Höhlenmalerei – Ursprung des Jagdmythos
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Höhlenmalerei – Ursprung des Jagdmythos
eu Jagdkultur Vo r g e s te llt R I T E N D E R S T E I N Z E I T U N D B R AU C H T U M H E U T E Höhlenmalerei – Ursprung des Jagdmythos Zeichnung: Rainer Schmidt 102 unsere Jagd September 2011 Zeichnung: Rainer Schmidt Jagdmythos – das ist Achtung vor dem Lebendigen und zugleich Töten des Wildtiers. In den Höhlenmalereien der Jüngeren Altsteinzeit finden sich der Ursprung dieses Mythos und die überraschende Beziehung zur bürgerlichen Jagdkultur unserer Zeit. Autor: Dieter Stahmann Zeichnungen: Rainer Schmidt E in Mythos ist eine Erzählung mit einer bestimmten Bedeutung. Aber wer etwas erzählen will, braucht dazu ein Objekt, über das er berichtet. Für die Menschen der Jüngeren Altsteinzeit war dieses Objekt die Jagd. Ein großartiger Beweis für den Beginn einer Subjekt-Objekt-Beziehung sind die Höhlenmalereien dieser Zeit, die in wunderbaren Bildern über die Jagd und über Jagdtiere erzählen. Die Entstehung des Jagdmythos Die Fülle der Bilder, die uns die Menschen dieser Zeit hinterlassen haben, ist überwältigend. Es sind auch eindeutig keine einfachen Symbole, sondern Abbildungen lebendiger oder erlegter Wildtiere oder ganzer Jagdszenen mit Tieren und Menschen. Dabei sind die meist farbigen Bilder naturnah und zeigen sehr deutlich, dass die Tiere als Objekte vom Menschen gesehen werden. Was aber wollten die Steinzeitjäger erzählen? Welche Bedeutung hatten diese Mythen? Steinzeitliche Malereien haben den Maler Rainer Schmidt inspiriert. Er hat Wildtiere der Höhlenzeichnungen mit heute lebenden Tieren konfrontiert und „lebendig“ werden lassen. Mit der Bewusstwerdung des Handelns wurde diesen Menschen zum ersten Mal klar, dass sie zur Sicherung ihres Lebensunterhalts Lebewesen töteten, und mit diesem Bewusstsein war unvermeidlich der Gedanke der Schuld verbunden. So lassen sich die Höhlenmalereien als Bekenntnis- oder Opferhandlungen verstehen, mit denen der Jäger den Tod der Wildtiere wieder gutmachen will. Diese Interpretation wird unterstützt durch die Tatsache, dass diese Bilder in der Regel nicht in den Wohnräumen der Höhlen zu finden sind, sondern in besonderen und oft nur schwer zugänglichen Bereichen. Die Malereien waren also eindeutig rituelle Opferhandlungen für die Schuld, die durch das Töten der Tiere entstanden war. Unterstützt wird diese Hypothese auch durch die ständige Übermalung dieser Bilder. Sie stellten also keinen Schmuck auf Dauer dar, sondern bezogen sich jeweils auf ein einzelnes Jagdtier oder ein Ereignis, das ohne Rücksicht auf andere Bilder gemalt werden musste, weil es der Ritus so verlangte. Auf manchen Höhlendarstellungen gibt es auch Menschen, die Tierfelle tragen oder als Kopfaufsatz ein Geweih oder eine Tierkappe. Dabei handelt es sich wahrscheinlich um Schamanen, die durch die Verkleidung und 103 f eu Jagdkultur Vo r g e s te llt Zeichnung: Rainer Schmidt rituelle Tänze Kontakt mit den Wildtieren aufnehmen. Diese Art des Jagdzaubers war noch bei rezenten (gegenwärtig noch lebend, Anm. d. Red.) Jägervölkern zu beobachten. Als Beispiel sei der bekannte Büffeltanz bei den Indianern des 19. Jahrhunderts genannt. Das aber hat nichts mit dem eigentlichen Jagdmythos zu tun. Das Ende des Jagdmythos Aber warum hörten diese Bilddarstellungen in der Jungsteinzeit wieder auf ? Der große kulturelle Unterschied zwischen dem Ende der Altsteinzeit und der Jungsteinzeit war der Übergang vom Jägersein zu Ackerbau und Viehzucht, die sogenannte neolithische Revolution. Dadurch veränderte sich auch die seelische Einstellung des Menschen zu seiner Umwelt und zum Tier. „Der Jäger fühlt sich im Einklang mit der Natur, und erst sehr allmählich stellt er sich seiner Umwelt gegenüber, gewinnt Individualität und geistige Distanz, drückt sein Distanzgefühl in der Kunst aus und versucht, mit seinem Geist Einfluss auf seine Umwelt auszuüben. Geist und Kunst sind Erfindungen des Jägers. Der Pflanzer kommt vom Ackerbau zur Siedlung und zum Dorf, zur Stadt und zum Staat. Sein System ist ein künstliches, der Natur entgegengestelltes; das des Jägers ist ein natürliches, er ordnet sich in seine Umwelt ein.