Strafrecht AT, Kapitel III: Das Versuchsdelikt D. Kapitel III: Das

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Strafrecht AT, Kapitel III: Das Versuchsdelikt D. Kapitel III: Das
Strafrecht AT, Kapitel III:
Das Versuchsdelikt
Copyright Dr. Waltraud Nolden
D. Kapitel III: Das Versuchsdelikt, §§ 22, 23 I
I.
Stationen eines Vorsatzdeliktes
1. Entschlußstadium
2. Vorbereitungsstadium
3. Unmittelbares Ansetzen
4. Vollendung
5. Beendigung
II.
Versuchte Teilnahme
1.
Versuchte Anstiftung ist strafbar nach § 30 I
2.
Versuchte Beihilfe ist straflos
III.
Aufbau und Probleme
1.
Fehlende Vollendung
2.
Versuchsstrafbarkeit
a) Verbrechen § 12 I
b) Vergehen § 12 II
c) § 12 III
3.
Tatentschluß
a) Unter einer Bedingung
b) Irrealer oder abergläubischer Versuch/
Abgrenzung zum grob unverständigen Versuch nach § 23 III
aa) Grob unverständiger Versuch
bb) Irrealer oder abergläubischer Versuch
(1)
Kein Tatentschluß
(2)
Kein unmittelbares Ansetzen
(3)
Straflosigkeit nach § 23 III
(4)
Aufbau
c) Abgrenzung untauglicher Versuch/Wahndelikt
(Irrtümer zu Ungunsten des Irrenden)
aa) Aufbau
bb) Untauglicher Versuch
(1) Untauglichkeit des Tatobjekts
(2) Untauglichkeit des Tatmittels
(3) Untauglichkeit des Tatsubjekts strittig
(a) Wahndelikt
(b) Differenzierende Ansicht
(c) Stellungnahme
cc) Wahndelikt
(1) Umgekehrter Verbotsirrtum
(2) Umgekehrter Erlaubnisirrtum
(3) Umgekehrter Subsumtionsirrtum
dd) Verbotsnormgrenzirrtum bei normativen Tatbestandsmerkmalen
(Irrtum im Vorfeld des Tatbestandes)
1
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(1) Wahndelikt
(2) Untauglicher Versuch
(3) Differenzierende Meinung
4.
Unmittelbares Ansetzen
a) Beim Alleintäter nach § 25 I 1. Fall
aa) Beim unbeendeten Versuch
(1)
Subjektive Theorie
(2)
Gemischt subjektiv-objektive Theorie
bb) Beim beendeten Versuch
(1)
Bisher herrschende Lehre
(2)
Rechtsprechung
cc) Beim Regelbeispiel
b) Beim mittelbaren Täter nach § 25 I 2. Fall
aa) Einzellösung
bb) Gesamtlösung
cc) Herrschende Meinung
c) Beim Mittäter nach § 25 II
aa)
Einzellösung
bb)
Gesamtlösung
(1) Beim Scheinmittäter
(2) Beim vermeintlichen Mittäter
5. Rechtswidrigkeit
6. Schuld
7. Rücktritt
a)
Beim Alleintäter nach § 24 I 1
aa)
Rechtsfolgen des unbeendeten, beendeten und fehlgeschlagenen Versuchs
bb)
Maßgeblicher Zeitpunkt der Tätervorstellung
Einzelakttheorie/Gesamtbetrachtungslehre
(1)
Fehlgeschlagener Versuch
(2)
Unbeendeter Versuch
(3)
Beendeter Versuch
(4)
Stellungnahme
cc)
Aufbau
dd)
Beim dolus eventualis-Versuch und außertatbestandlicher Zielerreichung
(1)
Kein Rücktritt bei außertatbestandlicher Zielerreichung
(2)
Rücktritt bei außertatbestandlicher Zielerreichung
(3)
Stellungnahme
ee)
Halbherziger Rücktritt nach § 24 I 1 2. Fall
(1)
Strafbefreiender Rücktritt
(2)
Kein strafbefreiender Rücktritt
b) Beim Alleintäter nach § 24 I 2
c) Beim Beteiligten nach § 24 II
aa)
Aufbau
bb)
Rückgängigmachung des Tatbeitrags im Vorbereitungsstadium
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8.
Regelbeispiele
a)
Grundtatbestand versucht/Regelbeispiel verwirklicht
b)
Grundtatbestand versucht/Regelbeispiel versucht
aa) Bestrafung aus dem Grunddelikt
bb) Bestrafung aus dem Regelbeispiel
c)
Grundtatbestand vollendet/Regelbeispiel versucht
9.
§ 23 III: Versuch aus grobem Unverstand
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Strafrecht Allgemeiner Teil
D.
Kapitel III: Das Versuchsdelikt
I.
Stationen eines Vorsatzdeliktes
Nach § 22 versucht derjenige eine Straftat, der nach seiner Vorstellung von der Tat zur
Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt. Das unmittelbare Ansetzen ist eine
Station innerhalb des Vorsatzdeliktes. Insgesamt durchläuft eine vorsätzliche Straftat folgende
Stufen der Willensverwirklichung:
1.
Entschlußstadium
Zunächst entschließt sich ein Täter eine Straftat zu begehen. Grundsätzlich ist das
Entschlußstadium straffrei (Merke: Die Gedanken sind frei).
A entschließt sich, den X umzubringen.
Ausnahmsweise hat auch der Entschluß in der Verbrechensverabredung nach § 30 II
strafrechtliche Relevanz, weil bereits dort die Kundgabe der Absicht, bestimmte Verbrechen zu
begehen, zum Ausdruck kommt.
A verabredet sich mit B, den X umzubringen.
Ein Rücktritt kommt nach § 31 I Nr. 3 in Betracht.
2.
Vorbereitungsstadium
Die Vorbereitungshandlung, bei der es noch von vielen Zufälligkeiten abhängt, ob die Tat
durchgeführt wird, ist ebenfalls grundsätzlich nicht unter Strafe gestellt.
A besorgt die Tatwaffe, um X umzubringen.
Etwas anderes ergibt sich allerdings dann, wenn ansonsten eine wirksame Deliktsbekämpfung
nicht möglich ist.
z.B. § 83 Vorbereitung eines Angriffskrieges
§ 149 Vorbereitung der Fälschung von Geld und Wertzeichen
§ 234a III Verschleppung
Tätige Reue ist nach §§ 83 a, 98 II möglich.
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3.
Unmittelbares Ansetzen
Von der Vorbereitungshandlung ist das unmittelbare Ansetzen abzugrenzen. In diesem Stadium
beginnt der Versuch.
A richtet seine Pistole auf X und will gerade abdrücken, um diesen zu töten.
Von einem versuchten Delikt kann nach § 24 zurückgetreten werden.
4.
Vollendung
Dem unmittelbaren Ansetzen folgt im Normalfall die Vollendung des Tatbestandes. Sie liegt
vor, wenn der Täter alle Tatbestandsmerkmale verwirklicht hat.
Kaufhausfall:
A steckt im Kaufhaus eine Schachtel Zigaretten in seine Tasche, um sie zu behalten.
Ein Rücktritt vom vollendeten Delikt ist grundsätzlich ausgeschlossen. Etwas anderes gilt für
die Tatbestände, für die der Gesetzgeber ausnahmsweise die tätige Reue wie z.B. in § 306 e
geschaffen hat.
5.
Beendigung
Beendet ist das Delikt schließlich, wenn es seinen endgültigen Abschluß gefunden hat.
Der Diebstahl im Kaufhausfall ist erst beendet, wenn A den Gewahrsam gesichert hat, also
beispielsweise mit der Beute in seine Wohnung gelangt ist.
Die Vollendung und die Beendigung eines Delikts spielen in vielfacher Hinsicht eine Rolle.
- Zwischen Vollendung und Beendigung ist zunächst eine sukzessive Beteiligung in Form der
Mittäterschaft oder Beihilfe möglich. Die sukzessive Beihilfe ist von der Begünstigung
abzugrenzen (vgl. hierzu das Skript „go-jura, Strafrecht AT,“ C. Kapitel II: Täterschaft und
Teilnahme II. 2. a) bb) (2)).
- Ferner erlangen die Vollendung und die Beendigung eines Delikts Bedeutung für die
Abgrenzung des Raubes von dem räuberischen Diebstahl. Wendet der Täter vor Vollendung
der Wegnahme Gewalt an, um fremden Gewahrsam zu brechen und neuen zu begründen, so
kommt Raub in Betracht. Demgegenüber ist räuberischer Diebstahl bei der Gewaltanwendung
nach vollendeter aber vor beendeter Wegnahme zu erwägen.
- Schließlich beginnt die Verjährung eines Delikts nach § 78 a erst mit seiner Beendigung.
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Entschluß
Grds. straffrei
Ausn.: § 30 II
Rücktritt nach
§ 31 I Nr. 3
Zusammenfassung I: Stationen eines Vorsatzdeliktes
Vorbereitung
Unmittelbares
Vollendung
Ansetzen
Grds. Straffrei
Unter
den
Ausn: §§ 83, 149, Voraussetzungen
der
234 a III
§§ 22, 23 I als Versuch
Tätige Reue nach strafbar,
§§ 83 a, 98 II
Rücktritt nach § 24
möglich
Abgrenzung
Vorbereitungshandlung
vom
unmittelbaren Ansetzen
II.
Strafbar,
Rücktritt nur
tätiger Reue
Beendigung
Strafbar,
bei Beginn
der
Verjährung § 78 a
Abgrenzung: sukzessive Beihilfe von
Begünstigung
Sukzessive Mittäterschaft
Abgrenzung: Raub/Räuberischer Diebstahl
Versuchte Teilnahme
Nach § 23 I ist im Rahmen der Täterschaft der Versuch eines Verbrechens stets strafbar, der
eines Vergehens nur dann, wenn es gesetzlich geregelt ist. Anders verhält es sich demgegenüber
bei der versuchten Teilnahme. Ein Teilnahmeversuch liegt vor, wenn die Haupttat weder in das
Stadium des Versuchs noch in das der Vollendung gelangt ist.
1.
Versuchte Anstiftung ist strafbar nach § 30 I
Der Versuch der Anstiftung ist nach § 30 I dann unter Strafe gestellt, wenn es sich um ein
Verbrechen handelt.
A möchte B dazu überreden, einen Totschlag an X zu begehen.
2.
Versuchte Beihilfe ist straflos
Die versuchte Beihilfe erlangt demgegenüber auch dann keine strafrechtliche Bedeutung, wenn
der Gehilfe ein Verbrechen fördern will.
A bemüht sich vergeblich, die Waffe für einen Totschlag zu besorgen.
Abzugrenzen ist die versuchte Teilnahme von der Teilnahme zum Versuch. Da auch ein
versuchte Tat eine vorsätzlich rechtswidrige Haupttat darstellt, sind Anstiftung und Beihilfe
gleichermaßen möglich.
A bestimmt B dazu, mit Tötungsvorsatz auf X zu schießen. Der Schuß geht allerdings fehl und X
überlebt. §§ 212, 22, 23 I, 26
A besorgt B die Tatwaffe für einen geplanten Totschlag an X. Da der Schuß jedoch fehl geht, überlebt
X. §§ 212, 22, 23 I, 27
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III.
Aufbau und Probleme
Der Versuch wird wie folgt geprüft:
Versuch nach §§ 22, 23 I
1. Vorprüfung
a) Fehlende Vollendung
b) Versuchsstrafbarkeit
2. Tatentschluß
3. Unmittelbares Ansetzen
4. Rechtswidrigkeit
5. Schuld
6. Rücktritt § 24
1.
Fehlende Vollendung
Ist der objektive Straftatbestand offensichtlich nicht erfüllt, sollte direkt mit der
Versuchsstrafbarkeit begonnen werden. Der Vorprüfung ist die fehlende Vollendung
voranzustellen. Hier ist exakt zu bestimmen, an welchem Tatbestandsmerkmal die Vollendung
scheitert. So kann es am Erfolg oder an der objektiven Zurechnung (bzw. nach der
Äquivalenztheorie am Irrtum über den Kausalverlauf; hierzu „go-jura, Strafrecht AT,“ Kapitel
I: Das vorsätzlich vollendete Begehungsdelikt B. II. 3. b) cc)) fehlen.
- Der Schuß des A auf B geht fehl, so daß es am Erfolg: Tötung eines anderen Menschen fehlt.
- Stirbt B nicht an dem Schuß des A sondern an einem Verkehrsunfall, der sich im Krankenwagen
ereignet, ist dem A der Tod nicht objektiv zuzurechnen.
2.
Versuchsstrafbarkeit
a)
Verbrechen § 12 I
Wie bereits dargestellt, ist der Versuch eines Verbrechens nach § 23 I stets strafbar.
Die Unterscheidung Verbrechen – Vergehen ergibt sich dabei aus § 12.
Bei einem Verbrechen nach § 12 I liegt das Mindestmaß der Freiheitsstrafe nicht unter einem
Jahr.
z.B. § 212 Totschlag
§ 211 Mord
§ 306 Brandstiftung
§ 249 Raub
b)
Vergehen § 12 II
Die übrigen Delikte sind Vergehen nach § 12 II. Eine ausdrückliche Normierung der
Versuchsstrafbarkeit findet sich beispielsweise in
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§ 242 II Diebstahl
§ 263 II Betrug
§ 303 II Sachbeschädigung
§ 223 II Körperverletzung
c) § 12 III
Nach § 12 III bleiben Schärfungen oder Milderungen, die nach den Vorschriften des
Allgemeinen Teils oder für besonders schwere oder minder schwere Fälle vorgesehen sind, für
die Deliktseinteilung außer Betracht.
§ 12 III gilt nur für sogenannte „unbenannte Strafschärfungs- oder Milderungsgründe“.
So stellt auch der minder schwere Fall des Raubes nach § 249 II, der eine Freiheitsstrafe von 6 Monaten
bis 5 Jahre vorsieht, ein Verbrechen dar.
Werden benannte Strafänderungsgründe nur als zwingende Beispielsfälle für insgesamt
unbenannte Milderungs- oder Schärfungsgründe verwendet, so gehen sie in der unbenannten
Strafänderung auf, so daß die Deliktskategorie selbst dann unberührt bleibt, wenn das Beispiel
verwirklicht ist.
