Schwarze Geschichte in Weiß-Australien Australische Aborigines

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Schwarze Geschichte in Weiß-Australien Australische Aborigines
Schwarze Geschichte in Weiß-Australien
Australische Aborigines gestern und heute
Der folgende Artikel ist eine weiterführende Hintergrundinformation im Zusammenhang
mit einem Vortrag, der am 25.2.2001 anlässlich der Ausstellung der SUB 200 Jahre
europäische Besiedlung in Australien gehalten wurde
Inhalt
1. Die ersten Bewohner Australiens
Die bitteren Jahre:
Schwarze Geschichte in Weiß-Australien
"Landrights Now"
Aborigines auf dem Wege zur Emanzipation
1988: Jahr der Trauer und der Hoffnung
Aborigines in der multikulturellen Gesellschaft Australiens
Literaturliste
Die ersten Bewohner Australiens
Viele Menschen glauben, dass Australien für die Menschheit von europäischen
Seefahrern, Forschern und Abenteurern entdeckt worden ist. Die große Suche nach der
"Terra Australis Incognita" seit dem 16. Jh. ist mit all ihren Höhen und Tiefen in der
europäischen Wissenschaftsgeschichte verbrieft. Australien war bei der Ankunft der
europäischen Neuankömmlinge aber kein unbesiedeltes Land, wie diese es annahmen.
Die Bewohner des Kontinents konnten bereits auf eine lange Geschichte und auf
vielfältige Kontakte zu Bewohnern der indonesischen Inseln und Neuguineas
zurückblicken. Genau wie Amerika mußte Australien also nicht "entdeckt" werden.
Wer aber waren die Menschen, von denen der seefahrende Vagabund William Dampier
1686 behauptete, sie seien die miserabelsten Kreaturen, die er je auf Erden zu Gesicht
bekommen hätte? Für die Menschen der damaligen Zeit waren die Bewohner des 5.
Kontinent äußerst primitiv. Mit der wissenschaftlich untermauerten Bezeichnung 'ab
origines '- vom Ursprung abstammend - wurden sie auf die unterste Stufe in der
Menschheitsentwicklung gesetzt. Diese Einstufung hatte fatale Folgen für die ersten
Bewohner Australiens und mit ihr begann das schwärzeste Kapitel in ihrer langen
Geschichte auf dem Kontinent.
Was wissen wir heute über die Geschichte und das Leben der ersten Australier, der
Aborigines ? Neueste archäologische Untersuchungen an der Nordostküste haben
ergeben, dass die Besiedlung des australischen Kontinents durch die Aborigines vor etwa
60.000 Jahren erfolgt sein muß. Die Einwanderer waren archäologischen Ergebnissen
zufolge Menschen vom Typus Homo sapiens sapiens, die aus Südostasien über die in der
letzten Phase des Pleistozäns bestehenden Landbrücken zwischen der heutigen
indonesischen Inselwelt, Neuguinea und dem um etwa ein Drittel größeren Australien
eingewandert sein müssen. Glaubt man entsprechenden Rekonstruktionsversuchen, so
ähnelten die klimatischen Bedingungen des Kontinents bis zu einem Klimawechsel vor
etwa 20.000 Jahren denen des heutigen Südostasien. Die Hypothesen der Archäologie,
Ethnologie, Ethnobotanik, Vor- und Frühgeschichte basieren auf der Annahme, dass die
Einwanderer, die Australien im Nordosten betraten, sich entweder stemförmig oder
entlang der Küsten und Flußläufe über den gesamten Kontinent ausbreiteten. Die
wissenschaftlichen Rekonstrukteure präkolonialen Australiens, ihre Erkenntnisse nicht
zuletzt aus dem reichen Schatz der oralen Traditionen der Aborigines beziehen, vertreten
die These, dass es zwischen 300 und 500 verschiedene Gruppen, in der Literatur oft als
Stammesverbände bezeichnet, mit einer ebensolchen Sprachenvielfalt gegeben hat. Eine
Verkehrssprache im eigentlichen Sinne gab es nicht, die Verständigung der Gruppen
untereinander erfolgte, z.B. im Hinblick auf den Ockerhandel von West- nach
Ostaustralien, über ein ausgeklügeltes Zeichensprachensystem. Natürlich gab es auch
Personen, die mehrere Sprachen beherrschten und die somit eine Funktion als
Dolmetscher ausüben konnten. Die einzelnen Gruppen waren streng nach
Abstammungslinien und verwandtschaftlichen Regelungen strukturiert. Für das einzelne
Individuum hatte jedoch seine Lokalgruppe, entweder die Kernfamilie oder die erweiterte
Familie, im Alltagsleben den größten Stellenwert.
