2 K 253/14

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2 K 253/14
FINANZGERICHT HAMBURG
Az.: 2 K 253/14
Urteil des Senats vom 17.09.2015
Rechtskraft: rechtskräftig
Normen: UStG § 4 Nr. 12, UStG § 9, AO § 162, AO § 146 Abs. 1, AO § 146 Abs. 4
Leitsatz: 1. Ein Vermieter, der möblierte Zimmer zur gewerblichen Nutzung an
Prostituierte vermietet, erbringt grundsätzlich eine steuerfreie Leistung i. S. v. § 4 Nr.
12 Buchst. a UStG, es sei denn, die Zimmervermietung ist mit weiteren Leistungen
derart verbunden, dass diese der Gesamtleistung ein anderes Gepräge geben.
2. Eine ordnungsgemäße Kassenbuchführung liegt nicht vor, wenn die
Aufzeichnungen erst am Monatsende und mit Hilfe eines handelsüblichen ExcelProgramms erstellt werden. Denn eine Nachvollziehbarkeit des ursprünglichen
Inhalts einer erfolgten Buchung ist bei durchgeführten Änderungen nicht mehr durch
die Aufzeichnungen selbst gegeben.
3. Schätzung der wöchentlichen Miete für ein Zimmer in einer sogenannten
Modellwohnung zur Ausübung der Prostitution.
Überschrift: Umsatzsteuerrecht: Umsatzsteuerpflichtige Vermietungsleistung
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen die auf der Grundlage hinzugeschätzter
Mieteinnahmen festgesetzte Umsatzsteuer.
Die
Klägerin
ist
eine
2011
gegründete
Unternehmergesellschaft
(haftungsbeschränkt), die im April 2012 die Firma änderte und ihren Sitz vom A nach
Hamburg verlegte. Alleiniger Gesellschafter ist der … B. Mit Beschluss vom … 2014
wurde die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft
abgelehnt und die Gesellschaft im Handelsregister gelöscht. Die ehemalige
Geschäftsführerin C ist als Liquidatorin eingesetzt worden.
Die Klägerin betrieb seit April 2012 unter der Anschrift X-Straße eine sogenannte
Modell-Wohnung, in der sie Zimmer an Prostituierte vermietete. Die Klägerin mietete
die Wohnung X-Straße von der damaligen Geschäftsführerin C ab dem 01.04.2012
für monatlich 1.725,50 € incl. Umsatzsteuer. Die Wohnung war mit insgesamt fünf
Zimmern ausgestattet, die der Ausübung der Prostitution dienten, dem
Eingangsbereich, einer Küche, die auch als Aufenthaltsraum genutzt wurde, sowie
einem Bad. Eines der fünf Zimmer hatte eine besondere Ausstattung mit
Liebesschaukel und Käfig (Domina-Zimmer). Für jedes der fünf Zimmer gab es an
der Eingangstür ein eigenes Klingelschild, die Eingangstür wurde per Kamera
überwacht. Die Vermietung der fünf möblierten Wohnräume erfolgte wöchentlich und
verlängerte sich jeweils um eine Woche, wenn nicht spätestens drei Tage vor Ablauf
der Mietzeit das Mietverhältnis von einer der Parteien gekündigt wurde. Die Miete
war wöchentlich am Montag im Voraus in bar zu zahlen. Die Klägerin erstellte
wöchentlich Rechnungen über die Miete unter Ausweis der Umsatzsteuer.
Die Wohnung wurde auch vor der Anmietung durch die Klägerin für eine gewerbliche
Vermietung von Zimmern an Prostituierte genutzt. Die Einrichtungsgegenstände
hatte die Klägerin vom Vormieter übernommen.
Die dort tätigen Frauen boten ihren Service über das Internet jeweils unter Angabe
ihrer täglichen Erreichbarkeit in der Wohnung an. Die Dienstleistungen wurden nur
nach vorheriger Kontaktaufnahme über die in der Anzeige angegebenen
Handynummern erbracht.
In 2013 wurde bei der Klägerin eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung für den Zeitraum
August 2011 bis Dezember 2012 durchgeführt. Die Betriebsprüfung stellte fest, dass
die Buchführung nicht ordnungsgemäß sei. Das Kassenbuch werde über eine ExcelTabelle geführt, eine Kassensturzfähigkeit sei nicht gegeben. Die Belege seien nicht
kontiert worden. Mehrere Frauen hätten über das Internet Leistungen unter der
Anschrift X-Straße angeboten, ohne dass in der Buchführung Ausgangsrechnungen
über die Mieten dieser Frauen vorhanden gewesen seien. Darüber hinaus gäben die
in Rechnung gestellten Beträge nicht die tatsächlichen Mieteinahmen wieder. Die
Betriebsprüfung wertete die vom Finanzamt für Prüfungsdienste und Strafsachten für
den Zeitraum April bis Dezember 2012 zur Verfügung gestellten Internet-Inserate
aus. Dabei handelte es sich um Ausdrucke der Internet-Seite „XXX.de“ (einen für
jede Woche des Zeitraums), aus denen sich ergab, welche Frauen an einem
bestimmten Tag unter der Anschrift X-Straße ihre Dienste angeboten hatten. Die
Betriebsprüfung kam zu dem Ergebnis, dass zwischen 4 und 6 Frauen wöchentlich
dort gearbeitet hätten. Die durchschnittliche Zimmermiete setzte die Prüferin mit 420
€ pro Woche an und kam so zu Brutto-Mieteinnahmen von … €.
