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PDF-Version des kompletten Aufsatzes mit Tabellen, Grafiken und
Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 1/2012
Wirtschaft,
Arbeitsmarkt
Unternehmensgründungen und -übernahmen
durch Ausländer
Birgit John
Sowohl Deutsche als auch Ausländer gehen
mehrheitlich den Weg in die Selbstständigkeit,
indem sie einen Gewerbebetrieb neu gründen.
Eine wesentlich geringere Zahl übernimmt
einen bestehenden Betrieb. Der Ausländeranteil ist bei den Unternehmensübernahmen
höher als bei den Neugründungen. Die ausländischen Gründerinnen und Gründer sind mehrheitlich Europäer, die wiederum überwiegend
aus einem EU-Mitgliedstaat kommen. Die
Branchenwahl variiert mit der Nationalität, allgemein ist jedoch festzustellen, dass Ausländer
im Baugewerbe und Gastgewerbe häufiger
eine selbstständige Tätigkeit anzeigen als
Deutsche. Mit der Aufnahme neuer Mitgliedstaaten in die EU veränderte sich die multikulturelle Zusammensetzung ebenso wie die
Branchenschwerpunkte.
Im deutschen Grundgesetz ist die freie Berufswahl verankert. Diese Berufsfreiheit impliziert
für alle deutschen Staatsbürger auch die Freiheit, eine selbstständige berufliche Tätigkeit zu
wählen.1 Ergänzt wird dieses Grundrecht durch
den Grundsatz der Gewerbefreiheit, der es jeder
natürlichen und juristischen Person gestattet,
ein Gewerbe zu betreiben. Das Prinzip der Gewerbefreiheit gilt jedoch nicht uneingeschränkt,
sondern im Rahmen der bestehenden Gesetze.
So wird es unter anderem durch die Gewerbeordnung inhaltlich bestimmt und begrenzt. Für
Ausländer sind darüber hinaus vor allem das
Aufenthaltsgesetz und das Freizügigkeitsgesetz/EU relevant.2 Für Staatsangehörige aus
den EU-Mitgliedstaaten sowie den Mitgliedstaaten der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA)3 gilt der grundgesetzlich garantierte
freie Zugang zur beruflichen Selbstständigkeit
ebenso wie für Deutsche. Sie genießen folglich
volle Niederlassungsfreiheit in Deutschland.
Ausländische Staatsangehörige aus Nicht-EUMitgliedstaaten benötigen hingegen eine Aufenthaltserlaubnis, die eine selbstständige oder
vergleichbare Tätigkeit ausdrücklich gestattet.4
Der Weg in die Selbstständigkeit ist durch die
Gründung eines neuen Betriebes oder durch
die Übernahme eines bereits bestehenden Gewerbebetriebes möglich. Darüber hinaus kann
auch der Gesellschaftereintritt in ein bestehendes Unternehmen den Beginn einer Selbstständigkeit bedeuten.5 2010 gingen rund 105 500
Personen durch eine dieser drei Möglichkeiten
den Schritt in die Selbstständigkeit, darunter
26 200 (25 %) mit ausländischer Staatsbürgerschaft. Insgesamt lebten 2010 rund 1 Mill. Ausländer im erwerbsfähigen Alter in Baden-Württemberg, dies entspricht 14 % der Bevölkerung
dieser Altersgruppe. Unter den 552 000 Selbstständigen Baden-Württembergs betrug der
Ausländeranteil 10 %.6
Hoher Ausländeranteil bei Unternehmensübernahmen
Durch die Gründung eines neuen Gewerbebetriebes werden sowohl Deutsche als auch Ausländer am häufigsten ihr eigener Chef. 2010
wagten in Baden-Württemberg fast 96 000
Personen den Schritt in die Selbstständigkeit,
indem sie einen von rund 87 000 Gewerbebetrieben alleine oder gemeinsam mit anderen
neu gründeten. Knapp 23 000 (24 %) der neuen
Selbstständigen gründeten einen Betrieb, der
aufgrund der voraussichtlichen Beschäftigtenzahl oder der Rechtsform eine größere wirtschaftliche Substanz vermuten lässt. Die sonstigen Neugründungen gliedern sich in Nebenerwerbsgründungen und Kleingründungen.
