Enter the Wasteland
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. . . . . . . . . . Enter the Wasteland Apokalypse als Utopie der japanischen Jugend in Sono Sions Suicide Circle von Sebastian Klausner . . . Schwerpunkt Utopie . . . . . . . . . . „Viele möchten heute die Drehorgelbal- Nachrichten der ersten Lost Decade. Ein sang von der Erneuerung [sic] übertönen.” letzten lade vom Untergang durch den Sirenenge(Kracauer 1990: 244) In seinem Text zum Verfall auf medialer Bühne betrachtet Siegfried Kracauer die Bilder der unmittelbaren Nachkriegs1 zeit, um die Zugänge zur medialisierten Apokalypse von reaktionärem und progressivem Lager zu kritisieren. Prophezeien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . die einen, das Vergangene lamentierend, die Moderne als Untergang des „Abendlandes” („Drehorgelballade”), verführt der Niedergang letztere dazu, Probleme der Gegenwart zugunsten des Kommenden zu negieren („Sirenengesang”). Beide zücken das Motiv der Zerstörung, um – einmal utopisch, einmal dystopisch – das Gegenwärtige aus dem Blick zu bannen. Zwar beinahe 80 Jahre vor den Ereignissen geschrieben, die ich hier diskutiere, treffen Kracauers Überlegungen zu einem ersehnten Schlusspunkt überraschend zu. Nach dem Platzen der Finanzblase Anfang der 1990er Jahre und dem abrupten Aus des wirtschaftlichen Höhenflugs, verfängt sich Japan in einem ähnlichen Verwendungsmuster von (post-)apokalyptischen Motiven. Weniger mehr die der Sirenengesang, „Drehorgelballade aber vom umso Unter- gang” (Kracauer 1990: 244) findet sich als alltäglicher Diskurs in den japanischen Begriff, der die Rezessionsdekaden des Vierteljahrhunderts beschreibt und selbst einen Teil der „Drehorgelballade” darstellt. Kotani Satoshi konzipierte anhand derartiger Diskursfragmente das Phänomen der „youthphobia”, das permanent den sozialen Niedergang heraufbeschwört. Die Diskussion über die Jugend und ihre entschwundene Moral gilt als Gemeinplatz, um den Zustand der Nation zu kritisieren (Kotani 2004: 32). Anstatt sich dem Gegenwärtigen zu stellen, wird auf der einen Seite das Vergangene diesem als absolute Wahrheit gegenübergestellt. Auf der anderen Seite finden sich anstelle der Progressiven die Eskapisten, die in virtuelle Welten fliehen, wie Soziologe Miyadai Shinji ausführt. Er beschreibt die erste Phase der „Ära des Selbst” bis 1996 als „age of Armageddon”. In seiner Theorie verkörpern popkulturelle Texte, welche die Apokalypse in den Vordergrund stellen, ein Verlangen nach einer anderen Zeit, nach einer anderen Welt. „Many otaku [Popkultur-Fans] hated such a reality [i.e. being discriminated against] and escaped to fiction even more, and some even yearned for an ‚Armageddon‘.” (Miyadai 2011: 235) Derartige Vorstellungen, die, wie oft gemeint wird, von den Fantasien der Popkultur gespeist wurden, münden Mitte der 1990er Jahre in eine . . . Verwirklichung des prophezeiten und zu- den Freitod gehen, und der Blick auf sie, cken der Aum Shinrikyô1. zwei gesellschaftlich relevante Diskurse vor erhofften Endes: Den Sarin-Gas-AttaÄhnlich Kracauers Äußerungen, drückt das Apokalyptische auf beiden Seiten eine ablehnende Haltung gegenüber dem aktuellen Zustand der Gesellschaft aus. Dass die popkulturellen Beispiele jedoch ein komplexeres Bild bieten, möchte ich nun anhand der Anfangsszene von Sono Sions Suicide Circle (Japan 2001) darlegen, in der sich dutzende Schulmädchen auf verspielte und blutige Weise in den Tod stürzen. Die Verortung der Szene im U-Bahn-Komplex um Shinjuku evoziert nicht nur ein Näheverhältnis zu dem erwähnten Terrorangriff, sondern zugleich zur Funktionsfähigkeit der Wirtschaft Japans – und im weiteren Verlauf ihrer Fragilität. Der Strom von Schulmädchen, noch bevor sie in 1 Eine Sekte, die 1995 Sarin Gas in der UBahn Tokios freisetzte, um ihre Prophezeiung der Apokalypse zur Realität zu verhelfen. sind zentral für Szene und Film, da sie eröffnen: Zunächst jenen des Panopticons im Sinne Foucaults. Foucault konstruiert sein Modell um eine Position, die eine allzeitige Überwachung erlaubt, ohne dass die Betroffenen dies wissen. Dabei ist es weniger wichtig, ob man tatsächlich überwacht wird, als viel mehr, dass die Gefahr dazu besteht (Foucault 1999: 258f.) – ein Merkmal, das der Schuluniform eingeschrieben ist. Denn ähnlich wie andere Uniformen konstituiert sie Kontrolle und Indoktrinierung. Beispielsweise definiert Soziologe Robert S. Yoder die Uniform als ein Stigma, das die/den Schüler_in bis in den außerschulischen Bereich verfolge. Enttarnt die Uniform die Zugehörigkeit zu einer Schule