Der Beklagte folgte den Feststellungen der Betriebsprüfung und schätzte einen
Netto-Umsatz von insgesamt … € hinzu, der gemäß den Einzelfeststellungen der
Betriebsprüfung auf die Voranmeldezeiträume verteilt wurde. Auf dieser Grundlage
erließ der Beklagte geänderte Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide für April bis
Dezember 2012.
Am ... legte die Klägerin gegen die Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide
Einsprüche ein, die der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 08.08.2014 als
unbegründet zurückwies.
Am ... hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung trägt sie vor, dass der Zweck
des beabsichtigten Kassensturzes im Rahmen der Umsatzsteuer-Sonderprüfung
nicht erkennbar gewesen sei und keine Rückschlüsse auf den Kassenbestand in
2012 hätte ergeben können. Die Buchführung sei im Grundsatz ordnungsgemäß,
fehlende Kontierungsvermerke würden daran nichts ändern. Die Buchungen seien
anhand der Originalbelege in der Folge der Ablage erfasst worden und damit
nachvollziehbar. Die Kassenaufzeichnungen seien inhaltlich richtig. Die Kasse sei in
der Regel unmittelbar nach Monatsende verbucht und die Buchungen vollständig
unter Angabe der Rechnungsnummern erfasst worden. Die mit einem
handelsüblichen Excel-Computerprogramm geführten Kassenberichte entsprächen
auch den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung. Aufgrund der digitalen
Erfassung sei nachprüfbar, ob und wann Veränderungen an der Kassenbuchführung
vorgenommen worden seien. Eine sachliche Unrichtigkeit der Buchführung habe
ebenfalls nicht vorgelegen, so dass insgesamt die Voraussetzungen für eine
Schätzung nicht vorgelegen hätten.
Die Frauen D, E und F hätten keinerlei Miete gezahlt. Jede der Frauen habe
grundsätzlich ein Zimmer gehabt, aber beispielsweise D habe das Zimmer von G, L
oder H mitbenutzt. Sie habe keine Miete gezahlt, weil sie kaum Kunden gehabt habe.
Auch im Übrigen sei die Hinzuschätzung rechtsfehlerhaft. Die Betriebsprüfung sei bei
der Kalkulation der Mieteinnahmen von falschen Annahmen ausgegangen. Es könne
nicht unterstellt werden, dass jede Frau, die online ihre Leistungen angeboten habe,
auch ein Zimmer gemietet habe. Denn es sei vorgekommen, dass trotz des onlineAngebots tatsächlich nicht gearbeitet worden sei. Im Hinblick auf die Kundenbindung
seien zu lange Abwesenheitszeiten im Internet nicht ratsam und eine monatliche
Schaltung des Inserats sei kostengünstiger. Bei Bedarf hätten die anderen Frauen
die Freier übernommen. Ein externer Betriebsvergleich sei nicht vorgenommen
worden. Soweit 2009 für ein Zimmer in dem Appartement 300 € wöchentlich verlangt
worden sein solle, könne dieser Betrag der Schätzung nicht zugrunde gelegt werden.
Die Mietpreise seien seit 2009 nicht gestiegen, sondern eher stabil geblieben bzw.
aufgrund des Überangebots gefallen. Es seien lediglich Mieten von 100 €
wöchentlich pro Zimmer gezahlt worden, bei einer Mitbenutzung des DominaZimmers habe die Miete 320 € wöchentlich betragen.
Darüber hinaus führe die Hinzuschätzung zu einem Gewinn, der jeder
Lebenserfahrung widerspreche. Wären Gewinne in der Höhe erzielt worden, hätte
sie, die Klägerin, ihre Verpflichtungen erfüllen können und nicht die Tätigkeit
einstellen müssen.
Streitig sei ferner, ob die Mietumsätze mit den Frauen, die bereits über sechs Monate
dort ein Zimmer gemietet hätten, gemäß § 4 Nr. 12 des Umsatzsteuergesetzes
(UStG) von der Umsatzsteuer befreit seien. Zwar seien die Verträge nur mündlich
geschlossen worden und die Mieten seien wöchentlich im Voraus zu entrichten
gewesen. Dennoch seien die Vermietungen langfristig, denn die Mieterinnen hätten
spätestens samstags zu erklären, ob das Mietverhältnis fortgesetzt werde,
andernfalls hätten sie am Sonntag ihr Zimmer räumen müssen. Würden sie sich nicht
äußern, komme zivilrechtlich nicht ein neuer Mietvertrag zustande, sondern der
bestehende Mietvertrag werde automatisch verlängert.
Mit Bescheiden vom 19.08.2015 hat der Beklagte die UmsatzsteuerVorzahlungsbescheide erneut geändert ... . Er hat seine Schätzung der
Besteuerungsgrundlagen in der Weise korrigiert, dass er eine wöchentliche
Zimmermiete von 350 € und höchstens eine Vermietung von fünf Zimmer zugrunde
gelegt hat.
Die Klägerin beantragt,
die nach der Betriebsprüfung ergangenen Bescheide über die Festsetzung der
Umsatzsteuer-Vorauszahlungen für die Monate April bis Dezember 2012, zuletzt
vom 19.08.2015, aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte vertritt weiterhin die Auffassung, dass die angefochtenen Bescheide
rechtmäßig seien. Die Hinzuschätzung der Besteuerungsgrundlagen sei sowohl dem
Grunde als auch der Höhe nach zu Recht erfolgt.
