Leseprobe - Wehry | Verlag

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Leseprobe - Wehry | Verlag
29.2 D
er nächtliche Absturz einer Halifax
bei METZELS im Februar 1945
In der Zeit vom 13. bis 15. Februar 1945 unternahmen die
Bomberkommandos der RAF und der USAAF ihre berüchtigten Operation „Thunderclap“*. Bei dem ersten der Angriffe, in der Nacht vom 13./14. Februar, wurde durch die
RAF das Inferno in DRESDEN angerichtet. In derselben
Nacht griffen 326 Halifax, 34 Lancaster und 8 Mosquitos
der 4., 6. und der 8. Bomber-Gruppe die Treibstoffindustrie
in BÖHLEN an.
Zu ihnen gehörte die Halifax MZ803 mit der Kennung
KN-G. Sie wurde geflogen von dem 22-jährigen F/S A. G.
Simmons. Die Besatzung gehörte zur Volunteer-Reserve.
Gemeinsam mit 20 weiteren Halifax der 77. Staffel war
der Bomber MZ803 um 18:45 Uhr in FULL SUTTON gestartet und hatte sich gegen 22 Uhr – bei völlig bedecktem
Himmel – an der Bombardierung BÖHLENS beteiligt. Der
Bomberverband befand sich auf der befohlenen Route für
den Heimflug, als er in der Zeit von 22:17 bis 22:29 Uhr im
Luftraum zwischen LEIPZIG und JENA von deutschen Jägern attackiert wurde. Wahrscheinlich wurde dabei die Halifax MZ803 getroffen. Es ist nicht nachgewiesen, welcher
Art die Schäden waren. Offenbar hielt die Besatzung bis
zum bitteren Ende an dem Glauben fest, dass der Bomber
am Himmel zu halten sei. Das gelungene Überqueren des
Kamms des Thüringer Waldes schien sie in diesem Glauben
zu bestätigen.
Schließlich überschlugen sich die Ereignisse an Bord so
schnell, dass der brennende Bomber zu Boden ging, ohne
einen Ausstieg der Besatzung zu ermöglichen.
Die Halifax MZ803 war der einzige Bomber, den die RAF
bei diesem Angriff verlor. 349, 350, 351
Operation Thunderclap, Flugrouten der RAF
in der Nacht vom 13./14. Februar 1945.
Die Einwohner der kleinen Gemeinde METZELS wähnten
sich in ihrem Glauben sicher, dass von den Bomberverbänden für den Ort keine Gefahr ausgeht. Abseits des großen
Kriegsgeschehens gelegen, nahmen sie das monotone Geräusch der über sie hinwegfliegenden Bomberpulks kaum
noch wahr. In dieser Nacht kam es anders.
Gegen 23:00 Uhr färbte sich der dunkle Himmel rot, anschwellende Geräusche näherten sich, bis schließlich eine
heftige Explosion die Gelassenheit der Dorfbewohner zerriss. Erschrocken rannten sie auf die Straße und tauschten
ihre Beobachtungen mit den Nachbarn aus.
In Nordwestrichtung war ein naher Feuerschein zu sehen.
Gleich bei Tagesanbruch setzten sich die Bewohner scharenweise in Bewegung, um der Ursache des nächtlichen
Ereignisses nachzugehen. Sie mussten nicht weit gehen. Im
Hochwald auf dem 430 m hohen Berg Langerain, etwa 1,5
km von Metzels entfernt, lagen die weit verstreuten Trümmer eines Bombers. Der Rumpf lag in der Säuleite. Zwei
Motoren waren direkt neben der einsam im Wald liegenden
* Donnerschlag
338
Kehlmühle aufgeschlagen. Der Heckschütze lag neben dem
Flugzeugrumpf. Im Rumpf befanden sich die verbrannten
Leichen seiner anderen sechs Kameraden. Die sieben Toten
wurden unmittelbar an der Absturzstelle begraben. Später
wurden sie exhumiert. Ihre letzte Ruhe fanden sie im „19391945 War Cementery“ BERLIN.
