Lisi Harrison Monster High Eine Party zum Verlieben

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Lisi Harrison Monster High Eine Party zum Verlieben
Lisi Harrison
Monster High
Eine Party zum Verlieben
So kommst du ganz einfach zum Extra-Film:
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Alles Wichtige findest du dort.
Lisi Harrison
schrieb Kolumnen für Zeitschriften und konzipierte und
entwickelte Shows für MTV. Seit 2004 ist sie ausschließlich als
Autorin für Kinder- und Jugendbücher tätig.
Inzwischen lebt sie in Laguna Beach und liebt es, dass sie
nun von ihrem Schreibtisch aus den Strand sehen kann.
Das Hörbuch »Monster High. Eine Party zum Verlieben«
ist bei Arena audio erschienen.
Von Lisi Harrison ist außerdem im Arena Verlag die Reihe
Die Glamour-Clique
erschienen.
Lisi Harrison
Eine Party zum Verlieben
Aus dem Amerikanischen
von Simone Wiemken
Die Personen und Ereignisse in diesem Buch sind fiktiv.
Jede Ähnlichkeit zu real lebenden oder toten Personen ist zufällig
und von der Autorin nicht beabsichtigt.
Monster High and associated trademarks are owned by and used
under license from Mattel, Inc.
© 2010 Mattel, Inc. All Rights Reserved.
Dieses Werk erschien erstmals 2010 bei Little, Brown and Company,
New York, im Imprint Poppy unter dem Titel »Monster High«.
2. Auflage 2011
© für die deutsche Ausgabe 2011 Arena Verlag GmbH, Würzburg
Alle Rechte vorbehalten
Aus dem Amerikanischen von Simone Wiemken
Covergestaltung: Frauke Schneider
Cover © 2010 Mattel, Inc.
Gesamtherstellung: Westermann Druck Zwickau GmbH
ISBN 978-3-401-06626-4
www.arena-verlag.de
Mitreden unter forum.arena-verlag.de
Prolog
Frankie Steins dichte Wimpern flatterten. Weiße Lichtblitze
zuckten vor ihren Lidern, aber es war zu anstrengend, die
Augen ganz zu öffnen. Schon wurde es wieder dunkel um
sie.
»Ihr zerebraler Kortex ist geladen«, sagte eine Männerstimme, aus der Befriedigung, aber auch Erschöpfung herauszuhören waren.
»Kann sie uns hören?«, fragte eine Frau.
»Hören, sehen, verstehen und mehr als vierhundert Gegenstände erkennen«, verkündete die Männerstimme stolz.
»Wenn ich ihr Gehirn weiter mit Informationen füttere, wird
sie in zwei Wochen die Intelligenz und die körperlichen Fähigkeiten einer normalen Fünfzehnjährigen haben.« Die
Stimme verstummte kurz. »Okay, sie wird etwas klüger sein.
Aber trotzdem fünfzehn.«
»Oh, Viktor, das ist der glücklichste Augenblick meines Lebens«, seufzte die Frau. »Sie ist perfekt.«
»Ich weiß«, erwiderte er, ebenfalls zu Tränen gerührt. »Sie
ist Daddys perfektes kleines Mädchen.«
Nacheinander küssten sie Frankies Stirn. Einer von ihnen
roch nach Chemikalien, der andere nach süßen Blumen. Zusammen dufteten sie nach Liebe.
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Frankie versuchte wieder, ihre Augen zu öffnen. Aber diesmal schaffte sie es kaum, ihre Lider zucken zu lassen.
»Sie hat geblinzelt!«, jubelte die Frau. »Sie versucht, uns
anzusehen! Frankie, ich bin Viveka, deine Mommy. Kannst
du mich sehen?«
»Kann sie nicht«, sagte Viktor.
Bei diesen Worten spannten sich Frankies Muskeln an. Wie
konnte jemand anderes bestimmen, wozu sie fähig war? Das
ergab doch keinen Sinn.
»Warum nicht?« Es war, als fragte ihre Mutter für sie beide.
»Ihr Akku ist fast leer. Sie muss neu aufgeladen werden.«
»Dann lad sie doch auf!«
Genau, lad mich auf! Lad mich auf! Lad mich auf!