Als nicht-seßhafte Jäger und Sammler besaßen die Aborigines umfassende Kenntnisse
über ökologische Zusammenhänge. So sind ihre zyklischen Wanderungen als eine
Anpassung an ihren Lebensraum zu verstehen.
Australien ist ein Kontinent großer geographischer und ökologischer Vielfalt: Wüsten,
Dombusch- und Grassteppen, Eukalyptuswälder, Savannen und tropische Regenwälder
bestimmten die unterschiedlichen Lebensbedingungen und kulturellen Ausprägungen der
Aborigines. Diese Unterschiede verdeutlichten sich nicht nur anhand der materiellen
Ausstattung, sondem sie wurden vielmehr durch religiöse Vorstellungen und die geistige
Kultur, wie die Kunst, den Tanz, den Gesang und nicht zu letzt die Mythen zum Ausdruck
gebracht. Die Umwelt besaß daher für die ersten Australier einen ganz zentralen
Stellenwert. Es galt, das Land, Flora und Fauna zu pflegen und es nicht über die
unmittelbaren ökonomischen Erfordernisse hinaus zu strapazieren oder gar auszubeuten.
Bestimmte Jagdtechniken, wie z.B. das Abbrennen großer Grasflächen, um durch das
nachwachsende junge Gras Känguruhs anzulocken, veränderten jedoch die Landschaft.
Die Parklandschaften des Südostens sind ein Ergebnis dieser Jagdmethode. Jeder
Mensch besaß einen Gegenpart in der belebten oder unbelebten Natur, das Totem.
Dieses Totem hatte deutliche Auswirkungen auf das soziokulturelle Verhalten eines
Menschen. Aus der engen Verbundenheit zur Umwelt erklärt sich nicht zuletzt der
Anspruch der Aborigines auf Landrechte im heutigen Australien, die sie ab der zweiten
Hälfte des 20. Jahrhundert einzufordem begannen. Das traditionelle Leben der Aborigines
fand mit dem Eindringen der weißen Siedler aus dem fernen Europa ein jähes Ende. "The
sky fell down ... " beschrieb ein alter Mann aus der Umgebung von Sydney bereits um die
Jahrhundertwende den Anbruch der neuen Zeit.
Die bitteren Jahre:
Schwarze Geschichte in Weiß-Australien
Der Kulturkontakt mit den Europäern
Nachdem James Cook 1770 den australischen Kontinent für die britische Krone in Besitz
nahm, dauerte es nur noch wenige Jahre bis die ersten Siedler ihre Ansprüche geltend
machten. Die Geburtsstunde der weiß-australischen Nation wird historisch auf das Jahr
1788 gelegt. Es ist das Jahr, in dem die "First Fleet" mit etwa 1000 Sträflingen unter
Kapitän Arthur Phillip in der Botany Bay landete. Der Kulturkontakt mit den weißen
Eindringlingen verlief für die Aborigines an der Südostküste Dank der Besonnenheit und
der Ermahnungen des inzwischen zum Gouverneur avancierten Phillip zunächst relativ
friedlich. Die zunehmende Besiedlung der Ost- und Südostküste durch englische Siedler,
die neben der Einführung von Rindern und Schafen, die für die Aborigines natürlich fremd
waren, auch Grenzziehungen, oft durch Zäune besiegelt, mit sich brachte, wurde für die
Aborigines bald lebensbedrohlich. Sie wurden massiv in ihrer Bewegungsfreiheit in ihren
angestammten Territorien behindert und es wurde ihnen somit eine entscheidende
Grundlage für ihre auf dem Jagen und Sammeln beruhende Existenz geraubt. Da die
englischen Neuankömmlinge für die Erhaltung ihres Lebensunterhaltes ebenfalls stark auf
die Jagd angewiesen waren, und so zu einem spürbaren Rückgang des Jagdwildes
beitrugen, wurden sie für die Aborigines auch in diesem Punkt zu Konkurrenten. Die
Eskalation mit den weißen Siedlern war nicht mehr zu vermeiden, als die Aborigines sich
einen Ausgleich zu schaffen suchten, indem sie begannen, die Nutztiere der Siedler in die
Palette ihres Jagdwildes einzubeziehen. Das im Sinne europäischer
Nutzungsvorstellungen urbar gemachte Land bot für die Aborigines keine ausreichende
Lebensgrundlage mehr, so dass sie vielfach gezwungen waren, als Bettler ihr Leben am
Rande der Siedlungen zu fristen.