Dabei gründeten 41 % der Gewerbetreibenden
im Nebenerwerb und 35 % nahmen eine Kleingründung vor.
Rund 77 % der Gewerbetreibenden waren zum
Zeitpunkt der Neugründung im Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit. Der Ausländeranteil
betrug folglich 23 %.7 Von den ausländischen
Gründerpersonen waren 25 % Frauen; damit
lag dieser Anteil unter dem der deutschen
Frauen mit 31 %. Im Haupterwerb gründeten
53 % der Deutschen und 79 % der Ausländer.
Etwa 62 % der Ausländer, die eine Neugründung anzeigten, besaßen die Nationalität eines
EU-Mitgliedstaates, weitere 29 % die eines anderen europäischen Staates. Eine Staatsangehörigkeit aus dem außereuropäischen Ausland
hatten nur 9 % der Gründer und Gründerinnen,
was etwas mehr als 2 000 Gewerbetreibenden
Dipl.-Soziologin Birgit John
ist Referentin im Referat
„Energiewirtschaft, Handwerk, Dienstleistungen,
Gewerbeanzeigen“ des
Statistischen Landesamtes
Baden-Württemberg.
1 Die Berufsausübung
selbst kann durch Gesetz oder auf Grund
eines Gesetzes geregelt
werden. (Grundgesetz,
Artikel 12, Absatz 1).
2 Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration
von Ausländern im Bundesgebiet (AufenthG)
und Gesetz über die
allgemeine Freizügigkeit
von Unionsbürgern
(FreizügG/EU). www.
arbeitsagentur.de/nn_
394714/Navigation/zen
tral/Veroeffentlichungen/
Themenhefte-durchstar
ten/Existenzgruendung/
Gruendung-Migranten/
Gruendung-MigrantenNav.html, Stand November 2011.
3 Island, Liechtenstein,
Norwegen, Schweiz.
4 Weitergehende Informationen unter www.stuttgart.ihk24.de/recht_und_
fair_play/Arbeitsrecht/
Auslaenderrecht/971202/
Selbstaendige_Taetig
keit_durch_Auslaender.
html#121, Stand November 2011.
5 Existenzgründungen
außerhalb der gewerberechtlichen Anzeigepflicht
werden hier und im Folgenden nicht berücksichtigt.
6 Die Angaben des Mikrozensus umfassen auch
jene Formen der Selbstständigkeit, die durch die
Gewerbeanzeigenstatistik nicht erfasst werden.
7 Der Anteil der deutschen
Gründerpersonen mit Migrationshintergrund ist
in der Gewerbeanzeigenstatistik nicht ermittelbar.
17
Wirtschaft,
Arbeitsmarkt
Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 1/2012
T
Gewerbetreibende mit Neugründungen und Übernahmen*) in Baden-Württemberg 2010
nach Staatsangehörigkeit
Gewerbetreibende mit
davon
Land der Staatsangehörigkeit
darunter
Neugründung
Betriebsgründung
mit
Substanz
Kleingründung
Nebenerwerbsgründung
Übernahme
Deutschland
73 809
17 707
21 193
34 909
7 650
4 956
563
Mitgliedsstaaten der Euopäischen Union
(ohne Deutschland) zusammen
13 781
3 351
8 510
1 920
2 950
949
1 714
Polen
2 855
501
2 141
213
463
33
404
Rumänien
2 798
719
1 851
228
688
90
577
Bulgarien
1 926
288
1 513
125
396
54
337
Italien
1 838
498
779
561
473
359
11
Ungarn
1 149
380
708
61
351
7
328
Griechenland
681
174
315
192
238
198
9
Österreich
409
177
107
125
40
30
2
Erbfolge,
Kauf oder
Pacht
Gesellschaftereintritt
darunter
Lettland
378
100
254
24
17
2
14
Litauen
319
31
260
28
28
24
2
Frankreich, einschl. Korsika
263
102
83
78
115
66
2
Tschechische Republik
162
39
90
33
9
5
1
Portugal
160
29
78
53
26
20
2
Spanien
157
32
59
66
23
17
–
6 330
1 303
3 020
2 007
1 109
984
35
übriges Europa zusammen
darunter
Türkei
3 541
760
1 780
1 001
812
738
23
Kroatien
705