Frankie wünschte sich nichts sehnlicher, als diese vierhundert Gegenstände zu sehen. Sie wollte die Gesichter ihrer Eltern betrachten, wenn sie mit ihren liebevollen Stimmen diese Gegenstände benannten. Sie wollte lebendig werden und
die Welt erforschen, in die sie gerade hineingeboren worden
war. Doch sie konnte sich nicht bewegen.
»Das geht noch nicht. Ich kann sie erst aufladen, wenn die
Kontakte richtig festsitzen«, erklärte ihr Vater.
Viveka fing an zu weinen und ihr Schluchzen klang jetzt
alles andere als freudig.
»Schon gut, Schatz«, tröstete Viktor. »Noch ein paar Stunden, dann wird sie vollkommen stabil sein.«
»Das ist es nicht.« Sie atmete scharf ein.
»Was dann?«
»Sie ist so wunderschön und hat noch so vieles vor sich
und es . . .«, sie schluchzte kurz auf, ». . . es bricht mir das
Herz, dass sie so leben muss . . . du weißt schon . . . wie wir.«
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»Was ist verkehrt an uns?«, fragte er, doch etwas an seiner
Stimme verriet, dass er es wusste.
Sie kicherte unsicher. »Du machst Witze, oder?«
»Viv, so wird es nicht immer bleiben«, sagte Viktor. »Die
Zeiten ändern sich. Du wirst sehen.«
»Wie? Und wer soll sie ändern?«
»Ich weiß nicht, irgendjemand wird es tun . . . irgendwann.«
»Ich hoffe, dass wir dann noch da sein werden, um es zu erleben«, seufzte sie.
»Das werden wir«, versicherte ihr Viktor. »Wir Steins sind
noch alle steinalt geworden.«
Sie lachte leise.
Frankie wollte unbedingt wissen, was es mit diesen »Zeiten« auf sich hatte, die sich »ändern« würden. Aber im Moment war es undenkbar, eine Frage zu formulieren, weil ihr
Akku inzwischen völlig leer war.
Sie hatte das Gefühl zu schweben, fühlte sich gleichzeitig
aber auch tonnenschwer. Frankie versank tiefer in der Dunkelheit und erreichte einen Ort, an dem sie die Menschen um
sich herum nicht mehr hören konnte. Und wo sie sich nicht
mehr an ihre Unterhaltung oder ihren Blumen- und Chemikalienduft erinnern konnte.
Sie konnte nur hoffen, dass das, wofür Viveka »noch da«
sein wollte, um es zu erleben, da war, wenn sie wieder aufwachte. Und wenn es nicht da war, dass sie dann die Fähigkeit besaß, es für ihre Mutter zu beschaffen.
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Ein fabelhafter Neuanfang
Die vierzehnstündige Fahrt von Beverly Hills in Kalifornien
nach Salem in Oregon war der totale Horror. Schon in den
ersten Minuten zeichnete sich ab, dass es keine normale Autofahrt werden würde, sondern eine Reise ins Land der
Schuldgefühle. Und diese Folter sollte die nächsten neunhundert Meilen anhalten. Melody Carvers einziger Ausweg
war es, so zu tun, als ob sie schliefe.
»Willkommen in Blöd-Oregon«, murmelte ihre große
Schwester, als sie die Staatsgrenze überquerten. »Oder sollte
ich es Schnarch-Oregon nennen? Oder Langweil-Oregon?
Oder vielleicht . . .«
»Das reicht, Candace«, mahnte ihr Vater vom Fahrersitz ihres neuen BMW-Geländewagens. Er war nicht nur ökogrün
lackiert, sondern auch umweltfreundlich, weil spritsparend –
und nur eine der vielen Bemühungen von Beau und Glory
Carver, den Einheimischen zu zeigen, dass sie mehr waren
als hervorragend aussehende, reiche Leute, die es von Beverly Hills, 90210 in ihr Kaff verschlagen hatte.
