Richtlinie Jugendamtsberichte der Polizei
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Richtlinie Jugendamtsberichte der Polizei
Landeskriminalamt Richtlinie Niedersachsen 32.4 - 51602 Stand: 01.08.2007 Jugendamtsberichte der Polizei 1. Allgemeines Das Achte Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII), geändert durch das Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz (KICK) v. 13.09.2005 hat vor dem Hintergrund spektakulärer Fälle von Kindeswohlgefährdung den aus dem Wächteramt (Artikel 6 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz) abgeleiteten Schutzauftrag des Jugendamtes durch Einführung des § 8a SGB VIII (Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung) gesetzlich eindeutiger formuliert. Das Jugendamt muss einschreiten, wenn es Kenntnis von Kindeswohlgefährdungen erlangt (z.B. bei Vernachlässigung oder bei körperlicher, psychischer oder sexueller Gewalt gegen Minderjährige). Sollten Eltern nicht willens oder in der Lage sein, die Gefährdung abzuwenden, muss nötigenfalls das Familiengericht angerufen werden, um die Elternrechte zum Wohle des Minderjährigen einzuschränken. 2. Konsequenzen für die Polizei Der Polizei kommt neben den Angehörigen anderer Institutionen wie Jugendamt, Kindertagesstätte, Schule und der Gesundheitsvorsorge die Aufgabe zu, alle Informationen zur Wahrnehmung des in § 8a SGB VIII normierten „Schutzauftrages bei Kindeswohlgefährdung“ zu sichern und weiterzuleiten. Warnhinweise müssen frühzeitig weitergeleitet werden, um die zuständigen Stellen in die Lage zu versetzen, schnelle sozialpädagogische Hilfsangebote zu unterbreiten oder mit Hilfe der Familiengerichte eingreifen zu können. 3. Rechtslage Das Jugendamt hat nach § 1 SGB VIII (KJHG) die Aufgabe das Recht der Kinder auf die Förderung ihrer Entwicklung, sowie auf ihren Anspruch auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu sichern. Aus Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz und § 1 Abs. 3 Satz 3 SGB VIII leitet sich der generelle Handlungsauftrag her, Kinder und Jugendliche vor Gefahren für ihr Wohl zu schützen (Teil des "staatlichen Wächteramtes" aus Art. 6 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz). Weiterhin beschreiben die PDV 382, Bearbeitung von Jugendsachen, Ausgabe 1995 und die Leitlinien für die polizeiliche Bearbeitung von Jugendsachen (RdErl. d. MI vom 28.07.2005 – LPP 3.1 – 51603 –), Abschnitt IV: Zusammenarbeit mit anderen Behörden und Institutionen / Unterrichtungspflichten, Verfahrensweisen der Unterrichtung der Jugendämter das Handeln der Polizei. Die für diesen gesetzlichen Auftrag erforderliche Datenübermittlung zwischen Polizei und Verwaltungsbehörde richtet sich nach § 1 (1), § 41 und § 43 Abs. 1 Nr. 1 Nds.SOG. Herausgeber: Landeskriminalamt Niedersachsen Schützenstraße 25 30161 Hannover Ansprechpartner im LKA NI, Dez. 32.4-KHK Brandes FeSoNe(Pol) 07-20-3244, Amt: 0511/26262-3244 E-Mail: [email protected] Richtlinie Jugendamtsberichte der Polizei 4. Fertigung von Jugendamtsberichten (PolN 136a) 4.1 Jugendamtsberichte sind in allen Gefährdungslagen Minderjähriger zu fertigen, wie sie die PDV 382 in Ziffer 2.2 wie folgt beispielhaft beschreibt. „Gefährdung Minderjähriger“ aus der PDV 382, Ausgabe 