29.3 D
er nächtliche Absturz einer Lancaster
bei MARISFELD am 7. März 1945
Am 7. März 1945 waren gegen 17:30 Uhr von ihren Einsatzhäfen in Südostengland 526 Lancaster und 5 Mosquitos der
Royal Air Force zu einem Angriff auf DESSAU gestartet.*
Die Lancaster PD278 mit der Kennung HA-V startete um
17:23 Uhr in CHEDBURGH/Suffolk. Sie gehörte zur 218.
Staffel der 3. Bomber-Gruppe und wurde von dem Neuseeländer F/L K. J. Mackenzie geflogen. Noch ahnte niemand,
dass es der letzte Flug der PD 278 sein würde. Der Bomberpulk hatte nach der Erledigung seines unheilvollen Auftrages für den Heimflug eine Route gewählt, die ihn in einem
weiten, südlich verlaufenden Bogen um die stark verteidig-
ten Regionen ERFURT und GOTHA herumführen sollte.
Dabei wurde der Bomberstrom von deutschen Nachtjägern
verfolgt. Zu ihnen gehörte die vom Fliegerhorst Altenburg
gestartete und vom Feldwebel Helmut Burkhard geflogene
2-motorige Ju 88 G-6. Der Nachtjäger gehörte zum 1. NJG 5
der I. Gruppe in der 1. Jagddivision. An einem Punkt SSW
von MEININGEN gelang es dem deutschen Flugzeugführer, die Lancaster PD 278 um 22:45 Uhr aus dem Verband
herauszuschießen. 352, 353
Brennend und im Tiefflug überflog die Maschine das Dorf
MARISFELD bei MEININGEN und tauchte es in einen hellen Feuerschein. Der Lärm und der helle Feuerschein lockten die Bewohner aus ihren Häusern.
Bevor die Maschine etwa zwei Kilometer westlich des Ortes
im Flurgebiet Vogelherd abstürzte und explodierte, hatte sie
zwei immer enger werdende Kreise gedreht. 355
Absturz der Lancaster PD278 am 07. 02 1945 bei MARISFELD
Keines der sieben Besatzungsmitglieder überlebte den Absturz. Ihr Durchschnittsalter betrug 22 Jahre. Bis auf den
Piloten und den Sgt Scrowther gehörten sie zur RAFVR**.
Angriff der RAF auf DESSAU in der Nacht vom 07./08.03.1945.
* sie gehörten zu den Gruppen 1, 3, 6 und 8.
** Freiwilligenreserve der Royal Air Force
339
Die RAFVR bildete einen Pool von Offizieren aus. Diese
wurden aus den Mitgliedern der Luftkadettenorganisation
und Studenten der Universitäten rekrutiert.
Die Toten wurden zunächst auf dem örtlichen Friedhof
beigesetzt und dann am 1. Juli 1950 nach BERLIN auf den
„War Cementary 1939-45“ überführt. Der schwere Bomber gehörte zu den 18 Lancaster, die an diesem Tag von der
deutschen Luftverteidigung abgeschossen wurden.
29.4 SUHL in der Zielauswahl des
USAAF-Bomberkommandos
Die Bombardierung der Waffenindustrie in SUHL stand
in den ersten Kriegsjahren nicht auf der Prioritätenliste
der vereinigten Bomberflotten. Vorrangige strategische
Ziele waren die Schwerindustrie, Bevölkerungskonzentrationen sowie die Kampagnen gegen Verkehrsanlagen, die
Flugzeug- und Treibstoffindustrie sowie die Produktionsstätten schwerer Waffen. Erst als deren Zerstörungsgrad
kaum noch zu überbieten war, rückten andere Ziele der
militärischen Produktion ins Blickfeld der Bomberstrategen. Wie bereits erläutert, waren bereits ab 1943 auch diese
Ziele aufgeklärt worden.
Das alliierte Bomberkommandos zog offenbar die Schlussfolgerung, dass die Produktion von Kleinwaffen und deren
Munition durch den hohen Grad ihrer Bevorratung und
die Diversifikation der über ganz Deutschland verteilten
Produktionsstätten weit weniger von strategische Bedeutung ist als die „von der Hand in den Mund“ lebende
Versorgung mit schweren Waffen und Flugzeugen sowie
mit Treibstoff. Anders als bei den letztgenannten Zielen
wäre eine möglicherweise nur kurzfristige Ausschaltung
der Kleinwaffenproduktion des Suhler Raumes durch die
gefüllten Arsenale und durch viele andere Produzenten
kompensiert worden und ohne jegliche Auswirkungen auf
die Widerstandskraft der Deutschen Wehrmacht geblieben.
