Bundesweite HIT-Patiententagung in Göttingen
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Bundesweite HIT-Patiententagung in Göttingen
Austausch auf Augenhöhe Bundesweite HIT-Patiententagung in Göttingen „Vielen Dank für die äußerst informative Tagung in sehr angenehmer Atmosphäre. Mein Mann und ich waren aus Süddeutschland angereist, um möglichst neue Informationen über die Behandlungsmethoden unserer Tochter zu erfahren. Bislang sind wir eher verunsichert worden. Hier waren die Informationen nicht nur fundiert, sondern wir fahren auch mit dem Gefühl wieder nach Hause, mit unseren Sorgen ernst genommen zu werden. „Für mich waren diese zwei Tage ein ganz besonderes Erlebnis“, bilanzierte Prof. Dr. med. Christof Kramm am Ende der zweitägigen Veranstaltung des bundesweiten Behandlungsnetzwerks HIT in Göttingen. Zur Zufriedenheit hatte der Leiter der Abteilung Pädiatrische Hämatologie und Onkologie der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin Göttingen und wissenschaftlicher Leiter der Tagung auch allen Grund. Denn die Veranstaltung bot den über 500 Teilnehmern inmitten des normalen Uni-Betriebs nicht nur ein breites Spektrum von Fachvorträgen, Workshops und Möglichkeiten zum Erfahrungsaustausch, sondern darüber hinaus auch Gelegenheit, Kontakte zu anderen Betroffenen zu knüpfen. Wie bei den HIT-Tagungen zuvor standen auch diesmal keineswegs nur medizinische Herausforderungen im Fokus. Die breit gefächerte Palette der 20 3/16 DLFH Das Organisationsream (v.l.n.r.): Dagmar Hildebrandt-Linne, Otfried Gericke (beide Elternhilfe Göttingen), Renate Heymans (Deutsche Kinderkrebsstiftung) und der wissenschaftliche Leiter Prof. Dr. med. Christof Kramm Fächerübergreifendes Denken Vorträge und Diskussionen reichte von Möglichkeiten der familiären Unterstützung über Auswirkununverzichtbar gen der Erkrankung und Behandlung auf das ganz normale Alltagsleben, sozialrechtliche InformatioWie unverzichtbar ein fächerübergreifendes Denken nen, Rehabilitationsmöglichkeiten, Fragen zu Schule gerade im Bereich der Kinderonkologie geworden und Berufsfindung oder Ergotherapie bis hin zum ist, unterstrichen der Dekan der medizinischen offenen Gespräch in der Familie über die Erkrankung Fakultät Prof. Dr. Heyo Krömer und die Direktorin der des Kindes. Wo haben Kinder nach einer HirntuUni-Kinderklinik Prof. Dr. Jutta Gärtner. Ihrer Ansicht morerkrankung Defizite, wo haben sie vielleicht ganz nach sind optimale Ergebnisse nur dann zu erzielen, besondere Stärken? Wie können wenn Angehörige verschiedener Kinder optimal gefördert werden? Berufsgruppen auf unterschiedliWie wichtig ein solcher Austausch chen Ebenen zusammenarbeiten, ist, verdeutlichte Göttingens Obersich untereinander vernetzen und bürgermeister Rolf Georg Köhler austauschen, um so gemeinsam bei der Begrüßung der Gäste, hoffnungsvolle neue Wege zu die aus ganz Deutschland in die finden. niedersächsische Universitätsstadt Dass das HIT-Netzwerk hier seit gereist waren. „Ich freue mich nicht vielen Jahren eine herausragende nur, dass Göttingen als Tagungsort Vorreiterrolle einnimmt, wurde ausgesucht wurde, sondern finde immer wieder von den Ärzten, es fantastisch, dass es eine solche Wissenschaftlern, Dokumentaren, Oberbürgermeister Rolf Georg Köhler Tagung überhaupt gibt“, so Köhler. Mitarbeitern der Studienzentralen, „Leider ist es bei uns eher noch die Ausnahme, dass den psychosozialen Teams, aber auch von den angesich betroffene Eltern und Patienten zusammen reisten Eltern und betroffenen Patienten betont. Es mit den Experten verschiedener Fachrichtungen an wurde aber auch klar, dass es trotz immens verbeseinen Tisch setzen, um sich auf Augenhöhe auszuserter Behandlungsmethoden noch ein weiter Weg tauschen“, so das Göttinger Stadtoberhaupt. ist, bis die Krankheit eines Tages vielleicht