Verwandlung einer Superblondine Der Pegida

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Verwandlung einer Superblondine Der Pegida
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Tages-Anzeiger – Dienstag, 20. Januar 2015 Analyse
Reese Witherspoon Die Schauspielerin erfindet sich mit dem Film «Wild» neu – ein cleverer Rollenwechsel. Von Philippe Zweifel
Verwandlung einer Superblondine
Witherspoon wandert – und kriegt
dafür vielleicht den Oscar. In der
Bestseller-Verfilmung «Wild» gibt
Schauspielerin Reese Witherspoon
alles. Als Junkie auf 1700 Kilometern
des Pacific Crest Trail hadert sie mit
sich selbst und der Natur. Sie weint,
flucht und opfert Zehennägel.
Die Wanderung als Weg zu sich
selbst: ja, ja.
Doch «Wild», der eben in den
Schweizer Kinos anlief, zeigt die
Verwandlung eines Menschen ohne
sentimentale Aufladung. Und wem
die Pilgeritis zu viel wird, dem sei
versprochen: Der Film verändert den
Blick auf die frisch Oscar-nominierte
Witherspoon komplett.
Die 38-Jährige war bis vor kurzem
das American Sweetheart. Ein
Image, das sie sich vor zehn
Jahren mit den äusserst
erfolgreichen «Legally
Blonde»-Filmen eingebrockt hatte.
Darin spielte sie eine Blondine, die nur
Pink trägt. Nicht, weil ihr die Farbe
gefällt, sondern weil sie ihre Lebenseinstellung spiegelt.
In der öffentlichen Wahrnehmung
verschmolz die Rolle mit der
Schauspielerin. Daran änderte ein
Oscar für Witherspoons Darstellung
der June Carter im Johnny-Cash-Biopic
nichts. Oder ihr grossartiges Porträt
einer rachsüchtigen Manipulatorin in
der Schulsatire «Election». Auch ihre
Biografie trug zum Ruf als amerikanisches Vollweib bei. Man sieht in der
Tochter eines hohen Militärs, die in
Nashville, Tennessee, aufgewachsen ist,
eine währschafte Patriotin. Sie ist ja
auch eine direkte Nachfahrin des
Schotten John Witherspoon,
der Amerikas Unabhängigkeitserklärung
mitunterzeichnete.
Nach Einsätzen als Model und nach
ein paar Semestern an einer Elite-Uni
wurde Witherspoon mit 20 Millionen
Dollar pro Rolle zwischenzeitlich die
bestverdienende Schauspielerin der
Welt. Auch privat lief es rund. Sie
heiratete mit Ryan Phillippe einen der
begehrtesten Junggesellen Hollywoods
und hatte zwei Kinder mit ihm.
Als die Ehe nach sieben Jahren
zerbrach, kam sie mit dem ebenso
charmanten Schauspieler
Jake Gyllenhaal zusammen.
Talentiert, blond, keck und
erfolgreich: Dass Witherspoon statt
Neid stets Bewunderung entgegenschlug, ist erstaunlich. Vielleicht hat
sie das perfekte Image letztlich nicht
mehr ausgehalten. «Wild» jedenfalls
zeigt, dass sie stärker gefordert
werden möchte, als Hollywood es ihr
derzeit zugesteht. Bemerkenswerter
noch als ihre schauspielerische Tour
de Force ist ihre Arbeit als Produzentin. Witherspoon entschied sich, eine
Geschichte zu erzählen, die nicht auf
Identifikation und Sympathie mit der
Hauptfigur setzt. Wie beim aktuellen
Kassen- und Kritikererfolg «Gone Girl»,
den sie auch produziert hat, mutet sie
dem Publikum eine Antiheldin zu.
Vor allem beweist Witherspoon
mit «Wild», dass eine reife Frau in
Hollywood gut daran tut, auf das
richtige Drehbuch zu warten. Und
wenn es nicht kommt, weil die Studios
und Drehbuchautoren selten Rollen
für Frauen ab 40 schreiben, muss sie
es eben selbst finden und produzieren.
Ob die neue Reese den Leuten
gefällt, wird sich zeigen. Wer die alte
Reese vermisst, kann sich auf «Legally
Blonde 3» freuen. Der Film ist in
Arbeit, Witherspoon produziert ihn.
Die Rolle der Superblondine aber
hat sie weitergegeben.
