Ästhetische Chirurgie und Medizinrecht
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Ästhetische Chirurgie und Medizinrecht
9. Jahrgang • Heft 12/2010 • S. 641 ÄRZTLICHES BERUFSRECHT/ARZTHAFTUNGSRECHT Ästhetische Chirurgie und Medizinrecht – Normstrukturen, Regelungsprobleme und Steuerungsebenen Prof. Dr. Reinhard Damm, Bremen I. Begriffsbildung und Sachproblem Für den hier interessierenden Medizinbereich existiert nicht zufällig eine Vielzahl von Bezeichnungen. Ihre Verwendungsweisen spiegeln deutlich Prozesse der internen Professionalisierung und Ausdifferenzierung der betroffenen Disziplinen wider. Neben dem Begriff der Ästhetischen Chirurgie sei exemplarisch auf die Kennzeichnungen einschlägiger medizinischer Handlungsfelder als „ästhetisch-plastische Chirurgie“, „Schönheitschirurgie/ -operation“ oder „kosmetische Chirurgie/Operation“ verwiesen.1 Dabei handelt es sich keineswegs um bloße terminologische Beliebigkeit. Die Begriffsarbeit verweist vielmehr auch auf inhaltlich potenziell unterschiedliche und folgenreiche Verwendungsweisen. So deutet der Begriff Schönheitschirurgie im Vergleich mit Ästhetischer Chirurgie bereits deutlicher und enger auf eine nicht medizinische, eben auf Schönheit bezogene Zwecksetzung hin. Man kann davon ausgehen, dass ein weiter gezogener sprachlicher Bedeutungsgehalt auch ein breiteres Spektrum einschlägiger Eingriffe umfasst, und dies insbesondere mit Blick auf Bandbreiten und Übergänge zwischen medizinisch indizierten und nicht indizierten Interventionen. ⊳ 1 2 3 Prof. Dr. Reinhard Damm ist Professor für Zivilrecht, Wirtschaftsrecht und Verfahrensrecht im Fachbereich Rechtswissenschaft sowie Direktor am Institut für Gesundheits- und Medizinrecht der Universität Bremen. Der Beitrag geht zurück auf einen Vortrag im Rahmen einer vom BMBF geförderten Klausurwoche des Centrums für Bioethik der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster zum Thema „Ästhetische Chirurgie – Medizinische, ethische, philosophische, kulturwissenschaftliche, rechtliche und soziale Aspekte“ am 21.9.2010 in Münster. Der Beitrag ist dem Kollegen und herausragenden Medizinrechtler Dieter Hart in freundschaftlicher Verbundenheit zum 70. Geburtstag gewidmet. Vgl. etwa Lorz, Arzthaftung bei Schönheitsoperationen, 2007, S. 46 ff. Lorz, S. 47, 49, mit Nachweisen. Korczak (Institut für Grundlagen- und Programmforschung): Forschungsprojekt Schönheitsoperationen: Daten, Probleme, Rechtsfragen, Gutachten im Auftrag der Bundesanstalt für Ernährung und Landwirtschaft, Abschlussbericht, 2007, S. 99 (im Folgenden zitiert: Forschungsprojekt Schönheitsoperationen). Die Begriffsvielfalt spiegelt sich auch in dem unterschiedlichen Gebrauch der Bezeichnungen durch die mit dem Gegenstand befassten Akteure und Verkehrskreise, namentlich Patienten, Ärzte und Juristen/Gerichte. So ist darauf hingewiesen worden, dass ästhetische oder ästhetisch-plastische Chirurgie insbesondere die Perspektive des Mediziners, demgegenüber kosmetische Operation die des Juristen und Schönheitsoperation die Perspektive von Patienten widerspiegele. Für Rechtsprechung und Rechtswissenschaft wird von einer vorrangigen Verwendung der Bezeichnungen „kosmetische Operation“ und zunehmend „Schönheitsoperation“ berichtet.2 Soweit Gerichte den Begriff der Operation dem der Chirurgie vorziehen, erscheint dies wegen der Einzelfallorientierung der Justiz plausibel, da es in den Konfliktfällen um konkrete medizinische Eingriffe und nicht um die Orientierung einer ganzen medizinischen Disziplin geht. Besonders interessant, ja geradezu spannend erscheint der terminologische Umgang mit diesem Handlungsfeld in der medizinischen Profession selbst. Für diese besteht naturgemäß ein besonderes Interesse auch an terminologischen Gebietsabgrenzungen. Insofern sind sowohl Interessen an einer Abgrenzung nach außen gegenüber nicht medizinischen gewerblichen Akteuren wahrnehmbar als auch professionsinterne Konflikte, um nicht zu sagen regelrechte Grabenkämpfe. Dabei geht es um Grenzziehungen, und dies namentlich im Zusammenhang mit Disziplingrenzen und Facharztbezeichnungen. Hierzu ist festgestellt worden, dass die umgangssprachlichen Begriffe „Schönheitschirurgie“ und „Schönheitschirurg“ im ärztlichen Berufsrecht nicht zu finden seien. Vorzugsweise werde hier von ästhetischer oder kosmetischer Chirurgie bzw. ästhetischen/kosmetischen Operationen gesprochen.3 Vor allen Einzelheiten ist davon auszugehen, dass je weiter die sprachliche Fassung des Handlungsfeldes ausfällt, desto eher auch die terminologische Einbeziehung „normaler“, nämlich auf Heilbehandlung gerichteter medizinischer Eingriffe möglich erscheint. Von besonderem Interesse ist die Entwicklung der Facharztbezeichnungen, insbesondere die berufsrechtliche Damm 642 GesR 12/2010 Ästhetische Chirurgie und Medizinrecht Ausdifferenzierung von chirurgischen Disziplinen. So gab es seit 1992 die Berufsbezeichnung „Facharzt für Plastische Chirurgie“, deren Änderung in die Bezeichnung „Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie“ durch Beschlüsse der 107. und 108. Ärztetage 2004 und 2005 auf den berufsrechtlichen Weg gebracht wurde.4 Dabei geht es u.a. auch um die Aufnahme dieser Änderung durch die Landesärztekammern in die Weiterbildungsordnungen, die ihrerseits von den zuständigen Länderministerien genehmigt werden müssen. Aufschlussreich sind die Auseinandersetzungen darüber, welchen Facharztdisziplinen der Zugang für den Erwerb der Zusatzqualifikation „Plastische und Ästhetische Operationen“ eröffnet werden soll. Eher unproblematisch scheint dies für Fachärzte für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie und Hals-Nasen-Ohrenheilkunde zu sein, während die Weiterbildungsordnungen als „Nadelöhr“ für Gynäkologen, Dermatologen und Augenärzte bezeichnet worden sind. „Die einzelnen Fachdisziplinen befinden sich hier im Streit“, in dem „mit harten Bandagen gekämpft“ wird.5 Nach Schätzungen werden die in Deutschland vorgenommenen Schönheitsoperationen zu einem Drittel von entsprechend ausgebildeten Fachärzten und zu zwei Dritteln von sonstigen Ärzten vorgenommen.6 Aus der einschlägigen universitären Fachwissenschaft ist darüber hinaus kritisch angemerkt worden: „Bei Weitem werden nicht alle diese Eingriffe von ausgebildeten Fachärzten für Plastische Chirurgie angeboten bzw. angepriesen. Im Internet werden ,kosmetische‘ Operationen als ,Schnäppchen‘ angeboten. Die privaten Fernsehsender haben Sendungen über ,Schönheitschirurgie‘ als Mittel zur Steigerung der Einschaltquote entdeckt, an denen willfährig echte und vermeintliche Plastische Chirurgen aktiv mitwirken. Ärzte, die oft nicht einmal Plastische Chirurgen sind, bezeichnen sich hierbei nicht selten selbst oder werden durch fragwürdige Medien als ,führende Schönheitschirurgen‘ bezeichnet.“7 II. Bereichsspezifik und Gesamtproblematik 1. Querschnittsthematik „Wunschmedizin“ Die Ästhetische Chirurgie bildet einen Ausschnitt einer breiten Querschnittsproblematik der medizinischen Entwicklung. Diese ist auf recht breiter Front durch das Fehlen oder den Verlust der medizinischen Indikation gekennzeichnet. Auf zahlreichen Einzelfeldern wird der Indikationsverlust diskutiert und teils kritisch, teils affirmativ thematisiert. In der Entgegensetzung von herkömmlicher Indikationsmedizin und einer unter dieser oder anderer Bezeichnung erscheinenden Wunschmedizin wird der zentrale Stellenwert des Kriteriums der medizinischen Indikation unterstrichen. Dieses Kriterium ist durch die Entwicklungen der modernen Medizin in zahlreichen Sektoren problematisch geworden und teilweise in Auflösung begriffen. Dies gilt bereits für Bereiche, die anders als die Schönheitschirurgie jedenfalls grundsätzlich im Einzugsbereich der traditionellen medizinischen Heilbehandlung liegen, wenngleich bereits mit Unschärfen bei der Indikationsbestimmung. Insofern sei ohne Anspruch auf Vollständigkeit auf Fortpflanzungsmedizin, pränatale und genetische Diagnostik verwiesen. In Katalogen einer sog. wunscherfüllenden Medizin stehen oft eine „wunschgesteuerte genetische Diagnostik“ und die Reproduktionsmedizin mit ihren vielfältigen medizintechnischen Optionen obenan.8 Der Elternwunsch nach einem „Wunschkind“ in der Fortpflanzungsmedi- zin und die „Wunschsektio“ in der Gynäkologie sind zu sprachlich akzentuierten Metaphern geworden. Auf deren einschlägige Problematik ist an anderer Stelle eingegangen worden.9 Wesentlich ist an dieser Stelle nur der Hinweis, dass sich die Relevanz auch des Themenfeldes „Ästhetische Chirurgie“ recht eigentlich erst aus dem angedeuteten Gesamtkontext medizinischen Handelns ohne medizinische Indikation erschließt. Erst aus dieser Perspektive wird auch die zu Recht unterstrichene „gesellschaftspolitische, rechtliche, aber auch wirtschaftliche Dimension“ dieses Medizinbereichs deutlich.10 2. Basiselemente ärztlicher Legitimation a) Trias von Indikation, Information und Standard Die medizinische Indikation stellt für die rechtliche Verfassung ärztlichen Handelns nicht eine von vielen Orientierungspunkten dar. Sie gehört vielmehr zusammen mit der informierten Einwilligung und der standardgemäßen Behandlung zur Trias der „Kernstücke ärztlicher Legitimation“ und bilden mit diesen die drei zusammenhängenden, nebeneinander erforderlichen Elemente rechtmäßigen ärztlichen Eingreifens.11 Neben die gewissermaßen selbstverständliche, auch rechtliche Verbindlichkeit des medizinischen Standards treten so nach überkommenem Verständnis Indikation und Information als normative Voraussetzungen einer medizinischen Intervention beim Patienten. In der arztrechtlichen Literatur ist zu Recht auf die Schwerpunktverlagerung hingewiesen worden, die sich hinsichtlich der drei Grundkriterien medizinischen Handelns vollzogen hat: Von diesen drei Kriterien „standen in neuerer Zeit das Einverständnis des aufgeklärten Patienten, der informed consent, und die fachliche Angemessenheit des Eingriffs, das Verfahren lege artis, durchaus im Vordergrund des juristischen Interesses. Auf diesen Feldern hat intensives Zusammenwirken von Medizinern und Juristen weithin Klarheit und Einverständnis über die Kriterien erreicht. Zuerst indes erfordert der ärztliche Eingriff eine Indikation, das heißt: Der berufliche Heilauftrag muss die vorgesehene Maßnahme umfassen und gebieten. Dieses Thema, im Grunde die Frage nach der Eigenart des ärztlichen Dienstes, hat nun angesichts der höheren Effizienz der Medizintechnik und des größeren Pluralismus der Lebensstile im Zeichen der ,Wunschmedizin‘, des ,Enhancement‘, den Vorrang gewonnen“.12 4 5 6 7 Ausführlich Forschungsprojekt Schönheitsoperationen, S. 98 ff. Forschungsprojekt Schönheitsoperationen, S. 103 f. Lorz, a.a.O., S. 128, mit weiteren Angaben. Stark, Ästhetische Chirurgie. Ethische Aspekte aus Sicht des Facharztes für Plastische Chirurgie, Zeitschrift für medizinische Ethik 2006, 103 (110 f.). 8 Nachweise bei Damm/Schulte in den Bäumen, Indikation und informed consent: Indikatoren eines Gestaltwandels von Medizin und Medizinrecht, KritV 2005, 101 Fn. 3. 9 Hierzu im Überblick Damm, Informed consent zwischen Indikations- und Wunschmedizin, in Kettner (Hrsg.), Wunscherfüllende Medizin. Ärztliche Behandlung im Dienst von Selbstverwirklichung und Lebensplanung, 2009, S. 183 ff.; Damm, Entwicklung und Entgrenzung medizinrechtlicher Grundbegriffe – am Beispiel von Indikation und Information, in Viehöver/Wehling (Hrsg.), Entgrenzung der Medizin. Von der Heilkunst zur Verbesserung des Menschen (im Erscheinen). 10 Rehborn, Rezension von Wienke/Eberbach/Kramer/Janke (Hrsg.), Die Verbesserung des Menschen. Tatsächliche und rechtliche Aspekte der wunscherfüllenden Medizin, 2009, GesR 2010, 389. 11 Laufs, Arztrecht, 5. Aufl. 1993, S. 386; Laufs in Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, 4. Aufl. 2010, § 6 Rz. 1 f.; Katzenmeier, Arzthaftung, 2002, S. 272. 