Predigtreihe „Psalter und Harfe wacht auf! Gotteslob

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Predigtreihe „Psalter und Harfe wacht auf! Gotteslob
Predigtreihe „Psalter und Harfe wacht auf! Gotteslob durch die Zeit“:
"Altes Kirchenlied", 28.10.2012
Christuskirche Mannheim
Pfarrerin Henriette Freidhof
Predigt zu EG 325 „Sollt ich meinem Gott nicht singen?“ von Paul Gerhardt
Liebe Gemeinde,
„Er war ein Mensch, der die meiste Zeit seines Lebens gewiss mehr Grund zum Heulen als
zum Frohlocken hatte“, so schrieb es die Wochenzeitung „Die Zeit“ im Jahr 2007 anlässlich
zu Paul Gerhardts 400ten Geburtstag.
Und doch- oder gerade deshalb, schrieb dieser Mensch etwa 130 Lieder von Not und Tod,
Freud und Leid, Hoffnung und Trost. 26 von ihnen befinden sich heute noch in unserem
Gesangbuch. Nur Martin Luther läuft ihm mit 31 Texten den Rang ab, doch handelt es sich
bei Luther zu erheblichen Teilen um Übertragungen und Bearbeitungen schon vorhandener
Lieder. Paul Gerhardt kann bis zum heutigen Tag als der fruchtbarste Dichter geistlicher
Lieder in deutscher Sprache gelten, deren Rezeption bis heute andauert. Dietrich Bonhoeffer
schrieb nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 in seiner Verzweiflung „Es
kommen
Stunden,
in
denen
man
sich
mit
den
unreflektierten
Lebens-
und
Glaubensvorgängen genügen lässt. Dann freut man sich einfach an den Losungen des Tages…
und man kehrt zu den schönen Paul Gerhardtliedern zurück und ist froh über diesen Besitz“.
Auch wir können froh sein, im Besitz dieser Lieder zu sein, und ich möchte heute ein Lied
besonders anschauen, indem wir es abschnittsweise gemeinsam singen und die einzelnen
Strophen auslegen. „Sollt ich meinem Gott nicht singen“- Sie finden es im GB unter der
Nummer 325 und wir singen gemeinsam die erste Strophe.
Strophe 1
„Sollt ich meinem Gott nicht singen“ ist ein Lied über das Singen selber. 1653 ist es
entstanden, ist also über 350 Jahre alt und hat dennoch etwas bemerkenswert Zeitloses,
weshalb es auch heute so beliebt ist, wenn man nicht vor der für ein Kirchenlied recht
kühnen und sprunghaften Melodie zurückschreckt. Die Entstehung dieses Liedes fällt in die
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persönlich und beruflich wohl glücklichste Zeit seines Lebens. Im Jahr 1651 wurde Paul
Gerhardt zum Probst in Mittenwalde berufen. Es war, nach einigen Jahren der
Hauslehrertätigkeit, seine erste hauptberufliche Stelle. Ein Jahr darauf folgte die Heirat mit
Anna Maria Berthold. In dieser Zeit entstehen die meisten Lieder, wie z.B. „Ich singe dir mit
Herz und Mund“, „Befiel du deine Wege“ und auch unser Lied „Sollt ich meinem Gott nicht
singen?“.
Paul Gerhardt will in diesem Lied deutlich machen, warum auch der Glaube, die Beziehung
eines Menschen zu Gott, ein Grund zum Singen ist. Die meisten Kirchenlieder, in denen es
ums singen geht, beginnen mit einem einfachen Imperativ: Singt, lobt den Herrn! Hier ist das
zunächst anders, es beginnt mit einer doppelten rhetorische Frage, die nach einer
bejahenden Antwort drängt. Die aufsteigende Melodie betont, dass es nur ein beherztes Ja
zum Lobgesang und zur Dankbarkeit gegenüber Gott geben kann.
„Sollt ich meinem Gott nicht singen?“- in dieser Frage liegt auch ein Stück
urprotestantischen Bewusstseins: Denn der, der die Frage stellt, sagt damit auch, dass er
selber ganz persönlich seinem Gott singen und nicht bloß andere für sich singen lassen will.
Es ist eine direkte und unvermittelte Beziehung zu Gott.