1995, Ziffer 2.2: (Ziffernfolge analog der PDV!) 2.2.1 Minderjährige sind gefährdet, wenn aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte zu befürchten ist, dass sie Opfer einer rechtswidrigen Tat werden sie passive Teilnehmer eines Ereignisses sind, durch das ihnen eine unmittelbare Gefahr für ihr körperliches, geistiges oder seelisches Wohl droht, z.B. bei Unglücksfällen mit schwerem Personenschaden sie Einflüssen ausgesetzt sind, die ihr körperliches, geistiges oder seelisches Wohl derart beeinträchtigen, dass sie in die Kriminalität abzugleiten drohen sie vermisst sind. 2.2.2 Minderjährige sind auch gefährdet, wenn sie sich an Orten aufhalten, an denen ihnen eine unmittelbare Gefahr für ihr körperliches, geistiges oder seelisches Wohl droht. Von einer solchen Gefährdung kann regelmäßig ausgegangen werden an Orten, an denen Personen der Prostitution nachgehen illegales Glücks- oder Falschspiel stattfindet Betäubungs-, Rausch-, Arzneimittel oder sonstige Suchtstoffe illegal angeboten, illegal oder missbräuchlich konsumiert oder missbräuchlich verwendet werden Personen Straftaten verabreden, vorbereiten oder verüben sich erfahrungsgemäß Straftäter aufhalten Von einer solchen Gefährdung ist auszugehen in Gaststätten, die als Nachtbar oder Nachtclub geführt werden, und in vergleichbaren Vergnügungsbetrieben an Orten, an denen jugendgefährdende Schriften, Bilder- und Datenträger angeboten, überlassen oder sonst zugänglich gemacht werden in öffentlichen Spielhallen oder ähnlichen, vorwiegend dem Spielbetrieb dienenden Räumen 2.2.3 Unabhängig vom Aufenthaltsort liegt eine Gefährdung in der Regel vor, wenn Kinder bei ihnen nicht bekannten Personen Mitfahrgelegenheit suchen oder bei diesen als Mitfahrer angetroffen werden Jugendliche zu unüblichen Zeiten bei ihnen nicht bekannten Personen Mitfahrgelegenheit suchen oder bei diesen als Mitfahrer angetroffen werden Minderjährige unter Einfluss von Betäubungs-, Rausch-, Arzneimittel oder sonstigen Suchtstoffen oder in verwahrlostem Zustand angetroffen werden Anzeichen von Verwahrlosung sind insbesondere gegeben, wenn Minderjährige als Streuner oder wiederholt als Schulschwänzer oder wiederholt als Entwichene aus Einrichtungen der Jugendhilfe (Heimerziehung) bzw. aus sonstiger betreuter Wohnform angetroffen werden der Prostitution nachgehen 2.2.4 Minderjährige sind auch dann gefährdet, wenn ihnen in der häuslichen Gemeinschaft durch Vernachlässigung oder Missbrauch der Personensorge eine unmittelbare Beeinträchtigung für ihr körperliches, geistiges, oder seelisches Wohl droht. Herausgeber: Landeskriminalamt Niedersachsen Schützenstraße 25 30161 Hannover Ansprechpartner im LKA NI, Dez. 32.4-KHK Brandes 2 FeSoNe(Pol) 07-20-3244, Amt: 0511/26262-3244 E-Mail: [email protected] Richtlinie Jugendamtsberichte der Polizei Dies ist regelmäßig der Fall bei häufigen Familienstreitigkeiten mit tätlichen Auseinandersetzungen Alkohol- oder Drogensucht der Erziehungsberechtigten Erziehungsberechtigten, die - für den Minderjährigen erkennbar – wiederholt rechtswidrige Taten begehen Erziehungsberechtigten, die zu rechtswidrigen Taten verleiten 2.3.4 Werden aufgrund polizeilicher Erkenntnisse, z.B. über jugendgefährdende Orte, Maßnahmen zum Schutz Minderjähriger erforderlich, sind die zuständigen Behörden oder Stellen zu unterrichten. Hierbei sollen Hinweise über mögliche Ursachen und bisherige Auffälligkeiten gegeben werden. 