12 Laufs in Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 2009, S. 17 m.w.N. GesR 12/2010 Damm 643 Ästhetische Chirurgie und Medizinrecht Dieser vielfach als Freiheitsgewinn verstandene medizinrelevante Pluralismus schlägt sich deutlich auch in der Diskussion zur Ästhetischen Chirurgie nieder. b) Indikation: objektive Kriterienbildung Auf der fachwissenschaftlichen Handlungsebene wie auf der rechtlichen Bewertungsebene kommt danach dem Begriff und Normkonzept der Indikation zentrale Bedeutung zu. Als Indikation gilt der „Grund zur Anwendung eines bestimmten diagnostischen oder therapeutischen Verfahrens in einem Krankheitsfall, der seine Anwendung hinreichend rechtfertigt“.13 Der gute „Grund“ und die „hinreichende Rechtfertigung“ einer Verfahrensanwendung werden jedenfalls nach überkommenem Verständnis grundsätzlich aus objektiv medizinwissenschaftlicher Kriterienbildung bezogen. Es ist daher in der medizinrechtlichen Literatur dezidiert formuliert worden: „Der Arzt darf von Rechts wegen keinen Eingriff vornehmen, der zwar dem Willen des Patienten oder Klienten, nicht aber der Berufsregel entspricht.“14 c) Informed consent: subjektiver Autonomiebezug Der informed consent, also die informierte Einwilligung des Patienten in die Behandlung bildet auch rechtlich eine „fundamentale Orientierungsnorm“,15 die durch Verfassungsrecht und einfaches Recht zum Leitprinzip erhoben wird. Das durch dieses Prinzip geschützte Rechtsgut ist die Selbstbestimmung des Patienten über seine leiblich-körperliche Integrität. Die historisch relativ spät einsetzende Aufwertung nicht nur von Integrität, sondern auch von Information und Autonomie in der Medizin gilt danach nicht nur für den auch aus historischen Gründen besonders sensiblen Bereich der medizinischen Forschung, sondern auch für das individuelle Arzt-Patient-Verhältnis. Es können so medizinische Interventionen ihre rechtliche Legitimation grundsätzlich nur aus der freiwilligen Zustimmung des zuvor hinreichend informierten Patienten beziehen. Rechtliche Entwicklung wie die derzeitige Rechtslage sind einigermaßen komplex und hier nicht im Einzelnen nachzuzeichnen. Es wird danach grundsätzlich einerseits die medizinische Indikationsstellung nicht der Patientenselbstbestimmung zugewiesen und andererseits die Entscheidung über die Behandlungsdurchführung nach Indikationsstellung nicht der professionellen Kompetenz des Arztes überantwortet. Dieses Verhältnis findet auch in maßgeblichen Stellungnahmen aus der juristischen Praxis seinen Ausdruck: „Einwilligung ist Gegengewicht zur medizi13 Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 261. Aufl. 2004, Stichwort „Indikation“. 14 Laufs in Laufs/Katzenmeier/Lipp, a.a.O., S. 17. 15 Anselm, Gestützte Selbstbestimmung, in Bartmann/Hübner (Hrsg.), Patientenselbstbestimmung, 2002, S. 76. 16 Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, 10. Aufl. 2006, S. 146. 17 Lorz, a.a.O., S. 90 ff.; Stock, Die Indikation in der Wunschmedizin. Ein medizinrechtlicher Beitrag zur ethischen Diskussion über „Enhancement“, 2009, S. 87 ff. (303 ff.). 18 Zur Entwicklung knapp zusammenfassend Katzenmeier, Arzthaftung, S. 277 ff. 19 Katzenmeier, a.a.O., S. 279; Hart, Ärztliche Leitlinien – Definitionen, Funktionen, rechtliche Bewertungen. Gleichzeitig ein Beitrag zum medizinischen und rechtlichen Standardbegriff, MedR 1998, 8 (9). 20 Lorz, a.a.O., S. 162 ff., 163. 21 Hierzu und zum Folgenden Lorz, a.a.O., S. 164 ff. m.N. 22 Dazu grundlegend die Beiträge in Hart (Hrsg.), Ärztliche Leitlinien im Medizin- und Gesundheitsrecht – Recht und Empirie professioneller Normbildung, 2005; interdisziplinär Damm, Wie wirkt „Nichtrecht"? Genesis und Geltung privater Regeln am Beispiel medizinischer Professionsnormen, ZfRechtssoziologie 2009, 3. nischen Autorität: medizinische Indikation und Patienteneinwilligung bilden ein Junktim der ärztlichen Behandlung. Die medizinische Entscheidung hat den Entschluss des Patienten als personalen Faktor einzubeziehen“.16 Damit ist eine grundsätzliche Differenzierung zwischen Indikations- und Entscheidungsebene bezeichnet. Auch für Wunschmedizin und Ästhetische Chirurgie wird der Grundsatz des informed consent ausführlich erörtert.17 Darauf wird hier später noch näher eingegangen. d) Medizinischer Standard Medizinisches Handeln muss dem medizinischen Standard entsprechen. Dieser bildet die dritte Grundvoraussetzung eines rechtmäßigen ärztlichen Eingriffs. Der Begriff hat in jüngerer Zeit in Medizin und Recht allmählich ältere Formulierungen wie „Stand der medizinischen Wissenschaft“ oder gar der „Regeln der ärztlichen Kunst“ abgelöst.18 Er wird zunehmend durch eine Bezugnahme auf drei Elemente konkretisiert, nämlich durch eine Kombination von wissenschaftlicher Erkenntnis, praktischer Erfahrung und professioneller Akzeptanz.19 Als normativer Maßstab entscheidet die Einhaltung oder Verfehlung des Standards darüber, ob der Arzt mit der rechtlich gebotenen Sorgfalt gehandelt hat und damit auch über die Frage eines Behandlungsfehlers. Auch für die Ästhetische Chirurgie wird der medizinische Standard erörtert. Dabei sind zwei Aspekte zu unterscheiden: Einmal kann die grundsätzliche Frage gestellt werden, ob bzw. inwieweit einschlägige Eingriffe als medizinisch nicht indizierte Maßnahmen bereits per se gegen medizinische Standards verstoßen. Zum anderen und überwiegend geht es um die Frage, ob ein Eingriff unter Einhaltung der Standards der betroffenen medizinischen Disziplin vorgenommen wird. Dies betrifft den gewissermaßen immanenten Standard der Ästhetischen Chirurgie: „Schönheitsoperationen sind demzufolge nach den Regeln der ästhetisch-plastischen Chirurgie vorzunehmen.“20 Die Verfehlung dieser Regeln stellt einen Behandlungsfehler dar und führt potenziell zum Haftungsfall. Im Übrigen geht es bei der Erörterung und Bestimmung des medizinischen Standards in zentraler Weise auch um Qualitätsmaßstäbe und Qualitätssicherung. Maßnahmen zur Sicherung des medizinischen Standards in der Ästhetischen Chirurgie werden vielfach vor dem Hintergrund erörtert, dass gerade bei Schönheitsoperationen eine häufige Unterschreitung des Standards bemängelt wird und Forderungen nach Qualitätssicherung auf mehreren Ebenen erhoben werden.21 In diesem Zusammenhang kommen auch ärztliche Leitlinien als Qualitätssicherungsinstrumente immer deutlicher auch in der Diskussion zur Ästhetischen Chirurgie zur Sprache. Leitlinien sind systematisch entwickelte Entscheidungshilfen über die angemessene ärztliche Vorgehensweise bei speziellen gesundheitlichen Problemen. Ärztliche Leitlinien sind in jüngerer Zeit zu einem regelrechten Top-Thema der medizin- und gesundheitspolitischen und auch rechtlichen Auseinandersetzung geworden.22 Sie stehen für einen weiteren Schub der Verwissenschaftlichung und Objektivierung der Medizin und sind nicht zufällig sowohl mit dem Standardbegriff als auch mit dem Konzept einer „evidenzbasierten Medizin“ verknüpft. Auch für die Ästhetische Chirurgie sind derartige Leitlinien schon wiederholt als leistungsfähige Instrumente der Qualitätsverbesserung und -sicherung empfohlen worden, dies aber regelmäßig mit dem bedauernden Zusatz, dass dieses Instrument derzeit in diesem Medizinbereich noch nicht oder kaum genutzt werde oder wenige einschlägige Damm 644 GesR 12/2010 Ästhetische Chirurgie und Medizinrecht Leitlinien von Fachgesellschaften selber noch nicht die erforderliche Qualität von Leitlinien besäßen.23 Kritische Fachwissenschaft hat unterstrichen, „dass objektive Ergebnisforschung, welche Behandlungsmethoden in der ästhetischen Chirurgie nach Regeln der evidenzbasierten Medizin (EBM) evaluierten, weitgehend fehlen“.24 3. a) Ästhetische Chirurgie und Indikation Medizinische Indikation und „ästhetische Indikation“ Das Fehlen einer medizinischen Indikation jedenfalls bei „reinen Schönheitsoperationen“ ist vielfach der Ausgangspunkt einschlägiger Diskurse. In Konfrontation mit der zentralen normativen Stellung der Indikation für ärztliches Handeln wird der Indikationsverlust für die Ästhetische Chirurgie geradezu zum Prüfstein für deren Legitimation. Zur Einstimmung könnte man in Anlehnung an die für einen anderen Medizinsektor gestellte Frage „Wann sind genetische Tests eigentlich ,indiziert‘?“25 einmal auf die hier gegebene Problematik übertragen: „Wann sind Eingriffe der Ästhetischen Chirurgie eigentlich indiziert?“ Und man könnte alsbald auch die Ästhetische Chirurgie mit der zur Pränataldiagnostik formulierten fachwissenschaftlichen Feststellung konfrontieren, „dass der klassische Indikationsbegriff, der immer das medizinisch Notwendige impliziert .., in einem Bereich nicht greifen kann, der in erster Linie einer persönlichen Abwägung unterliegt: Pränataldiagnostische Maßnahmen sind also nicht in dem gleichen Sinn indiziert wie etwa eine lebensrettende Operation“.26 Sollte, so könnte man für die Gendiagnostik wie auch für die Ästhetische Chirurgie fragen, diese „persönliche Abwägung“ bereits als solche indikationsbegründend sein oder doch nur Voraussetzung für die Vornahme eines indizierten Eingriffs? Im Übrigen ist hinsichtlich des Indikationsaspekts zu differenzieren. Denn es geht jedenfalls bei Bezugnahme auf den weiten Begriff der ÄC um ein breites Handlungsspektrum und in einem Kontinuum zwischen indiziert und nicht indiziert um übergangsreiche Anwendungsbereiche.27 Insofern geht es um die folgenreiche Abgrenzung zwischen „reinen“ Schönheitsoperationen und Heilbehandlung. In der einschlägigen Literatur sind „vier Fallgruppen medizinischer Aussehenskorrekturen“ unterschieden worden: Behebung einer physischen Funktionsbeeinträchtigung, Behebung einer entstellenden Deformität, Behebung einer psychischen Beeinträchtigung, Verschönerung bereits normaler Körperformen.28 In der Reihenfolge dieser sicher nur typisierenden Fallgruppen verläuft die absteigende Linie eines Kontinuums von Heilbehandlung in der ersten Gruppe bis zur fehlenden Heilbehandlung in der letzten Gruppe „reiner Schönheitsoperationen“.29 Die zweite und dritte Fallgruppe liegen nicht nur in dieser Abfolge dazwischen, sondern bereiten auch inhaltliche Übergangs- und Abgrenzungsprobleme. Ähnlich wie bereits bei dem Begriff des medizinischen Standards kann auch die Frage nach der Indikation in zweifacher Weise gestellt werden kann: Zum einen als grundsätzliche Frage nach Konsequenzen des traditionellen Indikationskonzepts und zum anderen mit Blick auf eine spezifische Indikation der Ästhetischen Chirurgie. Der erstgenannte Aspekt wird in der rechtlichen Literatur mit Blick auf die Extremlösung „totales Verbot aller nichtindizierten Behandlungen“ nur vorsichtig erwägend formuliert: „Von der geltenden Rechtslage ausgehend, böte eine konsequente Beachtung der Indikation eine vertretbare Lösung. Eine Behandlung ohne Indikation könnte als behandlungsfehlerhaft eingestuft werden. Mit der fehlenden Indikation verlöre die ärztliche Behandlung ein Rechtfertigungselement und wäre insoweit rechtswidrig“.30 In der Diskussion zur praktizierten Schönheitschirurgie steht zumeist der zweite Aspekt im Vordergrund. Danach kommt auch bei völligem Fehlen einer medizinischen Indikation bei „reinen“ Schönheitsoperationen dem Konzept der Indikation dennoch Bedeutung zu, wenn auch in einer spezifischen Ausrichtung. Es geht gewissermaßen um eine nicht medizinische Indikation für medizinische, aber nicht auf Heilbehandlung bezogene Maßnahmen, um eine immanente Indikation sui generis, wenn man so will um die „ästhetische Indikation“ im Bereich der Ästhetischen Chirurgie. Es wird daher auch für Schönheitsoperationen mit einiger Berechtigung nach deren „Indikation“ gefragt, hier nicht ausgerichtet am Handlungsziel Gesundheit, sondern an einer Zielvorstellung „Schönheit“. „Eine Indikation liegt vor, wenn eine ärztliche Maßnahme unter Abwägung ihres potenziellen Nutzens und ihres potenziellen Schadens voraussichtlich dem Wohl des Patienten dient. ... Eine Schönheitsoperation muss folglich geeignet sein, die bezweckte Verschönerung herbeizuführen, ohne mit unangemessenen Beeinträchtigungen und Risiken verbunden zu sein.