Graphic Novel: Geisterbeschwörung - taz.de

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Graphic Novel: Geisterbeschwörung - taz.de
Graphic Novel
Geisterbeschwörung
Wie lässt sich von einem Leben erzählen, das kaum Spuren hinterließ? In der Ausstellung
„Redrawing Stories from the Past“ geht es um neue Narrative und Vermittlung von Geschich
NS-Zeit
Die Geschichte beginnt, als gäbe es keine Geschichte: „Augen:
keine Angabe. Nase: keine Angabe. Mund: keine Angabe. Haare:
keine Angabe.“ Ein Foto gibt es nicht, es ist als habe es den
Menschen Mohamed Kaci nie gegeben.
Die Comic-Künstlerin Paula Bulling hat für ihren Beitrag zum
Ausstellungsprojekt „Redrawing Stories from the Past“ in der
Neuköllner Galerie im Saalbau viele Akten in Archiven zur Zeit des
Nationalsozialismus gewälzt und ist dabei auf den Namen Kaci
gestoßen. Ein kleiner Bericht in einem Buch über arabische
Inhaftierte in den nationalsozialistischen Lagern nennt den Namen
des Algeriers. Bulling hat weiter recherchiert und mehr
Informationen über den Insassen mit der Nummer 78893 F
zusammengetragen. Ein Gesamtbild zu erstellen, gelingt zwar nicht,
dafür fehlen zu viele Angaben zum sozialen und politischen
Hintergrund, doch trotzdem: In ihrem Comic „Tamgout,
Buchenwald, Paris“ macht Bulling sich auf die Suche nach der
Geschichte von Mohamed Kaci – einem Mann, der vergessen wurde.
Vergessene Geschichten vom Holocaust und den Opfern des
Nationalsozialismus in zeitgenössischen Erzählformen zu erzählen,
ist die Idee des Projekts „Redrawing Stories from the Past“, das von
den Kuratoren Elisabeth Desta und Ludwik Henne initiiert wurde.
Hierfür begaben sich fünf Künstlerinnen und Künstler aus ganz
Europa auf Spurensuche und erarbeiteten Graphic Novels und
Comics. Die den Comics zugrunde liegenden Ereignisse und
Biografien wurden während des Projekts gefunden und dann
recherchiert, wobei vor allem wenig bekannte Dinge und Ereignisse
zur Sprache kommen.
So beschäftigt sich etwa Zosia Dzierżawska aus Polen in ihrer
Erzählung „Bricks/Ziegelsteine“ mit der Stadt Warschau, die von
den Deutschen im Zweiten Weltkrieg bewusst zerstört wurde, um
danach ein „Neues Warschau“ entstehen zu lassen. Von ihr
bekommt der Besucher verschiedene utopische Versionen vom
Stadtbild Warschaus vorgeführt, vor allem geht sie dabei auf die
jüdischen Architektinnen und Architekten ein, die im Warschauer
Getto lebten. Ganz anders arbeitet hingegen Mārtiņ Zutis aus
Lettland, der für seine Comic-Arbeit einen winzigen Zeitungsartikel
als Ausgangspunkt nimmt. Ihm genügt die Notiz über einen
lettischen Lebensmittelhändler, der an die Jüdin Mirjama Kazdane
Lebensmittel verkaufte. Mit Hilfe einer Art „Geisterbeschwörung“
erzählt der Comic aus Mirjamas Perspektive von der Verfolgung der
lettischen Juden und erinnert an die Bedingungen der Bevölkerung
Rigas, die ständig schlechter wurden.
In zwei Workshops sind die Künstler mit den Experten für
Geschichte und Comics Ole Frahm und Sascha Hommer
zusammengekommen, um über den Nationalsozialismus und dessen
Opfer zu diskutieren. Welche Narrative über den Holocaust kennen
wir und welche sind uns entgangen? Wie erinnern wir? Gemeinsam
mit Jugendlichen suchten die Teilnehmer nach vergessenen
Geschichten und arbeiteten sowohl zum historischen Erzählen als
auch zur Darstellung und dem Einsatz von historischem Material.
Dieser Thematik widmet sich ein ganzer Raum in der Galerie im
Saalbau, der den Blick der Opfer des Holocausts in den Fokus rückt.
Essenausgabe, Appell, Selektion, Vernichtung: Häftlinge wie Helga
Weissová, Alfred Kantor oder Camille Delétang schafften es, im
Lager an Stift und Papier zu gelangen, um Skizzen von ihren
Erlebnissen im Konzentrationslager anzufertigen, die nun als
Quellen und Arbeitsgrundlagen für die Künstler dienen und
ausgestellt sind. Dass Comics nicht nur lustige Geschichten und
sprachliche Einfachheit bedeuten, sondern auch ein geeignetes
Mittel für die Darstellung anspruchsvoller Themen sein können,
machen diese Beispiele deutlich. Die Ausstellung bietet so gerade
für Jugendliche einen neuen Zugang zum Thema
Nationalsozialismus und Holocaust.
Galerie im Saalbau: Di.–So. 10–20 Uhr, bis zum 3. Januar 2016.
Eintritt kostenlos www.redrawingstoriesfromthepast.com
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