Kolumne Michael Hermann
Der Pegida-Hype
Es ist Wahljahr in der Schweiz. Doch
was hiesige Politjournalisten am meisten umzutreiben scheint, ist nicht der
Formstand von SP, CVP oder Grünliberalen. Es ist eine rechtskonservative
Bewegung aus Dresden. Pegida ist in
der Schweiz noch nicht viel mehr als
eine Verlautbarung, aber sie erhält die
Aufmerksamkeit einer Grosspartei.
Das Muster ist immer dasselbe:
Bereits bei den Bahnhofsprotesten
Stuttgart 21 wurde nach einem Revival
des Bürgerprotests bei uns gesucht
und der Begriff des «Wutbürgers»
importiert. Der Schweizer Ableger der
in Deutschland kurzzeitig erfolgreichen Piratenpartei erhielt grosszügig
mediale Aufmerksamkeit – und blieb
dennoch auf dem Wähleranteil einer
Spasspartei sitzen.
Schafft es eine soziale oder
politische Bewegung in Deutschland in
die Schlagzeilen, geraten Deutschschweizer Redaktionen in Aufruhr.
Denselben Reflex gibt es nur noch bei
Phänomenen made in USA. Das Label
Pegida ist bei uns
nicht viel mehr als eine
Verlautbarung, erhält
aber Aufmerksamkeit
wie eine Grosspartei.
«Occupy» oder eine mögliche
Geistesverwandtschaft mit der
libertär-konservativen Tea Party
­garantieren auch in der Schweiz
Schlagzeilen. Deutschland und die USA
sind die Referenzpunkte unseres
kulturellen Bezugssystems. Was dort
Thema ist, ist es auch in der Deutschschweizer Provinz. Selbst dann, wenn
wie im Fall der Pegida die Wirkrichtung eigentlich eine andere ist: Die
Pegida-Aktivisten nehmen die Schweiz
zum Vorbild, weil hier ihre Anliegen
wie die Ausweisung krimineller
Ausländer längst einen zentralen Platz
in der politischen Agenda haben.
Ganz abwegig ist unsere Fixierung
auf Deutschland und die USA natürlich
nicht. Nur schon deshalb, weil wir
Trends von dort als relevant erachten
und entsprechend nachzuahmen
versuchen. Doch – und das ist
entscheidend – in der Politik gelingt
das Nachahmen meist viel schlechter
als etwa bei Konsumgütern oder beim
Lifestyle. Nach Obamas ebenso
unwahrscheinlichem wie erfolgreichem Lauf ins Weisse Haus gab es
kaum eine politische Kampagne im
alten Europa, die seine Erfolgsrezepte
nicht kopieren wollte. Und doch ist die
Ausbeute, gerade in der Schweiz,
mehr als bescheiden geblieben. Die
Unterschiede zum amerikanischen
Präsidialsystem sind einfach zu gross.
Trotz Globalisierung bleibt die Politik
wie kein anderes Feld vom nationalen
Kontext bestimmt.
Unsere Sozialromantiker
In der Schweiz muss das rechtskonservative Denken nicht auf die Strasse
getragen werden. Es hat sich durch
Volksabstimmungen und etablierte
­Parteien längst Gehör verschafft. Im
Vergleich zum Einfluss der SVP oder
den 1,5 Millionen Stimmberechtigten,
die die Minarettinitiative unterstützen,
ist Pegida ein mickriger Lokalverein.
Doch wenn politische Energie auf der
Strasse sichtbar wird, erhält sie überproportionale Beachtung.
Auch das ist der Logik des
Journalismus geschuldet: Real bewegte
Menschen lassen sich nun mal viel
besser in farbige und emotionale
Geschichten fassen als abstrakte
institutionelle Politik. Dazu kommt
eine in der schreibenden Zunft
verbreitete Revolutionsromantik, die
stets nach neuen Hoffnungsträgern
sucht – sei es im Arabischen Frühling
oder in den türkischen Gezi-Park-Protesten. Kommt eine Strassenbewegung
für einmal von rechts wie bei der
Pegida, ist sie aus sozialromantischer
Perspektive umso beunruhigender.
Dass Pegida in der Schweiz trotz
aller Medienaufmerksamkeit nie
durchstarten wird, hat noch einen
anderen Grund: ihr Name. Die
«Patriotischen Europäer gegen die
Islamisierung des Abendlandes» geben
sich bewusst nicht national. Denn in
Deutschland führt offener Nationalismus direkt in die Selbstausgrenzung.
Nicht unähnlich zur offiziellen Politik
in Berlin formuliert Pegida deshalb die
eigenen Ambitionen europäisch. Für
die spezifisch deutschen Bedingungen
ist das ausgesprochen raffiniert. Im
hiesigen Umfeld kehrt es sich ins
Gegenteil. Ist doch für patriotische
Schweizer die Europäisierung ihres
Vaterlands noch immer mindestens so
bedrohlich wie die Islamisierung des
Abendlandes.
