Offizelles Placebo-Bio

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Offizelles Placebo-Bio
MEDS - VÖ 10.03.2006
Letzten Endes fallen alle Schätze auf, auch wenn sie noch so gut versteckt sind. Geblendet vom
großen Erfolg dies- und jenseits des Atlantiks von englischen Bands wie Franz Ferdinand und The
Kaiser Chiefs, hat man fast vergessen, dass Placebo sich in den vergangenen zehn Jahren langsam zu
einer der weltweit größten und besten Rockbands entwickelt haben. Allein im Jahre 2000, als man
fürchtete, es gäbe in Großbritannien keine neuen Talente mehr, verkauften Placebo ohne großen
Aufhebens eine Million Exemplare ihres dritten Albums „Black Market Music“ und kletterten in diversen
europäischen Charts auf Platz 1. 2003, als die Medien sich den Libertines zu Füßen warfen,
veröffentlichten Placebo ihr viertes Album, „Sleeping With Ghosts“, von dem sie 1,5 Millionen
Exemplare verkauften und das in 20 Ländern in den Top 10 war. Allein im Bercy in Paris spielten sie
vor 18.000 Fans. Vergleichbar mit anderen düster romantischen Acts wie The Cure, Depeche Mode,
Morrissey und REM, die jede gepeinigte menschliche Seele so direkt ansprechen, haben Placebo eine
treue, sich explosionsartig vermehrende Anhängerschaft, die sich jenseits des engen ZeitgeistSpektrums entwickelt. Doch als Brian Molko, Stefan Olsdal und Steve Hewitt im Jahre 2004 die
Wembley Arena ausverkauften, um in der Heimat ihre Singles-Compilation „Once More With Feeling“
zu promoten und Robert Smith als special guest auf die Bühne baten, da war dieses Phänomen der
Rockgeschichte nicht mehr geheim zu halten. Zehn Jahre lang hatten Placebo sich an den Status des
Superstars herangeschlichen, und nun nahmen sie endlich ihren Platz auf dem Podest ein. „Es ist
stetig gewachsen“, erläutert Stefan. „Jedes Album lief ein bisschen besser als der Vorgänger, also war
es für uns kein großer Schock. Wir haben in den Jahren unser Handwerk gelernt und auch live ist die
Band gewachsen. Bei der letzten Tour waren fünf Musiker auf der Bühne, wodurch Brian und ich die
Freiheit hatten, ein paar Showelemente einzubringen. Wir sind in diese Rollen hineingewachsen und
fühlen uns wohl damit. Aber als wir 2004 in Wembley spielten, war das schon eine Genugtuung.“
Der Aufstieg von Placebo ist geprägt von einem seltenen Hunger nach musikalischer Erneuerung,
persönlichen Entdeckungen und nach Geschichten. Stück für Stück haben sie den androgynen SchockChic ihrer Anfänge von 1994 hinter sich gelassen und sich der krassen, reifen, direkteren Analyse
menschlicher Abgründe gewidmet: den Perversionen, die wir voreinander verstecken, den Schmerzen
und Erniedrigungen, die wir einander zufügen, den Abhängigkeiten, in die wir selbst uns begeben und
– hin und wieder – den Hoffnungen, die wir uns allzu oft selbst verweigern. Auch auf dem
musikalischen Feld haben sie wagemutige neue Schritte gemacht. Auf „Black Market Music“ fanden
Hip-Hop und Disco-Elemente ihren Weg in die Blaupause grüblerischer Rockmusik. Auf „Sleeping With
Ghosts“ experimentierten sie mit Elektronik, Loops und studiotechnischen Spielereien. Mutig wie sie
sind, forderten sie ihr Publikum heraus, doch das Ergebnis war nur noch loyalere und größere
Anhängerschaft von ihren Legionen smarter aber verletzter Rockfans, die zu Placebo-Konzerten
kommen, um sich an den unerwarteten stilistischen Wendungen zu erfreuen. Das fünfte Studioalbum,
„Meds“, verspricht, ihr bislang größtes und überraschendstes Werk zu werden.