Wird eine Äußerung einer politischen Verdächtigung durch eine unwahre Behauptung aufgestellt, so ist
auch im Rahmen des § 241a IV der Versuch straflos. Unmaßgeblich ist insofern, daß IV eine
Mindestfreiheitsstrafe von 1 Jahr vorsieht.
Für die Deliktseinteilung hingegen beachtlich sind die „benannten Strafänderungsgründe“.
Während § 212 ein Verbrechen darstellt, bildet die Tötung auf Verlangen nach § 216 ein Vergehen,
dessen Versuch in § 216 II selbständig unter Strafe gestellt ist.
3.
Tatentschluß
Da es beim Versuch in der Regel an einem objektiven Tatbestandsmerkmal fehlt und sich das
kriminelle Unrecht deshalb überwiegend im Kopf des Täters abspielt, beginnt die Prüfung des
Versuchs mit dem subjektiven Tatbestand, den man als „Tatentschluß“ bezeichnet.
Hier wird zunächst der Vorsatz des Täters dargestellt, indem die objektiven
Tatbestandsmerkmale definiert und sie aus Sicht des Täters subsumiert werden. Anschließend
müssen etwaige besondere subjektive Tatbestandsmerkmale wie z.B. die Bereicherungsabsicht
in § 263 erwogen werden.
a)
Unter einer Bedingung
Ist sich der Täter noch nicht sicher, ob er die Tat begehen möchte, steht sein Tatentschluß
unter einer subjektiven Bedingung. Eine solche Bedingung läßt den Tatentschluß entfallen.
Man spricht dann von Tatgeneigtheit.
A ist sich noch unschlüssig, ob er B töten will. Er macht seinen Entschluß davon abhängig, ob er im
Tatzeitpunkt dazu Lust verspürt.
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Ist der Täter hingegen fest zur Handlung entschlossen und macht seine Tatausführung nur
noch vom Eintritt objektiver Bedingungen abhängig, so ist Tatentschluß zu bejahen.
A möchte B töten, sollte das Opfer aus der Straßenbahn aussteigen.
Zusammenfassung II: Tatentschluß unter einer Bedingung
Subjektive Bedingung (Tatgeneigtheit)
Objektive Bedingung
Tatentschluß (-)
Tatentschluß (+)
b)
Irrealer oder abergläubischer Versuch/
Abgrenzung zum grob unverständigen Versuch nach § 23 III
Die Unterscheidung des irrealen oder abergläubischen Versuchs vom grob unverständigen
Versuch läßt sich am Besten in der Zusammenschau mit dem - noch später unter III 3. c) näher
darzustellenden - untauglichen Versuch erklären. Hierzu sollen zunächst die Rechtsfolgen
dieser drei Versuche betrachtet werden um anschließend ihre Voraussetzungen und ihren
Standort für die Deliktsprüfung zu klären.
Glaubt der Täter zu seinen Ungunsten irrig, daß Umstände vorliegen, bei deren Gegebensein er
einen Tatbestand erfüllen würde, begeht er einen umgekehrten Tatbestandsirrtum. Dieser ist
als untauglichen Versuch strafbar (arg. e § 23 III).
Der untaugliche Versuch aus grobem Unverstand führt demgegenüber nicht immer zur
Strafbarkeit, vielmehr kann er nach § 23 III StGB gemildert werden oder bei ihm kann von
Strafe abgesehen werden.
Schließlich führt der irreale, abergläubische Versuch einhellig zur Straflosigkeit.
Damit steht der grob unverständige Versuch in der Mitte zwischen dem voll strafbaren
untauglichen Versuch und dem nicht strafbaren irrealen oder abergläubischen Versuch:
Zusammenf. III: Unterscheidung untauglicher/grob unverständiger/irrealer Versuch
Untauglicher Versuch
Grob unverständiger Versuch
Irrealer Versuch
Strafbar arg. e § 23 III StGB
§ 23 III StGB: Absehen von Strafe Straflos
oder fakultative Strafmilderung
aa)
Grob unverständiger Versuch
Der grob unverständige Versuch ist, wie sich aus § 23 III StGB ergibt, ein untauglicher
Versuch, bei dem Naturgesetze verkannt werden. Grober Unverstand bedeutet dabei eine völlig
abwegige Vorstellung von gemeinhin bekannten Ursachenzusammenhängen. Der Irrtum, dem
der Täter erlegen ist, muß sich für jeden Menschen mit durchschnittlichem Erfahrungswissen
geradezu aufdrängen.
So ist dies z.B. anzunehmen, wenn ein Täter in Tötungsabsicht versucht, mit einem Luftgewehr, dessen
Reichweite nur 50 m beträgt, den in 200 m Entfernung stehenden X zu erschießen. Hier fehlen dem
Täter für den versuchten Totschlag nach §§ 212, 22, 23 I elementare ballistische Kenntnisse.
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Der grob unverständige Versuch wird nach der Schuld im Rahmen der Strafzumessung geprüft
(hierzu III. 9.).
bb)
Abergläubischer oder irrealer Versuch
Demgegenüber baut der abergläubische oder irreale Versuch auf Kräften auf, die der
menschlichen Einwirkung entzogen sind. So liegt ein irrealer Versuch beim „Totbeten“ oder
„Tothexen“ vor, da der Täter mit übersinnlichen, magischen Kräften einen Erfolg herbeiführen
möchte.
A will ihren Mann M umbringen. Unter Beschwörungsformeln vergräbt sie in einer ungeweihten Ecke
des Friedhofes ein Foto des M und durchsticht mit einer Stricknadel das 5. Buch Moses, in der
Vorstellung, daß nun der Teufel in M fahre und ihn hole. Zu Hause angekommen muß A feststellen,
daß ihre Beschwörungsformeln vergeblich waren. Strafbarkeit nach §§ 212, 22, 23 I?
Die Behandlung des abergläubischen Versuchs ist umstritten.
(1)
Kein Tatentschluß
So wird teilweise bereits das Vorliegen eines Tatentschlusses verneint. Entweder wird
behauptet, die Zeremonie könne mangels Sozialrelevanz des Verhaltens keine strafrechtliche
Handlung begründen oder es wird vertreten, daß derjenige, der übersinnliche Kräfte einsetze
schon keinen Deliktsverwirklichungswillen habe. Für die zuletzt genannte Auffassung wird
angeführt, daß man das, was man nur herbeiwünscht, nicht realisieren wolle. Zur Begründung
der Straflosigkeit eines solchen Verhaltens wird teilweise zusätzlich der Strafgrund des
Versuchs bemüht. So vermittelt ein irrealer oder abergläubischer Versuch keinen
rechtserschütternden Eindruck.
(2)
Kein Unmittelbares Ansetzen
Teilweise wird das unmittelbare Ansetzen zur Tat geleugnet, da der Täter nach seiner
Vorstellung mit der Durchführung der rituellen Handlung keine realen Risiken für das Opfer
schaffe.
(3)
Straflosigkeit nach § 23 III
Schließlich wendet eine Mindermeinung § 23 III an, da eine exakte Abgrenzung zwischen dem
grob unverständigen und dem abergläubischen Versuch nicht möglich ist. Die Rechtsfolge des §
23 III müssen jedoch dazu führen, daß der Richter von Strafe zwingend absieht.
(4)
Aufbau
Insgesamt führen die Meinungen damit beim Alleintäter einhellig zur Straflosigkeit.
A hat sich deshalb keines versuchten Totschlags nach §§ 212, 22, 23 I strafbar gemacht.
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Damit der Streit nicht zerrissen wird, sollte er zusammenhängend entweder im Tatentschluß,
im unmittelbaren Ansetzen oder in der Strafzumessung Erwähnung finden. Die Ansichten
gewinnen Bedeutung nur bei der Teilnahme. Wird bereits das Versuchsunrecht des Täters und
damit der Tatbestand geleugnet, dann liegt auch keine für die Teilnahme erforderliche
vorsätzlich rechtswidrige Haupttat vor (vgl. zu den Voraussetzungen der Teilnahme „go-jura,
Strafrecht AT,“ C. Kapitel II: Täterschaft und Teilnahme II. 1. a) aa)). Wird hingegen der Weg
über § 23 III beschritten, dann kommt konsequenterweise eine Teilnahme in Betracht. Eine
Strafbarkeit des Teilnehmers der die Übersinnlichkeit des Mittels kennt, wird dann aber
regelmäßig am fehlenden Vollendungsvorsatz scheitern.
Zusammenfassung IV: Irrealer Versuch
Untauglicher Versuch
Grob unverständiger Versuch
Strafbar arg. e § 23 III StGB
c)
Irrealer Versuch
§ 23 III StGB: Absehen von Strafe Straflos
oder fakultative Strafmilderung
1. Kein Tatentschluß
2. Kein unmittelbares Ansetzen
3. Zwingende Straflosigkeit nach
§ 23 III
Abgrenzung untauglicher Versuch/Wahndelikt
(Irrtümer zu Ungunsten des Irrenden)
Der Täter kann sich sowohl zu seinen Gunsten als auch zu seinen Ungunsten irren.
Wie bereits im Skript. „go-jura, Strafrecht AT,“ Kapitel I: Das vorsätzlich vollendete
Begehungsdelikt B. II. 3. dargestellt, kann sich die Fehlvorstellung des Täters zu seinen
Gunsten im Sachverhaltsbereich auswirken.
A steckt eine fremde bewegliche Sache ein um sie zu behalten, in der Vorstellung, sie sei seine eigene.
Dieser Tatbestandsirrtum nach § 16 I 1 führt zum Vorsatzausschluß.
Ein Diebstahl des A nach § 242 kommt somit aufgrund des Irrtums nach § 16 I 1 über das Merkmal
„fremd“ nicht in Betracht. Da auch ein fahrlässiger Diebstahl (§ 16 I 2) nicht unter Strafe steht, bleibt A
insgesamt straflos.
Der Irrtum kann aber auch im Normbereich liegen.
A, der aus einem Land kommt, in dem sexuelle Nötigung nicht unter Strafe gestellt ist, nötig B sexuell
in der Vorstellung, sein Verhalten sei in Deutschland erlaubt.
Ein solcher Verbotsirrtum nach § 17 schließt bei Unvermeidbarkeit die Schuld aus und bei
Vermeidbarkeit kann er die Strafe fakultativ mildern.
Da A sich hätte in Deutschland über die Strafbarkeit des § 177 I erkundigen können, war der Irrtum
vermeidbar und führte nur zur möglichen Strafmilderung nach §§ 17, 49 I.
Umgekehrt kann sich die Fehlvorstellung auch zu Ungunsten des Täters auswirken. Einerseits
kann der Irrtum im Sachverhaltsbereich liegen und zu einem strafbaren untauglichen Versuch
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führen. Der Täter nimmt in Wahrheit nicht vorliegende Umstände an, die , wenn sie gegeben
wären, das Handeln strafbar machen würden. Die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs folgt
aus der Formulierung des § 22 StGB „nach seiner Vorstellung“ und wird in § 23 III
vorausgesetzt. Ist nämlich schon der untaugliche Versuch aus grobem Unverstand strafbar, um
wieviel mehr muß ein untauglicher Versuch ohne groben Unverstand strafrechtlich sanktioniert
werden.
A hält sein eigenes Fahrrad für fremd und nimmt dieses weg, um es sich zuzueignen. A ist wegen
untauglichen Diebstahlsversuchs nach §§ 242, 22, 23 I zu bestrafen.
Beim untauglichen Versuch wird zwischen dem
untauglichen Tatobjekt,
dem untauglichen Tatmittel
und dem in § 23 III StGB nicht genannten und deshalb strittigen untauglichen Tatsubjekt
unterschieden.
Beim Wahndelikt nimmt der Täter zu seinen Ungunsten hingegen irrig an, sein in tatsächlicher
Hinsicht richtig erkanntes Verhalten falle unter eine Verbotsnorm, die nur in seiner Einbildung
existiert oder die er infolge falscher Auslegung zu seinen Ungunsten überdehnt. Schließlich liegt
ein Wahndelikt auch dann vor, wenn der Täter meint, sein in tatsächlicher Hinsicht
gerechtfertigtes Verhalten sei nicht erlaubt. Damit irrt der Täter insgesamt über den
Normbereich. Das Wahndelikt ist straflos. Dies ergibt sich aus dem Grundsatz „nullum crimen
sine lege scripta“ (Art. 103 II GG). Wo nämlich kein Straftatbestand besteht, ist ein Versuch
nicht möglich. Allein die rechtsfeindliche Gesinnung des Täters führt nicht zur Strafbarkeit.
Die A glaubt irrig, lesbische Liebe sei strafbar und verkehrt geschlechtlich mit einer Frau.
Beim straflosen Wahndelikt wird insbesondere zwischen dem
umgekehrten Verbotsirrtum,
dem umgekehrten Erlaubnisirrtum
und dem umgekehrten Susbumtionsirrtum differenziert.
Zusammenfassung V: Irrtümer zugunsten und zu Ungunsten des Irrenden
Irrtümer zugunsten des Irrenden
Irrtümer zu Ungunsten des Irrenden
Tatbestandsirrtum
nach § 16 I
Vorsatzausschluß
nach § 16 I 1
Verbotsirrtum nach § 17
Umgekehrter
Umgekehrter
Tatbestandsirrtum
Verbotsirrtum
UnvermeidVermeidbar-keit strafbarer untauglicher strafloses Wahndelikt
barkeit § 17 S. §§ 17 S. 2, 49 I Versuch (arg. e § 23 III)
1
Strafbarkeit
wegen Schuldausfakultativer
Untauglichkeit des Tat- Umgekehrter Verbotsirrtum
Fahrlässigkeit bleibt schluß
(möglicher)
objekts
Umgekehrter
Erlaubnisunberührt § 16 I 2
StrafmildeUntauglichkeit des Tat- irrtum
rungsgrund
mittels
Umgekehrter SubsumtionsUntauglichkeit des Tat- irrtum
subjekts (str.)
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aa)
Aufbau
Der untaugliche Versuch, der nicht vom Wahndelikt abzugrenzen ist, bedarf eigentlich im
strafrechtlichen Gutachten keiner Erwähnung. So ist beim untauglichen Versuch wie bei jedem
Versuch die Tätervorstellung maßgeblich. Dennoch kann die Strafbarkeit des untauglichen
Versuchs bei der Vorprüfung aus dem Argument des § 23 III StGB gewonnen werden und
entweder zusätzlich beim Tatentschluß (als umgekehrter Tatbestandsirrtum) oder beim oder
nach dem unmittelbaren Ansetzen (so fehlt für die Vollendung schließlich eine objektive
Voraussetzung) Erwähnung finden.