Michael Hermann
Der Politgeograf
wechselt sich mit
der Autorin und
Schauspielerin Laura
de Weck und mit
dem ehemaligen
Preisüberwacher
Rudolf Strahm ab.
Deutschland Das Pegida-Demonstrations-Verbot ist heikel. In einer Demokratie
müssen selbst Wirrköpfe ihre Rechte ausüben können. Von David Nauer
Auch sie soll der Staat schützen
Zuerst machten die Patriotischen
Europäer gegen die Islamisierung des
Abendlandes (Pegida) einen Rück­
zieher. Wegen einer «konkreten Be­
drohungs­lage gegen ein Mitglied des
Organisationsteams» sagten die Aktivisten ihre Demonstration vom gestrigen
Montag ab.
Dann reagierte der Polizeipräsident
von Dresden und verbot sämtliche
Kundgebungen auf dem Stadtgebiet
– sowohl für wie gegen Pegida. Auch er
begründete dies mit einer Terrordrohung. Attentäter seien aufgerufen
worden, sich unter Pegida-Demonstranten zu mischen, um einen Mord an
einer Einzelperson zu begehen.
Verbot mit Nebenwirkungen
«Dieser Aufruf ähnelt einem über einen
Twitter-Account übermittelten Tweet,
in dem auf Arabisch die Demonstrationen der Pegida als Feindin des Islam
bezeichnet werden», heisst es in der
polizeilichen Verfügung. Später wurde
bekannt: Bei dem bedrohten Aktivisten
handelt es sich um Lutz Bachmann,
den Gründer der Bewegung.
Das Verbot mag verständlich sein.
Nach dem Anschlag von Paris sind
Sicherheitskräfte in ganz Europa
hypersensibel. Kein Polizeichef will
sich dem Vorwurf aussetzen, im Kampf
gegen den Terror zu wenig wachsam
zu sein.
Gleichwohl: Die Nebenwirkungen
der Massnahme sind beträchtlich. Das
Demonstrationsrecht ist ein hohes
Gut. Es müssen besonders schwer­
wiegende Gründe vorliegen, wenn eine
Kundgebung untersagt wird.
Im aktuellen Fall jedoch ist schwer
einzuschätzen, wie konkret die Gefahr
ist. Liegt tatsächlich nur eine
arabische Twitter-Meldung vor? Oder
verfügen die Geheimdienste über
weitere, ernsthaftere Hinweise? Die
Polizei jedenfalls sieht keine Möglichkeit, «potenzielle Täter» zu ermitteln,
wie sie selber zugibt.
Das Vertrauen in die Sicherheitskräfte und den Staat, den sie beschützen, wird durch derart vage Angaben
nicht gerade gestärkt. Das ist fatal,
denn Teil des Pegida-Programms ist ja
gerade das Misstrauen gegen die
Ordnung der Bundesrepublik. Die
Medien werden von den Aktivisten als
«Lügenpresse» verunglimpft; Politiker
gelten als «Volksverräter». Manche der
Wutbürger aus Dresden haben für den
liberalen, demokratischen Rechtsstaat
etwa gleich viel Sympathie wie
islamistische Gewalttäter – keine.
Umso bedauerlicher ist die Absage
der Dresdner Demo. Bürger dürfen auf
der Strasse auch abwegige Meinungen,
krude Thesen und ressentiment­
geladenen Blödsinn vertreten. Eine
Demokratie hat das auszuhalten. Mehr
noch: Eine Demokratie muss alles
dafür tun, dass selbst Wirrköpfe ihre
Rechte ausüben können.
Die Aktivisten lernen dazu
Ein Demo-Verbot kann deswegen nur
eine Notmassnahme sein. Es ist essenziell wichtig, dass Pegida kommende
Woche wieder demonstrieren darf.
Polizei und Geheimdienste müssen
dafür sorgen, dass die Sicherheit der
Kundgebung gewährleistet ist. Nur so
kann auch bei den empörtesten Aktivisten die Einsicht wachsen, dass die
Bundesrepublik nicht der autoritäre
Unrechtsstaat ist, in dem sie sich
wähnen.
Bei den Köpfen der Bewegung
jedenfalls hat sich die radikale
Ablehnung des Systems schon etwas
abgeschwächt. Sie traten gestern
erstmals ausführlich vor die sonst so
verachtete Presse.