“31 Auch insofern gibt es zu unterscheidende Einzelfragen und Grundsatzprobleme. Naturgemäß besondere Bedeutung kommt der Frage nach Kontraindikationen zu. Aus medizinischer Perspektive gibt es Kataloge von Kontraindikationen, bei deren Vorliegen nicht operiert werden sollte.32 In der rechtswissenschaftlichen Literatur gibt es Versuche einer indikationsbezogenen Kategorienbildung mit Differenzierungen zwischen „absoluten Kontraindikationen“, „relativen Kontraindikationen“ (hinsichtlich „entgegenstehender somatischer Belange“, „psychischer Belange“ sowie „ethischer oder sonstiger Gründe“) und „relativen Indikationen“ mit weiteren situationsspezifischen Unterteilungen.33 23 Forschungsprojekt Schönheitsoperationen, S. 106; Lorz, a.a.O., S. 167 ff. 24 Stark, Ästhetische Chirurgie, Zeitschrift für medizinische Ethik 2006, 103 (111). 25 Schmidtke, Vererbung und Ererbtes, 1997, S. 95. 26 Schmidtke, Richtlinien zur pränatalen Diagnostik von Krankheiten und Krankheitsdispositionen, in Winter/Fenger/Schreiber (Hrsg.), Genmedizin und Recht, 2001, S. 439 (440) (Hervorhebung nicht im Original). 27 Vgl. die Übersichten in Forschungsprojekt Schönheitsoperationen, S. 20 ff. (und wiederholt). 28 Lorz, a.a.O., S. 38 ff. 29 Zu deren Sonderbehandlung auch Rosenau, Plastische/Ästhetische Chirurgie, in Korff/Beck/Mikat (Hrsg.), Lexikon der Bioethik, 2000, S. 33 f.; vgl. auch Ach, Komplizen der Schönheit? Anmerkungen zur Debatte über die ästhetische Chirurgie, in Ach/ Pollmann (Hrsg.), no body is perfect. Baumaßnahmen am menschlichen Körper – Bioethische und ästhetische Aufrisse, 2006, S. 187 (191 f.). 30 Kern/Richter, Haftung für den Erfolgseintritt? – Die garantierte ärztliche Leistung, in Wienke/Eberbach/Kramer/Janke (Hrsg.), Die Verbesserung des Menschen. Tatsächliche und rechtliche Aspekte der wunscherfüllenden Medizin, 2009, S. 129 (142). 31 Lorz, a.a.O., S. 175. 32 Neuhann-Lorenz, SCHÖNsein. Chancen und Möglichkeiten der Schönheitschirurgie, 2006, zitiert nach Forschungsprojekt Schönheitsoperationen, S. 94. 33 Stock, a.a.O., S. 290 ff.; es ist bei diesem Autor immer sein besonderes, nämlich expansives oder entgrenztes Indikationskonzept zu berücksichtigen. GesR 12/2010 Damm 645 Ästhetische Chirurgie und Medizinrecht b) Chirurgie und Psychologie Es spielen für die Indikationsfrage auch Grundsatzprobleme eine Rolle, die nicht im engeren Sinne medizinischer, jedenfalls nicht chirurgischer Natur sind. Damit sind insbesondere psychische bzw. psychiatrische Aspekte der Indikationsstellung angesprochen. Insofern ist schon früh in der Entwicklung der modernen Plastischen Chirurgie in Deutschland auf eine „Neu-Orientierung der ärztlichen Maßstäbe“34 gedrungen worden: „Er (der Arzt) muss in der Lage sein, beurteilen zu können, was den Patienten bewegt, um mit ihm als Partner zur Entscheidung zu gelangen. Der organische Zustand allein besagt nicht das Wesentliche. Die Kooperation zwischen Chirurgie und Psychologie wird gerade in der Plastischen Chirurgie zur Notwendigkeit.“35 Dieses allgemeine Postulat gewinnt in der Praxis besonderes Gewicht mit Blick auf die Motive von Operationswilligen. Von fachwissenschaftlicher Seite ist die „Identifikation von Patienten mit psychopathologischer Motivation“ als die „größte Herausforderung in der ästhetischen Chirurgie“ bezeichnet worden.36 Als wichtiger Sonderfall wird häufig das psychische Erkrankungsbild der Körperdysmorphobie erörtert, bei dem die „Indiziertheit besonderes Augenmerk verlangt“.37 Bei diesem Krankheitsbild, auch als Körperbildstörung bezeichnet, handelt es sich um ein stark beeinträchtigtes Selbstwertgefühl und Minderwertigkeitserleben, das auf den eigenen Körper verschoben wird. Es entsteht ein starker Leidensdruck wegen einer tatsächlich nicht vorhandenen, aber subjektiv empfundenen Entstellung. Über die Häufigkeit von Körperbildstörungen in der Bevölkerung gibt es keine verlässlichen Angaben, die Zahlen schwanken zwischen 1 und 2 % der Bevölkerung und 6 und 15 % der Personen, die eine „Schönheitsoperation“ wünschen. Eine empirische Untersuchung ist im Rahmen einer Patientenstichprobe zu dem Ergebnis gekommen, dass sich für erstaunliche 17 % dieser Stichprobe der Verdacht auf eine Körperdysmorphobie erhärtet habe.38 Es liegt auf der Hand, dass die damit angesprochenen Probleme auch rechtliche Fragen aufwerfen, so die nach der Haftung für Behandlungsfehler. Körperdysmorphobien gelten in der Regel als Ausschlusskriterium für eine ästhetische Operation, da dieses Krankheitsbild durch einen Wiederholungszwang gekennzeichnet ist und ein solcher Eingriff im Verdacht einer Verstärkung der Störung steht. „Indiziert sind in diesem Fall vielmehr nur eine Psychotherapie oder eine medikamentöse Behandlung, nicht eine Schönheitsoperation. Letztere stellt bereits als solche einen Behandlungsfehler dar“, allerdings wird diese Feststellung alsbald durch die zweifelhafte Einschränkung relativiert, „sofern der Patient nicht in 34 Forschungsprojekt Schönheitsoperationen, S. 93. 35 Schmidt-Tintemann, Zur Lage der Plastischen Chirurgie, 1972, S. 8. 36 Stark, Ästhetische Chirurgie, Zeitschrift für medizinische Ethik 2006, 103 (109). 37 Lorz, a.a.O., S. 175. 38 Forschungsprojekt Schönheitsoperationen, S. 95. 39 Lorz, a.a.O., S. 176, 135. 40 Stock, Die Indikation in der Wunschmedizin, 2009; Stock, Ist die Verbesserung des Menschen missbräuchlich?, in Wienke/Eberbach/ Kramer/Janke (Hrsg.), a.a.O., 2009, S. 145 ff. 41 Stock, Die Indikation in der Wunschmedizin, 2009, S. 302. 42 Stock, Ist die Verbesserung des Menschen missbräuchlich?, a.a.O., S. 160 f. 43 Eberbach, Buchbesprechung von Stock, Die Indikation in der Wunschmedizin, 2009, MedR 2010, 367. Kenntnis der fehlenden Indikation ausnahmsweise trotzdem wirksam eingewilligt hat“.39 Die Einwilligung als solche kann nach der hier vertretenen Auffassung die Indikation nicht ersetzen. Dieser Aspekt steht in Zusammenhang mit der im Folgenden noch erörterten Umformung des Indikationskonzepts. c) Entgrenzung des Indikationsbegriffs Bezeichnenderweise werden in jüngster Zeit Versuche unternommen, die Schönheitschirurgie dadurch vom Makel der „Indikationslosigkeit“ zu befreien, dass man einen expansiven Indikationsbegriff propagiert, der durch ihm bislang nicht zugeordnete Elemente angereichert wird.40 Dieses Indikationskonzept ist, die Schönheitschirurgie einbeziehend, für die „Wunschmedizin“ allgemein vorgestellt worden. Es werden für die Bedeutung des Klientenwunsches in der Wunschmedizin gerade für das Indikationskonzept Übereinstimmungen postuliert: „Der Kinderwunsch (in der assistierten Reproduktion) ist ebenso wie der Wille nach Verbesserung des ästhetischen Erscheinungsbildes grundsätzlich zu akzeptieren und in die Indikation einzubeziehen.“41 Das „Akzeptieren“ des sicher zentralen Klientenwunsches und dessen „Einbeziehung“ in die Indikation beziehen sich aber sowohl mit Blick auf fachwissenschaftlich medizinisches Handeln als auch auf die darauf bezogene normative Kriterienbildung auf unterschiedliche Probleme und Normzwecke. Es erscheint daher diese unterschiedslose Einbeziehung des Klientenwunsches, aber auch weiterer Gesichtspunkte in den Indikationsbegriff problematisch und jedenfalls prüfungsbedürftig: „Wo es – wie bei wunscherfüllenden Maßnahmen – an einem medizinischen Anlass fehlt, ist die Indikation umso umfassender zu stellen. Die Indikationsstellung ist der Abwägungs- und Entscheidungsprozess aufseiten des Arztes zur Frage, ob und wie er die Maßnahme durchführt. Darin ist der Klientenwunsch zu integrieren, er ersetzt jedoch nicht die Professionalität und Fachlichkeit der ärztlichen Entscheidung. ... Für die Wunschmedizin gilt ein ähnlicher Indikationskatalog wie für die traditionelle Medizin: Es sind zunächst absolute und relative Kontraindikationen festzustellen, die die Maßnahme ausschließen oder einschränken. Eine wunschmedizinische Maßnahme ist stets nur relativ indiziert. Das heißt: Da kein medizinischer Anlass zum Tätigwerden besteht, kann sich der Arzt frei dazu entscheiden, ob er generell oder im Einzelfall eine solche Maßnahme durchführt oder ablehnt. Die Option, nichts zu tun, ist immer eine gewichtige Alternative ... Das hier vorgeschlagene Indikationsmodell löst diesen Konflikt nur zum Teil, indem es die medizinischen Gesichtspunkte einschließlich der psychischen in den Vordergrund stellt und auch nichtmedizinische Aspekte in den Indikationskatalog aufnimmt.“42 Zu Recht ist die Frage aufgeworfen worden, welcher zusätzliche Gewinn mit diesem Ansatz eines derart weiten Indikationskonzepts verbunden sein sollte. „Nach diesem Modell wird zwar vermieden, ärztliches Handeln bei der Wunschmedizin als ,nicht indiziert‘ einzustufen. Das erforderliche Umschwenken vom (aus Diagnose, Prognose und Therapiemöglichkeiten sich ergebenden) Befund – der Notwendigkeit ärztlichen Handelns – zum Indikations-Prozess droht indessen den Begriff nahezu gänzlich zu verflachen.“43 Es erscheint wohl angemessener, insofern statt von einer Verflachung von einer Kategorienverfehlung zu sprechen, durch die objektiv fachwissenschaftliche und subjektiv lebensweltliche Aspekte gleichermaßen zu Teilelementen des Indikationskonzepts gemacht werden. Nur um Missverständnissen vorzubeugen sei betont, dass diese kritischen Be- Damm 646 GesR 12/2010 Ästhetische Chirurgie und Medizinrecht merkungen selbstverständlich nicht auf eine Ausgrenzung der angesprochenen objektivierbaren psychologischen und psychopathologischen Aspekte aus der Erstellung der „ästhetischen Indikation“ abzielen.44 d) Entgrenzung des Gesundheitsbegriffs Eine mit dem Indikationskonzept nicht identische, aber doch eng verknüpfte Problematik soll hier nur kurz angesprochen werden. Sie spielt auch in der Diskussion zur Ästhetischen Chirurgie eine Rolle. Dies betrifft die kaum noch überschaubare interdisziplinäre Diskussion zu den Begriffen Gesundheit und Krankheit. Die hierzu in Medizin und Recht angestellten Definitionsversuche sind hier nicht auszubreiten.45 Es soll nur ein Aspekt hervorgehoben werden, der die unterschiedlichen Interessen schon an der Begriffsbildung beleuchtet. Er betrifft die im Bereich des Medizinrechts abweichenden Bewertungen des berühmten und nachgerade berüchtigten Gesundheitsbegriffs der Weltgesundheitsorganisation, der nicht zufällig auch im Kontext der Schönheitschirurgie thematisiert wird. Danach gilt Gesundheit als ein Zustand vollkommenen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens, nicht lediglich das Freisein von Krankheit oder Gebrechen.46 Nicht nur nach medizinrechtlicher Einschätzung heißt es kritisch zu dieser Formel: Sie „weckt unerfüllbare Ansprüche“47 und umschreibt „Gesundheit als erstrebenswerten – wenngleich kaum erreichbaren – Idealzustand“.48 Andererseits wird die WHO-Formel gerade mit Blick auf die Schönheitschirurgie positiv hervorgehoben: Danach „unterfällt eine Schönheitsoperation zwar nicht dem allgemein verwendeten engen, sehr wohl aber dem von der WHO geprägten weiten Gesundheitsbegriff als Zustand vollkommenen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens. Gesundheit und Schönheit sind wegen ihres übergeordneten Ziels, der Lebensqualität als tertium comparationis, vergleichbar und austauschbar. Somit ist nicht nur die Gesundheit, sondern auch die Schönheit grundsätzlich ein legitimer Zweck ärztlichen Handelns.