TAROT INTENSIV
Transcription
TAROT INTENSIV
TA R O T I N T E N S I V Diese neue spannende Reihe bildet eine Plattform für Autoren, die sich seit vielen Jahren beruflich mit dem Kartenlegen beschäftigen und sich dabei bereits einen Namen gemacht haben. Sie berichten über eigene (oftmals ungewöhnliche) Ansätze, geben Erfahrungen aus ihrer Beratungstätigkeit wieder und äußern sich auch zu kontroversen Themen rund um die Sprache der Karten. AKRON ist ein Künstler, Musiker, Autor, Astrologe und Okkultist. Der ehemalige Amon Düül-Schlagzeuger und Kulturkritiker verfasste neben einer Rock-Oper auch zahlreiche Bücher zum Thema Astrologie, Tarot und Okkultismus. Im Juni erschien eine Neuauflage seines erfolgreichen Baphomet-Tarots mit den Karten von Oscar-Preisträger H. R. Giger, (ISBN: 978-3905372298) und im Herbst erscheint ein dreidimensionales Tarot-Game »The Akronacle«, das Spiel des Lebens für einen oder mehrere Spieler. 126 Z U K U N F T S B L I C K Kön Zukunft vo Eine tiefere Auseinandersetzung mit S olange man sich darüber bewusst ist, dass Modelle keine Wahrheit sind, und man auch mit Goethe übereinstimmt, dass alles Sichtbare nur ein Gleichnis ist, so lange kann man auch die Bilder und Symbole des Tarot als eine Tür begreifen, hinter der jedes Mal ein anderes Panorama liegt, so oft wir die Karten mischen und auslegen. Sie stellen einen eigenen Kosmos, ein verkleinertes Muster aller Abläufe in der Welt dar und liefern uns die Vorlage zu einer Realität, die wir dann aus unserer persönlichen Sichtweise heraus interpretieren. In jedem Augenblick bilden Welt und Mensch ein komplexes Netz von Ursache und Wirkung, das erst durch unsere Vorstellung zu dem wird, was es ist. Deshalb können wir die Realität als ein komplexes Gewebe betrachten, das aus dem Zusammenspiel aller seiner Komponenten – einschließlich des menschlichen Erkennens – erst »wird«. Das bedeutet auf der Ebene des Realitätsmodells Tarot, dass keine Karte allein aus sich selbst heraus und nur für sich selbst allein existiert. Sie ist auch nicht als vom Betrachter unabhängig zu betrachten, denn sie existiert nur in Beziehung zu anderen Karten, und in jeder dieser möglichen Beziehungen existiert sie – je nach der Perspektive des Betrachters – anders. Umgekehrt existieren für den Betrachter selbst keine objektiven Wertmaßstäbe, und es gibt für ihn auch keine allgemeingültige Perspektive, obwohl es nur Objekte gibt, die sind, wie sie sind. Denn da wir die Objekte eben nicht so sehen, wie sie sind, sondern nur so, wie wir sie sehen können oder sehen wollen, ist jedes Sehen gleichzeitig immer nur die Perspektive unserer eigenen Vorstellung. Die Wurzeln dieser Vorstellung aber sind unsere Hoffnungen und Ängste. Denn es sind unsere Gefühle, die uns alles, was wir sehen, durch die subjektive Brille unserer inneren Ausrichtung »wieder erkennen« lassen. Das, was wir dann letztlich sehen, nennen wir nichtsdestoweniger »Realität«. Da wir die Karten folglich nur so sehen können, wie wir sie in der Beziehung zu unseren Hoffnungen und Ängsten erkennen können, gibt es auch keine Sicht der Karten, die sich nicht mitbewegen würde, sobald sich unsere Ängste und Hoffnungen verändern. Denn die unbewussten Sehnsüchte und Befürchtungen sind die individuellen Vorstellungen, die sich genau von jenen Vorgängen (Karten) in der Welt anziehen lassen, die sie bestätigen. Sie schwingen auf der Wellenlänge eines Gefühls oder einer Empfindung, auf die unsere seelischen Emanationen ansprechen. Einen Augenblick lang machen wir die Erfahrung, selbst ein Teil der Schwingung der Karte zu sein. Die Schwingungen, die unser Bewusstsein dabei aus allen gefühlsmäßigen, gedanklichen und körperlichen Assoziationen herausfiltert, sind