Die Buchführung sei formell unrichtig. Gemäß § 146 Abs. 4 der Abgabenordnung
(AO) dürften Eintragungen oder Aufzeichnungen nicht in einer Weise verändert
werden, dass der ursprüngliche Inhalt nicht mehr feststellbar sei. Dies gelte auch bei
einem Einsatz von EDV-Buchführungssystemen. Das Verfahren der DV-Buchführung
müsse hiernach durch eine Verfahrensdokumentation, die sowohl die aktuellen als
auch die historischen Verfahrensinhalte nachweise, verständlich und nachvollziehbar
gemacht werden. Diese Anforderungen erfülle eine veränderliche Dokumentation in
Form einer Kassenführung per Excel-Tabelle nicht. Der formelle Mangel sei letztlich
aber nicht entscheidungserheblich. Die Buchführung sei auch sachlich unrichtig,
denn nach Internetrecherche und Erkenntnissen des Landeskriminalamtes Hamburg
würden Preise von bis zu 500 € pro Woche und Zimmer erzielt. Danach lägen die
Mieten für Modellwohnungen wöchentlich bei mindestens 300 € bis 350 €. Dies sei
durch eine Internetrecherche bestätigt worden. Nach Aussage von Frauen, die 2009
in der X-Straße gearbeitet hätten, seien bereits damals Mieten von 300 € wöchentlich
gezahlt worden (Anlage B 1). Auch eine aktuelle Nutzerin der Zimmer habe in ihrem
steuerrechtlichen Verfahren durch den Alleingesellschafter der Klägerin vorgetragen
lassen, dass die Mieten in der X-Straße mit 300 € anzusetzen seien (Anlage B 3).
Schließlich habe J bei einer Befragung 2012 angegeben, dass sie 320 € für ein
Zimmer in der X-Straße gezahlt habe (Anlage B 7). Der nunmehr der Kalkulation zu
Grunde gelegte Wochenpreis von 350 € liege in diesem Rahmen.
Darüber hinaus beruhe die Nachkalkulation auf einer Auswertung der Internetseite
„XXX.de“, auf der die Frauen, die in dem Apartment X-Straße gearbeitet hätten, ihre
Dienste angeboten hätten. In dem Kassenbuch seien nicht für alle Wochen die
Mieteinnahmen erfasst worden, in denen die Frauen ihre Dienste laut Internet
angeboten hätten.
Da die Liquidatorin der Klägerin bereits für den vorherigen Betreiber der
Räumlichkeiten tätig gewesen sei, könne nicht die Rede davon sein, dass das
Geschäft in der X-Straße unrentabel gewesen sei.
Auch soweit Mietverhältnisse länger als sechs Monate bestanden hätte, sei nicht von
einer steuerfreien Vermietungsleistung im Sinne von § 4 Nr. 12 UStG auszugehen.
Im Übrigen hätten lediglich die Frauen K, G, L und H einen Raum länger als sechs
Monate am Stück angemietet.
In der mündlichen Verhandlung hat das Gericht zur Höhe der wöchentlichen Miete
eines Zimmers in der Apartmentwohnung X-Straße Beweis erhoben durch
Vernehmung von M, J, N, O und des Mitarbeiters des Finanzamtes für
Prüfungsdienste und Strafsachen P als Zeugen. Hinsichtlich der Aussagen wird auf
das Protokoll über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
Dem Gericht haben die Umsatzsteuerakte, die Betriebsprüfungsakten sowie die
Rechtsbehelfsakte des Beklagten zu der Steuernummer …/…/… vorgelegten.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten sowie die Protokolle
über den Erörterungstermin und die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
I.
Die Klage ist zulässig. Die im Handelsregister gelöschte Klägerin ist steuerrechtlich
als fortbestehend anzusehen, solange sie noch steuerrechtliche Pflichten zu erfüllen
hat und gegen sie ergangene Steuerbescheide angreift. Diese zu einer GmbH
ergangene Rechtsprechung (vgl. BFH-Urteil vom 18.03.1986 VII R 146/81, BStBl II
1986, 589 m. w. N.) ist auf die Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt)
übertragbar. Die Klägerin ist durch ihre Liquidatorin auch wirksam vertreten.
II.
Die Klage hat teilweise Erfolg. Die angefochtenen Bescheide sind zu ändern, soweit
der Beklagte seiner Schätzung eine wöchentliche Miete pro Zimmer von mehr als
320 € zugrunde gelegt hat. Im Übrigen sind die Festsetzungen der UmsatzsteuerVorauszahlungen für April bis Dezember 2012 nicht zu beanstanden. Die Klägerin
erzielte insgesamt umsatzsteuerpflichtige Mieteinnahmen (1). Die Voraussetzungen
für eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen liegen vor (2). Das Gericht macht
von seiner eigenen Schätzungsbefugnis Gebrauch und schätzt die wöchentliche
Miete abweichend auf 320 € pro Zimmer (3).
1. Die Klägerin erzielte umsatzsteuerpflichtige Mieteinnahmen. Die Klägerin hat keine
steuerpflichtigen Leistungen gemäß § 4 Nr. 12 S. 2 UStG erbracht, sondern bei der
Zimmervermietung an die dort gewerblich tätigen Frauen handelt es sich um
umsatzsteuerfreie Leistungen nach § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG (a). Sie hat aber
gemäß § 9 Abs. 1 UStG zur Umsatzsteuerpflicht optiert und den Verzicht auf die
Steuerbefreiung nicht wirksam zurückgenommen (b).
a) Nach § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG sind Umsätze steuerfrei, die die Vermietung und
die Verpachtung von Grundstücken, von Berechtigungen, für die die Vorschriften des
bürgerlichen Rechts über Grundstücke gelten, und von staatlichen Hoheitsrechten,
die Nutzung von Grund und Boden betreffen. Ausgenommen hiervon ist nach § 4 Nr.