"Kopfprämien" und Giftmehl
In der neuen englischen Kolonie am anderen Ende der Welt wurde sehr bald die Lösung
des "Aboriginal Problems" diskutiert. Im Hinblick auf den Aufbau eines an England
orientierten Gemeinwesens konnte es nur eine Lösung geben: die Ausmerzung der als
lebensunwürdig betrachteten australischen Urbevölkerung.Die legale Grundlage für diese
Vorgehensweise wurde maßgeblich durch einen Erlaß des Gouverneurs Lachlan
Macquarie 1816 gelegt.
Die Methoden, die zur Lösung des Problems angewendet wurden, waren eindeutig: die
'Fuchsjagden" mit tasmanischen Aborigines, die in Ermangelung englischer Füchse und
zur Erheiterung der Jäger anlässlich dieses zweifelhaften Vergnügens getötet wurden, ist
nur eines von vielen grauenvollen Beispielen. Massaker an ganzen Gruppen, z.B. als
Reaktion auf einen Vieh- oder Mehldiebstahl, hat es in allen Teilen Australiens gegeben
und "Kopfprämien" für getötete Aborigines wurden von obersten Verwaltungsstellen
festgesetzt. Ebenfalls verbreitete Methoden waren die Entlohnung mit vergifteten
Lebensmittel für geleistete Dienste, das Schüren von Feindseligkeiten der Aborigines
untereinander oder das Einsetzen von "Aboriginal Polizisten", die für die Tötung oder
Ergreifung ihrer Landsleute bezahlt wurden.
Obwohl der Akkulturationsprozeß in Australien aufgrund der geographischen und
ökologischen Bedingungen sehr unterschiedlich verlief, so waren seine Folgen für die
Aborigines generell gesehen verheerend. Die Ausrottungsmaßnahmen der europäischen
Eindringlinge waren so erfolgreich, dass bis in die Mitte des 19. Jh. die Bevölkerungszahl
der Aborigines von ca. 300.000 auf etwa 50.000 reduziert wurde. Auch die massive
Gegenwehr einzelner Gruppen der Aborigines, wie die "Guerilla-Kriege" der Kalkadoon in
Queensland und tasmanischer Aborigines oder die Schlachten mit den Weißen von
Hawkesbury 1795, Parramatta 1797, Vinegar Hill 1804, Bathurst 1824, Pinjarra 1834,
Eureka 1854 und Battle Mountain 1884 konnte diese Entwicklung nicht aufhalten.
Reservation und Mission
Den Überlebenden des Kolonisierungsprozesses wurden Rückzugsgebiete, die für die
Siedler nicht nutzbar schienen, zugewiesen oder noch weitgehend bestehende Gruppen
in diese Reservationen zwangsumgesiedelt. So trafen Aborigines aus völlig
verschiedenen Herkunftsgebieten, unterschiedlichen kulturellen Kontexten und
verfeindeten Gruppen aufeinander. Kommunikationsprobleme aufgrund der sprachlichen
und kulturellen Vielfalt der Gruppen waren daher unvermeidbar. Ein Leben nach
traditionellen Werten konnte unter diesen Umständen in den wenigsten Fällen stattfinden.
Die Aborigines gerieten in die staatliche Abhängigkeit, die in den jeweiligen
Verwaltungsgebieten durch einen "Aboriginal Protection Board" geregelt wurde. Die
Festlegung der 'Aboriginal Policy" fiel somit ebenfalls in die Obliegenschaften der
"Protection Boards".
In der ersten Hälfte des 19. Jh. begannen die Missionen ihre Tätigkeit in Australien.
Neben der Umsetzung ihrer obersten Prämisse, die Aborigines zu christianisieren, waren
sie auch darum bemüht, die schlimmste Not, wie Unterernährung und Krankheit, zu
lindern Einige Missionare versuchten über das Erlernen von Sprachen, den Aborigines
näher zu kommen und so zu einem Verständnis ihrer Kultur zu gelangen, um ihre
Missionierung besser durchsetzen zu können.