einmal ganz besiegt sein wird. Trotz vielfältiger medizinischer Fortschritte, trotz verbesserter Betreuungsmöglichkeiten der Patienten, trotz mannigfaltiger Hilfen für die Eltern ist die Hirntumorerkrankung eines Kindes für alle Betroffenen noch immer eine echte Herausforderung. „Es ist und bleibt ein Weg 3/16 DL FH 21 Dank von Prof. Dr. med. Christof Kramm an das HIT-Organisationsteam der kleinen Schritte“, so Kramm. „Aber wir können allen betroffenen Eltern und Patienten garantieren, dass sie in allen an das HIT-Netzwerk angeschlossenen Behandlungszentren in Deutschland optimale Behandlungsmöglichkeiten vorfinden.“ Langzeitnachsorge immer wichtiger Für Renate Heymans, die bei der Deutschen Kinderkrebsstiftung den Bereich der Forschungsförderung leitet, ist die kontinuierliche und überregionale Zusammenarbeit aller beteiligten Fachdisziplinen ein wesentlicher Grund für den Erfolg des HIT-Netzwerks, das von der Deutschen Kinderkrebsstiftung jährlich mit mehr als zwei Millionen Euro gefördert wird. „Neben maßgeschneiderten Therapien für die jungen Patienten bekommt vor dem Hintergrund steigender Heilungsraten auch die Langzeitnachsorge einen immer größeren Stellenwert“, wie sie betonte. 22 3/16 DLFH Viele Fortschritte in den letzten Jahren sind insbesondere auf die enge Kooperation im Rahmen multizentrischer Therapieoptimierungsstudien zurückzuführen, die im Bereich Hirntumoren alle von der Deutschen Kinderkrebsstiftung finanziert werden. „Jeder Patient wird bereits bei Erkrankungsbeginn der für ihn beziehungsweise seinen Tumor zutreffenden Studie zugeordnet und erhält unabhängig vom Wohnort eine nach dem neuesten wissenschaftlichen Stand optimale, seinem individuellen Risiko angepasste Behandlung“, so Heymans, die seit vielen Jahren zum Leitungsteam der HIT-Tagungen gehört. Miteinander und voneinander lernen. So lässt sich wohl am treffendsten das Motto der in Deutschland einzigartigen Veranstaltung beschreiben, bei der sich die Teilnehmer alle zwei Jahre an wechselnden Orten über optimierte Behandlungsformen, neue Therapieansätze und Möglichkeiten der Nachsorge und Rehabilitation informieren können. Im Rahmen der Workshops zu verschiedenen Hirntumorarten bestand für Eltern und Patienten die Gelegenheit, mit den referierenden Studienleitern direkt in Kontakt zu treten, Fragen zu stellen und sich mit anderen, vom gleichen Schicksal betroffenen Familien auszutauschen. In seinem Vortrag führte Professor Wicht, Anatom am Dr. Senckenbergischen Institut der Universität Frankfurt, Eltern und Patienten durch die Anatomie des Hirns und das Hirn des Anatomen. Prof. Wicht, Anatom am Dr. SenckenbergiAnhand aussaschen Institut der Universität Frankfurt geckräftiger Bilder und historischer Anekdoten stellte er den mikround makroskopischen Aufbau des Gehirns dar und erläuterte, was geschieht, wenn bestimmte Bereiche ihre Funktion aufgrund einer Schädigung nicht mehr ausführen können, bedingt etwa durch einen Hirntumor oder therapieinduzierte Folgen. Für das Fachpublikum fanden parallel Fortbildungen zu den Themen Kommunikation mit Patienten und Angehörigen, molekulare Neuropathologie und studienübergreifende Nachsorge statt. Die Therapieoptimierungsstudien für die verschiedenen Hirntumorarten standen im Mittelpunkt des weiteren Fachprogramms. Nach Informationen der Studienleiter über den aktuellen Stand und geplante Neuerungen wurde angeregt diskutiert. Bestmöglich und risikoadaptierte Therapie Prof. Dr. med. Stefan Rutkowski, der die HIT-MED Studienzentrale am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf leitet, berichtete von seinen Erfahrungen mit der Therapieoptimierungsstudie PNET 5 MB, die zum Ziel hat, die Therapie für Kinder und Jugendliche mit Medulloblastom, Ependymom und primitivem neuroektodermalem Hirntumor zu verbessern. „Die HIT-MED-Studienzentrale“, erklärte Rutkowski, „erstellt auf wissenschaftlicher Basis allgemeine Behandlungsempfehlungen für Patienten, die an einem dieser Hirntumoren leiden.