Seminararbeit aus Handels- und Wirtschaftrecht

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Seminararbeit aus Handels- und Wirtschaftrecht
Mag. Florian Knotek
9700986
Seminararbeit aus Handels- und Wirtschaftrecht
Univ.- Prof. Dr. Heinz Krejci, Univ.- Prof. Dr. Manfred Straube
Institut für Handels- und Wirtschaftsrecht an der Universität Wien
SS 2004
Thema der Seminararbeit:
Die
Beweislastverteilung
Organhaftung
mit
Ermessensspielraum
bei
Blick
der
der
auf
US
–
gesellschaftsrechtlichen
den
unternehmerischen
amerikanischen
Judgment Rule
Verfasser: Mag. Florian Knotek
Matrikelnummer: 9700986
,
1
Business
Mag. Florian Knotek
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Inhaltsverzeichnis
1. Allgemein...........................................................................................................3
2. Gesetzliche Grundlagen....................................................................................3
3. Theorien zum Ausmaß der Beweislastumkehr..................................................4
4. Untrennbarkeit von Rechtswidrigkeit und Verschulden.....................................5
5. Auswirkung der Untrennbarkeit auf die Beweislastumkehr...............................6
6. Kritik am „Doppeltatbestand“.............................................................................7
7. Die Lösung in der historischen Ratio?..............................................................9
8. Die „Mittellösung“............................................................................................10
9. Die Anwendung der BJR zur Abgrenzung des Ermessenspielraums.............12
9.1. Allgemein...........................................................................................12
9.2. Sinn und Zweck der BJR...................................................................13
9.3. Abgrenzung bloßer Fehlentscheidungen von Pflichtwidrigkeiten......13
- Bewusste Entscheidung
- Sachkundige Entscheidung
- Gutgläubigkeit, kein Interessenskonflikt
9.4. Rechtsfolgen der BJR und Beweislastverteilung..............................15
9.5. Die BJR und das österreichische Recht...........................................17
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1. Allgemein
Streitigkeiten, in denen Geschäftsführer einer GmbH oder Vorstände einer AG
wegen einer Schädigung der Gesellschaft haftbar gemacht werden sollen, stellen
Gerichte oft vor nicht unerhebliche Probleme.
Auch bei genauerer Betrachtung der maßgebenden gesetzlichen Bestimmungen
erfährt der Rechtsuchende oft nicht volle Befriedigung, sind doch die hier
angesprochenen gesetzlichen Regelungen keineswegs klar und außer Streit
gestellt.
Im Folgenden möchte ich diese Problemfelder aufzeigen und, auch anhand der aus
dem
US
amerikanischen
Recht
stammenden
Business
Judgment
Rule,
Lösungsvorschläge die teils von der Lehre, teils von der Rechtsprechung erarbeitet
wurden, anbieten.
2. Gesetzliche Grundlagen
Grundlage der Haftung von Vorstandsmitgliedern für Schäden, die diese der AG
zugefügt
haben,
ist
§
84
AktG.
Diese
Bestimmung
normiert,
dass
Vorstandsmitglieder „bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und
gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden haben“ (§ 84 Abs.1) und bei
„Verletzung
ihrer
Obliegenheiten
der
Gesellschaft
gegenüber
schadenersatzpflichtig werden“ (§ 84 Abs. 2 Satz 1).
Darüber
hinaus
beinhaltet
diese
Bestimmung
noch
zusätzlich
eine
Beweislastumkehr zu Lasten der Vorstandsmitglieder, indem sich diese von der
Schadenersatzpflicht „durch den Gegenbeweis befreien können, dass sie die
Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters angewendet
haben“ (§ 84 Abs. 2 Satz 2).
Bei der GmbH gilt § 25 Abs.1 der die Geschäftsführer dazu verpflichtet, „bei ihrer
Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes“ anzuwenden.
3
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Eine
dem
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Aktienrecht
entsprechende
Bestimmung
hinsichtlich
der
Beweislastumkehr findet sich im Text zwar nicht, doch wird deren Anwendung nach
ganz allgemeiner Ansicht mit einer analogen Anwendung des § 84 Abs. 2 Satz 2
AktG vermutet.