Jedoch blieben auch solche Vorgehensweisen wenig erfolg reich: ihre eigenen
Erfahrungen sowie der Umgang der Siedler, Sträflinge und Abenteurer untereinander ließ
die Aborigines offen sichtlich am christlichen Wort der Nächstenliebe zweifeln. Außerdem
waren sie nicht bereit, ihre eigene Philosophie und ihre religiösen Vorstellungen, die sich
über Jahrtausende bewährt hatten, leichtfertig aufzugeben.
Viele Missionare setzten ihre Christianisierungsversuche daher bei den kleinen Kindern
an, die nur wenig durch religiöse und philosophische Ideen vorgeprägt waren.
Menschenhandel, Menschenraub oder die Abtretung gegen Lebensmittel waren hier die
üblichen Methoden, durch die Kinder zur Erziehung in meist weit entfernte
Missionsschulen gebracht wurden. Diese Vorgehensweisen waren durch die damalige
Rechtsprechung legalisiert und Eltern und Kinder sahen sich in der Regel nie wieder.
Trotz solch drastischer Maßnahmen war die Christianisierung der Aborigines generell von
wenig Erfolg gekrönt, und viele Missionen wurden aufgegeben, nachdem die Aborigines in
der zweiten Hälfte des 20. Jh. selbst über sie bestimmen konnten.
Die Missionare haben vielmehr sehr zur Erforschung von Sprachen und Kulturen der
Aborigines beigetragen. Sie haben ethnologisches Wissen begründet und vertieft, auf das
heute auch von Aborigines in ihrem Kampf um kulturelle Identität und Selbstbestimmung
zurückgegriffen wird. Die Zeit des gewaltsamen Kulturkontaktes, der die systematische
Vernichtung und kulturelle Entwurzelung mit sich brachte, wird in der heutigen
Geschichtschreibung der Aborigines als die Zeit der "bitter years" beschrieben. Sie
beschreibt auch die ökonomische Ausbeutung von Aborigines als billige Gruben- oder
Farmarbeiter oder die sexuellen Mißhandlungen, denen Frauen und Mädchen in
extremsten Maßen durch weiße Männer ausgesetzt waren. Die "bitter years" sollten sich
erst ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert für die Aborigines zum Besseren wenden.
"Landrights Now'' - Aborigines auf dem Wege der Emanzipation
Aborigines und der 2. Weltkrieg
Die Ereignisse des 2. Weltkrieges weckten in Australien die Angst vor einer drohenden
japanischen Invasion. Es folgte die allgemeine Mo bilmachung, in die auch die Aborigines
einbezogen wurden. Sie traten in Fabriken, in der Rüstungsindustrie oder in
Reparaturwerkstätten in den Dienst des Heeres und der Luftwaffe. Sie erhielten in ihrer
Zugehörigkeit zu bestimmten Arbeitsgruppen zum ersten Mal gleiche Entlohnung für
gleiche Arbeit und wurden von ihren weißen Arbeitskollegen, die ihre Ansichten über die
Arbeitsmoral der Aborigines aufgrund unmittelbarer Erfahrungen ändern mußten, in der
Regel akzeptiert und anerkannt. Nach Kriegsende wurde in der Öffentlichkeit die gerechte
Entlohnung für Aborigines diskutiert, und selbst einige Gewerkschaften stellten sich auf
ihre Seite. Die Lohnforderungen scheiterte zunächst am Widerstand der Farmer, was
dazu führte, dass unter Aborigines erstmalig die Möglichkeit der Arbeitsniederlegung
diskutiert wurde. Der Streik von Pilbara 1946, der sich über zwei volle Jahre erstreckte,
war schließlich das Resultat und er führte in der Folge zu deutlichen Lohnerhöhungen für
Aborigines, zur Gründung der ersten Aboriginal Bergwerksgesellschaft und zu
Überlegungen, traditionelle Lebensweisen wieder aufzunehmen und das verbliebene
kulturelle Erbe zu erhalten.
