von der deutschen „Dienst ist Dienst, Schnaps ist Schnaps“-Mentalität.
Ich wurde durchaus am Sonntagmorgen um acht Uhr von Stahlarbeiten gegenüber geweckt,
der Supermarkt schließt nicht vor 22:30, die Arbeitsatmosphäre schwankt zwischen höchster
Disziplin – in Reihen angetreten vor dem/der Vorgesetzten – und höchstem Amüsement, wo
die private Konversation zwischen den Verkäuferinnen quer durch den Laden abgehalten wird.
Generell habe ich die lebenslustige Art von Chinesen zu schätzen gelernt, die Mah-JonggSpiele auf der Straße zu beobachten, das gemeinsame Essen um ein Uhr nachts. Zugleich
sind Chinesen meiner Erfahrung nach kaum feierlustig und ein strukturierter Karaoke-Abend
wird den westlichen Club- und Kneipenabenden bei weitem bevorzugt.
Im Verkehr (Zitat einer Chinesin: „Ja, ich habe einen Führerschein – aber in Wuhan möchte
ich einfach nicht Auto fahren!“) zeigt sich meines Erachtens der Sprung in die Moderne wie
kaum woanders. Zwischen Elektrorollern, Oberleitungsbussen und teuren deutschen
Geländewagen fährt das motorisierte Dreirad mit Essensstand auf der Ladefläche –
selbstverständlich hupend, quer zur Fahrtrichtung. Der Verkehr fließt gleichmütig, wenn auch
hektisch drum herum. Die Hierarchie ist klar: ein Fußgänger hat auf dem Zebrastreifen nur bei
ausbleibenden Autos etwas zu suchen. Ampeln sind noch immer häufig Verhandlungsbasis
und die Verkehrshüter stehen oft eher hilflos mit der Trillerpfeife am Straßenrand. Jedoch
merkt man den Ausbau der Straßen und eine gewisse Grundordnung, die gerade in den
Stadtzentren zunimmt. Als Westler ist man dennoch gewissen Risiken stärker ausgesetzt, weil
man das Flussprinzip erst verinnerlichen muss…
China ist finanziell gesehen noch immer sehr günstig für Europäer, allerdings habe ich schon
gegenüber der Sommeruniversität 2012 Preissteigerungen festgestellt, so wurde z.B. die UBahn teurer. Ein kurzer Beispielüberblick: Essen – sehr günstig, ab etwa zwei Euro pro Person
für Nudeln und Getränk, mit acht Euro pro Person kommt man einem Festmahl schon sehr
nahe. Chinesische Kleidung – sehr günstig, ausländische Marken – wie in Europa.
Lebenshaltungskosten: Obst tendenziell teuer, Strom günstig (unter 10 Euro-Cent pro kWh),
Getränke etwa halb so teuer wie in Europa. Hygieneartikel sind hingegen sehr teuer – Shampoo
durchaus 6-8 Euro! Öffentliche Verkehrsmittel sind sehr günstig (mit der U-Bahn quer durch
Peking für 60 Euro-Cent, eine kurze Fahrt etwa 25 Cent). Als Faustregel: westliche Waren sind
vergleichbar teuer wie in Europa, chinesische Waren sehr günstig, aber auch qualitativ ab und
an nicht so zufriedenstellend. Eine besondere Empfehlung ist für mich Online-Shopping in
China, sehr bequem und wirklich günstig – besonders am 11.11., dem China-weiten
Shoppingtag, mit (Euro-)Milliardenumsätzen innerhalb weniger Stunden durch hohe Rabatte
und die generell shoppingfreudigen Chinesen.
Wenn es denn noch eines Grundes für China bedarf: das Essen. Mein persönlicher Favorit ist
die scharfe Sichuan-Küche, aber auch die wirklich bunte Mischung in Wuhan kann sich sehen
lassen: Nudeln, Reis, Brot, alle Fleischsorten – und mit meiner eher dilettantischen
Beschreibung tue ich der chinesischen Küche noch Unrecht. Als klassisches Frühstück in
Wuhan werden Re Gan Mian, Hot Dry Noodles, serviert. Das Essen ist hervorragend, egal ob in
der Mensa, an Straßenständen oder natürlich in Restaurants.