“ Dieser Argumentation geht es um eine Legitimation der Schönheitschirurgie, wonach zwar „Gesundheit als primärer Zweck“ gilt, aber darüber hinaus „Schönheit als komplementärer Zweck“ ärztlichen Handelns anzusehen ist.49 Dass sich die Vertreter der Ästhetischen Chirurgie selbst auf den Gesundheitsbegriff der WHO berufen, überrascht nicht.50 Eine normative Begründung für eine auch rechtliche Geltung dieses Gesundheitsbegriffs im deutschen Medizin- und Gesundheitsrecht ist damit allerdings noch nicht hergeleitet. III. Systembezüge und Steuerungsebenen 1. Perspektiven des Medizin- und Gesundheitsrechts Es gibt wohl kaum ein großes Rechtsgebiet, von dem die Ästhetische Chirurgie nicht berührt wäre. Entsprechendes gilt für die großen Orientierungslinien des Medizinund Gesundheitsrechts, von denen hier nur einige hervorgehoben werden sollen. a) Rechtsgüterschutz und Autonomie Auch für die Ästhetische Chirurgie ist die auf Rechtsgüterschutz und Selbstbestimmung gerichtete normative Funktion des Rechts, namentlich des Medizin- und Patientenprivatrechts, von zentraler Bedeutung. Der Schutz von Leben und Gesundheit und von Selbstbestimmung und Autonomie des Patienten sind die Orientierungs- punkte, die spiegelbildlich auch die Rechtsstellung des Arztes bestimmen. Im Arzt-Patient-Verhältnis zielt dies einerseits auf Schutz vor Behandlungsfehlern und ggf. auf Haftung und Schadensersatz bei Schädigung durch fehlerhafte Behandlung (Behandlungsebene). Und es zielt andererseits auf Schutz vor eigenmächtiger oder informationell nicht hinreichend begleiteter Behandlung und unter Umständen Haftung und Schadensersatz bei ärztlichem Eingriff ohne (ausreichende) Aufklärung (Selbstbestimmungsebene). Allerdings zielt ein Eingriff der reinen Schönheitschirurgie nicht auf Heilbehandlung und damit auf Herstellung oder Besserung von Gesundheit, sondern auf die Herstellung einer ästhetischen Zielgröße. Ungeachtet dessen gilt aber auch für den ästhetischen operativen Eingriff, dass Leben, Gesundheit und Selbstbestimmung des Behandelten der auch rechtlichen Obhuts- und Sorgfaltspflicht des „Schönheitschirurgen“ anvertraut sind. b) Komplikationen und Konfliktbezug Die juristische Perspektive ist auch im Bereich der Ästhetischen Chirurgie naturgemäß in erheblichem Maße durch den Bezug auf rechtlich ausgetragene Konflikte geprägt. Im medizinischen Bereich resultieren rechtliche Auseinandersetzungen in der Regel aus tatsächlichen oder vermeintlichen Komplikationen und Schäden bei Patienten. Dies gilt auch für die Klienten der Ästhetischen Chirurgie. Risikoszenarien und ausgetragene Konflikte unterstreichen, dass die Verläufe und Resultate von Schönheitsoperationen nicht immer so „schön“ sind, wie es Anbieter dieser medizinischen Dienstleistungen mitunter in Aussicht stellen. Komplikationen und Schadensfälle sind zwar statistisch nicht zuverlässig aufbereitet, aber deutlich belegt. Es liegt jedenfalls genug empirisches Material vor, um die Aussage zu rechtfertigen, dass die mit Schönheitsoperationen verbundenen Risiken nicht unerheblich sind. Sie reichen vom Narkoserisiko über mögliche Komplikationen beim Eingriff selbst bis hin zu unerwünschten Nebenwirkungen und entstellenden Ergebnissen nach fehlerhaftem ärztlichem Eingriff.51 Einzeluntersuchungen präsentieren Art und Anzahl von Komplikationen. Eine empirische Untersuchung enthält vor diesem Hintergrund den Appell: „Bei der Erfassung von Folgewirkungen und Komplikationsraten zeigte sich, dass ein systematisches Monitoring dieser Ereignisse dringend geboten ist, um zur Qualitätsverbesserung bei ästhetischen Operationen beitragen zu können“.52 44 Dazu die fachwissenschaftliche Akzentuierung bei Stark, Zeitschrift für medizinische Ethik 2006, 103 (109). 45 Vgl. etwa mit Nachweisen Laufs in Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 6. Aufl. 2009, S. 11 Fn. 42; Lorz, a.a.O., S. 34 ff. 46 „Health is a state of complete physical, mental and social wellbeing and not merely the absence of disease or infirmity“, Nachweise bei Lorz, a.a.O., S. 35 Fn. 47. 47 Laufs in Laufs/Katzenmeier/Lipp, a.a.O., S. 11 Fn. 42. 48 Nachweise bei Lorz, a.a.O., S. 35 Fn. 48. 49 Lorz, a.a.O., S. 171 ff., 174. 50 Bruck, Ästhetische Chirurgie, ZaeFQ 2006, 647 (649): „Initiative zum und Verlangen nach der Behandlung von Seiten des Patienten sind die Grundlagen für eine verantwortungsvolle Ästhetische Chirurgie oder Medizin, die eine Heilbehandlung – wenn auch im weitesten Sinne – zur Prophylaxe oder Wiederherstellung von Wohlbefinden im Sinne der WHO definiert.“ 51 Ach, Komplizen der Schönheit?, a.a.O., S. 191. 52 Forschungsprojekt Schönheitsoperationen, S. 72 ff., 74; vgl. auch Lorz, a.a.O., S. 170 ff. GesR 12/2010 Damm 647 Ästhetische Chirurgie und Medizinrecht c) Vertrag und Haftung Die klassischen rechtlichen Institute Vertrag und Haftung sind auch für die rechtliche Verfassung der Ästhetischen Chirurgie von zentraler Bedeutung. Der Arzt ist dem Patienten regelmäßig auf der Grundlage eines Behandlungsvertrages zur ärztlichen Dienstleistung verpflichtet, wobei der Arzt einen Behandlungserfolg regelmäßig nicht garantieren kann und will, aber die Einhaltung medizinischer Standards zu gewährleisten hat. Dies ist der Grund dafür, dass mit Blick auf das Formenarsenal des Bürgerlichen Gesetzbuchs regelmäßig von einem Dienstvertrag, nicht aber von einem auf das Bewirken eines Erfolgs gerichteten Werkvertrags ausgegangen wird. Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass dies für das Vertragsrecht der Ästhetischen Chirurgie nunmehr bezeichnenderweise und mit erheblichen rechtlichen Folgen in Zweifel gezogen wird.53 Es geht danach um die Frage „Haftung für den Erfolgseintritt?“.54 Traditionelles kuratives ärztliches Handeln wird nahezu durchgängig dem Dienstvertragsrecht (§§ 611 ff. BGB) zugeordnet, wonach der Arzt nur sein ärztliches standardgemäßes Bemühen schuldet. Demgegenüber wird neuerdings in der Literatur, wenn auch bislang erst vereinzelt, der Typus des Dienstvertrages für die Eigenarten einer wunschmedizinischen ärztlichen Behandlung als nicht mehr angemessen angesehen und stattdessen auf das Werkvertragsrecht (§§ 631 ff. BGB) verwiesen.55 Es sei „gerade in der Wunschmedizin die Qualifizierung als Dienstvertrag nicht selbstverständlich“.56 Es werden nach dieser Auffassung die Eigenarten der Wunschmedizin vom Typus des Werkvertrags mit seiner Ausrichtung am geschuldeten Erfolg besser erfasst. „Grundsätzlich besteht kein Anlass, dem Arzt den ,Marktzugang‘ zum besseren Verdienst zu erleichtern. Für eine Haftungsprivilegierung besteht kein Grund. Es gilt der Grundsatz: Wo Schicksal waltet, bedeutet Bemühen schon viel – wo Wille herrscht, zählt nur der Erfolg. Auf Maßnahmen der wunscherfüllenden Medizin ist daher grundsätzlich das Werkvertragsrecht der §§ 631 ff. BGB anzuwenden.“57 Allerdings gilt nach 53 Eberbach, Möglichkeiten und rechtliche Beurteilung der Verbesserung des Menschen – Ein Überblick, in: Wienke/Eberbach/Kramer/ Janke (Hrsg.), a.a.O., S. 1 (25 ff.); Eberbach, Enhancement – oder die Grenzen des Dienstvertragsrechts bei der wunscherfüllenden Medizin, in FS für Günter Hirsch, 2008, S. 365 ff.; Eberbach, Die Verbesserung des Menschen, MedR 2008, 325 (334 f.); Kern/ Richter, a.a.O., S. 129 ff. 54 Kern/Richter, a.a.O., S. 129. 55 Eberbach, Möglichkeiten und rechtliche Beurteilung der Verbesserung des Menschen, a.a.O., S. 26. 56 Stock, a.a.O., S. 327. 57 Eberbach, Möglichkeiten und rechtliche Beurteilung der Verbesserung des Menschen, a.a.O., S. 27. 58 Ausführliche Nachweise bei Lorz, a.a.O., S. 68 ff.; ungeachtet der Anerkennung gewichtiger Gegenargumente auch weiterhin für Dienstvertragsrecht Stock, Die Indikation in der Wunschmedizin, S. 326 f. 59 Vgl. den Entwurf und weitere Nachweise bei Lorz, a.a.O., S. 155 ff. 60 Lorz, a.a.O., S. 163. 61 Diese unterschiedlichen Regelungsebenen werden auch von medizinethischer Seite deutlich herausgestellt, etwa bei Wiesing, Die ästhetische Chirurgie. Eine Skizze der ethischen Probleme, Zeitschrift für medizinische Ethik 2006, 139. 62 Hierzu und zum Folgenden Höfling, Salus aut/et voluntas aegroti suprema lex – Verfassungsrechtliche Grenzen des Selbstbestimmungsrechts, in Wienke/Eberbach/Kramer/Janke (Hrsg.), a.a.O., S. 119 (121). 63 Vgl. etwa BVerfG, Beschl. v. 25.7.1979 – 2 BvR 878/74, BVerfGE 52, 171; Beschl. v. 22.9.1993 – 2 BvR 1732/93, BVerfGE 89, 120. 64 Höfling, a.a.O., S. 122 ff. wie vor, dass hinsichtlich der vertraglichen Qualifikation die Rechtsprechung ganz überwiegend von einem Dienstvertrag ausgeht, während die Auffassungen in der Literatur gespalten sind.58 Dass die betroffene Ärzteschaft ein Interesse an einer Typisierung als Dienstvertrag hat, liegt auf der Hand. Dem entspricht, dass in Entwürfen von Aufklärungsformularen ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass „trotz sorgfaltsgerechter Behandlung der ästhetische Erfolg der Operation nicht garantiert werden kann“.59 Dies entspricht auch einer verbreiteten Literaturmeinung, wonach „allein das Ausbleiben des vereinbarten Erfolgs noch keinen Behandlungsfehler (begründet)“ und diese Risikoverteilung „mit der Einordnung des Vertrags über eine Schönheitsoperation als Dienstvertrag (korrespondiert)“.60 2. Zulässigkeits- oder Zugangsebene a) Selbstbestimmung und Regulierung Auch für die Ästhetische Chirurgie kommen, wie in anderen Medizinbereichen, unterschiedliche rechtliche Steuerungsebenen in Betracht. So geht es zunächst um die Unterscheidung der Frage nach der (ethischen und rechtlichen) Zulässigkeit einerseits und der nach der (wirtschaftlichen und leistungsrechtlichen) Teilhabe an medizinischen Handlungsoptionen andererseits.61 Sodann geht es um die Normbildung auf der Behandlungsebene einerseits und auf der informationellen Ebene andererseits. Auf der Zulässigkeitsebene geht es um Zugangsrechte und Zugangsgrenzen. Verfügbarkeit und Akzeptierbarkeit medizinischer Optionen können auseinanderfallen. So gibt es medizintechnisch verfügbare, aber normativ problematische oder gar verbotene Maßnahmen. Insofern sei beispielhaft auf die international unterschiedliche und umstrittene Rechtslage zu Präimplantationsdiagnostik, Leihmutterschaft und Eizellenspende hingewiesen. Es kann also zu Konflikten zwischen expandierenden medizinischen Optionen und restriktiver rechtlicher Regulierung kommen. Auch für die Ästhetische Chirurgie werden rechtliche Regelungsbedarfe auf der Zulässigkeitsebene jedenfalls diskutiert. Der Ausgangspunkt liegt, dies ist nicht überraschend, bei den Selbstbestimmungsrechten des Individuums, wie sie durch gesellschaftliche Modernisierungsund Liberalisierungsprozesse und verfassungsrechtliche Entwicklung ausgebildet worden sind. Das Grundrecht der freien Selbstbestimmung findet eine wichtige Ausprägung im Selbstbestimmungsrecht des Patienten.62 Das grundrechtliche Fundament ist vom BVerfG 63 entwickelt und durch die Rechtsprechung insbesondere des BGH in einer regelrechten Flut von Entscheidungen umgesetzt worden. Dass es hierbei ganz überwiegend um Patienten der Heilmedizin und nicht um Klienten der Wunschmedizin ging, liegt auf der Hand. Aber ungeachtet dieser Einschränkung gilt auch mit Blick auf die wunscherfüllende Medizin allgemein und speziell die Schönheitschirurgie, dass staatliche Beschränkungen der grundrechtlich gewährleisteten Selbstbestimmung der Rechtfertigung bedürfen. Wo aber könnten solche Beschränkungslinien für die Wunschmedizin und Ästhetische Chirurgie auch nur angedacht werden? Die verfassungsrechtlichen Strukturen sind komplex und hier nicht im Einzelnen nachzuzeichnen. Als „Legitimationskategorien“, die eine Begrenzung grundrechtlicher Freiheit grundsätzlich rechtfertigen können, werden Rechtsgüter Dritter und kollidierende Gemeinwohlinteressen auch für die wunscherfüllende Medizin diskutiert.64 Dies gilt sowohl für rechtliche als auch bioethische Argumentationslinien. Im 648 Damm GesR 12/2010 Ästhetische Chirurgie und Medizinrecht bioethischen Kontext sind, allerdings mit Blick auf eine „grundlegende Verbesserung des Menschen“ durch dessen biotechnische Neuerfindung, für eine Frage eines Verbotes durch einschlägige Interventionen drei Gründe zur Diskussion gestellt worden: „die Schädigung der Interessen anderer; ein Verstoß gegen die Würde des Menschen; eine Schädigung öffentlicher oder gemeinschaftlicher Güter“.65 Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist der Schutz der Rechte anderer für Grundrechtsbegrenzungen schon immer von zentraler Bedeutung. Dies kommt in zahlreichen Grundrechtsgewährleistungen zum Ausdruck, prototypisch in Art. 2 Abs. 1 GG. „Im Problemkontext der wunscherfüllenden Medizin ist diese Grundrechtsbegrenzungskategorie (in ihrer unmittelbaren Anwendungsvariante) indes nur von begrenzter Bedeutung,“ dies allerdings unter dem Vorbehalt der Gleichheitsproblematik.