4.2 In der PDV 382 sind Mindeststandards definiert, über die man hinausgehen kann. Zusätzlich zu den in der PDV 382, Pkt 2.2 aufgeführten Fällen sind Jugendamtsberichte in folgenden Fällen zu fertigen und an das Jugendamt zu senden: Grundsätzlich alle Fälle von Delinquenz Androhung von Suizid (Minderjährige selbst oder Sorgeberechtigte) Schulschwänzen mehrfache Opferwerdung Mitteilung aller Fälle häuslicher Gewalt, wenn Minderjährige im Haushalt leben. (Allein das Miterleben von häuslicher Gewalt gilt als traumatisierend! Neben der polizeilichen Standard-Meldung an die Beratungs- und Interventionsstellen muss zusätzlich das Jugendamt informiert werden !) 5. Besonderheiten 5.1 Zeitnahe Informationen Eine frühe Information der Jugendhilfe erleichtert die Kontaktaufnahme zum Minderjährigen und seinen Eltern. Unter dem Eindruck der aktuellen Ereignisse werden Hilfsangebote eher als solche erlebt und mitgetragen. Bei Gefährdungslagen sind sofortige Vorabinformationen vorzusehen. Insbesondere bei Strafverfahren mit mehreren Beteiligten vergehen häufig mehrere Wochen oder Monate, bis das Jugendamt informiert wird. Bei umfangreichen und zeitaufwändigen Ermittlungsverfahren oder in herausragenden Fällen ist das Jugendamt vorab über das laufende Ermittlungsverfahren zu informieren. Diese Verfahrensweise unterstützt nachhaltig ein „Frühwarnsystem“ der Jugendhilfe. Herausgeber: Landeskriminalamt Niedersachsen Schützenstraße 25 30161 Hannover Ansprechpartner im LKA NI, Dez. 32.4-KHK Brandes 3 FeSoNe(Pol) 07-20-3244, Amt: 0511/26262-3244 E-Mail: [email protected] Richtlinie Jugendamtsberichte der Polizei 5.2 Wiederholte Meldungen von Vorkommnissen gleicher Art Um den Hilfebedarf eines Kindes und die Wirksamkeit eingeleiteter Maßnahmen umfassend beurteilen zu können, ist es wichtig, dass gleiche Vorkommnisse, ein Kind/eine Familie betreffend, stets neu gemeldet werden. 5.3 Qualitätsstandards Aus Sicht des Jugendamtes soll die Mitteilung außer dem Tatvorwurf und dem Tatgeschehen auch Hinweise der Polizei über die Tatzeit, über die Reaktion der Eltern oder sonstige Hinweise auf das soziale Umfeld, z. B. auf die Gruppe, in der das Kind/der Jugendliche agiert (Namen von Mittätern oder Opfern), enthalten. Dies sind wichtige Anhaltspunkte, die die Entscheidung des Jugendamtes über Intervention oder eine Kontaktaufnahme mit den Eltern nachhaltig begründen können. 5.4 Kommunikation Absprachen zwischen Jugendamt und Polizei helfen Hemmschwellen abzubauen und können Abläufe nachhaltig optimieren. Gemeinsame Besprechungen auf Führungs- und Sachbearbeiterebene sind jährlich vorzusehen. 6. Inkrafttreten Die Richtlinie Jugendamtsberichte der Polizei tritt am 01.08.2007 in Kraft. Impressum Landeskriminalamt Niedersachsen Dezernat Zentralstelle Polizeiliche Prävention und Jugendsachen KHK Otmar Brandes Schützenstraße 25 30161 Hannover Herausgeber: Landeskriminalamt Niedersachsen Schützenstraße 25 30161 Hannover Ansprechpartner im LKA NI, Dez. 32.4-KHK Brandes 4 FeSoNe(Pol) 07-20-3244, Amt: 0511/26262-3244 E-Mail: [email protected]