Die sechsunddreißig vorausgeschickten UPS-Kisten mit
Kajaks, Surfbrettern, Angelruten, Wasserflaschen, LehrDVDs zum Thema Weinprobe, Bio-Studentenfutter, Campingsachen, Bärenfallen, Walkie-Talkies, Steigeisen, Eispi8
ckeln, Kletterhämmern, Breitäxten, Skiern, Stiefeln, Stöcken,
Snowboards, Helmen, Burton-Outdoorklamotten und Flanellunterwäsche sollten denselben Zweck erfüllen.
Das Gemecker wurde nur noch lauter, als es anfing zu regnen. »Ahhh, August in Klatschnass-Oregon!«, schnaufte
Candace abschätzig. »Ist das nicht super?« Dann verdrehte
sie die Augen. Melody musste nicht hinsehen, sie wusste es
auch so. Trotzdem spähte sie unter ihren fast geschlossenen
Lidern hindurch, um sicherzugehen.
»Paaahh!« Candace trat beleidigt gegen die Rückenlehne
des Sitzes ihrer Mutter. Dann putzte sie sich die Nase und
schleuderte das feuchte Taschentuch zu Melody hinüber, wo
es an ihrer Schulter hängen blieb. Melodys Herzschlag beschleunigte sich, sie schaffte es aber, sich nicht zu rühren.
Das war einfacher, als zu streiten.
»Ich seh das echt nicht ein«, beschwerte sich Candace weiter. »Melody hat fünfzehn Jahre lang Smog eingeatmet und
überlebt. Ein weiteres Jahr bringt sie bestimmt nicht um. Sie
kann doch eine von diesen Atemmasken tragen. Die Leute
könnten darauf unterschreiben wie auf einem Gips. Vielleicht wird daraus ein ganz neuer Trend für Asthmatiker.
Wie Inhaliergeräte an einer Halskette oder . . .«
»Candi, das reicht«, seufzte Glory, offensichtlich genervt
von dieser Debatte, die nun schon einen Monat andauerte.
»Aber nächsten September werde ich aufs College gehen«,
bohrte Candace weiter, die es nicht gewohnt war, bei einer
Diskussion den Kürzeren zu ziehen. Sie war blond und perfekt gebaut – und Mädchen wie sie kriegten immer, was sie
wollten. »Hättet ihr mit dem Umzug nicht dieses eine Jahr
warten können?«
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»Dieser Umzug wird uns allen guttun. Es geht dabei nicht
nur um das Asthma deiner Schwester. Merston High ist eine
der besten Schulen in Oregon. Außerdem können wir hier
zur Natur zurückfinden und die Oberflächlichkeit von Beverly Hills hinter uns lassen.«
Melody grinste verstohlen. Ihr Vater Beau war ein gefeierter Schönheitschirurg und ihre Mutter war persönliche Einkäuferin der Stars gewesen. »Oberflächlichkeit« war ihr beider Herr und Meister. Und sie waren ihre Zombies. Aber Melody wusste durchaus zu würdigen, dass ihre Mutter immer
wieder versuchte, Candace davon zu überzeugen, dass nicht
sie schuld an diesem Umzug war. Obwohl sie doch zum Teil
schuld war.
In einer Familie genetisch perfekter menschlicher Wesen
war Melody Carver eine Anomalie. Ein Außenseiter. Aus der
Art geschlagen. Nicht normal.
Beau sah auf eine italienische Art umwerfend aus, obwohl
er ein echter Kalifornier war. Das Funkeln in seinen schwarzen Augen erinnerte an Sonnenschein auf einem See. Sein
Lächeln wärmte wie Kaschmir und seine Dauerbräune hatte
seiner sechsundvierzig Jahre alten Haut nichts anhaben können. Und mit dem exakt richtigen Verhältnis von Haarlänge
zu Haargel hatte er mehr männliche Patienten an Land gezogen als jeder andere. Jeder dieser Patienten hatte gehofft,
nach dem Abwickeln der Verbände genauso alterslos auszusehen wie er.
