INFOblatt: Steinigungen in Iran
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INFOblatt: Steinigungen in Iran
amnesty international Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V. INFOblatt: Steinigungen in Iran . © Yves Logghe/AP »Der Lastwagen lud eine große Menge Steine und Kiesel am Rande des unbebauten Feldes ab. Dann wurden zwei weiß gekleidete Frauen mit Säcken über den Köpfen an den Ort geführt … (sie) wurden von einem Hagel von Steinen getroffen, und bald sahen sie aus wie zwei rote Säcke … Die verwundeten Frauen fielen zu Boden und Angehörige der Revolutionsgarden schlugen ihnen mit einer Schaufel die Schädel ein, um sicherzustellen, dass sie tot waren« Augenzeugenbericht einer Steinigung in Iran, 1987 Am 21. November 2006 erklärte der inzwischen verstorbene iranische Justizminister Jamal KarimiRad, in Iran würde niemand gesteinigt. Nach Informationen von amnesty international werden Steinigungsurteile unverändert gefällt und vollstreckt. Die Steinigung ist eine besondere Art der Vollstreckung eines Todesurteils, die bereits für viele Gesellschaften des Altertums bezeugt ist. Dabei wird der Delinquent vor den Augen von Richtern, Zeugen und Schaulustigen so lange mit scharfkantigen Steinen beworfen, bis der Tod eintritt. Diese Hinrichtungsmethode ist extrem grausam, da sie darauf abzielt, dem Opfer vor Eintreten des Todes schwerste Schmerzen zuzufügen. Die Ausführungsbestimmungen sehen vor, dass die verwendeten Steine so gewählt werden sollen, dass sie das Opfer nicht sofort töten. Ehebruch gilt in der Islamischen Republik Iran als Straftat, auf die nach dem Gesetz der Tod durch Steinigung steht. Die Todesstrafe durch Steinigung Obwohl Iran im Dezember 2002 zugesichert hatte, keine Menschen mehr zu steinigen, hat es seitdem mehrfach Hinrichtungen dieser Art gegeben. Nach Kenntnis von amnesty international (ai) sind seit Mai 2006 mindestens drei Menschen gesteinigt worden, zuletzt am 5. Juli 2007. Ende März 2008 waren gegen mindestens zehn Frauen und zwei Männer Todesurteile durch Steinigung anhängig. Der Tod durch Steinigung ist für außerehelichen Geschlechtsverkehr vorgesehen, wenn ein Mann oder eine Frau daran beteiligt waren, die mit anderen Personen verheiratet sind (Ehebruch). amnesty international hat mehrere Fälle dokumentiert, in denen die Todesstrafe durch Steinigung verhängt wurde. Informationen über Steinigungen werden von der iranischen Justiz strikt geheim gehalten. Es ist deshalb davon auszugehen, dass es bei Steinigungen eine Dunkelziffer gibt. In Iran hat es immer wenige Steinigungen im Verhältnis zur Zahl der Exekutionen durch andere Hinrichtungsmethoden gegeben, die in ihrer großen Mehrzahl durch den Strang vollzogen werden. Die Kritik von amnesty international an Steinigungsurteilen liegt insofern nicht allein in ihrer Anzahl begründet, sondern vor allem darin, dass Iran seine internationalen Verpflichtungen im Bereich der Menschenrechte missachtet. Internationale Verpflichtungen Die islamische Republik Iran ist Vertragsstaat des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte, IPBPR der Vereinten Nationen. Mit seiner Praxis, für Ehebruch die Todesstrafe zu verhängen und diese durch Steinigung zu vollziehen, verstößt das Land gegen mehre Artikel dieses Paktes. In Artikel 6 Absatz 2 heißt es, die Todesstrafe darf in den Staaten, in denen sie noch nicht abgeschafft ist, „nur für schwerste Verbrechen“ verhängt werden. Mehrere UN-Resolutionen haben klar definiert, dass der Begriff „schwerste Verbrechen“ nicht weiter zu fassen ist als vorsätzlich begangene Delikte mit tödlichen oder anderen äußerst ernsten Konsequenzen. Der UN-Menschenrechtsausschuss hat (im Fall Toonen gegen Australien) unmissverständlich deutlich gemacht, dass die Behandlung von Ehebruch und außerehelichem Geschlechtsverkehr als Straftaten gegen internationale Menschenrechtsstandards verstößt. Die Steinigung, die darauf ausgerichtet ist, das Leiden der Verurteilten noch zu verstärken, ist eine der schmerzhaftesten und qualvollsten Formen der Hinrichtung. Sie verstößt sowohl gegen Artikel 6 (Recht auf Leben) als auch gegen Artikel 7 (Verbot der Folter und anderer grausame, unmenschlicher und erniedrigender Form der Behandlung oder Strafe) des IPBPR. Die Hohe Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Louise Arbour, bekräftigte am 10. Juli 2007, die Steinigung bedeute „eine klare Verletzung internationalen Rechts“. Nationale Gesetzgebung Das iranische Strafrecht stellt als zina bezeichnete unerlaubte sexuelle Handlungen unter Strafe. So definiert Paragraf 72 des Strafgesetzbuchs Ehebruch (zena-ye mohaseneh) als Straftatbestand. Auf der Grundlage von Paragraf 83 wird jeder, der des außerehelichen Geschlechtsverkehrs für schuldig befunden wird, mit dem Tod durch Steinigung (wenn der Täter bzw. die Täterin