124
300
281
83
71
1
Serbien
462
78
234
150
54
43
2
Kosovo
430
65
232
133
35
27
3
Bosnien und Herzegowina
335
65
144
126
48
45
1
Russiche Föderation
306
50
127
129
15
8
4
Schweiz
188
102
34
52
20
16
–
20 111
4 654
11 530
3 927
4 059
1 933
1 749
2 067
565
882
620
382
324
17
Thailand
171
28
81
62
32
31
–
Irak
134
28
73
33
46
41
2
Vereinigte Staaten
119
34
42
43
5
4
–
Vietnam
113
33
65
15
68
61
2
China, einschl. Tibet
europäisches Ausland zusammen
außereuropäisches Ausland zusammen
Darunter
104
39
40
25
21
21
–
Libanon
94
4
50
40
8
8
–
Pakistan
81
24
38
19
34
34
–
Kasachstan
69
5
30
34
3
2
1
Brasilien
61
5
21
35
8
4
–
Ausland zusammen
22 178
5 219
12 412
4 547
4 441
2 257
1 766
Insgesamt
95 987
22 926
33 605
39 456
12 091
7 213
2 329
*) Anzeigepflichtige Personen, die eine Neugründung vorgenommen (einschließlich der Eröffnung von Zweigniederlassungen
und unselbstständigen Zweigstellen) oder einen bestehenden Betrieb übernommen haben (ohne Rechtsformwechsel). Ohne
Automatenaufsteller und Reisegewerbe.
Datenquelle: Ergebnisse der Gewerbeanzeigenstatistik, Sonderaufbereitung
18
Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 1/2012
entspricht. Die größte Gruppe bilden hier die
Thailänder mit insgesamt 171 Personen, an
zweiter Stelle stehen 134 Gewerbetreibende
aus dem Irak (Tabelle).
Bei den Unternehmensübernahmen durch Erbfolge, Kauf oder Pacht liegt der Ausländeranteil
wesentlich höher als bei den Neugründungen.
Von den rund 7 200 Übernahmen im Jahr 2010
erfolgten mehr als 2 250 (31 %) durch Personen
mit ausländischer Staatsbürgerschaft (Schaubild 1). Davon kamen
„ 42 % aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union,
„ 44 % aus einem anderen europäischen
Land und
„ 14% aus dem außereuropäischen Ausland.
Einen Gesellschaftereintritt zeigten 2010 rund
560 Deutsche und über 1 760 Ausländer im
Gewerbeamt an. Der hohe Ausländeranteil
von 76 % beruht zu 93 % auf den Aktivitäten
der Gewerbetreibenden aus Rumänien, Polen,
Bulgarien und Ungarn. Es handelt sich in der
Regel um Gesellschaftereintritte im Baugewerbe.
Existenzgründungsvorhaben von Ausländern
haben zugenommen
Neugründungen durch Ausländer haben in den
letzen 15 Jahren zunehmend an Gewicht gewonnen. So lag der Ausländeranteil unter den
Gewerbetreibenden, die eine Neugründung
anzeigten, in der 2. Hälfte der 90er-Jahre noch
bei 12 %. Mit der Aufnahme neuer Mitgliedstaaten in die EU in den Jahren 2004 und 2007
stieg er kontinuierlich an und erreichte 2010
schließlich einen Wert von 23 %. Auch die Gewichte der verschiedenen Nationalitäten veränderten sich im Laufe der Zeit. So stellten
beispielsweise 2003 die Türken (27 %), Italiener
(16 %) und Griechen (7 %) die größten Gruppen
unter den ausländischen Gründern und Gründerinnen. 2010 erreichten die Türken nur noch
einen Anteil von 16 %, Italiener 8 % und Griechen 3 %. Dies ist allerdings nur bei den Griechen mit einem merklichen Rückgang der absoluten Zahl von Gründerinnen und Gründern
verbunden. Ihre Zahl ging seit 2003 um 21 %
zurück. Dagegen stieg die Zahl der Türken mit
Neugründungen in diesem Zeitraum um 14 %
und die der Italiener blieb nahezu unverändert
(– 1 %). Die Anzahl der deutschen Gründerinnen
und Gründer ging im selben Zeitraum um 3 %
zurück.
