Schnell aus dem Anzug in die Jeans, den Schlumpf

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Schnell aus dem Anzug in die Jeans, den Schlumpf
Bulgarien – einmal hin und zurück!
Schnell aus dem Anzug in die Jeans, den Schlumpf übergezogen und dann werde
ich auch schon abgeholt. Es ist Sonntag Mittag, der 15. April. Reinhard Kopp,
Ferdinand Fogel und ich aus Stade wollen den Auslandshilfetransport nach Bulgarien
begleiten. Der Abschied von der Familie fällt nicht leicht. Irgendwie ist klar, dass es
hier nicht einfach um eine kleine Urlaubsreise geht. Uwe Peters und Reinhard Berg
werden den LKW fahren und damit wir als Begleiter nicht mit leeren Händen
ankommen, haben wir an dem Cuxhavener Gemeindebus noch einen Trailer mit Golf
Variant oben drauf. Der Golf wird uns bis Sofia im Nacken sitzen - 2700 km.
Bis zum ersten Ziel sind es 2300 km.
Hört sich schon lang an. Aber wie lang
das wirklich ist, muss man erst mal
ausgesessen haben… Wir sehen viel:
Der ehemalige Grenzübergang
Helmstedt erinnert an unsere eigenen
Geschichte. Über Dresden geht es ins
Ausland. Tschechien mit seiner
Hauptstadt Prag bei Nacht und Regen.
Wir passen uns dem Verkehr an und
der ist atemberaubend schnell.
Irgendwann liegen wir in unseren
Motelbetten und machen Konzert zu
dritt. Wir sind echt platt. Die anderen Beiden schlafen im LKW, wie sich das für echte
Trucker gehört. Außerdem muss ja jemand auf die Sachen aufpassen. Am nächsten
Tag geht es durch die Slowakei und Ungarn weiter. Ein Unfall auf der Gegenseite
erinnert uns, dass es überhaupt nicht selbstverständlich ist, heile anzukommen. Ich
wusste gar nicht, wie platt Ungarn ist. Natürlich habe ich vom p(P)latten See gehört,
aber das Land – weit, weit, weit. In Rumänien wird es gebirgiger. Die Karpaten
fordern Fahrer und Gefährten. Ebenso die Eindrücke. Viele graue Häuser an den
Straßenrändern. Alle sind mit Mauern und Toren verschlossen. Wir haben fast den
Eindruck, als mauern sich die Menschen ein.
Wenn die europagesponserten Autobahnen
enden, geht es auf Landstraße weiter. Das ist
wie russisches Roulett. Du kannst fahren wie
du willst, ein Schlagloch erwischt dich doch. Die
ganz tiefen fürchten wir, dann bleibt die Achse
hängen und wir wollen doch ankommen.
Mancher Holzverschlag am Rand macht uns
betroffen. Noch mehr, wenn statt einem Stück
Vieh eine alte Oma gebückt aus dem Haus
heraustritt. Ach ja, da raucht ja auch ein
Schornstein, den hatten wir ganz übersehen.
Übernachtung und weiter. Noch einmal arbeiten wir uns durch die Berge. Der Balkan
ist wunderschön. Soviel Wald haben wir lange nicht gesehen. Nur Bären, entdecken
wir keine. Die meiden wohl den Transitverkehr.
Um 21.00 Uhr sind wir endlich im ersehnten Sliven. Es ist Dienstag. 2 ½ Tage Fahrt
und 2300 km liegen hinter uns. Es regnet wie schon oft auf der Reise. Über 30
Menschen warten fröhlich auf uns. Nachdem der LKW mit seinem Auflieger 5 cm
unter einem Baum vor dem Gemeindehaus die Handbremse zieht, atmen wir auf.
Wir sind da, erfüllt, kaputt, gespannt, fröhlich
erwartet, umarmt, in Sprachgewirr von Englisch,
Deutsch und Bulgarisch eingehüllt, von lachenden
Gesichtern begrüßt. Wir drei kennen niemand und
doch merken wir, wir gehören zusammen. Hier sind
Geschwister, Jesusleute und das macht unser Herz
froh. Pastor Stoyan und seine Leute sind
eingespielt. Der Regen verschwindet und der
Sliventeil auf dem LKW ist ruckzuck leer. Wir
werden unterdessen versorgt, essen Hühnerbein
und Brot, tauschen uns mit Jana der Pastorenfrau
aus und lachen viel. Schade nur, dass die Lokale
um 1.00 Uhr schließen. Grad da sind wir bei
unserem Stadtrundgang. Konstantin, ein junger
Bulgare, erzählt uns über sein Land, die 500 Jahre
muslimische Herrschaft, die Kriege, Kommunismus,
Gypsys (Zigeuner), Wirtschaftskrise und Freie evangelische Gemeinden. Ich merke,
die Probleme sind vielschichtiger als ich mir vorgestellt habe. Von wegen: alles arme
Leute, wir bringen Kleidung und Essen und alles wird gut… Wir schlendern an super
Boutiquen, 20er Jahre Stuck und grauen Plattenbauten vorbei ins Bett. – In Bulgarien
gibt es alles. Aber ganz Wenige können es sich kaufen.