der Fokus, auf den unsere Psyche ausgerichtet ist. Unser Unterbewusstsein versucht, selbst auf der Frequenz der betreffenden Karte zu schwingen, um sich mit ihrem Geist zu verbinden und dessen Botschaft zu empfangen. Es ist unsere eigene seelische Disposition, die uns intuitiv zu jenen Karten führt, die unserem gegenwärtigen inneren Zustand am nächsten sind oder die mit den aktuellen Entwicklungsthemen unserer Psyche am besten korrespondieren. Die vor dem inneren Auge aufsteigenden Bilder sind ein Spiegel, in dem sich unsere innere Entwicklung reflektiert. Es ist daher keineswegs so, dass die Karten das Schicksal »vorhersagen«, sondern vielmehr so, dass wir unsere gegenwärtige seelische Ausrichtung auf die Karten übertra- TAROTINTENSIV nen Karten die rhersagen? dem virtuellen Geist des Tarot gen und dann aus ihnen herauslesen (in sie »zurückübertragen«), was wir an unbewusster Erwartung zuvor in sie hineinvisualisiert haben. Die Beschäftigung mit den Tarotkarten verschafft uns vielmehr die Möglichkeit, die Welt im Spiegel unserer inneren Erwartungen zu betrachten und sie dabei als ein getreues Abbild unserer Ideen und unserer Überzeugungen zu erkennen, die unsere inneren Inhalte umhüllen. Denn die Karten können niemals Schicksal sein; sie zeigen lediglich an, was unser inneres Empfinden an die Welt »heranträgt«. Sie werben, wenn man so will, für ein wenig Aufmerksamkeit denjenigen Symbolen gegenüber, die auf synchronistische Weise die Spiegel unserer inneren wie äußeren Prozesse sind. Bevor sich nämlich äußere Geschehnisse auf der materiellen Ebene realisieren, müssen sie zuerst auf der seelischen Ebene stattfinden. Die Auseinandersetzung mit den Karten ist eine von vielen Möglichkeiten, diesen inneren Strömen nachzuspüren, um sie als Urquell allen Handelns zu erkennen, als Pläne sozusagen, deren Verwirklichung dann das ist, was wir die »erlebte Wirklichkeit« nennen. Mit anderen Worten: Die Welt, so wie sie sich uns darstellt, entspricht immer der Summe unserer Erfahrungen, die wir bewusst nachvollziehen können. Wir schaffen unsere Realitätsebenen durch die Wirkungen unserer Handlungen, und gleichzeitig erschaffen die Wirkungen unserer Handlungen erst die Identität unseres Ichs. Jeder Mensch löst durch seine unbewussten Prägungen sein Schicksal aus, das er aber von seiner inneren Prägung abtrennt und als äußeres Ereignis wahrnimmt, damit er nicht erkennen muss, dass sein menschliches Bestreben nicht darauf zielt, die Welt kennen zu lernen, sondern sich selbst nur immer mehr in seinen eigenen Schicksalsmustern zu bestätigen. Jede Zeitqualität stellt einen Ausschnitt innerhalb unseres Raum-Zeit-Kontinuums dar, und unsere Gegenwart zieht dabei die noch fehlenden Erlebnismuster an, um sie in das Bewusstsein zu integrieren. So erschafft sich jedes Wesen die ihm eigene Lebensqualität, die es über seine unbewussten inneren Absichten realisiert und Schicksal nennt. Wenn wir die Karten mischen und auslegen, schaffen wir uns eine Spiegelung unseres kleinen Anteils an der Gesamtsituation. Wir gehen davon aus, dass auch der so genannte Zufall im Grunde determiniert ist, nämlich durch das Kraftfeld des Willens, der aus dem Zentrum des Empfindens kommt, das wiederum an die Inhalte gebunden ist, die sich ihm im Schicksal anbieten. Das Archetypische wird durch die Raster unserer Vorstellung jetzt zum Alltäglichen. Wenn wir C. G. Jung zitieren, könnte man in Bezug auf das Kartenlegen mit dem Tarot z.B. folgende »Immer-wenn-dann-Beziehung« postulieren: Immer, wenn mich die Karte Turm besonders anspricht bzw. wenn sie in meinen Legungen auffallend häufig auftaucht, bricht in meiner äußeren Welt ein Vorstellungsinhalt zusammen. Z U K U N F T S B LI CK 127