Außerdem sei diese Bestimmung nur lex specialis zu der zivilrechtlichen
Vertragshaftung, weshalb schon aus diesem Grund eine Beweislastumkehr nach §
1298 ABGB anzuwenden sei. 1
3. Theorien zum Ausmaß der Beweislastumkehr
Betrachtet man nun die Bestimmungen über die Beweislastumkehr genauer, so
stellt sich die Frage nach dem Ausmaß des von der Geschäftsleitung zu leistenden
Freibeweises:
Nach einer Auffassung2 beinhalten die besagten Regeln eine Vermutung sowohl
hinsichtlich des rechtswidrigen als auch des schuldhaften Verhaltens, weshalb die
Gesellschaft nur beweisen müsse, dass ihr durch das Verhalten des Beklagten ein
Schaden entstanden sei, der freilich kausal verursacht wurde. Allerdings müsse der
belangte Geschäftsleiter nachweisen, nicht schuldhaft oder schon gar nicht
rechtswidrig gehandelt zu haben.
Einer anderen Meinung3 nach, beziehe sich die Beweislastumkehr nur auf das
Verschulden, weshalb die Gesellschaft den Schaden, (die Kausalität, die
Adäquanz) und eben auch die Rechtswidrigkeit zu beweisen habe, das beklagte
Organ hingegen nur, nicht schuldhaft gehandelt zu haben.
Andere vertreten eine „Mittellösung“, indem sie dem Geschäftsführer den
Freibeweis des mangelnden Verschulden und des pflichtgemäßen Verhaltens
auferlegen, jedoch nicht bloß den schlichten Nachweis eines von ihm verursachten
1
Harrer, Haftungsprobleme bei der GmbH (1990), 41
Koppensteiner, GmbH-Gesetz, 2. Aufl., § 25 RZ 29
3
OGH, ecolex 1998, 77 (Reich-Rohrwig)
2
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Schadens genügen lassen, sondern von der Gesellschaft verlangen, das diese ein
möglicherweise rechtswidriges Verhalten des Beklagten nachweist.4
Dritte sind der Meinung, dass hier keine statische Entscheidung vorgenommen
werden dürfe. Hingegen sei die Frage der Beweislastverteilung auf den konkreten
Entscheidungssachverhalt abzustimmen.5
4. Untrennbarkeit von Rechtswidrigkeit und Verschulden
Dass eben ausgeführter Meinungsstreit auch in der Praxis sehr wohl von
Bedeutung ist, wird klar, wenn man sich vor Augen hält, dass bei Fragen der
Organhaftung Rechtswidrigkeit und Verschulden in den meisten Fällen ja kaum
trennbar sind.
So wie bei den positiven Forderungsverletzungen oder den Verletzungen
vertraglicher Schutz und Sorgfaltspflichten ist auch hier ganz allgemein anerkannt,
dass Unrecht und Verschulden verschwimmen:6
Denn es ist davon auszugehen, dass durch die in den oben genannten
Bestimmungen des Aktien – und GmbH Rechts, „geforderte Sorgfalt eines
ordentlichen
und
gewissenhaften
Geschäftsführers
(Geschäftsleiters)“,
ein
objektiver Verschuldensmaßstab begründet wird. Unternehmensleiter können sich
daher nicht auf ihre eigene Unfähigkeit berufen, sondern haben sich wie jemand in
verantwortlich leitender Position bei der selbständigen treuhändigen Wahrnehmung
fremder Interessen zu verhalten.7
Aber die „Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsführers“ ist nicht nur bei der
Feststellung des objektiven Verschuldensmaßstabes von Relevanz, sondern wird
auch bei der Ermittlung der Rechtswidrigkeit des einzelnen Organverhaltens von
großer Bedeutung sein. Wie sonst, wenn nicht durch diesen objektiven
4
Reich-Rohrwig, GmbH-Recht I, 2.Aufl., Rz 2/420
Heermann, Unternehmerisches Ermessen, Organhaftung und
Beweislastverteilung, ZIP 1998, 761 (767)
6
Fleck, GmbH-Recht 1997, 237
7
Fleck, GmbH-Recht 1997, 238
5
5
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Sorgfaltsmaßstab, lässt sich der Pflichtenkreis des einzelnen Organs, der ja durch
punktuelle gesetzliche Bestimmungen nur unzureichend konkretisiert werden kann,
feststellen.