Auffallend ist vielleicht auch die Note h, die uns am Ende der vorletzten Zeile einer jeden
Strophe begegnet, der Ton, der immer wieder auf das Wort „Zeit“ zu singen ist. Fast ein
bißchen schmerzhaft klingt dieser Ton in unserem Ohr und wir würden diesen fremden und
unvermuteten Ton vielleicht gerne anders singen und ein b daraus machen. Aber so steht es
nicht da, das h wird uns zugemutet.
An sich ist es ein harmloser und banaler Satz, der mit diesem Ton verbunden ist und der sich
auch am Ende einer jeden Strophe als eine Art Refrain wiederfindet: „Alles Ding währt seine
Zeit“. Das wissen wir, es ist unsere tägliche Erfahrung. Unser Leben selbst hat eine
Zeitspanne, die länger oder kürzer sein kann, die aber auf jeden Fall begrenzt ist und ihr
Ende hat. Schon das Alte Testament erinnert uns immer wieder an diese Tatsache, es schärft
uns ein, die Endlichkeit unseres Lebens nicht zu vergessen. Alles hat seine Zeit, so heißt es
z.B im Prediger im 3ten Kapitel: geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit,
Weinen hat seine Zeit, Lachen hat seine Zeit, Pflanzen hat seine Zeit, Ausreißen hat seine
Zeit. Doch bei Paul Gerhardt gewinnt das Wörtchen „Zeit“; verbunden mit der Melodie noch
einen anderen Charakter. Die Zeile spricht nicht von einer banalen Allerweltstatsache,
sondern sie singt von einer Erfahrung voller Schmerz. Nicht nur, dass die schönen Dinge
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begrenzt sind, das Lachen, die Liebe, die Kraft, sondern auch die schmerzlichen und
leidvollen Dinge haben ihre Zeit. Niemand wusste das besser als er, dessen halbe Lebenszeit
überschattet war vom Dreißigjährigen Krieg. Einer Zeit der Gewalttätigkeit, die Deutschland
verwüsteter und entvölkerter hinterließ als beide Weltkriege zusammen. Eine Zeit der
Brutalitäten und Hungersnöte, auch bedingt durch die sog. „kleine Eiszeit“, die das Klima
Mitte des 17ten Jahrhunderts zeitweilig extrem kalt und ernteunfreundlich werden ließ.
Dann hat das Währen ein ganz eigenes Gewicht: Dass alles Ding seine Zeit währt, sagt auch,
dass die schlimmen Dinge tatsächlich ihre Zeit währen und manchmal schier kein Ende
nehmen wollen. Die Pause, die dem Ton h folgt, muss ausgehalten und ertragen werden.
Aber- es ist nicht das Ende vom Lied. Es gibt eine Fortsetzung: „Gottes Lieb in Ewigkeit“, so
schließt der Refrain. Ein neuer Aufschwung der Melodie, die nun wieder ganz anders auftritt,
die rund und leicht zu singen ist. Und plötzlich nimmt auch das schmerzhafte h eine andere
Farbe an: Es führt hinüber zu dem, was uns Erfüllung und Trost gibt: Gottes Liebe, die ewig
zu währen vermag. Grundlos und voraussetzungslos tritt Gottes Liebe den Dingen der Zeit
entgegen und integriert all das Schöne und all das Leidvolle des Lebens in die Seine.
In der ersten Strophe singen wir auch: „Denn ich seh in allen Dingen, wie so gut er´s mit mir
mein“. In allen Dingen Gott sehen, geht im engeren Wortsinne sicher nicht auf, eher drückt
es die Sehnsucht aus, hinter den Dingen die Güte und den Glanz Gottes entdecken zu
können und ihnen einen Sinn geben zu können. Paul Gerhardt hat sehr wohl zwischen dem
umfassenden Lieben im Herzen Gottes und der Realität der Welt zu unterscheiden gewusst,
in der eben nicht in allen Dingen Gott zu erkennen ist. Wie soll ich Gott in den
Ungerechtigkeiten dieser Welt entdecken? Es gibt eben doch vieles, was durch den
Menschen Veränderung braucht und auf den rechten Weg gebracht werden muss und nicht
so bleiben darf, wie es ist.
Die 10 Strophen des Liedes- die wir heute aus Zeitgründen nicht alle singen können- sind
eigentlich nichts anderes als ein großer Kommentar zu eben diesem Doppelsatz „Alles Ding
währt seine Zeit, Gottes Lieb in Ewigkeit“, mit dem alle Strophen, bis auf die Letzte enden
und sie sind eine ausführliche Beschreibung der ersten Strophe, in der es heißt: „Denn ich
seh in allen Dingen wie so gut er´s mit mir mein“. Die vielen guten Gründe, für Gott ein Lied
zu singen, müssen erzählt werden, Szene für Szene, Bild für Bild. Deshalb singen wir nun die
zweite Strophe.
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Strophe 2
Über diese Strophe könnte man die Überschrift „Gott gibt Schutz und Geborgenheit“ setzen,
denn anschaulich vergleicht Paul Gerhardt Gott mit einem Adler, der das Gefieder über seine
Jungen streckt.
Das Bild des Adlers findet sich schon im 5ten Buch Mose, wo es heißt „ Gott fand Jakob in
der Wüste, in der dürren Einöde sah er ihn. Er umfing ihn und hatte acht auf ihn. Er behütete
ihn wie seinen Augapfel. Wie ein Adler ausführt seine Jungen und über ihnen schwebt, so
breitete er seine Flügel aus und nahm ihn und trug ihn auf seinen Flügeln“.
Ein romantisches Bild und doch nicht so romantisch, wenn man bedenkt, wie das in der
Natur eigentlich funktioniert mit dem Adler und seinen Jungen. Denn der Adlerhorst, das
Nest in dem die Jungen aufwachsen, befindet sich hoch oben auf einer Felsenklippe, +ber
einem tiefen Abgrund. Wenn die Jungen so weit sind, dass sie flügge werden sollen, werden
sie vom alten Adler aus dem Nest gejagt. Die Jungen piepsen und sträuben sich; sie können
ja noch nicht fliegen. Aber der alte Adler lässt nicht locker. Und plötzlich packt er das erste
Junge mit seinen Krallen fliegt über den Abgrund und lässt es fallen. Das Junge zappelt mit
den Flügeln und versucht zu fliegen, aber es gelingt nicht. Es stürzt und fällt immer schneller
dem Abgrund entgegen. Der alte Adler, der ruhig seine Kreise gezogen hat, schießt steil nach
unten, fängt das Junge im Fallen auf und trägt es wieder nach oben. Dann beginnt das Spiel
von Neuem. Langsam lernt der junge Adler seine Flügel zu gebrauchen; irgendwann kann er
fliegen und verlernt es nie wieder. Vielleicht war Paul Gerhardt dieses Bild auch deshalb so
nahe.
Glückliche
Augenblicke,
der
Geborgenheit
und
schmerzliche,
aber
auch
weiterbringende Momente des Fliegen lernens und damit auch des freien Falls.
In den Strophen 2-4 erzählt Paul Gerhardt das Glaubensbekenntis nach. Gott offenbart uns
als Vater, Sohn und Heiliger Geist, in der Schöpfung, Erlösung und Erleuchtung unserer
Herzen seine ewige Liebe. Wir sollen gewiss sein, dass die Zeit mit ihren Dingen selber enden
wird, denn sie wird ganz und gar aufgenommen in die ewige Liebe Gottes, wo der Schmerz
sein Ende gefunden und das Schöne kein Ende mehr haben wird. Wir selber werden Teil
dieser göttlichen Ewigkeit sein.
Wie die Liebe Gottes in den Dingen unseres Lebens aussieht, beschreibt das Lied auch in den
Strophen
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5-9.
Paul
Gerhardt
wählt
dazu
drei
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ganz
alltägliche,
elementare
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Lebenserfahrungen: Die seelische wie leibliche Gesundheit, die Erfahrung, dass wir
angewiesen sind auf Nahrung, die uns aus der Natur wächst und die Erfahrung, dass wir das
Dunkel des Schlafes nicht nur wohlbehalten überstehen, sondern aus ihm mit Lebensfreude
und Zuversicht in den neuen Tag gehen. Wir singen die Strophen 5 und 7.
Strophe 5+7
Warum wählt Paul Gerhardt gerade diese Beispiele, um die Sichtbarkeit der Liebe Gottes in
unserer Lebenswelt zu zeigen? Sicher zum Einen, weil diese Erfahrungen so elementar und
alltäglich sind, dass man jeden Menschen darauf ansprechen kann, zum Anderen auch, weil
hier in besonderer Weise deutlich wird, wie wenig wir das gute Leben in der Hand haben. Ob
wir körperlich und psychisch gesund sind, bleiben oder wieder werden- bei allen
Errungenschaften der Medizin, ist es doch ein Glück, wenn es uns widerfährt. Dass wir genug
bzw. mehr als genug zu essen haben, ist uns zwar selbstverständlich, doch verdanken wir es
eigentlich nur der Tatsache, dass wir im Jahre 2012 und nicht 1947 und in Mitteleuropa und
nicht in Zentralafrika leben.