12 S. 2 UStG u. a. die Vermietung von Wohn- und Schlafräumen, die ein
Unternehmer zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden bereithält.
Der Begriff der Grundstücksvermietung ist auf der Grundlage der Richtlinie
2006/112/EG
des
Rates
vom
28.11.2006
über
das
gemeinsame
Mehrwertsteuersystem
(Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie
–
MwStSystRL)
unionrechtskonform auszulegen. Die zivilrechtlichen Bestimmungen der jeweiligen
nationalen Vorschriften der Mitgliedstaaten sind insoweit nicht entscheidend.
Grundsätzlich besteht die Grundstücksvermietung bei richtlinienkonformer Auslegung
darin, dass der Vermieter dem Mieter gegen Zahlung des Mietzinses für eine
vereinbarte Dauer das Recht überträgt, die Mietsache in Besitz zu nehmen und
gleich einem Eigentümer zu gebrauchen und andere davon auszuschließen (vgl.
Klenk in Sölch/Ringleb, UStG, § 4 Nr. 12, Rn. 28; Bundesfinanzhof – BFH-Urteil vom
08.08.2013 V R 7/13, BFH/NV 2013, 1952, jeweils m. w. N.). Nach ständiger
Rechtsprechung ist die Steuerbefreiung für Umsätze durch Grundstücksvermietung
eng auszulegen, denn sie stellt eine Ausnahme von dem allgemeinen Grundsatz dar,
dass jede Dienstleistung, die ein Steuerpflichtiger erbringt, der Umsatzsteuer
unterliegt. Dabei ist zu beachten, dass die Dauer der Grundstücksnutzung auch nach
der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) ein
Hauptelement des steuerfreien Umsatzes ist (vgl. EuGH-Urteile vom 22.01.2015 C55/14, BFH/NV 2015, 462; vom 18.01.2001 C-150/99, Slg. 2001 I-493; vom
12.02.1998 C-346/95, Slg. 1998 I-481; BFH, Beschluss vom 26.04.2002 V B 168/01,
BFH/NV 2002, 1345).
§ 4 Nr. 12 S. 2 UStG unterscheidet sich vom Grundtatbestand des § 4 Nr. 12 S. 1
Buchst. a UStG durch die an den Mietgegenstand zu stellenden Anforderungen, bei
dem es sich um zur kurzfristigen Beherbergung bereitgehaltene Wohn-und
Schlafräume handeln muss. Systematisch ist § 4 Nr. 12 S. 2 UStG ein
Ausnahmetatbestand zu § 4 Nr. 12 S. 1 Buchst. a UStG. So ist z. B. die auf Dauer
angelegte Vermietung möblierter Wohn- und Schlafräume nach § 4 Nr. 12 S. 1
Buchst. a UStG steuerfrei, da dann im Hinblick auf das zeitliche Element der
Ausnahmetatbestand nach § 4 Nr. 12 S. 2 UStG nicht vorliegt (BFH-Urteil vom
20.08.2009 V R 21/08, BFH/NV 2010, 473). Der BFH folgt damit der Rechtsprechung
des EuGH, nach dessen Urteil vom 12.02.1998 (C-346/95, Elisabeth Blasi, Slg.
1998, I-498) die Dauer der Beherbergung – bei der Überlassung „vollständig
möblierter und mit Kochgelegenheiten ausgestatteter Zimmer“, bei der der Vermieter
„die für die Gestellung und Reinigung der Bettwäsche, sowie für die Reinigung der
Flure, Treppenhäuser, Bäder und WC“ zu sorgen hatte – ein geeignetes Kriterium für
die Unterscheidung zwischen der Gewährung von Unterkunft im Hotelgewerbe (als
steuerpflichtiger Umsatz) einerseits und der Vermietung von Wohnräumen (als
befreitem Umsatz) andererseits ist, da sich die Beherbergung im Hotel u. a. gerade
bezüglich der Verweildauer von der Vermietung eines Wohnraums unterscheidet
(BFH-Urteile vom 22.08.2013 V R 18/12, BStBl II 2013, 1058; vom 08.08.2013 V R
7/13, BFH/NV 2013, 1952).
Im Streitfall liegt zwar eine Überlassung möblierter Zimmer, verbunden mit teilweise
hotelartigen Leistungen wie die Gestellung von Bettwäsche und Handtüchern vor.
Die vermieteten Räumlichkeiten dienten jedoch nicht der Beherbergung von
Personen, sondern wurden für die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten überlassen
(vgl. BFH-Urteil vom 22.08.2013 V R 18/12, BStBl II 2013, 1058; BFH-Beschlüsse
vom 15.03.2012 III R 30/10, BStBl II 2012, 661; vom 20.02.2013 GrS 1/12, BStBl II
2013, 441). Dieser Sachverhalt wurde von den Zeuginnen bestätigt, die einhellig
bekundeten, dass sie die Räume lediglich für Zwecke ihrer gewerblichen Tätigkeit
nutzten.
Die Vermietung der Zimmer war auch nicht derart mit zusätzlichen Leistungen
verbunden, dass die weiteren Leistungen der Gesamtleistung ein anderes Gepräge
gaben.
