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JAN W EIL ER M EIN LE BEN AL S M EN SCH FOL GE 10 8 Scharping fehlt E ine der unangenehmsten Auswirkungen der momentanen Krise – neben dem vermehrten Auftauchen von hässlichen Kleinwagen auf unseren Straßen – ist der Verlust von Humor in der deutschen Politik. Zumindest das männliche Personal der Bundesregierung erinnert stark an Sam, den schlechtgelaunten Adler aus der Muppet Show. Die Lage ist ernst, sagen die Gesichter von Steinbrück, Schäuble und Scholz. Sie haben vermutlich schon deshalb nichts zu lachen, weil das den Wählern nicht gefallen würde. Das muss man einsehen. Dennoch würde uns ein wenig mehr Spaß im Augenblick schon gut tun. Es fehlt momentan eine Betriebsnudel. Es fehlt: Rudolf Scharping. In Zeiten wie diesen erscheint es mir mehr als bedauerlich, dass dieser Gigant der guten Laune seine Talente als Präsident des Bundes Deutscher Radfahrer verschwendet. Bitte nicht falsch verstehen: Das ist hier keine Ironie. Ich habe ihn wirklich gemocht, zunächst einmal weil er als Politiker von einer rührenden Aufrichtigkeit zu sein schien. Außerdem haben ihn gerade seine legendären Hanswurstiaden menschlich gemacht. Sein Wirken als Postillion D’Amour der Verteidigungspolitik ist fast schon vergessen, deshalb sei hier noch einmal an die Highlights des Scharpingschen Schaffens erinnert. Denken wir noch einmal an das zauberhafte Foto, auf dem er mit ausgebreiteten Armen über eine Wiese lief, um seine damalige Freundin und heutige Ehefrau Gräfin Pilati mit seiner ganzen westerwäldischen Zuneigung zu umfangen. Das war am Anfang des Jahrzehnts. Den Deutschen ging es trotz einer kleinen InternetBlasen-Krise im Großen und Ganzen dufte und der Bundesverteidigungsminister Scharping wurde „Bin-Baden“ genannt, nachdem in der Presse Bilder auftauchten, die ihn glücklich wie einen verliebten Enterich mit seiner Gräfin beim plantschen in einem Swimming Pool zeigten. Scharping wurde auch mal von der Bundesluftwaffe einfach am Boden vergessen oder nahm versehentlich die Aktentasche seines Kollegen Friedrich Merz mit. Das muss ein großes Hallo gegeben haben. Für Mitmenschen und Personenschützer erwies sich der begeisterte Radfahrer Scharping als steter Quell der Gefahr; seine Stürze sind ebenso legendär wie sein Unfall beim Besuch in Washington, wo sein Wagen gegen eine Panzersperre fuhr. Scharpings Talent für missglückte Auftritte wurde nur noch von seiner Redseligkeit überboten, die dann und wann dazu führte, dass er Geheimnisse seines Verteidigungsministeriums in Gesprächen ausplauderte oder in einer Talkshow ausführlich über sein Privatleben referierte. Aus. Vorbei. Gibt es nicht mehr. Jetzt haben wir es mit effizienten politischen Leistungsträgern zu tun. Das einzig wirklich komische an unserem Wirtschaftsminister zu Guttenberg ist denn auch seine frühvergreist wirkende Staatsmännlichkeit. Kaum zu glauben, aber der Mann ist wirklich erst 37 und entstammt demselben Jahrgang wie DJ Ötzi, Kid Rock und Tatjana Gsell, mit denen er aber sonst nichts gemein hat. Und gut, zugegeben: Ein Bundeskabinett mit DJ Ötzi, Kid Rock und Tatjana Gsell wäre nicht unbedingt erfolgreicher als das jetzige. Aber ulkiger. Ich bleibe dabei: Uns Deutschen fehlt es an Scharping-Momenten. Bis in das Privatleben der Deutschen zieht sich die momentane Freudlosigkeit der Krisenzeit. Ich muss zugeben, dass auch ich zurzeit ein wenig gereizt bin. Neulich habe ich eine Abendeinladung verlassen, weil ich total genervt war. Unangenehme Geschichte. Wir saßen also bei Leuten, die wir nicht gut kannten und es schmeckte ganz gut. Dann begann eine laute Frau, den Nudelsketch von Loriot nachzuerzählen, natürlich total falsch. Es gibt nichts, was ich weniger ausstehen kann. Sketche falsch nachzuerzählen ist der barbarischste Akt der Humorlosigkeit, den man überhaupt begehen kann. Grausam. Wer keinen eigenen Humor besitzt, sollte sich nicht mit dem von anderen krönen und erst recht nicht, wenn ihm selbst dazu das Talent fehlt. Niemand lachte, man aß vor sich hin. Da sagte die Frau in die Stille hinein den schlimmsten unlustigsten Satz der Welt. Er besteht aus nur zwei Worten und lautet: „Gefräßiges Schweigen.“ Ich stand auf und ging für eine halbe Stunde aufs GästeWC. Dort holte Sara mich ab und wir verschwanden heimlich. Ich bin ganz sicher: Mit Rudolf Scharping am Tisch wäre das nicht passiert. Nie und nimmer! • 7. MAI 2009