Somit kann wohl festgestellt werden, dass die Verletzung der Sorgfalt des
ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsführers, sowohl schuldhaftes wie auch
rechtswidriges Organhandeln auslöst, Unrechts – und – Verschuldensbeweis daher
zusammenfallen.8
5. Auswirkungen der Untrennbarkeit auf die Beweislastumkehr
Gelangt man nun zu diesem Ergebnis, hat dies freilich Auswirkungen auf die oben
beschriebenen Meinungen zum Ausmaß der Beweisslastverteilung:
Denn
wenn
Verschulden
und
Unrecht
nicht
trennbar
sind,
ja
sogar
zusammenfallen, so muss dies ja auch folgerichtig für die Beweislastumkehr des §
84 Abs. 2 AktG bzw. analog auch für § 25 Abs. 1 GmbHG gelten.
Denn ein Beweislastumkehrverständnis, dass nur den Freibeweis von dem
Verschulden verlangt, der Gesellschaft aber den Nachweis der organschaftlichen
Sorgfaltswidrigkeit auferlegt, würde die Regelung der Beweislastumkehr aushöhlen
bzw. bedeutungslos machen:
Wenn es der Gesellschaft nämlich gelingt, die maßgebenden Umstände die die
Pflichtwidrigkeit
auslösen,
zu
beweisen,
so
ist
ja,
bei
oben
erwähnter
Deckungsgleichheit der Tatbestände, die Schuld des sorgfaltswidrig handelnden
Organ in aller Regel gleich mitbewiesen.
Für eine Beweislastumkehrregel, die dem Geschäftsleiter nun den Beweis des
Nichtverschuldens auferlegt, ist demnach kein Raum mehr.9
Ein weiteres Argument für die Vermutung der Rechtswidrigkeit und des
Verschuldens und den daraus resultierenden Freibeweis zu Lasten des Organs,
wird auch in dem allgemeinen Grundsatz einer Aufteilung der Beweislast nach
„Beweisnähe“ bzw. „Gefahrenkreisen“ gesehen, denn Gesetzeszweck sei es auch
8
9
Fleck, GmbH-Recht 1997, 237
Wünsch, GmbHG § 25 Rz 45
6
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dem typischen Informationsdefizit der klagenden Gesellschaft Rechnung zu tragen.
Dem folgend trage derjenige die Beweislast, der den besseren Zugang zu den
maßgeblichen
Tatsachen
habe
bzw.
solle
verhindert
werden,
dass
die
Gesellschaft, die oft nur sehr schlechten bis gar keinen Einblick in die internen
(Entscheidungs-) Vorgänge habe, in einen Beweisnotstand gerate.10
Stimmt man nun dieser ratio der Beweislastverteilung zu, so muss dies
konsequenterweise für Verschulden und Rechtswidrigkeit gelten, da ja wie oben
beschrieben, dieselben Nachweise erbracht werden müssen.
Im Ergebnis führt diese Auffassung daher ebenfalls zu einer Verschuldens- wie
auch- Rechtswidrigkeitsvermutung.11
Konkret bedeutet dies, wie oben erwähnt, dass die klagende Gesellschaft lediglich
den ihr zugefügten Schaden12 beweisen müsste, der beklagte Geschäftsführer
oder Vorstand aber, dass sein organschaftliches Handeln nicht als rechtswidrig
oder jedenfalls nicht als schuldhaft einzustufen ist.