Glory war zweiundvierzig, aber sie hatte es Beau zu verdanken, dass ihre makellose Haut schon lange, bevor es nötig wurde, gestrafft und geliftet worden war. Das vermittelte
die Illusion, dass sie mit einem ihrer pedikürten Füße bereits
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den Plan der menschlichen Evolution verlassen und eine
Stufe der Entwicklung übersprungen hatte – die Stufe, in der
es keine Schwerkraft gab und das Altern mit vierunddreißig
einfach aufhörte. Mit ihren gewellten kastanienbraunen
Haaren, den meerblauen Augen und den sinnlichen Lippen,
die so voll waren, dass sie kein Kollagen brauchten, hätte
Glory modeln können, wenn sie nicht so ein zartes Persönchen gewesen wäre. Das sagten alle. Aber da sie ohnehin nie
stillstand, hatte sie stets beteuert, dass sie sich immer wieder
für ein Leben als persönliche Einkäuferin entschieden hätte,
sogar, wenn Beau ihr eine Wadenverlängerung gemacht hätte.
Candace, die Glückliche, war eine Mischung aus beiden.
Wie ein Alpha-Raubtier verschlang sie alles, was gut war,
und ließ dem Nächsten in der Schlange nur die Krümel übrig.
Da sie die Größe ihrer Mutter geerbt hatte, kam eine Modelkarriere auch für sie nicht infrage, aber es füllte ihren Kleiderschrank, der mit abgelegten Klamotten von GAP bis Gucci – überwiegend Gucci – zum Bersten voll war. Candace
hatte Glorys meerblaue Augen mit Beaus sonnigem Funkeln,
Beaus Bräune und Glorys makellose Haut. Ihre Wangenknochen schienen gemeißelt – wie ein Marmorgeländer. Und ihre langen Haare, die ganz nach Wunsch mal glatt und mal
gewellt waren, hatten die Farbe von Butter mit Strähnchen
in geschmolzenem Karamell. Candis Freundinnen (und ihre
Mütter) machten oft Fotos von ihrem vollkommenen Kiefer,
dem makellosen Kinn oder der geraden Nase und gaben sie
Beau – in der Hoffnung, dass seine Hände dasselbe Wunder
vollbrachten, das bei ihr die Gene vollbracht hatten. Und natürlich kriegte er es jedes Mal hin.
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Sogar bei Melody.
Sie war überzeugt, dass sie als Baby von der falschen Familie aus dem Krankenhaus mitgenommen worden war, und
ihr Aussehen war ihr deshalb ziemlich egal. Wieso auch
nicht? Ihr Kinn war kaum vorhanden, ihre Zähne sahen aus
wie Reißzähne und ihre Haare waren einfach schwarz. Keine
Strähnchen. Keine Nuancen. Keine Butter oder geschmolzenes Karamell. Einfach nur schwarz. Ihre Augen funktionierten prima, waren aber so stahlgrau und schauten so skeptisch wie die einer Katze. Nicht dass jemand ihre Augen bemerkt hätte. Dazu forderte ihre Nase zu viel Aufmerksamkeit. Mit ihren zwei Höckern sah sie aus, als hätte Melody ein
Kamel im Gesicht.
Das alles hatte keine Bedeutung für Melody, denn für sie
war die Gabe, singen zu können, das größte Privileg. Ihre
Musiklehrer flippten regelmäßig aus, wenn sie ihre wundervolle Stimme hörten. Klar, engelsgleich und betörend – sie
verzauberte jeden, sodass es den Zuhörern jedes Mal Tränen
in die Augen trieb und sie nach ihren Auftritten aufsprangen, um ihr zu applaudieren. Aber nachdem im Alter von
acht Jahren ihr Asthma auftrat, hatte sich das Singen erledigt.
Als Melody in die Mittelstufe kam, hatte Beau ihr angeboten, sie zu operieren. Aber Melody hatte sich geweigert. Eine
neue Nase würde ihr Asthma nicht heilen – wozu also die
Mühen? Sie musste nur bis zur Highschool durchhalten und
dann würde sich alles ändern. Dann wären die Mädchen weniger oberflächlich. Die Jungs nicht mehr so kindisch. Und es
würde ohnehin nur noch um die schulischen Leistungen gehen.
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Von wegen!
An der Beverly Hills High wurde es nur noch schlimmer.
