automobil produktion 1/99

Transcription

automobil produktion 1/99
Management
Bilder: Textron
Kunststofftanks
Instrumententafel des Chrysler 300M:
Kooperationen sollen bei Textron die
fehlende vertikale Integration ersetzen.
Die Einkaufstour geht weiter
In der Wachstumsstrategie von Textron Automotive nimmt
Europa einen besonderen Stellenwert ein. Eine Verdreifachung
des Umsatzes spülte viel Geld in die prall gefüllte Kriegskasse –
weitere Akquisitionen stehen nun bevor.
Ein zweistelliges Umsatzwachstum
pro Jahr und solide Deckungsbeiträge gelten für alle Geschäftsbereiche
des amerikanischen Mischkonzerns
Textron Inc., Providence, seit jeher
als ungeschriebene, dafür aber um so
heiligere Pflicht.
Das betrifft den Bereich Luftfahrt
mit seinen bekannten Marken ›Bell‹
und ›Cessna‹, der zuletzt 30 Prozent
zum Konzernumsatz von 10,5 Milliarden Dollar (rund 17,8 Milliarden
Mark) beitrug. Und das gilt darüber
hinaus für die Segmente Industrie
(Befestigungselemente, Rasenmäher, Golfwagen/29 Prozent Umsatzanteil) und Finanzdienstleistungen
(21 Prozent).
Dieses oberste Gebot gilt auch für
John Janitz. Der ehemalige TRWManager fungiert in Personalunion
gleichzeitig als Chairman, President
und CEO der Textron Automotive
Company Inc., Troy, (Michigan). Bei
56
Automobil-Produktion · Februar 1999
TAC – so das interne Kürzel – betrug
der Automobilumsatz mit 2,13 Milliarden Dollar (rund 3,6 Milliarden
Mark) rund 20 Prozent des TextronGesamtumsatzes. Damit verdreifachte sich der TAC-Umsatz seit 1992 nahezu.
mige Kautex Textron GmbH & Co.
KG, Bonn (blasgeformte Kunststofftanks), noch am renomiertesten
sein. Bei CWC Castings Textron
(Grauguß), McCord Winn Textron
(Scheiben- und Scheinwerferwaschanlagen), Randall Textron (Kraft-
Um als ›Global Player‹ zu agieren
fehlt es an einer Markenidentität
Doch zum ›Global Player‹ reicht
das noch nicht. Dazu fehlt zunächst
einmal eine Markenidentität. Anders
als die bekannten Schwestern aus
der Luftfahrt agiert Textron Automotive ohne einen einzigen bekannten
Handelsnamen auf den Märkten. Mit
einem Sortiment, das noch dazu
eher an einen Gemischtwarenladen
erinnert.
Aus europäischer Sicht dürfte im
Angebot von TAC die deutschstäm-
stoffversorgung) oder Textron Automotive Trim Operations (Innenausstattung) stehen die Dinge schon
anders.
Darauf angesprochen gibt sich
Janitz pragmatisch: »Wir verbringen
unsere Zeit lieber mit technischen
Kundenveranstaltungen, als uns
groß um die Imagewerbung zu
kümmern.«
Konzeptlosigkeit darf hinter dieser
Einstellung allerdings nicht vermutet
Management
Kunststofftanks
Textron Automotive im Überblick
Scheinwerfer-Waschanlage von McCord Winn Textron: Fehlende Markenidentität wird im Konzern nicht als Nachteil
empfunden.
Geschäftsführung: John Janitz
Umsatz: 2,13 Milliarden Dollar
Mitarbeiter: 14 100
Standorte: 51 Werke in 13 Ländern
Produkte: Fahrzeug-Innenausstattung, Anbauteile aus Kunststoff,
Funktionskomponenten
Hauptkunden: Daimler-Chrysler,
Ford, GM, VW, Audi
Wichtige Übernahmen: Kautex, Valeo Wiper Systems Ltd., Pirelli (Bereich General Rubber Goods), Midland Industrial Plastics
Türverkleidung des Lincoln
Town Car: Kunststoffverarbeitung gehört zu den Kernkompetenzen von TAC.
werden. Vielmehr eine Position der
Stärke, mit der Geschäftsführer
Janitz bereits in den vergangenen
Jahren die strategischen Weichen
auf Wachstum stellte.