6. Kritik am „Doppeltatbestand“
Doch geht vielen diese Ansicht, wonach eine Verschuldens- und vor allem eine
Rechtswidrigkeitvermutung zu Gunsten der Gesellschaft greift, zu weit:
Denn es solle beachtet werden, dass das Risiko der Unaufklärbarkeit, das bei
dieser Ausformung der Beweislastverteilung das beklagte Organ treffen würde,
praktisch
zur
Erfolgshaftung
des
Geschäftsleiters
führen
und
ihm
das
unternehmerische Risiko der Gesellschaft aufbürden würde. Gerade das
unternehmerische Risiko trägt aber die GmbH.13 Dazu kommen noch die
Beweisschwierigkeiten
für
die
Umstände
und
Rahmenbedingungen
von
Handlungen die unter Umständen schon längere Zeit zurückliegen und vielfach
auch nicht ausführlich dokumentiert wurden. In diesem Sinn sei auch zu bedenken,
10
Böhler, Zur Beweislast bei der Organhaftung, in Krejci – FS (2001) 508
Böhler, Zur Beweislast, 509
12
ebenso dessen Kausalität und Adequanz
13
Reich-Rohrwig, GmbH-Recht, Rz 2/420
11
7
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dass die Geschäftsleitung ja gerade nicht für jede nachteilige Entwicklung des
Gesellschaftsvermögens haften solle. Da das Risiko des ungünstigen Ausgangs
von Unternehmergeschäften im Wesen unternehmerischer Betätigung liege, seien
riskante Geschäfte nicht von vornherein zu beanstanden, die Geschäftsleitung
daher auch nicht für jede Vermögensverminderung haftbar, sondern vielmehr nur
dann, wenn sie denn unternehmerischen Ermessensspielraum14 überschritten
habe.
Genau diese Wertung, die das Unternehmerrisiko somit der Gesellschaft und nicht
deren Leitungsorgan zuweist, sei bei einer Rechtswidrigkeitsvermutung aber in
Gefahr: Denn führe jede nachteilige Entwicklung des Gesellschaftsvermögens zur
Beweislastumkehr, trage wie schon erwähnt, die Geschäftsleitung, wenn sie nach
Jahren nicht mehr in der Lage ist, die Vertretbarkeit ihrer damaligen Entscheidung
darzulegen, letztendlich das Risiko des Erfolges.15
Oft wird in diesem Zusammenhang das Argument vorgebracht, dass der Wortlaut
des § 84 Abs. 2 Satz 2 AktG, der ja auch analog für die GmbH gilt, nur die
Beweislast hinsichtlich des Verschuldens umfasse, die Rechtwidrigkeit also im
Sinne des unternehmerischen Risikos, die Gesellschaft zu beweisen habe. Dies
wird mit einem Verweis auf das allgemeine Schadenersatzrecht begründet, wonach
jede Partei die Voraussetzungen der ihr günstigeren Norm zu beweisen hat,
weshalb der Kläger das Vorliegen aller Haftungserfordernisse beweisen muss.
Wenn § 84 Abs. 2 Satz 2 AktG davon nun eine Ausnahme darstellt, müsse diese
im Zweifelsfalle eng verstanden werden. Da in dieser Bestimmung aber lediglich
von der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters die Rede ist, sei damit nur das
Verschulden gemeint, eine Erstreckung der Beweislast auf die Rechtswidrigkeit
hätte eine ausdrückliche Erwähnung verlangt.16
Gerade aber die Tatsache das in § 84 Abs. 2 Satz 2 AktG von der „Sorgfalt eines
ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters“ die Rede ist, wird im Hinblick
auf § 1298 ABGB, der in seinem Wortlaut nur von „Verschulden“ spricht, auch die
14
Auch die Frage nach den Grenzen des unternehmerischen Ermessenspielraums
wirft einige Probleme auf und soll in einem nachstehenden Kapitel in Zusammenhang
mit der US- amerikanischen Business Judgment Rule erürter werden.
15
Böhler, Zur Beweislast, 509
16
Fleck, zur Haftung des GmbH-Geschäftsführers GmbHR 1974, 224
8
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Meinung vertreten, dass gerade weil dies der Gesetzgeber in dieser (§ 84 Abs. 2