Wirtschaft,
Arbeitsmarkt
war aber auch der Bedeutungsgewinn anderer
Nationalitäten. Nach der Aufnahme weiterer
mittel- und osteuropäischer Staaten als Vollmitglieder der Europäischen Union8 stieg zunächst vor allem die Zahl der Polen, die einen
Gewerbebetrieb in Baden-Württemberg gründeten. Stellten sie 2003 lediglich 2 % der ausländischen Gründer und Gründerinnen, waren
es 2006 – also im 2. Jahr der EU-Vollmitgliedschaft – bereits 21 %. Dies entspricht einem
Zuwachs ihrer Zahl um das 17-fache. Auch die
Zahl der Ungarn erhöhte sich seit 2004 kontinuierlich. Ab 2007 stieg dann die Anzahl der
Bulgaren und Rumänen sprunghaft an und lag
2010 schließlich 51-mal bzw. 14-mal höher als
2006. Entgegengesetzt entwickelte sich in diesem Zeitraum die Zahl der Polen, die 2010 um
19 % niedriger lag als 2006. Vermutlich war der
Markteintritt der Arbeitskräfte aus Rumänien
und Bulgarien für diesen Rückgang mit verantwortlich. 2010 zeigten mehr als 2 850 polnische
und rund 2 800 rumänische Staatsbürger die
Neugründung eines Gewerbebetriebes an. Dies
entspricht jeweils einem Anteil von rund 13 %
an den ausländischen Gründerpersonen. Aus
Bulgarien kamen über 1 900 (9 %) und aus Ungarn fast 1 150, das waren 5 % (Schaubild 2).
Veränderungen hinsichtlich der multikulturellen
Zusammensetzung sind nicht nur bei den
Gründern und Gründerinnen von Gewerbebetrieben, sondern auch bei der ausländischen
Bevölkerung im Land zu beobachten. So nahm
seit Abschluss der EU-Osterweiterungen im
Jahr 2007 die Zahl der ausländischen Mitbürger
aus den insgesamt zwölf neuen Mitgliedstaaten
S1
8 Zum 1. Mai 2004 wurden
Estland, Lettland, Litauen,
Malta, Polen, Slowakische
Republik, Slowenien,
Tschechische Republik,
Ungarn und Zypern (nur
der griechische Landesteil) als Vollmitglieder aufgenommen. Im Januar
2007 folgten Rumänien
und Bulgarien.
Gewerbetreibende mit Neugründungen und Übernahmen
durch Erbfolge, Kauf und Pacht in Baden-Württemberg
2003 und 2010 nach Nationalität*)
Anteile in %
Deutsche
Ausländer
Neugründungen
77
2010
23
86
2003
14
Übernahmen
2010
2003
69
31
74
26
*) Ohne Automatenaufsteller und Reisegewerbe.
Ursache für die Veränderung der multikulturellen Zusammensetzung der Gründerpersonen
Statistisches Landesamt Baden-Württemberg
1115 11
19
Wirtschaft,
Arbeitsmarkt
Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 1/2012
wahl mit der jeweiligen Nationalität der Gründerinnen und Gründer variiert.
Gewerbetreibende aus den neuen EU-Mitgliedstaaten
mit Neugründungen*) in Baden-Württemberg seit 2003
nach Staatsangehörigkeit
S2
Anzahl
4 000
3 500
EU Beitritt 2004
3 000
Polen
Ungarn
2 500
Übrige1)
2 000
EU Beitritt 2007
1 500
Rumänen
1 000
Bulgaren
500
0
2003
2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
*) Ohne Automatenaufsteller und Reisegewerbe; EU Beitrittsländer seit 2004. – 1) Tschechische
Republik, Estland, Zypern, Lettland, Litauen, Malta, Slowakische Republik und Slowenien.