“66 Dem Gleichheitsaspekt wird auch in der bioethischen Diskussion der Wunschmedizin ein bemerkenswertes Gewicht beigemessen.67 Von erheblichem Interesse ist die schwierige Frage, ob die Interessen der Nachfrager nach wunschmedizinischen Leistungen gleichsam gegen diese Grundrechtssubjekte selbst als „begrenzungslegitimierender Topos“ in Betracht gezogen werden können. Am Anfang steht jedenfalls die Feststellung: „Der erzwungene ,Schutz‘ eines Grundrechtsträgers vor seiner autonomen Entscheidung alleine vermag indes eine Begrenzung seines Grundrechts kaum zu rechtfertigen.“ Allerdings werden einschlägige Individualinteressen auch unter dem Aspekt mittelbarer Gemeinwohlinteressen ins Spiel gebracht. „In der Rechtsprechung des BVerfG spielen insbesondere solche Gemeinwohlbelange eine wichtige Rolle, die mehr oder weniger deutlich auf Individualinteressen gerichtet sind. Gemeinwohlbelange wie der ,Verbraucherschutz‘ oder der ,Gesundheitsschutz‘ sind dafür Beispiele.“68 Beide Stichworte sind auch im Bereich von Ästhetischer Chirurgie und speziell Schönheitsoperationen von Bedeutung. Soweit es in diesem Zusammenhang um Grundrechtsgefährdungen vonseiten Privater geht, spielen grundrechtsbezogene Schutzpflichten eine wichtige Rolle. b) Situative und prozedurale Begrenzungen Grundsätzlich unproblematischer liegen die Dinge dort, wo es um regulierende Begrenzungen geht, die auf die Sicherung selbstbestimmter Entscheidungen zielen, sei es personenspezifisch oder situationsspezifisch. Personenbezogen betrifft dies Kinder, Jugendliche und in der Einsichtsfähigkeit beschränkte Erwachsene. Für diesen Bereich werden Grundrechtsbegrenzungen im Grundsatz als weitgehend unproblematisch angesehen.69 In diesem Zusammenhang ergibt sich die Relevanz für den Bereich von Ästhetischer Chirurgie und speziell Schönheitsoperationen bereits aus dem besonders problematischen hohen Anteil junger Menschen als Verbraucher auf dem Schönheitsmarkt. Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie ist etwa ein Viertel aller Schönheitspatientinnen 15 bis 25 Jahre alt. Aus empirischen Erhebungen resultieren die Bedenken ggü. der hohen Anzahl von Brustvergrößerungen mit 3 bis 4 % unter 20 Jahren und 35 bis 42 % zwischen 20 und 29 Jahren. „Dies muss Anlass zum Nachdenken geben. In Anbetracht des empfohlenen Implantatwechsels nach 10–15 Jahren ist bei diesen Frauen die Gefahr einer ,Operationskarriere‘ sehr hoch.“70 Situationsbezogen kennt die Rechtsordnung auch bei voll geschäftsfähigen Personen unterschiedliche Formen des Schutzes vor riskanten und möglicherweise nicht hinreichend überlegten Rechtsgeschäften. Hierzu gehören etwa Formvorschriften und Rücktrittsrechte. Hierbei handelt es sich um prinzipiell legitime Begrenzungen des Selbstbestimmungsrechts durch einen „weichen, prozeduralen Paternalismus“.71 Entsprechend werden bestimmte prozedurale Regelungen als grundsätzlich zulässig angesehen oder doch in Betracht gezogen, die auch mit Blick auf die Ästhetische Chirurgie relevant werden können. Hervorzuheben sind insofern etwa spezifische Aufklärungspflichten; für gravierende und potenziell irreversible Eingriffe bestimmte Altersgrenzen; weiterhin Professionsvorbehalte als Beschränkung bestimmter Interventionen auf spezifisch ausgewiesene Berufe; schließlich wird für schwerwiegende Eingriffe auf die Möglichkeit einer vormundschaftsgerichtlichen Kontrolle der Entscheidungen von Eltern hingewiesen.72 Soweit schließlich regulierende Beschränkungen wunscherfüllender Medizin auf der Leistungsebene zur Debatte stehen, ist auf den folgenden Abschnitt zu verweisen. 3. Teilhabe- oder Leistungsebene a) Wunschmedizin und Solidargemeinschaft Auf der Ebene der Teilhabe an verfügbaren Optionen geht es um die Reichweite und Grenzen von Leistungsrechten aus Versicherungen, also um die Inanspruchnahme der Solidargemeinschaft. Für die Ästhetische Chirurgie und insbesondere Schönheitsoperationen stellen sich auf dieser Ebene zahlreiche Probleme, die hier nur angedeutet werden können. Die grundsätzliche Frage lautet, welche Gesundheitsleistungen solidarisch finanziert werden sollen. Die hier einschlägigen Probleme resultieren gewissermaßen definitionsgemäß aus dem Kriterium der gegebenen oder fehlenden medizinischen Indikation. Insofern kann die Ästhetische Chirurgie, wie bereits betont, nicht generalisierend über einen Leisten geschlagen werden. Vielmehr besteht offenbar Differenzierungsbedarf entsprechend der rechtlichen Ausgangsbasis, dass die (gesetzlichen) Krankenkassen für kosmetische Operationen nur im Rahmen der Behandlung einer Krankheit im sozialversicherungsrechtlichen Sinn aufkommen. Das Bundessozialgericht hat entschieden, dass dies der Fall ist, wenn das Aussehen einer Person durch einen behandlungsbedürftigen regelwidrigen Körperzustand entstellt ist oder wesentliche Funktionseinschränkungen gegeben sind. Danach gilt: „Krankheit im Sinne des Krankenversicherungsrechts ist ein behandlungsbedürftiger regelwidriger Körper- oder Geisteszustand. Wenn dadurch keine Körperfunktionen, sondern nur das Aussehen des Menschen beeinträchtigt wird, muss eine entstellende Wirkung vorliegen, um als Krankheit eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen auslösen zu können. Ein regelwidriger Körperzustand ohne entstellende Wirkung und ohne wesentliche Funktionseinschränkung ist auch dann nicht als Krankheit zu werten, wenn er eine psychische Belastung darstellt, die ihrerseits zu einer behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankung geführt hat. Eingriffe am gesunden Körper betreffen selbst dann nicht das von der Krankenversiche65 Siep, Die biotechnische Neuerfindung des Menschen, in: Ach/ Pollmann (Hrsg.), a.a.O., S. 21 (35). 66 Höfling, a.a.O., S. 122. 67 Siep, a.a.O., S. 30 (32, 35, 36, 39, 40). 68 Alle Zitate bei Höfling, a.a.O., S. 126, 124. 69 Höfling, a.a.O., S. 125. 70 Forschungsprojekt Schönheitsoperationen, S. 59 (91). 71 Höfling, a.a.O., S. 125. 72 Vgl. insgesamt Höfling, a.a.O., S. 126. GesR 12/2010 Damm 649 Ästhetische Chirurgie und Medizinrecht rung abzudeckende Krankheitsrisiko, wenn in unmittelbarer Folge positive Auswirkungen auf den Seelenzustand zu erwarten sind.“ 73 Vor diesem Hintergrund besteht offensichtlich ein erheblicher Abgrenzungs- und Entscheidungsbedarf zu der Frage, welche Eingriffe auf Kosten der gesetzlichen Krankenkassen im Einzelfall übernommen werden.74 In Einzelfällen kann es auch zu Kombinationen von Kassenleistung und Eigenleistung kommen, so etwa bei einer Formveränderung der Nase im Rahmen einer Korrektur der Nasenscheidewand.75 Insgesamt zeigt sich, dass es Übergänge zwischen dem Vorliegen und Fehlen einer medizinischen Indikation gibt, die die vielfach etwas pauschal behandelte Frage nach der Erstattungsfähigkeit der Schönheitsoperationen als zu unterkomplex erscheinen lässt. Nicht zufällig gibt es vonseiten der Plastischen Chirurgie den Hinweis auf „Patienten, die die Erstattung grenzwertiger plastischer Korrekturen von ihrer gesetzlichen Krankenversicherung erstritten haben“.76 b) Folgeschäden und gesetzliche Begrenzungsversuche Ein besonders gravierendes Problem auf der Leistungsebene ist der Ästhetischen Chirurgie jüngst durch die sozialrechtliche Gesetzgebung „beschert“ worden, und zwar in Gestalt der neuen §§ 52 Abs. 2, 294a SGB V.77 Der 2007 eingeführte § 52 Abs. 2 SGB V lautet in seiner 2008 schon wieder geänderten Fassung nunmehr: „Ha73 Bundessozialgericht, Pressemitteilung Nr. 57/04 vom 20.10.2004. 74 Als Beispiele für erstattungsfähige Eingriffe werden genannt: Anlegen abstehender Ohren, Korrektur einer überschießenden Narbenbildung nach einer Gesichtsverletzung, Resektion einer massiven Bauchhautfalte und Bauchdeckenstraffung nach extremer Gewichtsabnahme, Brustkorrekturen bei starker Asymmetrie oder Fehlanlage der Brust, Brustaufbau nach einer Tumoroperation, Brustverkleinerungen bei extremer Brustgröße mit gesundheitlichen Folgeproblemen, Entfernung verhärteter Silikonimplantate mit anschließender Brustkorrektur ohne Einsetzen neuer Implantate, Lidkorrekturen bei Einschränkung des Gesichtsfeldes um mindestens 25 Prozent; vgl. Forschungsprojekt Schönheitsoperationen, S. 62 f. 75 Forschungsprojekt Schönheitsoperationen, S. 63. 76 Stark, Ästhetische Chirurgie, Zeitschrift für medizinische Ethik 2006, 103 (112). 77 Dazu Teichner/Schröder, Medizinisch nicht indizierte, ästhetische Eingriffe und das GKV-WSG: aktuelle Rechtsfragen und Folgen für die Praxis, MedR 2009, 586. 78 Es ist mit Blick auf die in der Literatur berichteten Zahlen darauf hingewiesen worden, dass es sich dabei nicht um eine rein vorsorgliche, praktisch noch nicht relevante Regelung handelt. „Danach kommt es z.B. beim Piercing in 10 bis 30 % aller Fälle zu Komplikationen wie Blutungen und Entzündungen, in seltenen Fällen aber auch etwa zu Hepatitis-Infektionen. Ferner kam es in den Jahren zwischen 1998 und 2002 bei knapp 200.000 Fettabsaugungen zu 67 lebensbedrohlichen Infektionen, Lungenembolien und durchstochenen Organen sowie zu 19 Todesfällen“, Eberbach, Möglichkeiten und rechtliche Beurteilung der Verbesserung des Menschen, a.a.O., S. 21. 79 Teichner/Schröder, MedR 2009, 586 (588, 589). 80 Dazu jüngst etwa Huster, Eigenverantwortung im Gesundheitsrecht, Ethik Med 2010, 289. 81 Huster, Gesundheitsgerechtigkeit: Public Health im Sozialstaat, JZ 2008, 859 (865 Fn. 55); Huster, Ethik Med 2010, 289. 82 Eberbach, Möglichkeiten und rechtliche Beurteilung der Verbesserung des Menschen, a.a.O., S. 22. 83 Eberbach, a.a.O., S. 22. 84 Huster, JZ 2008, 859 (865 Fn. 55); Wienke, Eigenverantwortung der Patienten/Kunden. Wohin führt der Rechtsgedanke des § 52 Abs. 2 SGB V?, in Wienke/Eberbach/Kramer/Janke (Hrsg.), a.a.O., S. 169 (177). Auch aus medizinethischer Sicht sind die Probleme der Folgekosten auf der Ebene von Selbstverantwortung einerseits und Gleichbehandlung andererseits herausgestellt worden, Wiesing, Die ästhetische Chirurgie, Zeitschrift für medizinische Ethik, 2006, 139 (150). ben sich Versicherte eine Krankheit durch eine medizinisch nicht indizierte ästhetische Operation, eine Tätowierung oder ein Piercing zugezogen, hat die Krankenkasse die Versicherten in angemessener Höhe an den Kosten zu beteiligen und das Krankengeld für die Dauer dieser Behandlung ganz oder teilweise zu versagen oder zurückzufordern.