1944 wurde den Aborigines das Recht auf die Beantragung der australischen
Staatsbürgerschaft gewährt. In der Verfassung des neuen australischen Staatenbundes
von 1901 war ihnen der Status 'Eingeborene" verliehen worden, der sie der australischen
Bevölkerung als nicht zugehörig klassifizierte. Die Aborigines gingen in ihrem
Selbstbewußtsein gestärkt aus den 40er Jahren hervor.
Obwohl sich durch diese Ereignisse für den größten Teil der Aborigines in den
unterschiedlichen Reservationen oder Stadtrand-Ghettos keine grundlegende
Veränderung ihrer miserablen sozialen, kulturellen und ökonomischen Situation ergab, so
wurde in diesem ersten Kampf um akzeptable Löhne der Grundstein für ihren Kampf um
Gleichberechtigung und Anerkennung in der australischen Gesellschaft gelegt.
Die Nachkriegszeit
Der wirtschaftliche Aufschwung der Nachkriegszeit machte für Australien den verstärkten
Zuzug von Arbeitsmigranten aus verschiedenen Teilen Europas notwendig. Die offizielle
Einwanderungspolitik sah die Assimilation dieser zukünftigen Neubürger in die englisch
orientierte Gesellschaftsstruktur vor. Oberstes Ziel dieser Politik war die weitgehende
Erhaltung Australiens als 'englische' Exklave im Südpazifik, festgelegt durch die Prämisse
der "White Australian Policy" von 1901.
Da die Aborigines durch die Geschehnisse während der 40er Jahre zu einem nicht mehr
auszulöschenden gesellschaftlichen Faktor ge worden waren, wurde für sie von der
weißen Gesellschaft ebenfalls die Assimilation angestrebt. Natürlich spielte auch hier der
Gedanke an eine endgültige Lösung der 'Eingeborenenfrage" eine große Rol le. Darüber
hinaus ging man davon aus, dass sich das Problem der Aborigines aufgrund der
kulturellen Entwurzelung, die mit einem drastischen Geburtenrückgang - bis 1930 war ihre
Bevölkerungszahl bereits auf 30.000 gesunken - verbunden war, sowie ihrer
Chancenungleichheit in bezug auf Bildung und Arbeit ohnehin langfristig lösen würde. Die
Regierungen der einzelnen Bundesstaaten, denen die "Aboriginal Affairs" oblagen, trugen
bis in die 60er Jahre dementsprechend wenig dazu bei, um die Situation für die
Aborigines im gesamtaustralischen Kontext erträglicher und lebenswürdiger zu gestalten.
Die Land- und Bürgerrechtsbewegung der Aborigines
Das einschneidende Ereignis, durch das sich die Lage der Aborigines zum Besseren
wenden sollte, ist auf den 28.8.1963 datiert. Dieses ist das Datum des Tages, an dem
eine Delegation der YoIngu aus dem Arnhem Land dem General Gouverneur, Vertreter
der britischen Krone, in Canberra eine auf Rinde geschriebene, in englischer und ihrer
eigenen Sprache verfaßte Petition übergab. In ihr forderten sie erstmalig das Recht auf
Landbesitz, kulturelle und ökonomische Selbstbestimmung.
Der Anlaß für diesen Schritt der Aborigines war die zunehmende Bedrohung ihrer
Siedlungsgebiete durch den Bergbauboom, der in vielen Teilen Australiens eingesetzt
hatte. Drei Jahre später, 1966, ging der Streik einer weiteren Gruppe aus dem Amhem
Land, die als unterbezahlte Viehhirten ihren Lebensunterhalt fristeten, als der "Gurindji
Walk Off" in die Annalen der australischen Geschichtsschreibung ein. Die Rindenpetition
und die Aktion der Gurindji führten zur Entstehung der Land- und Bürgerrechtsbewegung
der Aborigines.
Ein Referendum, das am 27.5.1967 stattfand und das den Aborigines offiziell die
Bürgerrechte zuerkannte, kann ebenfalls als Resultat dieser beiden Ereignisse gewertet
werden.
Als erster Bundesstaat richtete South Australia 1966 einen "Aboriginal Land Trust" ein,
der Land an Aborigines übertragen konnte und Victoria folgt 1970 mit der Verabschiedung
eines Gesetzes, das Aborigines das Recht auf Grundbesitz zubilligte. 1972 verliehen
Aborigines aus verschiedenen Teilen Australiens ihren Forderungen nach Landrechten
zusätzlichen und vehementen Ausdruck, indem sie vor dem Parlamentsgebäude in
Canberra eine Zeltbotschaft, die "Aboriginal Tent Embassy" errichteten. Hier wurde auch
zum ersten Mal die im gleichen Jahr geschaffene Flagge gehisst, die für die angestrebte
kulturelle Einheit der Aborigines als australische Bevölkerungsgruppe stehen sollte. Für
die Aborigines verbanden sich mit den Forderungen nach Landrechten nicht nur
ökonomische sondem auch kulturelle Aspekte. Die geforderte Rückgabe und Übereignung
traditioneller Gebiete schien Möglichkeiten zur Schaffung eigener wirtschaftlicher
Grundlagen, der Unabhängigkeit von staatlicher Einflußnahme und auf lange Sicht die
Rückgewinnung und Stärkung der kulturellen Identität zu eröffnen.
"Landrights Now''
Eine grundlegende politische Prüfung der Landrechtsfrage führte 1974 die Labour
Regierung unter Federführung von Geoff Whitlam durch. Die Arbeit einer eigens
eingesetzten Kommission, die das Recht der Aborigines auf Landbesitz prüfte und
Möglichkeiten der gesetzlichen Regelung und Umsetzung erarbeitete, führte schließlich
1976 zum "Aboriginal Land Rights (Northem Territory) Act". Dieses Gesetz räumte
Landrechte für diejenigen Aborigines des Northern Territory ein, die ihren traditionellen
Lebensweisen noch weitgehend verbunden waren und die eine enge Beziehung zu ihren
angestammten Gebieten nachweisen konnten. Darüber hinaus wurde Aborigines die
Möglichkeit eingeräumt, sowohl ehemalige Reservate zu übemehmen als auch Ansprüche
auf ungenutztes "Crown Land" (Land im Besitz der britischen Krone) anzumelden.
Weiterhin bekamen die sie nun die Möglichkeit, Einfluß auf die Ausbeutung von
Bodenschätzen in ihren Gebieten zu nehmen. Die Landrechtsgesetzgebung des Northern
Territory sah auch die Einrichtung von "Aboriginal Land Councils" und Kontrollinstanzen
seitens der Aborigines in Form vom "Aboriginal Commissioners" vor.
Auf Tasmanien wurde 1978 ein "Aboriginal Land Fund Trust" eingerichtet, der
ungenutztes Regierungsland als "Aboriginal Land" ankaufen sollte.Andere australischen
Bundesstaaten verabschiedeten eigene Landrechtsgesetze erst in den 80er Jahren: New
South Wales 1983, Queensland 1984, Western Australia 1986.
Die Aborigines, die inzwischen in offiziellen Statistiken mit einer Zahl von ca. 300.000
angegeben sind, verfügten 1986 über eine Landfläche von 768180 qkm, was einem Anteil
von 8,3% an der Fläche Australiens entspricht.
Ihre Verfügungsmöglichkeiten richteten sich jedoch nach einem Status des Landes, der
nach ökonomischen Erwägungen der einzelnen Bundesstaaten festgelegt wurde. Den
Bundesstaaten waren durch die Legislative entsprechende Möglichkeiten des erneuten
Entzugs eingeräumt.
Uluru, bekannter als Ayers Rock, wurde so z.B. unter der Bedingung übertragen, ihn für
touristische Zwecke für die Dauer von 99 Jahren an das Northern Territory zurück zu
verpachten. Nach Ablauf dieser Zeit muß erneut verhandelt werden.Versuche der
Zentralregierung in Canberra, die Möglichkeiten der Bundesstaaten in dieser Hinsicht zu
beschneiden, stießen auf große Widerstände, auch aus Kreisen der in Australien
ansässigen multinationalen Konzerne.
Zum Jahreswechsel 1993 erkannte die australische Zentralregierung schließlich offiziell
ein Urteil als Möglichkeit zur Schaffung grundlegender gesetzlicher Neuregelungen an.
Das Urteil des "High Court of Australia" im Falle "Mabo vs Queensland and the
Commonwealth" hob den Status Australiens als "Terra Nullius" auf und räumte den
Aborigines somit das ungefährdete Recht auf Land besitz ein.
Seit der europäischen Invasion ab 1788 galt Australien als 'unbesiedelt und unkultiviert'.