Eine Grundstücksvermietung im Sinne des § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG ist allerdings
auch nicht anzunehmen, wenn nicht die Grundstücksnutzung, sondern die
Möglichkeit, eine bestimmte Betätigung auf dem Grundstück auszuüben, aus der
Sicht des Leistungsempfängers im Vordergrund steht, es sich mithin um einen
Vertrag besonderer Art handelt und zusätzliche Leistungen der Gesamtleistung ein
anderes Gepräge geben (vgl. BFH-Urteil vom 17.12.2014 XI R 16/11, BStBl II 2015,
427; Beschluss vom 13.09.2002 V B 51/02, BFH/NV 2003, 212).
Nach Auffassung des Senats war die Vermietung der Zimmer im Ergebnis nicht
derart mit zusätzlichen Leistungen der Vermieterin verbunden, dass sie insgesamt
ein anderes Gepräge erhalten haben. Die Zimmer waren möbliert und ein Zimmer,
das allen Mieterinnen bei Bedarf zur Verfügung gestellt wurde, für Kunden mit
speziellen Neigungen mit besonderen Gerätschaften (Käfig, Liebesschaukel u. ä.)
ausgestattet. Die Eingangstür wurde per Videokamera überwacht, jedes Zimmer
hatte ein eigenes Klingelschild und es wurden wie bei einem hotelähnlichen Betrieb
Handtücher und Bettwäsche gestellt. Diese Nebenleistungen mit Ausnahme der
speziellen Einrichtung für das Domina-Zimmern dominieren die Vermietungsleistung
aber nicht der Weise, dass von einer anderen Art Leistung ausgegangen werden
muss. Vielmehr sind Leistungen wie eine Möblierung, eine Videoüberwachung des
Eingangs und getrennte Klingelschilder auch bei einer Wohnraumvermietung
denkbar und nicht unüblich.
Es liegen danach umsatzsteuerfreie Vermietungsleistungen im Sinne von § 4 Nr. 12
S. 1 Buchst. a UStG vor.
b) Die Klägerin hat jedoch gemäß § 9 Abs. 1 UStG zur Umsatzsteuer optiert. Sie hat
regelmäßig Umsatzsteuer-Voranmeldungen abgeben und, soweit in der Buchführung
Rechnungen über die Mieten vorliegen, erfolgte die Abrechnung immer unter
Ausweis der Umsatzsteuer. Die Optionsausübung bedarf keiner Form und kann
durch ausdrückliche Erklärung oder schlüssiges Verhalten abgegeben werden (vgl.
Wenzel in Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, UStG § 9 Rn. 111 ff.; Schüler-Täsch in
Sölch/Ringleb, UStG § 9 Rn. 71 ff.). Üblicherweise geschieht dies durch den
Umsatzsteuerausweis
in
Rechnungen
oder
durch
die
Abgabe
von
Umsatzsteuervoranmeldungen. So ist auch die Klägerin verfahren. Sie hat in ihren
Rechnungen über die wöchentliche Miete die Umsatzsteuer offen ausgewiesen und
Umsatzsteuervoranmeldungen
eingereicht.
Die
Rechnungserstellung
mit
Umsatzsteuerausweis und die entsprechenden Steuererklärungen sind somit als
konkludenter Verzicht auf die Steuerbefreiung im Sinne des § 9 Abs. 1 und 2
Umsatzsteuergesetz zu werten.
Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Klägerin nicht bekannt war,
dass Vermietungsleistungen grundsätzlich steuerfrei sind, aber die Möglichkeit
besteht, zur Umsatzsteuer zu optieren. Sie war steuerlich beraten durch die
Steuerberatungsgesellschaft ihres einzigen Gesellschafters, des … B. Sie selbst
hatte die Wohnung – trotz längerfristigen Mietvertrags – mit Umsatzsteuerausweis
angemietet.
Auch lagen die Voraussetzungen für einen Verzicht auf die Steuerbefreiung nach § 9
Abs. 2 UStG vor. Die Klägerin ging selbst davon aus, dass sie die Zimmer für
gewerbliche Zwecke und damit an zum Vorsteuerabzug berechtigte
Unternehmerinnen vermietete.
Diesen Verzicht auf die Steuerbefreiung hat die Klägerin nicht wirksam widerrufen.
Nach ständiger Rechtsprechung kann der Verzicht auf die Steuerbefreiung bis zur
Unanfechtbarkeit rückgängig gemacht werden oder solange der Bescheid aufgrund
eines Vorbehalts der Nachprüfung gemäß § 164 AO noch änderbar ist (vgl. BFHUrteile vom 19.12.2013 V R 6/12, BFHE 245, 71; vom 01.02.2001 V R 23/00, BStBl II
2003, 673). Die Rückgängigmachung wirkt auf das Jahr der Ausführung des
Umsatzes zurück.
Die Rücknahme des Verzichts setzt allerdings voraus, dass diese in formaler und
zeitlicher Hinsicht wirksam ist. Hatte ein Unternehmer auf die Steuerfreiheit des
Umsatzes dadurch verzichtet, dass er dem Leistungsempfänger den Umsatz unter
gesonderten Ausweis der Umsatzsteuer in Rechnung gestellt hatte, kann er den
Verzicht nur dadurch rückgängig machen, dass er dem Leistungsempfänger eine
berichtigte Rechnung ohne Umsatzsteuer erteilt (BFH-Urteile vom 19.12.2013 V R
6/12, BFHE 245, 71; vom 01.02.2001 V R 23/00, BStBl II 2003, 673; Schüler-Täsch
in Sölch/Ringleb, UStG § 9 Rn. 89).