Dennoch hat man die Ziele in Suhl und Zella-Mehlis nicht
aus dem Auge verloren.
Den Berichten über die Missionen, die von der 303. Bomber
Gruppe der Achten US Air Force geflogen wurden, ist zu entnehmen, dass ihr die Bombardierung der Kleinwaffenindustrie SUHLS drei Mal als Sekundärziel vorgegeben wurde.
Zum ersten Mal erfolgte die Vorgabe für die Mission Nr. 280.
Dabei ging es primär um die Ölindustrie in ZEITZ/TRÖGLITZ und in MERSEBURG, die schließlich am 30. November
1944 bombardiert wurde.
Für die Mission 328 am 2. März 1945 wurde SUHL zum
zweiten Mal als „last resort target“* befohlen. In Primärziel war die Bombardierung der Bahnanlagen in CHEMNITZ.
Schließlich stand nur 2 Wochen vor der Befreiung – die
Stadt SUHL zum dritten Mal auf die Zielliste des strategischen Bomberkommandos. Für die strategische Mission
Nr. 340 am 19. März 1945 galt SUHL für die der 303. Bomber Gruppe als viertrangiges Sekundärziel ihrer 39 B-17.
Es ist nicht sicher, ob die Vorgabe dieses Ersatzzieles vorrangig der Zerstörung der nunmehr für den Kriegsausgang
unbedeutenden Waffenproduktion oder der ebenfalls ausführlich aufgeklärten Reichsbahnanlage galt.
Allein der vorstehende Sachverhalt beweist, dass SUHL
und ZELLA-MEHLIS nicht auf einer angeblichen „Tabu* Dt.:Letztes Ausweichziel
340
303rd BG (H) Combat Mission No. 340
303rd (H) Combat Mission No. 280
19 March 1945
Target: Military Objektives at Plauen, Germany
Crews Dispatched: 39
Length of Mission: 10 hours, 20 minutes
Bomb Load: 10x600lb G.P. Bombs
Bombing Altitudes: 26,000, 24,300, & 26,410 ft
Ammo Fired: 8,000 rounds
Thirty-nine aircraft were dispatched to bomb:
First
Behlen, Germany - synthetik oil plant(visual)
Second Plauen, Germany - machine works (visual)
Third
Plauen, Germany - military objektives (H2X)
Fourth Suhl, Germany - small arms factory
30 November 1944
Target: Synthetik Oil Refinery at Zeitz, Germany and
Leuna Synthetic Oil Refinery at Merseburg, Germany
Crews Dispatched: 39
Length of Mission: 7 hours, 35 minutes
Bomb Load: 20x250 lb H.E. M57 bombs
Bombing Altitudes: 26,700, 26,100 & 27,000 ft
Ammo Fired: 500 rounds
Thirty-nine aircraft from this Group were dispatched this
date to attack the synthetik oil plant at Zeitz, Germany.
The secondary target was the Leuna syntetic oil plant at the
dreaded Merseburg. Last resort targets were the small
arms plants at Fulda and Suhl, Germany. …
303rd BG (H) Combat Mission No. 328
2 March 1945
Target: Marshalling Yard at Chemnitz, Germany
Crews Dispatched: 39
Length of Mission: 9 hours, 30 minutes
Bomb Load: 16x250lb H.E. Bombs, M57 bombs
Bombing Altitudes: 26,500, 25,000, & 27,000 ft
Ammo Fired: 600 rounds
Continuing semi-tactical bombing, Group Forts were dispetched to attack Rositz, Germany synthetic oil plant (visual).