Statistisches Landesamt Baden-Württemberg
1116 11
um 22 % zu. Hohe Zuwächse zeigten sich dabei
unter anderem bei den Bulgaren (+ 68 %),
Rumänen (+ 49 %) und Ungarn (+ 26 %). Demgegenüber ging im gleichen Zeitraum die Zahl
der ausländischen Mitbürger aus Italien (- 2 %),
Griechenland (- 6 %) und der Türkei (- 4 %) zurück.
Der Bevölkerungszuwachs fällt bei den Rumänen und Bulgaren damit deutlich schwächer
aus als der Anstieg bei den Gründerzahlen
dieser Nationalitäten. Bezieht man nun die
Zahl der Gründerpersonen auf die jeweilige
Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter, ergibt
sich für deutsche Staatsbürger eine Gründungsintensität von zwölf Gründern und Gründerinnen je 1 000 Einwohner im Alter von 15 bis
unter 65 Jahren. Bei den Türken (16), Italienern
(14) und Griechen (13) liegt die Gründungsintensität höher. Bei den Bulgaren kommen auf
1 000 Einwohner im erwerbsfähigen Alter sogar
201 Gründerpersonen. Auch bei den Rumänen
(104), Ungarn (98) und Polen (77) ist diese
Kennzahl ungewöhnlich hoch.
Branchenwahl variiert mit der Nationalität
Die Pizzeria, Dönerbude oder der Chinese um
die Ecke gehören ebenso selbstverständlich in
unsere Alltagswelt wie der türkische Lebensmittelhändler. Daher entspricht es unseren Erwartungen, wenn Ausländer in diesen Branchen
häufiger einen Gewerbebetrieb gründen als
Deutsche. In diesen Alltagswahrnehmungen
spiegelt sich jedoch nur ein Teil der tatsächlichen
Selbstständigkeit und aktuellen Gründungsaktivitäten von Ausländern wider. Eine nähere
Betrachtung zeigt zudem, dass die Branchen-
20
Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit
gründen mit 25 % am häufigsten im Handel
und hier vor allem im Einzelhandel (ohne Kfz).
Weitere 12 % starten mit einer Tätigkeit im Bereich der freiberuflichen, wissenschaftlichen
und technischen Dienstleistungen, zu denen
neben der Werbung und Marktforschung zum
Beispiel auch die Unternehmensberatung oder
-verwaltung gehören. An dritter Stelle stehen
sonstige wirtschaftliche Dienstleistungen. Dazu
zählen beispielsweise Hausmeisterdienste, die
Gebäudereinigung oder der Büroservice. Von
Ausländern wird die Neugründung eines Gewerbebetriebes am häufigsten im Baugewerbe
(30 %) angezeigt. An zweiter Stelle rangiert mit
gut 18 % der Handel, gefolgt von den wirtschaftlichen Dienstleistungen mit einem Anteil von
14 %.
Italiener, Türken und Griechen gründen häufig
im Handel und Gastgewerbe
2010 gründeten 3 541 Türken, 1 838 Italiener
und 681 Griechen einen Gewerbebetrieb in
Baden-Württemberg. Ihr Gründungsverhalten
ähnelt insofern dem der Deutschen, da sie sich
ebenfalls am häufigsten im Handel selbstständig machen. Italiener kommen hier auf einen
Anteil von 29 %, Türken auf 27 % und unter den
Griechen sind es gut 25 %. Der Schwerpunkt
liegt im Einzelhandel (ohne Kfz). Im Vergleich
zu deutschen Staatsbürgern haben jedoch der
Kfz-Handel (einschließlich der Instandhaltung
und Reparatur von Kfz) sowie Handelsvermittlung und Großhandel (ohne Kfz) ein höheres
Gewicht.
Erwartungsgemäß liegt ein weiterer Schwerpunkt der Gründerinnen und Gründer aus Italien, Griechenland und der Türkei im Gastgewerbe. Dabei wählten unter den Italienern und
Griechen jeweils knapp 21 % diese Branche,
unter den türkischen Gründerpersonen waren
es 15 %. Während es sich bei Türken und Italienern fast ausschließlich um Gastronomiebetriebe handelt, gehören bei den Griechen prozentual häufiger auch Beherbergungsbetriebe
dazu.