Eine in dieser Form wirksame Rücknahme des Verzichts auf die Steuerbefreiung ist
nicht erfolgt. Die Klägerin trägt im Rechtsmittelverfahren lediglich vor, dass von einer
umsatzsteuerfreien Vermietungsleistung auszugehen sei, soweit eine Mieterin ein
Zimmer durch wöchentliche Vertragsverlängerungen mehr als sechs Monate
gemietet hätte. Insoweit sei die materielle Richtigkeit der Buchführung nicht zu
beanstanden, eine Hinzuschätzung von Einkünften nicht gerechtfertigt. Dieser
Vortrag beinhaltet jedoch unabhängig von dem Fehlen einer Berichtigung der
Rechnungen und Abgabe eine geänderten Umsatzsteuererklärung keine Rücknahme
des zuvor erklärten Verzichts, wenn nicht konkret erklärt wird, für welche Umsätze
die Rücknahme des Verzichts erfolgen soll. Auch in der mündlichen Verhandlung hat
der Prozessbevollmächtigte der Klägerin trotz Nachfrage des Gerichts keine
wirksame Rücknahme des Verzichts auf die Steuerbefreiung erklärt. Er hat lediglich
vorgetragen, dass der alleinige Gesellschafter der Klägerin von nichtsteuerpflichten
Umsätzen ausgehe. Zugleich hat er aber eingeräumt, dass sein Vorbringen im
Hinblick auf die Vorlage von Rechnungen mit Umsatzsteuerausweis nicht stimmig
sei.
2. Der Beklagte war befugt, die Einkünfte der Klägerin gemäß § 162 AO zu schätzen,
denn die Aufzeichnungen der Klägerin können der Besteuerung nicht zugrunde
gelegt werden.
Nach § 162 AO hat die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen,
soweit sie diese nicht ermitteln oder berechnen kann. Dabei sind alle Umstände zu
berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind. Zu schätzen ist
insbesondere dann, wenn der Steuerpflichtige über seine Angaben keine
ausreichende Aufklärung zu geben vermag oder weitere Auskunft oder eine
Versicherung an Eides statt verweigert oder seine Mitwirkungspflichten nach § 90
Abs. 2 AO verletzt. Das Gleiche gilt, wenn der Steuerpflichtige Bücher oder
Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann,
wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen der Besteuerung nicht nach § 158
AO zugrunde gelegt werden oder wenn tatsächliche Anhaltspunkte für die
Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der vom Steuerpflichtigen gemachten Angaben
zu steuerpflichtigen Einnahmen oder Betriebsvermögensmehrung bestehen (§ 162
Abs. 2 AO). Gemäß § 158 AO ist die Buchführung, die den Vorschriften der §§ 140
bis 148 AO entspricht, der Besteuerung zugrunde zu legen, soweit nach den
Umständen des Einzelfalls kein Anlass besteht, ihre sachliche Richtigkeit zu
beanstanden.
Die Klägerin ist als Handelsgesellschaft gemäß § 238 Abs. 1 des
Handelsgesetzbuches (HGB) zum Führen von Büchern verpflichtet. In dem Fall muss
die Buchführung nach § 145 Abs. 1 AO so beschaffen sein, dass sie einem
sachverständigen Dritten innerhalb angemessener Zeit einen Überblick über die
Geschäftsvorfälle und über die Lage des Unternehmens vermitteln kann. Die
Geschäftsvorfälle müssen sich in ihrer Entstehung und Abwicklung verfolgen lassen.
Die Buchführung der Klägerin entspricht nicht der Vorschrift des § 146 AO. Nach §
146 Abs. 1 AO sind die Buchungen und die sonst erforderlichen Aufzeichnungen
vollständig, richtig, zeitgerecht und geordnet vorzunehmen. Kasseneinnahmen und
Kassenausgaben sollen täglich festgehalten werden. Eine Buchung oder eine
Aufzeichnung darf gemäß § 146 Abs. 4 AO nicht in einer Weise verändert werden,
dass der ursprüngliche Inhalt nicht mehr feststellbar ist. Auch solche Veränderungen
dürfen nicht vorgenommen werden, deren Beschaffenheit es ungewiss lässt, ob sie
ursprünglich oder es später gemacht worden sind.
Nach Maßgabe dieser Vorschriften sind die Aufzeichnungen der Klägerin nicht
ordnungsgemäß. Die Klägerin hat Einnahmen und Ausgaben in einem mit Hilfe einer
Excel-Tabelle geführten Kassenbuch erfasst. Obwohl die Miete wöchentlich in bar
vereinnahmt wurde und auch Betriebsausgaben häufig bar beglichen wurden, sind
die Einnahmen und Ausgaben nach den Angaben der Liquidatorin erst am
Monatsende und damit nicht zeitnah im Kassenbuch erfasst worden. Die
Buchführung der Klägerin bietet danach nicht die Gewähr, dass die Aufzeichnungen
vollständig und richtig sind. Eine Kassensturzfähigkeit war nicht gegeben, da die
Bareinahmen und –ausgaben nicht zeitnah, d. h. am selben Tag erfasst wurden.
Darüber hinaus können Änderungen der Kassenaufzeichnungen nicht nachverfolgt
werden.