schlechten Rufs, ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . der/die Schüler_in dem Argwohn seiner/ih2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ILLUSTRATIONEN: ORIGI NALKOPIE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . rer Mitmenschen ausgesetzt (Yoder 2004: rer Studie über die ganguro (schwarzes ner ter Schulmädchen der 1990er Jahre, die 135). Andererseits ist es jenen, die eiprestigeträchtigen Bildungsanstalt angehören, nicht erlaubt, ein Verhalten an den Tag zu legen, das ihr Institut entehren könnte (McVeigh 2000: 84). In beiden Szenarien bildet die Uniform ein panoptisches System, in dem alle Personen zu potentiellen Beobachter_innen werden. Zugleich ordnet sich die Szene aufgrund der geschlechtlichen Aufteilung Mulveys 2 male gaze unter (Doane 1991: 28). In ih- . Gesicht), ein japanischer Modetrend unsich u. a. ihr Haar bleichen und das Gesicht bräunen, verweist Sharon Kinsella auf die Behandlung von „schoolgirls as species of naturally occurring national fauna”. Sie ergänzt: „Allusions to schoolgirls as animals in mass formation crop up in early academic studies of girls’ and in contemporary film”, und endet mit einem Verweis auf diese Szene (Kinsella 2005: 150). Ihr Fazit, diese abschätzige . Behandlung . der Schülerinnen komme einem Fetisch gleich, . trifft sichtlich den wunden . Punkt . einiger japanischer Subkulturen. Außerdem sollte . Regisseur Sono auch in späteren Arbeiten misogyne Vorstellungen 3 aufgreifen. Die Benützung des Blickes in Suicide Circle scheint mir jedoch zu reflexiv, um rein fe- . tischisierend zu sein. . Kehren wir nun zur Uniform . zurück: Sie dient als Stütze . der . im . Interpersonalismus . lantische, . tierte . Selbst . habe ersetzt. keinen Das Grund, allein als solches zu exis- . tieren, sondern nur als funk- . tionierender Teil der Gesell- . schaft. . Das Verhalten der „schlechten” Jugend kontras- . tiert nun absichtlich diesen . . individuenorien- Identitätskonzeption orientierten . . definiert wird von einer gemeinschafts- . . die wird. Das heißt, die transat- . . Identität Sinne”, in vielen Fällen über einen . . „japanischen klassischen Gedanken: „They talk during 2 Laura Mulvey gilt als Pionierin und Mitbegründerin der feministischen Filmtheorie. class at university, and apply . . . their make-up while riding the train or Potential zu. Das dystopische Bild der friends is just scenery,’ in an excel- nungsschimmer parat. subway. Indeed, for them, ‘everything but lent phrase coined by Miyadai.” (Kotani 2004: 42) In Anbetracht der Erwartung an japanische Mädchen, kawaî (süß) zu sein (McVeigh 2000: 148), erscheint die Art bzw. Abart der schon erwähnten ganguro noch radikaler. Deshalb wurde ihr Verhalten oftmals als Gegenteil der angeblich natürlichen Feminität verstanden: Diese Mädchen seien nicht kawaî, sondern kowai (erschreckend). Eine Entwicklung, die sich in der Szene widerspiegelt: Die Dekonstruktion des Blickes führt vom reinen Ausstellen (Zeigen der Beobachter) und der Konnotation der Objekte als Herde (Ziel der Zuschauerschaft) zur wortwörtlichen Zerstückelung des Fetischobjekts, wenn ein explodierender Mädchenkopf von einem Close-Up eingefangen wird. Die patriarchale Ordnung, die vom Salaryman, der ”weißen Mutter” und den übrigen Konformisten im Frame repräsentiert wird, zerbricht unter dem Blutregen, bzw. in Klaus Theweleits Worten, unter der roten Flut. Die fetischisierten Mädchen mögen in der Herdenformation „the butt of a dirty joke” (Doane 1991: 30) gewesen sein, aber hier macht die rote Flut die Beobachter_innen zu eben diesem. In Suicide Circle spielt Sono weder „die Drehorgelballade vom Untergang” noch „den Sirenengesang von der Erneuerung”, sondern greift auf die Rhetorik seiner Zeitgenoss_innen zurück, um das einstig Katastrophale als Lösung und positive Wende zu zelebrieren. Anders als Kracauer über die Zwischenkriegsjahre theoretisierte, verwendet er das Bild der Zerstörung keineswegs, um von der eigentlichen Situation abzulenken: Er nützt das Motiv, um auf diese zu fokussieren. Das Sujet des gesellschaftlichen Niedergangs eröffnet den Jugendlichen neue Handlungsräume und gesteht ihnen ein gewisses subversives Apokalypse hält einen utopischen Hoff- . . . . . DOANE, MARY ANN (1991/1982): Film and the Masquerade: Theorizing the Female Spectator. In Ebd. [Hg.in]: Femme Fatales. Feminism, Film Theory, Psychoanalysis. New York, London: Routledge, S. 17-32. FOUCAULT, MICHEL (1999): Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt am Main: Suhrkamp. 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