Streit um Umzugskosten
Transcription
Streit um Umzugskosten
Lokales Streit um Umzugskosten Sozialgericht entscheidet: 62-Jährige will von Löhne nach Kassel ziehen und hat die Übernahme der Kosten beim Jobcenter beantragt. Erst wurden sie bewilligt, dann zurückgezogen, da sich der Sachverhalt geändert habe Von Susanne Barth Löhne. Monika Kleimann will nur noch weg aus Löhne. Die 62-Jährige hat ihre Wohnung gekündigt, eine neue in Kassel gefunden. Doch dorthin gelangt sie nicht. Die Hartz-IV-Empfängerin besitzt keinen Pfennig Geld, kann sich den Umzug nicht leisten, der ihr vom Jobcenter Ende April zugesichert worden ist. Die Übernahme der Kosten wurde wieder zurückgezogen, da sich laut dem Jobcenter die vorliegenden Erkenntnisse geändert haben. Kleimann sitzt zwischen Umzugskartons auf dem Zweisitzer im Wohnzimmer. Sie ist aufgelöst, weiß nicht mehr weiter. "Ich komme hier ohne Hilfe nicht weg", sagt sie. Auch durch Bekannte könne sie einen Umzug eigenständig nicht realisieren. Daher hat sie beim Jobcenter die Übernahme der Umzugskosten beantragt. Sie möchte wieder zurück nach Kassel. Dort lebe ihr Sohn, dort habe sie soziale Kontakte, die ihr in Löhne fehlten und dort sei ihre ärztliche Versorgung gesichert. 40 Jahre lang hat sie in der hessischen Stadt gelebt. Am 27. April hat das Jobcenter Herford die Umzugskosten bewilligt. Eine Firma aus Herford war schon beauftragt. In dem Schreiben steht: "Sie haben nachgewiesen, dass der Umzug dringend erforderlich ist. Eine ärztliche Versorgung nach Ihren Bedürfnissen ist in Kassel vorhanden." Kleimann leidet an Diabetes, Sprunggelenksarthrose, Sturzgefahr, Schwindel. Das bescheinigt ihr ein Allgemeinmediziner aus Löhne. Er rät, da ihr Sohn in Kassel lebt, dass es "dringend erforderlich ist, dass die Patientin wieder nach Kassel zieht". Dort bekäme sie die notwendige Unterstützung. Auch würde sie in Kassel schon mit Ärzten in Kontakt stehen, die sie in Löhne nicht erreichen würde. Aus ärztlicher Sicht rät er außerdem, dass Kleimann eine Wohnung im Erdgeschoss bewohnen sollte. In Löhne lebt sie im zweiten Stock, die Wohnung in Kassel liegt im vierten. Genau das ist die Problematik. Zusätzlich zur ärztlichen Versorgung schrieb das Jobcenter auch in das Genehmigungsschreiben, dass Kleimanns neue Wohnung im Erdgeschoss liegt. "Die vorab von Frau Kleimann vorgetragenen und anhand der Atteste ihres Hausarztes belegten gesundheitlichen Einschränkungen begründeten die Erfordernis, in eine Erdgeschosswohnung umzuziehen", sagt Klaus Binnewitt, Geschäftsführer vom Jobcenter Herford. Dass Kleimann jemals gesagt hat, dass ihre Wohnung im Erdgeschoss läge, bestreitet sie vehement. Sie hat eine Rechtsanwältin eingeschaltet. Für Barbara Küper ist die Lage der Wohnung nicht der entscheidende Grund für den Umzug. "In Kassel hat sie ihren Sohn, bekommt Unterstützung und auch die Fachärzte sind dort", sagt die Anwältin gegenüber der NW. Das seien aus ihrer Sicht gute Gründe, dass das Jobcenter einen Umzug finanziere. Das Jobcenter sieht das anders und darf so handeln: "Wenn sich die Sachlage wie zuerst geschildert neu darstellt, kann die Zusicherung abgelehnt werden", informiert Binnewitt. Es sei ein schwieriger Sachverhalt, so die Anwältin. "Dass eine Zusicherung wieder zurückgezogen wird, habe ich in der Praxis noch nicht erlebt." Barbara Küper hat beim Sozialgericht Detmold einen Antrag zur einstweiligen Anordnung beantragt. Gleichzeitig legt sie gegen den Bescheid vom Jobcenter Widerspruch ein. Das Gericht verhandle "relativ schnell" solch einen Fall. "Es ist gut, dass der Fall durch eine neutrale Instanz geklärt wird", so Binnewitt. "Da gehört es auch hin." Jetzt heißt es abwarten. Die Miete in Kassel ist für diesen Monat schon bezahlt. Nicht nur Kleimann selbst werde dort einziehen, sie hat einen Untermieter. Dieser hängt somit ebenfalls an der Umzugsentscheidung. Thomas Schäfer wohnte wie Kleimann mehrere Jahrzehnte in Kassel und will dorthin zurück. Umzugskosten hat er keine beantragt. Problematisch wird es für ihn dennoch, wenn Kleimann nicht nach Kassel kommt: "Ich stecke da mit drin. Die Wohnung ist für zwei Mieter ausgelegt, alleine kann ich sie mir nicht leisten." Kurz gefragt: Geschäftsführer des Jobcenters Herford erläutert Verfahren Herr Binnewitt, wann werden Umzugskosten vom Jobcenter übernommen? KLAUS BINNEWITT: Gesetzliche Aufgabe des Jobcenters ist es, insbesondere Langzeitarbeitslosen den Weg in Arbeit zu ebnen. In diesem Zusammenhang können wir unter anderem Umzugsbeihilfen gewähren. Nicht Aufgabe der steuerfinanzierten Grundsicherung für Arbeitsuchende (Hartz IV) ist es, Umzüge zu finanzieren, die einem privaten Zweck dienen. Etwas anderes gilt, wenn der Umzug aus anderen Gründen notwendig ist. Dann hat das Jobcenter die vorgetragenen Gründe bezogen auf den konkreten Einzelfall umfassend zu prüfen. Was für Gründe könnten das sein? BINNEWITT: Hierunter fallen beispielsweise gesundheitliche Aspekte. Für deren Feststellung kann ein medizinisches Gutachten notwendig sein. Eine ärztliche Versorgung an einem anderen Ort wäre ein Grund, wenn am bisherigen Wohnort die notwendige medizinische Versorgung nicht gewährleistet ist. Generell gilt, dass für Umzugsbeihilfen die vorherige Zusicherung des Jobcenters einzuholen ist. Was erwartet das Jobcenter von ihren Leistungsberechtigten? BINNEWITT: Grundsätzlich wird erwartet, dass diese die Kosten im Zusammenhang mit einem Umzug so gering wie möglich halten und den Umzug in Eigenregie durchführen. So können die Möbel selbst eingepackt und in die neue Wohnung transportiert werden. Ein Verweis auf die Selbsthilfeleistung oder auch Hilfe Dritter ist nicht unangemessen. So ist es durchaus allgemein üblich, Umzüge zusammen mit Freunden und Bekannten zu realisieren. Wie geht es nach einer Ablehnung weiter? BINNEWITT: Den Leistungsberechtigten wird schriftlich die Möglichkeit eingeräumt, aus ihrer Sicht zum Sachverhalt Stellung zu nehmen. Es kann Widerspruch eingelegt werden. © 2016 Neue Westfälische 13 - Löhne und Gohfeld, Dienstag 28. Juni 2016