Nach
den
Grundsätzen
ordnungsgemäßer
DV-gestützter
Buchführungssysteme (GoBS, Schreiben des Bundesministerium der Finanzen vom
07.11.1995, IV A 8-S 0316-52/95, BStBl I 1995, 738) darf eine einmal erfolgte
Buchung nicht verändert werden. Bei einer Veränderung einer erfolgten Buchung
muss der Inhalt der ursprünglichen Buchung, z. B. durch Aufzeichnungen über
durchgeführte Änderungen (Storno- oder Neubuchung), die als Bestandteil der
Buchführung aufzubewahren sind, feststellbar bleiben (vgl. Tz. 3.2. der GoBS).
Diesen Ansprüchen genügt die mit einer normalen Excel-Tabelle erstellte
Kassenbuchführung nicht. Änderungen der einmal gebuchten Werte sind jederzeit
möglich, ohne dass dies anhand der Aufzeichnungen nachvollziehbar wäre. Nicht
ausreichend ist es, dass erfolgte Änderungen evtl. durch Auslesen des Programms
sichtbar gemacht werden könnten. Vielmehr müssen durchgeführte Änderungen in
den Aufzeichnungen selbst nachvollzogen werden können. Dies ist bei den
Kassenaufzeichnungen der Klägerin nicht gewährleistet, die in § 158 AO
angeordnete Beweiskraft der Buchführung ist damit für den Streitfall ausgeschlossen
(vgl. BFH-Beschluss vom 12.03.2008 I B 176/07, juris). Es kommt nicht darauf an, ob
die von der Klägerin erst am Monatsende und damit nicht zeitnah erfolgten
Buchungen tatsächlich danach noch verändert wurden. Ebenso wenig kommt dem
Fehlen von Kontierungsvermerken eine darüber hinausgehende Bedeutung zu.
3. Da die Buchführung der Besteuerung nicht zugrunde gelegt werden konnte, lagen
die Voraussetzungen für eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen vor. Das
Gericht macht von seiner eigenen Schätzungsbefugnis nach § 96 Abs. 1 S. 1 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. §§ 158, 160, 162 AO Gebrauch. Nach
Auswertung der Internetportale durch den Beklagten konnte nicht von der sachlichen
Richtigkeit der Buchführung ausgegangen werden.
Im Rahmen der Schätzung können Tatsachenfeststellungen mit einem geringeren
Grad an Überzeugung getroffen werden, als dies in der Regel geboten ist. Der Grad
der grundsätzlich erforderlichen Gewissheit verringert sich dabei so weit, dass der
Sachverhalt aufgrund von Wahrscheinlichkeitserwägungen festgestellt werden darf.
Das gewonnene Schätzungsergebnis muss aber schlüssig, wirtschaftlich möglich
und vernünftig sein (BFH-Beschluss vom 13.10.2003 IV B 85/02, BStBl II 2004,25).
Der Senat erachtet es im vorliegenden Fall als sachgerecht, die Höhe der
Mieteinnahmen auf der Grundlage der Auswertung der Internetanzeigen der dort
tätigen Frauen zu schätzen. Denn es ist davon auszugehen, dass die Frauen, die per
Internet ihre Dienste angeboten und ihre Anwesenheit in der Modell-Wohnung
kundgetan haben, auch tatsächlich ein Zimmer angemietet hatten. Es kann dabei
außer Acht gelassen werden, dass in Einzelfällen trotz Inserats das Zimmer z. B.
wegen Krankheit nicht genutzt wurde, zumal bei einer kurzfristigen Erkrankung eine
vorherige Kündigung des Zimmer häufig nicht mehr möglich gewesen sein dürfte und
die Miete dem entsprechend zu zahlen war.
Entgegen der Darstellung der Liquidatorin der Klägerin geht der Senat nicht davon
aus, dass im Einzelfall über einen längeren Zeitraum Anzeigen geschaltet wurden,
ohne tatsächlich Dienstleistungen erbringen zu wollen. Die behauptete Gefahr einer
möglichen Abwanderung von Kunden, wenn längere Zeit keine Präsenz auf der
Internetseite gezeigt werde, dürfte umso mehr gelten, wenn Kunden – wie von der
Liquidatorin vorgetragen – während der Abwesenheit ggf. von anderen Frauen
bedient werden würden. Zudem gehen die einer Schätzung immanenten
Unsicherheiten regelmäßig zu Lasten des Steuerpflichtigen, der seine
Aufzeichnungspflichten verletzt hat.
Zwar hat der Beklagte jeweils nur für einen Tag pro Woche einen Ausdruck der
Internetseite „XXX.de“ vorgelegt. Da die Zimmer jedoch wöchentlich vermietet
wurden, ist der Schluss zu ziehen, dass das Zimmer jeweils für die ganze Woche
gemietet wurde. Die Anzahl der Vermietungen ist auf höchstens fünf Zimmer pro
Woche zu begrenzen, auch wenn nach Auswertung der Internetinserate mehr als
fünf Frauen ihre Dienste in der Wohnung angeboten haben. Da die Wohnung nur
über fünf vermietbare Einzelzimmer verfügte und keine Anhaltspunkte für eine
doppelte Vermietung der Zimmer vorliegen, ist ein höherer Ansatz nicht
gerechtfertigt. Hiervon geht nunmehr auch der Beklagte aus.