Die Mädchen nannten sie wegen ihrer Riesennase nur noch
Smellody. Die Jungs gaben ihr zwar keine Schimpfnamen,
aber das lag nur daran, dass sie sie überhaupt nicht bemerkten. Schon nach den ersten Wochen war sie praktisch unsichtbar. Hätte sie nicht dauernd aus dem letzten Loch gepfiffen und an ihrem Inhalator gesaugt, hätte keiner gewusst, dass sie überhaupt am Leben war.
Beau konnte es nicht ertragen, dass seine Tochter – die
»voll symmetrischen Potenzials« war – noch länger litt. Zu
Weihnachten erklärte er Melody deshalb, dass der Weihnachtsmann die Zulassung für eine neue Form der Nasenkorrektur bekommen hatte, die die Atemwege öffnen und die
Beschwerden bei Asthma lindern sollte. Vielleicht würde sie
auch wieder singen können.
»Wie wundervoll!« Glory hatte ihre kleinen Hände wie zum
Gebet gefaltet und die Augen dankbar in Richtung Zimmerdecke gehoben.
»Kein dicker Rudi-das-Rentier-Rüssel mehr«, hatte Candace gewitzelt.
»Hier geht es um ihre Gesundheit, Candace, nicht um ihr
Aussehen«, hatte Beau geschimpft. Anscheinend versuchte
er, Melody auf halbem Wege entgegenzukommen.
»Wow! Das ist großartig.« Melody hatte ihren Vater dankbar gedrückt, obwohl sie nicht sicher war, ob Nasen überhaupt etwas mit verengten Bronchien zu tun hatten. Aber so
zu tun, als glaubte sie seine Theorie, gab ihr wenigstens ein
bisschen Hoffnung. Und es war leichter, als sich einzugestehen, dass ihre Familie sich für sie schämte.
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Noch in den Weihnachtsferien ließ Melody sich operieren.
Und musste beim Aufwachen feststellen, dass sie eine
schmale Jessica-Biel-Stupsnase und Veneers auf ihren Reißzähnen hatte. Als sie sich von dem Eingriff erholt hatte, war
sie fünf Pfund leichter und kam ebenfalls in den Genuss der
abgelegten Klamotten ihrer Mutter – von GAP bis Gucci
(aber überwiegend Gucci). Singen konnte sie aber leider immer noch nicht.
Zurück an der Beverly Hills High waren die Mädchen
freundlicher, die Jungs starrten sie an und plötzlich war sie
mittendrin. So akzeptiert zu werden, hatte sie niemals erwartet.
Aber diese plötzliche Beliebtheit machte Melody kein bisschen glücklicher. Statt aus sich herauszugehen und zu flirten, zog sie sich immer weiter in ihr Schneckenhaus zurück,
weil sie sich vorkam wie die Edelschultasche ihrer Schwester – von außen wunderschön und glänzend, aber innen ein
furchtbares Durcheinander. Wie können die es wagen, nett
zu mir zu sein, nur weil ich hübsch bin? Ich bin derselbe
Mensch, der ich immer war!
Im darauf folgenden Sommer hatte Melody sich vollkommen abgekapselt. Sie trug schlabberige Klamotten, hatte
aufgehört, sich die Haare zu kämmen, und als einziger
Schmuck hing ihr Inhalator an einer Gürtelschlaufe.
Während der alljährlichen Grillparty bei den Carvers am
vierten Juli (bei der sie früher immer die Nationalhymne gesungen hatte) hatte Melody einen so schlimmen Asthmaanfall erlitten, dass sie im Krankenhaus landete. Im Wartezimmer blätterte Glory nervös in einem Reisemagazin, und als
sie ein Foto von Oregon entdeckte, behauptete sie, die frische
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Luft förmlich riechen zu können, wenn sie es nur ansah. Als
Melody entlassen wurde, erklärten ihre Eltern ihr, dass sie
umziehen würden. Und bei dieser Nachricht breitete sich
zum ersten Mal ein Lächeln auf ihrem perfekt symmetrischen Gesicht aus.
»Halloooooo, Wunderschön-Oregon!«, sagte sie zu sich
selbst, als der grüne BMW weiter voranrollte.
Das rhythmische Rauschen der Scheibenwischer und das
Prasseln des Regens machten Melody kurze Zeit später so
müde, dass sie schließlich einschlief.
Diesmal wirklich.
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