Pelle der Eroberer - henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin
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Pelle der Eroberer - henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin
Martin Andersen Nexö Pe l l e d e r E r o b e r e r Nach dem gleichnamigen Roman für die Bühne bearbeitet von C a r e n P f e i l © henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH 1 Großen Dank an die Uraufführungsinszenierung am Theater Junge Generation Dresden, Regie: Gerald Gluth, Dramaturgie: Ulrike Leßmann, die mit vielen Anregungen in diese endgültige Stückfassung eingegangen ist. C. P. © henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH 2007 Als unverkäufliches Manuskript vervielfältigt. Alle Rechte am Text, auch einzelner Abschnitte, vorbehalten, insbesondere die der Aufführung durch Berufs- und Laienbühnen, des öffentlichen Vortrags, der Buchpublikation und Übersetzung, der Übertragung, Verfilmung oder Aufzeichnung durch Rundfunk, Fernsehen oder andere audiovisuelle Medien. Das Vervielfältigen, Ausschreiben der Rollen sowie die Weitergabe der Bücher ist untersagt. Eine Verletzung dieser Verpflichtungen verstößt gegen das Urheberrecht und zieht zivil- und strafrechtliche Folgen nach sich. Die Werknutzungsrechte können vertraglich erworben werden von: henschel SCHAUSPIEL Marienburger Straße 28 10405 Berlin Wird das Stück nicht zur Aufführung oder Sendung angenommen, so ist dieses Ansichtsexemplar unverzüglich an den Verlag zurückzusenden. F1 2 © henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH FIGUREN Männer: Lasse (50) Pelle (7–14) Ole / Seemann / Bauer / Schulklasse Gustav /Seemann / Bauer / Schulklasse Erik / Seemann / Schwede / Schulklasse Herr Kongstrup / Bauer / Lehrer Fris Verwalter / Schwede / Schulklasse Eleve / Schulklasse Rud (7–14) Frauen: Karna (40) / Schulklasse Bodil (19) / Schulklasse Frau Kongstrup / Schulklasse Johanne / Schulklasse Madam Olsen / Fischerfrau / Schulklasse Schulklasse Henrik, der Anführer Nilen, der Sekundant mehrere Mitläufer 5 Mädchen Alle 14 Darsteller und Darstellerinnen sollten auch die Erzähler sein. Die Aufteilung der Erzählertexte ist frei, nur an den Stellen, an denen es mir wichtig war, habe ich Darsteller vorgegeben. © henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH 3 Vo r s p i e l : S c h w e d e n 1 8 7 0 . M u t t e r B e n g t a i s t g e s t o r b e n . Dorffriedhof. Ein Totenglöckchen läutet. Am offenen Grab stehen Lasse und Pelle. Pelle Ist es in dem Sarg auch so kalt, Lasse? Lasse Das wird woll so sein. Aber Mutter Bengta merkt das nu nich mehr. Nich weinen Pelle. Sie is ja nu erlöst und kommt in den Himmel. Pelle Müssen alle sterben, die so alt sind wie Bengta? Lasse Sie hat ja nu schon so lang gelegen und war ja schon ganz grantig von den vielen Schmerzen. Pelle Musst du auch bald sterben? Lasse Ne, Pelle. Ich bin noch ein Mann in den besten Jahren, wie man so sagt. Merkst doch, wie ich bei den Frauen beliebt bin. Das war immer so bei den Männern in unsrer Familie. Pelle Ich friere so an die Hände. Lasse Gib sie her. (Lasse versucht, ihm die Hände warm zu reiben.) Pelle (Aggressiv.) Mutter Bengta hat das ganz anders gemacht. So musst du rubbeln. (Lasses ewig entzündete Augen laufen über.) Pelle Nich weinen Vater. Lasse Wir warn doch gut zusammen, Mutter Bengta und ich. Das is nu schon schwer, wo sie nich mehr da is. Pelle Dafür brauchen wir das ganze Geld jetzt nicht mehr dem Arzt zu geben. Lasse Du musst jetzt die Erde auf den Sarg schmeißen. Ja, Pelle, jetzt fangen wir ein neues Leben an. © henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH 5 1 . Te i l : D i e A n k u n f t ERZÄHLER I - Pelle war sieben Jahre alt, als er mit seinem Vater Lasse auf die Insel Bornholm kam. - Bornholm, in Dänemark. - Im Mai 1877, ganz früh in der Morgendämmerung, mit dem Schiff aus Schweden. - Was hätte Lasse auch anderes machen sollen. Allein mit dem Jungen. - Seine Frau Bengta war ihm nach langer Krankheit weggestorben. - Haus und Boden gingen drauf für die Schulden beim Arzt. - Da verkaufte Lasse die Reste seiner Habe. - Nur das, was ihm am wertvollsten war, packte er in eine grüne Kiste. - Bengtas zerlesene Bibel - Ihr Hochzeitstuch und etwas braunen Bindfaden. Pelle Braunen Bindfaden? Lasse Der ist für deine Hose, wo sie unten immer verschleißt. Weil du die Knöchel gegeneinanderscheuerst, genau wie ich. - Die Kiste unter einem Arm, an der Hand den Jungen, wanderte Lasse zu Fuß nach Ystad, - wo der Dampfer ablegte. - Das Geld reichte gerade für die Überfahrt für ihn und den Jungen. 