Der Senat schätzt nach Würdigung aller Umstände die Höhe der wöchentlichen
Miete pro Zimmer auf 320 €. Hierbei setzt der Senat keine höhere Miete für das mit
besonderen Vorrichtungen ausgestattete Domina-Zimmer an. Zwar erscheinen der
Vortrag des Beklagten und die Aussage des Zeugen P schlüssig, dass regelmäßig
für Zimmer mit derartiger Zusatzausstattung höhere Mieten zu zahlen sind. Im
vorliegenden Fall geht der Senat jedoch davon aus, dass der Mehrwert der
zusätzlichen Ausstattung durch den Nachteil der vorgesehenen Mitnutzung durch die
anderen in der Modell-Wohnung tätigen Frauen aufgewogen wird. Denn nach dem
Vortrag der Klägerin und den insoweit glaubhaften Angaben der Zeuginnen J und M
stand das Domina-Zimmer grundsätzlich allen zur Mitbenutzung im Bedarfsfall zur
Verfügung.
Die wöchentliche Miete von 320 € liegt im Rahmen dessen, was nach dem
Gesamtergebnis des Verfahrens für derartige Zimmerüberlassungen gezahlt wird.
Nach den vorgelegten Internetausdrucken werden Zimmer in Modellwohnungen für
300 € bis 350 € wöchentlich angeboten. Ferner hat der Beklagte drei unterzeichnete
Vernehmungsprotokolle vorgelegt, wonach für Zimmer in dem streitgegenständlichen
Objekt X-Straße in 2009 wöchentliche Mieten von 300 € und in 2012 von 320 €
gezahlt wurden. Der Zeuge P hat auf der Grundlage seiner langjährigen Erfahrungen
in dem Milieu glaubhaft bekundet, dass Mieten von 300 € bis 350 € pro Woche
gezahlt werden. Ebenso hat die Zeugin J bekundet, dass sie durchgängig 320 € für
das Zimmer gezahlt habe und damit den ihr in Rechnung gestellten Betrag bestätigt.
Letztlich hat auch die Zeugin O nach Vorlage entsprechender Rechnungen über 320
€ eingeräumt, dass sie Miete in der Höhe gezahlt habe.
Entgegen dem Vortrag der Klägerin ist nicht davon auszugehen, dass Miete von 320
€ nur bei einer Mietbenutzung des Domina-Zimmers zu zahlen gewesen ist. Sowohl
die Zeugin O als auch die Zeugin N, denen die Klägerin wiederholt Rechnungen über
320 € ausgestellt hatte, haben bekundet, dass sie das Domina-Zimmer nicht genutzt
hätten, ihnen ein Zusammenhang zwischen der Miethöhe und der Mitbenutzung des
Domina-Zimmer nicht bekannt sei. Dies deckt sich mit den Rechnungen, denen ein
Aufpreis für die Nutzung des Domina-Zimmers nicht entnommen werden kann.
Entgegen der Darstellung der Klägerin wird auch bei den auf 320 € lautenden
Rechnungen der aus ihrer Sicht höhere Rechnungsbetrag nicht mit dem Ausweis
einer weiteren Leistung begründet. Es wird lediglich – wie in den Rechnungen über
100 € - die Nutzung eines Zimmers abgerechnet. Der in Klammern eingefügte Zusatz
„Studio“ lässt nicht erkennen, dass ein Entgelt für die Nutzung eines weiteren
Zimmers gezahlt wurde.
Nach allem geht der Senat davon aus, dass die Zimmermiete 320 € wöchentlich
betrug und die Rechnungen über 100 € nicht den wirklichen Preis ausweisen. Soweit
die Zeuginnen M und N ausgesagt haben, dass sie nur 100 € wöchentlich bzw. gar
keine Miete gezahlt hätten, hält der Senat diese Angaben nicht für glaubhaft. Die
Aussage der Zeugin N, überhaupt keine Miete gezahlt zu haben, wird bereits durch
die vorgelegten Ausgangsrechnungen der Klägerin wiederlegt. Denn es widerspricht
jeder Lebenserfahrung, dass eine Vermieterin in ihrer Buchführung sachlich falsche
Rechnungen ablegt und Einnahmen erklärt, die sie nicht erhalten hat. Die Aussage
der Zeugin M wird durch die Angaben in ihrer Betriebsprüfung relativiert. Denn in
dem Rahmen hat ihr Steuerberater eine Schätzung des Mietaufwands in Höhe von
300 € wöchentlich vorgeschlagen. Zwar wirkt sich der Aufwand steuermindernd aus
und ein hoher Aufwand liegt regelmäßig im Interesse des Steuerpflichtigen. In Fall
der Schätzung der Einkünfte aus Prostitution korreliert die Höhe des Mietaufwands
jedoch mit der Höhe der geschätzten Einkünfte, so dass in dem Fall auch ein
Interesse daran bestand, den Mietaufwand eher niedrig zu halten. Ein um mehr als
das Dreifache erhöhter Aufwand und entsprechend angepasste Einkünfte werden
nach Überzeugung des Gerichts nicht nur – wie von der Zeugin behauptet – im
Hinblick auf eine schnelle Beendigung des Verfahrens akzeptiert und um der damit
verbundenen Belastung zu entgehen, wenn sie nicht der Wahrheit sehr nahe
kommen.
Der Schätzung sind danach wöchentliche Mieteinnahmen von 320 € pro Zimmer
zugrunde zu legen, soweit nach den Inseraten im Internet von einer Vermietung der
vorhandenen Zimmer auszugehen war. Danach ergeben sich für die Monate April bis
Dezember 2012 folgenden Umsätze, die unter Berücksichtigung der mit den
Steuererklärungen angemeldeten Vorsteuern zu den nachfolgend ausgewiesenen
Steuerfestsetzungen führen:
...
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
Die Quote der Kostenlast entspricht dem jeweiligen Unterliegen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 1
Satz 1, Abs. 3 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor.