Special Forces in Heilbronn

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Special Forces in Heilbronn
Special Forces in Heilbronn
Immer klarer w ird, dass der Nationalsozialistische Untergrund (NSU)
nicht an der Ermordung der Polizistin M ich èle K iesew etter beteiligt
war. Vielm ehr w urden in Tatortnähe über ein Dutzend Geheimagenten
registriert - darunter auch US-Amerikaner.
War der Täter, dem
das Phantombild
Num mer 8 gleicht
ein V-M ann der
Polizei?
Staatliche Schlapphüte waren auch
am Tattag in Heilbronn vor Ort.
Foto: Günter Havlena, pixelio
Eines der größten Rätsel in der NSU-Affäre ist
der Mord, dem am 25. April 2007 die Polizeimeisterin
Michèle Kiesewetter in Heilbronn zum Opfer gefallen
ist. Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass das
Zwickauer NSU-Trio die Tat ganz alleine durchgeführt
hat, «ohne M ithilfe ortskundiger Dritter». Doch w ar­
um sollten Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos von
Zwickau aus 400 Kilometer ins Schwabenland gefah­
ren sein, um eine Polizistin zu töten? W ie konnten sie
wissen, dass Frau Kiesewetter am Nachmittag auf
der Theresienwiese Dienst tat, wo sie doch nur ver­
tretungsweise eingesprungen war? M ittlerw eile hat
die Lokalpresse sämtliche Phantombilder veröffent­
licht, die Zeugen nach der Bluttat mit Hilfe von Polizei­
experten gezeichnet haben, insgesamt 14 an der Zahl.
Kein einziges davon ähnelt auch nur im entferntesten
den beiden NSU-Uwes.
Etwas Licht ins Dunkel dieser Tat kam am 1. De­
zember 2011, als der Stern ein Aufsehen erregendes
Dokument des US-amerikanischen M ilitärgeheim ­
dienstes DIA veröffentlichte. Das DIA-Observationsprotokoll wurde vom «Special Investigation Team
Stuttgart» erstellt, das an jenem 25. April 2007 in
Heilbronn war. Die Agenten beobachteten einige
Zielpersonen, die sich zur Theresienwiese bewegten,
wo die Observation endete, als es zu einer Schießerei
kam - dem Mord an Michèle Kiesewettter. Im eng­
lischen Original ist die Rede von einem «Shooting
incident involving BW OPS Officer w ith right wing
operatives and regular police patrol on the scene».
In den Schusswechsel waren demnach drei Parteien
involviert: «regular police patrol», also die reguläre
Polizeistreife, bestehend aus Michèle Kiesewetter
und einem Kollegen; «BW OPS'officer», also ein «ba­
den-württembergischer Einsatzbeamter», vermutlich
von einer Landesbehörde w ie dem Verfassungsschutz
oder dem LKA; «right wing operatives», vom Stern als
«Rechtsextreme» übersetzt.
Fünf V-Leute v o rD rt
ln der Folge hat das Landesamt für Verfassungs­
schutz (LfV) in Stuttgart dementiert, dass einer seiner
Beamten («BW OPS officer») vor Ort war. Doch dank
der Recherchen der Online-Zeitung Kontext, die Zu­
gang zu den Ermittlungsakten hat, ist diese Ausrede
mittlerweile fadenscheinig geworden. Demnach trie-
ben sich nicht weniger als fünf V-Leute verschiedener
deutscher Behörden am Tatort oder zumindest in Heil­
bronn herum:
■ Ein Zeuge, der bei der Polizeidirektion Heilbronn
als «V-Person 1749» geführt wird, w ill kurz nach den
tödlichen Schüssen einen blutverschmierten Mann ge­
sehen haben. Der Zeuge meldete sich am selben Tag
bei der Polizei, mit seiner Hilfe wurde das Phantombild
Nummer 9 erstellt.
Der töte Zeuge hatte Erkenntnisse
über eine zweite rechtsradikale Un­
tergrundstruktur neben dem NSU,
die Neüschutzstaffel N55,
■ Daneben waren zwei weitere V-Personen der Heilbronner Polizei zeitlich und räumlich in der Nähe. «Laut
den Ermittlungsunterlagen machten sie unabhängig
voneinander ähnliche Angaben zu möglichen Tätern,
die im Bereich der “organisierten Kriminalität“ (OK) zu
suchen waren. Wo sich die V-Leute am Tag des An­
schlags genau aufhielten, ist unklar», fasst Kontext­
Autor Thomas Moser zusammen.
■ Vor dem Untersuchungsausschuss des Bundesta­
ges bestätigte der frühere LfV-Präsident Johannes
Schmalzl 2012, dass sich einer seiner Beamten am
Tattag gegen 15 Uhr von Stuttgart aus auf den Weg
nach Heilbronn gemacht hat.