Satz 2 AktG) Bestimmung hier nicht tut, sei ein weites Verständnis geboten, dass
sowohl die Vermutung der Rechtswidrigkeit als auch die des Verschuldens
umfasst.17
7. Die Lösung in der historischen Ratio?
Ein Blick auf die Entstehungsgeschichte der Bestimmung eröffnet einen Ausweg
aus
dem
Spannungsfeld
zwischen
Verschuldens
–
und
gleichzeitiger
Rechtswidrigkeitsvermutung und der Aufteilung in Gefahrenbereiche bzw. dem
Grundsatz der Beweisnähe einerseits und der Maxime, dass das Unternehmen und
nicht der Unternehmensleiter das wirtschaftliche Risiko tragen soll, andererseits:
So spricht die amtliche Begründung zu § 84 des deutschen Aktiengesetzes von
1937, als solches ja Vorgänger des österreichischen Aktiengesetzes von 1965,
davon, dass mit dieser Norm „ja lediglich der in der Rechtsprechung schon
entwickelte Gedanke,
wonach der Vorstand im Schadenersatzprozess den
Entlastungsbeweis zu führen hat, gesetzlich verankert werden“.18
Die Beweislastumkehr sollte nach dem Willen des Gesetzgebers daher wohl
inhaltlich jenes Ausmaß haben, das ihr die damalige Rechtsprechung zubilligte.19
Und über dies dürfte weitgehend Einigkeit bestehen: So dürfte damals einheitlich
eine „vermittelnde“ Lösung judiziert worden sein, denn die Gesellschaft musste
neben dem Beweis des konkreten Schadens, auch nachweisen, dass dieser durch
ein möglicherweise pflichtwidriges Verhalten des Organmitglieds entstanden ist.
Der Beklagte hatte wiederum zu beweisen, dass er nicht pflichtwidrig oder doch
nicht schuldhaft gehandelt hatte.20
17
Böhler, Zur Beweislast, 510
Goette, Zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast der objektiven
Pflichtwidrigkeit bei der Organhaftung, ZGR 1995, 669
19
Böhler, Zur Beweislast, 511
20
Goette, ZGR 1995, 669
18
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8. Die „Mittelösung“21
Die Mittellösung versucht den „Spagat“ zwischen reiner Verschuldensvermutung
einerseits
und
Vermutung
hinsichtlich
Verschulden
und
Rechtswidrigkeit
andererseits.
Soll die Beweislastumkehr nicht ihre Bedeutung verlieren bzw. nicht ausgehöhlt
werden, muss man sie auf Verschulden und Rechtswidrigkeit beziehen, da ja, wie
oben erwähnt, zur Prüfung dieselben Umstände herangezogen werden.
Diese Regelung verliert aber dann nicht an ihrer Bedeutung, wenn man von der
Gesellschaft bloß den Nachweis möglicherweise pflichtwidrigen Verhaltens fordert.
Dabei wird die Beweislastumkehr ja nicht ausgehöhlt, obliegt es doch immer noch
dem beklagten Organ die möglicherweise vorliegende Pflichtwidrigkeit mittels
Freibeweises zu entkräften.
Auch
der
Gedanke
einer
Beweislastverteilung
nach
Beweisnähe
bzw.
Gefahrenbereichen steht nicht im Widerspruch zu der anvisierten Mittellösung:
Denn das Risiko der Unaufklärbarkeit, soll ja nach diesem Gedanken jenen treffen,
der hinsichtlich der Aufklärung „näher dran“ ist.
Da dies in aller Regel auf den Geschäftsleiter zutreffen wird, erscheint es logisch,
die
Gesellschaft
vom
konkreten
Nachweis
der
Rechtswidrigkeit
des
organschaftlichen Handelns zu befreien.
Allerdings greife die Beweislastumkehr nach dem Gefahrenbereichsprinzip immer
erst dann, wenn „solche Umstände nachgewiesen sind, die die Schadensursache
im Gefahren- und Verantwortungsbereich des Beklagten lokalisieren und nach der
Lebenserfahrung zunächst den Schluss nahe legen, dass der Beklagte die ihm
obliegende Sorgfaltspflicht verletzt hat.“22
Also erst wenn die Gesellschaft diesen Nachweis erbringt, wird vermutet, dass das
beklagte Organ den Schaden sowohl schuldhaft als auch rechtswidrig verursacht
hat.
21
22
Böhler, Zur Beweislast, 510 f
Welser, Schadenersatz statt Gewährleistung, 68
10
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Da beim Gefahrenbereichprinzip immer auch die Zumutbarkeit eine Rolle spielt, es
soll ja denjenigen das Risiko der Unaufklärbarkeit treffen, dem der Nachweis
aufgrund der Beweisnähe zumutbarer ist, erscheint eine Beweislast des
Geschädigten zumindest für einen Anschein pflichtwidrigen Verhaltens als in aller
Regel aber noch zumutbar. 23
Die Mittellösung kommt daher zu dem Schluss, dass nach der ratio einer
Beweislastverteilung, wie sie das Aktienrecht anordnet24, die Gesellschaft zwar das
konkrete Tun oder Unterlassen des Organmitglieds jedenfalls nicht nachzuweisen
hat25, sie aber sehr wohl solche Umstände nachzuweisen hat,
die
nach der Lebenserfahrung bzw. aller Wahrscheinlichkeit nach, zunächst den
Schluss
nahe
legen,
dass
sorgfaltswidrig
gehandelt
wurde
und
die
Schadensursache aus dem Verantwortungsbereich des Beklagten stammt.