Geschrieben wurde „Meds“ im Sommer 2004 in Südfrankreich, aufgenommen innerhalb von vier
Monaten im Jahr 2005 in den Rak Studios mit dem relativ unbekannten französischen Produzenten
Dimitri Tikovoi und abgemischt wurde es von dem legendären Flood (U2, Smashing Pumpkins).
„Meds“ ist Placebo entblößt. In der Überzeugung, dass sie ihre bislang stärksten Songs überhaupt
geschrieben haben, „waren wir plötzlich in der Situation, dass wir zu viele Songs für dieses Album
hatten“, sagt Brian. „Sonst hat uns immer ein Song gefehlt, also ist die Messlatte für Qualität hier viel
höher. Es gibt auf diesem Album mindestens fünf bis sechs potentielle Singles.“
Sie erlaubten Tikovoi, den ursprünglich geplanten elektronischen Ansatz zu mindern, den sie eigentlich
seit der Synthesizer-getränkten Single „Twenty Years“ wieder verfolgt hatten. Nun also soll neben
Gitarre, Bass und Schlagzeug die Genialität der Songs für sich selbst sprechen: In den Musikern von
Placebo brennt noch das alte Feuer.
„Dimitris Idee bei diesem Album war, dass wir quasi wieder ein Debütalbum machen sollten.“, erklärt
Brian. „Er wollte uns aus unserer gemütlichen Ecke rausholen, uns herausfordern, Placebo wieder in
gefährliche Gewässer treiben. Das Studio Rak ist wie ein Zeittunnel, es hat sich dort seit den 70ern
oder 80ern nicht viel geändert. Bei den Aufnahmen fühlt man sich weniger wie in einem digitalen
Raumschiff, sondern alles konzentriert sich auf die Performance. Also kehrten wir zu einem der
Grundelemente von Placebo zurück. Wenn wir sonst vielleicht ein teures altes Keyboard benutzt
hätten, haben wir diesmal einfach Klavier gespielt. Ich glaube, wir haben im Laufe der Zeit den Ruf
gewonnen, ziemlich kompliziert zu sein. Wir haben also die Freiheit genossen, uns wieder mit ganz
grundlegenden Dingen zu beschäftigen. Wir haben nun mehr Platz gelassen, damit das Songwriting
noch durchschimmert, anstatt zu beweisen, wie geschickt wir sind und wie toll wir uns mit
Studiotechnik auskennen. Unser Ziel war Einfachheit statt Elaboration.“
Das Ergebnis ist nicht nur eine außergewöhnlich empfindsame Platte, sondern Placebos bislang
menschlichster Wurf. Molko muss sich hier nicht mehr über abgedrehte Mode oder Sado-MasoSpielereien definieren: Er ist erwachsen, schreibt fein geschliffene Geschichten und braucht kein
Lexikon der Folterinstrumente, um die Missstände des Lebens anzuprangern. Hier finden wir
Geschichten von zerbrechlichen Seelen, die durchdrehen, weil sie vergessen haben, ihre Medikamente
zu nehmen („Meds“), Scham und Schrecken, die sich nach einer Drogennacht morgens im
Badezimmer spiegeln („Cold Light Of Morning“) oder „Freunde, die sich für einen extrem schlechten
Lebensweg entscheiden“ („Song To Say Goodbye“). Dies sind feinfühlig gesponnene Geschichten von
Verlust, Verwirrung, Rache, Liebe und Abhängigkeit. Man sollte meinen, dass Molko aus so etwas in
der Zwischenzeit herausgewachsen ist.