Türken sind darüber hinaus auch in anderen
Wirtschaftsbereichen wie Baugewerbe (11 %)
oder Verkehr und Lagerei (10 %) deutlich präsent. Ebenfalls häufiger wählen sie Tätigkeiten
im Bereich der sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen (12 %) und hier vor allem in dem
Wirtschaftszweig „Garten- und Landschaftsbau; Gebäudebetreuung“ (7 %).
Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 1/2012
Bei den italienischen und griechischen Gründerinnen und Gründern stehen nach Handel
und Gastgewerbe mit einem Anteil von 10 %
bzw. 9 % Tätigkeiten zur Erbringung von sonstigen überwiegend persönlichen Dienstleistungen an dritter Stelle. Hierzu gehören zum Beispiel Wäschereien, Frisörsalons sowie Nagelund Sonnenstudios. Knapp 5 % der Italiener
starten mit Finanz- und Versicherungsdienstleistungen. Zum Vergleich: Unter den Türken
sind es nur gut 3 % und unter den Griechen
2 %, Deutsche kommen in diesem Wirtschaftsbereich ebenfalls auf einen Anteil von 5 %.
Gegenüber Deutschen (< 1 %) gründen Türken
(4 %) und Griechen (6 %) zudem vergleichsweise
häufig im Spiel-, Wett- und Lotteriewesen.
keiten sind hier beispielsweise Abbrucharbeiten, Betonbauarbeiten, die Elektroinstallation,
der Einbau von genormten Baufertigteilen
(zum Beispiel Fenster, Türen) sowie Arbeiten
als Maurer oder Eisenflechter. Am höchsten ist
der Anteil der Gründer im Baugewerbe unter
den Ungarn (62 %) und Polen (61 %). Aber auch
bei den Bulgaren und Rumänen ist er mit 52 %
und 48 % dominierend. Insgesamt waren 44 %
aller Gewerbetreibenden bzw. 73 % der ausländischen Gewerbetreibenden, die 2010 eine
Neugründung im Baugewerbe anzeigten,
Staatsangehörige dieser vier Nationen. Mehrheitlich erfolgt die Gründung als nicht eingetragenes Einzelunternehmen, an zweiter Stelle
steht die Rechtsform Gesellschaft bürgerlichen
Rechts (GbR).
Baugewerbe ist Domäne der Polen, Bulgaren,
Rumänen und Ungarn
Ein weiteres häufig gewähltes Betätigungsfeld
ist der Wirtschaftsbereich „Garten- und Landschaftsbau; Gebäudebetreuung“, zu dem beispielsweise Hausmeisterdienste und die Gebäudereinigung gehören. Gut 24 % der Bulgaren,
17 % der Rumänen und 14 % der Polen machten
sich 2010 in diesem Wirtschaftszweig selbstständig. Ungarn kommen hier lediglich auf
6 %. Dafür sind sie in anderen Tätigkeitsfeldern
Neugründungen von Ungarn, Polen, Bulgaren
und Rumänen erfolgen ganz überwiegend im
Baugewerbe. Dabei konzentrieren sich die Tätigkeiten im Wirtschaftszweig „Vorbereitende
Baustellenarbeiten, Bauinstallation und sonstiges Ausbaugewerbe“. Häufig genannte Tätig-
Nach der Gewerbeordnung muss die
Aufnahme, Verlegung oder Beendigung
eines Gewerbes bei den Gewerbeämtern der Gemeinden zum Zweck der Überwachung der Gewerbeausübung und der
statistischen Erhebung angezeigt werden.1
Erfasst werden Angaben zum Gewerbebetrieb, wie Wirtschaftszweig, Rechtsform oder
Anzahl der Beschäftigten; außerdem die
Staatsangehörigkeit und das Geschlecht der
Inhaber oder Inhaberinnen von Einzelunternehmen, der gesetzlichen Vertreter bei juristischen Personen sowie aller Gesellschafter
bei Personengesellschaften. Die Personenzahl, die einen Gewerbebetrieb gegründet
hat, ist daher immer höher als die Zahl der
gegründeten Betriebe. Für weitergehende
Analysen können die Neugründungen in
Betriebsgründungen mit wirtschaftlicher
Substanz und sonstige Klein- und Nebenerwerbsgründungen unterschieden werden.
