Leder ist nicht gleich Leder

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Leder ist nicht gleich Leder
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Matthias Kurth, inhaber der gleichnamigen
Braunschweiger Möbelmanufaktur, im interview.
„Leder ist nicht gleich Leder“
Herr Kurth, wie lange gibt es Ihre
Manufaktur und wie kam es dazu?
Uns gibt es seit 1999. Angefangen
haben wir mit Kuhfellteppichen
für den Facheinzelhandel. Mit
fünf Außendienstlern waren wir in
Deutschland, Österreich und der
Schweiz bei allen Läden mit Rang
und Namen vertreten, bis es einen
Einbruch gab. Bis 2010 habe ich das
Unternehmen mit einer Geschäftspartnerin so geführt. Seitdem betreibe
ich es allein mit sieben Mitarbeitern
in der Produktion; meine Frau und ich
kümmern uns um die Administration.
Wir bilden auch zum Raumausstatter
mit Schwerpunkt Polsterei aus, denn
wir möchten die Tradition, das aussterbende Handwerk, weitertragen.
Warum gerade Kuhfell und Leder?
Ursprünglich habe ich eine Elektrikerlehre gemacht (lacht). In den
Achtzigern war ja einiges möglich und
so erwuchs in mir die Idee mit dem
Leder. Als Autodidakt verkaufte ich
zunächst Gürtel, Portemonnaies und
Rucksäcke aus Leder auf Märkten und
Stadtfesten – alles Eigenproduktionen.
Das Material habe ich schon immer
regional eingekauft, aus Reutlingen
oder alten Lederstädten im Weserbergland.
Kuhfelle für unsere Taschen gekauft.
Eine ganz witzige Geschichte: Wir
waren in Frankfurt auf der Ambiente.
Dort haben wir ein Kuhfell auf den
Boden gelegt, weil wir sonst nichts
dafür hatten. Da lag nun dieser Kuhfellteppich, um den wir einen Lederrahmen genäht hatten, da sagten
die Kunden: „Die Taschen könnt Ihr
behalten, aber den Teppich, den wollen wir haben!“ Das war kurz nach der
Gründung der Manufaktur, Anfang
2000.
Wie sind Sie dann vom Leder zum
Kuhfell gekommen?
Es gab ja in den 90ern die BSE-Krise,
da gab es höchstens noch Leder für die
Industrie. So haben wir notgedrungen
Sie fertigten also Kuhfellteppiche.
Gab es die damals noch nicht?
Jein – wir haben es anders gemacht,
das Ganze geometrisch gestaltet.
Haben das Fell eingepasst, einen
Fotos: Kristina Künnemeyer
Von Christian Göttner
Wie viel durften Sie bisher für den
Tradionshersteller Thonet machen?
Wir arbeiten kontinuierlich für die
Marke; haben auch an Prototypen
mitgearbeitet. Letztes Jahr haben wir
für Thonet ein Sofa komplett alleine
gefertigt – das Bugholzsofa 2002.
Thonet hat lediglich Rahmen und
Material vorgegeben. Der Rest kommt
von uns: Schnittentwicklung, Bau des
Gestells, Polster, Kissen – wenn Sie
jetzt irgendwo auf der Welt das Sofa
kaufen, wissen Sie, das kommt von
uns aus Braunschweig.
Haben Sie auch für andere namhafte Marken gearbeitet?
Wir haben lange für Marc O‘Polo
gearbeitet und alle Shop-Ledermöbel
gefertigt. Für Manufactum machen
wir seit über fünfzehn Jahren Büroaccessoires. Auch bei VW betreuen
wir seit Jahren Messemöbel. Bis 2015
hatten wir unseren Unternehmenssitz
in Wenden. Dann bot sich uns hier
in Rautheim die Chance, eine Halle
zu bauen. Die Idee eines integrierten
Showrooms fanden wir klasse, denn
dadurch, dass wir für die Industrie
fertigen, kann der Kunde bei uns
quasi zu Industriekonditionen kaufen.
Sie können bei uns maßgeschneiderte
Möbel bestellen und alles vom Material bis ins Detail entscheiden.
Was sind bei Ihnen die gängigsten
Materialien? Kunden ist die Frage
nach Herkunft, Herstellung und
Nachhaltigkeit ja immer wichtiger.