■ Besonders interessant ist ein Hinweis, den Kontext
«aus dem Umfeld» des baden-württembergischen
Verfassungsschutzes bekommen hat. Demnach saß
ein früherer V-Mann des LfV etwa eine Stunde vor
dem Anschlag mit drei anderen Männern am Rand
des Festplatzes Theresienwiese im Gras. Besonders
elektrisierend: Dieser Ex-Spitzel sieht dem Phantom­
Bild Nummer 8 ähnlich. W ar ein Verfassungsschutz­
Konfident einer der Mörder?
Um dieses «Phantom Nummer 8» ranken sich im
Internet weitere Spekulationen. Plausibel werden sie,
w eil sie von Leuten mit Insiderkenntnissen vorgebracht
werden: Von Alexander Gronbach, einem früheren
Söldner-Werber, und seiner Freundin Petra Senghaas,
die als V-Frau Krokus für den Verfassungsschutz die
Heilbronner Nazi-Szene ausspionierte. Ihre Aussage
vor dem NSU-Untersuchungsausschuss des Bundesta­
ges wurde von den baden-württembergischen Behör­
den so lange hinausgezögert, dass sie fast nicht mehr
zustande gekommen wäre. Kein Wunder: Senghaas
und Gronbach widersprechen der Bundesanwaltschaft
darin, dass das NSU-Trio für den Mord an Michèle Kie­
sewetterverantwortlich sei, und sehen regionale Nazi­
Größen als Schuldige der Bluttat. Zu den wichtigsten
Figuren in diesem Zusammenhang gehört Alexander
Neidlein, der es im NPD-Jugendverband bis zum stell­
vertretenden Bundesvorsitzenden brachte und derzeit
NPD-Landesgeschäftsführer ist. Er kämpfte Anfang der
1990er Jahre für die faschistisch-kroatische HOS-Miliz
in Bosnien, hatte Kontakt zum Ku-Klux-Klan in Südaf­
rika und saß dort wegen zweifachen Mordversuchs an
Polizeibeamten in Auslieferungshaft. Antifaschisten
wollen Neidlein im Phantombild Nummer 8 wieder­
erkannt haben, Rechtsradikale widersprechen ihnen.
Vergessen w ir nicht: Sowohl Neidlein als auch ein VMann sollen dem Phantom Nummer 8 gleichen. Steht
der Nazi auf der Gehaltsliste des Verfassungsschut­
zes? Aktenkundig ist jedenfalls, dass er Kontakte mit
anderen Rechtsradikalen hatte, die vom Geheimdienst
Geld bekamen: Etwa mit Thomas Richter (Deckname
«Corelli»), dem Chef des schwäbischen Ku-Klux-Klans,
oder mit Jan Werner, der von derselben Rufnummer
des sächsischen Innenministeriums angerufen wur­
de, die auch bei der auf der Flucht befindlichen Beate
Zschäpe durchklingeln ließ.
Dies sind a lle zunächst unterschla­
gen Phantombilder, die Zeugen nach
dem M ord an M ichèle K iesew etter
zeichnen ließen. Offensichtlich
sind n ich t a lle Zeugenaussagen
ernst zu nehmen: B ild Numm er 9
ähnelt zum Beispiel W ladim ir Putin.
B ild Num m er 3 könnte «V-Person
1749» der Heilbronner Polizei zeigen,
B ild N um m er 8 den NPD-Funktionär
Alexander N eidlein und/oder einen
V-Mann; B ild Num m er 14 g e h t a u f
Angaben von M a rtin A rnold zurück,
dem Kollegen Kiesewetters, der bei
dem Anschlag schw er verletzt w ur­
de. Foto: kontextwochenzeitung.de
M itg lie d e r des NSU-Untersuchungsausschusses präsentieren am
22. A ugust 2013 ihren Abschluss­
bericht. D er Ausschuss sollte
«einen Beitrag zur gründlichen und
zügigen Aufklärung der Taten der
"Terrorgruppe N ationalsozialisti­
scher Untergrund" leisten». Foto:
Rainer Jensen
M utter bezweifelt die Selbstmordthese. «Er hatte so
viele Träume, Wünsche und Ziele. W er ihn gekannt
hat, geht nicht von einem Suizid aus», schrieb Heike
Heilig in einem Internet-Forum.
Die Rolle der A m erikaner
Während die mögliche Verwicklung bundesdeut­
scher Dienste, von den Leitmedien verschwiegen,
immerhin von linken Journalisten im Online-Portal
Kontext oder in der Tageszeitung Junge l/l/e/f darge­
stellt wird, gehört die Rolle ausländischer Agenten an
jenem schicksalhaften 25. April 2007 zu den großen
Tabus, denen sich alle unterwerfen. Das Tabu wird
geschützt durch die Behauptung US-amerikanischer
w ie deutscher Regierungsstellen, das vom Stern ver­
öffentlichte DIA-Protokoll des Heilbronner Polizisten­
mordes sei eine Fälschung, es sei also kein Team des
US-Militärgeheimdienstes \jpr Ort gewesen.