Erst nach diesem Nachweis der Gesellschaft kommt es zur Beweislastumkehr, also
dazu, dass der Beklagte beweisen muss, nicht rechtswidrig oder doch nicht
schuldhaft gehandelt zu haben.
23
Böhler, Zur Beweislast, 510 f
bzw. analog dies für die GmbH gilt
25
insofern geht die Lösung über eine reine Verschuldensvermutung hinaus
24
11
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9. Die Anwendung der BJR zur Abgrenzung des Ermessenspielraums
9.1. Allgemein
Wie in der „Mittellösung“ dargelegt, hat bei Vorliegen des Anscheins rechtswidriger
Handlungen, der Geschäftsleiter zu beweisen, nicht schuldhaft oder doch nicht
rechtswidrig gehandelt zu haben.
Es stellt sich die Frage nach dem Sorgfaltsmaßstab, den das handelnde Organ
anzuwenden hat. Dieser wird im Schrifttum wie folgt definiert26:
Der Haftung der Geschäftsleitung, soll erst dann ausgelöst werden, wenn der
unternehmerische
Ermessenspielraum überschritten
bzw.
die
geschuldeten
brachen-, größen- und situationsadäquaten Bemühungen unterlassen bzw. verletzt
wurden.
Auch die oberstgerichtliche Rechtsprechung vertritt die Ansicht, „dass der
Fehlschlag unternehmerischer Entscheidungen nicht schon an sich pflichtwidrig
sei.
Denn
sonst
würde
dem
Vorstand
oder
Aufsichtsrat
doch
das
Unternehmensrisiko aufgebürdet, dass aber stets bei der Gesellschaft bleibt.“27
Und auch der deutsche BGH betont die Bedeutung des unternehmerischen
Ermessens, „.....ohne dass unternehmerisches Handeln schlechterdings nicht
denkbar ist“.28
Ausgehend von diesen Entscheidungen mehren sich die Stimmen, die meinen,
dass das US-amerikanische Rechtsinstitut der Business Judgment Rule auf den
Handlungsspielraum
bei
unternehmerischen
Ermessensentscheidungen
Vorständen und Geschäftsführern zu übertragen sei.
26
29
Böhler, Zur Beweislast, 520
OGH 26.02.2002, 1 Ob 144/01k
28
ecolex 1997, 507
29
U. Torggler, Business Judgment Rule und Unternehmerische
Ermessensentscheidungen, ZfrV 2002, 133
27
12
von
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Die BJR des US-amerikanischen Rechts scheidet bloße unternehmerische
Fehlentscheidungen eines directors, die keine Haftung nachsichziehen, von
Pflichtverletzungen, die diese sehr wohl auslösen.
9.2 Sinn und Zweck der Business Judgment Rule
Die hinter der BJR stehenden Überlegungen und Wertungen können wie folgt
umschrieben werden30:
-
Richter
sind
keine
unternehmerische
Manager:
Es
Entscheidungen
ist
nicht
der
Sache
des
Gerichtes
Unternehmensleitung
zu
hinterfragen.
-
Vorstände bzw. Geschäftsführer sind keine Propheten: Ex ante sorgfältige
Entscheidungen dürfen nicht deshalb haftungsauslösend sein, weil sie sich
nachträglich als nachteilig herausgestellt haben.
-
Das unternehmerische Risiko darf nicht auf die Unternehmensleitung
übertragen werden.
-
Die
Haftung
für
unternehmerischen
bloße
Fehlentscheidungen
Tätigkeit
unverzichtbare
würde
die
in
Innovationsfreude
der
und
Risikobereitschaft hemmen.