The secondary target was the Chemnitz marshalling yard
(PFF or visual) and the last resort was a small arms factory
at Suhl, Germany. …
Die Kleinwaffenindustrie von Suhl als „last resort target“ auf der Zielliste der 303. Bombergruppe
Liste“ der USAAF standen. Noch heute hält sich eine simple Vermutung unter den Einwohner, wonach die jüdischen
Familie Simson ihre Hände schützend über SUHL gehalten
hätte, nachdem sie in ihrer Heimatstadt von den Nationalsozialisten ihres Eigentums beraubten wurden und sich in
den USA in Sicherheit bringen konnten. Diese Familie hat-
te nie einen solchen weitreichenden Einfluss auf die operative amerikanische Luftkriegsführung. 357
Der Bomberverband musste am 19. März 1945 wegen
schlechter Sichtverhältnisse von seinem Primärziel BÖHLEN
ablassen und sich einem der vorgegebenen Ausweichziele zuwenden.
341
Auch über dem Ausweichziel PLAUEN war der Himmel an
diesem Tag zu 70–90 % mit einer hoch gestaffelten Wolkendecke und mit viel Dunst bedeckt. Selbst am Himmel betrug die Sichtweite nur etwa 2 km.
Der Kommandeur der führenden 358. Staffel, Major Glynn
F. Shumake, hatte sich nun zu entscheiden, ob er der drittrangigen Vorgabe entspricht und über PLAUEN sein H2XBodenradar einsetzt oder ob er mit den 39 B-17-Bombern
der Gruppe lieber der viertrangigen Vorgabe folgt und
SUHL angreift. Er entschied sich für PLAUEN und erzielte dort ein mäßiges Ergebnis. Ein Teil der Bomben fiel auf
freies Gelände außerhalb der Stadt. Ihm gleich taten es die
ebenfalls auf PLAUEN angesetzten Bombergruppen 91,
401. und 398. Es ist nicht bekannt, ob die drei letztgenannten Bomber-Gruppen ebenfalls SUHL auf der Liste ihrer
Sekundärziele hatten.
SUHL blieb jedenfalls am 19. März 1945 von 390 Stück 272kg-Sprengbomben (106 t) verschont. Soviel hatten die 39
B-17 der 303. BG insgesamt geladen.
Das Kriegsende war nahe, daran änderten auch die Ergebnisse strategischer Bombardierungen nichts mehr. Unter den Bomberbesatzungen hatte sich längst eine gewisse
„Betriebsmüdigkeit“ ausgebreitet. Die Kommodore der
Bomberformationen folgten zunehmend der Neigung, ihre
Bombenlast so bald wie möglich loszuwerden, selbst wenn
der Abwurf wenig Erfolg versprechend ist. Möglicherweise
ist durch eine solche Neigung die Stadt SUHL am 19. März
1945, 15 Tage vor ihrer Besetzung durch die 11. US-Panzerdivision, ihrer Zerstörung entgangen.
Man stelle sich vor:
Eine Bombardierung der im Zentrum gelegenen Firmen
Sauer & Sohn, Hähnel und Kober, sowie der beiden strate-
gisch wichtigen Viadukte hätten in der gesamten Innenstadt
einen riesigen Flächenbrand ausgelöst. Die dort in engen
Straßen stehenden und aneinandergereihten Fachwerkhäuser hätten wie Zunder gebrannt. Eine Brandbekämpfung
wäre größtenteils aussichtslos gewesen. Die Bahnstrecke
ERFURT-MEININGEN hätte eine auf lange Dauer wirksame Unterbrechung erfahren.
Am 22. März 1945 überflog ein Aufklärungsflugzeug der
31. Photo-Recon-Staffel* die Stadt SUHL und machte insgesamt vier Luftaufnahmen:
Das Flugzeug gehörte zum XIX. Taktisches Luftkommando.** Dieses war der 3. US-Army zugeordnet.
Der Aufklärer kam über den Kornberg und die FallmichSiedlung. Danach schwenkte es nach Suhl ein, umflog den
Domberg und flog in Richtung HEINRICHS weiter. Seine
Fotos dienten der taktischen Frontaufklärung für die anrückende 11. US-Panzerdivision. Demzufolge enthielten sie
keine der für strategische Bombardements üblichen Zielmarkierungen. Sie lassen als auch keinen Zusammenhang
mit dem schmerzlichen Ereignis erkennen, von dem Suhl
nur vier Tage später betroffen wurde.