Hat Paul Gerhardt in seinem Lied das ausgeblendet, was er sonst noch vom Leben kannte?
Flüchtete er sich in die Idylle? Schauen wir noch einmal genau in die Strophen: Wo von
Gesundheit die Rede ist, da ist auch die Rede von des Leibes Not, vom Versagen der Kraft.
Wo die Fröhlichkeit des Morgens gepriesen wird, da hat sie zur Kehrseite so „manche
Angst“, die der Dichter ohne Gott nicht überstanden hätte. Hinter diesen Zeilen stecken also
doch auch Erfahrungen tiefer Dunkelheit, die der Dichter versucht, zu integrieren und zu
verarbeiten.
Nicht mehr in Andeutungen, sondern hart und direkt kommen die schmerzhaften und
dunklen Dinge des Lebens dann in der 8ten Strophe zur Sprache und zwar in einer Weise, die
für uns höchst befremdlich klingt: „Seine Strafen, seine Schläge, ob sie mir gleich bitter sind,
dennoch wenn ichs recht erwäge, sind es Zeichen, dass mein Freund, der mich liebet, mein
gedenke“.
Auch in der Bibel finden wir diese befremdlichen Aussagen, so z.B. im Hebräerbrief „Wen der
Herr liebhat, den züchtigt er“, oder in der Offenbarung des Johannes „Welche ich lieb habe,
die strafe und züchtige ich“- Worte die oft eine schlimme Wirkungsgeschichte nach sich
gezogen haben, besonders in der Kindererziehung und in der Rechtfertigung von Schlägen.
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Was mutet Paul Gerhardt uns mit diesen Aussagen zu? Wünscht er sich Schmerz und Pein
herbei als Zeichen dafür, dass Gott an ihn denkt? Oder bleiben sie auch bei ihm „bitter“, eine
„Pein“, ja ein „Kreuz“? Ich glaube, es ist mehr der Versuch, eine Erfahrung des Leides in
Worte zu fassen, ein Versuch, sie zu verstehen, zu verarbeiten und in Gottes Hände zu legen.
Ein Gott, der uns im Leben Härten zumutet, aber uns nicht verlässt, wenn es uns hart ergeht.
Hinzu tritt die Hoffnung und manchmal ist es nicht nur eine Hoffnung, sondern auch eine
Erfahrung, die Paul Gerhardt in seiner 9ten Strophe in ein eindrückliches Bild fasst: Wenn der
Winter ausgeschneiet, tritt der schöne Sommer ein. Wir wollen die 9ten und 10te Strophe
miteinander singen.
Strophe 9+10
Paul Gerhardt hat einen langen, nicht enden wollenden Winter erlebt, gegen Ende seines
Pfarrdienstes an der Berliner St. Nicolai Kirche starb seine Frau und vier seiner fünf Kinder. In
dieser schweren Zeit, hört sein Liedschaffen abrupt auf. Die oft vorgebrachte Interpretation,
Paul Gerhardt habe in seiner leidvollsten Zeit, die schönsten Lieder geschrieben, ist also
unzutreffend. Paul Gerhardt brauchte wie jeder Mensch Zeit, um mit dieser Leiderfahrung
zurechtzukommen, vielleicht haben ihn dabei seine eigenen Lieder, die er bereits
geschrieben hatte, in dieser Zeit zu trösten vermocht, wie auch Bonhoeffer u.a. von ihnen in
schweren Zeiten gezehrt haben und sie vor Depression und Wahnsinn bewahrt haben. Was
ich hier auf der Welt erlebe, vergeht. Das Schöne, wie das Schmerzliche. Die Liebe Gottes
aber bleibt.
Der Refrain des Liedes findet sich übrigens bereits in ähnlicher Weise in einer viel älteren
Quelle wieder, im 8ten Kapitel des Römerbriefes des Paulus: „Denn ich bin gewiss, dass
weder der Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges
noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von
der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.
Amen.
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