9.3. Abgrenzung zwischen bloßer Fehlentscheidung und haftungsbegründenter
Pflichtwidrigkeit31
Eine
gesetzmäßige
und
durch
den
Unternehmenszweck
Geschäftsentscheidung unterliegt dem Schutz der BJR, wenn sie
30
31
Grass, Business Judgment Rule, 1998, 2 f
U. Torggler, ZfrV 2002, 137
13
gedeckte
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-
bewusst
-
sachkundig
-
im guten Glauben, im Gesellschaftsinteresse
getroffen wurde.
-
bewusste Entscheidung
Um in den Schutzbereich der BJR zu gelangen, müssen die Mitglieder der
Unternehmensführung eine bewusste Entscheidung treffen. Bloße Untätigkeit eines
Organs unterliegt nicht dem Schutz der BJR, außer es handelt sich dabei wiederum
um eine bewusste Entscheidung nicht zu handeln, diese ist daher auch als
unternehmerische Entscheidung zu qualifizieren und – bei Vorliegen der übrigen,
unten angeführten Elemente – dem Schutz der BJR unterstellt.
-
sachkundige Entscheidung
Ein director oder officer muss seine Entscheidung sachkundig treffen, d.h. er muss
sich in jenem Ausmaß informieren, wie es vernünftigerweise unter den gegebenen
Umständen als angemessen erscheint. Der Kreis der vom Vorstand zu nutzenden
Informationen hängt von der Bedeutung der jeweiligen Geschäftsentscheidung für
das Unternehmen, vom Zeitdruck sowie von den mit der Informationsbeschaffung
verbundenen Kosten ab.
Geschuldet
wird
also
keinesfalls
die
Heranziehung
jeder
verfügbarer
Informationsquelle, sondern bloße effiziente Information.
Dies
führt
aber
entscheidungsreif
dazu,
zu
dass
erachten,
die
Entscheidung,
wiederum
selbst
eine
eine
Angelegenheit
für
unternehmerische
Ermessensentscheidung darstellt. Ein beklagter Organwalter muss in diesem
Zusammenhang nur beweisen, dass es vertretbar war, aufgrund der zu diesem
Zeitpunkt vorliegenden Informationen eine Entscheidung zu treffen.32
32
U. Torggler, ZfrV 2002, 134
14
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Eine sachkundige Entscheidung wird weiters dann vermutet, wenn sich die Organe
eines nachvollziehbaren „Entscheidungsfindungsprozess“ bedienen. Die Mitglieder
der Unternehmensführung entscheiden sachkundig, wenn sie im guten Glauben
auf Berichte der von ihnen bestellten Experten vertrauen. Freilich wirkt jedoch ein
Auswahlverschulden hinsichtlich der Experten als haftungsbegründend und
schließt somit den Schutz der BJR aus.
-
Gutgläubigkeit - kein Ermessensmissbrauch, kein Interessenskonflikt der
Manager
Der Schutz der BJR entfällt, wenn sich das beklagte Organ bei der Entscheidung in
einem Interessenskonflikt befand, denn es darf mit seiner Entscheidung nicht
vorrangig seine finanziellen Interessen oder die naher Angehöriger verfolgen.
Das bedeutet, dass eine Entscheidung die sich durchaus innerhalb des
Ermessenspielraums befand, also daher vertretbar war, trotzdem pflichtwidrig und
somit haftungsauslösend ist, wenn den Sonderinteressen der Vorzug vor den
Interessen der Gesellschaft gegeben wurde.33
9.4. Rechtsfolgen der Business Judgment Rule und Beweislastverteilung34
In der Mehrheit der Bundesstaaten, ausgehend von Dellaware, gilt die BJR als
widerlegbare
Vermutung
dafür,
dass
eine
Geschäftsentscheidung
des
Management sachkundig, im guten Glauben und in aufrichtiger Überzeugung, im
besten Interesse der Gesellschaft gehandelt zu haben, getroffen wurde. Da die
BJR als „sicherer Hafen“35 zu Gunsten des Managements verstanden wird, hat die
klagende Partei diese Vermutung zu entkräften, somit trifft sie die Behauptungsund Beweislast.
Liegen die drei genannten Elemente der BJR vor, wird die inhaltliche Qualität einer
unternehmerischen Entscheidung von denjenigen Gerichten, die der Rsp des
Dellaware Supreme Court folgen, nicht überprüft. Folglich sind Vorstandsmitglieder
in diesem Fall keiner persönlichen Haftung ausgesetzt.