Als Betriebsgründungen mit vermutlich
größerer wirtschaftlicher Substanz gelten
alle Gründungen, die von einer Personengesellschaft, einer juristischen oder natürlichen Person angezeigt werden. Bei der
Gründung einer Hauptniederlassung durch
eine natürliche Person gilt die weitere Voraussetzung, dass diese
„
„
„
Wirtschaft,
Arbeitsmarkt
in das Handelsregister eingetragen sein
muss oder
ein Handwerksrolleneintrag besteht oder
mindestens eine Person beschäftigt wird.
Außerdem darf das Gewerbe nicht im Nebenerwerb betrieben werden.
Als sonstige Neugründungen gelten alle
Nebenerwerbsgründungen sowie Gründungen von Hauptniederlassungen durch eine
natürliche Person, bei der keine der unter
Betriebsgründungen genannten Voraussetzungen erfüllt ist.
Die Gewerbeanzeigenstatistik basiert auf den
Absichtserklärungen der Gewerbetreibenden
und kann daher nur eine Momentaufnahme
zum Zeitpunkt der Anmeldung sein. Ob die
gegründeten Betriebe tatsächlich am Markt
aktiv werden und sich behaupten, kann mit
Hilfe der Gewerbeanzeigenstatistik nicht
nachvollzogen werden. Weitere Erläuterungen zur Gewerbeanzeigenstatistik können
unter: www.statistik-bw.de/VolkswPreise/
Erlaeuterungen.asp abgerufen werden.
1 Einige Tätigkeiten, beispielsweise in der Urproduktion
oder im Rahmen freier Berufe, fallen nicht unter die Anzeigepflicht der Gewerbeordnung (vgl. GewO § 6). Daher wird das
Gründungs- und Stilllegungsgeschehen durch die Gewerbeanzeigen nicht vollständig abgebildet.
21
Wirtschaft,
Arbeitsmarkt
Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 1/2012
etwas stärker vertreten. Zum Beispiel gründen
7 % im Verarbeitenden Gewerbe und hier vor
allem im Bereich der Herstellung von Metallerzeugnissen.
Gekauft, gepachtet oder geerbt: Unternehmensübernahmen durch Ausländer
Rund 2 260 Ausländer übernahmen 2010 in
Baden-Württemberg einen bestehenden Gewerbebetrieb, in dem sie diesen kauften, pachteten oder eine Erbfolge antraten. Fast 740, das
heißt ein Drittel dieser Gewerbetreibenden,
waren türkische Staatsbürger. Weitere 16 %
kamen aus Italien und 9 % aus Griechenland.
Besonders typisch sind Unternehmensübernahmen durch Erbfolge, Kauf oder Pacht im
Gastgewerbe und im Handel. So wählen 35 %
der Deutschen und 68 % der Ausländer bei der
Übernahme einen Gastronomiebetrieb, darunter zum Beispiel Restaurants, Imbissstuben,
Eisdielen, Schankwirtschaften, Bars, EventCaterer oder Heimlieferservices für Speisen
und Getränke. Bereits eingeführte Betriebe im
Einzelhandel9 stellten bei den Unternehmensübernahmen durch Deutsche mit 23 % einen
größeren Anteil als bei den Ausländern (11 %).
Wie bei den Neugründungen sind italienische
und griechische Staatsbürger stärker im Gastgewerbe aktiv als Gewerbetreibende aus der
Türkei. 83 % der Italiener und 84 % der griechischen Gewerbetreibenden zeigten die Betriebsübernahme im Gastgewerbe an. Unter den
Türken betrug dieser Anteil 69 %.
Schlussbetrachtung
9 Ohne Handel mit Kraftfahrzeugen.
10 www.zdh.de/fileadmin/
user_upload/12-8-Wir
kungen_Handwerksord
nung_B1_Mitte_2005.pdf,
Stand November 2011.
11 EG-Vertrag, Teil 3, Art. 39,
Abs. 2.