29.5 D
ie Bombardierung einer Randsiedlung von SUHL
durch die USAAF am 26. März 1945
Am Montag, dem 26. März 1945, warfen Bomber der US
Air Force ihre Bombenlast auf die Siedlung Fröhlicher
Mann am Nordrand von SUHL und richteten dort großen
Schaden an. Es war eine Kostprobe der nunmehr auch auf
SUHL zugreifenden Kriegsfolgen.
* Foto-Aufklärungs-Staffel
** Tactical Air Command: Taktisches Luftkommando, siehe auch Anlage 12
342
Hydrierwerk in ZEITZ/TRÖGLITZ zu bombardieren. Weitere 152 Bomber der 3. Air-Division sollten sich bei dieser
Mission auf das Vomag-Panzerwerk in PLAUEN konzentrieren. Zur Täuschung der Abwehr flogen die Alliierten
Bomberverbände ihre Ziele nie direkt an. Über Luxemburg
in das Deutsche Reichsgebiet einfliegend, vollzog der von
527 (!) Mustangs P-51 begleitete Gesamtverband zunächst
eine Route, die einen weiteren Angriff auf CHEMNITZ vorzutäuschen sollte. 358 Die auf ZEITZ ausgerichteten Bomber
der 1. Air-Division trennten sich im WÜRZBURGER Raum
und schwenkten weiter in Nordostrichtung ein. Gegen Mittag flog dieser Verband in großer Höhe auch über SUHL
hinweg. 359 Die gesamte Mission war auf die Dauer von 10
Flugstunden ausgelegt.
Merkwürdig war:
Der Bombenhagel traf einen Stadtteil, der keinerlei kriegswichtige Bedeutung hatte. Deshalb halten sich auch seit
Jahrzehnten die Spekulationen darüber, was die Amerikaner mit diesem Abwurf bezweckt haben könnten.
Die nachstehenden Erläuterungen machen die Zusammenhänge deutlich:
Entsprechend der Combat-Cronology * der USAAF hatte
an diesem Tage im Rahmen der Mission 915 ein Verband
der 1. Air-Division mit 185 Bombern B-17 wiederum das
Für das nachfolgend beschriebene Geschehen ist der aus 185
Bombern bestehende Verband der 1. Air-Division von Interesse. Wegen der schlechten Sichtbedingungen über ZEITZ
entschlossen sich nur 12 seiner B-17 das Hydrierwerk zu
bombardieren. 130 Flying Fortress B-17 zogen es vor, sich
an der Bombardierung des Panzerwerkes in PLAUEN zu
beteiligen. Es handelte sich um das ihnen vorgegebene Sekundärziel.
Die Bomber der 384. Bomber-Gruppe flogen weder ZEITZ/
TRÖGLITZ noch PLAUEN an. Sie begaben sich mit ihrer
Bombenlast auf den Rückflug, um ein Gelegenheitsziel zu
suchen.
In den Bombenschächten dieser Gruppe befanden sich an
diesem Tage insgesamt 6 Sprengbomben mit je 454 kg und
360 Sprengbomben mit je 227 kg Gewicht. In der Flughöhe
von 7.500 m hatte die Besatzung an diesem Tage die nicht
ungewöhnliche Temperatur von –36 °C zu ertragen. 360
* Chronologie des Kriegsverlaufes
343
In der allgemeinen Orientierungslosigkeit hatte die Gruppe
eine ihrer 3 Staffeln mit 13 B-17 verloren. Diese Staffel hatte
sich, ebenso wie die gesamte Jägereskorte, dem in Richtung
WÜRZBURG abziehenden Hauptverband angeschlossen.
Die verbliebenen und nun selbstständig operierenden 25
B-17 überquerten auf ihrem Rückflug in West-Richtung
den Rennsteig. Darunter befand sich auch die 545. Bomber-Staffel. Dem Bericht eines Mitgliedes dieser Staffel ist
zu entnehmen, dass die Treibstoffvorräte in den kritischen
Bereich kamen. Die noch immer mitgeführte Bombenlast beeinträchtigte die Fluggeschwindigkeit, den Treibstoffverbrauch und die Chance, wieder Anschluss an den
Großverband zu finden. Wenn die Bombenlast der Gruppe
gleichmäßig auf die 3 Staffeln verteilt war, dürfte es sich um
zwei 454-kg-Sprengbomben und 120 Sprengbomben mit je
227 kg Gewicht gehandelt haben. Es wurde höchste Zeit sich
dieser Last zu entledigen.