33
Grass, Business Judgment Rule, 1998, 111
Kapsch, Grama, Business Judgment Rule, ecolex 2003, 524
35
„safe harbour“
34
15
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Allerdings fallen unternehmerische Entscheidungen, die zwar nach außen den
Grenzen der BJR entsprechen, aber inhaltlich jeglicher rationalen Grundlage
entbehren, somit unvertretbar sind, nicht unter den Schutz der BJR.
Dies widerspricht auch nicht den vorher erwähnten Zielen der BJR, weil eine
Überforderung der Gerichte deshalb nicht zu befürchten ist, da ja nicht zu
beurteilen ist, ob die beste Entscheidung getroffen wurde, sondern bloß ob ein
ordentlicher Geschäftsmann die gewählte Entscheidung als unvertretbar, weil in
keinem ersichtlichen Zusammenhang mit den Entscheidungsvoraussetzungen36,
ansehen würde.37
Jene Gerichte, die dem American Law Institut (ALI) folgen, verstehen die BJR
ebenfalls als „safe harbour“.
Der Unterschied zum Delaware – law besteht jedoch darin, dass die officers und
directors das Vorliegen der Tatbestandselemente der BJR zu beweisen haben, weil
keine Vermutung zu ihren Gunsten besteht.
Auch
nach
dieser
Ansicht
stellen
von
Haus
aus
unvertretbare
Unternehmensentscheidungen eine haftungsbegründende Pflichtverletzung dar,
die deshalb nicht dem Schutz der BJR unterliegen können.
Liegt die Vermutung eines Sorgfaltsverstoßes vor, kann die klagende Partei mittels
der derivative suit Ersatzansprüche gegen die Unternehmensführung geltend
machen.38
36
die aber sehr wohl der BJR entsprechen
U. Torggler, ZfrV 2002, 139
38
Kapsch, Grama, Business Judgment Rule, 524
37
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9.5. Die BJR und das österreichische Recht
Nach herrschender österreichischen Lehre39 wird der Ermessensspielraum der
Unternehmensleitung ( § 70 Abs. 1 AktG) grundsätzlich durch
-
Gesetz
-
Satzung
-
Anstellungsvertrag
-
Organbeschlüsse
bestimmt.
Die unternehmerischen Ermessensentscheidungen müssen
weiters sachkundig
erfolgen.40
Darüber hinaus, darf die Unternehmensleitung keine unverhältnismäßigen Risiken
eingehen, die insbesondere dann vorliegen, wenn durch ihr Eingehen der Bestand
des Unternehmens gefährdet wird.41
Aus der organschaftlichen Treuepflicht wird abgeleitet, dass die Mitglieder der
Unternehmensführung ihre Organstellung nicht auf Kosten der Gesellschaft
ausnutzen und aus Geschäftschancen der Gesellschaft keinen eigenen Vorteil
ziehen dürfen.42
Dies verdeutlicht bestehendenParallelen des österreichischen Rechts mit der US –
amerikanischen BJR.
Deshalb können die BJR meiner Meinung nach bei der
Beschreibung bzw.
Auslegung des allgemeinen Verhaltensstandard des § 84 Abs. 1 S. 1 AktG und des
damit zusammenhängenden Ermessensspielraums hilfreich sein, legen die BJR
doch sehr anschaulich dar, wie unternehmerische Entscheidungen „gestrickt“ sein
39
U. Torggler, ZfrV 2002, 139
U. Torggler, ZfrV 2002, 140
41
U. Torggler, ZfrV 2002, 141
42
U. Torggler, ZfrV 2002, 140
40
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müssen, um als noch im Rahmen des Sorgfaltsmaßstabs gelten zu können. Vor
allem rechtsuchende Unternehmensleitern, könnten die BJR bei ihrer Tätigkeit, ein
hilfreicher Verhaltensmaßstab sein.
Daher sollten auch im österreichischen Recht Geschäftsentscheidungen, die sich
innerhalb der gerade aufgezeigten Grenzen befinden, solange inhaltlich nicht
überprüfbar sein, als sie die Unternehmensleitung
-
bewusst
-
sachkundig
-
und in der Überzeugung, zum Wohle der Gesellschaft gehandelt zu haben,
getroffen hat.
18

Documents pareils