12 Jorens, Y: Selbstständigkeit und Scheinselbstständigkeit in der Europäischen Bauindustrie.
Zusammenfassung einer
Vergleichsstudie der
11 Mitgliedstaaten, hrsg.
von Europäische Sozialpartner für die Bauindustrie (EFBWW und FIEC),
2009, S. 19, www.efbww.
org/pdfs/annex%208%20
-%20Brochure%20part%
201%20[DU].pdf, Stand
November 2011.
13 Ebenda.
22
Die Gründungsintensität ist bei Ausländern
höher als bei Deutschen. Zudem haben Unternehmensgründungen und -übernahmen durch
Ausländer in den letzten Jahren an Gewicht
gewonnen. Nebenerwerbsgründungen sind
dabei vergleichsweise selten, überwiegend
dient die Selbstständigkeit dem Haupterwerb.
Die Branchenschwerpunkte variieren mit der
Nationalität, jedoch lassen sich durchaus einige
Schwerpunkte ausmachen. So erfolgen zum
Beispiel bei den Ausländern mehr als zwei Drittel der Unternehmensübernahmen durch Erbfolge, Kauf oder Pacht im Gastgewerbe. Auffällig ist außerdem die Konzentration und
Dynamik der Gründungsaktivitäten im Baugewerbe durch Polen, Bulgaren, Rumänen und
Ungarn. Dies betrifft sowohl die Neugründungen als auch die hohe Zahl der Gesellschaftereintritte. Auch die Bevölkerungszahl der betreffenden Nationen stieg in Baden-Württem-
berg seit den EU-Beitritten an, allerdings nicht
so stark wie die Gründungsaktivitäten. Bezogen
auf die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter
fällt daher die Gründungsintensität sehr hoch
aus. Begünstigt wurde der „Gründungsboom“
in der Baubranche auch durch den Wegfall von
Zulassungsbeschränkungen (seit 1. Januar 2004)
für insgesamt 53 Handwerke im Rahmen der
Reform des Handwerkrechts.
Der Zentralverband des deutschen Handwerks
wies bereits 2005 darauf hin, dass es sich zumindest bei einem Teil dieser Neugründungen
im Baugewerbe um den Versuch handeln
könnte, die Beschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit zu umgehen.10 Freizügigkeit
bedeutet, dass es keine auf der Staatsangehörigkeit beruhende unterschiedliche Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in
Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und
sonstige Arbeitsbedingung gibt.11 Deutschland
hat jedoch von der Möglichkeit der Einschränkung dieses EU-Rechts für die Zeit von maximal
7 Jahren Gebrauch gemacht.
Eine Vergleichsstudie zur Selbstständigkeit und
Scheinselbstständigkeit in der europäischen
Bauindustrie12 verweist für Deutschland auf
Beispiele von Scheinselbstständigkeit, in
denen sich ein Hauptgesellschafter und mehrere weitere Gesellschafter aus den neuen Mitgliedstaaten als GbR (Gesellschaft bürgerlichen Rechts) ausgeben. In der Studie wird
gefordert, dass „in diesen Fällen … geprüft
werden (muss), ob die Arbeitnehmer tatsächlich in einem Partnerstatus agieren oder ob
eine de facto Arbeitgeber – Arbeitnehmer Beziehung zwischen den betroffenen Personen
und dem deutschen oder ausländischen „Leiter“ der Firma besteht.“13 Für Staatsangehörige aus Polen und Ungarn trat die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit zum 1. Mai 2011 ein. Für
die Länder Bulgarien und Rumänien wird dies
ab 1. Januar 2014 der Fall sein. Bis dahin gelten Übergangsregelungen, die für die Aufnahme einer Beschäftigung in Deutschland eine
Arbeitsgenehmigung erforderlich macht. Es
bleibt abzuwarten, wie sich die Zahl der Neugründungen im Baugewerbe durch Staatsangehörige der genannten Beitrittsländer mit Eintritt der Arbeitnehmerfreizügigkeit verändern
wird.
Weitere Auskünfte erteilt
Birgit John, Telefon 0711/641-21 37,
[email protected]