Die Marschgeschwindigkeit betrug 260 km/h, als der Teilverband den Kamm des Thüringer Waldes erreichte.
Eine klare Sicht und sonniges Wetter ermöglichten in großer Entfernung die von Nord nach Süd verlaufenden Bahnlinie ERFURT–MEININGEN zu erkennen. Zerstörte Verkehrsanlagen hatten für die strategische Luftflotte beim
heimatlichen Rapport einen hohen Stellenwert.
Es blieb für den Anflug der 25 Bomber gerade eine Minute, um die Angriffshöhe von 7.200 m einzunehmen und die
Vorbereitungen zum Abwurf auf den zweigleisigen Schienenstrang zu treffen.
Vermerkt sei an dieser Stelle, dass die beiderseits der Flugroute nahe beieinander gelegenen Waffenstädte SUHL und
ZELLA-MEHLIS gut sichtbar waren. Angesichts der Eile,
nach Hause zu kommen, wurde dennoch keine Kurskorrektur in Betracht gezogen. 361
Das Gasthaus „Fröhlicher Mann“ vor der Zerstörung.
Die Bomber verursachten eine Schneise der Verwüstung.
Während das eigentliche Ziel von keiner einzigen Bombe
getroffen wurde, fiel der erste Teppich bereits ca 500 m davor
auf die Vorortsiedlung „Fröhlicher Mann“. Im Streubereich
der Bomben wurden die 1713 gebaute und beliebte Gaststätte „Fröhlicher Mann“ und 16 weitere Häuser zerstört. Die
größten Schäden hatte der hintere Teil der Siedlung* aufzuweisen. In wenigen Minuten verloren bei diesem Angriff 26
Menschen ihr Leben. Weitere fünf starben an den Folgen. Es
wurden ganze Familien ausgelöscht. Getroffen wurde auch
das im Saal der Gaststätte eingerichtete Fremdarbeiterlager.
Dabei wurden der 25-jährige Zwangsarbeiter Josef Pokorny, die 17-jährige Alexandra Minorenko und die 19-jährige
Lydia Gluschack getötet. 362, 363
Den Hauptanteil der Bombenlast bekam in einem weiteren Abwurf das jenseits der Gleisanlage auslaufende unbewohnte Dörrenbachtal ab (siehe im Luftbild unter B). Noch
heute sind die Trichter unterhalb des späteren Kinderferienlagers sichtbar.
* Steinsfeld und Damaschkeweg
344
Bei der Beurteilung des Abwurfergebnisses ist Nachstehendes in Betracht zu ziehen:
Nur das Leitflugzeug einer Bomber-Staffel visiert mit seinem
Norden-Bombenzielgerät das Ziel an und löst dann den Abwurfbefehl aus.* Die Bombenschützen aller übrigen Flugzeuge werfen ihre Bombenladungen gleichzeitig mit der des
Leitflugzeugs ab.
Das nachfolgende und in großer Höhe aufgenommene Luftbild der USAAF-Luftaufklärung zeigt das Abwurfbild. Der
vom Autor vorgenommene und auf eine Sichthöhe von etwa
4.100 m vergrößerte Ausschnitt lässt wegen der Bildauflösung leider keine bessere Erkennbarkeit zu.
Um die Bahnlinie zu treffen hätte der Abwurf aus 7.100
m Flughöhe 12,5 Sek früher bzw. beim anderen Anflug
5,3 Sek. später ausgelöst werden müssen. Ebenso wenig, wie
die beiden nahe gelegenen und Städte kein Interesse erweckten, schien für beide Staffeln die Zielauffassung mittels Bombenzielgerät keine Rolle gespielt zu haben.
Der Berichterstatter der Bombergruppe behauptete, dass
dichte Wolken eine Sicht auf die Bombeneinschläge verhindert hätten und das Anfertigen von brauchbaren Fotos nicht
möglich war. Nach übereinstimmenden Zeitzeugenberichten waren die Sichtverhältnisse an diesem Tage keinesfalls
schlecht. Die Bomber konnten bei ihrem Anflug deutlich beobachtet werden.