Von dieser eurozentristischen Ansicht leiteten sich die Vorgehens- und Umgangsweisen
gegenüber den Aborigines maßgeblich ab.
Das Urteil im Falle Mabo erkennt also zum ersten Mal offiziell in der Geschichte der
weißen Besiedlung des 5. Kontinents die Aborigines als seine ursprünglichen Besitzer an.
1988: Jahr der Trauer und der Hoffnung - Aborigines in der multikulturellen
Gesellschaft Australiens
Der 26.2.1988 wurde für Australien zum großen nationalen, aber auch internationalen
Ereignis. Der 200. Jahrestag der europäischen Besiedlung wurde gefeiert.
Die Festlichkeiten des Februars wurden von massiven Protesten der Aborigines begleitet,
die der Welt in einer Rückschau die Auswirkungen der weißen Besiedlung präsentierten.
Ein Höhepunkt ihrer Demonstrationen war die außerordentlich medienwirksame
Inbesitznahme der britischen Inseln durch den Künstler und Schriftsteller Burnum Burnum,
der mit einem Ruderboot an der englischen Südküste landete, um dort die Flagge der
Aborigines zu hissen.
Die Aktionen machten nicht nur der australischen sondern auch der internationalen
Öffentlichkeit deutlich, dass die Aborigines zu einer selbstbewußten Bevölkerungsgruppe
innerhalb der Gesellschaft geworden sind.
Durch die Arbeit ihrer Land- und Bürgerrechtsbewegung konnten sie sich Möglichkeiten
schaffen, die ein selbstbestimmteres Leben in kultureller und ökonomischer Hinsicht
bieten. Das gilt für die Aborigines in den Städten ebenso wie für die Bewohner der
ländlichen Gegenden und des 'out back".
Bestrebungen zur Selbstbestimmung
In den 80er Jahre wurden viele kleine Aboriginal-Unternehmen im Bereich des
Kunsthandwerks und der Textilindustrie gegründet. Es sind Radio- und Fernsehanstalten
entstanden, die es sich zum Ziel gesetzt haben, die Kulturen der Aborigines neu zu
beleben. Diese Medienanstalten tragen auch dazu bei, dass verloren geglaubte Sprachen
wieder neu erlernt werden können. Kulturzentren und eigene Museen wurden eröffnet, die
sich auch an die Nicht-Aborigines wenden, um zu einer Verständigung zwischen den
Kulturen beizutragen. In den Bereichen Schule und Berufsausbildung wurden Lehrpläne
entwickelt, die eine gemeinsame Ausbildung von Aborigines und Nicht-Aborigines
ermöglichen sollen.
In den Gemeinden der ländlichen Gebiete und des "out back" haben die Aborigines
ebenfalls ihr Schicksal in die eigenen Hände genommen. Sie begannen bereits Mitte der
70er Jahre mit dem Aufbau sogenannter 'outstations', in denen sie ein weitgehend an
traditionelle Muster angelehntes Leben führen können, aber sich auch durch Gartenbau
oder Farmwirtschaft und durch die Kunst- und Textilproduktion eine weitere
Existenzgrundlage schufen. Heute sind die Produkte ihrer Arbeit für viele Gemeinden zur
Haupteinnahmequelle geworden, und sie werden auch in die außeraustralische Weit
exportiert.
Die Aborigines wurden für Australien seit der 200-Jahr-Feier auf der internationalen
Ebene zum Aushängeschild und es hat sich gezeigt, dass sich nationale australische
Identität inzwischen ganz eng mit den Aborigines verbindet. Die Versuche der
Wiedergutmachung durch die Weiß-Australier sind nicht zu übersehen und die Ansichten
über die Aborigines haben sich in breiten Teilen der Bevölkerung verändert.
Obwohl die generelle Entwicklung für die Aborigines in den vergangenen 30 Jahren
inbesondere durch ihren eigenen Antrieb positiv verlaufen ist, so darf dennoch nicht
vergessen werden, dass sie immer noch eine unterprivilegierte Bevölkerungsgruppe sind.
Ihre Lebenserwartung liegt weit unter der anderer Australier, die Kindersterblichkeit ist
wesentlich höher, die gesundheitliche Versorgung der Gemeinden ist mangelhaft, sie
stellen weiterhin den größten Anteil an Analphabeten und im Zusammenhang mit ihren
beruflichen Bildungs- und Karrieremöglichkeiten kann nicht von Chancengleichheit
gesprochen werden. Sie werden kriminalisiert und wegen Bagatelldelikten
unverhältnismäßig lange hinter Gitter gebracht. Die Todesrate unter AboriginalGefangenen ist nicht zuletzt durch Selbstmorde erschreckend hoch.