“ Hauptziele aller Therapieoptimierungsstudien seien eine nach dem heutigen Stand der Erkenntnisse bestmögliche und risikoadaptierte Therapie zu bieten, die Therapie, und damit die Überlebensraten, fortlaufend zu verbessern und mögliche Spätfolgen durch Erkrankung und Behandlung zu vermindern. Bei der Behandlung gelte es nicht nur alle Risiken genau abzuwägen, sondern auch die Therapieelemente Operation, Strahlentherapie und Chemotherapie bestmöglich zu kombinieren. (siehe dazu auch S. 28) Zwei betroffene Familien schilderten im gemeinsamen Themenblock Langzeitnachsorge ihre ganz persönlichen Ängste, Sorgen und Nöte während und nach der stationären Behandlung ihres erkrankten Kindes. Angesichts der stetig steigenden Zahl der Langzeitüberlebenden nach Krebs im Kindesalter und des steigenden Versorgungsbedarfs in dieser Gruppe ehemaliger Patienten hätten auch die Aktivitäten der Gesellschaft für pädiatrische Onkologie und Hämatologie (GPOH) in der Langzeitnachsorge deutlich zugenommen, betonte Dr. med. Gabriele Calaminus vom Universitätsklinikum Bonn. Zur Bündelung der Aktivitäten sei eine Arbeitsgruppe eingerichtet worden, in der sich alle am Thema Langzeitnachsorge interessierten Forschungsgruppen und Initiativen halbjährlich zum Austausch träfen. Sie wies darauf hin, dass im von der Deutschen Kinderkrebsstiftung geförderten Web-Portal kinderkrebsinfo.de inzwischen 105 Einrichtungen mehr als 260 Nachsorgeangebote eingestellt hätten. Zu ihnen gehören unter anderem auch das Waldpiraten-Camp oder die auf familienorientierte Rehabilitation spezialisierte SyltKlinik, die beide von der Deutschen Kinderkrebsstiftung getragen werden. Als Modellprojekte, die betroffene Familien in sozialrechtlichen Fragen und der oft herausfordernden Wiedereingliederung in den Alltag unterstützen, stellten die KONA aus München – eine Einrichtung, die psychosoziale Nachsorge für Familien mit an Krebs erkrankten Kindern koordiniert – und das Netzwerk für onkologische Fachberatung aus Hannover ihre Arbeit vor. Die Elternhilfe für das krebskranke Kind Göttingen überraschte die Tagungsteilnehmer bei der gemeinsamen Abendveranstaltung in der Stadthalle Göttingen mit beeindruckenden Trommel- und Feuershows und reichhaltigem Buffet. Hier bot sich die Gelegenheit Gespräche und Diskussionen in entspannter Atmosphäre fortzuführen. Nach weiteren Studien-Updates für das Fachpublikum stand das diffus intrinsische Ponsglioms im Fokus der Vorträge und Diskussionen. PD Dr. med. Ulrich-Wilhelm Thomale von der Charité Berlin stellte den „Consensus Report“ der Neurochirurgischen Gesellschaft zur Indikation und Durchführung der Biopsie des Ponsglioms vor. Da eine operative Therapie nicht möglich ist, bestehen hier ethische Bedenken, bei Patienten mit einer infausten Prognose eine zunächst nur wissenschaftlich begründete Biopsie durchzuführen. Die Diagnose wird in der Regel ausschließlich anhand 3/16 DL FH 23 Viel spannende Abwechslung in der Kinderbetreuung der Bildgebung gestellt. Neue Hoffnungen, anhand der molekularbiologischen Diagnostik ein besseres Verständnis dieser Tumoren zu erlangen und möglicherweise eine individualisierte, so genannte „targeted“ Therapie identifizieren zu können, hat die Biopsie wieder in den Mittelpunkt der Diskussion gerückt. Dem potentiellen Nutzen steht das mögliche Risiko der Hirnstammbiopsie gegenüber. In diesem Zusammenhang lautet die Stellungnahme der deutschen Kinderneurochirurgen, die Biopsie als Option innerhalb einer überregionalen prospektiven Studie anzubieten. Gleichzeitig wird gefordert, die operative Komplikationsrate der Biopsien innerhalb der Studien zu erfassen, um