Die Gemeinde in Sliven betreut mehr als 20 Landgemeinden. Zwei besuchen wir und
die Begegnungen berühren das Herz. Jana spielt auf ihrer Gitarre das erste Lied und
ich traue meinen Ohren kaum. Da sitzen zwei Hände voll alte Leute, 70 aufwärts,
und singen von Herzen „Herr, dein Name sei erhöht“. Auch die anderen Lieder
kennen wir aus unseren Lobpreiszeiten, nur nicht auf Bulgarisch. Wir erzählen, ich
sage Grußworte, darf auf Englisch predigen, werde übersetzt und schaue in
aufmerksame freundliche Augen. Ein Mann erzählt seinen Traum, den Gott ihm
geschenkt hat. Die Geschwister erkundigen sich nach unseren Gemeinden. Und wir
versichern uns, dass wir gegenseitig füreinander beten. Gruppenbild,
Lebensmittelpakete auspacken
und dann geht’s auch schon zur
nächsten Gemeinde. Ach ja, die
reparierte Waschmaschine auf dem
Anhänger muss noch zur Familie
zurück - Gemeindearbeit live. - Am
Nachmittag müssen wir wieder los.
Die hilfsbereiten Geschwister
haben sich in der Zeit um unsere
kaputte Ölpumpe der Servolenkung
gekümmert und das abgefahrene
Rücklicht geklebt. Alles fahrbereit.
Der nächste Ausladepunkt wartet
schon. Der Abschied fällt schwer.
Die Zeit war kurz, die Begegnungen
intensiv. Die Armut, die
leuchtenden Augen, die Pakete… - wir lassen sie zurück in Sliven und fahren wieder
durch schöne Landschaft, durchbrochen von riesigen Werbeplakaten und grauen
Hüttendörfern.
In Kazanlak laden wir nur kurz ab. Das Plattenbaugebiet ist erdrückend. Kaum zu
glauben, dass da hinter kaputten Scheiben und Balkonen Menschen wohnen. Ein
Pastor lebt dort mit seiner Familie und hilft. Und Bielefeld kennt jemand. Meine alte
Heimat, wer hätte das gedacht.
200 km weiter in Plovdiv tauchen wir ein in armenische Gemeindeverhältnisse.
Stippvisite, kurze Begegnung, Ausladen, Lichtausfall in der Kirche und wieder
Regen. Irgendwie sind wir froh, als wir im Dunkeln noch für ein paar Stunden auf die
Piste kommen. Die Seele muss mal abhängen, verarbeiten, einfach nur geradeaus
gucken. Am nächsten Morgen stehe ich staunend am Motelfenster.
Die schneebedeckten Berge der Rodopen in Südbulgarien strahlen in der
Morgensonne.
Irgendwo zwischen den Bergen liegt Goce Delchev. Ein Abstecher zu Müllers und
dem „Zeichen der Hoffnung“ wäre klasse, aber die Brüder in Sophia warten um 9.00
Uhr auf den Golf. Wir arbeiten uns durch die große Stadt. Den leeren LKW haben wir
vor ihren Toren gelassen.
Freundliche Brüder empfangen uns. Der
Präses grüßt mit dem südeuropäischen
Bruderkuss und ich fühle mich sehr
geehrt. Und endlich rollt der Golf vom
Trailer. Er lief gut hinterher, aber nun sind
wir froh ihn an dankbare Menschen zu
übergeben.
Wir sitzen im bulgarischen Gemeinde -„why not?!“ Bücher, Café und Treffpunkt. Wir
fragen, erzählen und sprechen über Gemeinde. Ich erinnere mich an meine Jugend.
Damals hat unser Bund schon Gemeinden in Südosteuropa geholfen. Nun bekommt
das alles Gesicht, lebt, verbindet sich für mich.
Ja, darum geht es bei diesem Transport. Wir helfen Geschwistern. Wir zeigen, dass
wir an sie denken. Wir lassen sie nicht allein in ihrer Not und in ihren Aufgaben.
Wir geben ihnen Gemeinschaft
und wir werden selbst dabei
beschenkt. Dafür lohnt sich die
Fahrt. Gern wären wir auch dort
noch geblieben, aber Uwe weiß,
wie lange wir zurückfahren
werden. Und schließlich muss ich
ja am Sonntag auf der Kanzel
stehen. Also trennen wir uns von
den Brüdern.
Es geht nach Hause in unsere Welt, in unsere Aufgaben zu Frau und Kindern. - Am
Samstag 19.00 Uhr schließen wir uns in die Arme. 5200 km, 7 Tage, tausend
Eindrücke, und ein volles Herz. Wir sind in Gottes Spur: „Solange wir noch
Gelegenheit haben, wollen wir allen Menschen Gutes tun, ganz besonders denen,
die wie wir durch den Glauben zur Familie Gottes gehören.“ Galater 6,10
Danke an Uwe und Reinhard und meine Leute. Das war ganz klasse mit euch! Und
Ulrich Flottmann
Danke an unseren Herrn für seine gute Hand über uns.

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