6 © henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH 1.1. Auf dem Meer Im Nebel. Wind. Seemann (Langgezogen.) Hört ihr was? Seemann (Langgezogen.) Nein. Seemann (Langgezogen.) Seht ihr was? Seemann (Langgezogen.) Nein. (Lasse und Pelle kauern auf dem Schiff hinter ihrer grünen Kiste.) Pelle Vater! Schläfst du? Ich friere so sehr. Vater wach doch auf! Lasse (Schreckt hoch.) Sind wir schon auf der Insel? Pelle Wo ist sie denn? Ich kann gar nichts sehen. Lasse Die Insel ist woll das Schönste, was ich in meinem ganzen Leben gesehen hab. Vor acht Jahren, als Mutter Bengta gerade mit dir ging, war ich schon mal hier. Da konntest du gut und gerne zwei Kronen am Tag verdienen, zwei Kronen, stell dir vor. Pelle Sind da auch Kinder? Lasse Na, die Menge, was denkst du denn. Pelle Aber auf dem Schiff habe ich gar keine Kinder gesehen. Lasse Wird schon, Pelle, das wird schon. (Der durchdringende Pfiff einer Dampfpfeife.) 1.2. Die Ankunft Im Hafen. Fischerfrau Dieser Nebel. Bauer 1 Vielleicht liegt das Schiff schon längst auf Grund. © henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH 7 Bauer 2 Ne ordentliche Ladung schwedisches Arbeitsvieh soll heut kommen, so an die dreihundert Stück. Bauer 1 Das lebt von Salzhering und schuftet für dreie! Bauer 3 Was anderes können die ja nicht, die Schweden! Fischerfrau Mein Ältester ist mit draußen. Bauer 2 Hör auf zu jammern, Alte. Fischerfrau Was weißt du schon vom Meer, du Kuhmistfahrer. (Man hört die Dampfpfeife ganz nah. Dann ein gewaltiges Tuten. Plötzlich taucht ein großes Schiff aus dem Nebel auf.) Bauer 2 Na bitte. Hat der Käptn doch noch in die Stalltür reingefunden, was? (Die Bauern lachen.) Fischerfrau Gott sei Dank. (Das Schiff kippt eine Menge müder, ausgezehrter Menschen an Land. Der Nebel lichtet sich. Lasse steht mit dem Jungen an der Hand unschlüssig neben der grünen Kiste. Ein verwahrloster Junge mit roten Haaren (Rud) streicht zwischen alten Fässern und Müll herum. Er beobachtet die beiden.) Pelle Ich bin müde. Lasse Siehst du den da, der is gewiss gut zu Kindern. Guten Tag, Herr. Ich bin Lasse Karlsson aus Tommelilla, aus Schweden, und das ist mein Sohn Pelle. Haben Sie Arbeit für mich und meinen Jungen? Bauer 1 So, so, aus Schweden! Also für dich hätt ich was, Alter, aber der da ist zu klein. Mit dem wirst du’s schwer haben. Muss der mit? (Zu einem der Gastarbeiter.) Du da, ja, dich meine ich. Komm her. Dreh dich um. Gut. Steig da auf. Na mach schon. (Ab.) Lasse Entschuldigung, mein Herr. Guten Tag. Ich bin Lasse Karlsson … Bauer 2 Platz da, los, macht Platz, ich habs eilig. (Zu einem andern.) Name. Alter. Größe. Kannst du nicht lauter sprechen? 8 © henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH Schwede 1 Ich bin Schmied. Hab sogar meinen eigenen Hammer. Bauer 2 Den kannst du vergessen. Deine Schultern sind ganz gut. Los, steig auf. (Ab.) Bauer 3 Hundertzwanzig Kronen hab ich gesagt, und keine einzige mehr. Was glaubst du, wer du bist, Alter. Schwede 2 Letztes Jahr gab es hundertdreißig, Herr. Ich war doch schon mal hier. Erkennen Sie mich nicht? Bauer 3 Wenn ich jeden Schweden kennen würde, der unser Brot lieber frisst als sein eigenes! Du machst mir Spaß! Lasse Entschuldigung, mein Herr. Ich bin Lasse Karlsson. Wir suchen eine Arbeit, eine gute. Ich kenn mich aus, war schon einmal hier … Bauer 3 Nicht mit dem Jungen, Alter, Esser haben wir selber genug. Und du bist auch ganz schön klapprig. (Ab.) (Lasse und Pelle sind auf einmal ganz allein auf dem Platz.) Pelle Sind das noch nicht die richtigen Bauern, Vater? Lasse Doch doch, Pelle, aber das erste Beste nehmen wir nicht. Das Beste kommt immer zuletzt, dass du dir das merkst, Junge! Pelle Ja, Vater. (Pause.) Es ist wegen mir, stimmts? Lasse Wolln mal sehen, was es im Dorf für uns gibt. Du wartest hier bei der Kiste. Und pass gut auf, Pelle, das ist alles, was wir haben. (Er gibt Pelle ein Stück Brot und geht langsam ab. Pelle kauert sich auf die grüne Kiste und tastet vorsichtig mit seinen Augen die Gegend ab. Der rothaarige Junge ist zwischen den Fässern verschwunden.) Pelle Vielleicht kommt Lasse gar nicht mehr wieder, wo er mit mir zusammen sowieso keinen Dienst finden kann. (Leise rufend.) Volle Kraft voraus! (Lauter.) Tuuuut! Wir sinken! Land in Sicht! Hurra! Wir sind gerettet! (Schreit.) Hilfe! Piraten! Macht die Kanonen fertig! Rud (Verzerrt, mit Hall, aus einem leeren Fass.) Pelle Karlsson aus Tommelilla! Du wagst es, in mein Reich einzudringen, du Wicht! © henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH 9