Bestes Beispiel: die 1997 vollzogene Übernahme von Kautex. Janitz
sieht TAC durch die Neuerwerbung
als Technologie- und Marktführer in
Sachen Kunststofftanks. Blasgeformte Behältnisse gelten in der
Branche als leichter, sicherer, einfach an den Bauraum anzupassen,
umweltfreundlicher und korrosionsbeständiger als traditionelle Metalltanks. Doch es gab und gibt regionale Unterschiede bei ihrer Verwendung.
So lag die Ausstattungsquote mit
Kunststofftanks 1997 in Europa bei
70, in den USA dagegen nur bei 35
Prozent. Doch die Akquisitionen von
Dr. Wolfgang Theis, der nach einer
Umstrukturierung nun von Bonn
aus weltweit für das Geschäft mit
den polymeren Kraftstoffbehältern
verantwortlich zeichnet, zeigen Erfolg. Janitz dazu: »Die Markterobe-
58
Automobil-Produktion · Februar 1999
rung geht in den USA schneller voran, als erwartet. Bereits 1999 könnte
die Ausstattungsrate in den USA 50
bis 55 Prozent erreichen. Im Jahr
2001/2002 erwarte ich einen amerikanischen Marktanteil von 70 bis 75
Prozent.«
Die Übernahme von Kautex bildete gleichzeitig aber auch den Startschuß für eine internationale Einkaufstour von TAC. Allein in Europa
folgte der Kauf der britischen Valeo
Wiper Systems, Ltd. und des Bereichs General Rubber Goods von Pirelli. Im Herbst 1998 ging es mit der
Übernahme von Midland Industrial
Plastics weiter. Insgesamt verfügte
TAC zum Jahresende 1998 über 51
Werke in 13 Ländern.
Doch dabei soll es nicht bleiben.
So überraschte im Zusammenhang
mit der Veröffentlichung der Zahlen
für das dritte Quartal 1998 eine Mitteilung der Konzernzentrale in Providence. Sie gab bekannt, das Tochterunternehmen Avco Financial Services für 3,9 Milliarden Dollar in bar
(rund 6,6 Milliarden Mark) an die
Associates First Capital Corp. verkaufen zu wollen.
Von den erwarteten Nettoerlösen
des Deals in Höhe von 2,9 Milliarden
Dollar (knapp fünf Milliarden Mark)
sollen 40 Prozent für ein AktienRückkauf-Programm eingesetzt werden. Die restlichen 60 Prozent möchte die Konzernleitung für strategische Akquisitionen nutzen.
Wie viele der rund drei Milliarden
Mark dabei für Erweiterungen des
Konsolidierungskreises von TAC verwendet werden, bleibt noch offen.
Janitz jedenfalls meldete in Providence bereits Begehrlichkeiten und
auch ganz konkrete Vorstellungen
an, in welchen Branchen er nach
Übernahmekandidaten suchen läßt
(siehe Interview).
Dabei wurden die Akquisitionen
der vergangenen Monate noch nicht
einmal richtig verdaut. Zwar wurden
schnell die richtigen Andockpunkte
in den Organigrammen des Unternehmens gefunden. Doch eine zukunftsweisende Personalentwicklung fällt Janitz augenscheinlich
➔
Management
Interview
Jährlich zweistellig wachsen
In nur zwei Jahren übernahm der amerikanische Mischkonzern Textron Inc. zwölf europäische Unternehmen. John Janitz, Präsident des Automobilbereichs TAC, beschreibt
die Strategie der Automotive-Sparte.
Herr Janitz, durch Ihre Einkaufstour wurde TAC nicht gerade
übersichtlicher. Wie strukturierten Sie Ihr Geschäft, das auf
verschiedene Teilbranchen der automobilen Wertschöpfungskette zielt?
Wir teilen unser Geschäft in drei Segmente: Interieur,
Exterieur und Funktionskomponenten. 1998 entfielen 46 Prozent unseres Geschäfts auf Innenausstattung, 14 Prozent auf Exterieurs und 40 Prozent auf
Funktionskomponenten. Diese Verteilung wird bis
zum Jahr 2003 relativ konstant bleiben. 2003 erwarte ich 45 Prozent bei der Innenausstattung, 13 Prozent bei den Exterieurs und 42 Prozent bei Funktionskomponenten.
John Janitz, Präsident,
Chairman und CEO der
Textron Automotive
Company (TAC): Plant
weitere Firmenübernahmen in Europa.
me birgt noch ein hohes Kostensenkungs-Potential.
Dazu brauchen wir jedoch die Bereitschaft der Kunden.
Was bedeutet das konkret?
Wie veränderten die Übernahmen Ihre Marktanteile?
Unsere Strategie zielt nicht auf Größe, sondern auf
Wertschöpfung für den Kunden ab. Deshalb treiben
wir vor allem den Systemgedanken voran. Nicht nur,
um die Teile zusammenzuschrauben, sondern um sie
regelrecht zu integrieren.
»Europa wird in den nächsten
Jahren zum wichtigsten
regionalen Markt«
Etwa die I-Tafel. Wenn wir da Radios und Instrumente einbauen und die vormontierte Tafel an das
Montagewerk liefern, handelt es sich dabei um ein
einziges Teil. Werden die Einbauteile jedoch von vorneherein in der Entwicklung berücksichtigt und entsprechend integriert, senkt das die Kosten. Darin liegt
die Zukunft.
Entspricht die regionale Verteilung Ihres Geschäfts Ihren
Vorstellungen?
Europa wird in den nächsten Jahren zum wichtigsten
regionalen Markt werden. Dort zu partizipieren, gilt
als bedeutender Prozeß unseres künftigen weltweiten Wachstums.
Planen Sie dazu weitere vertikale Integrationen?
Anstatt Unternehmen mit zusätzlichen Produkten zu
kaufen, nehmen wir an Kooperationsprojekten teil
und arbeiten auf dieser Grundlage zusammen.
Können Sie dafür ein Beispiel nennen?
Etwa mit Instrumentier-Anbietern, um für europäische, aber auch amerikanische Kunden Instrumententafel-Packages zu schnüren. Wenn ein Partner mit
Kernkompetenz in diesem Bereich mit unserem
Kern-Know-how der Kunststoffverarbeitung zusammenkommt und wir dazu noch die Belüftung integrieren, entspricht das unseren Vorstellungen. Aber
wir planen nicht, Bestandteil der Klimaanlagen- oder
Instrumentierungs-Industrie zu werden.
Halten Sie die Integration Ihrer Produkte für hoch genug?
Nein. Im Moment stecken wir noch viel Energie ins
Modulgeschäft. Dessen Integration in die Kundensyste-
60
Automobil-Produktion · Februar 1999
Wie schätzen Sie die anderen Märkte ein?
Den asiatischen Markt sehe ich für die nächsten drei
bis vier Jahre als ›weich‹. Als zweitwichtigsten Auslandsmarkt erachte ich deshalb vor allem Südamerika. Dort dominieren jedoch wiederum die europäischen Hersteller.
Planen Sie weitere Akquisitionen in Europa?
Ja. Wir wollen im Automobilbereich jährlich um zehn
bis 15 Prozent wachsen. Durch externes Wachstum
ebenso, wie durch internes. Das Tankgeschäft wird dabei eher intern zunehmen. Bei Trim sehe ich für internes Wachstum ein Potential von vielleicht drei bis fünf
Prozent durch eine höhere Systemintegration und etwa
fünf bis sechs Prozent extern durch Übernahmen.
Bei den Akquisitionen geht es mir hauptsächlich um
synergetische Produkte wie im Bereich der Kunststoffverarbeitung.