Ist der untaugliche Versuch hingegen vom Wahndelikt abzugrenzen (so bei der Untauglichkeit
des Tatsubjekts (vgl hierzu III. 3. c) bb) (3)) oder beim Irrtum im Vorfeld des Tatbestandes
(hierzu III. 3. c) dd)), muß diese Abgrenzung zwingend im Tatentschluß erfolgen. Schließlich
fehlt es beim Wahndelikt bereits an der Vorstellung des Täters zur Verwirklichung eines
gesetzlichen Tatbestandes.
Zur Vermeidung von Fehlern wird deshalb empfohlen, den untauglichen Versuch stets im Tatentschluß zu diskutieren.
bb)
(1)
Untauglicher Versuch
Untauglichkeit des Tatobjekts
Zunächst kann das Objekt untauglich sein.
A weiß nicht mehr, daß er dem X vor 2 Jahren seine Armbanduhr geliehen hat. In der Vorstellung, die
im Zimmer des X liegende Uhr gehöre diesem, steckt er sie in seine Manteltasche, um sie zu behalten.
Für einen versuchten Diebstahl nach §§ 242, 22, 23 I müßte A Tatentschluß auf die Wegnahme einer
fremden beweglichen Sache in rechtswidriger Zueignungsabsicht besessen haben. A stellte sich vor, die
objektiv eigene Uhr sei eine im Alleineigentum des X stehende bewegliche Sache, die Uhr sei mithin
fremd. Insofern irrte er sich über das Tatobjekt zu seinen Ungunsten, was zu einem strafbaren
untauglichen Diebstahlsversuch nach §§ 242, 22, 23 I führt.
(2)
Untauglichkeit des Tatmittels
Auch die Tauglichkeit des Tatmittels kann fehlen.
A schüttet X Bier ein, das er für Gift hält, um ihn zu töten. X trinkt dieses Bier, ohne daß der Tod
eintritt. Strafbarkeit nach §§ 212, 22, 23 I?
Ein versuchtes Tötungsdelikt nach §§ 212, 22, 23 I kommt in Betracht, wenn A Tatentschluß auf die
Tötung eines anderen hatte. A hielt das Bier für Gift. Insofern irrte er sich über das Tatmittel zu seinen
Ungunsten (umgekehrter Tatbestandsirrtum). Mit diesem vermeintlichen Gift wollte A den X töten. Es
liegt mithin ein strafbarer untauglicher Totschlagsversuch vor.
(3)
Untauglichkeit des Tatsubjekts, strittig
Schließlich kann das Tatsubjekt untauglich sein. Fraglich ist, ob die irrige Annahme der
Subjektsqualität den Tatentschluß für einen untauglichen Versuch begründet oder ob darin die
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Überdehnung des Normbereichs mit der Folge liegt, daß nur ein strafloses Wahndelikt gegeben
ist.
Die Beamtenernennung des A wurde von einer unzuständigen Stelle vorgenommen, so daß A kein
Beamter ist. In der Vorstellung, er sei Beamter, schlägt er während der Ausübung seines Dienstes den
X. Strafbarkeit nach § 340, 22, 23 I?
(a)
Wahndelikt
Teilweise wird beim untauglichen Subjekt ein strafloses Wahndelikt angenommen. Der Täter,
der nicht die gesetzlich geforderten besonderen Tätereigenschaften besitze sei gar nicht
Adressat des fraglichen Sonderdelikts. Irre der Täter über seine Subjektsqualität, so liege die
irrige Annahme der Verbindlichkeit einer Norm vor, die ebenso zu behandeln sei wie die irrige
Annahme der Existenz einer Strafnorm. Auch § 23 III, aus dem sich die Strafbarkeit des
untauglichen Versuchs ableite, spreche nur vom untauglichen Tatmittel und Tatobjekt. Das
Tatsubjekt bliebe demgegenüber unerwähnt und könne deshalb kein Fall des untauglichen
Versuchs darstellen.
Nach dieser Ansicht fehlt es am Tatentschluß des A zu einer Körperverletzung im Amt.
(b)
Differenzierende Meinung
Nach der herrschenden Gegenposition ist ein untauglicher Versuch denkbar, weil auch die
besondere Täterqualifikation ein Tatumstand sein kann, der wie das „Tatobjekt“ und das
„Tatmittel“ durch die irrtümliche Vorstellung des Täters ersetzt werden kann. Allerdings hängt
auch nach dieser Meinung die Abgrenzung des untauglichen Versuchs vom Wahndelikt von der
Ursache für die irrige Annahme der Täterqualität ab. Die Annahme eines Wahndelikts ist dann
überzeugend, wenn der Täter infolge falscher rechtlicher Interpretation von einer besonderen
Pflichtenposition für sich ausgeht. Zu einem strafbaren untauglichen Versuch kann es hingegen
dann kommen, wenn der Täter irrtümlich einen Umstand annimmt, der im Falle seines
wirklichen Vorliegens die vom jeweiligen Delikt geforderte Subjektsqualität des Täters
begründet.
Folgt man dieser Ansicht, so liegt im Rahmen der §§ 340, 22, 23 I Tatentschluß des A vor, weil er
Amtsträger gewesen wäre, wenn die Beamtenernennung von der zuständigen Stelle vorgenommen
worden wäre.
(c)
Stellungnahme
Zu folgen ist der herrschenden Ansicht. Entgegen der zuerst genannten Auffassung hat der
Gesetzgeber die rechtliche Einordnung des untauglichen Subjekts nicht entschieden. Zwar ist in
der „Unverstandsklausel“ des § 23 III StGB nur von der Untauglichkeit des Objekts bzw.
Mittels die Rede, doch wollte man damit der weiteren Diskussion über die Untauglichkeit des
Subjekts in Rechtsprechung und Lehre keineswegs in strafverneinendem Sinne vorgreifen.
Damit muß auch die Untauglichkeit des Subjekts zur Strafbarkeit führen.
14
Strafrecht AT, Kapitel III:
Das Versuchsdelikt
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Zusammenfassung VI: Untauglicher Versuch
Beim untauglichen Versuch irrt der Täter über den Sachverhalt. Dieser Irrtum ist strafbar (arg. e § 23 III).
Es handelt sich hierbei um die Fälle der Untauglichkeit des:
1. Objekts
2. Mittels
3. Subjekts
a) Wahndelikt
b) Differenzierende Lösung
aa) § 23 III StGB spricht nicht Untauglicher Versuch: Wahndelikt:
vom untauglichen Subjekt
Wer tatsächlich Umstän- Irrt der Täter hingegen
bb) Die Rechtspflichten des de irrig annimmt, die über die rechtlichen
Täters können nur von dem wenn sie vorlägen eine Anforderungen an die
verletzt werden, dem sie Täterqualität begründen Subjektsqualität liegt
wirklich obliegen.
würden, begeht einen ein Wahndelikt vor.
untauglichen Versuch.
cc)
Wahndelikt
Wie bereits erwähnt, differenziert man im Rahmen des straflosen Wahndelikts insbesondere
zwischen dem
umgekehrten Verbotsirrtum,
dem umgekehrten Erlaubnisirrtum
und dem umgekehrten Susbumtionsirrtum.
(1)
Umgekehrter Verbotsirrtum
Beim umgekehrten Verbotsirrtum existiert entgegen den Vorstellungen des Täters eine
Strafnorm nicht.
Der verheiratete A stellt sich vor, Ehebruch sei strafbar und verkehrt geschlechtlich mit seiner Geliebten.
Eine Strafbarkeit des A kommt nicht in Betracht, da Ehebruch nicht unter Strafe gestellt ist. Nach
Art. 103 II GG und § 1 kann eine Tat nur dann bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich
bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.
Die Vorstellung, das Verhalten verstoße gegen eine Strafvorschrift, die es in Wirklichkeit nicht
gibt, stellt einen umgekehrten Verbotsirrtum dar und bleibt als Wahndelikt damit straflos.
(2)
Umgekehrter Erlaubnisirrtum
Im Rahmen des umgekehrten Erlaubnisirrtums oder des umgekehrten indirekten
Verbotsirrtums hält sich der Täter irrig für nicht gerechtfertigt, da er die Grenzen eines
Rechtfertigungsgrundes zu seinen Ungunsten einengt.
X bricht bei A ein und entwendet dabei ein Buch. A schlägt auf X ein in der Vorstellung, Notwehr sei
nur bei Beeinträchtigungen von Leib oder Leben zulässig.
I.
§ 223
Indem A auf X einschlug, hat er sich keiner Körperverletzung nach § 223 strafbar gemacht, da
die tatbestandlich vorliegende Handlung durch Notwehr nach § 32 gerechtfertigt war. So ist ein
Angriff jede Beeinträchtigung rechtlich geschützter Interessen. Auch ein Eingriff in das
Eigentum begründet - entgegen der Vorstellung des T - objektiv eine Notwehrlage.
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Strafrecht AT, Kapitel III:
Das Versuchsdelikt
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II.
§§ 223 II, 22, 23 I
A könnte sich aber wegen versuchter Körperverletzung nach §§ 223 II, 22, 23 I strafbar
gemacht haben, da er irrig davon ausging, Notwehr sei nur zum Schutz von Leib oder Leben,
nicht auch zum Schutz von Sachwerten erlaubt.
Fraglich ist aber, ob A Tatentschluß besessen hat. So hielt A sein durch Notwehr
gerechtfertigtes Verhalten für strafbar, weil er die Grenzen der Notwehr zu seinen Ungunsten
verkannte.
Dieser Irrtum betrifft den Normbereich und ist als umgekehrter Erlaubnisirrtum ein strafloses
Wahndelikt.
A hatte damit keinen Tatentschluß bezüglich einer versuchten Körperverletzung.
(3)
Umgekehrter Subsumtionsirrtum
Dehnt der Täter irrig zu seinen Ungunsten den Anwendungsbereich einer Vorschrift aus, liegt
ein umgekehrter Subsumtionsirrtum vor.
Der volljährige A schreibt in der Schule eine Entschuldigung, in der er wahrheitswidrig erklärt, er sei
krank gewesen. A denkt, dies sei eine Urkundenfälschung.
I.
II.
§ 267 I 1. Fall
Eine inhaltlich unrichtige Entschuldigung (schriftliche Lüge) stellt kein Herstellen einer
unechten Urkunde nach § 267 I 1. Fall dar. So hat A nicht über seine Identität getäuscht.
Inhaltlich unwahre Urkunden werden nicht vom Echtheitsschutz des § 267 erfaßt.
§ 267 II, 22, 23 I
Möglicherweise hat A allerdings eine versuchte Urkundenfälschung nach §§ 267 II, 22, 23 I
begangen, da er glaubte durch wahrheitswidrige Angaben eine Urkundenfälschung zu
verwirklichen. Zu prüfen ist, ob er Tatentschluß besessen hat. A kannte den Sachverhalt und
den sachlichen Bedeutungsgehalt aller Tatumstände, überdehnte allerdings den
Anwendungsbereich des § 267 zu seinen Ungunsten. Er glaubte, § 267 StGB schütze auch den
Inhalt einer Urkunde.
Dieser Irrtum liegt im Normbereich und stellt als umgekehrter Subsumtionsirrtum ein
strafloses Wahndelikt dar, der den Tatentschluß entfallen läßt.
A hat sich folglich keiner versuchten Urkundenfälschung nach §§ 267, 22, 23 I strafbar gemacht.
Zusammenfassung VII: Wahndelikt
Beim Wahndelikt irrt der Täter über den Normbereich. Dieser Irrtum ist straflos.
Es handelt sich hierbei um Fälle des:
1. umgekehrten Verbotsirrtums 2. umgekehrten Erlaubnisirrtums
3. umgekehrten
bzw. Verbots- oder
Subsumtionsirrtums
Rechtfertigungsirrtums
Täter glaubt, sein Verhalten verstoße Täter glaubt, sein gerechtfertigtes Täter dehnt irrig zu seinen Ungunsten
gegen eine Strafvorschrift, die es Verhalten sei strafbar.
den
Anwendungsbereich
einer
nicht gibt.
Vorschrift aus.
Damit läßt sich festhalten, daß sich der Täter beim untauglichen Versuch über den
Tatsachenbereich und beim Wahndelikt über den Normbereich irrt.
16
Strafrecht AT, Kapitel III:
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dd)
Verbotsnormgrenzirrtum bei normativen Tatbestandsmerkmalen
(Irrtum im Vorfeld des Tatbestandes)
Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen Tatsachen- und Normbereich ergeben sich allerdings
dort, wo die Fehlvorstellung des Täters auf einer Verkennung von Normen beruht, die im
Vorfeld des in Frage stehenden Straftatbestandes angesiedelt sind. Bei diesem Irrtum spricht
man vom Irrtum im Vorfeld des Tatbestandes oder vom Verbotsnormgrenzirrtum.
Ob dieser Irrtum einen untauglichen Versuch oder ein Wahndelikt darstellt ist umstritten:
A verkauft seine goldene Uhr, die er zuvor schon Y verkauft aber noch nicht übergeben hat, wegen eines
höheren Gebots an X, dem er auch den Besitz einräumt. A meint, eine Unterschlagung nach § 246 zu
begehen, weil er glaubt das Eigentum sei schon mit dem ersten Kaufvertrag an Y übergegangen.
I.
II.
Vollendete Unterschlagung § 246 I
Die goldene Uhr war für A objektiv keine fremde bewegliche Sache. Ursprünglich stand sie im
Alleineigentum des A. Durch den schuldrechtlichen Kaufvertrag nach § 433 BGB zwischen
ihm und X fand noch keine dingliche Übereignung nach § 929 BGB statt. Zumindest fehlte es
an der nach § 929 BGB erforderlichen Übergabe. Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft sind
nach dem Abstraktionsprinzip zu trennen. Die goldene Uhr ist mithin für A objektiv keine
fremde Sache. Deshalb scheidet mangels Fremdheit eine vollendete Unterschlagung nach § 246
I aus.