Die Falschangabe der Amerikaner spricht für ihre Verschleierungsabsicht. Sie wollten sich in Wirklichkeit der Bomben
schnell entledigen und sich danach auf eine erfolgreiche
Bombardierung eines vom Bomberkommando anerkannten
Zieles berufen können. Deshalb schrieben sie kurzerhand in
ihrer Tagesmeldung die Bombardierung der Bahnanlage von
MEININGEN zu. Es ist verbürgt, dass an diesem Tag im Bereich MEININGEN keine Bombe gefallen ist. Andererseits
wird SUHL in keinem Bericht als ein von Bombern angegriffenes Ziel durch die USAAF registriert.
* Siehe hierzu die Erläuterungen unter Ziffer 9.3.4
345
Es spricht alles dafür, dass der Teilverband so schnell wie
möglich den Heimathafen erreichen und den Wiederanschluss an den Gesamtverband herstellen wollte.
Jules Levison, der Bordfunker aus der vorstehend abgebildeten B-17, berichtete später u. a., dass sie zehn 500-lb-HP-Bomben geladen hatten, das Primärziel wegen schlechten Wetters
nicht angeflogen werden konnte und sie sich ein Sekundärziel
auszusuchen hatten. Sie litten offenbar an Treibstoffknappheit, denn sie erreichten mit knapper Not einen Ausweichflugplatz. Über das Sekundärziel berichtete Levison wie folgt:
Wir unternahmen schließlich drei verschiedene Bombenabwürfe auf Meiningen, obwohl ich persönlich denke, dass
wir die Hölle aus Fritzies Schnitzelbaums Kohlfeld rissen.
Wir waren alle ziemlich sauer, und Harald Bogli (der Copilot) sagte: Deutschland ist eine Hölle von einer Stelle, um
eine Stadtbesichtigung zu machen. 364
An der Bombardierung war auch der Bomber B-17 43-38673
von der 545. BomberStaffel beteiligt (hier bei der Bombardierung
eines Bahnhofes in Nürnberg)
Wenn auch die Bedeutung der Redewendung „… Fritzies
Schnitzelbaum …“ vom Autor nicht ausgelegt werden kann,
so liegt für ihn dennoch die Vermutung nahe, dass in den
persönlichen Annahmen und Aussagen der Besatzungsmitglieder der versteckte Hinweis enthalten ist, nicht die Stadt
(Meiningen?) sondern ein „Kohlfeld“ getroffen zu haben.
Der Vergleich der von amerikanischer und von deutscher
Seite berichteten Abwurfzeiten unterstreicht deutlich die
Fehlannahme (bzw. Fehlangabe) der Amerikaner.
Als Abwurfzeitpunkt wurde im US-Bericht 15:01 Uhr.* genannt.
Beim Abgleich mit der Tagesmeldung der deutschen Wehrmachtsführung vom 26.03.1945 wurden u. a. folgender Einträge gefunden:
Um 12:30 Uhr Einflug von etwa 450 amerikanischen
Kampfflugzeugen der 1. und 3. BD in das Reichsgebiet
i. R. S ST. VIETH. Weiterflug über TRIER–MANNHEIM–WÜRZBURG–BAMBERG–BAYREUTH i. d. R.
S. CHEMNITZ. Hier erfolgte die Aufteilung des Bomberstromes in eine Anzahl kleine Gruppen. Masse der Verbände dreht nach W ab zum Angriff auf PLAUEN von 14:10
Uhr bis 15:35 Uhr aus 6.000–7.000 m. Ab 14:20 Beginn der
Rückflüge aus den Angriffsräumen in breiter Front mit Wund später SW-Kurs. Durch zurückfliegende Verbände vereinzelte Bombenabwürfe in den Räumen SUHL–ZELLAMEHLIS und FULDA.
Nachtrag zu ZELLA-MEHLIS bei SUHL:
O. U., 20 Sprb. Ausländersiedlung getroffen. Keine Rüstungsschäden.
* Hervorhebungen durch den Autor
346

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