Der angebliche Selbstm ord von
Florian H. b le ib t rätselhaft. Sein
A uto w a r erst explodiert und hatte
danach Feuer gefangen - eine
höchst ungewöhnliche Reihenfolge.
Foto: Youtube
Oer angeblich
falsche Observa­
tionsbericht des
U5-M ilitärgeheim dienstesDIA führte
zu hektischen
Aktivitäten bei
MAD, BNO und im
Bundeskanzleramt.
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Zeugenbeseitigung
Gronbach und Senghaas gehen jedenfalls davon
aus, dass es neben dem NSU eine zweite Untergrund­
struktur im Raum Heilbronn gab, der Neidlein und
seine Kumpane angehörten. Von elektrisierender Ak­
tualität ist dieser Hinweis, w eil ein w ichtiger Zeuge
für diese Spur vor kurzem zu Tode kam. Im Abschluss­
bericht des Bundestags-Untersuchungsausschusses
zum NSU ist auf Seite 464 zu lesen, dass der damals
19-jährige Florian Heilig bei seiner ersten Verneh­
mung im Januar 2012 Hinweise geliefert habe, «wo­
nach es in Deutschland neben dem NSU als "zweite
radikalste Gruppe" die Neoschutzstaffel (NSS) gebe.
NSU und NSS hätten sich - Datum unbekannt - zu ei­
ner gemeinsamen Veranstaltung in Öhringen (Baden­
Württemberg) getroffen».
Florian Heilig w ar am 16. September 2013 zu einer
zweiten Vernehmung in das Stuttgarter Landeskrimi­
nalamt vorgeladen. Er fuhr eigens 50 Kilometer von
seinem W ohnort in die schwäbische Metropole, kam
aber nie in der Dienststelle an. Als er in der Nähe des
Cannstatter Wasens - nur etwa eineinhalb Kilometer
vom LKA entfernt - einen Zwischenstopp machte und
dann wieder in sein Auto einstieg, explodierte dieses
und brannte völlig aus. Die Behörden gingen sofort
von Selbstmord aus, angeblich hatte der junge Mann
Liebeskummer. Aber warum hat er sich dann nicht
zu Hause umgebracht, sondern sich auf den Weg zur
Vernehmung gemacht? Und warum fand man keinen
Abschiedsbrief? Und warum bringt sich einer auf die
denkbar umständlichste und schmerzhafteste Weise
um, anstatt von der Brücke zu springen, Gift zu neh­
men oder sich zu erschießen? Und warum ist das Auto
zuerst explodiert und hat dann Feuer gefangen? Die
Dabei wurde die Tatortnähe zumindest eines USAgenten auch im NSU-Untersuchungsauschuss des
Bundestages bestätigt. In dessen Abschlussbericht
heißt es auf Seite 660: «Durch eine mobile Geschwin­
digkeitsüberwachungsanlage auf der Bundesauto­
bahn A6 wurde am 25. April 2007 um 13.05 Uhr ein
BMW, Modellreihe 3, im Bereich Heilbronn festge­
stellt. Im Zuge der Ermittlungen wurde bekannt, dass
dieses Kennzeichen für die US-amerikanische Zulas­
sungsstelle ausgegeben wurde. Auf eine Anfrage des
BKA vom 3. Januar 2012 teilte die US-amerikanische
Botschaft/M ilitary Liaison Office in Berlin mit, dass das
o. g. Kennzeichen auf eine Person registriert war, die
am 31. August 2009 aus der US-Armee ausgeschie­
den und derzeit in Dunedin/Florida wohnhaft sei.»
Was nicht im Bundestagsbericht steht: Gleich neben
diesem beschaulichen Strandörtchen Dunedin befin­
det sich in Tampa/Florida das Hauptquartier SOCOM
der Spezialeinheiten der US-Army. Aus BKA-Unterlagen soll hervorgehen, so die Zeitschrift The Germans,
dass der BMW-Fahrer, der US-Elitesoldat H., der in
Böblingen stationierten Special-Forces-Group ange­
hörte, die sich der Bekämpfung des islamistischen
Terrorismus widmet.
Weitere Hinweise auf die Rolle von US-Agenten
am Mordtag kamen von einem damaligen Ermittler
in der Spionageabwehr der 66. M ilitary Intelligence
Hanau. Er berichtete gegenüber den deutschen Behör­
den, er habe «ein Gespräch von zwei US-amerikani­
schen Soldaten mitgehört, die sich über eine beinahe
missglückte Observation der M ilitary Intelligence am
Tage des Schusswechsels in Heilbronn unterhalten
hätten».
Er benannte gegenüber den Ermittlern zwei leiten­
de US-Geheimdienstler als Auskunftspersonen. Die
behaupteten wenig überraschend bei der Befragung,
von nichts zu wissen und schwärzten gleich den Tipp-