Versuchte Unterschlagung §§ 246 I, III, 22, 23 I
In Betracht kommt allerdings eine versuchte Unterschlagung nach §§ 246 I, III, 22, 23 I. A
müßte hierzu Tatentschluß auf die rechtswidrige Zueignung einer fremden beweglichen Sache
besessen haben. A glaubte, X sei durch den ersten Kaufvertrag bereits Eigentümer der goldenen
Uhr geworden. Tatsächlich blieb A aufgrund des Abstraktionsprinzips und der fehlenden
Übergabe weiterhin Eigentümer der Sache. Insofern kommt höchstens ein untauglicher Versuch
in Betracht. A stellte sich aufgrund rechtlicher Fehleinschätzung der §§ 433, 929 BGB eine
fremde Sache vor. Die Fehlvorstellung des T beruhte damit auf der Verkennung von Normen,
die im Vorfeld des in Frage stehenden Strafrechtstatbestandes angesiedelt sind. Bei einem
solchen „Rechtsirrtum im Vorfeld des Tatbestandes“ ist fraglich, ob er zum untauglichen
Versuch oder zum Wahndelikt führt.
(1)
Wahndelikt
Teilweise wird beim Rechtsirrtum im Vorfeld des Tatbestandes stets ein Wahndelikt
angenommen.
Der Täter, der irrtümlich eine eigene Sache aufgrund der Verkennung von Zivilrechtsnormen (§§ 433,
929 BGB) unter eine fremde Sache subsumiert, dehnt den Geltungsbereich des § 246 StGB aus. A‘s
Verhalten stellt daher ein strafloses Wahndelikt dar.
(2)
Untauglicher Versuch
Nach a.A. liegt immer ein untauglicher Versuch vor, wenn der Täter im Vorfeld des
Tatbestandes einem Rechtsirrtum unterlegen ist, in dessen Folge er das für sich gesehen richtig
verstandene Tatbestandsmerkmal zu verwirklichen glaubt.
A hätte sich damit einer versuchten Unterschlagung nach §§ 246 I, III, 22, 23 I strafbar gemacht.
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Strafrecht AT, Kapitel III:
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(3)
Differenzierende Meinung
Schließlich wird danach differenziert, ob der Rechtsirrtum im Vorfeld des Tatbestandes darauf
beruht, daß der Irrende tatsächliche Voraussetzungen, die die Verbotsnorm ausfüllen,
rechtsirrig annimmt (untauglicher Versuch), oder ob der Täter bei richtiger Tatsachenkenntnis
falsche sachliche Schlüsse zieht (Wahndelikt).
A, der glaubte, er habe Eigentum zuvor wirksam auf X übertragen, während er in Wirklichkeit
Eigentümer geblieben ist, verkannte den Begriff „fremd“, da er für § 929 BGB keine Übergabe
voraussetzte. Damit überdehnte er den Normbereich des § 246 StGB, so daß ein Wahndelikt in Betracht
kommt.
(4)
Stellungnahme
Gegen die Ansicht, die immer einen strafbaren untauglichen Versuch annimmt, spricht, daß sie
zu einer enormen und kriminalpolitisch nicht immer plausiblen Ausweitung der Strafbarkeit
führt. Ferner ist es oft nur eine gesetzgeberische Frage, ob etwas im Vorfeld oder im
Tatbestand geregelt ist. So könnte der Gesetzgeber bei § 246 und den anderen
Eigentumsdelikten die Fremdheit selbst regeln und deren Voraussetzungen nennen. Wer glaubt,
daß zur Übereignung nur der schuldrechtliche Vertrag erforderlich ist und nicht auch z.B. die
Übergabe der Sache, an der es vorliegend zumindest scheitert, würde dann den Straftatbestand
überdehnen und unstrittig straflos sein. Es bleibt deshalb fraglich, warum es dann strafbar sein
soll, wenn die Fremdheit nur im Vorfeld in § 929 BGB geregelt ist. Die Ansicht, die immer
einen strafbaren untauglichen Versuch annimmt, ist deshalb abzulehnen. Da man den
Rechtsirrtum im Vorfeld des Tatbestandes zum Rechtsirrtum über die Reichweite des
Tatbestandes machen kann, wenn man die im Verweisungsbereich angesiedelten Merkmale in
den Tatbestand einbezieht, liegt die Annahme nahe, daß jeder Rechtsirrtum - gleichgültig ob im
Vorfeld des Tatbestandes oder über die Bedeutung von Tatbestandsmerkmalen - als
vorsatzirrelevant anzusehen ist. Folglich liegt mit der ersten Ansicht ein Wahndelikt vor, so
daß es am Tatentschluß fehlt.
A hat sich mangels Tatentschlusses nicht wegen versuchter Unterschlagung nach §§ 246 I, III, 22, 23 I
strafbar gemacht.
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Zusammenfassung VIII: Irrtum im Vorfeld des Tatbestandes
Der Täter irrt nicht über Tatsachen (wie beim untauglichen Versuch) und auch nicht primär über die Wortbedeutung
von Tatbestandsmerkmalen (wie beim Wahndelikt), sondern sein Irrtum ist vielmehr im Vorfeld des in Frage
stehenden Straftatbestandes angesiedelt.
Wahndelikt
Untauglicher Versuch
Differenzierung nach
Irrtum im
Normbereich und im
Tatsachenbereich
Jeder
Rechtsirrtum
führt
zur Jeder Irrtum über Verweisungsbegriffe und Es liegt ein Wahndelikt
Überdehnung
des
strafrechtlichen damit über den Verweisungsbereich führt zum vor, wenn es sich um
Schutzbereichs und damit zur Annahme strafbaren untauglichen Versuch.
einen
Irrtum
im
eines straflosen Wahndelikts.
Normbereich, auch im
für:
gegen:
Vorfeld
des
Da man den Rechtsirrtum im Vorfeld Auch ein Irrtum im Verweisungsbereich Tatbestandes, handelt.
des Tatbestandes zum Rechtsirrtum
kann mittelbar zu einer Aushöhlung der
Demgegenüber liegt ein
über die Reichweite des Tatbestandes
anzuwendenden Strafnorm führen.
Versuch
machen kann, wenn man die im Die Abgrenzung flüchtet sich ins untauglicher
vor, wenn der Täter in
Verweisungsbereich
angesiedelten
Formale.
den
Merkmale in den Tatbestand einbezieht, Diese Abgrenzung führt zu einer Laiensphäre
seinem
liegt die Annahme nahe, daß jeder
enormen und kriminalpolitisch nicht Tatumstand
Sinngehalt
Rechtsirrtum - gleichgültig ob im
immer plausiblen Ausweitung der sozialen
entsprechend wertet.
Vorfeld des Tatbestandes oder über die
Strafbarkeit
Bedeutung von Tatbestandsmerkmalen Es ist oft nur eine gesetzgeberische
- als vorsatzirrelevant anzusehen ist.
Frage, ob etwas im Vorfeld oder im
Tatbestand geregelt ist.
4. Unmittelbares Ansetzen
Das unmittelbare Ansetzen zur Verwirklichung des Tatbestandes bildet das sogenannte
objektive Unrechtselement des Versuchs, das dem Tatentschluß folgt. Nicht übersehen werden
darf allerdings, daß für das unmittelbare Ansetzen – wie in § 22 vorausgesetzt - ausschließlich
die Tätervorstellung maßgeblich sein darf.
Das unmittelbare Ansetzen ist von der straflosen Vorbereitungshandlung abzugrenzen.
Unproblematisch setzt der Täter an, wenn er nach seiner Vorstellung mit der tatbestandlichen
Ausführungshandlung begonnen bzw. ein Tatbestandsmerkmal bereits erfüllt hat.
A hat den B schon mit einem empfindlichen Übel gedroht, ohne daß es im Rahmen der Nötigung nach
§ 240 zu einem Handeln, Dulden oder Unterlassen gekommen ist.
Bewegt sich dagegen das Täterverhalten noch im Vorfeld der Tathandlung, ist strittig, wann
unmittelbares Ansetzen vorliegt. Dabei ist zwischen den verschiedenen Täterformen zu
differenzieren.
a) Beim Alleintäter nach § 25 I 1. Fall
Innerhalb des Alleintäterschaft unterschiedet man beim unmittelbaren Ansetzen zwischen dem
unbeendeten und dem beendeten Versuch.
19
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aa)
Beim unbeendeten Versuch
Der Versuch ist unbeendet, wenn der Täter noch nicht alles getan zu haben glaubt, was nach
seiner Vorstellung von der Tat zu ihrer Vollendung notwendig.
Auflauerungsfall:
A lauert dem B an einer Straßenbahnhaltestelle auf, um ihn bei Eintreffen umzubringen.
Nach Vorstellung des A muß das Opfers noch erscheinen und er muß die Tötungshandlung vornehmen.
Messerfall:
A will den B töten und führt gerade sein Messer gegen ihn, ohne daß er ihn dabei verletzt.
Hier fehlt es noch an der Tötungshandlung.
(1)
Subjektive Theorie
Die subjektive Theorie stellt auf die subjektive Betrachtung des Vorstellungsbildes des Täters
ab. Aus der Sicht des Täters muß die Schwelle zum „jetzt geht es los“ überschritten sein.
Diese Meinung bejaht das unmittelbare Ansetzen zu einem Tötungsdelikt bereits im Auflauerungsfall
und erst Recht im Messerfall.
Die subjektive Theorie führt damit im Auflauerungsfall zu einer bedenklichen Vorverlagerung
des Versuchs in den Vorbereitungsbereich.
(2)
Gemischt subjektiv- objektive Theorie
Die h.M folgt deshalb der gemischt subjektiv-objektiven Theorie. Ein unmittelbares Ansetzen
liegt hiernach erst dann vor, wenn das Verhalten des Täters subjektiv die Schwelle zum „jetzt
geht es los“ überschreitet und er Handlungen vornimmt, die nach seinem Tatplan der Erfüllung
eines Tatbestandsmerkmals vorgelagert sind, in die Tathandlung ohne wesentliche
Zwischenschritte einmünden und das geschützte Rechtsgut nach der Vorstellung des Täters in
eine konkrete Gefahr bringen.
Erst im Messerfall wäre hiernach ein unmittelbares Ansetzen zum Tötungsdelikt gegeben, während es
sich im Auflauerungsfall um eine straflose Vorbereitungshandlung handelt.
bb)
Beim beendeten Versuch
Beim beendeten Versuch hat der Täter nach seiner Vorstellung schon alles zur
Tatbestandverwirklichung Erforderliche getan, um den Erfolgseintritt zu bewirken.
Erbtantenfall:
Um seine Erbtante E zu beseitigen, vergiftet A morgens den Rotwein der E und verläßt das Haus. Dabei
weiß A nicht sicher, ob E den Rotwein auch trinken wird.
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(1)
Bisher herrschende Lehre
Beim beendeten Versuch differenzierte die Alternativformel der h.L. wie folgt:
-
Ein unmittelbares Ansetzen liegt dann vor, wenn nach der Tätervorstellung eine
Situation eingetreten ist, bei der zur Tatbestandsverwirklichung keine wesentlichen
Zwischenschritte mehr erforderlich sind und so eine unmittelbare Rechtsgutgefährdung
eingetreten ist oder
-
wenn der Täter den weiteren Geschehensablauf bewußt aus der Hand gegeben hat, so
daß nach seiner Vorstellung der Erfolg jetzt selbständig und ungehindert eintreten kann.
Nach dieser Formel hat A im Erbtantenfall unabhängig von einer unmittelbaren Rechtsgutgefährung
bereits durch das Verlassen des Hauses das weitere Geschehen aus der Hand gegeben und damit
unmittelbar zum Mordversuch nach §§ 211, 22, 23 I angesetzt.
(2)
Rechtsprechung
Erstmals hat der BGH zu dieser Problematik in jüngster Zeit Stellung bezogen. Er läßt es
alleine nicht mehr genügen, wenn der Täter das Geschehen aus der Hand gibt, vielmehr liegt
eine nach dem Tatplan unmittelbare Gefährdung erst mit dem Abschluß der Tathandlung vor,
wenn es für den Täter feststeht, daß das Opfer erscheinen und sein für den Taterfolg
eingeplantes Verhalten bewirken wird. Hält der Täter ein Erscheinen des Opfers im
Wirkungskreis des Tatmittels hingegen lediglich für möglich, aber noch für ungewiß oder gar
für wenig wahrscheinlich, so tritt eine unmittelbare Rechtsgutgefährdung nach dem Tatplan
erst ein, wenn das Opfer tatsächlich erscheint, und sich deshalb die Gefahr für das Opfer
verdichtet.
Im Erbtantenfall war sich A nicht sicher, ob E ihren Wein trinken wird oder nicht. Insofern setzte A
damit nicht bereits mit dem Verlassen des Hauses zum Mordversuch nach §§ 211, 22, 23 I unmittelbar
an. Erst wenn E tatsächlich abends kommen sollte und ihren Wein gerade trinken möchte liegt eine
Gefahrverdichtung und damit ein unmittelbares Ansetzen zum Mordversuch vor.
cc)
Beim Regelbeispiel
Regelbeispiele sind Strafzumessungsnormen und keine Tatbestandsmerkmale. Verwirklicht der
Täter bereits ein Regelbeispiel oder setzt er zu diesem unmittelbar an, nicht aber zum
Grundtatbestand, ist problematisch, ob das unmittelbare Ansetzen zur Verwirklichung eines
Regelbeispiels für die Versuchsstrafbarkeit zum Grunddelikt ausreicht.
A bricht in das Antiquitätengeschäft des B ein, um wertvolle Schmuckstücke aus dem Tresor zu
entwenden. Am Safe angelangt muß er feststellen, daß er sein Spezialwerkzeug zum Aufbrechen des
Safes vergessen hat. Strafbarkeit nach §§ 242, 22, 23 I, 243 I 2 Nr. 1?
A hat noch nicht zur Verwirklichung der Wegnahme angesetzt, da hierfür noch ein wesentlicher
Zwischenschritt (Aufbrechen des Tresors) erforderlich war. A ist aber bereits nach § 243 I 2 Nr. 1
eingebrochen. Fraglich ist, ob der Versuch auch in derartigen Fällen erst mit der Wegnahme beginnt
oder ob bereits die Vornahme einer Handlung, die ein Regelbeispiel gemäß § 243 erfüllt oder durch die
21
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unmittelbar zur Erfüllung eines Regelbeispiels angesetzt wird, den Versuch begründet, selbst wenn
diese Handlung noch nicht als Beginn der Wegnahme angesehen werden kann.
Ursprünglich wurde die Ansicht vertreten, daß der Versuch sowohl mit dem Ansetzen zur
Verwirklichung des Grundtatbestandes als auch eines erschwerenden Moments beginne.