入乡随俗 – When in Rome, do as the Romans do
… ist mein erstes Sprichwort, dass ich in China gelernt habe, ganz klassisch aus dem
Lehrbuch. (Ein weiteres Sprichwort: „Der dumme Vogel fliegt zuerst!“ kam später von
chinesischen Freunden.) Das Auslandssemester in China war für mich eine intensive
Erfahrung mit sehr viel Neuem. Die für mich beste Erfahrung war es, Einblicke in Denkweisen
von Chinesen zu erhalten – und ich bin sehr zufrieden mit meinem Fortschritt in der Sprache,
wenn auch natürlich noch viel zu tun ist. Ich glaube, dass ich mir ein gutes Bild über die
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Vorteile und Nachteile unserer Kulturen machen konnte: mehr Gelassenheit und „fünf gerade
sein lassen“ in China, mehr Effizienz in Deutschland, die Freundlichkeit vieler Chinesen,
unsere Streitkultur gegen die harmonisierte Diskussion in chinesischen Medien,
Gemeinsamkeiten in Zukunftswünschen, großen Unterschieden im Nationalstolz und
Geschichtsbewusstsein. Für nachfolgende Studenten, die großen Wert auf fachliche Tiefe
legen, würde ich im Moment China eher weniger empfehlen, für Studenten, die sich kulturell
und sprachlich weiterbilden möchten und auch eine gewisse Herausforderung suchen, voll und
ganz.
Tipps und Hinweise
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Kurz zusammengefasst meine wichtigsten Tipps.
Viel Geduld mitbringen. In China dauern alle Prozesse (Einschreibung, Mensakarte
kaufen, Wohnheim mieten) mindestens dreimal so lange wie in Deutschland.
Toleranz mitbringen: in der Wohnung geht öfter etwas kaputt, manche Veranstaltungen
sind langwierig, Planänderungen bei Klausuren und Hausarbeiten sind an der
Tagesordnung – bis zu viermal hintereinander.
Bereits vorher die Sprache lernen, Englisch ist – gerade, wenn man nicht nach
Shanghai etc. geht– selten fließend anzutreffen. Und man hat viel mehr davon, was den
Austausch mit Chinesen angeht.
Atemmaske kaufen. Ich dachte, ich käme ohne aus, aber spätestens in Peking war
wirklich Schluss(und die Maske grau).
Ausreichend Erkältungsmedikamente mitbringen bzw. das Grundvokabular für die
Apotheke lernen. So viele Erkältungen wie hier hatte ich in einem solchen Zeitraum
noch nie und alle meine Mitreisenden ebenfalls. Schwankendes Wetter und Luftqualität
machen zu schaffen.
Große Vorsicht im Straßenverkehr.
Möglichst früh die chinesischen Chatprogramme WeChat und QQ einrichten – hilft
ungemein, sowohl für Kontakte als auch für die Universität.
Nicht zögern, Chinesen für die Universität nach Rat zu fragen – vieles ist für sie
selbstverständlich, was für Westler sehr ungewöhnlich erscheint.
Links:
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http://www.imqq.com/ - QQ, das beliebteste Chatprogramm
http://iso.hust.edu.cn/ - Website des International Office der HUST
http://de.ctrip.com/ - Für Reisen in China (Hotels, Flüge, Züge)
http://english.cntv.cn/program/learnchinese/20110126/104588.shtml - CCTV
Lernfernsehen für Studenten mit fortgeschrittenen Chinesischkenntnissen
http://chinaeducenter.com/en/hsk/hsklevel3.php - Gute Informationen zum HSK-Test
http://resources.allsetlearning.com/chinese/grammar/Main_Page - Chinesische
Grammatik
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