“78 Diese Regelung wird durch Mitteilungspflichten von Ärzten und Krankenhäusern nach § 294a Abs. 2 SGB V ergänzt. Die neue Regelung führt dazu, dass Patienten bei der Durchführung dieser medizinisch nicht notwendigen Eingriffe das Risiko eingehen, dass sie für den Fall behandlungsbedürftiger, unter Umständen schwerer Komplikationen von ihrer Krankenkasse an den damit verbundenen Behandlungskosten beteiligt werden. Es ist die Vermutung geäußert worden, dass sich wahrscheinlich viele Ärzte, die im Bereich der Schönheitschirurgie tätig sind, über die möglichen Folgen dieser Regelung noch nicht im Klaren seien und ihre Patienten demzufolge auch nicht in der gebotenen Weise aufklären. Der neue § 294a Abs. 2 SGB V hat zur Folge, dass diese Norm nunmehr zulasten des rechtlich geschützten Patientengeheimnisses die straflose Informationsübermittlung ermöglicht. Die Auswirkungen auf die Praxis sind abzuwarten. Teilweise wird ein „gravierender Vertrauensverlust und eine nicht unerhebliche Belastung für das Arzt-/PatientVerhältnis“ erwartet.79 Diese Neuregelungen sind rechtlich und namentlich verfassungsrechtlich alsbald intensiv diskutiert und auch heftig kritisiert worden. Sie stehen thematisch unübersehbar in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der sehr grundsätzlichen und ebenfalls aktuellen Problematik von Eigenverantwortung im Gesundheitswesen.80 Die Regelungen sind als „erste völlig verunglückte gesetzgeberische Vorstöße“ bezeichnet worden, „die dem Grundsatz der Selbstverantwortung in der öffentlichen Gesundheitsversorgung ein größeres Gewicht beimessen wollen“.81 Es entbehrt nicht einer gewissen gesetzgeberischen Ironie, dass der Gesetzgeber rasch auf einschlägige Kritik reagiert hatte, dies aber auf eine Weise, die die Kritik nur noch verschärft hat. Es hatte nämlich in der ursprünglichen Gesetzesfassung bei der Aufzählung der drei genannten Maßnahmen ästhetische Operation, Tätowierung und Piercing noch die Formulierung gestanden „medizinisch nicht indizierte Maßnahmen wie z.B. eine ästhetische Operation etc.“. Durch die „Öffnungsklausel“ erschien es möglich, dass in der versicherungsrechtlichen Praxis und Rechtsprechung weitere nicht indizierte Maßnahmen einbezogen werden konnten wie beispielsweise Folgeprobleme des Durchstechens der Ohrläppchen zum Tragen von Schmuck. Der Gesetzgeber, „anscheinend selbst erschrocken“, hat nach nur einem Jahr in einer „Turbo-Gesetzgebung“82 die Formulierung „Maßnahmen wie zum Beispiel“ wieder gestrichen, sodass nunmehr nur noch enumerativ und exklusiv ästhetische Operationen, Tätowierungen und Piercings vom Wortlaut des Gesetzes erfasst werden. Damit hat es der Gesetzgeber nach Auffassung seiner Kritiker aber nur noch schlimmer gemacht. Spätestens jetzt kommt nämlich der Gleichheitssatz des Grundgesetzes als notorischer normativer Unruhestifter ins Spiel und es wird auf die zahlreichen anderen medizinisch nicht indizierten Maßnahmen wie etwa Doping, Muskelwachstum fördernde Pharmaka oder Lifestyle-Enhancement verwiesen.83 In teilweise scharfer Form ist die Verfassungsmäßigkeit der Regelung in Zweifel gezogen worden.84 Damm 650 GesR 12/2010 Ästhetische Chirurgie und Medizinrecht Allerdings ist alsbald hinzuzufügen, dass sich diese kritischen Stimmen wohl kaum gegen die Geltendmachung von Selbstverantwortung in der öffentlichen Gesundheitsversorgung schlechthin wenden, sondern im Kern zunächst darauf hinweisen, welchen Schwierigkeiten eine Umsetzung dieses Grundsatzes begegnet. Mit anderen Worten: Mit der Kritik an diesem gesetzgeberischen „Versuch“ ist die Problembearbeitung nicht zu Ende, sondern steht erst an ihrem Anfang. Der Regelungskontext des § 52 II SGB V rückt jedenfalls eine wichtige Unterscheidung ins Blickfeld, nämlich die zwischen der Finanzierung des wunschmedizinischen ästhetischen Eingriffs selbst und der Kostentragung für hierdurch verursachte Folgeerkrankungen. Es spricht wohl einiges dafür, dass die Verweigerung einer Beteiligung der versicherungsrechtlichen Solidargemeinschaft an den Folgekosten schwerer zu begründen ist als die eher selbstverständliche Eigenverantwortung für die Kosten des wunscherfüllenden Eingriffs selbst. In der aktuellen Diskussion ist zur Unterscheidung von prospektiver und retrospektiver Verantwortung jüngst formuliert worden: „Die Zuschreibung einer retrospektiven Verantwortung für eine eingetretene Erkrankung – z.B. in Form der Kostenbeteiligung – ist umso problematischer, je weniger plausibel wir das entsprechende gesundheitsgefährdende Verhalten auf den Willen des Einzelnen gründen können und je stärker wir es auf soziale Faktoren zurückführen müssen.“85 Den Eigenwillen des „Schönheitspatienten“ jenseits von sozialer Überformung und Manipulation einmal unterstellt käme nach dieser gradualisierenden Formel eine Kostenbeteiligung nach dem Muster des § 52 II SGB V grundsätzlich in Betracht. Es bleibt die Gleichheitsproblematik. 4. Behandlungsebene Die Arbeit der Gerichte beginnt, wenn eine Patientin/ Kundin ggü. dem behandelnden Arzt den Vorwurf eines rechtlich relevanten und Schaden stiftenden Fehlverhaltens erhebt. Wie auch sonst im Arzthaftungsrecht kommen auch für die Ästhetische Chirurgie zwei Haftungsebenen in Betracht: Defizite auf der Behandlungsebene einerseits (Behandlungsfehler) und solche auf der informationellen Ebene andererseits (Aufklärungsfehler). Auf der Behandlungsebene sind für Schönheitsoperationen vier Fehlerkategorien unterschieden worden: Originäre Fehlerhaftigkeit des Eingriffs, fehlerhafte Methodenwahl, fehlerhafte Durchführung des Eingriffs und postoperative Fehler.86 Hinsichtlich der originären Fehlerhaftigkeit von vornherein geht es (noch einmal) um den Aspekt des fehlenden Heilauftrags und sodann um die in diesem Beitrag als „ästhetische Indikation“ sui generis bezeichnete Problematik. Im Rahmen dieses letztgenannten Gesichtspunkts spielen nicht zuletzt Kontraindikationen eine Rolle, so bei körperdysmorphen Störungen und bei Minderjährigen.87 Der Aspekt der fehlerhaften Methodenwahl verknüpft die bekannte allgemeine Problematik ärztlichen Handelns bei medizinischen Behandlungsalternativen88 mit methodenspezifischen Alternativen der Schönheitschirurgie (etwa hinsichtlich der Beschaffenheit von Füllmaterialien und Implantationsmethoden bei Brustvergrößerungen). Insofern wirken auch öffentlich-rechtliche Normen in das zivile Haftungsrecht hinein (Medizinproduktegesetz).89 Fehler bei der Durchführung der Operation können wie auch sonst in vielen Varianten sorgfaltswidrigen ärztlichen Handelns auftreten. Es kommen also auch in der Ästhetischen Chirurgie eine unzureichende Desinfektion, das Zurücklassen von Fremdkörpern im Operationsraum, eine fehlerhafte Schnittführung oder vermeidbare deformierende Operationsergebnisse in Betracht.90 Bei den postoperativen Fehlern geht es bei Schönheitsoperationen nicht zuletzt um die wichtige postoperative Sicherungsaufklärung.91 5. Informationelle Ebene a) Informed consent: Selbstbestimmungsaufklärung aa) Exzeptionalität oder Normalität der Aufklärung in der Ästhetischen Chirurgie? Als zweiter rechtlicher Anknüpfungspunkt für einen Fehlervorwurf kommt bekanntlich eine Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht in Betracht. Im Bereich der Ästhetischen Chirurgie sind ärztliche Aufklärungspflichten nicht nur ebenfalls relevant, sondern aus bestimmten Gründen sogar besonders bedeutsam und teilweise umstritten. Dies ist der betroffenen Ärzteschaft durchaus bewusst. Grundsatzprobleme und Einzelfragen sind zu unterscheiden. Hinsichtlich der grundsätzlichen Aspekte geht es insbesondere um die Kriterien zur Bestimmung des umstrittenen Umfangs der Aufklärungspflicht. Dies betrifft eine auch in der Heilmedizin nicht leicht zu beantwortende Frage. Als Richtschnur wird formuliert, „dass der Patient Wesen, Bedeutung und Tragweite der Behandlung erfassen und das Für und Wider in den Grundzügen so verstehen können muss, dass ihm eine verständige Abwägung und damit Ausübung seines Selbstbestimmungsrechts überhaupt möglich ist“.92 Für Schönheitsoperationen ist insbesondere eine zweite Leitorientierung bedeutsam und problematisch. Danach wird seit Langem von einer reziproken Formel des umgekehrten Verhältnisses zwischen Dringlichkeit der Behandlung und Intensität der Aufklärungspflicht ausgegangen.93 Es verwundert nicht, dass diese reziproke Formel seit Langem die Grundlage für besonders hohe Ansprüche an die Aufklärung vor reinen Schönheitsoperationen ist: „So unterliegen nicht zwingend indizierte Eingriffe mit zweifelhaften Heilungsaussichten, nicht unmittelbar Heilzwecken dienende diagnostische Eingriffe, therapeutische oder wissenschaftliche Versuche oder etwa kosmetische Operationen in steigender Linie genaueren Aufklärungsanforderungen als medizinisch zwingende Eingriffe zur Abwehr einer erheblichen Gesundheitsgefahr.“94 Dies hat zu der in Rechtsprechung und Literatur häufig gebrauchten Formulierung geführt, wonach im Falle von medizinisch nicht indizierten Maßnahmen eine „besonders schonungslose Aufklärung“ erforderlich sei.95 Be85 Huster, Ethik Med 2010, 289 (298); aus medizinethischer Sicht zu gesundheitsbezogener prospektiver und retrospektiver Verantwortung auch Marckmann, Präventionsmaßnahmen im Spannungsfeld zwischen individueller Autonomie und allgemeinem Wohl, Ethik Med 2010, 207 (215 ff.). 86 Lorz, S. 170–189. 87 Lorz, a.a.O., S. 170 ff.; ausführlich zu Indikationsfehlern als Haftungsgrund auch Stock, a.a.O., S. 344 ff., 377 ff. 88 Dazu ausführlich Damm, Medizintechnik und Arzthaftungsrecht. Behandlungsfehler und Aufklärungspflicht bei medizintechnischen Behandlungsalternativen, NJW 1989, 737. 89 Lorz, a.a.O., S. 177 ff. 90 Lorz, a.a.O., S. 184 ff.; OLG Düsseldorf, Urt. v. 5.5.1988 – 8 U 130/86, VersR 1988, 1296; OLG Düsseldorf, Urt. v. 20.3.2003 – 8 U 18/02, GesR 2003, 236 = NJW-RR 2003, 1331 (1332); LG Bielefeld, Urt. v. 25.2.1975 – 4 O 218/73, NJW 1976, 1156. 91 Lorz, a.a.O., S. 186 ff. 92 Katzenmeier in Laufs/Katzenmeier/Lipp, a.a.O., S. 109. 93 Laufs, Arztrecht, S. 105. 94 Katzenmeier, Arzthaftung, S. 328. 95 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 6. Aufl. 2008, S. 186 f. GesR 12/2010 Damm 651 Ästhetische Chirurgie und Medizinrecht merkenswerterweise ist auch von fachwissenschaftlicher Seite eine „offene und schonungslose Information“ des Patienten gefordert worden.96 Auch in anderen Rechtsordnungen gelten für Schönheitsoperationen strengere Maßstäbe.97 Allerdings erscheint der Begriff der „Schonungslosigkeit“ im Verhältnis zwischen Arzt und Patient/ Klient wenig angemessen, wohl aber das grundsätzlich reziproke Verhältnis zwischen dem Dringlichkeitsgrad der Behandlung/Indikation und der Intensität der Aufklärungspflicht.98 Dieser seit Langem eingeführte Grundsatz wird in jüngster Zeit für und zugunsten von Schönheitsoperationen infrage gestellt. Dabei geht es gewissermaßen um eine „Normalisierung“ ärztlicher Aufklärungspflichten im Kontext von Ästhetischer Chirurgie und speziell Schönheitsoperationen und damit auch in diesem Zusammenhang um eine Angleichung des Legitimationsstatus von Wunschmedizin und kurativer Medizin. Insbesondere mit Hinweis auf das Selbstbestimmungsrecht der Patienten/Klienten wird geltend gemacht: „Der Arzt schuldet daher bei Schönheitsoperationen keine detaillierte Aufklärung über alle Chancen und Risiken in schonungsloser Offenheit und Härte. Erst recht schuldet der Arzt keine Totalaufklärung“. Stattdessen schulde der Arzt dem Patienten eine „Aufklärung, die ihn zu einer selbstbestimmten Entscheidung befähigt“. Es wird ein „Prinzip der patientenbezogenen Aufklärung“ postuliert, für das das individuelle Informationsbedürfnis und Informationsverständnis des einzelnen Patienten maßgeblich sein soll.99 Dies ist jedenfalls hinsichtlich dieser terminologischen Fassung zwar kaum angreifbar, allerdings ist damit noch keineswegs über die Tragweite der „reziproken Formel“ entschieden. Und ob diese Leitlinie die Aufklärungspflichten des Arztes im konkreten Fall mindert, lässt sich abstrakt kaum abschätzen. Denn es stellt dieses Konzept den Arzt zunächst einmal vor die „Schwierigkeit und den Aufwand, das individuelle Informationsbedürfnis des Patienten zu ermitteln“. Und da dem Patienten oftmals die notwendigen Kenntnisse zur Ausübung seines Selbstbestimmungsrechts fehlen, wird von einer Fragepflicht des Arztes, nicht aber von einer Frageobliegenheit des Patienten ausgegangen. Und der Umfang der Aufklärung bemisst sich nicht nach dem Informationsbedürfnis eines „verständigen Patienten“, sondern nach dem des „individuellen Patienten“.100 bb) Empirie des Informationsverhaltens in der Ästhetischen Chirurgie Hinsichtlich des tatsächlichen Aufklärungsverhaltens in der Ästhetischen Chirurgie sei zur Illustration nur auf einige wenige Aspekte hingewiesen. Gewissermaßen als Kehrseite der schon erwähnten Aufklärungsformulare 96 Stark, Ästhetische Chirurgie, Zeitschrift für medizinische Ethik 2006, 103. 