Aus dem Wortlaut des § 22 „zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt“ wird
aber ersichtlich, daß es nicht ausreichend ist, daß sich der Ansatz auf die Verwirklichung
irgendeines Handlungsmerkmals bezieht. Nötig ist vielmehr der Ansatz zur
Tatbestandsverwirklichung im Ganzen. Ansonsten würde der Versuch zu weit vorverlagert.
Der Täter muß damit eine Tätigkeit entfalten, die unmittelbar einen Angriff auf das Rechtsgut
bedeutet.
A hat noch keinen unmittelbaren Angriff auf Gewahrsam und Eigentum des B vorgenommen und sich
damit keines versuchten Diebstahls in einem besonders schweren Fall nach §§ 242, 22, 23 I, 243 I 2
Nr. 1 strafbar gemacht.
b) Beim mittelbaren Täter nach § 25 I 2. Fall
Eine versuchte Tat kann auch der mittelbare Täter nach § 25 I 2. Fall verwirklichen, wenn er
sich entschließt, durch einen anderen eine Tat zu begehen. Problematisch ist hierbei das
unmittelbare Ansetzen. Da keine Spezialregelung zum Versuch einer mittelbaren Täterschaft
existiert, ist auch hier die „Ansatzformel“ des § 22 zu bemühen. So kann man einerseits auf die
Rechtsgutgefährdung durch den Hintermann, andererseits aber auch erst auf die
Rechtsgutsgefährdung durch das Werkzeug abstellen.
Oberarztfall:
Oberarzt A will B durch eine gutgläubige Krankenschwester K vergiften und überreicht ihr hierzu
morgens die angeblich schmerzstillende Spritze, die sie B am Abend verabreichen soll. Mittags schöpft
K jedoch Verdacht und erkennt, die tödliche Giftdosis, so daß es nicht zur Tötung des B kommt.
Strafbarkeit des A nach §§ 212, 22, 23 I, 25 I 2. Fall?
aa) Einzellösung
Nach der Einzellösung liegt bereits im Einwirken auf den Tatmittler ein unmittelbares
Ansetzen vor.
Das Überreichen der Spritze bedeutet für den mittelbaren Täter A im Oberarztfall bereits ein
unmittelbares Ansetzen zum Totschlag in mittelbarer Täterschaft nach §§ 212, 22, 23 I, 25 I 2. Fall.
bb) Gesamtlösung
Demgegenüber stellt die Gesamtlösung darauf ab, ob die Gesamttat schon soweit
fortgeschritten ist, daß sie unmittelbar in die Tatbestandsverwirklichung einmündet, was in der
Regel erst mit der planmäßigen Ausführungshandlung des Vordermannes der Fall sein soll.
Im Oberarztfall liegt kein unmittelbares Ansetzen des A vor, da K selbst noch nicht unmittelbar zur
Tötung des B angesetzt hat.
22
Strafrecht AT, Kapitel III:
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cc) Herrschende Meinung
Nach herrschender Meinung genügen formellen Abgrenzungen nicht, vielmehr ist auf die
allgemeinen Grundsätze zurückzugreifen. Nur so entsteht eine konsequente Übertragung der
Kriterien, die für die unmittelbare Alleintäterschaft entwickelt wurden. Deshalb ist auch dieser
Ansicht bei divergierenden Ergebnissen zu folgen.
Voraussetzung ist hiernach, daß der mittelbare Täter das von ihm in Gang gesetzte Geschehen
in der Weise aus der Hand gegeben hat, daß der daraus resultierende Angriff auf das Opfer nach
seiner Vorstellung von der Tat ohne weitere wesentliche Zwischenschritte und ohne längere
Unterbrechung
im
nachfolgenden
Geschehensablauf
unmittelbar
in
die
Tatbestandsverwirklichung einmünden soll.
Da K erst abends die Spritze verabreichen sollte liegt zur Mittagszeit im Oberarztfall noch kein
unmittelbares Ansetzen des A vor.
Zu einer anderen rechtlichen Bewertung käme man, wenn A die K direkt geschickt hätte, dem B die
Spritze zur verabreichen.
dd) Beim Mittäter nach § 25 II
Auch beim Mittäter, der nach § 25 II die Straftat gemeinschaftlich mit einem anderen begeht, ist
das unmittelbare Ansetzen problematisch. Der Versuchsbeginn kann, wenn die Mittäter ihre
Tatbeiträge nicht gleichzeitig erbringen, entweder für die gemeinschaftlich begangene Gesamttat
(Gesamtlösung) oder für das Verhalten jedes einzelnen Mittäters gesondert bestimmt werden
(Einzellösung).
A und B wollen dem Schmuckhändler X einen Besuch abstatten. Ihrem Tatplan zufolge soll A in das
Geschäft des X stürzen und den Überraschungsmoment ausnutzen um einige Schmuckstücke aus einer
offenen Vitrine zu entwenden, während B als Fahrer mit dem laufenden Pkw bereitsteht, um den
Abtransport zu gewährleisten. Entgegen den Erwartungen muß A aber feststellen, als er die Tür öffnen
wollte, um unmittelbar im Anschluß die Schmuckstücke mitzunehmen, daß diese verschlossen ist
aa) Einzellösung
Nach der Einzellösung bestimmt sich das unmittelbare Ansetzen für jeden Mittäter gesondert
und zwar jeweils mit seinem eigenen tatherrschaftsbegründenden Beitrag.
Als A die Tür aufreißen wollte lag in seiner Vorstellung bereits eine konkrete Rechtsgutgefährdung des
Eigentums und Gewahrsams des X vor, die ohne wesentliche Zwischenschritte zur Verwirklichung des
Diebstahls führen sollte. Insofern lag ein Diebstahlsversuch vor.
B selbst sollte den Abtransport bewerkstelligen, hatte also seinen Tatbeitrag noch nicht geleistet, so daß
er nach der Einzellösung nicht zum versuchten Diebstahl unmittelbar angesetzt hat.
bb) Gesamtlösung
Demgegenüber beginnt nach der vorzugswürdigeren Gesamtlösung bei Mittäterschaft aufgrund
gegenseitiger Zurechnung der verschiedenen Tatbeiträge der Versuch - und zwar für jeden
Beteiligten - erst bzw. bereits dann, wenn auch nur einer von ihnen dem gemeinsamen Tatplan
23
Strafrecht AT, Kapitel III:
Das Versuchsdelikt
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entsprechend in das Ausführungsstadium eintritt. Wird nämlich nach § 25 II jedem Mittäter
das Verhalten des anderen Mittäters zugerechnet, als ob er es selbst vollzogen hätte, so muß er
sich die das Vorbereitungsstadium verlassende Versuchshandlung zurechnen lassen. Da ihm
auch funktionelle Tatherrschaft über die vom anderen ausgeführten Tatbeiträge zukommt, ist
diese Zurechnung auch dann gerechtfertigt, wenn er durch eigenes Verhalten noch nicht
unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt hat.
Nach der Gesamtlösung haben also A und B durch den Tatbeitrag des A im Wege der Zurechnung nach
§ 25 II gemeinschaftlich zum Diebstahl unmittelbar angesetzt.
(1) Beim Scheinmittäter
Innerhalb der Gesamtlösung ist fraglich, ob eine Zurechnung des Tatbeitrages auch dann
erfolgt, wenn ein Mittäter sich nur zum Schein zu einem Delikt bereit erklärt und
ausschließlich dieser seinen Tatbeitrag erbringt.
Drei Beteiligte A, B und C wollen die Eheleute D in deren Haus überfallen und ausrauben. Ein Mittäter
A offenbart sich der Polizei und informiert sie über den Stand der Planung, während er B und C in dem
Glauben läßt, er werde die Tat zusammen mit ihnen ausführen. Gemäß dem Tatplan soll A an der
Haustüre klingeln und Frau D überwältigen, der B soll in die Wohnung stürmen und Herrn D in seine
Gewalt bringen. Danach soll C hinzukommen und die Eheleute zur Herausgabe des Tresorschlüssels
zwingen. Am vereinbarten Tage fahren die drei zum Tatort. C bleibt im Auto, während A gefolgt von B
zur Haustür geht und klingelt, was für die Polizei das Zeichen zum Zugriff war. Strafbarkeit von B und
C?
Nach Ansicht des BGH ist der Tatbeitrag des unmittelbar ansetzenden Mittäters nur dann
zurechenbar, sofern es sich für den Handelnden als mittäterschaftlicher Tatbeitrag darstellt,
also von dem Willen getragen ist, gemeinschaftlich mit dem anderen Beteiligten zum Zwecke
der Tatausführung zusammenzuwirken. Da das Handeln des Scheinmittäters selbst kein
Versuch war, könne es den anderen auch nicht als Beginn der Ausführungshandlung
zugerechnet werden.
Hiernach werden B und C nur wegen Verabredung eines Raubes nach § 30 II, 249 evtl. § 250 bestraft.
Demgegenüber ist nach Stimmen in der Literatur auf die subjektive Sicht desjenigen Beteiligten
abzustellen, für den der Eintritt in das Versuchsstadium der mittäterschaftlichen Begehung
geprüft wird. Schließlich werden bei der Mittäterschaft nur objektive Merkmale zugerechnet.
Die Privilegierung des am Tatplan Festhaltenden wird dadurch vermieden.
Nach dieser Ansicht wären B und C bereits wegen mittäterschaftlicher versuchter Begehung des geplanten
Delikts (§ 249 evtl. §§ 250 , 22, 23 I) zu bestrafen.
(2) Beim vermeintlichen Mittäter
Innerhalb der Gesamtlösung ist ebenfalls umstritten, ob eine Zurechnung des Tatbeitrages auch
beim vermeintlichen Mittäter erfolgt.
B erzählte seinem Bekannten A, er wisse, wie man leicht an Geld kommen könne. Ihm sei ein
Münzhändler M bekannt, der seine Versicherung durch Vortäuschen eines Raubes betrügen wolle. A
solle den M in seinem Haus zum Schein überfallen und berauben; der M sei mit allem einverstanden. B
24
Strafrecht AT, Kapitel III:
Das Versuchsdelikt
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versprach dem A für seine Mitwirkung DM 50.000, von denen er DM 15.000 im voraus erhalten sollte.
Die restlichen DM 35.000 sollte sich A aus dem Tresor des M nehmen dürfen. A erklärte sich bereit,
den Überfall durchzuführen und die zum Schein zu raubenden Münzen anschließend dem B zu
übergeben. B wies A an, gegenüber dem M bei dem Überfall nicht erkennen zu geben, daß er - A wisse, daß dieser mit dem Überfall einverstanden sei. Tatsächlich war M nicht mit dem Überfall
einverstanden. A führte den „Raub“ aus, wie es mit B im einzelnen besprochen war. Noch am Tattage
meldete M den Schadensfall seiner Versicherung. Strafbarkeit des A nach §§ 263 I, II, 22, 23 I?
Nach der Gesamtlösung treten, wie bereits oben dargestellt, alle Mittäter einheitlich in das
Versuchsstadium ein, sobald einer von ihnen zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar
ansetzt, und zwar unabhängig davon, ob einzelne von ihnen ihren Tatbeitrag schon im
Vorbereitungsstadium erbracht haben.
Zwar war der nach Ansicht des A vorgetäuschte Raubüberfall für den beabsichtigten Betrug zum
Nachteil der Versicherung nur Vorbereitungshandlung. Dadurch daß die Schadensmeldung durch den
vermeintlichen Mittäter (M) nach dem Überfall tatplanmäßig erfolgte, wurde jedoch die Grenze von der
Vorbereitungshandlung zum Versuch (hier als untauglicher Versuch) überschritten.
Beim vermeintlichen Mittäter sind nach Ansicht des BGH nicht die Grundsätze der
Scheinmittäterschaft anzuwenden, da im Fall des untauglichen Versuchs eines Vergehens der
objektive Tatbeitrag eines vermeintlichen Mittäters, der nach der Vorstellung des am Tatplan
festhaltenden Beteiligten zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt, diesem
zuzurechnen sei.
Zusammenfassung IX: Unmittelbares Ansetzen beim Mittäter
Einzellösung
Gesamtlösung
Unmittelbares Ansetzen beginnt für jeden Mittäter Unmittelbares Ansetzen beginnt für jeden Beteiligten
gesondert und zwar jeweils mit seinem eigenen erst bzw. bereits dann, wenn auch nur einer von ihnen
tatherrschaftsbegründenden Beitrag.
dem gemeinsamen Tatplan entsprechend in das
Ausführungsstadium eintritt.
Scheinmittäter
Vermeintlicher Mittäter
Da das Handeln des Da es sich nach Ansicht
Scheinmittäters selbst kein des BGH um einen
Versuch ist, kann es nach untauglichen
Versuch
Ansicht des BGH dem handelt, ist der Tatbeitrag
anderen auch nicht als des
vermeintlichen
Beginn der Ausführungs- Mittäters zuzurechnen.
handlung
zugerechnet
werden.
5.
Rechtswidrigkeit/6. Schuld
Im Rahmen des Versuchs ergeben sich in Rechtswidrigkeit und Schuld keine Besonderheiten,
so daß auf das Skript go-jura, Strafrecht AT, Das vorsätzlich vollendete Begehungsdelikt
Kapitel I B. III./IV. verweisen werden soll.
7. Rücktritt
Normalerweise kann ein Nachtatverhalten nur noch Berücksichtigung in der Strafzumessung
finden. Ist die Tat aber noch im Versuchstadium, so führt ein bestimmtes Rücktrittsverhalten
nach § 24 zur Straflosigkeit des Versuchstäters. Nach herrschender Meinung bildet der
Rücktritt einen persönlichen Strafaufhebungsgrund.
25
Strafrecht AT, Kapitel III:
Das Versuchsdelikt
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§ 24 I behandelt den Rücktritt des Alleintäters,
während im Rahmen des § 24 II ein Rücktritt mehrerer Beteiligter in Betracht kommt.
Rücktritt des Alleintäters
Rücktritt mehrerer Beteiligter
(Täter oder Teilnehmer)
§ 24 II
§ 24 I
a)
Beim Alleintäter nach § 24 I 1
Nach § 24 I 1 wird wegen Versuchs nicht bestraft, wer freiwillig die weitere Ausführung der
Tat aufgibt oder deren Vollendung verhindert.