In erster Linie verarbeiten wir
Rindsleder. Die Gerberei steht im
Weserbergland: Firma Heller. Leder
ist nicht gleich Leder. Nehmen Sie
z. B. Chromleder aus Indien; das ist
zwar nach einem Tag bearbeitbar,
aber schwermetallbelastet und viele
reagieren auf das Diffundieren mit
Kopfschmerzen und Übelkeit. Leider
gibt es keine Normen für Leder. Wir
beziehen vorrangig vom Hersteller
aus Deutschland, bei dem das Gerben
drei Monate dauert und legen Wert
auf Qualität. So bieten wir glatte, im
Ernstkontakt kühle Leder bis hin zu
smoothen, weichen Ledern.
Rinder benötigt ein Teppich?
Ein Großprojekt braucht etwa
acht Wochen Vorlaufzeit. Binnen
24 Stunden können wir jedoch bei
kleineren Projekten auf alles zugreifen, da unser Lieferant ein großes
Lager besitzt. Die Haut einer europäischen Milchkuh hat bis zu sechs
Quadratmeter, jedoch muss man mit
30 bis 50 Prozent Verschnitt rechnen.
Bei einem Neun-Quadratmeter-Teppich benötigt man bis zu neun Kühe.
Wie wichtig ist Ihnen beim Gerben
die Tradition?
Die Neandertaler haben das Leder im
Grunde nicht anders gegerbt als wir
heute in Deutschland. Bei uns kann
man sicher sein, dass fast alles regional bezogen und gefertigt wird. Ware
aus Indien oder China kommt für uns
nicht in Frage. Wir arbeiten zudem
auch mit Bezugsstoffen aus recycelten
Rohstoffen.
Sind Leder-Teppiche nicht anfällig?
Sogar für Stöckelschuhe oder hochfrequenten Messebetrieb sind diese
Teppiche kaum bis gar nicht anfällig.
Nach Jahren bekommen sie zwar eine
leichte Patina, aber selbst die hat
Charakter.
Was sind Ihre aktuellen Trends?
Und was waren die ausgefallensten
Projekte?
In Frankfurt arbeiten wir an einer
Wandgestaltung, die auch in Paris
gezeigt wird. Wie sagt Spedition
Wandt so schön: „Unser Standort
heißt Braunschweig – Unser Arbeitsplatz Europa.“ Vor kurzem haben wir
ein ganzes Treppenhaus in Hamburg
mit Leder ausgestattet – Wände,
Böden und Treppe. Auch Theken
haben wir in Leder produziert. Auf
einer Yacht haben wir sogar Lederparkett im Masterbedroom verlegt.
Wie schnell können Sie auf Großaufträge reagieren und wie viele
Sie bieten auch die Aufarbeitung
alter Sitzmöbel an. Ab wann lohnt
sich das?
Oft sind die geerbten Möbel fast wie
neu, da sie geschont wurden und
Material und Fertigung noch hohen
Qualitätsansprüchen genügten. Ein
Neubezug im Vintagestyle und die
Aufarbeitung von Gestell und Polsterung lohnen sich fast immer.
Was planen Sie für 2016?
Im Mai möchten wir unserem neuen
Firmenzuhause eine Einweihungsfeier
widmen. Bis dahin möchten wir mehr
Stoff-Outdoor-Möbel fertigen und
dort präsentieren. Unsere Ausstellung
wollen wir bis dahin mit allem füllen, was wir immer schon mal bauen
wollten. Das ist eine riesen Herausforderung neben dem Tagewerk, aber
wir freuen uns darauf.
leder, wohin man auch blickt: Melanie Kurth und ihr hund in der Kreativschmiede,
Werkstatt und lager im Gewerbegebiet in Braunschweig-rautheim.
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Lederrand rundherum gefertigt.
Witzigerweise kamen damals auch
Hersteller wie Minotti mit Kuhfellteppichen heraus. Nach der Messe
waren wir binnen eineinhalb Jahren in
allen Shops europaweit vertreten. Da
entstand auch der Kontakt zur Firma
Thonet, die uns fragten: „Wenn ihr
Kuhfellteppiche machen könnt, könnt
ihr auch Kuhfell verpolstern?“ Thonet hatte zu dieser Zeit gerade damit
angefangen, die alten Freischwinger
wieder mit Kuhfell rauszubringen.
So waren wir beteiligt an der Neuauflage der Modelle S411, S412 und
S35. Das war der Durchbruch und der
Beginn der Polsterei. Auf der IMM
2005 waren wir dann auf dem Thonet-Stand mit einem Sessel vertreten.

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