verheiratet ist) respektive 100 Peitschenhiebe (wenn der Täter bzw. die Täterin nicht verheiratet ist) bestraft. Als gerichtliche Beweismittel dienen laut Gesetz entweder das freiwillige Geständnis der Schuldigen, welches vier Mal wiederholt werden muss, oder das Augenzeugnis von mindestens vier Männern oder drei Männern und zwei Frauen (die Anzahl der erforderlichen Augenzeugen kann je nach Auslegung des Straftatbestands variieren) oder wenn der Richter „Erkenntnisse“ hat. Frauen sind überdurchschnittlich häufig von Steinigungen betroffen. Ein Grund dafür besteht darin, dass sie vor dem Recht nicht gleich sind und vor den Gerichten nicht gleichbehandelt werden. Männer dürfen eine Vielzahl von Zeitehen eingehen, die verhindern, dass sie sich des Ehebruchs schuldig machen. Zudem ist es ihnen erlaubt, bis zu vier Frauen gleichzeitig zu heiraten. In Anbetracht der vielen Berichte über unfaire Verfahren muss ebenfalls bezweifelt werden, dass bei der Verhängung der Todesstrafe wegen Ehebruchs die strengen Beweisanforderungen in jedem Fall eingehalten werden. Der Rechtsweg Gegen alle Todesurteile kann Berufung eingelegt werden. Bei Todesurteilen, die wegen Ehebruchs verhängt wurden, kann beim Staatsoberhaupt und Religionsführer Ajatollah Sayed 'Ali Khamenei allerdings nur dann ein Gnadengesuch gestellt werden, wenn die verurteilte Person die Tat gestanden und bereut hat. Gesetzliche Bestimmungen sehen vor, dass nach dem öffentlichen Bekunden der Reue der Fall an eine Amnestie- und Begnadigungskommission weitergeleitet wird, die der Obersten Justizautorität (Leiter der Justizbehörden) zuarbeitet. Das Staatsoberhaupt und Religionsführer hat die Vollmacht, auf Empfehlung der Obersten Justizautorität und „in Übereinstimmung mit islamischen Prinzipien“ Begnadigungen auszusprechen oder Strafen zu mildern oder umzuwandeln. Die Vollstreckung Das Strafgesetzbuch enthält genaue Regelungen über die Steinigung. Paragraf 102 schreibt fest, dass Männer zur Steinigung bis zur Hüfte und Frauen bis unter die Brust eingegraben werden, und Paragraf 104 gibt Anweisungen in Bezug auf die Steinigung wegen Ehebruchs. So sollten die verwendeten Steine laut Vorschrift nicht so groß sein, dass die verurteilte Person nach ein bis zwei Steinwürfen stirbt, aber auch nicht so klein, dass man sie nicht als Steine bezeichnen könnte. Kann sich ein Verurteilter aus eigener Kraft aus der Grube befreien, was schier unmöglich scheint, bestimmt Artikel 103 das weitere Vorgehen. Falls der unerlaubte Geschlechtsverkehr durch Zeugen bewiesen wurde, wird der oder die Verurteilte zur Vollstreckung zurückgebracht. Wurde dieser jedoch durch ein Geständnis bewiesen, so wird er oder sie nicht zurückgeholt. Nach Paragraf 101 des Strafgesetzbuchs soll die Todesstrafe durch Steinigung öffentlich vollzogen werden. Die Position von amnesty international amnesty international wendet sich in allen Fällen vorbehaltlos gegen die Todesstrafe, weil sie eine Verletzung des Rechts auf Leben (des fundamentalsten Menschenrechts) und des Rechts, keiner grausamen, unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe unterworfen zu werden, darstellt. Diese Rechte sind in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verankert sowie im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte enthalten, den auch Iran ratifiziert hat. amnesty international bezieht keine Stellung zu den kulturellen, religiösen oder politischen Werten, auf denen ein bestimmtes Rechtssystem basiert, besteht aber darauf, dass Gesetze und juristische Verfahren mit international anerkannten Menschenrechtsstandards in Einklang stehen und dass Iran seinen internationalen Verpflichtungen im Bereich der Menschenrechte nachkommt. amnesty international fordert die iranische Regierung auf, alle noch geplanten Steinigungen auszusetzen und die Anwendung der Todesstrafe durch Steinigung sowie die Bestrafung von einvernehmlichen außerehelichen sexuellen Beziehungen zwischen Erwachsenen im privaten Bereich auf Gesetzesebene endgültig abzuschaffen. Zudem sollte Iran als Unterzeichnerstaat des IPBPR auf die Abschaffung der Todesstrafe hinarbeiten. amnesty international unterstützt die iranische Initiative zur Abschaffung der Todesstrafe durch Steinigung (Stop Stoning forever). Diese Gruppe von Menschenrechtsverteidigern hat seit Mitte des Jahres 2006 sechs Menschen vor der Steinigung bewahren können. amnesty international ist besorgt, dass den iranischen Aktivistinnen und Aktivisten wegen ihres Einsatzes möglicherweise Repressalien drohen. amnesty international, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V. Koordinationsgruppen Iran, gegen die Todesstrafe und Menschenrechtsverletzungen an Frauen Postfach 10 02 15, 52002 A a c h e n www.amnesty-iran.de | www.amnesty-todesstrafe.de | www.amnesty-frauen.de Stand: 8. April 2008