“ (Andreas Lommel). Im vom Verstand geleiteten römischen Recht wurde das Tier zur Sache, und auch die christliche Sicht bestand auf dem grundlegenden Unterschied zwischen dem Menschen, der nach dem Bilde Gottes geschaffen, und dem Tier, das ihm zur Nutzung gegeben war. Auch für die Jagdkulturen des Mittelalters und der Zeit bis 1800 war das Wildtier eine seelenlose Sache, auf die man gefühlsmäßig keine Rücksicht zu nehmen brauchte. Die grausamen „Jagdspiele“ der absolutistischen Zeit wie etwa das Fuchsprellen zeigen das deutlich. Auch die Aufklärung sah im Tier nur eine Maschine ohne Seele. Und der deutsche Idealismus mit Johann Gottlieb Fichte lieferte um 1800 das zukünftige Motto in Bezug auf das Objekt Natur: Natur ist verfügbares Material, das „zu nichts weiter da ist, als gebraucht zu werden.“ Jagdmythos und jagdliches Brauchtum Als Gegenbewegung gegen diese materialistische Entwicklung hat die bürgerliche Jagdkultur in den letzten 150 Jahren versucht, 104 Dem Maler Rainer Schmidt gelingt es, mit seinen modernen Höhlenmalereien zweit Zeitebenen zu verschmelzen; die der Steinzeit und die der Jetztzeit. e u INFO u AU S S T E L LU N G „Wildtiere der Steinzeit und der Gegenwart“ ist das Thema einer Ausstellung, die vom 12. Oktober bis zum 17. November im Jagdschloss Springe zu sehen ist. Der Tiermaler Rainer Schmidt war von den steinzeitlichen Höhlenmalereien beeindruckt. Er hat sie auf seine Weise wieder „lebendig“ werden HW lassen. w Jagdschloss Springe, Tel. 05041/9468-23, e [email protected] www.jagdschloss-springe.de die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse mit der Achtung vor dem Wildtier zu verbinden und damit auch die seelische und individuelle Verantwortung des Jägers für sein Handeln wieder in den Vordergrund zu stellen. Die Weidgerechtigkeit soll die Leidenschaft des Jägers eingrenzen, und das Brauchtum die Achtung vor dem erlegten Wild wach halten und sein Schuldgefühl verarbeiten – genau das, was der Steinzeitjäger durch seine Malerei erreichen wollte. Wer mit der heutigen Jagdkultur in Deutschland vertraut ist, wird die prinzipielle Ähnlichkeit der steinzeitlichen Riten mit den ernsthaften Teilen des gegenwärtigen jagdlichen Brauchtums auffallen. Auch der heutige Jäger nimmt nach der Erlegung von Wildtieren mit einer achtungsvollen Gebärde gegenüber dem getöteten Tier Handlungen vor, die dazu beitragen, sein Schuldgefühl abzureagieren. Das gilt natürlich nur dann, wenn der moderne Jäger auch wirklich seelisch engagiert ist. Er gibt dem erlegten Hirsch oder Rehbock einen letzten Bissen in den Äser, und er beendet eine Gesellschaftsjagd mit dem Streckelegen und Verblasen als Achtungsgeste gegenüber dem erlegten Wild und Bekenntnis zu seinem jagdlichen Handeln. Einfach ausgedrückt: Er bringt durch diese Riten seine Seele wieder ins Reine. Nur durch einen derartigen Ritus ist es möglich, die Achtung vor dem Lebendigen mit dem Töten eines Tieres zu verbinden. Denn die Achtung vor dem Tier und damit die individuelle Schuld des Jägers beim Töten des Tieres wird durch die kollektiv-materielle Berechtigung des Tötens aus berechtigtem Grund im Sinne des Tierschutzgesetzes (Ernährung, Schädlingsbekämpfung) nicht aufgehoben. Der Altertumswissenschaftler Walter Burkert (geb. 1931) sieht in dem Jagdmythos der Steinzeitjäger mit dem Schuldgefühl und seiner Überwindung durch Opfer und Ritus auch den Ursprung für das religiöse Denken mit seinen Grundlagen von Schuld und Sühne. Auf Grund der modernen Materialisierung des Denkens geht leider das Verständnis für derartige mythische Beziehungen immer mehr verloren … Vielleicht ist es die Sehnsucht nach dem einfachen Leben und dem ursprünglichen Jagdmythos, die uns an den Bildern aus den Höheu len der Steinzeit so begeistert. unsere Jagd September 2011