97 Vgl. Lorz, a.a.O., S. 99. 98 Vgl. auch Stock, a.a.O., S. 305 ff. 99 Lorz, a.a.O., S. 101, 252. 100 Alle Zitate bei Lorz, a.a.O., S. 104. 101 Lorz, a.a.O., S. 155 ff. 102 Forschungsprojekt Schönheitsoperationen, S. 83, mit Nachweisen. Auf das Problem der rechtlichen Relevanz dieser Kommunikationshilfen kann hier nur hingewiesen, aber nicht weiter eingegangen werden. 103 Alle Zitate, diese und weitere Angaben in Forschungsprojekt Schönheitsoperationen, S. 83 ff. 104 Forschungsprojekt Schönheitsoperationen, S. 84. 105 Forschungsprojekt Schönheitsoperationen, S. 109. 106 Forschungsprojekt Schönheitsoperationen, S. 113. für Ärzte101 gibt es Frageformulare für Patienten als „Checklisten“, von der Deutschen Gesellschaft für Ästhetisch-plastische Chirurgie auch die Empfehlung eines Fragenkatalogs „10 wichtige Fragen an Ihren Plastischen Chirurgen“.102 In der Praxis der Aufklärungs- und Beratungsgespräche stehen nach einschlägigen empirischen Untersuchungen „technische Fragen“ im Mittelpunkt (Operationsmethoden, Dauer und Verlauf der Operation, Nachsorge, zu erwartende Narbenbildung; Zahlenangaben zwischen 82 % und 70 %). Demgegenüber wird hervorgehoben: „Die individuellen Beweggründe der Patienten/innen zur Durchführung einer Operation sind ebenfalls häufiger Gesprächsgegenstand (68 %), wobei dies andererseits für beachtliche 32 % der Ärzte und Patienten/innen offensichtlich kein erörterungswürdiges Thema ist. Auch die Erfolgswahrscheinlichkeit der Operation (64 %) sowie die eigenen Erwartungen hinsichtlich des Operationsergebnisses (64 %) werden nur von knapp zwei Dritteln der Patienten thematisiert.“ Von den verschiedenen Eingriffsarten wird festgestellt, dass Patientinnen mit Brustvergrößerungen insgesamt den größten Themenkatalog in den Gesprächen mit den Operateuren abarbeiten. Haftungsfragen im Falle von Problemen sind nur, aber immerhin bei 24 % der Befragten Thema des Beratungsgespräches gewesen.103 cc) Information und Heilmittelwerberecht Schließlich sei auf einen Einzelaspekt hingewiesen, der auf den ersten Blick marginal erscheint, aber doch von rechtlicher Bedeutung ist: „Offensichtlich ist die Präsentation von Vorher-Nachher-Beispielen (57 %) für jeden zweiten Operateur die gängige Praxis. Dieses Ergebnis ist im Zusammenhang mit der Änderung der Heilmittelwerberichtlinien vor allem für zukünftige Patientenbefragungen von großem Interesse.“104 Dieser Hinweis ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass sich der Anwendungsbereich des Heilmittelwerbegesetzes auch auf die Werbung für „operative plastisch-chirurgische Eingriffe“ erstreckt, „soweit sich die Werbeaussage auf die Veränderung des menschlichen Körpers ohne medizinische Notwendigkeit bezieht“ (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 HWG). Das Gesetz verbietet nach einer im April 2006 in Kraft getretenen Änderung nunmehr „außerhalb der Fachkreise“ die „Werbung mit der bildlichen Darstellung der Wirkung einer Behandlung durch vergleichende Darstellung des Körperzustandes oder des Aussehens vor oder nach der Anwendung“ (§ 11 Abs. 1 Nr. 5b HWG). Allerdings gibt es Hinweise darauf, dass verbotene Vorher-Nachher-Fotos von Patient(inn)en zwar in der Regel nicht mehr präsentiert werden, aber dass es eine Reihe von Umgehungsstrategien gibt. „So wird beispielsweise interessierten Besuchern der Webseiten von ästhetisch tätigen Operateuren ein Link zu ausländischen Webseiten angeboten, auf denen dann Vorher-NachherVergleiche eingesehen werden können. Des Weiteren wird offeriert, sich als potenzieller Kunde registrieren zu lassen, um dann in einem geschützten Bereich Einsicht in Vorher-Nachher-Vergleiche zu bekommen. In vielen Fällen wird auch auf den Webseiten (darauf) hingewiesen, dass beim Beratungsgespräch Vorher-Nachher-Vergleiche präsentiert werden können.“105 Angesichts solcher Umgehungsversuche wird es deshalb für ratsam gehalten, die Einhaltung des HWG stärker zu kontrollieren.106 All dies belegt ebenfalls den für diesen Medizinsektor besonders ausgeprägten wirtschaftlichen Aspekt des Marktbezugs und der informationellen Marktrepräsentanz sowie die Schwierigkeiten, die Geltung rechtlicher Regulierungsnormen auch in der Praxis sicherzustellen. Damm 652 GesR 12/2010 Ästhetische Chirurgie und Medizinrecht b) Sicherungsaufklärung Nur am Rande sei auf die Aufklärungsvariante therapeutische oder Sicherungsaufklärung hingewiesen. Sie dient nicht dem Schutz des Selbstbestimmungsrechts des Patienten, sondern ausschließlich dem Wohl des Patienten durch Sicherstellung des Behandlungserfolgs. Dies betrifft etwa ärztliche Hinweise und Ratschläge zwecks Mitwirkung des Patienten am Heilungsprozess („compliance“) durch angepasste Lebensweise oder Einnahme der verordneten Medikamente. Die Sicherungsaufklärung ist konstitutiver Bestandteil der ärztlichen Behandlung und ihre unzulängliche Durchführung ein Behandlungsfehler. Auch für die Ästhetische Chirurgie, namentlich Schönheitsoperationen, werden spezifische Anforderungen an die Sicherungsaufklärung erörtert. Dies gilt etwa für die postoperative Sicherungsaufklärung und deren Konkretisierung für Brustvergrößerungen.107 Transplantationsmedizin (insbesondere bei der Lebendspende) und die genetische Diagnostik an anderer Stelle herausgearbeitet worden, worauf hier nur verwiesen werden kann.111 Danach ist davon auszugehen, dass in diesen Medizinsektoren nicht nur Eindeutigkeitsverluste der Indikation festzustellen sind, sondern unmittelbar hierauf reagierend ein Bedeutungszuwachs der informationellen Dimension unübersehbar ist. Nur ein Beispiel unter anderen ist die fachwissenschaftliche Aussage, dass sich etwa im Bereich der Sektio ein „weiter Bogen von zwingenden medizinischen Indikationen bis zu mehr oder weniger ausschließlichem Patientenwunsch“ spannt. Soweit es um Konstellationen des „Fehlens jeglicher medizinischer Notwendigkeit“ geht, wird kompensatorisch und „zwangsläufig eine besonders aufwendige Aufklärung“ für erforderlich gehalten.112 Entsprechende, wenn auch nicht völlig gleiche Problemlagen lassen sich für andere Felder der modernen Medizin feststellen. c) Wirtschaftliche Aufklärung Ebenfalls nur knapp sei auf die sog. wirtschaftliche Aufklärung hingewiesen. In der jüngeren Zeit hat die Rechtsprechung zunehmend auch Pflichten von Ärzten zu Hinweisen auf die wirtschaftlichen Folgen einer Behandlung betont, insbesondere in Situationen, in denen die Kostenübernahme durch die Krankenversicherung nicht gegeben oder nicht gesichert ist.108 Es liegt auf der Hand, dass diesem Gesichtspunkt wegen der grundsätzlich vom Patienten/Kunden zu übernehmenden Behandlungskosten im Bereich reiner Schönheitsoperationen besondere Bedeutung zukommt. Sie werden daher für diesen Bereich zu Recht auch eingehend behandelt.109 Als einschlägige Aufklärungsthemen kommen eben diese fehlende Kostenübernahme und die eigene Honorarzahlungspflicht des Patienten in Betracht, aber auch Grenzsituationen, in denen wegen möglicherweise auch gesundheitsfördernder Teilaspekte des Eingriffs eine Kostenübernahme gerade prüfungsbedürftig ist. Weiter geht es um Aufklärung über etwaige kostengünstigere Behandlungsalternativen, außerdem über die Kosten erforderlich werdender Folge- und Nachbehandlungen. Deren Erforderlichkeit kann aus ästhetischen oder gesundheitlichen Gründen resultieren. Dem können sowohl standardgemäße als auch sorgfaltswidrige Erstbehandlungen vorausgegangen sein. Zu berücksichtigen sind in diesem Zusammenhang schließlich auch die bereits angesprochenen sozialrechtlichen Neuregelungen zu Folgebehandlungen.110 In diesen Zusammenhang kann auch das bereits angesprochene Konzept einer Entgrenzung des Indikationsbegriffs im Kontext von Schönheitsoperationen gestellt werden.113 Allerdings verfährt dieses Konzept auf der begrifflichen Ebene insofern anders, als es nicht je isoliert die medizinische Indikation abwertet und die Information aufwertet. Vielmehr wird der aufgewertete Informationsaspekt in das Indikationskonzept selbst integriert. Auch unabhängig von der begrifflichen Konturierung und d.h. unabhängig von der Frage, an welchem konzeptionellen Ort Indikation und Information rechtlich bearbeitet werden, spricht viel dafür, die hier als „ästhetische Indikation“ bezeichnete Indikation einer strengen Fach- und Rechtskontrolle zu unterziehen. Und es sollte für die Information entgegen anders ausgerichteten Versuchen an den strengen Grundsätzen der Rechtsprechung zum Umfang der Aufklärung im Bereich „reiner Schönheitsoperationen“ festgehalten werden. Eine „Normalisierung“ im Sinne einer Absenkung der Aufklärungsanforderungen entsprechend einem Postulat der Gleichstellung der Wunschmedizin mit der auf Heilung zielenden Indikationsmedizin ist eher skeptisch zu beurteilen. Sie widerspräche nicht nur der erwähnten „reziproken Formel“ zum Verhältnis von Behandlungsdringlichkeit und Aufklärungsumfang, sondern liefe damit auch eher auf eine gleichheitswidrige Privilegierung als auf eine diskriminierende Ungleichbehandlung der Ästhetischen Chirurgie hinaus. V. Ausblicke 1. Bindungskraft oder weiterer Bindungsverlust des Indikationskonzepts? Die Ästhetische Chirurgie weist mit Blick auf das normative Verhältnis von Indikation und Information Gemeinsamkeiten mit anderen Bereichen der sog. Wunschmedizin auf. Damit ist insbesondere der Umstand angesprochen, dass beide Leitprinzipien nicht in einem unverbundenen Nebeneinander stehen, sondern Indikation und Information als Verbundprojekt erscheinen. Dies ist einerseits mit der gradualisierenden reziproken Formel zum Verhältnis von Dringlichkeit der Behandlung und Umfang der Aufklärungspflicht bereits angesprochen worden. Zu ergänzen ist aber für die moderne Medizin eine weitere spezifische Wechselbezüglichkeit von Indikation und Information, die für bestimmte Medizinbereiche schon als solche prägend ist. Dies ist etwa für die Fortpflanzungsmedizin, Sektio auf Wunsch, Für die medizinrechtliche Normbildung sollte gegenüber einer gewissermaßen naturwüchsigen Medizinentwicklung darauf beharrt werden, dass aus der Summe von angebotsorientierter technischer Machbarkeit und nachfrageorientierter Wünschbarkeit als solche weder Legitimität noch Legalität einer medizinischen Handlungsmöglichkeit resultiert. Es spricht viel dafür, einem weiteren 107 Lorz, a.a.O., S. 186 ff. 108 Überblick mit Rechtsprechungshinweisen bei Katzenmeier in Laufs/ Katzenmeier/Lipp, a.a.O., S. 107 f. 109 Zum Folgenden Lorz, a.a.O., S. 190 ff. 110 Zu den §§ 52 Abs. 2, 294a SGB V ausführlicher oben unter III, 3b. 111 Damm, Informed consent zwischen Indikations- und Wunschmedizin, in Kettner (Hrsg.), Wunscherfüllende Medizin, 2009, S. 183 ff.; Damm, Entwicklung und Entgrenzung medizinrechtlicher Grundbegriffe – am Beispiel von Indikation und Information, in Viehöfer/Wehling (Hrsg.), Entgrenzung der Medizin: Von der Heilkunst zur Verbesserung des Menschen? (im Erscheinen). 112 Husslein/Langer, Elektive Sektio vs. vaginale Geburt – ein Paradigmenwechsel in der Geburtshilfe?, Der Gynäkologe 2000, 849 (850). 113 Vgl. oben unter II, 3c. Damm GesR 12/2010 653 Ästhetische Chirurgie und Medizinrecht Abdriften der Medizin in eine indikationslose Dienstleistungsveranstaltung entgegenzuwirken. Der traditionelle Heilauftrag sollte als paradigmatische Leitgröße entschieden im Zentrum gehalten werden. Daraus folgt, dass auch weiterhin nicht die Grundregeln der Indikationsmedizin, sondern Ausweitungstendenzen der Wunschmedizin rechtfertigungsbedürftig sein sollten. 