Management
Kunststofftanks
Blasgeformter Kunststofftank: In den USA
soll die Ausstattungsrate mit Kunststoffbehältern
in 1999 50 bis 55 Prozent des Marktes erreichen.
schwer: »Unsere größte Herausforderung besteht derzeit darin, unsere
europäischen Operationen von den
Personalkapazitäten her auszubauen«, so der Geschäftsführer.
Mit seiner Einkaufstour verfolgt er
hauptsächlich das Ziel einer Internationalisierung des Geschäfts. Und die
ging eigentlich erst mit der KautexÜbernahme so richtig los. 1996 hatte
der Umsatzanteil, den TAC außerhalb der NAFTA erwirtschaftete, gerade einmal sechs Prozent betragen.
Dann kamen mit Kautex auf einen
Schlag 19 Produktionsstandorte in
zwölf Ländern dazu.
Der Umsatzanteil außerhalb des
nordamerikanischen
Kontinents
stieg in Folge auf 24 Prozent (1997)
und schätzungsweise 40 Prozent im
vergangenen Jahr. Damit fühlt sich
Janitz auf dem richtigen Weg. Bis
2003, so seine Vorgabe, soll TAC
Internationalisierung des Geschäfts
als Ziel der Einkaufstour
ȟberall dort vertreten sein, wo
weltweit 90 Prozent der Automobile
produziert werden«.
Um dabei die Reibungspunkte
möglichst gering zu halten, erfolgt
bei TAC die Organisation nach Produktlinien. So ist zum Beispiel Sam
Die TAC-Produktlinien
Textron Automotive Trim Operations
Präsident: Sam Licavoli
Mitarbeiter: 10 100
Standorte: 20
Produkte: Kunststoffteile für
die Fahrzeuginnenausstattung
und Anbauteile aus Kunststoff
Kautex Textron
Präsident:
Mitarbeiter:
Standorte:
Produkte:
Dr. Wolfgang Theis
2 500
18
Blasgeformte Kraftstofftanks
McCord Winn Textron
Präsident:
Mitarbeiter:
Standorte:
Produkte:
George F. Daniels
600
6
Waschsysteme für
Frontscheiben und
Scheinwerfer
CWC Castings Textron
Präsident:
Mitarbeiter:
Standorte:
Produkte:
John L. Kelly
300
2
Grauguß
Micromatic Textron
Randall Textron
Präsident:
Mitarbeiter:
Standorte:
Produkte:
62
Jane L. Warner
830
2
Kraftstoff-Versorgung
Automobil-Produktion · Februar 1999
Licavoli, Präsident der Textron Automotive Trim Operations, weltweit für
das Geschäft mit Instrumententafeln,
Türverkleidungen und anderen Ausstattungsmodulen verantwortlich.
Präsident:
Mitarbeiter:
Standorte:
Produkte:
Michael J. Brennan
450
4
Werkzeuge und
Montagesysteme
Zum Zuständigkeitsbereich von
Dr. Theis, Präsident von Kautex Textron, gehört daneben das Kunststofftank-Geschäft rund um den Globus. Da innerhalb der Produktlinien
eine kundenorientierte Organisationsmatrix eingeführt wurde, zeichnet Dr. Theis beispielsweise bei VW
für die deutschen Standorte ebenso
verantwortlich, wie für die Werke in
Mexiko und China.
Janitz kümmert sich einstweilen
darum, das Geschäft »auszutarieren«. Neben den Zahlenvorgaben eine weitere ›heilige‹ Pflicht im Hause
Textron. ›Multi-industry balance‹
heißt der Fachbegriff dafür auf Konzernebene.
Dahinter steht die Bemühung,
durch einen gesunden Geschäftsmix
nicht zu sehr von nur einer Branche
abhängig zu werden. Diese Politik
setzt sich in den einzelnen TextronSegmenten fort.
Janitz: »Lieber zehn Kunden à
zehn, als ein Kunde mit 90 Prozent
Umsatzanteil. Diese Balance ist
wichtig für uns. Aber auch ein gutes
Management. Darum kaufen wir
auch nur ›gesunde‹ Unternehmen.
Nur das sind letztlich synergetische
Akquisitionen.«
➔