Zur Erläuterung des Rücktritts sollen zunächst die Rechtsfolgen der unterschiedlichen
Versuchsstadien für § 24 I 1 dargestellt werden, um anschließend ihre Voraussetzungen zu
klären.
aa)
Rechtsfolgen des unbeendeten, beendeten und fehlgeschlagenen Versuchs
Nach § 24 I 1 1. Fall ist der Täter straflos, wenn er die Tat freiwillig aufgibt. Der Täter muß
damit passiv vom Versuch Abstand nehmen, indem er eine Rechtsgutverletzung freiwillig
unterläßt. Dieses Versuchsstadium bezeichnet man als unbeendeten Versuch.
Beim beendeten Versuch nach § 24 I 1 2. Fall hingegen muß der Täter freiwillig die Vollendung
verhindern. Damit verlangt der Gesetzgeber ein Mehr, nämlich ein aktives Eingreifen in das
Tatgeschehen.
Die Freiwilligkeit ist für beide Versuchstadien Voraussetzung. Dabei muß der Zurücktretende
durch autonome Gründe zum Rücktritt gebracht werden. Die Rechtsprechung verwendet hier
das Bild vom Täter, der noch „Herr seiner Entschlüsse“ ist. Autonome Motive bewegen den
Täter dann zum Aufgeben der Tat oder zur Vollendungsverhinderung, wenn er davon ausgeht,
daß er die Tat ohne erheblich größeres Risiko erfolgreich zu Ende führen kann. Ethisch
wertvoll müssen dabei die Beweggründe des Täters nicht sein.
Schließlich wird der fehlgeschlagene Versuch in § 24 vorausgesetzt. Zwar ist er dort nicht
ausdrücklich erwähnt, allerdings kann vom „Aufgeben“ und „Verhindern“ in § 24 nur dort die
Rede sein, wo man den Versuch noch fortsetzen kann. Der fehlgeschlagene Versuch ergibt sich
folglich aus der Gesetzessubsumtion der vorgenannten Begriffe. Vom fehlgeschlagenen Versuch
ist ein Rücktritt nicht möglich.
Zusammenfassung X: Rechtsfolgen des unbeendeten, beendeten und fehlgesch.
Versuchs
Unbeendeter Versuch
§ 24 I 1 1. Fall:
freiwillige Aufgabe der Tat
bb)
Beendeter Versuch
§ 24 I 1 2. Fall:
freiwillige Verhinderung der Tat
Fehlgeschlagener Versuch
In § 24 vorausgesetzt:
Rücktritt nicht mehr möglich
Maßgeblicher Zeitpunkt der Tätervorstellung
26
Strafrecht AT, Kapitel III:
Das Versuchsdelikt
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Einzelakttheorie/Gesamtbetrachtungslehre
Die Voraussetzungen des fehlgeschlagenen, unbeendeten oder beendeten Versuchs bestimmen
sich dabei nach der Vorstellung des Täters. Der Rücktritt stellt schließlich den actus contrarius
zum unmittelbaren Ansetzen dar. Das unmittelbare Ansetzen beurteilt sich aber gemäß § 22
ausschließlich aus Sicht des Täters.
(1)
Fehlgeschlagener Versuch
Fehlgeschlagen ist der Versuch unstrittig dann, wenn das Handlungsziel für den Täter
unerreichbar oder die Tat sinnlos geworden ist.
Die Bombe des A zündet nicht (Handlungsziel unerreichbar).
Als A auf B erschießen will, erkennt er, daß es sich nicht um den von ihm verhaßten Feind handelt
(Sinnlosigkeit der Tat).
Problematisch ist aber der fehlgeschlagener Versuch, wenn
Fortsetzungsmöglichkeit besteht.
für
den Täter
eine
Erzfeindfall:
A schießt auf seinen Erzfeind B. Der Schuß geht aber fehl und trifft diesen nicht. A hat noch Munition
und könnte auf B erneut schießen.
Kann A noch vom versuchten Totschlag nach §§ 212, 22, 23 I zurücktreten und wenn ja, welches
Rücktrittsverhalten ist hierfür erforderlich?
Stellt man auf die Anfangsvorstellung des Täters ab und legt einen engen Tatbegriff zugrunde,
ist der Versuch fehlgeschlagen, wenn man einen von vornherein erfolgstauglichen Einzelakt
vorgenommen hat. Diesem Verständnis folgt die strenge Einzelakttheorie.
Da jeder Schuß tödlich hätte wirken können, liegt im Erzfeindfall nach der Einzelakttheorie bereits ein
fehlgeschlagener Versuch vor, so daß ein Rücktritt ausgeschlossen bleibt.
Hätte A mehrfach daneben geschossen, nimmt die Einzelakttheorie mehrere fehlgeschlagene Versuche
an, die im Rahmen der Konkurrenzen zu einer Handlungseinheit (Tateinheit nach § 52) verbunden
werden.
Beurteilt man hingegen mit der Gesamtbetrachtungslehre den Rücktrittshorizont, so ist der
Versuch erst fehlgeschlagen, wenn die Tat nach der Vorstellung des Täters nach Abschluß der
Ausführungshandlung nicht mehr planmäßig ausgeführt werden kann, eine Vollendung der Tat
nur noch mit zeitlicher Verzögerung nach dem Ingangsetzen einer neuen Kausalkette möglich
ist.
Da A noch in unmittelbarer Aufeinanderfolge hätte weiterschießen können, wäre der Versuch nach der
Gesamtbetrachtungslehre noch nicht fehlgeschlagen.
Erst wenn A keine Munition mehr gehabt hätte und ihm auch sonst keine anderen Möglichkeiten zur
Tötung zur Verfügung gestanden hätten, er sich erst die Tötungsmittel mit zeitlicher Verzögerung hätte
verschaffen müssen, wäre der Versuch fehlgeschlagen.
27
Strafrecht AT, Kapitel III:
Das Versuchsdelikt
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Zusammenfassung XI: Der Fehlgeschlagene Versuch bei Forsetzungsmöglichkeiten
nach der Einzelakttheorie und der Gesamtbetrachtungslehre
Einzelakttheorie
Gesambetrachtungslehre
Anfangsvorstellung:
Rücktrittshorizont:
wenn Täter einen von vornherein erfolgstauglichen wenn
Täter
die
Tat
nach
der
letzten
Einzelakt vorgenommen hat
Ausführungehandlung nicht mehr planmäßig ausführen
kann, eine Vollendung der Tat vielmehr nur noch mit
zeitlicher Verzögerung nach dem Ingangsetzen einer
neuen Kausalkette möglich ist.
(2)
Unbeendeter Versuch
Nach der Gesamtbetrachtungslehre kommt im Erzfeindfall ein unbeendeter Versuch in Betracht, von
dem ein Rücktritt durch freiwilliges Aufgeben der Tat nach § 24 I 1. Fall möglich ist.
Der Versuch ist nach der Gesamtbetrachtungslehre unbeendet, solange der Täter noch nicht
alles getan hat, was nach seiner Vorstellung zum Erfolgseintritt notwendig erscheint. Auch
hierfür bemüht die Gesamtbetrachtungslehre die Rücktrittsvorstellung des Täters. Damit ist
der Versuch unbeendet, wenn der Täter nach Vornahme der letzten Ausführungshandlung
davon ausgeht, daß sein Verhalten nicht zum Erfolg führen kann, die Vollendung der Tat mit
den zur Hand liegenden Mitteln aber noch möglich ist.
Im Erzfeindfall zeigt sich das Spannungsverhältnis zwischen Einzelakttheorie und
Gesamtbetrachtungslehre ganz deutlich. Während nach der täterfeindlichen Einzelakttheorie ein Rücktritt
wegen Fehlschlags des Versuchs gänzlich ausgeschlossen ist, reicht es für die täterfreundliche
Gesamtbetrachtungslehre aus, wenn der Täter inaktiv bleibt und freiwillig die Tat aufgibt.
Aber auch nach der Einzelakttheorie muß es einen unbeendeten Versuch geben. Dabei ist
wiederum auf die Anfangsvorstellung abzustellen . Der Versuch ist unbeendet, wenn der Täter
den von vornherein ins Auge gefaßte Einzelakt noch für ergänzungsbedürftig hält.
Giftdosenfall:
A will den B mit drei erst kumulativ wirkenden Giftdosen umbringen. Nach Darreichung der ersten
Giftdosis liegt ein unbeendeter Versuch vor, von dem A nach § 24 I 1. Fall zurücktreten kann.
Der Versuch wäre jedoch fehlgeschlagen, wenn A bereits alle Giftdosen verabreicht hätte und der Erfolg
wider Erwarten nicht eintreten würde.
Zusammenfassung XII: Der unbeendete Versuch bei Forsetzungsmöglichkeiten
nach der Einzelakttheorie und der Gesamtbetrachtungslehre
Einzelakttheorie
Gesambetrachtungslehre
Anfangsvorstellung:
Rücktrittshorizont:
wenn Täter einen von vornherein erfolgstauglichen wenn
Täter
nach
Vornahme
der
letzten
Einzelakt noch für ergänzungsbedürftig hält.
Ausführungshandlung davon ausgeht, daß sein
Verhalten nicht zum Erfolg führen kann, die
Vollendung der Tat mit den zur Hand liegenden
Mitteln aber noch möglich ist.
(3)
Beendeter Versuch
Für den beendeten Versuch stellt nicht nur die Gesamtbetrachtungslehre sondern auch die
Einzelakttheorie auf den Rücktrittshorizont ab.
28
Strafrecht AT, Kapitel III:
Das Versuchsdelikt
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Während nach der Einzelakttheorie der Versuch beendet ist, wenn der Täter bei vorzeitigem
Abbruch mit dem Eintritt des Erfolges als eine jedenfalls nicht auszuschließende Möglichkeit
rechnet, ist der Versuch nach der Gesamtbetrachtungslehre beendet, wenn der Täter nach der
letzten Ausführungshandlung den Eintritt des Erfolges aufgrund der von ihm geschaffenen
Erfolgsgefahr naheliegend für möglich hält.
Erkennt A im Giftdosenfall nach Verabreichung der ersten Dosis, die er zunächst noch nicht für
erfolgstauglich hielt, daß er sich hinsichtlich der Tauglichkeit des Mittels vertan hat und rechnet
frühzeitig mit der Möglichkeit des Todeserfolges, so ist der Versuch nach der Einzelaktthorie und nach
der Gesamtbetrachtungslehre beendet
Hätte A im Erzfeindfall den B hingegen getroffen und rechnete mit der Möglichkeit des Todes, läge
nach der Einzelakttheorie ein fehlgeschlagener, da von vornherein erfolgstauglicher Versuch ohne
Rücktrittsmöglichkeit vor und nach der Gesamtbetrachtungslehre ein beendeter Versuch, der durch
freiwillige Vollendungsverhinderung zur Straffreiheit führt, vor.
Zusammenfassung XIII: Der beendete Versuch bei Forsetzungsmöglichkeiten
nach der Einzelakttheorie und der Gesamtbetrachtungslehre
Einzelakttheorie
Gesambetrachtungslehre
Rücktrittshorizont:
Rücktrittshorizont:
wenn der Täter bei vorzeitigem Abbruch mit dem wenn der Täter nach der letzten Ausführungshandlung
Eintritt des Erfolges als eine jedenfalls nicht den Eintritt des Erfolges aufgrund der von ihm
auszuschließende Möglichkeit rechnet
geschaffenen Erfolgsgefahr naheliegend für möglich
hält.
(4)
Stellungnahme
Gegen die Einzelakttheorie spricht, daß sie den Tatbegriff zu eng faßt und ein einheitliches
Geschehen willkürlich in verschiedene Taten zerstückelt. Andererseits ist das Zerreißen einer
Tat keine Besonderheit. Wer beispielsweise mit Einverständnis des Eigentümers eine Sache
durch sukzessive Schläge zerstört, und mitten in der Ausführung vom wirksamen Widerruf des
Einverständnisses erfährt, entgeht nicht der Haftung für die darauf nachfolgenden
rechtswidrigen Schläge, weil diese mit den vorangegangenen rechtmäßigen Schlägen eine
Handlung im natürlichen Sinne bilden. Gegen die Einzelakttheorie spricht aber ihre Opfer- und
Täterfeindlichkeit. Schließlich scheidet nach dieser Meinung selbst dann ein Rücktritt aus,
wenn der Täter nach Ausführung nur eines einzigen erfolgstauglichen und nicht mehr
revozierbaren Angriffsaktes das gefährdete Rechtsgut durch aktive Bemühungen rettet, da der
Versuch fehlgeschlagen ist (vgl. hierzu den Erzfeindfall, wenn A den B getroffen hat). Die
Einzelakttheorie ist deshalb abzulehnen.
29
Strafrecht AT, Kapitel III:
Das Versuchsdelikt
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Zusammenfassung XIV: Der fehlgeschlagene, unbeendete bzw. beendete Versuch bei
Fortsetzungsmöglichkeiten nach der Einzelakttheorie und der
Gesamtbetrachtungslehre
Fehlgeschlagener Versuch
Einzelakttheorie
Gesambetrachtungslehre
Anfangsvorstellung:
Rücktrittshorizont:
wenn Täter einen von vornherein erfolgstauglichen wenn
Täter
die
Tat
nach
der
letzten
Einzelakt vorgenommen hat
Ausführungshandlung nicht mehr planmäßig ausführen
kann, eine Vollendung der Tat vielmehr nur noch mit
zeitlicher Verzögerung nach dem Ingangsetzen einer
neuen Kausalkette möglich ist.
Unbeendeter Versuch
Einzelakttheorie
Gesambetrachtungslehre
Anfangsvorstellung:
Rücktrittshorizont:
wenn Täter einen von vornherein erfolgstauglichen wenn
Täter
nach
Vornahme
der
letzten
Einzelakt noch für ergänzungsbedürftig hält.
Ausführungshandlung davon ausgeht, daß sein
Verhalten nicht zum Erfolg führen kann, die
Vollendung der Tat mit den zur Hand liegenden
Mitteln aber noch möglich ist.
Beendeter Versuch
Einzelakttheorie
Gesambetrachtungslehre
Rücktrittshorizont:
Rücktrittshorizont:
wenn der Täter bei vorzeitigem Abbruch mit dem wenn der Täter nach der letzten Ausführungshandlung
Eintritt des Erfolges als eine jedenfalls nicht den Eintritt des Erfolges aufgrund der von ihm
auszuschließende Möglichkeit rechnet
geschaffenen Erfolgsgefahr naheliegend für möglich
hält.
Argumente
Gegen:
Einzelakttheorie
Enger Tatbegriff
Täterfeindlich
Opferfeindlich
Für:
cc)
Gesambetrachtungslehre
Weiter Tatbegriff
Täterfreundlich
Opferfreundlich
Aufbau
Als persönlicher Strafaufhebungsgrund wird der Rücktritt nach der Schuld geprüft. Verhält
sich der Täter nach einem Versuch passiv, ist zu fragen, ob er durch freiwillige Aufgabe vom
Versuchsdelikt nach § 24 I 1 1. Fall zurückgetreten ist. Hierzu ist zunächst zu klären, ob der
Versuch fehlgeschlagen ist, weil dann ein Rücktritt gänzlich ausgeschlossen bleibt. Zur
Beantwortung dieser Frage erfolgt eine Subsumtion unter die Einzelakttheorie und die
Gesamtbetrachtungslehre. In den meisten Fällen wird nur die Einzelakttheorie zu einem
fehlgeschlagenen Versuch kommen, so daß eine argumentative Auseinandersetzung mit den
Meinungen angezeigt ist. Nachdem man die Einzelakttheorie abgelehnt hat, ist schließlich zu
klären, ob der Versuch mit der Geamtbetrachtungslehre unbeendete oder beendet ist.
Im Erzfeindfall kommt ein Rücktritt vom unbeendeten Versuch nach § 24 I 1 1. Fall in Betracht, wenn
A freiwillig die Tat aufgegeben hat.
Voraussetzung ist, daß der Versuch nicht fehlgeschlagen ist. Nach der Einzelakttheorie ist der Versuch
fehlgeschlagenen, wenn der Täter einen von vornherein erfolgstauglichen Einzelakt vorgenommen hat.
Da der Schuß zum Tode hätte führen können, wäre ein Rücktritt nach der Einzelakttheorie
ausgeschlossen. Demgegenüber ist der Versuch nach der Gesamtbetrachtungslehre erst dann
fehlgeschlagen, wenn die Tat nach der Vorstellung des Täters nach Abschluß der Ausführungshandlung
nicht mehr planmäßig ausgeführt werden kann, eine Vollendung der Tat nur noch mit zeitlicher
30
Strafrecht AT, Kapitel III:
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Verzögerung nach dem Ingangsetzen einer neuen Kausalkette möglich ist. Da A noch Munition hatte,
ist der Versuch nicht fehlgeschlagen.
Damit bejaht nur die Einzelakttheorie einen fehlgeschlagenen Versuch. Gegen diese Ansicht ist aber
anzuführen, daß sie den Tatbegriff zu eng faßt und ein einheitliches Geschehen willkürlich in
verschiedene Taten zerstückelt. Andererseits ist das Zerreißen einer Tat keine Besonderheit. Wer
beispielsweise mit Einverständnis des Eigentümers eine Sache durch sukzessive Schläge zerstört, und
mitten in der Ausführung vom wirksamen Widerruf des Einverständnisses erfährt, entgeht nicht der
Haftung für die darauf nachfolgenden rechtswidrigen Schläge, weil diese mit den vorangegangenen
rechtmäßigen Schlägen eine Handlung im natürlichen Sinne bilden. Gegen die Einzelakttheorie spricht
aber ihre Opfer- und Täterfeindlichkeit. Schließlich scheidet nach dieser Meinung selbst dann ein
Rücktritt aus, wenn der Täter nach Ausführung nur eines einzigen erfolgstauglichen und nicht mehr
revozierbaren Angriffsaktes das gefährdete Rechtsgut durch aktive Bemühungen rettet, da der Versuch
fehlgeschlagen ist. Die Einzelakttheorie ist deshalb abzulehnen.
Zu klären ist, ob der Versuch mit der Gesamtbetrachtungslehre beendet oder unbeendet ist.
Der Versuch ist unbeendet, wenn der Täter nach Vornahme der letzten Ausführungshandlung davon
ausgeht, daß sein Verhalten nicht zum Erfolg führen kann, die Vollendung der Tat mit den zur Hand
liegenden Mitteln aber noch möglich ist. Da A noch über weitere Munition verfügt, liegt ein
unbeendeter Versuch vor, von dem A nach § 24 I 1 1. Fall zurücktreten kann, wenn er freiwillig die Tat
aufgibt.
dd)
Beim dolus eventualis-Versuch und außertatbestandlicher Zielerreichung
Problematisch ist der Rücktritt, wenn der Täter sein außertatbestandliches Ziel erreicht hat.
Dies sind in der Regel Fälle, in denen der Täter das Delikt mit dolus eventualis begeht, darüber
hinaus aber ein Ziel, das sich außerhalb des Tatbestandes befindet, erstrebt.
Parklückenfall:
A ist ein schlechter Autofahrer. Er nimmt beim Einparken bedingt in Kauf, daß er ein fremdes Auto
beschädigt. A hat jedoch Glück und parkt ohne Kontakt zum fremden Fahrzeug ein. Kann A von der
versuchten Sachbeschädigung (§§ 303 II, 22, 23 I) nach § 24 I 1 1. Fall durch freiwillige Aufgabe der
Tat zurücktreten?
Nach der Gesamtbetrachtungslehre handelt es sich um einen unbeendeten nicht
fehlgeschlagenen Versuch einer Sachbeschädigung. Normalerweise reicht für den Rücktritt vom
unbeendeten Versuch damit nach § 24 I 1 1. Fall die freiwillige Aufgabe der Tat aus.
(1)
Kein Rücktritt bei außertatbestandlicher Zielerreichung
Dennoch lehnt ein Teil der Gesamtbetrachtungslehre einen Rücktritt bei vollständiger
Zielerreichung ab. So kann der Täter nichts aufgeben, wenn er sein Ziel erreicht hat und mit
dem Ergebnis seiner Tätigkeit zufrieden ist. „Aufgeben“ ist nämlich etwas anderes als
„Aufhören“. Der Täter, der sein Ziel erreicht hat, ist befriedigt und erbringt mangels Anlasses
zum Weiterhandeln keine verdienstliche Umkehrleistung in die Legalität, wenn die Fortführung
des bisherigen Angriffs infolge Zielerreichung ihren Sinn verloren hat. Das Unterlassen, einer
Handlung, die der Täter ohnehin nicht vorhat, kann nicht den strafbefreienden Rücktritt
begründen.
A hat im Parklückenfall sein Ziel: „Einparken in die Parklücke“ erreicht. Es wäre gerade sinnwidrig ihn
deshalb durch einen Rücktritt vom Versuch der Sachbeschädigung zu honorieren, weil er nicht
nochmals aus der Parklücke ausgesetzt hat und erneut in die Parklücke gefahren ist.
31
Strafrecht AT, Kapitel III:
Das Versuchsdelikt
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Für den Ausschluß des Rücktritts bei außertatbestatbestandlicher Zielerreichung spricht
darüber hinaus der Tatbegriff in § 24, der beim dolus-eventualis-Versuch eng aufzufassen ist
(natürliche Handlungseinheit). So wird die Zielvorgabe vom Tatbegriff erfaßt.
Schließlich kann man auch bei Zielerreichung die Freiwilligkeit verneinen, da dieser Täter
regelmäßig durch äußere, also heteronome Motive beeinflußt wird.
Im Parklückenfall ist A nach dieser Ansicht wegen versuchter Sachbeschädigung nach §§ 303 II, 22, 23
I ohne Rücktrittsmöglichkeit zu bestrafen.
(2)
Rücktritt bei außertatbestandlicher Zielerreichung
Demgegenüber bejaht insbesondere der Große Senat des BGH innerhalb der
Gesamtbetrachtungslehre einen Rücktritt vom unbeendeten Versuch trotz Zielerreichung.
Gegen die Argumente der anderen Ansicht trägt der Große Senat vor:
Der Gesetzesbegriff „Aufgeben“ verlangt keine Umkehr des Zurücktretenden, keinen
honorierbaren Verzicht. So ist die Gnaden- oder Prämientheorie nicht Normzweck des § 24, da
sie keinen eigenen Erklärungswert für die Gewährung der Straffreiheit bietet. Vielmehr ist mit
der generalpräventiven Strafzwecktheorie entscheidend, ob der Täter den rechtserschütternden
Eindruck in der Rechtsordnung behoben hat.
Tat im Sinne des § 24 ist die in dem gesetzlichen Tatbestand umschriebene Tathandlung und
ihr Erfolg, also die Tat im sachlich-rechtlichen Sinne. Würde man für die Fallgruppe der
Zweckerreichung bei bedingt vorsätzlich handelndem Täter nicht auf die Merkmale der
sachlich-rechtlichen Tat, sondern auf sonstige Motive des Täters abstellen, so würde den
Voraussetzungen des § 24 eine zusätzliche Bedingung angefügt.
Schließlich ist der Rücktritt vom bedingt vorsätzlichen Versuch auch freiwillig, da der Täter
weder durch eine äußere Zwangslage daran gehindert wird, noch durch einen seelischen Druck
unfähig wird, die Tat zu vollenden. Es kommt nicht auf die ethische Bewertung autonomer
Rücktrittsgründe an.
Da A noch Herr seiner Entschlüsse war und die Vollendung der Sachbeschädigung für ihn noch möglich
war, ist er durch sein Nichtweiterhandeln vom unbeendeten Versuch nach § 24 I 1 1. Fall freiwillig
strafbefreiend zurückgetreten.
(3)
Stellungnahme
Für die zuletzt genannte Meinung spricht der Opferschutzgedanke. Dieser rechtfertigt es
nämlich dem Täter möglichst lange Rücktrittschancen zu gewähren. Zudem werden durch die
Bejahung eines Rücktritts von einem unbeendeten Versuch trotz Zielerreichung doluseventualis-Täter und dolus-directus-Täter gleich behandelt.
Unproblematisch könnte A nämlich im Parklückenfall von der versuchten Sachbeschädigung nach der
Gesamtbetrachtungslehre gemäß § 24 I 1 1. Fall zurücktreten, wenn er ein fremdes Auto absichtlich
zerstören wollte, beispielsweise um sich am Eigentümer zu rächen.
32
Strafrecht AT, Kapitel III:
Das Versuchsdelikt
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Der kriminellere dolus-directus-Täter, der zurücktreten kann, wird damit nicht gegenüber dem
weniger kriminellen dolus-eventualis-Täter, der nicht mehr zurücktreten kann, nur weil er sein
außertatbestandliches Ziel erreicht hat, widersinnigerweise bevorzugt.
Darüber hinaus ist die zuletzt genannte Ansicht im Sinne der Gesamtbetrachtungslehre
konsequent, da die Vorstellung des Täters stets nach dem Rücktrittshorizont zu beurteilen ist,
wenngleich die Gesamtbetrachtungslehre sich selbst durch die Zielerreichung wieder ein
Kriterium der Anfangsvorstellung zu eigen macht.
Damit ist A im Parklückenfall nach § 24 I 1 1. Fall dadurch zurückgetreten, daß er nicht erneut eine
Rechtsgutverletzung vorgenommen hat, obwohl ihm dies durch erneutes Einparken möglich gewesen
wäre.
ee)
Halbherziger Rücktritt nach § 24 I 1 2. Fall
Vom halbherzigen Rücktritt spricht man, wenn der Täter den Erfolgseintritt beim beendeten
Versuch nach § 24 I 1 2. Alt. auf riskante, aber erfolgreiche Weise verhindert.
Nachdem A den B angeschossen hat, läßt er ihn auf den Stufen eines Krankenhauses liegen, wo er
alsbald von Patienten gefunden wird und gerettet werden kann.
(1)
Strafbefreiender Rücktritt
Teilweise wird ein Rücktritt nach § 24 I 1 2. Alt. in diesem Fall bejaht, da der Täter eine neue
Kausalkette in Gang setzt, die für die Nichtvollendung der Tat zumindest mitursächlich wird.
So steht die Möglichkeit mehr zu tun, um die Vollendung der Tat mit größerer Sicherheit zu
verhindern, dem strafbefreienden Rücktritt nach dieser Ansicht nicht entgegen. Niemand kann
behaupten, nur wer sein Bestes tue sei kausal. Ansonsten würde vom Wortlaut des Gesetzes
zu Lasten des Täters abgewichen.
(2)
Kein strafbefreiender Rücktritt
Demgegenüber verlangt die Gegenansicht zu Recht für den Rücktritt nach § 24 I 1 2. Alt. die
sichere Abwendung des Erfolges. Der Täter darf nämlich nicht unzureichende Maßnahmen
ergreifen, wenn ihm besondere Verhinderungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Wie bei § 24
I 2 muß der Täter optimale Rettungsbemühungen ergreifen. Verhindern setzt wie im
Tatbestand Tatherrschaft voraus und damit nicht jedwedes Verursachen.
b)
Beim Alleintäter nach § 24 I 2
Bleibt die Vollendung ohne Zutun des Täters aus, so kann dieser von seinem Versuch nach
§ 24 I 2 dadurch zurücktreten, daß er sich freiwillig und ernsthaft um Verhinderung der
Vollendung bemüht. Das Rücktrittsverhalten muß insofern optimal sein. Einen halbherzigen
Rücktritt gibt es bei § 24 I 2 nicht.
Erforderlich ist hierfür, daß der Täter annimmt, die Vollendung könne noch eintreten. Dies ist
typischerweise beim untauglichen Versuch der Fall.
33
Strafrecht AT, Kapitel III:
Das Versuchsdelikt
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A glaubt irrig, das harmlose Medikament, das er dem Opfer in Tötungsabsicht verabreicht hat, werde
zum Tod führen.
Auch der objektiv nicht erkannte Fehlschlag fällt hierunter.
A schießt in Tötungsabsicht auf B und verfehlt diesen. B ist nur vor Schreck in Ohnmacht gefallen. A
glaubt irrig, er habe B getroffen.
Schließlich kann die Vollendung ausbleiben, weil ein Dritter eingreift.
A ruft nach einem Tötungsversuch den Rettungswagen herbei, ohne zu wissen, daß schon ein Passant
die Rettung des verletzten Opfers veranlaßt hat.
c)
Beim Beteiligten nach § 24 II
Sind an einer Tat mehrere beteiligt, so wird nach § 24 II 1 nicht bestraft, wer freiwillig die
Vollendung verhindert. Allein die Rückgängigmachung des eigenen Tatbeitrags oder gar ein
Aufgeben der Tat genügen hierfür nicht. Damit werden in § 24 II strengere
Rücktrittsvoraussetzungen aufgestellt als in § 24 I, um der drohenden Vollendung möglichst
entgegenzusteuern. § 24 II 2 läßt auch das freiwillige und ernsthafte Bemühen um
Vollendungsverhinderung unter bestimmten Voraussetzungen ausreichen.
Da in § 28 II der Beteiligte legaldefiniert ist, bezieht sich § 24 II nach h.M. sowohl auf den
Täter als auch auf den Teilnehmer. Jeder Tatbeteiligte kann mit strafbefreiender Wirkung nur
für sich selbst zurücktreten.
aa)
Aufbau
Ein Problem im Beteiligtenrücktritt nach § 24 II ergibt sich für den Aufbau, wobei jeder
Lösungsvorschlag unbefriedigend ist.
So kann einerseits eine – ansonsten unzulässige - Inzidenterprüfung der Beteiligung beim
Alleintäter im Rahmen der Prüfung des § 24 II „mehrere beteiligt“ erfolgen. Andererseits kann
eine Abtrennung und Verschiebung des Rücktritts des Alleintäters nach Prüfung der
Strafbarkeit des Beteiligten erwogen werden. Schließlich bietet sich als letzte Möglichkeit eine
Prüfung des § 24 II beim Alleintäter bei bloßer Behauptung der Beteiligung mehrerer an.1
bb)
Rückgängigmachung des Tatbeitrags im Vorbereitungsstadium
Problematisch ist der Rücktritt des Tatbeteiligten nach § 24 II 2, der seinen Tatbeitrag noch im
Vorbereitungsstadium rückgängig macht, obgleich die übrigen Beteiligten den ursprünglichen
Tatplan vollenden.
1
Zum Teil wird im Falle eines Alleintäters und eines Gehilfen auch beim Alleintäter § 24 I angewandt, beim
Gehilfen hingegen § 24 II.
34
Strafrecht AT, Kapitel III:
Das Versuchsdelikt
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A, B und C planen, zur Nachtzeit einen Luxuswagen an sich zu bringen, um das Fahrzeug an eine
Autoschieberbande weiterzuveräußern. Von C stammt der Hinweis auf das Fahrzeug und der Standort.
Während des Gesprächs entschließt sich C jedoch, weil ihm das Unrecht des Geplanten bewußt wird, das
Vorhaben fallen zu lassen. Hierzu bedrängt er A und B, die ihm glaubhaft versprechen, den Diebstahl
nicht auszuführen. Tatsächlich begehen sie dann aber die Tat ohne C. Strafbarkeit des C?
I.
§§ 242, 25 II
C könnte einen Diebstahl in Mittäterschaft nach §§ 242, 25 II begangen haben.
Für eine Mittäterschaft zu § 242 fehlt es an der Zueignungsabsicht. Schließlich muß auch jeder
Mittäter mit Zueignungsabsicht handeln. Sie muß zum Zeitpunkt der Wegnahme vorliegen, d.h. in
dem Zeitpunkt, in dem neuer Gewahrsam begründet wird. C hat zu diesem Zeitpunkt seine
Zueignungsabsicht schon lange aufgegeben. Für eine etwaige Drittzueignungsabsicht gibt es keine
Anhaltspunkte. Die Frage, ob Mittäterschaft im Vorbereitungsstadium möglich ist, sollte sich C’s
Tatbeitrag auf den Hinweis des Standortes beschränken, kann mangels Zueignungsabsicht
dahinstehen
II.
§§ 242, 27
Am Tatbestand, an der Rechtswidrigkeit und an der Schuld bestehen keine Bedenken.
Ein Rücktritt direkt nach § 24 II 2 scheidet aus. So regelt § 24 II ausschließlich den Rücktritt eines
Beteiligten im Stadium des Versuchs. Macht ein Beteiligter dagegen einen bereits erbrachten Tatbeitrag
noch im Vorbereitungsstadium wieder rückgängig oder bemüht sich ernsthaft darum, so bestimmt sich
seine Strafbarkeit grundsätzlich nach den allgemeinen Zurechnungs- und Teilnahmeregeln.
Hiernach ist C wegen Teilnahme an der später vollendeten Tat zu bestrafen, wenn das Bemühen des
Teilnehmers, seinen bereits geleisteten Tatbeitrag noch im Vorbereitungsstadium zu neutralisieren,
erfolglos bleibt, und sein Tatbeitrag als Ursache für die Vollendung der Haupttat fortwirkt. Vorliegend
hatten A und B ihren Tatentschluß trotz der Umstimmungsbemühungen des C nicht aufgegeben, und
der Tatbeitrag des C wirkte als Ursache für die Vollendung des Diebstahls fort. Damit ist C
grundsätzlich wegen Teilnahme an der vollendeten Tat zu bestrafen.
Ob diese Haftung ausnahmsweise dann nicht greift, wenn - wie im vorliegenden Fall - der Teilnehmer
sich ernsthaft um eine Umstimmung des Täters bemüht, und dieser zum Schein auf den
Umstimmungsversuch eingeht, ist allerdings umstritten.
1. Von der ganz überwiegenden Meinung wird auch in einem solchen Fall eine Strafbarkeit des
Teilnehmers nach allgemeinen Zurechnungs- und Teilnahmeregeln bejaht, es sei denn die
Tatausführung stellt infolge des Bemühens des Zurücktretenden nach objektiver Betrachtung eine
erhebliche Abweichung vom ursprünglichen Tatplan dar. Nach dieser Ansicht ist eine Strafbarkeit
des C nach §§ 242, 27 zu bejahen.
2
Gegen diese Auffassung ergeben sich allerdings Bedenken, wenn man fragt, was von dem
Teilnehmer, der der Meinung sein durfte, den Täter erfolgreich umgestimmt zu haben, denn
eigentlich noch verlangt werden muß, um die Verhinderung der Tat zu garantieren. Selbst die
Warnung des Opfers oder die Benachrichtigung der Polizei haben keineswegs immer den
gewünschten Erfolg. Zudem ist zu berücksichtigen, daß sich hier alles noch im Vorfeld des
Angriffs auf das Rechtsgut abgespielt hat, in einem Zeitpunkt also, in dem der Tatbeitrag des C
noch nicht eigentlich gefährlich geworden ist. Hieraus folgert eine Mindermeinung, daß es genügen
muß, wenn der Teilnehmer überzeugt sein durfte, daß die Tat infolge seiner
Umstimmungsbemühungen nicht geschehen werde. Dem Teilnehmer muß es zugute kommen, daß
es sich aus seiner Sicht um einen Exzeß des Haupttäters handelt und hinsichtlich des
Erfolgseintritts eine wesentliche Abweichung im Kausalverlauf vorliegt. Daher sei § 24 II 2 1. Alt.
analog anzuwenden. Vorliegend hatte sich C ernsthaft um eine Umstimmung der A und B bemüht,
und diese waren auch - für C glaubhaft - darauf eingegangen. C wäre also analog § 24 II 2 1. Alt.
straflos.
3.
Gegen diese Mindermeinung läßt sich anführen, daß ein spezifisches Gefahrenmoment bei der
Beteiligung mehrerer gerade darin besteht, daß derjenige, der seinen Beitrag geleistet und damit für
seine Person das Geschehen aus der Hand gegeben hat, den weiteren Kausalverlauf nur noch
dadurch steuern kann, daß er die Tatausführung unmöglich macht. Versucht er dies durch einen
Umstimmungsversuch des anderen Beteiligten, so begibt er sich in Abhängigkeit von dessen
gutem Willen und muß es letztlich ihm überlassen, ob die Tat begangen wird oder nicht. Dann
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Strafrecht AT, Kapitel III:
Das Versuchsdelikt
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muß der Teilnehmer aber auch das sich aus der Situation ergebende Risiko des Mißlingens seiner
Umstimmungsbemühungen tragen. Folglich ist C strafbar nach §§ 242, 27.
8. Regelbeispiele
Problematisch ist der Versuch im Rahmen von Regelbeispielen wie z.B. §§ 243, 267 III. So sind
Regelbeispiele Strafzumessungsnormen und keine Tatbestandsmerkmale, so daß es schon
begrifflich den Versuch eines besonders schweren Falles nicht geben könnte. Fraglich ist
deshalb, ob und unter welchen Umständen der Versuch nach § 243 strafverschärft sein kann.
Dabei sind folgende drei Fälle zu unterscheiden:
a)
Grunddelikt versucht/Regelbeispiel verwirklicht
Ist nur das Grunddelikt versucht, das Regelbeispiel allerdings verwirklicht, wird durchweg die
Auffassung vertreten, daß der besonders schwere Fall indiziert ist.
Nachdem A in einen Geschäftsraum eingebrochen war, muß der Täter mangels Beute abziehen.
A ist strafbar nach §§ 242 I, II, 22, 23 I, 243 I 2 Nr. 1.
b)
Grunddelikt versucht/Regelbeispiel versucht
Ist das Grunddelikt und das Regelbeispiel hingegen versucht, ist strittig, ob es einen Versuch
eines Regelbeispiels geben kann.
Die aufzubrechende Tür des Geschäftsraumes ist offen und A findet keine Beute.
aa) Bestrafung aus dem Grunddelikt
Teilweise wird angenommen, der besonders schwere Fall sei nur dann indiziert, wenn der
Erschwerungsgrund des Regelbeispiels voll verwirklicht worden sei.
Zur Begründung wird der Wortlaut herangezogen. So liegt nach § 243 StGB ein besonders
schwerer Fall in der Regel dann vor, wenn der Täter zur Ausführung der Tat in einen
umschlossenen Raum einbricht usw., nicht dagegen schon dann, wenn er dies lediglich
versucht. Zudem führt - so wird behauptet - eine andere Beurteilung zu einer unzulässigen
Analogie. Sowohl dem Wortlaut als auch dem Sinn der Vorschrift nach erfordert die
Indizwirkung der Regelbeispiele für die Annahme eines besonders schweren Falles, daß das
Regelbeispiel voll verwirklicht ist.
Nach dieser Ansicht ist A nur nach §§ 242, 22, 23 I zu bestrafen.
bb)
Bestrafung aus dem Regelbeispiel
Demgegenüber kommt nach der vorzugswürdigeren Ansicht des BGH der Versuch des § 242
StGB in einem besonders schweren Fall auch dann in Betracht, wenn weder der geplante
Diebstahl, noch das in Aussicht genommene Regelbeispiel über das Versuchsstadium hinaus
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Strafrecht AT, Kapitel III:
Das Versuchsdelikt
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gelangt ist. Der anderen Meinung hält sie zu Recht entgegen, daß auch in Tatbeständen - außer
in Unternehmenstatbeständen - immer vom vollendeten Delikt die Rede ist. Zudem spricht für
die Strafbarkeit die Ähnlichkeit des Regelbeispiels zum Tatbestand. So entspricht diese
Auslegung der Gesetzesentwicklung des § 243, der früher eine selbständige Qualifikation war
und heute zum Teil in § 244 I Nr. 3 wieder eine Qualifikation geworden ist. Der Gesetzgeber
wollte durch die Umänderung in ein Regelbeispiel nicht den Anwendungsbereich einengen,
sondern dem Tatrichter die Möglichkeit geben, sich im Einzelfall von der Bindung an den
schärferen Rahmen zu lösen. Ob Erschwerungsgründe als Qualifikationstatbestände oder als
Strafzumessungsregeln ausgestaltet sind, ist nur eine formale Frage. So ist beispielsweise die
Gewerbsmäßigkeit beim Diebstahl Strafzumessungsgrund (§ 243 I 2 Nr. 3 StGB), während sie
bei der Hehlerei einen Qualifikationstatbestand darstellt (§ 260 I Nr. 1 StGB).
Der Täter ist deshalb im Beispielsfall nach §§ 242, 22, 23 I, 243 I 2 Nr. 1 strafbar.
c)
Grunddelikt vollendet/Regelbeispiel versucht
Der unter b) dargestellte Streit muß bei der Konstellation: Grunddelikt vollendet/Regelbeispiel
versucht entsprechend gelten. Da hier im Gegensatz zur Fallgruppe b) sogar das Grunddelikt
vollendet ist, drängt sich der Schluß a minore ad maius auf.
Die aufzubrechende Tür ist offen und A nimmt die Beute mit.
A ist also mit der vorzugswürdigeren Ansicht der Rechtsprechung nach §§ 242, 243 I 2 Nr. 1 zu
bestrafen.
Zusammenfassung XV: Konstellationen des Versuchs im Zusammenhang mit einem
Regelbeispiel (am Beispiel des § 243)
Grunddelikt vollendet
Grunddelikt versucht
Regelbeispiel vollendet
§§ 242, 243
§§ 242, 22, 23 I, 243
Regelbeispiel versucht
§ 242 oder §§ 242, 243
§§ 242, 22, 23 I oder §§ 242, 22, 23 I,
243
9. § 23 III: Versuch aus grobem Unverstand
Schließlich kann beim Versuch aus grobem Unverstand nach § 23 III StGB von Strafe
abgesehen werden oder die Strafe gemildert werden. Wie bereits unter III. 3. b) aa) dargestellt,
bedeutet grober Unverstand dabei eine völlig abwegige Vorstellung von gemeinhin bekannten
Ursachenzusammenhängen. Der Irrtum, dem der Täter erlegen ist, muß sich für jeden
Menschen mit durchschnittlichem Erfahrungswissen geradezu aufdrängen.
So ist dies z.B. anzunehmen, wenn ein Täter glaubt mit Lindenblütentee eine Schwangerschaft
unterbrechen zu können. Der Versuch des Schwangerschaftsabbruchs nach § 218 IV kann gemildert
werden oder es kann von Strafe abgesehen werden.
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Strafrecht AT, Kapitel III:
Das Versuchsdelikt
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Zusammenfassung XVI: Grob unverständiger Versuch
Untauglicher Versuch
Grob unverständiger Versuch
Irrealer Versuch
Strafbar arg. e § 23 III StGB
§ 23 III StGB: Absehen von Strafe
oder fakultative Strafmilderung
Völlig abwegige Vorstellung von
gemeinhin bekannten
Ursachenzusammenhängen.
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Straflos
1.
2.
3.
Kein Tatentschluß
Kein unmittelbares Ansetzen
Zwingende Straflosigkeit nach
§ 23 III