Trotzdem sehen viele Aborigines ihre Zukunft in einem positiven Licht, und sie sind bereit,
dafür zu kämpfen.
Ein Zitat aus einem Lied der Inzwischen International bekannt ge wordenen Musikgruppe
Yothu Yindi mag dieses belegen und diesen Ausflug in die vergangene und gegenwärtige
Geschichte der australischen Aborigines beenden.
"We've been working on a course for change trying to work out a balance... All it takes is
understanding to make the dream come true ... this is only just the beginning now. 1
guess we have to work it out ... You and me we can make it happen." (Freedom, von der
gleichnamigen CD 1993)
Folgendes Lied der Wild Pumpkins at Midnight, einer Aboriginal Musikgruppe, die sich
inzwischen aufgelöst hat, wurde in einem Kon zert in Sydney 1988 vorgetragen:
The Birth of a Nation
There's open plains and spreading towns
Fences built over burial grounds
We've bought and sold out sacred lands
No one made an effort to understand
Even after all these years debts have not been settled or cleared
Do we just forget thern, are they legacies to be swept under carpets never seen
Ghosts are watching as I walk through a midden with a lump in my throat
Out by the old mission there's beer bottles, car tracks
Old fire places and sketched in the sky ten thousand faces
So I'm not going to celebrate the birth of a nation
With a history of sadness and indignation.
A woman watches as I walk down the street I'm wearing clothes, she's wearing bare feet
Both worlds exist in this backward town where the black people live with the white
people's frowns
So if I have a drink on celebration day, I'll drink for the women and for the better day.
She sits under her fa vourite, she got all her dignity
Living and dying on the outskirts of town where the white people have kept the black
people down
We can't be held responsible for bad things of the past
But massacres are memories and these memories will last.
How can I celebrate the birth of a nation
Without even mentioning emancipation.
Literaturliste
weiterführende Literatur:
Attwood, Bain: The making of the Aborigines. Sydney 1989
Berndt C.H. / R. Bemdt: The Aboriginal Australians the first pioneers. Sydney 1983
Löffler, Anneliese (Hg.). Australische Märchen. Traumzeitmythen der Aborigines. rororo
TB 1290.Reinbeck 1994.
Maddock, Kenneth: The Australian Aborigines: a portrait of their society. Harmondsworth
1972.
Mulvaney, D.J.: The prehistory of Australia. Ringwood 1975.
Sykes, Roberta B.: Black Majority. An analysis of 21 years of Black Australian experience
as emancipated Australian citizens. Hawthom 1989.
Wilpert, Clara (Hg.): Der Flug des Bumerang. 40000 Jahre Australier. Hamburg 1987.
Bücher von Aborigines oder im Namen von Aborigines:
Gilbert, Kevin: Because a white man'll never do lt. Sydney 1973.
Gilbert, Kevin: Living Black. Blacks talk to Kevin Gilbert. Melbourne 1977.
Lamilami, L. Lamilami Speaks ... a story of the people of Goulburn Islands, North
Australia. Sydney 1974
Miller, James: Koori: a will to win. The heroic resistance, survival and triumph of Black
Australia.
Morgan, Sally: Ich hörte die Nachtigall singen. Orlanda 1993
Palmer, K. / C. McKenna: Somewhere between Black and White: the story of a Victorian
Aboriginal family, 1842 - 1980. Melbourne 1980.
Perkins, Charles: A bastard like me. Sydney 1975.
Rosser, B.: This is Palm Island. Canberra 1978.
Roughsey, Dick: Moon and Rainbow: the autobiography of an Aboriginal. Sydney 1971.
Walker, Kath (Oodgeroo Noonucl): Father Sky and Mother Earth. Brisbane 1981.
Wongar, Bahumir: Der Schoß. Bornheim-Merten 1983.
Wongar, Bahumir: Die Seele. Bornheim-Merten 1985.
(Hinweis: Die Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek in Göttingen führt ein
Sondersammelgebiet "Australien", in dem die meisten der genannten englischsprachigen
Bücher zu finden sind.)