„Ich weiß“, lacht Brian. „Wahrscheinlich ist es so, dass man als Mitglied einer Rockband nicht so
schnell erwachsen wird wie andere Leute, egal, was einem im Leben so passiert. Vielleicht ist es ja
auch so, dass man den Konflikt so gewöhnt ist und eine Situation, wo jederzeit alles
zusammenbrechen könnte, genau abschätzen kann, dass man die manchmal in seiner Umgebung
heraufbeschwört, einfach, um sich noch lebendig zu fühlen. Auf dem Album hört man eine gehörige
Portion Verwirrung und Verzweiflung – in Placeboworld sind die Dinge eben nicht so einfach. Ich
finde, das Interessante an den Figuren in den Songs dieses Albums ist, dass sie alle irgendeinen
Konflikt austragen, entweder geht es um sie selbst oder um ihren Platz in dieser Welt, oder um
Abhängigkeiten von anderen Menschen oder Drogen.“
Es gibt auch das etwas geheimnisvolle Stück „Space Monkey“, das keiner in der Band erklären kann,
aber das Stefan mit emotionaler Hochachtung erfüllt: „Ich höre mir das Lied an und kann mich nicht
erinnern, es jemals gespielt oder aufgenommen zu haben. Es ist, als würde ich eine andere Band
hören, und das Stück weckt in mir sehr starke Gefühle. Es ist das erste Mal, dass mir so etwas mit
einem unserer Stücke passiert.“
„Meds“ ist also das beste Placebo-Album bislang, und es wird zweifellos ihr erfolgreichstes werden.
Das höchst inspirierte Werk stellt außerdem den starken Einfluss von Placebo unter Beweis: VV von
The Kills taucht als Gastmusiker auf und singt auf dem Titelsong des Albums, „Meds“, und Bloc Party
haben sich bereits an die Band gewandt, weil sie die erste UK-Singleveröffentlichung „Because I Want
You“ remixen möchten.
Dies ist ein weiterer abenteuerlicher Vorstoß ins Unbekannte, unternommen von einer Band, die das
Unbekannte ihr Zuhause nennen könnte. Der Erfolg ist allein schon wegen der Unangepasstheit des
Albums garantiert. Um ehrlich zu sein: Bei der großen weltweiten Anhängerschaft kann nichts mehr
Placebo stoppen. Man sollte nicht vergessen, dass dies die Band ist, die im vergangenen Jahr nach
Chile fuhr, um einige fast vergessene Konzerttermine wahrzunehmen und vor Ort feststellte, dass sie,
ohne sich dessen gewahr zu sein, schon längst Lateinamerika erobert hatte.
„Unseren ersten Gig hatten wir in Chile, wo wir nie zuvor gewesen waren“, erinnert sich Brian. „Wir
dachten, wir hätten dort bestimmt nicht viele Alben verkauft. Tatsächlich aber spielten wir zwei
ausverkaufte Konzerte in Hallen, wo 9000 Zuschauer reinpassen. Das war schon mal ein erstaunlicher
Einstieg. Dann fuhren wir nach Buenos Aires und spielten vor 7000 Menschen. Danach hatten wir
noch acht Konzerte in Brasilien und wurden überschwenglich empfangen. Dieser euphorische Empfang
war überraschend und phantastisch. Was für eine tolle Sache das ist, dort drüben große Konzerte zu
spielen! Da brummt es so richtig, die Leute sind so leidenschaftlich, wahrscheinlich ist das typisch für
Lateinamerika. Morrissey ist in Mexiko ein Riesenstar und Placebo kommen dort auch gut an. In
Brasilien sind The Cure die großen Helden, also mögen sie da drüben dieses düster Romantische, was
uns ja auch mit The Cure verbindet.“
„Es war schön, in ein Land zu fahren, das wir noch nie zuvor besucht hatten, und dort so großartig
empfangen zu werden“ bestätigt Steve. „Die Band spielte gut, etwas härter und zielstrebiger als auf
unseren letzten Tourneen. Auf dem Rocklevel war es sozusagen noch drei Stufen höher.“
Wenn die nun anstehende „Meds“ Welttournee beendet ist, wird es keine weiteren Stufen auf dem
Rocklevel mehr zu erklimmen geben. Placebo haben die Welt bereits erobert, und nun holen sie Dich.
Da sollte man sich zugleich freuen und fürchten.
Mark Beaumont, Januar 2006
PLACEBO - MEDS – VÖ 10.03.2006