2. Autonomiefunktion oder Kompensationsfunktion des Informationskonzepts? Was das Informationskonzept betrifft, so sollte dieses grundsätzlich auch weiterhin seine besonders akzentuierte Bedeutung behalten. Es ist aber zukünftig noch mehr als bereits heute die Prüfung erforderlich, ob es sich dabei um einen an der Selbstbestimmung des Patienten orientierten Normzweck als Autonomiekonzept oder um die Kompensation für ein preisgegebenes Indikationskonzept handelt. Es wäre dann an die Stelle der in der jüngsten Medizingeschichte zu Recht besonders aufgewerteten Patientenautonomie zunehmend „ein inhaltlicher Hinterfragung nicht mehr zugänglicher Wille des Patienten“ getreten.114 Es gehört danach zu den Grundsatzfragen, ob Indikationsverluste durch Informationsgewinne kompensiert werden können. Auf einschlägigen Handlungsfeldern verliert das überkommene medizinische Indikationskonzept tendenziell seine Leitbildfunktion und das Informationskonzept erfährt einen weiteren Aufschwung. Insofern wird ein Umstand mitunter nicht mit der angemessenen Deutlichkeit wahrgenommen: Dem Siegeszug von Information, Aufklärung und Beratung in der modernen Medizin liegt einerseits sicher auch der normative Aufschwung des Autonomieprinzips zugrunde, aber andererseits und mit zunehmendem Gewicht der objektive Entwicklungsprozess der Medizin. Die Ursachen für diesen Gestaltwandel der Medizin sind sicher vielfältig, im Zentrum stehen aber die erweiterten Handlungsmöglichkeiten der Medizin und damit korrespondierend eine Ausweitung der Zielsetzungen ärztlichen Handelns. Die Folgen dieser Entwicklung sind weitreichend, aber bislang fachwissenschaftlich, interdiszipliär und normativ noch weitgehend ungeklärt. Sie betreffen in zentraler Weise die Bestimmung von Handlungszielen, Professionalität und Verantwortung auf ärztlicher Seite und Selbstbestimmung und Verantwortung auf Patientenseite. Die damit verbundenen Fragen kann die Medizin nicht alleine beantworten, da es sich insofern weitgehend nicht um fachspezifische medizinwissenschaftliche Fragen handelt, sondern um Fragen der normativen Gestaltung von zwar medizinbezogenen, aber nicht originär medizinischen Entscheidungen. Dies wird von der Reichweite eines 114 So zu Recht Eberbach, MedR 2008, 325 (326). 115 Herrmann, Schönheitsideal und medizinische Körpermanipulation. Invasive Selbstgestaltung als Ausdruck autonomer Entscheidung oder „sozialer Unterwerfung“?, Ethik Med 2006, 71 (75, 78). 116 Alle Zitate in Forschungsprojekt Schönheitsoperationen, S. 21f. Aus einer kritischen fachwissenschaftlichen Perspektive ist betont worden: „Selbst wenn man berücksichtigt, dass die ästhetische Chirurgie medizinhistorisch keine reine Modeerscheinung der letzten Jahre ist, ... ist doch festzustellen, dass in den letzten Jahren, parallel zu einer verstärkten sozialen Mobilität und Macht der visuellen Medien, der äußere Druck auch angestiegen ist“, Stark, Ästhetische Chirurgie, Zeitschrift für medizinische Ethik 2006, 103 (109). 117 Zitat in Forschungsprojekt Schönheitsoperationen, S. 88 (Hervorhebungen im Original). 118 Forschungsprojekt Schönheitsoperationen, S. 88. 119 Nach Forschungsprojekt Schönheitsoperationen, S. 88. fachlichen Professionsvorbehalts nicht umfasst. Selbstverständlich ist mit dem damit angesprochenen Vorrang normativer einschließlich rechtlicher Gestaltung auf der Geltungsebene keine Unzuständigkeit der Professionen auf der Normbildungsebene verbunden. 3. Selbstbestimmung oder Märkte und Medien plus Sozialkontrolle? Selbstbestimmung bildet einen zentralen Basiswert freiheitlicher Gesellschaften und ihrer Verfassungskultur. Auch in der Diskussion zur Ästhetischen Chirurgie wird nicht zufällig die freie individuelle Entscheidung des Patienten/Klienten vielfach in den Mittelpunkt gerückt, allerdings auch auf problematische Realitätsgrenzen von Autonomie hingewiesen. In der Tat scheint es auch in diesem Zusammenhang angemessen, möglicherweise defizitäre und eher anspruchslose Selbstbestimmungs- und Freiwilligkeitskonzepte in Betracht zu ziehen. Damit wird eine verkürzte Perspektive von Autonomie angesprochen, die Systembezüge und Rahmenbedingungen individueller Selbstbestimmung aus dem Blick zu verlieren droht. Dies begünstigt im Medizinrecht tendenziell ein „rein subjektivistisches Autonomieverständnis, das sich im Wesentlichen in der Forderung der informierten Zustimmung der Patienten oder Klienten erschöpft“.115 Es bleibt dabei der Umstand unterbewertet, dass gerade in dem hier interessierenden Bereich individuelle Entscheidungen in einem Umfeld getroffen werden, das durch wirkungskräftige mediale Überformungen und Marktinteressen geprägt ist. Dass es sich bei dem „Markt für ästhetische Eingriffe“ um einen Markt handelt, der „nach Marktgesetzen organisiert ist“, ist wiederholt hervorgehoben worden.116 Dazu gehört im Bereich der Ästhetischen Chirurgie auch die enge Kooperation mit Herstellern medizinischer Produkte, die sich auch im Werbeverhalten dieser Hersteller widerspiegelt. Aussagekräftig ist insofern das Zitat aus einer an Chirurgen gerichteten Broschüre eines Implantatherstellers: Dieser Hersteller „kennt den Markt für Brustchirurgie sehr genau und weiß, wie schwierig es heute für Plastische Chirurgen ist, ihre Praxis auszubauen und neue Patientinnen zu gewinnen“ und er unterstützt den Arzt dabei, „mehr Patientinnen, die auf der Suche nach ärztlicher Beratung sind, zu gewinnen, mehr Beratungsgespräche in Operationen umzuwandeln und die Wirtschaftlichkeit Ihrer Praxis zu steigern“.117 Derartige Aussagen lassen hinsichtlich einer interessegeleiteten Marktorientierung an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Neben der „Medizinprodukteindustrie“ hat sich eine „spezifische Informationsindustrie“ etabliert, bei deren Aktivitäten „kaum zu unterscheiden (ist), ob Nachrichten aus der ästhetischen Chirurgie reale Entwicklungen widerspiegeln oder neue Trends generieren sollen ... Die Konzentrationsprozesse unter den Anbietern ästhetischer Chirurgie zeigen, dass offenbar der Verdrängungswettbewerb härter und die Medienpräsenz wichtiger wird“.118 In einem „medführer Plastische und Ästhetische Chirurgie“ hat der Herausgeber diesen Prozess so beschrieben: „Der Konkurrenzkampf bei Kliniken wird notwendigerweise härter, führt somit zum Verdrängungswettbewerb und fordert u.a. professionelle Kommunikationswege bei der Erschließung neuer Ressourcen und nicht zuletzt eine stärkere Präsenz am Markt ... Aus diesem Grund müssen hier freie, marktübliche Kommunikationswege eingeschlagen werden.“119 Im Übrigen ist im Umgang mit marktbezogenen Angaben zur Ästheti- 654 Siegfried GesR 12/2010 Obduktionspflicht bei Kindern schen Chirurgie offensichtlich auch aus anderen Gründen Vorsicht geboten. So wird auf der Grundlage empirischer Untersuchungen folgende Einschätzung formuliert: „Nach unseren Daten scheint der ausgerufene Trend zu mehr ,Schönheitsoperationen‘ eher den Charakter einer medialen Suggestion und Inszenierung eines Massenmarktes zu haben, als Realität zu sein. Es kann darüber hinaus die Vermutung angestellt werden, dass die hohe Publizität von ,Schönheitsoperationen‘ im Kontext der Aufmerksamkeitserzielung für das Thema Schönheit an sich zu sehen ist und damit wahrscheinlich der Unterstützung eines anderen großen Marktes dient, nämlich dem Massenmarkt für Anti-Aging Dienstleistungen und Produkte.“120 Es sind danach für das Spannungsverhältnis zwischen Selbstbestimmung und sozialem Optimierungsdruck auch Anpassungszwänge durch mehr oder weniger subtile marktliche und mediale Sozialkontrolle in Betracht zu ziehen. Vor deren Hintergrund bekommen Autonomiepathos und Freiheitspostulate mitunter einen etwas bitteren Beigeschmack. Es sollte in diesem Zusammenhang auch mit der Keule der Kritik am „Paternalismus“ rechtlich regulierender Norm- und Grenzsetzung differenzierend umgegangen werden. Zu Recht ist jüngst im Zusammenhang einer „Ethik der Volksgesundheit“ das „Schreckgespenst des Paternalismus“ kritisch thematisiert und vor der Annahme gewarnt worden, „jeder staatliche oder rechtliche Eingriff ... sei ein Fall von unzulässigem Paternalismus“. Ebenso wenig kann davon ausgegangen werden, „dass das Prinzip der personalen Autonomie kategorisch alle anderen ethisch bedeutsamen Gesichtspunkte dominiert“.121 In der sozialwissenschaftlichen Literatur zu Biopolitik und Wunschmedizin ist mit einiger Berechtigung geltend gemacht worden, dass individuelle Autonomie durch gesellschaftliche Regulierungen nicht per se eingeschränkt oder verhindert wird, sondern unter Umständen auch gesichert und ermöglicht werden kann.122 Dieses Postulat findet eine Entsprechung in rechtswissenschaftlichen Positionen, von denen eine auf rechtliche Regulierung bezogene Differenzierung zwischen Legalstruktur und Realstruktur von Autonomiekonzepten seit Langem thematisiert wird. Auch im medizinrechtlichen Kontext ist auf regulative autonomiesichernde Rahmenbedingungen hingewiesen worden, deren Potenzial nicht nur als Begrenzung, sondern auch als Ermöglichung und Optimierung von Selbstbestimmung in Betracht zu ziehen ist.123 Gerade mit Blick auf das Medizin- und Gesundheitssystem ist darauf hinzuweisen, dass namentlich Patientenautonomie als Normkonzept in erheblichem Maße durch rechtlich regulative Zugriffe entwickelt worden ist, und dies gegen erheblichen Widerstand betroffener medizinischer Professionen und Organisationen. Es ist dies auch gegen verbreitete Sichtweisen vorzubringen, die beim Stichwort „Paternalismus“ nur an staatliche Regelsetzung denken, nicht aber an wirkmächtige private Interessen mit dem Potenzial autonomiebegrenzender Effekte zulasten Dritter. Es sind vor diesem Hintergrund auch im Bereich der Ästhetischen Chirurgie jenseits brachialer Verbote jedenfalls bereichsspezifisch und situationsbezogen modale und prozedurale Regulierungen als grundsätzlich legitime Steuerungsinstrumente in Betracht zu ziehen. Dies gilt insbesondere für die Qualitäts- und Qualitätssicherungsdimension, informationelle Dimension, Schutzdimension (insbesondere zugunsten verletzlicher Personen), berufsrechtliche Dimension und schließlich für Markt- und Medienrecht. 120 Vgl. näher Forschungsprojekt Schönheitsoperationen, S. 90 (Hervorhebungen im Original). 121 Alle Zitate bei Quante, Das Elend der Volksgesundheit, Ethik Med 2010, 179 (183). 122 Wehling, Selbstbestimmung oder sozialer Optimierungsdruck? Perspektiven einer kritischen Soziologie der Biopolitik, Leviathan 2008, 249 (266). 123 Zu beidem Damm, Privatautonomie und Verbraucherschutz – Legalstruktur und Realstruktur von Autonomiekonzepten, VersR 1999, 129; Damm, Imperfekte Autonomie und Neopaternalismus. Medizinrechtliche Probleme der Selbstbestimmung in der modernen Medizin, MedR 2002, 375. SONSTIGES Obduktionspflicht bei Kindern: Staatlicher Schutzauftrag und postmortales Elternrecht Matthias Siegfried, Bremen Der Kinderschutz in Deutschland verlangt neue Anstrengungen zur Qualitätssicherung und dem Aufbau eines effektiven Managements. Angesichts einer beachtlichen Dunkelziffer an zweifelhafter Todesursache gestorbener Kinder wird dazu aktuell der Gesetzesvorschlag einer Obduktionspflicht für Kinder (sectio legalis) vorgelegt. Als zweifelsfrei dokumentierte Todesursachen könnten durch eine Obduktion geprüft, anders nicht erkennbare verdeckte Fremdeinwirkung medizinisch nachgewiesen werden. Parlamentarische Verunsicherung und gesellschaftlicher Protest geben Anlass zu einer rechtlichen Prüfung. I. Problemaufriss In jüngerer Zeit forderten Berichte über Kindstötungen (Filizide) wie etwa der Fall des kleinen Kevin in Bremen (2006) oder der kleinen Lea-Sophie aus Schwerin (2007), der kleinen Nadine aus Gifhorn (2007), Jessica aus Hamburg (2005) oder anderer Kinder aus Lüneburg (2008) und Berlin (2008) aufgrund insbesondere auch einer nie da gewesenen medialen Rezeption und Präsentation ganz neue öffentliche und fachöffentliche Aufmerksamkeit. Eine an sich über die Jahre eher konstante ⊳ Matthias Siegfried, Rechtsassessor, Bremen. Arbeitsschwerpunkt Verfassungs-, Verwaltungs- und Sozialrecht.