langfristig eine sichere Risiko-Nutzen-Analyse vornehmen zu können. Zielgerichtete Therapien Wie heterogen Ponsgliome sich präsentieren, stellte Gastdozent Prof. Dr. Chris Jones vom Institute of Cancer Research Sutton, Großbritannien, in der Keynote Lecture dar. Er unterstrich die Bedeutung der Biopsie für die Forschung, ohne die Erkenntnisse über die Biologie von Ponsgliomen und die Entwicklung zielgerichte„Die Tagung in Göttingen ter Therapien nicht möglich hat meine Erwartungen wären. absolut erfüllt. Mehr noch. Für Eltern und Patienten Die Infomationen waren wurden Workshops zu sozialverständlich und es blieb rechtlichen Fragen, Nachsorgeangeboten der Deutschen genügend Zeit für Rückfragen. Kinderkrebsstiftung, Sport Besonders in den Workshops und Bewegungsförderung, wurde zugehört und ganz Projekten für Geschwister konkret auf die Ängste, Sorgen krebskranker Kinder und Ju- und Nöte betroffener Familien eingegangen. So etwas ist wirklich einzigartig. Danke!“ 24 3/16 DLFH gendlicher, Reintegration in die Schule und Palliativmedizinischer Versorgung angeboten. Den Abschluss der HIT-Tagung bildete der für Fachpublikum und Eltern und Patienten gemeinsame Themenblock „therapieunterstützende Maßnahmen“. Dabei ging es insbesondere um die Möglichkeiten für Eltern, im Klinikalltag wie auch zu Hause, ihr an Krebs erkranktes Kind aktiv zu begleiten. Ergänzend zur Schulmedizin können in der Pflege komplementärmedizinische und naturheilkundliche Methoden zum Einsatz kommen, sowohl altbewährte als auch moderne Heilanwendungen. Bestätigt durch Untersuchungen und Studien werden diese Die Elternhilfe für das krebskranke Kind Göttingen überraschte die Tagungsteilnehmer bei der gemeinsamen Abendveranstaltung in der Stadthalle Göttingen mit beeindruckender Trommel- und Feuershows und reichhaltigem Buffet. Hier bot sich die Gelegenheit Gespräche und Diskussionen in entspannter Atmosphäre fortzuführen. Methoden immer mehr zu einem integrierten Bestandteil der modernen Krankenpflege. Offener Umgang mit der Wahrheit „Vom drüber Reden stirbt man nicht. Über die stärkende Kraft der Wahrheit“ hatte Klinikseelsorgerin Mechthild Ritter vom Universitätsklinikum Würzburg ihren abschließenden Vortrag überschrieben. Sie plädierte nachhaltig zu einem „offenen Umgang mit der Wahrheit“. Wenn Ängste verdrängt und unterdrückt würden, „werden sie uns bedrücken“. Was ausgesprochen werde, könne geteilt werden, könne sich klären und Trost finden. In der Klinik stünden Ärzte, Schwes- tern, Psychologen, Seelsorgerinnen als Ansprechpartner zur Verfügung. „Wenn Eltern Kraft geschöpft haben und gute Erfahrungen mit dem Aussprechen ihrer Ängste gemacht haben, können sie auch ihre Kinder dazu ermutigen. Wenn das ehrliche Gespräch mit Kindern nicht gescheut wird, kann man viel über ihre Vorstellungen, über ihre Lösungswege und ihre Wünsche erfahren.“ Damit könnten „Es war unsere erste sie den Erwachsenen, sowohl den Eltern als auch den Behandelnden, HIT-Tagung. Eine absolut wichtige und wegweisende Oriengelungene Veranstaltung, tierung geben. für die sich unsere Wegweisende Orientierung – so weite Anfahrt aus lässt sich auch trefflich die HIT- Süddeutschland gelohnt Tagung in Göttingen überschreihat. Herzlichen Dank für ben. „Für mich war es fantastisch, ein Team hinter mir zu wissen, auf diese spannenden zwei das ich mich während der gesamTage.“ ten Vorbereitung blind verlassen konnte“, resümierte Prof. Dr. Christof Kramm am Ende der Tagung. „Allen Beteiligten – ob Deutscher Kinderkrebsstiftung, den Mitarbeitern der Universitätsmedizin Göttingen, der GPOH, den Referenten, der Bohne-Junius-Stiftung, den beteiligten Eltern und Patienten und natürlich der Elternhilfe für das krebskranke Kind Göttingen – gilt mein ganz herzlicher Dank.“ n Klaus Riddering (Text+Fotos) 3/16 DL FH 25